Die Weberin von Gin
Lange ist es her, da gab es im südlichen Königreich Kuni, das besonders für seine äusserst feine Seide berühmt ist, ein kleines Dorf, das man "Gin", Silber, nannte.
Diesen Namen verdankte das Dorf einer alten Weberin, die dort lebte.
Oruko war ihr Name und obwohl ihr Haar bereits weiss und ihre Augen grau und trüb waren, webte sie wunderschöne Stoffe, die alle silbern glänzten und in die sie mit flinken Fingern so feine Muster einzuweben vermochte, dass sie fast unwirklich erschienen.
Doch niemand wusste, woher die Fäden, aus denen die alte Oruko diese wundervollen Stoffe webte, stammten. Nie sah man einen Händler oder etwas Ähnliches an ihrem Hause klopfen.
Zudem behaupteten einige, sie des Nachts in den Wald rennen gesehen zu haben und es wurde erzählt, sie lebe schon seit 200 Jahren in diesem Dorf.
Fast alle fürchteten die alte Weberin als Hexe oder Dämonin. Einzig ein junges Mädchen zeigte keine Furcht vor der Alten.
Ito, die Tochter des Holzfällers, war im Gegensatz zu ihrem grossen, stämmigen, lauten Vater klein, schwächlich und schüchtern. Doch eines hatten die Beiden gemeinsam: Sie waren beide äusserst hartnäckig. Tag für Tag ging Ito zu Oruko und bat sie von Tag zu Tag mutiger, ihr Lehrling werden zu dürfen, bis die Weberin das Spiel eines Tages satt hatte und einwilligte.
Oruko war nicht sonderlich freundlich zu dem jungen Mädchen und liess sie zunächst alle Arbeit tun, zu der sie selbst zu faul war, in der Hoffnung, Ito würde ihr Vorhaben aufgeben und ihre Lehre als Weberin abbrechen.
Doch Ito putzte, kochte, wusch und fegte die abgeschnittenen Fäden unter dem Webstuhl hervor, ohne dass auch nur einmal ein Wort der Unzufriedenheit über ihre Lippen kam.
Wann immer sie Zeit hatte, sah Ito Oruko bei der Arbeit zu. Bald wusste Ito genau, wie der Webstuhl funktionierte, wie man die Fäden verknüpfen musste, damit der ganze Stoff nicht wieder auseinander fiel und dass die feinen Muster Orukos von ganz allein zu kommen schienen, aber trotzdem alle unterschiedlich waren. Das musste an den Fäden liegen. Doch nicht einmal Ito wusste, woher diese Fäden kamen.
Oruko lagerte sie in einem kleinen Zimmer, dessen Eingang sich gleich neben dem Webstuhl, der in der geräumigen Stube am Fenster stand, befand. Und sie wusste, dass das Zimmer, wann immer Orukos Vorrat sich dem Ende neigte, wie durch Zauberhand über Nacht wieder aufgefüllt wurde.
Das faszinierte Ito und da sie sehr neugierig war, beschloss sie, herauszufinden, woher die Fäden kamen.
Geduldig wartete sie, bis es Vollmond wurde, denn immer zum Vollmond gingen Orukos Vorräte zur Neige.
Der Vollmond kam und Ito fand kaum Schlaf, so aufgeregt war sie. Endlich hörte sie die Haustüre zuschlagen. Sie kroch aus ihrem Bett und schlich in die Stube.
Vielleicht war ein geheimnisvoller Händler aus einem fernen, ihr unbekannten Land gekommen, um der Alten seine wundersamen Fäden anzupreisen. Oder vielleicht war Oruko wirklich eine Hexe und beschwor die Fäden gerade aus einem alten verbeulten Kupferkessel hervor, nachdem sie irgendwo draussen die magischen Zutaten geholt hatte.
Doch die Stube war leer und Oruko nirgends aufzufinden.
Barfuss und etwas ängstlich trat Ito aus dem kleinen Haus.
Gerade noch konnte sie sehen, wie ein Zipfel von Orukos wehendem, silbergrauem Gewand zwischen den Bäumen des nahen Waldrandes verschwand.
„Sollte an den Gerüchten, welche die Klatschtanten und Lästermäuler im Dorf erzählten, etwas Wahres sein?“
Ohne zu zögern folgte Ito dem hellen Stück Stoff, dass sie wie eine Fahne leitete, und bald hatte sie die alte Weberin eingeholt. Ito war sich sicher, dass Oruko sehr wütend auf sie sein würde, wenn sie herausfand, dass Ito ihr nachgelaufen war. Wahrscheinlich würde sie ihren Lehrling zurückschicken. Darum blieb Ito auch immer etwas hinter Oruko zurück, obwohl sie die alte mit Leichtigkeit ganz einholen oder sogar hinter sich hätte lassen können.
Ito wusste nicht, wie lange sie Oruko durch den Wald folgte, bis sie schliesslich an einer riesigen Höhle ankamen, in der die alte Weberin verschwand.
Doch Ito fiel plötzlich auf, dass die Bäume um die Höhle herum voller Spinnennetze waren, die im Mondlicht so hell schimmerten, dass sie die dunkle Umgebung zu erhellen vermochten.
Jeder hätte erkannt, dass alle Netze von Silberspinnen stammten, denn sie glänzten wie Silber-Filigran und einzig diese Spinnenart vermochte solch silberne Netze zu weben.
Ito erschauderte. Die Spinnen waren gross wie die Hand eines ausgewachsenen Mannes und obwohl ihr Gift für Menschen ungefährlich war, wurde Ito nervös. Hier mussten Hunderte, wenn nicht Tausende dieser Spinnen hausen.
Nun bekam Ito Angst; sie wollte umkehren, zurück nach Hause in ihr warmes, sicheres Bett. Doch kaum hatte sie den ersten Schritt in die Richtung, aus der sie gekommen war, gemacht, regte sich in der Höhle etwas.
Langsam bewegte sich ein silbernes, langes Etwas aus der Höhle. Wie angewurzelt blieb Ito stehen. Was konnte das sein?
Plötzlich wurde es ihr klar. Das, was da aus der Höhle kroch, war nur ein Bein. Ein Bein, das zu einer riesigen Silberspinne gehören musste.
Ein Weiteres folgte, dann noch eins und noch eins, bis schliesslich alle acht Spinnenbeine aus der Höhle ragten.
Ito konnte gar nicht anders als dem unheimlichen Spektakel zuzusehen.
Dann schob sich der kahle weisse Kopf der Spinne mit den im Mondlicht glänzenden, schwarzen Greifzangen und den trüben, grauen Augen aus dem Versteck. Und schliesslich der fette, mit silbernen Haaren bedeckte Leib, auf dem einige goldene Haare einen Kreis mit einem Punkt darin bildeten.
"Du hast mich also gefunden, Mensch!", geiferte die riesige Spinne. Die Stimme, mit der sie sprach, kam Ito so seltsam bekannt vor. Plötzlich erkannte sie, dass es die Stimme Orukos war, die da sprach.
"O... Oruko? Seid Ihr das? Was... was ist mit Euch geschehen?", stammelte Ito.
"Ich bin Akutai, die Königin der Silberspinnen. Seit mich vor 200 Jahren ein Magier verfluchte, bin ich gezwungen, mein Leben in dieser erbärmlichen Menschengestalt, die du als die Weberin Oruko kennst, zu fristen. Doch in Nächten wie dieser kann ich meine wahre Gestalt wieder annehmen und für ein paar Stunden zu meinen Kindern zurückkehren."
Kaum hatte die riesige Spinne ausgesprochen, krabbelten hunderte von Silberspinnen aus der Höhle.
"Aber nun, da du mein Geheimnis kennst, werde ich bestimmt nicht zulassen, dass du den Einfallspinseln in diesem grauenhaften Menschendorf davon erzählst", fuhr die Spinnenkönigin fort.
Ito schrie entsetzt auf und endlich fand sie auch die Kraft, wegzulaufen, wieder.
Sie hastete durch den dunklen Wald, ohne zu wissen, wohin.
Doch sie kam nicht weit. Die Spinnen, Akutais Kinder, verfolgten sie auf schnellen Beinen.
Bald hatten sie Ito hinter sich gelassen und spannen ein riesenhaftes Netz, das Ito den Weg versperrte.
Ito schrie auf, als die erste der Spinnen ihre Giftzähne in ihr Fleisch bohrte.
Itos Vater, der Holzfäller, fand sie am frühen Morgen, als er zur Arbeit in den Wald kam. Ihre Leiche war von einem silbernen Tuch aus Spinnenfäden bedeckt und auf ihrem Körper fanden sich überall Bisswunden der Silberspinnen. Sie war so oft gebissen worden, dass sie an dem Spinnengift gestorben war.
Ito hatte zwar Orukos Geheimnis herausgefunden, doch sie hatte einen hohen Preis dafür bezahlt.
~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~.~Kokoros kleine Laberecke:
Meine Beta Paddy hat auch hier wieder Handangelegt und ich muss sagen, einige der Korrekturen sind... naja... Besonders bei dem Satz hab ich mich gewundert:
„Plötzlich wurde es ihr („eisig“) klar.“ Das in den Klammern is von Paddy....
Wie wird einem etwas eisig klar?
Egal, zur Legende selbst:
Bei dieser Legende wollte ich etwas in Richtung „Grusel-Märchen“ machen...
Irgendwie kommt mir diese Legende ungewöhnlich schwarz-weiss-malerisch vor...
Als ich die Legende geschrieben habe, wusste ich noch nicht, wie ich sie bei „Die Blaue Flamme“ einbauen sollte... Mittlerweile konnte ich es übrigens ^^
„Und dann spukt mir noch ein Erlebniss, dass ich mit ungefähr 16 hatte im Kopf rum, woraus sich sicher auch was zaubern liesse ^^ *sich als Harry Potter verkleidet und so tut als würde sie zaubern*“
Dieser Satz stand so im ehemaligen Nachwort. Dass ich daraus was machen wollte, hab ich voll verhängt.... * schnell auf die Ideenliste setz*
Na dann bis zum nächsten Mal!
Eure Kokoro
*verschwindet mit einem "Puff" im Nichts*