Zum Inhalt der Seite

Anime Evolution

Erste Staffel
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der Schulausflug

In der Nacht hatte ich einen beängstigenden Traum.

Ich schwebte in einer trägen Flüssigkeit, gefangen in einem Dämmerschlaf. Es war warm um mich herum, so warm...

Ein kleines Licht verbreitete matte Helligkeit und hüllte mich in einen bernsteinfarbenen Schimmer ein. Hier und da glitzerten kleine Sterne um mich herum. Ich fand es schön.

Eine Hand trieb vor meinen Augen vorbei. Es dauerte einige Zeit, bis ich begriff, dass es meine eigene Hand war. Ich versuchte sie zu bewegen, aber mir schien, dass dieser Körperteil nicht mehr länger zu mir gehörte. Meine Gedanken flossen träge, die Wärme umhüllte mich und ich wünschte mir, dass es immer so bleiben würde. Für immer und ewig, fern von allem anderen, fern von Wünschen, Sorgen, Begierden, Aufgaben und fern vom Tod...
 

Doch dann schälte sich aus der bernsteinfarbenen Flüssigkeit ein Gesicht hervor. Es war ein wunderschönes Gesicht, doch die Augen waren rot und die Wangen fleckig von den vielen Tränen, die sie hinab rannen. Kannte ich das Gesicht? Dunkelblonde Haare rahmten es ein und verstärkten den Eindruck der Schönheit nur noch.

"Komm zurück", hörte ich eine tränenschwangere Stimme flüstern. "Komm wieder zurück. Bitte. Bitte. Lass mich nicht allein."

Wieder quollen Tränen aus den Augen, benetzten das Gesicht. Eine Hand legte sich auf die Flüssigkeit, nein, auf eine Trennwand zwischen uns. Die Augen, die wundervollen hellen Augen sahen verzweifelt in die meinen.

"Du darfst mich hier nicht allein lassen. Komm doch zurück. Ich flehe dich an... Ich flehe dich an..."

Das schöne Gesicht verzerrte sich. Trotziger Zorn zeichnete sich darauf ab. Die Hand ballte sich zur Faust und schlug auf die Begrenzung ein.

"Ich lass dich nicht gehen! Nein, niemals! Ich lass dich nicht gehen, ich lass dich nicht gehen! Du wirst hier wieder raus kommen, das schwöre ich!"

Wieder veränderte sich der Gesichtsausdruck und zeigte nun tiefen, verzweifelten Schmerz. Die Faust wurde wieder zur Hand. Diese Hand rutschte nun langsam herab.

"Ich lass dich nicht gehen...", hauchte die schöne Frau, senkte den Blick und schluchzte.

Atemlos schwebte ich in der Flüssigkeit. Meine warme Welt, was war sie wert? Wert ohne sie? Ich wollte meinen Arm heben, mit der Hand über ihr Gesicht streicheln. Ich wollte sagen, dass alles gut wird, das ich bei ihr bleiben wollte. Aber mein Körper reagierte nicht.

Ich verspürte Beklemmung. Beklemmung, die das Wohlgefühl vertrieb und eine tiefe Kälte in mir reifen ließ. Einen Augenblick später war es Panik.

Meine Hand schoss vor, auf sie zu und wurde gestoppt. Die Barriere galt auch für mich.

Ich wollte sie durchbrechen, überwinden, bei ihr sein. Ihren Namen rufen!

Doch sie sah meine Hand nicht. Sie sah meine verzweifelten Augen nicht. Sie stand nur da und schluchzte.

"Bleib bei mir", flehte sie leise.

Meine Hand fing an zu zittern und fiel wieder hinab. Trieb durch den Tank - durch den Tank, ein medizinischer Regenerationstank - als gehörte sie mir nicht.

Wieder hüllte mich die Wärme ein. Das Licht wurde heller, wärmer. Und das Bild der schönen Frau schien in einem Wirbel zu verschwinden.

Nein. Nein. NEIN!
 

Schweißgebadet fuhr ich auf. Es war mitten in der Nacht. Und mein Kopf schmerzte, als hätte ich eine Flasche Sake alleine getrunken. Ich betrachtete meine rechte Hand und bemerkte, wie sie zitterte. War das wirklich ein Traum gewesen?

1.

Als ich an diesem Morgen in die Küche kam, vollkommen übernächtigt, gestraft mit einem deftigen Muskelkater von meinen vier Kämpfen am Vorabend und immer noch nicht ganz durch meine Erkältung durch, machte ich wirklich nicht den besten Eindruck.

Verschlafen strich ich mir über mein Kinn. Wenigstens einen Vorteil hatte diese Welt. Rasieren musste ich mich nur alle drei Schaltjahre einmal.

"Morgen", brummte ich leise und setzte mich an den Küchentisch. Wenigstens dieser Teil des Hauses war europäisch eingerichtet. Ich hätte natürlich auch ins Wohnzimmer gehen können, aber im Moment wollte ich so nahe an der Kaffeemaschine sein wie möglich.

"Guten Morgen, Akira-sama", erklang eine Frauenstimme neben mir. Ich sah auf und erkannte Akari. Der Oni trug einen Kimono und eine hohe Schürze, während er auf dem Herd hantierte. "Du bist der Erste, der aufgestanden ist. Ich habe gerade erst angefangen, ein traditionelles Frühstück zu bereiten. Und natürlich eine Kanne von diesem schwarzen Sud, den die Europäer eingeführt haben. Mir ist er zu bitter, aber du hast Gestern erwähnt, dass du ihn lieber magst als Tee."

Ich blinzelte den Oni aus halb verklebten Augen an. Mist, ich war wirklich noch nicht richtig durch. "Ist gut so. Danke, dass du Frühstück machst. Das hätte ich wohl nicht geschafft."

Akari strahlte. "Das ist doch das Mindeste, was ich für meinen Meister tun kann. Hier, Kaffee."

Ich wusste nicht, wer ihr die Kaffeemaschine erklärt hatte und wappnete mich innerlich vor dem ersten Schluck aus der großen Tasse gegen Spülwasser oder zu starkem Kaffee.

Aber er ließ sich sehr gut trinken. "Gut", brummte ich.

Akari errötete und senkte den Blick. "Danke, Akira-sama. Das gleich der erste Versuch mit der Blitzmaschine gelingt ist ein gutes Zeichen."

"Blitzmaschine?" "Kaffeemaschine", korrigierte sich der Oni selbst. "Aber Yoshi-sama hat gesagt, er funktioniert mit Hilfe einer Energie, die einem Blitz nicht unähnlich ist."

"Ah. Strom." "Ja. Das war das Wort, das er gebraucht hat. Hier, bitte."
 

Nacheinander stellte Akari mehrere Sachen vor mir ab. Miso-Suppe, Reis und... Waffeln?

"Es ist leider kein Fisch im Haus. Und Sakura-sama war so nett und hat mir verraten, dass du dieses Gebäck sehr magst. Sie hat mir sogar erklärt, wie der Blitzapparat funktioniert, der sie macht."

"Hat sie auch erwähnt, dass vor allem sie selbst sehr gerne Waffeln isst?", brummte ich. Dieses Biest.

"Oh, gut zu wissen. Dann werde ich ihr als Dankeschön doch gleich ein paar mehr machen."

"Das hatte sie bestimmt so geplant", bemerkte ich leise, widmete mich aber der Suppe.

"Gut", war mein Urteil.

Akari strahlte.

"Morgen", murmelte Megumi verschlafen und trottete in die Küche. Sie setzte sich mir gegenüber und gähnte herzhaft.

"Noch etwas breiter und ich kann sehen, was du im Magen hast", neckte ich sie. Der Kaffee zeigte Wirkung.

Megumi warf mir einen bösen Blick zu. "Ich habe schlecht geschlafen."

"Du hast zu wenig geschlafen. Wie lange habt Ihr Makoto denn Gestern noch gequält, hm? Und woher hast du eigentlich den Kimono, Akari?"

"Gequält? Ich glaube, Makoto-sama hatte viel Spaß bei der Sache", murmelte Akari leise. "Oh, der junge Herr sah ja so süß aus im Kimono."

Megumi winkte ab. "Jaja, das hatten wir Gestern alles schon. Und Fotos haben wir auch gemacht. Ich glaube, wir waren bis drei auf oder so. Ihr Männer seid ja schon früh verschwunden. Und den Kimono... Keine Ahnung. Woher hast du ihn, Akari?"

Der Geist verneigte sich vor mir. "Verzeihung, Akira-sama, aber mir ist es möglich, normale menschliche Kleidung zu tragen und ich hielt mein altes Gewand für dieses Haus nicht angemessen. Deshalb habe ich in einem der leer stehenden Räume nachgesehen und dieses Kleidungsstück gefunden."

"Leer stehende Räume?" Ich dachte kurz nach. "Es gab in dem Zimmer sicher auch westliche Kleidung."

Akari verbeugte sich noch tiefer. "Ich bevorzuge traditionelle Kleidung, Akira-sama. Wie es sich für eine Dienerin gebührt.

Hier, Megumi-sama."

"Hm, Waffeln."
 

"Akari, warum kochst du überhaupt?", fragte ich plötzlich.

"Weil ich es kann", antwortete sie leise. "Wie du dich erinnerst, Meister, wurde ich, als ich noch lebte, dazu ausgebildet, eine gute Ehefrau zu sein. Kochen war eine meiner Stärken. Es ist schön, wenn ich in meinem neuen Leben auf einige gute Erfahrungen zurückgreifen kann. Außerdem ist es eine wichtige Aufgabe für einen Diener, nicht wahr?"

"Definitiv", meldete sich Megumi zu Wort. "Die Waffeln sind lecker."

Akari errötete. "Das meinst du doch nicht ernst, Megumi-sama."
 

In diesem Moment betrat Sakura die Szene. Im Gegensatz zu Megumi und mir wirkte sie ausgeschlafen und fröhlich. "Morgen, alle zusammen. Ich habe sehr gute Neuigkeiten. Nanu? Wo sind denn die anderen?"

"Die werden vielleicht noch schlafen", erwiderte ich leise. "Immerhin ist es noch recht früh."

"Oh", meinte Sakura enttäuscht. "Aber euch kann ich es ja schon sagen. Ich habe mit Onkel Eikichi gesprochen. Und er hat gesagt, er hat nichts dagegen."

Ein Gefühl der Gefahr breitete sich von meinem Magen bis zu meinen Schläfen aus. "Wogegen hat Vater nichts?"

Sakura strahlte mich an. "Er hat nichts dagegen, wenn meine Klasse einen Ausflug auf die OLYMP-Plattform macht."

Vor Schreck ließ ich meine Tasse fallen. Nur das beherzte Eingreifen von Akari bewahrte sie vor dem Heldentod auf dem harten Fußboden.

"Wir machen was? Ja, sag mal, spinnst du?"

Sakura starrte mich nieder. "Habe ich richtig gehört? Du fragst ob dein Sensei spinnt?"

Normalerweise hätte dieser Blick funktioniert und mich dazu gebracht, auf Knien um Verzeihung zu bitten. Aber in diesem Fall war die Lage zu ernst. "Hast du schon vergessen, was ich mache?"

Sakuras finsterer Blick verschwand. "Oh. OH. Ach ja. Du bist ja ein Mitglied der UEMF. Wenn wir da hoch fliegen, und ein Einsatz steht an, dann könntest du dich verraten. Wo dir doch alle, die damals dabei waren, ein normales Leben gönnen wollten..."

Übergangslos schimmerten ihre Augen feucht. "Dabei wollte ich den anderen Schülern nur mal zeigen, was Megumi-chan in ihrer kargen außerschulischen Zeit macht. Wie schwer sie für die Sicherheit aller schuftet. Welche Last sie trägt."

"Gut, gut, das erkenne ich an", bemerkte ich, noch immer ärgerlich. "Aber denkst du nicht, dass das wenig nützt? Megumi ist in der Parallelklasse!"

"Ach ja. Na, macht nichts. Dann gehen wir eben mit dem ganzen Jahrgang hoch."

"Das wird Vater nie erlauben. Je mehr wir sind, desto höher ist die Gefahr, dass wir einen Saboteur mit hoch nehmen", brummte ich. "Außerdem ist Megumi sicher nicht damit einverstanden, soviel Aufmerksamkeit zu bekommen."

"Ich könnte ein Simulationsgefecht vorführen", kam es leise von meiner alten Freundin. "Ich mit Lady Death gegen ein paar Alphas."

"So hatte ich mir das gedacht", bestätigte Sakura lächelnd. Von den Tränen war nun nichts mehr zu sehen. "Außerdem sollen die Schüler begreifen, wie wichtig die Arbeit ist, die auf OLYMP und auf der Titanenstation geleistet wird."

"Ich bin dafür", kam es vom Eingang. Yoshi betrat die Küche. "Guten Morgen, alle miteinander. Vielleicht habe ich bei diesem Ausflug die Gelegenheit, mal in einen Eagle zu steigen."

"Ja, ähem. Gut. Es ist so, dass... Du hast es dir schon gedacht, ja? Ehrlich? Wunderbar. Ich danke dir. Küsschen. Tschüss."

Yoshi betrachtete Sakura mit wütendem Blick. "Sie hat mir nicht zugehört. Ist das ärgerlich."

Meine Cousine klappte ihr Handy zu. "Was? Na, egal. Jedenfalls habe ich gerade Onkel Eikichi angerufen, und er meinte, wir können ruhig mit dem ganzen Jahrgang kommen. Es ist aber nur ein Termin frei. Heute. Ich muß also sofort in die Schule und alles mit dem Rektor klären. Die UEMF übernimmt den Transport und die Kosten. Also, ich ziehe mich um. Bis gleich."
 

Ich stützte meinen Kopf auf die Hände. "Das kann ja was werden."

"Ich mache vielleicht eine Vorführung", kam es leise von Megumi. "Ich gegen ein paar Daishi-Mechs."

Yoshi setzte sich zu uns an den Tisch. "Klingt doch gut. Du wirst damit einen großen Eindruck bei uns allen hinterlassen. Das wird ein lustiger Tag."

"Die ganze Sache hat nur einen einzigen Haken", beschwerte ich mich. "Sobald wir da hoch kommen, Leute, werden mich die Mechapiloten und Techniker erkennen. Schon mal dran gedacht? Und wenn Akane-sempai das mitkriegt - und sie wird es mitkriegen - dann bin ich echt in Erklärungsnotstand. Verdammt, eher so gut wie tot!"

"Ob ich auch mal in einen Mecha steigen darf? Ich glaube, der Eagle passt gut zu mir, Megumi-chan."

"Sicherlich, Yoshi. Ich kann das arrangieren. Ganz diskret."

"Hört mir hier überhaupt einer zu?", beschwerte ich mich.

"Nun reg dich nicht so auf", meldete sich Makoto zu Wort. Er stand im Eingang und hatte sich gegen die Tür gelehnt. "Warum hast du überhaupt so einen Schiss davor, dass diese Akane herausfinden könnte, dass du ein Mechapilot bist?"

"Weil, wenn sie es heraus findet, Megumi vielleicht von der Schule fliegt", knurrte ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen.

"Das ist ein Problem, Akira-sama. Soll ich diese Akane für euch töten?", bot sich Akari an.

"Nein! Natürlich nicht", wehrte ich ab.

"Aber wenn sie doch die Hausherrin bedroht. Ich meine, Megumi-chan ist ja eure..."

Megumi wurde rot. "So ist das ja nun nicht, Akari-chan. Ich bin hier nicht die Hausherrin."

"Außerdem löst das unser Problem nicht. Denn Akane ist nur die Stellvertretende Vorsitzende der Schülervertretung. Danach gibt es immer noch Mizuhara-sempai", warf Yoshi ein.

"Du hast da ernsthaft drüber nachgedacht?", fragte ich ihn erstaunt.

"Nein, nein, nicht wirklich. Aber wenn Takashi dahinter kommt, dann haben wir ein größeres Problem als mit Akane, oder?", sagte Yoshi und hob abwehrend die Hände.

"Takashi Mizuhara, der Vorsitzende der Schülervertretung im letzten Jahrgang ist sehr gefährlich", bestätigte ich leise. "Wir werden ein Auge auf ihn haben müssen. So oder so."

"Darf ich mit?", fragte Akari.

"Was?" "Ich würde zu gerne diese Raumstation sehen. Über dem Himmel schweben. Das muß wunderbar sein. Darf ich, Meister, darf ich? Ich werde auch die ganze Zeit unsichtbar sein."

"Nimm den Oni ruhig mit, Akira", sagte Makoto. "Irgendwann musst du sowieso austesten, wohin er dich begleiten darf." Er stieß sich von der Tür ab und setzte sich zu uns. "Außerdem kann ich da sicherlich einiges tun. Bevor mich O-Nee-chan zwangseinschult, werde ich nämlich auf OLYMP eine Dienstschicht einschieben. Zufällig heute. Ich kann euch helfen."

"Von wegen ein wenig tun", brummte ich. "Das ist deine Rache an mir, weil ich dich Gestern dem Feind überlassen habe. Gib es zu."

In Makotos Augen trat ein gefährlicher Schimmer. "Exakt, Akira."

"Na, dann kann ja nichts mehr schief gehen. Machen wir also diesen Ausflug. Und wenn herauskommt, dass ich einen Mecha steuere, werde ich mich eben mit Takashi-sempai und Akane-sempai auseinander setzen und dich so weit es geht da raus halten, Megumi.

Und was dich angeht, Mister Absicht, ich werde mir keine Blöße geben."

Makoto lächelte kalt. "Das brauchst du auch nicht. Damit habe ich meine Rache schon gehabt. Ich hätte gerne Tee, Akari-chan. Hey, der Kimono steht dir aber gut."
 

Ich schüttelte den Kopf. Irgendwie fühlte ich mich auf verlorenem Posten.

Eine Hand legte sich auf meine. Megumi lächelte mich an. "Akira. Mach dir nicht zu viele Sorgen. Es wird bestimmt alles gut gehen."

"Seit wann geht bei uns denn alles gut?", bemerkte ich bitter.

"Eben. Und bisher haben wir immer irgendwie die Kurve gekriegt, oder? Warum soll es diesmal anders sein?"

Ich sah erstaunt auf. "Da hast du Recht", gestand ich verblüfft ein. Vielleicht wurde es doch nicht so schlimm.

Vielleicht trat aber auch das genaue Gegenteil ein. DAS war wesentlich wahrscheinlicher.
 

2.

Als der Transporthubschrauber abhob, spürte ich eine Hand die sich in meinen Ärmel krallte. Ich sah auf den Sitz neben mir. "Hast du Angst, Hina-chan?"

Das blonde Mädchen nickte. Sie war reichlich blass. "Bekommt dir die Höhe nicht?", scherzte ich. Wo ich doch ganz genau wusste, dass sie mit zwei ihrer Slayer-Freundinnen vor gar nicht allzu langer Zeit auf der Titanen-Station gewesen war. Sie musste ja irgendwie hingekommen sein. Zurück hatte ich sie ja mitgenommen.

Hina schüttelte stumm den Kopf. Ihre Hand krallte sich noch fester in meinen Ärmel.

Ich wusste nicht wieso, ich konnte nicht anders und legte meine Linke auf ihre Hand. "Ruhig, Hina-chan. Bleib einfach immer direkt hinter mir, ja? Da kann dir nichts passieren. Meinst du, so wird es gehen?"

Hina versucht zu lächeln. Schließlich nickte sie.

"Na also", sagte ich mit einem Schmunzeln. Dann beugte ich mich vor und flüsterte ihr zu: "Und bei Gelegenheit verrätst du mir mal, wie du mich so schnell und endgültig aufs Kreuz legen konntest."

Über Hinas Augen ging ein Schimmer von Schalk. "Einverstanden, wenn du mir sagst, warum du auf Titanen-Station ein Manöver abgehalten hast."

Ich verzog keine Miene, war aber schwer beeindruckt. Dieses kleine Biest war gerissener als ich gedacht hatte.
 

Als wir wenige Minuten später als dritter von neun Hubschraubern in der Titanen-Station eingeschleust wurden, wünschte ich mir für einen Moment, dass es für die Schuluniform der Jungen eine Mütze gab. Die hätte ich mir tief ins Gesicht ziehen können.

Andererseits zweifelte ich nicht daran, dass längst bekannt war, wer zusammen mit einem ganzen Jahrgang meiner Schule an Bord kam.

Hinter uns wurde der Hangar geschlossen. Die Klimaanlage begann zu laufen und pumpte heiße Luft in die große Halle, während nach und nach ein Helikopter nach dem anderen die Rotoren abstellte.

"Willkommen auf der Titanen-Station, Sir", bemerkte der Lademeister des Helikopters lächelnd und löste meinen Gurt für mich. Ich grinste freudlos. Das fing ja schon mal gut an.

Am Heck ging die große Klappe auf. Warme Luft schwappte herein, gut achtzehn Grad. Mann, für die Schüler wurde ja eine Menge Aufwand betrieben. Normalerweise sorgte man dafür, dass es nicht allzu sehr zog und verließ sich ansonsten darauf, dass die Soldaten und Techniker dick genug angezogen waren. Wir wurden regelrecht verwöhnt.
 

Ich erhob mich und reihte mich in die Linie der Schüler ein, die nun diszipliniert nach den Anweisungen der Crew den Helikopter verließen.

Draußen stapfte ein Sparrow am Hubschrauber vorbei, und viele Schüler raunten auf. Dabei war der leichte Erkunder noch der kleinste Mecha, über den die Menschheit verfügte.

Vor der Transportmaschine nahmen wir Aufstellung. Als Klassensprecher trat ich aus und zählte zusammen mit meinem Stellvertreter Yoshi durch. Sehr schön. Die Jungs und Mädchen waren sehr diszipliniert. Wenngleich sie mit staunenden Augen in den Hangar starrten.

Plötzlich wurden die Schüler unruhig. Es wurde getuschelt und Hände deuteten hinter mich. Ich sah zurück und erkannte den Grund für die Aufregung.

Megumi Uno kam heran, an der Spitze von fünf Piloten der Briareos-Kompanie. Sie trug ihren Druckanzug und hielt ihren Feuerroten Helm in der Armbeuge.

"Megumi-chan", rief jemand aufgeregt. Es dauerte einige Zeit, bis ich begriff, dass es Yoshi gewesen war.

Außer uns waren noch neun Lehrer bei diesem Ausflug dabei, aber es schien mir so, als wollten sie sich nicht so recht nach vorne trauen. Auch die anderen Schülervertreter traten unwillkürlich wieder in die Reihen ein, sodass Yoshi und ich als einzige vor der Front standen, mit dem Hangartor im Rücken und den Hubschraubern an der Seite.
 

"Morgen, Akira, Yoshi", sagte Megumi zu uns. "Sind alle vollzählig?"

"Unsere Klasse schon. Wie es bei den anderen ist, weiß ich nicht. Aber da es kein Trara gab, denke ich schon."

"Äh, ist Akane-sempai mitgekommen?", fragte sie leicht nervös.

Ich lächelte erleichtert. "Nein. Sie ist ja einen Jahrgang über uns. Und Takashi-sempai meinte, ich und die anderen Klassensprecher würden als Repräsentanten vollkommen ausreichen."

Megumi atmete aus. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. "Das ist gut."

Kurz ging ihr Blick über die Anwesenden. "Ino-sensei ist nicht mit gekommen?"

"Hm. Eigentlich schon. War sie nicht im Helikopter vor uns?", fragte ich Yoshi.

"Sie hat den Hangar schon verlassen", informierte mich der Freund. "Sie ging in Begleitung eines Lieutenants, wenn ich das Abzeichen richtig erkannt habe."

"Hm. Darum kümmern wir uns später", bestimmte Megumi. Sie sah zu ihren Begleitern, drei Frauen und zwei Männern. Ich kannte sie alle, und das mittlerweile recht gut. "Ihr wisst Bescheid, was Colonel Otomo angeht?"

Sniper, ein ziemlich schalkhafter Deutscher fragte grinsend: "Da wir den Colonel wie einen normalen Schüler behandeln sollen, dürfen wir ihn zusammen falten, wenn er in sensible Bereiche geht?"

"Natürlich dürfen Sie das, Robert", antwortete Megumi. "Aber übertreiben Sie es nicht, denn das nächste Mal, wenn Colonel Otomo wieder hier oben ankommt, ist er Ihr Vorgesetzter."

"Ich wusste, die Sache hat nen Haken", erwiderte der Deutsche beleidigt. Die anderen Piloten lachten.

"Akira, Yoshi, tretet jetzt bitte ein. Ich muß zu den anderen sprechen."

Ich nickte. Bevor ich mich umdrehte, warf ich Sniper noch einen teils scherzhaften, teils warnenden Blick zu. Der Deutsche hob die Hände, um seine Unschuld zu beteuern.
 

Nachdem wir uns eingereiht hatten, sprich vor der Klasse Aufstellung bezogen hatten, begann Megumi zu sprechen.

"Mein Name ist Megumi Uno. So kennen mich viele, vor allem meine Klassenkameraden. Aber hier oben, auf der Titanen-Station, kommt noch ein Beiname hinzu. Dies ist der militärische Rang eines Captains. Dieser Rang berechtigt mich dazu, eine Kompanie zu befehligen. Diese besteht aus zwölf Mechas. Die Damen und Herren neben mir sind Teil meiner Kompanie. Sie sind meine direkten Untergebenen.

Auf Wunsch von Ino-sensei sollen wir euch ein wenig in das Leben und den Dienst auf der Titanen-Plattform und dem OLYMP genannten Pendanten im Erdorbit einführen.

Bitte folgt dabei immer meinen Anweisungen, denen meiner Untergebenen und dem Sicherheitspersonal. Denn dies ist ein hoch sensibler Bereich. Hier und nur hier entscheidet sich die Sicherheit der gesamten Erde. Die Sicherheitstruppen haben Befehl, nachsichtig zu sein. Wer aber von der Gruppe getrennt wird, muß damit rechnen, festgenommen zu werden. Also bleibt bei euren Klassensprechern und Lehrern."

Leises Maulen antwortete Megumi.
 

"Wer nicht spurt, fliegt sofort wieder nach Hause, damit das klar ist!", fauchte Sakura vom Eingang her. In ihrer Begleitung war besagter Lieutenant. Ich erkannte ihn auf Anhieb wieder. Er gehörte dem Geheimdienst an, der für die Sicherheit auf der Station sorgte. "Captain Uno ist hier die absolute Autorität, also gewöhnt euch an den Gedanken. Und vergesst eines nicht: Dass Ihr so nett und friedlich in den Tag hinein leben dürft und über eure strengen Lehrer schimpfen könnt, anstatt einen Mechakampf direkt vor eurer Nase zu erleben, verdankt Ihr nur den Besatzungen dieser beiden Plattformen. Nur weil sie leiden, kämpfen und sterben, behaltet Ihr euer normales Leben."

Unwillkürlich duckte ich mich. Sakura konnte einen wirklich gemeinen Blick produzieren, wenn sie wollte.

"Danke, Sensei. Bitte gehen Sie jetzt zu Ihrer Klasse", übernahm Megumi wieder.

Das hatte gesessen. Eine tolle Wirkung auf die Schüler, von denen nun vielleicht einige ahnten, warum sie den Krieg gegen die Kronosier nur im Fernsehen verfolgten.

Und das es hier wenig mit einem Videospiel zu tun hatte.

"Ich und meine Piloten werden euch während der Führung nicht begleiten. Wir werden direkt auf den OLYMP fliegen und eine Vorführung mit unseren Mechas vorbereiten."

Hinter den Schülern fuhren Lastwagen sechs Mechas heran. Einer war unverkennbar Lady Death, in der Hand die Artemis-Lanze.

"Ab hier übernimmt eine wahre Fachkraft, die geholfen hat, diese Station aufzubauen und in den ersten Monaten ihres Lebens zu verteidigen. Lasst euch nicht vom geringen Alter von neunzehn Jahren stören. Major Ino ist der Experte für Analyse und Ortung. Und er kann mehr über diese beiden Stationen erzählen als die meisten Spezialisten. Ich wünsche euch viel Vergnügen und - wir sehen uns oben auf dem OLYMP."

Leiser Applaus klang auf, während sich Megumi zusammen mit dem Teil ihrer Briareos-Kompanie einen Weg durch die Menge bahnte. Megumi lächelte leicht. Meistens begegneten ihr die Mitschüler ängstlich oder vorsätzlich freundlich. Freude oder Begeisterung bekam sie selten zu spüren.
 

"Meine Damen und Herren", begann nun der Lieutenant zu sprechen, "darf ich Ihnen nun Major Makoto Ino vorstellen, Ihren Führer und Experten für diese Exkursion."

Für einen Moment erwartete ich, dass sich Mako-kun für die weibliche Uniform entschieden hatte, aber ich wurde angenehm enttäuscht.

Er trug die Herrenuniform, und ich musste eingestehen, dass sie ihm vortrefflich stand.

"Ist der süß", hörte ich eine Mädchenstimme hinter mir flüstern. Ich brauchte nicht den Kopf zu wenden um zu wissen, dass die meisten meiner Klassenkameraden dazu nickten.

Ich grinste verhalten. Diesen Fluch wurde Makoto wohl nie wieder los.

"Guten Morgen", empfing Makoto die Schüler und überraschte mit einer wohl klingenden, aber lauten und weit reichenden Stimme. "Wie Ihr sehen könnt, wenn Ihr nach hinten schaut, steigen gerade Captain Uno und ihre Piloten in ihre Mechas vom Typ Hawk.

Sie werden in wenigen Minuten ausschleusen. Dann sollten wir nicht mehr im Hangar sein. Das dürfte etwa kalt und zugig werden. Deshalb beginnen wir gleich mit der Führung. Bitte bildet eine Zweierreihe und folgt mir zur Lounge. Von dort haben wir einen sehr guten Blick auf den Ausschleusevorgang, es ist warm und ich kann schon mal einiges über die Titanen-Station erzählen."

Begeistertes Raunen antwortete ihm.

Hinter uns setzte Megumi gerade ihren Helm auf und stieg auf das Podest, welches sie in das Cockpit ihres Mechas bringen würde. Sie winkte, und irgendwie hatte ich das Gefühl, es galt mir.

"Wenn Ihr mir nun folgen würdet", rief Makoto und ging vorweg. Kurz darauf folgten wir ihm Klassenweise.

**

Wer jemals erwartet hat, dass eine Horde Schüler, und sei es aus der Oberstufe, länger als ein paar Minuten eine ähnlich strenge Disziplin durchhielt wie eine Kompanie gut gedrillter Soldaten, wurde von uns sicherlich enttäuscht.

Denn kaum das wir den Hangar verlassen hatten, brach das Chaos über die Titanen-Station herein. Die meisten meiner Mitschüler landeten in der Tat in der Lounge, von wo aus wir beobachten konnten, wie sich die Hangarschotts wieder öffneten und die sechs Hawks entließen. Aber ein großer Teil - ein beachtlich großer Teil war aufgebrochen, um sich zu verlaufen, Besatzungsmitglieder mit Fachfragen zu nerven, diverse Getränkeautomaten zu leeren, in einer stillen Ecke zu flirten und was der Möglichkeiten mehr waren.

Unsere Lehrer, allen voran Sakura-chan, hatten alle Hände voll zu tun, die Rasselbande nach und nach einzusammeln. Und mussten sich auch noch den Vorwurf anhören, die jungen Leute nicht wie Erwachsene zu behandeln. Ein interessanter Gedanke, wenn man bedachte, dass ihr eigenes Verhalten sie für diese Behandlung disqualifiziert hatte.

Natürlich sahen wir nicht alles so streng. Kei zum Beispiel unterhielt sich mit vor Aufregung glühenden Wangen mit einem Cheftechniker über die Halbleitertechnik, die beim Bau der Station entwickelt worden war und störte sicher niemanden, während die zwei einen Kaffee an einem Automaten auf dem Gang tranken.

Ein etwas anderer Fall waren Doitsu und Kenji, die es nicht nur geschafft hatten, sich zu verlaufen, sondern auch noch in der Damenumkleidekabine der Sporthalle gelandet waren - natürlich genau in dem Moment, als die Volleyballmannschaft ihr Training beendet hatte.

Das Geschrei war bis zu uns zu hören.
 

"Akira-sama?", erklang neben mir eine gewohnte Stimme. Vor uns ließ Megumi Lady Death gerade rücklings aus dem Hangar fallen, nur um kurz darauf auf ihren Triebwerken gen Himmel zu steigen und uns ein letztes Mal zuzuwinken.

Ich wandte mich leicht um und zischte leise: "Was gibt es denn, Akari?"

"Akira-sama, ich weiß, ich soll nicht mit dir reden, solange jemand deine Antworten hören kann. Aber gerade wo man Kenji Hazegawa-sama und Doitsu Ataka-sama wieder gebracht hat, habe ich festgestellt, dass Kei Takahara-sama nicht mehr auf dem Gang ist."

"Das hat mir gerade noch gefehlt. Ein Sack Flöhe ist leichter zu hüten als auf diese Bande aufzupassen. Such ihn, Akari, aber sieh zu, dass du nicht gesehen wirst. Wir werden in zehn Minuten in die Lifts zur OLYMP-Plattform steigen. Bis dahin musst du wieder hier sein, ob du ihn gefunden hast oder nicht."

"Ja, Akira-sama." Akari versank im Boden. Ein toller Trick, fand ich.
 

Seufzend ließ sich Sakura neben mir auf die Sitzbank fallen. "Hätte ich gewusst, was das hier alles für eine Arbeit macht, dann hätte ich es mir vielleicht anders überlegt."

Übergangslos strahlte sie mich an. "Aber es ist ja für Megumi-chan, nicht wahr? Vielleicht verstehen die anderen sie ab jetzt besser."

"Oder sie sehen sie noch mehr als eiskalten, tödlichen Engel an und erhöhen die Distanz", brummte ich leise.

"Na, nun sieh die Welt doch nicht gleich so trübe. Was soll schon groß passieren?", erwiderte sie und winkte lässig ab.
 

"Major Ino!", hörte ich eine bissige Stimme vom Eingang her.

Ich fuhr herum und erkannte Commander Sikorsky, den Oberbefehlshaber der Plattform.

"Major Ino, wenn Sie schon Gäste herum führen, dann sorgen Sie gefälligst dafür, dass sie ihre Haustiere bei sich behalten!" Wütend stapfte der Commander in die Lounge. Am ausgestreckten rechten Arm hielt er Kei. Sein Griff umschloss den Kragen der Schuluniform.

"Dieser kleine Streuner war doch tatsächlich in meiner Zentrale und hat mit ein paar Konsolen gespielt. Es hätte nicht viel gefehlt, und die Wachsoldaten hätten ihn als Saboteur erschossen. Wenn ich nicht eingegriffen hätte..."

Wütend setzte der Commander den Jungen ab. "Wer hat die Aufsicht über diesen Zwerg?"

Sakura wollte aufstehen, aber ich winkte ab. Mit einem Gefühl des Bedauerns erhob ich mich und trat auf den Offizier zu.

"Ich habe die Aufsicht. Akira Otomo von der Schülervertretung, Commander Sikorsky. Danke dass Sie uns unseren kleinen Ausreißer zurück gebracht haben." Meine Augen fixierten die des Commanders. So fochten wir einen stillen Kampf aus, in dem mein Gegenüber letztendlich einlenkte.

"Nun gut, Otomo-kun. Es ist ja nichts passiert. Letztendlich ist er nur ein Zivilist. Aber sollte ich noch mal einen Ihrer Schutzbefohlenen in sensiblen Bereichen erwischen, stehen Sie dafür gerade."

Ich schmunzelte. "Das tue ich sowieso. Allerdings würde ich mir eine wichtige Frage stellen: Wie konnte es Takahara-kun gelingen, ausgerechnet in die Zentrale der Titanen-Plattform einzudringen?"

Makoto kam im Laufschritt heran und blieb neben uns beiden stehen. Dort verharrte er und wagte nicht zu atmen.

"Major Ino", knurrte der Commander wütend, "schleusen Sie diese Kinder so schnell es geht zur OLYMP-Plattform hoch."

Er unterbrach den Blickkontakt und blaffte seinen Stellvertreter an: "Und Sie sorgen dafür, dass ich eine Antwort auf Otomo-kuns Frage kriege, verstanden?"

Immer noch wütend wandte sich der Commander ab und verließ die Lounge wieder.
 

Makoto atmete erleichtert auf. "Das ging aber noch mal gut. Ich dachte, gleich zerreißt er dich in der Luft, Akira."

Kei meldete sich leise zu Wort. "Tut mir Leid. Ab jetzt gehe ich bestimmt nicht mehr verloren. Aber die Blaupunkt&Apple Bedienungskonsole IV ist so ein faszinierender Allrounder, und als ich sie gesehen habe..."

"Schon gut. Geh einfach zu den anderen, Kei", sagte ich leise.

Mit einem sehr bedrückten Gesichtsausdruck wandte sich Kei ab und ging zu den anderen. Innerlich grinste ich gemein. Der versteckte Tadel würde ausreichen, um ihn von weiteren Abenteuern auf OLYMP abzuhalten. Hoffte ich.
 

Fünfeinhalb Minuten später standen wir in einem der fünf großen Lastenaufzüge. Der Jahrgang fand Platz in einem. Das bedeutete, dass fast sechzig Schüler für die acht Minuten hinauf zum OLYMP stehen mussten. Ich hörte das erste Gejammer nach nur einer Minute.

Makoto stand am Rande des Fahrstuhls und referierte über die Titanen-Station und OLYMP.

"Titanen-Station befindet sich in der Troposphäre der Erde, einer Atmosphäreschicht, die bis in acht Kilometer Höhe reicht. Sie misst hundert Meter vom Boden bis zum Oberdeck und von Rand zu Rand einen Kilometer. Was viele nicht wissen, sie ist mehr als eine militärische Einrichtung.

Die Menschheit unter der Führung der United Earth unterhält mehrere Kolonien auf dem Mond. Auf unserem Trabanten werden dank der geringeren Schwerkraft, die ein Sechstel der Erdnorm ausmacht, kostengünstig Erze und Mineralien abgebaut und auf den von der UEMF beschützten Routen nach OLYMP gebracht. Von dort gelangen sie per Weltraumlift zur Titanen-Plattform, wo sie versteigert und anschließend in die ganze Welt verschifft werden.

Unter den Mineralien ist auch Helium-3, ein Isotop des Heliums, welches auf der Erde nur äußerst selten vorkommt. Es ist heute maßgeblich an der Energieversorgung der Menschheit beteiligt, da es aufgrund seiner Reaktionsfreudigkeit ein sehr guter Energieträger ist. Man sagt, die Helium-3 - Vorräte des Mondes reichen, wenn man den ansteigenden Bedarf der Menschheit einrechnet, nur noch zweihundert Jahre. Aber es sind noch lange nicht alle Lager entdeckt und katalogisiert worden, deshalb halte ich diese Zahl für falsch."

Eine mitfühlende Seele reichte Makoto einen Becher mit Wasser. Bei seinem Monolog hatte er nicht einmal Luft geholt und war reichlich blass geworden.

Ich grinste verhalten. Im erzählen war mein Cousin schon immer groß gewesen.
 

Ein Schimmern ließ mich aufsehen. Die transparenten Wände des Lifts hatten sich eingetrübt.

"Wenn Ihr jetzt aus dem Lift hinaus seht", setzte Makoto seinen Monolog fort, "dann könnt Ihr einen kurzen Blick auf unsere Ozonsphäre erhaschen, die in einer Höhe von etwa zwanzig Kilometern über der Erdoberfläche beginnt und auch den Anfang der nächsten Schicht der Erdatmosphäre markiert: Der Stratopause. Von diesem Punkt an sind wir nicht mehr gegen kosmische und die hier wesentlich höhere UV-Strahlung geschützt. Deshalb die Eintrübung des Lifts, um uns vor einer Kontamination zu schützen.

OLYMP liegt in einer Höhe von einhundert Kilometern. Das ist noch in der Mesopause, gilt aber schon als das, was man als Weltraum bezeichnet. Freut euch. Nach einer alten Regel aus den Anfängen der Raumfahrt darf sich jeder, der die Höhe von einhundert Kilometern erreicht, Astronaut nennen."

Kurzer, ungläubiger Jubel klang auf. Ich grinste verhalten. Makoto lächelte mir verstohlen zu und sah kurz zu Sakura herüber, der von allen Seiten gratuliert wurde.
 

"Du solltest auch froh sein, Akari", raunte ich dem Oni an meiner Seite zu. "Du wirst der erste Dämon sein, der den Titel Astronaut tragen darf."

"Wie hoch werden wir gehen? Wird das nicht die Götter erzürnen?", zweifelte der Oni und legte verlegen beide Hände vor sein Gesicht.

Ich grinste schmal.

Mist, in meiner aufgepropften Erinnerung gab es tatsächlich Fehler. Als ich das erste Mal in so einem Lift gestanden hatte, da hatte ich gegenüber Megumi referiert, dass sich OLYMP in der Exosphäre, befand, also in der äußersten Atmosphäreschicht unseres Planeten, die sich bis zu siebenhundert Kilometer in die Höhe erstreckt.

Sie fing allerdings erst in vierhundert Kilometern oder etwas mehr an.

Das irritierte mich doch sehr. Was, wenn noch mehr Fehler in dieser Erinnerung steckten? Würden sie mir irgendwann zum Verhängnis werden?
 

"Drei Bataillone Hawk-Mechas beschützen den OLYMP, der von Direktor Eikichi Otomo geleitet wird. Ja, richtig, das ist Otomo-kuns Vater. Und nebenbei mein und Ino-senseis Onkel. Ohne diese Familienbindung hättet ihr kaum derart kurzfristig eine Besuchserlaubnis bekommen.

Ach ja, die Mechas." Makoto lächelte in die Runde. Die meisten Blicke trafen aber mich. Ich spürte, wie ich rot wurde. Na danke, danke, danke. Klar, es wäre irgendwann heraus gekommen, sicherlich. Aber musste Mako-kun es so offen in die Welt posaunen? Innerlich schwor ich dem hübschen Bengel bittere Rache. Ich würde ihm Zimt in den Kaffee tun. Er hasste Zimt.
 

Neben uns erschienen sechs Mechas. Man konnte sehr gut Lady Deaths rote Maschine erkennen. Sie umtanzte den Aufzugkanal und streckte grüßend die Hand aus, bevor sie Schub gab und zusammen mit den anderen Maschinen nach oben verschwand.

"Ein kleiner Gruß von Captain Uno", bemerkte Makoto amüsiert. "Nebenbei, sie ist unsere zweitbeste Pilotin. Wir wüssten nicht, wie die Erde heute aussehen würde, wenn wir sie nicht in unserem Team gehabt hätten." Makoto schwieg für einen Moment betreten. Er hatte dem Team ebenfalls den Rücken zugekehrt, ich konnte diese Erkenntnis deutlich in seinen Augen sehen. Er hatte Megumi genauso im Stich gelassen wie ich damals. Und ihm machte es nicht weniger zu schaffen als mir.

"Warum ist Uno-chan überhaupt Mecha-Pilotin geworden?", fragte Kei neugierig. "Ich meine, in ihrem Druckanzug sieht sie ja wirklich gut aus, aber gibt es keine Erwachsenen, die ihre Aufgabe erfüllen können? Warum muß sie seit sie vierzehn ist, gegen die Kronosianer kämpfen?"

"Das ist eine sehr gute Frage", gab Makoto als Antwort. "Und sie hängt damit zusammen, dass die Mecha-Technologie ein Beutestück der Kronosier ist. Viele von euch werden sich nicht an die ersten Angriffe der Kronosier erinnern. Wie Bangkok bombardiert wurde. Wie New York zum Schauplatz einer riesigen Schlacht zwischen Daishis und herkömmlichen Jets wurde. Wie über Berlin der Himmel von den vielen Explosionen blutrot eingefärbt wurde."

In Makotos Augen flackerte es auf, als die Erinnerung drohte, ihn zu übermannen. "In dieser Zeit eroberten wir einen Daishi. Einen beinahe unversehrten Daishi. Doch niemand war in der Lage, ihn zu bewegen. Nur ein einziger Junge schaffte es, diesen Daishi zu kontrollieren.

Nur durch ihn konnten wir mehr über die Daishi erfahren, die Legierungen enträtseln, die Technik entschlüsseln und nachbauen.

Dieser Junge war damals vierzehn gewesen. Seine Reflexe, seine Synchronisation mit dem Daishi waren einmalig, sodass wir es von vorne herein mit jungen Menschen als Piloten versuchten. Es waren vier, mich eingeschlossen, die damals in den ersten Mechas der Menschen gegen die Kronosier antraten und sie lange genug zurück hielten, bis wir die letzten Kniffe des Daishi entschlüsselt hatten, um auch andere Piloten auf den Mechas zu schulen.

Von tausend Piloten kommt zwar auch heute nur einer in Frage für die schwierige Aufgabe, aber immerhin müssen wir keine Kinder mehr in die Schlacht schicken."

"Warum dann aber Megumi?", fragte ich. "Warum ist sie dann noch hier? Du hast gesagt, drei Bataillone verteidigen OLYMP. Reicht das nicht?"

"Nun, erstens verdanken wir ihr die Rettung der Erde, lieber Cousin. Und zweitens will sie es so. Sie will da oben stehen und die Erde verteidigen. Das können wir ihr schlecht abschlagen, oder?"

"Nein, eigentlich nicht", sagte ich leise. Obwohl meine Erinnerungen nur aufgepfropft waren, obwohl dies nur eine Konstruktwelt war, entstanden aus einem leichtfertigen Wunsch und einer übereifrigen Gottheit, fühlte ich mich schuldig. Matt und schuldig. Ich fühlte mich, als hätte ich sie im Stich gelassen. Und das schmerzte sehr.
 

"Wie ich schon sagte, drei Bataillone Mechas verteidigen OLYMP. Da wäre einmal das Hekatoncheiren-Bataillon, die absolute Elite unserer Streitkräfte. Die einzige Streitmacht, die ausschließlich aus den berühmten Hawk-Mechas besteht. Sie ist unsere einzige Einheit, die bereits Operationen auf dem Mars durchgeführt hat. Zu den Hekatoncheiren zu gehören ist die größte Ehre, die ein Pilot haben kann. Sie sind der Schmiedehammer, der jeden Angriff der Kronosier zerschlägt.

Die anderen beiden Bataillone sind die Titanen-Bataillone. Sie sind gemischt, bestehen teilweise aus den leichten Sparrow-Aufklärern, den Hawk-Vielseitigkeitsmaschinen und den schweren Eagle-Artilleriemechas. Sie sind primär für den Schutz des OLYMP zuständig. Und glaubt mir, wir sind uns der Ironie der Wortwahl durchaus bewusst.

Im Moment leben und arbeiten auf OLYMP fünfzigtausend Menschen, Zivilisten und Soldaten. Und von hier aus starten und landen die Fregatten und Zerstörer der YAMATO- und MIDWAY-Klasse, die unsere Abbaurouten sichern und die Mondkolonien verteidigen.

Ja, da ist eine Frage? Yamada-kun?"

Hina Yamada nahm ihre Hand wieder ab. "Sensei, wer ist denn dieser Pilot, der den ersten Daishi gesteuert hat?"

"Du meinst der Pilot, der als erster dem Daishi Bewegungen entlocken konnte? Der maßgeblich geholfen hat, die Technologie zu enträtseln? Der in diesem Daishi verhinderte, dass fünf japanische Städte vernichtet wurden? Der als die absolute Koryphäe unter den Mecha-Piloten gilt? Der Pilot, ohne den die Erde längst eine kronosische Kolonie wäre?"

Hinas Augen glänzten bei diesen Worten. Und ich bekam Angst vor der Antwort.

Makoto lächelte verschmitzt. "Das... ist ein Geheimnis."

Ein enttäuschtes Aufraunen ging durch die Menge. Ich krachte entsetzt und erleichtert auf meinen Allerwertesten. Dieser Makoto. Ich würde ihm nicht nur Zimt in den Kaffee tun, ich würde ihn auch zwingen, alles zu trinken.
 

Mein Cousin sah auf seine Uhr. "Eine Minute. Wenn Ihr nach oben seht, könnt Ihr bereits den OLYMP sehen. Im Moment bauen wir an einem zweiten Liftsystem mit den beiden Plattformen ARTEMIS und APOLLO, was unsere Verteidigung endlich nahezu perfekt machen wird. Aber bis dahin ist OLYMP unsere einzige Verteidigung."

Die Schüler sahen hoch und erkannten die schnell größer werdende Plattform von OLYMP. Wieder ging ein Raunen durch die Menge.

"Die Plattform ist dreihundert Meter stark und misst drei Kilometer im Rund. Die gesamte Oberseite ist als Werft aufgebaut und versorgt in diesem Moment die Fregatte TSUKIHIME.

Es ist Tradition, Schiffe der YAMATO-Klasse japanisch und Zerstörer der MIDWAY-Klasse englisch zu benennen.

Und herzlichen Glückwunsch, wir haben soeben eine Höhe von einhundert Kilometern überwunden, was bedeutet, Ihr alle dürft ab sofort den Titel Astronaut führen. Wenn Ihr es lieber mögt, könnt Ihr euch auch Taikonaut oder Kosmonaut nennen."

Die letzten Worte gingen bereits im Jubel meiner Mitschüler unter. So ausgelassen erlebte ich diese Bande nur selten.
 

Leise trat ich zu Makoto. "Du hast doch hoffentlich alles arrangiert? Ich meine, dies ist seit Jahren dein erster Tag, Mako-kun, aber du hast auf dem OLYMP hoffentlich dafür gesorgt, dass ich nicht auffliege, ja?"

Makoto lächelte breit. "Aber selbstverständlich, lieber Cousin. Selbstverständlich. Ich habe mich um alles gekümmert."

"Irgendwie macht mir diese Formulierung Sorgen", brummte ich.

Augenblicke darauf dockten wir in der Unterseite des OLYMP an. Zischend öffnete sich der Weltraumlift und bot uns freien Zugang zur Unteren Verladehalle.

Makoto setzte sich an die Spitze. "Wenn Ihr mir bitte folgen würdet. Ich bringe euch zuerst in die hiesige Lounge über dem Mecha-Hangar. Captain Uno hat eine Übung vorbereiten lassen, zusammen mit ihrer Kompanie, der Briareos. Danach erwartet uns ein Mittagstisch in der Kantine und ich führe euch noch ein wenig umher."

Als Makoto den Lift verließ, gellte ein scharfes Achtung! auf und die anwesenden Soldaten und Techniker nahmen Haltung an. Ich setzte mich an die Spitze zu meinem Cousin. "Irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass sie wegen einem gewissen Major salutieren."

"Da hast du wohl Recht, Colonel Otomo. Aber solange du neben mir gehst, haben wir eine schöne Ausrede, oder?", erwiderte er lächelnd.

"Ich dachte, du hast dich um alles gekümmert?", beschwerte ich mich. Und dieser Gedanke bereitete mir plötzlich Angst.

**

Eine halbe Stunde später brodelte es in der Lounge nur so. Die Schüler hatten sich vor den großen Monitoren versammelt, die Einzelheiten des Manövers zeigten, welches die Briareos-Kompanie für uns veranstaltete. Die Manöver dabei waren hervorragend und ich spürte mehr als nur ein bisschen Stolz, dass man mir ohne zu zögern das Kommando über die Hekatoncheiren gegeben hatte. Ja, dies waren wirklich die Besten.

"Go for it, Megumi-chan!", rief Kei Takahara aufgeregt und reckte den rechten Arm in die Luft. Begeisterte Zwischenrufe bestätigten ihn.

Ich schmunzelte leicht. Wenigstens einen Punkt hatte dieser Ausflug erreicht. In dem simulierten Gefecht gegen angreifende Daishis wurde sehr genau gezeigt, was Megumi hier oben eigentlich tat. Und wie es aussah, steigerte es ihre Beliebtheit enorm. Gut für sie.

"Sieht so aus, als hättest du dein Ziel erreicht, Sakura-chan", brummte ich amüsiert.

Die Lehrerin warf mir einen gespielt bösen Blick zu. "Sensei heißt das."

"Jawohl. Sensei-chan."

"Vorsicht", erwiderte sie amüsiert und drohte mir mit dem Zeigefinger. "Treib es nicht auf die Spitze, sonst lege ich dich übers Knie."

"Das wäre es beinahe wert", konterte ich grinsend.
 

Sakura setzte zu einer Antwort an, doch meine Aufmerksamkeit war von einem Moment zum anderen von etwas anderem gefesselt. Aus den Augenwinkeln hatte ich etwas auf Monitor drei gesehen. Sniper hatte geschossen, aber nicht getroffen. Dennoch waren seine Raketen irgendwo eingeschlagen. Alarmiert sah ich zu Makoto herüber.

Der nickte und zog einen Kommunikator hervor. "Vielleicht war es nur ein Asteroid oder ein besonders dichtes Staubfeld", murmelte er in meine Richtung, während die Meldung aus der Zentrale ankam.

Plötzlich gellten die Alarmsirenen der Station auf. Erschrocken sah ich auf, wollte im Reflex los laufen und meinen Mecha bemannen. Aber ich war als Schüler hier.

"Ärger, Akira", sagte Makoto und rannte an mir vorbei. "Ein getarntes Schiff! Wir brechen die Übung ab."

Unter uns auf dem Hangardeck liefen die Soldaten und Techniker im organisierten Chaos durcheinander. Mechas wurden von ihren Stellplätzen zu den Boarding Bays gefahren, wo gerade die ersten Piloten ankamen.

Es juckte mir in den Fingern, in Blue Lightning zu steigen.

Die Schüler raunten erschrocken auf. "Ruhig bleiben!", rief ich über das Stimmengewirr hinweg. "Wir werden angegriffen. Aber es droht keine unmittelbare Gefahr. Hier sind wir erst mal sicher."

Entsetzt bemerkte ich, dass sich vor allem die Lehrer bei meinen Worten beruhigten. Sie hatten viel größere Panik empfunden als ihre Schüler. Na, bis auf Sakura, die mit der Ruhe eines Sergeants ihre Schäfchen dirigierte.
 

Ein getarntes Schiff. Es konnte sich bestenfalls um eine FOXTROTT-Korvette handeln. Die Kronosier hatten es bis jetzt nicht geschafft, größere Objekte unter dem Tarnfeld zu verbergen. Es verschlang einfach zuviel Energie. Dachte ich.

Bis ich auf einem Monitor sah, wie Megumi mit ihren fünf Begleitern einen scharfen Angriff auf das getarnte Schiff flog, feuerte, und das Tarnfeld für einige Augenblicke flackerte. Zur Antwort stießen Laserimpulse als Flakfeuer aus dem Nichts auf, welches die agilen Hawks geschickt umtanzten.

Ich lief zum nächsten internen Kommunikator. "Otomo hier. Zentrale, habt Ihr das registriert?"

"Zivilisten ist der Kontakt zur Zentrale strengstens verboten", erhielt ich zur Antwort.

"COLONEL Otomo hier", raunte ich zornig. "Habt Ihr registriert, dass das getarnte Schiff wahrscheinlich ein ZULU ist?"

Die ZULU-Klasse. Die Schlachtschiffe der Kronosier. Riesig. Gefährlich. Tödlich.

"Entschuldigen Sie, Colonel, ich habe Sie nicht erkannt. Ein ZULU? Aber das ist unmöglich."

"Benachrichtigen Sie sofort Major Ino, er soll die Aufzeichnungen checken!"

"Das... Ist wohl nicht mehr nötig, Sir."

Irritiert wollte ich nachhaken, hörte aber meine Mitschüler erschrocken aufraunen. Ich wandte mich wieder den Monitoren zu und schwieg entsetzt. Das Schiff hatte das Tarnfeld abgeschaltet. Und es lud die riesige Hauptwaffe. Es war wirklich ein ZULU.

Megumi und die anderen hatten das auch erkannt und flogen einen Angriff gegen das Heck des Schiffes, in dem sich die Energieversorgung des dreihundert Meter großen Giganten befand. Flakfeuer und Raketensalven wollten sie abhalten und erwischten auch einen Hawk, aber nicht Lady Death. Was ihr zu nahe kam, wischte sie mit ihrer Artemis-Lanze beiseite, während sie der Schiffsoberfläche entgegen fiel.

Der beschädigte Hawk zog sich zurück, was ich erleichtert registrierte.
 

Megumi hatte ihr Ziel fast erreicht, als das dunkle All rund um sie aufzuglühen schien. Gleich drei Daishi Alpha stiegen von der Oberfläche auf und nahmen sie unter Beschuss.

Lady Death wurde mehrfach schwer getroffen. Aber sie hielt den Kurs.

Unten im Hangar schleusten gerade die restlichen Einheiten der Hekatoncheiren aus. Nur Blue Lightning stand noch bereit und schien zu warten. Auf mich.

"Zieh dich zurück, Megumi!", rief eine Stimme, die ich als die von Sniper erkannte. Irgendjemand hatte die Lounge mit der Kommunikation verbunden.

"Negativ. Ich bin fast durch!" Ein Alpha verging, als sie die Artemisklinge über ihn hinweg zog. Die anderen beiden ignorierte sie und trieb ihre Waffe tief in die Außenhülle des Schiffs. Es gab eine mächtige Explosion, die Lady Death ins All hinaus wirbelte. Megumi!

"CAPTAIN UNO!"

Das Irrlichtern der Hauptwaffe des ZULU erlosch. Aber nur für den Moment. Megumis waghalsiger Angriff hatte Erfolg gehabt, aber nur Zeit erkauft.

Verzweifelung wühlte in meinen Eingeweiden. Verdammt. Verdammt. VERDAMMT!

Wütend wandte ich mich um und passierte das von zwei Soldaten bewachte Schott. Ich angelte mir einen Kommunikator von einem der Soldaten und begann im laufen zu sprechen.

"Akira! Was hast du vor?" "Akira-kun. Das ist gefährlich!" "Akira-san!"

Ich ignorierte die Stimmen meiner Kameraden und Freunde. Jetzt war nicht die Zeit zum reden. Es war Zeit zum Handeln.
 

"Otomo hier. Ich greife ein. Bereitet Blue Lightning vor."

"Verstanden, Colonel", erklang die Antwort. "Standardbewaffnung mit zwei Herkules-Schwertern. Wünschen Sie Änderungen?"

"Ich wünsche einen verdammt schnellen Abflug", schimpfte ich und schälte mich im laufen aus meiner Schuluniform. Durch diese Aktion erntete ich mehr als einen verwunderten Blick, während ich aus der Lounge heraus Richtung Hangar hastete.

Für einen Moment lief ein Techniker neben mir, ein älterer Mann mit grau melierten Schläfen der mir merkwürdig vertraut vorkam, und reichte mir meinen blauen Druckanzug. Es bereitete mir einige Mühe ihn anzuziehen, während ich dennoch versuchte, weiterhin voran zu kommen.

Aber irgendwie schaffte ich es.

"Lady Death ist wieder im Geschehen!", rief jemand, als ich den Hangar erreichte. Ein anderer Techniker warf mir meinen Helm zu, und ich beeilte mich, in meinen Hawk zu kommen.

"Morgen, Blue", sagte ich, während ein Techniker mich fest schnallte.

"Guten Morgen, Colonel. Das gesamte Hekatoncheiren-Bataillon ist bereits ausgeschleust und wird auf Ihr Kommando hören."

"Gut zu wissen, Blue. Dann machen wir mal, dass wir rauskommen", kommentierte ich leise.

"Colonel, ich messe eine Energie neben Ihnen an, die einem höher geordneten Spektrum zuzurechnen ist. Sie ist ungeheuer energiereich. Sollen wir den Start unterbinden?"

Energie? Höhere Ordnung? "Akari..."

Neben mir enthüllte sich mein Oni. "Verzeihung, Akira-sama, aber die Sache sah so spannend aus, ich wollte dabei sein."

Resignierend schüttelte ich den Kopf. "Ignorieren, Blue. Wir gehen so schnell es geht raus. Versiegeln. Und dann ab."

"Verstanden, Colonel."

Ich sah den Oni vorwurfsvoll an. "Akari..."

"Verzeihung, Akira-sama. Aber du weißt doch, ich habe zu meinen Lebzeiten die Samurai sehr verehrt, und die Piloten dieser Mechas erinnern mich so stark an sie. Mein Leben lang habe ich mir gewünscht, sie zu begleiten oder einer von ihnen sein zu dürfen...

Sie sind auch etwas so Besonderes. Nicht einfach nur Soldaten, sondern Anführer, Lehrmeister. Vorbilder. Samurai waren für die einfachen Soldaten, die Bushi, Vater und Mutter, Onkel und Tante. Ein guter Samurai drillte seine Bushi im Kriegshandwerk, aber er vernachlässigte auch ihre anderen Talente nicht. Kalligraphie. Malerei. Gedichte, Haikus.

Zur Vollendung des Bushido gehörte der Ausgleich, die Kombination der tödlichen Lektionen mit denen aus dem Leben. Ich denke, diese Mecha-Piloten kommen den Samurai recht nahe."

Ich verstand Akaris kleinen Monolog. Sie versuchte mir nicht nur deutlich zu machen, warum sie mich begleitete. Sie bettelte darum, in meinem Mecha bleiben zu dürfen.

"Meinetwegen, Akari", brummte ich. "Meinetwegen bleib hier und sieh zu. Aber störe mich nicht."

Vor Entzücken schlug der Oni die Hände vor dem Gesicht zusammen. "Jaaa. Danke, Meister!"

"Colonel, unterhalten Sie sich mit dem Energiefeld?", erklang die Computerstimme meines Mechas.

"Ignorieren, Blue, oder ich lasse deine nächsten Wartungstermine aussetzen", sagte ich und ließ den Hawk abheben und auf die Schleuse zurasen.

"Ich habe nichts aufgezeichnet", verkündete der Bordcomputer. Wie mir schien eine Spur zu hastig.
 

Sofort warf ich mich ins Geschehen. Der ZULU hatte sich im Schutz des Tarnfeldes anschleichen wollen, war dementsprechend nicht sehr schnell gewesen. Auch jetzt schob er sich nur mit langsam anwachsender Beschleunigung auf OLYMP zu. Ich wich einem Stakkato aus Laserflak aus und warf Blue auf die Unterseite des Schlachtschiffs.

Noch war der Feind über fünf Minuten vom OLYMP entfernt, hatte aber optimale Feuerreichweite schon länger erreicht. Ohne Megumi, das machte ich mir klar, wären wir alle verloren gewesen.

Aber falls wir es schafften den Giganten am feuern zu hindern, so konnte er die Plattform immer noch rammen. Und das gefiel mir gar nicht.
 

"Lightning hier, Bericht." "Dandy hier, Kompanie Gyes. Sir, wir befinden uns im Nahkampf mit einer vollen Division Daishis aller drei Klassen. Durch das Flakfeuer des ZULU sind wir aber klar im Nachteil."

"Grey Wolf hier, Kompanie Kottos", erklang eine neue Stimme. Ein aufflammendes Datenfenster informierte mich darüber, es hier mit einem italienischen Captain namens Antani zu tun zu haben, der kurz nach meinem Ausscheiden zu den Hekatoncheiren gekommen war. "Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, Sir, aber ich glaube, notfalls rammt das Biest die Plattform, wenn wir nicht bald was unternehmen. Außerdem glaube ich nicht, dass die Hauptwaffe nicht mehr feuerbereit ist."

"Das glaube ich auch nicht", zischte ich wütend. "Gyes, Kottos, versucht die Daishi zu binden und zu vernichten. Macht den Weg frei für die großen Geschütze des OLYMP. Sie dürften jede Sekunde aufgeladen sein. Und versucht ein paar Daishi so weit aus dem Deckschatten des ZULU heraus zu ziehen, damit die Titanen mit ihren Eagles ein paar saubere Schüsse platzieren können!"

"Wir haben das Kampfgebiet erreicht, Colonel", meldete der Mecha.

"Verstanden, Sir", klangen Dandys und Grey Wolfs Stimmen auf.

"Briareos sammelt sich bei mir. Lady Death, du hast da einen wirklich tollen Stunt hingelegt. Vielleicht kriegen wir das noch mal hin, bevor die Waffe erneut aufgeladen wird."

Vor mir tauchte ein rot lackierter Hawk auf, der sich mit einem Gamma balgte.

"Geht schlecht ohne Waffen", erklang ihre Antwort. Megumis Stimme klang erschöpft, aber sie schien ansonsten in Ordnung zu sein.

Ich warf das linke Herkules-Schwert. Es flog sich mehrfach überschlagend die vierhundert Meter bis zu Megumi und schlug in den Daishi Gamma ein. Die Wucht des Hiebes zerteilte den Kronosier-Mecha in zwei Hälften.

Lady Death streckte eine Hand aus und der Griff des Schwertes landete genau auf den robotischen Handballen. "Danke", sagte Megumi leise.

Ich grinste dünn. "Gern geschehen. Briareos, vom Gegner lösen und zu mir aufschließen."

Wieder wich ich Flakfeuer aus und zerteilte eine Rakete, die auf mich abgefeuert worden war.

Das Herkules-Schwert in den Händen von Lady Death begann aufzuleuchten. Kurz darauf trat eine Art Überschlagsblitz von der Spitze aus und vernichtete einen vorwitzigen Alpha, der sich mit einem Briareos-Hawk gebalgt hatte.

Natürlich, diese Funktion hatten die Klingen ja auch noch. Sie konnten externe Energie speichern und dann Ziel gerichtet oder expansiv freigeben. Wie konnte ich das nur vergessen?
 

"OLYMP, hier OLYMP. Die Hauptwaffen sind feuerbereit. Ich wiederhole, die Hauptwaffen sind feuerbereit. Hekatoncheiren, räumen Sie die nähere Umgebung des ZULU!"

"Ihr habt es gehört. Raus aus der Schussbahn und geht nicht zu nahe an den Schlachtkreuzer heran. Briareos, bei mir halten. Wenn es nicht klappt oder nicht ausreicht, müssen wir ran."

Bestätigende Rufe antworteten mir.

"OLYMP feuert!", gellte eine aufgeregte Stimme im Funk auf. Unwillkürlich sah ich zur Plattform zurück, die nun gute zwanzig Kilometer entfernt war. Doch statt der typischen, hoch verdichteten Partikelstrahlen, die von den Kanonen direkt in den ZULU fahren sollten, sah ich die roten Blüten von schweren Explosionen.

Ich keuchte entsetzt auf. Was war passiert?

"OLYMP, hier OLYMP. Unsere Hauptwaffen haben sich überladen und sind explodiert. Sabotage wird nicht ausgeschlossen. Die Schäden sind aber minimal. Kein Vakuumeinbruch und keine Toten. Aber Ihr seid jetzt auf euch gestellt, Hekatoncheiren. OLYMP aus."

Verdammt, das war ja klar. Konnte die Sache nicht einfach beendet werden? Nein, natürlich nicht.

"Die Hauptwaffe lädt wieder auf!", gellte der entsetzte Schrei von Dandy über den Funk.

"Das ist zu schnell, viel zu schnell! Wo nimmt er die Energie her?", rief ich entsetzt und trieb Blue Lightning auf den ZULU zu. Spielerisch wischte ich zwei angreifende Betas beiseite, wusste aber, dass es nicht reichen würde. Ich würde zu spät kommen. Schlimmer noch, selbst wenn ich den ZULU rechtzeitig erreichte, wollte ich das ganze fette Ding etwa alleine auf einen Streich erledigen?

Die Schirme von OLYMP waren stark. Aber auch stark genug gegen einen Beschuss aus allernächster Nähe?

"Die Daishis gehen in die Offensive! Kottos gerät in Bedrängnis. Ich gehe ihnen helfen!", rief Dandy über Funk.

"Gut, nimm Dynamite und Lawyer mit", lenkte ich ein.

"Dann sind wir mit Ausfällen nur noch acht", wandte Megumi ein. Denkst du das reicht?"

"Es wird vollkommen egal sein, wenn die Schirme vom OLYMP nicht halten, Megumi", flüsterte ich böse.
 

Ich raste heran, die übrigen sieben Hawks von Briareos im Schlepp, aber noch immer trennten mich wichtige tausend Meter vom riesigen Schiff, als die Hauptwaffe erneut feuerte.

Entsetzt schloss ich die Augen. Meine Freunde! Meine Schulkameraden! Ich hatte sie nicht beschützen können! Wofür saß ich in diesem Mecha, wenn mir nicht einmal das gelang?

Ich wirbelte den Mecha herum und bekam die Auswirkungen einer mächtigen Explosion mit. Die Schirme von OLYMP wurden bis an ihre Belastung beansprucht, hielten aber.

"Das ist...", hauchte ich und wischte einen attackierenden Alpha mit einer nebensächlichen Bewegung beiseite, "vollkommen unmöglich."

"Die TSUKIHIME hat sich geopfert", erklang Megumis Stimme. "Ich habe gesehen, wie sie sich aus den Dockanlagen freigekämpft hat. Erst dachte ich, sie wollte von der Explosion des OLYMP fort kommen, dann hat ihr Skipper sie aber direkt in die Schussbahn gebracht."

Ich schluckte hart. Was für ein Opfermut. Die Soldaten an Bord der Fregatte mussten gewusst haben, dass dies ihren Tod bedeutete. Aber war ihnen dieser Tod angemessen erschienen, im Anbetracht des Verlustes der Plattform und der fünfzigtausend Menschen, die auf ihr arbeiteten?

"Lasst...", sagte ich, verhaspelte mich und schluckte hart, "lasst ihr Opfer nicht vergebens gewesen sein. Wir müssen es schaffen! Wir..."

Gerade noch rechtzeitig riss ich die Herkules-Klinge vor mich, um einen Energiestrahl abzuwehren. Doch dieser hatte es in sich. Er wurde reflektiert und bremste ab.

Konnte konzentriertes Licht so etwas?

Ein Entsetzensschrei ließ mich einen Blick auf die Aufstellung werfen. Falke war ausgestiegen, sein Mecha zerstört.

In diesem Augenblick griff der Energiestrahl erneut an, mit Ziel auf die Leibesmitte meines Mechas.

"Das ist keine normale Energie!", rief Akari neben mir. Ihr Gesicht war verzerrt vor Konzentration. Zwei weitere Zeichen der Briareos-Mechas erloschen und ich schluckte hart bei dem Gedanken, dass sie nicht hatten aussteigen können.

"Das ist - Akira-sama! Das ist Magie!"

Magie? "Was redest du da, Akari? Was für eine Magie?"

"Akira-sama, es ist eine Art Erdmagie! Eine Grundform für das Übernatürliche! Eine Art Substanz, die existiert, weil es Onis wie mich gibt! Und dem Feind ist es gelungen, sie an diese Waffe zu binden!"

"Wie bekämpfe ich sie?", verlangte ich zu wissen.

"Wie hast du mich besiegt?", erwiderte Akari. "Du musst dein Schwert mit deinem KI aufladen!"

"Akira!", gellte Megumis Stimme auf. Auch sie hatte mit einem solchen Energiestrahl zu kämpfen und wich ihm sowie einem Daishi Gamma einigermaßen aus. "Die Hauptwaffe lädt wieder auf!"

Unmöglich, hämmerte es in meinen Gedanken. Vollkommen unmöglich! Alleine die Anwesenheit eines Tarnfeldes war ein Unding. Für Einheiten die größer als Korvetten waren reichte ihre Energie nicht und kleinere Einheiten konnten die Tarnfeldgeneratoren weder transportieren noch mit Energie versorgen. Was hatte dieser verdammte ZULU, was all die anderen kronosischen Schiffe nicht hatten? Magie?

"Nein, Kumpel, diesmal nicht!", blaffte ich wütend auf. Meine Miene verzerrte sich vor Wut und Hass, aber in meinem Innern, in den Tiefen meiner Seele war ich die Ruhe selbst. Es schien mir, als hockte ich vor Futabe-sensei und lauschte seinen Erklärungen über das KI.

Ruhe bewahren, nichts erzwingen. Das KI fließen lassen. Seine Macht spüren. Es behutsam formen und langsam nach dem Willen beugen...

"Das Schwert, Akira-sama", hauchte Akari ergriffen.

Ich sah kurz zur Seite und erkannte, dass die Herkules-Klinge grellweiß aufleuchtete. "Ich weiß", erwiderte ich und zwinkerte dem Oni zu.

In diesem Moment wagte der Lichtblitz einen weiteren Angriff - und ich wich ihm aus, zog die Klinge hoch und schnitt mitten durch ihn hindurch.

Mein Oni zuckte erschrocken zusammen.

"Akari, alles in Ordnung?", rief ich.

"Ja, Akira-sama, aber da war eben dieser Schrei. Dieser Schrei, als würde eine gemarterte Seele sterben..."

Das würde zu den Kronosiern passen. Andere missbrauchen, um ihre Ziele zu erreichen.
 

Kurz überblickte ich die Lage und erkannte, dass diese merkwürdigen Lichtblitze nur bei der Briareos-Kompanie waren. Genau gesagt waren es noch zwei. Einen zerteilte ich, als ich Joker passierte. Der letzte hatte sich mit Megumi angelegt.

"Megumi! Warte, ich helfe dir!"

"IDIOT!", bellte sie wütend. "Greif den ZULU an! Verhindere, dass er noch mal schießt! Sollen denn alle umsonst gestorben sein?"

Einen Moment hielt ich inne, sah Lady Death ihren tödlichen Reigen mit der Energie tanzen.

Dann warf ich Blue tiefer hinab. "Ich pfeif drauf, Megumi!"

"Ich aber nicht! AKIRA!"

Ein kleiner Monitor flammte auf und zeigte ihr zorniges Gesicht. "Du bist der einzige, der OLYMP jetzt noch retten kann! Ich komme schon klar. Nun mach schon, oder ich rede nie wieder ein Wort mit dir!"

Frustriert schlug ich gegen die nächste Konsole und stieg wieder auf. Dabei hatte ich das Gefühl, ein wirklich mieses Geschäft gemacht zu haben und Megumi nie wieder etwas zu mir sagen zu hören, geschweige denn wieder zu sehen.

Ich zog Blue hoch, direkt vor den ZULU, direkt vor die Kanonenmündung. Was für Optionen blieben mir? Kottos und Gyes hielten sich gut, waren aber nicht in der Lage, Briareos Entsatz zu schicken, geschweige denn mir zu helfen. Und so wie es aussah, würde auch ich nicht lange ohne Gesellschaft bleiben. Vier Daishis stiegen auf - und Blue identifizierte sie als Deltas. Eine Kopfmission, entschied ich. Eine Kopfmission um mich, Akira Otomo zu töten.

"Megumi", flüsterte ich, "bleib gefälligst am Leben..."

Mit einem Aufschrei warf ich Blue in Richtung der Hauptwaffe, wohl wissend, dass die Deltas diese Bewegung mitmachen und mich von verschiedenen Seiten angreifen würden.
 

Doch von einem Moment zum anderen befand ich mich in einer anderen Welt. Verwundert sah ich mich um. Ich schwebte mitten im Nichts, in einem Nichts, das hellrot glitterte und blinkte.

Ich sah an mir herab und registrierte verwundert, dass ich eine hellblaue Uniform mit einem weiten weißen Cape trug. Was wurde hier gespielt? Mischte sich die Gottheit ein, die dieses Universum für mich erschaffen hatte?

"Akira-san", erklang eine Stimme aus der Ferne.

Ich drehte mich ihr zu und sah ein junges Mädchen näher kommen. Es trug ein Trikot mit blauem Rock. Die brandroten Haare fielen wie eine Flut auf ihre Schultern herab. Es lächelte sanft, als es neben mich trat. "Akira-san, es wird Zeit, dass wir reden."

"Blue Slayer", stellte ich fest. Mein Gegenüber nickte.

"Wo sind wir hier? Und warum sind wir hier? Ich meine, ich stecke gerade in einer Schlacht!"

"Habe keine Angst um deine Kameraden, Akira-san. An diesem Ort vergeht die Zeit anders als im normalen Universum. Wir haben nicht alle Zeit der Welt, aber sicher ein paar Minuten, bevor alles wieder seinen Gang gehen muß."

Blue Slayer fasste sich ein Herz. "Akira-san, weshalb ich mit dir reden muss ist..."

"Moment, du wirst mir hier doch jetzt nicht etwa eine Geschichte erzählen so von wegen wir beide sind die Wiedergeburten eines prinzlichen Liebespaares, welches früh starb, ohne wirklich zusammen zu finden und nun wiedergeboren wird, um die alte Liebe endlich zu erfüllen?"

Blue Slayer sah mich an und begann zu lachen. "Du liest zu viele Mangas, Akira-san. Nein, worüber wir reden müssen ist: Vertraust du mir?"

"Ich weiß nicht. Warum muß ich das?", fragte ich.

Blue Slayer sah mich traurig an. "Ich bin vielleicht nicht die Wiedergeburt einer antiken Prinzessin, die dich unsterblich liebt, Akira-san. Aber wahr ist, dass ich ohne dich nicht hier sein würde. Du hast etwas Großes für mich getan. Und ich muß es dir wieder geben. Darum musst du mir vertrauen."

"Das überzeugt mich irgendwie nicht", brummte ich. Wie viele Minuten würde diese Welt bestehen? Wann konnte ich zurück?

"Akira-san. Du, vielmehr der Gedanke an dich, hat mir das Leben gerettet." Blue Slayer trat näher an mich heran, sah zu mir hoch. Sie lächelte sanft. "Du weißt, was ich und Black Slayer, Red Slayer und Orange Slayer zusammen tun?"

"Ihr vernichtet Youmas. Genauer gesagt modifizierte Youmas, die Menschen befallen können", erwiderte ich. Warum kam sie mir eigentlich so nahe?

"Ja, aber nicht nur. Wir vernichten auch böse Onis und andere gefährliche Wesen. Doch wie es dazu kam, das ist... Jedenfalls sind diese Youmas, die Menschen übernehmen und verwandeln nicht normal. Sie sind... künstlich erschaffen worden." Blue Slayer atmete tief ein. "Und ich war ihr erstes Opfer."
 

Erschrocken starrte ich das rothaarige Mädchen an. "Erzähl weiter, Blue Slayer."

"Ich wusste nicht wie mir geschah. Ich wurde auf offener Straße entführt und als ich wieder aufwachte, tat ich dies in einem Labor. Alles war in Dunkelheit gehüllt, nur eine Sache leuchtete. Und das war der Youma."

Sie senkte den Blick. Tränen flossen ihr Gesicht hinab und tropften auf meine Schuhe. "Ich weiß noch, wie der Youma auf mich zujagte, wie er in meine Brust eintrat. Wie er in mir wühlte. Wie er mich übernahm, mein Ich zurück drängte. Wie mein Körper sich zu verformen begann. Wie ich mich ergab, das Vergessen, das Ende des Schmerzes, den Tod suchte und herbeisehnte. Der Youma füllte mich aus, pervertierte meine Seele und marterte meinen Verstand. Ich spürte, wie ich wuchs, wie mich Kraft durcheilte, große Kraft, aber auch Maßlosigkeit, endloser Zorn und ein Gedanke. Lebensenergie sammeln.

Ich ergab mich. Verlor mich immer mehr zwischen mir selbst und dem Youma. Beides verschmolz, war fast schon eins, als mir ein Bild im Geiste erschien."

Blue Slayer sah auf. Ein schüchternes Lächeln huschte über ihr Gesicht. "Ich sah dich, Akira-san. Ich sah dich, wie du tapfer darum kämpftest in dein Leben zurück zu kehren. Wie du stolz an deinen Erfolgen arbeitetest, niemals zu fein warst um Hilfe anzunehmen und mit eisernem Willen Schritt für Schritt wieder du selbst wurdest.

Ich sah dich, wie du dir zurück genommen hast, was man dir raubte.

Und ich dachte: Was wird Akira-san von dir denken, wenn du dich so einfach besiegen lässt? Wie kann er, der so schreckliches erlebt und erfahren hat, dir jemals wieder ins Gesicht sehen, wenn du dich schon bei so einer Kleinigkeit aufgibst?"

Blue Slayer grinste schief. "Okay, ich habe mich da wohl etwas selbst belogen, aber es hat funktioniert. Ich war schon fast erloschen, doch ich begann zu kämpfen. Ich begann mich selbst zu retten. Schritt für Schritt, Gedanke für Gedanke.

Und ich siegte.

Doch das war noch nicht alles. Denn mit der Erkenntnis, was geschehen war und dass ich diese Peinigung überstanden hatte, wuchs in mir der Wunsch, dass niemand, wirklich niemand diesen Schmerz ertragen sollte.

Die Macht, die ich gespürt hatte, als der Youma mich angegriffen hatte, sie war noch da. Als ich ihn besiegt hatte, hatte ich auch seine Kraft an mich gerissen.

Und dies war der Moment, in dem Blue Slayer geboren wurde. Dank dir, Akira-san. Dank deines leuchtenden Vorbildes. Weil du so stark warst, war ich es auch. Und seither folge ich meinem selbst gestellten Auftrag. Und dies werde ich, bis ich sterbe oder endgültig siege.

Kannst du mich nun besser verstehen, Akira-san? Vertraust du mir jetzt?"

Ein Name lag mir auf der Zunge, aber ich sprach ihn nicht aus. "Gut. Blue Slayer, ich vertraue dir. Ich vertraue dir. Was kann ich tun?"
 

Für einen Moment wirkte es, als wolle Blue Slayer mich küssen wollen, doch dann sah sie zur Seite. "Akari!", rief sie.

Mein Oni erschien links von mir und verbeugte sich tief. "Slayer-sama."

"Wie du weißt, Akira-san, ist dieser Schlachtkreuzer der ZULU-Klasse in der Lage, seine Hauptwaffe sehr viel schneller aufzuladen als jeder andere seiner Art. Er kann sogar ein Tarnfeld etablieren, obwohl er viel zu groß dafür ist.

Hast du dich gefragt wie das geht?"

"Magie", antwortete ich.

Blue Slayer nickte. "Eine besondere Magie. Erinnerst du dich, was ein übernommener Mensch tut, nachdem ein Youma ihn befallen hat?"

"Er sammelt Lebensenergie?", argwöhnte ich.

"Ja. Eine spirituelle Kraft, die aus dem KI entsteht. Ich glaube... Ich weiß, dass das kronosische Schiff gespickt ist mit dieser Energie. Wie und wodurch weiß ich nicht, aber ich bin sicher, dass dieses Schiff mit Hilfe der Lebensenergie diese eigentlich unmöglichen Dinge vollbringt." Blue Slayer sah zur Seite. "Akari, deine Hand."

Der Oni verbeugte sich erneut und ergriff dann vorsichtig die Hand der Youma Slayerin.

Vor meinen Augen verschwand mein Oni in einem Lichtblitz.

Kurz darauf erschien Akari wieder. Nur trug sie diesmal eine ähnliche Uniform wie Blue Slayer.

Die nickte. "Ich ahnte es. Du hast die gleiche Energie und den gleichen Willen wie ich, wie Black, Red und wie Orange. Du bist White Slayer."

Ich zwinkerte. Tatsächlich, sie trug einen weißen Rock.

"Viel zu kurz", beschwerte sich Akari und versuchte, den Rock tiefer zu ziehen.

"Das ist nicht der Punkt!", blaffte Blue Slayer wütend. "Akari. Der Gegner attackiert uns mit einer Mischung aus Lebensenergie und Technik. Und genau da werden wir ansetzen. Black und Orange sind bereit. Ich bilde mit ihnen ein Dreieck, welches unsere Energien fokussiert. Wir geben sie an dich weiter, White Slayer. Und du kombinierst sie mit Akira-sans Waffe.

Wir haben nur diesen einen Versuch."

"Ja", sagte ich ernst. "Ich vertraue dir, Blue Slayer." Und diesmal meinte ich es so.

"Ich finde es trotzdem zu kurz", beschwerte sich Akari, verstummte aber nach Blue Slayers bösem Blick.

"Viel Glück, Blue Slayer", sagte ich leise und nicke dem Mädchen zu.

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab mir einen sanften Kuss. Irgendwie kam der mir bekannt vor. "Viel Glück, Akira-san. Bitte stirb nicht."

Von einem Moment zum anderen verschwamm meine Umgebung...
 

Ich blinzelte erschrocken und wich dem Hieb einer Lanze aus, die eindeutig nach dem Vorbild unserer Artemis-Lanze entworfen worden war, aber nicht an ihr Potential heran kam. Neben mir im Cockpit schwebte Akari. Sie trug die Slayer-Uniform. Abgesehen von meinen brennenden Lippen der sichtbarste Beweis, dass diese Begegnung wirklich passiert war.

"Also dann, werden wir die Deltas los und greifen wir an!", rief ich und stellte mich den vier Angreifern.

Plötzlich waren es nur noch drei. Kurz darauf zwei.

Die anderen beiden spritzten auseinander. "Zu langsam!", rief eine wütende Stimme. Eine weitere Explosion markierte das Ende vom vorletzten Delta.

Kurz darauf verging auch Nummer vier.

Ein wilder Freudenschrei kam über die Funkverbindung.

"Bist du in Ordnung, Akira?", rief Makoto.

Ich checkte meine Anzeigen und erkannte einen Eagle, der stetig näher kam.

"Mako-kun? Aber... Hast du nicht gesagt, du würdest nie wieder eine Waffe abfeuern wollen?", erwiderte ich.

"Ich steuere das Ding ja auch nur", erklärte Makoto. "Schießen tut der Typ hinter mir. Eagles sind Zweisitzer, schon vergessen?"

Vor mir entstanden mehrere Explosionen, die von einem erneuten Jubelschrei kommentiert wurden.

"Yoshi?", rief ich ungläubig. "Yoshi?"

"Na, einer muß dir ja den Weg frei ballern, oder? Und jetzt mach den Pott fertig! Makoto und ich geben dir Deckung!", rief Yoshi.

"Es war seine Idee", entschuldigte sich mein Cousin. "Aber wie du siehst, eine gute..."
 

Ich lachte leise. Es tat so gut, Freunde zu haben.

"Wollen wir, Akari?"

Der Oni lächelte mich an. "Wir wollen, Meister."

Ich fixierte den ZULU und beschleunigte meinen Hawk auf volle Leistung. "NA DANN LOS!"

Neben, über und unter mir explodierten weitere Mechas, die von den schweren Geschützen des Eagles getroffen worden waren, während ich dem ZULU näher und näher kam. Flakfeuer setzte ein, aber Blue Lightning tanzte es aus.

Neben mir begann Akari zu schweben. Weißes Licht umgab sie und machte es zur Qual, in ihre Richtung zu sehen.

"Energieentfaltung auf dem OLYMP! Ungewöhnliche Energiewerte! Etwas geschieht!", hörte ich über Funk. Die drei Slayer hielten ihr Versprechen.

Ich beschleunigte noch weiter und zog den Hawk nach unten, um den ZULU hier zu passieren.

Akari streckte die Hände aus und entließ einen Strom aus reinem weißem Licht, das sich um den rechten Arm meines Mechas und dann um das Herkules-Schwert sammelte.

Ein zorniger Schrei kam aus meiner Kehle. Für einen Moment, für einen winzigen Moment verstand ich die Besatzung der TSUKIHIME und war bereit, dasselbe zu tun.
 

Das Schwert glühte auf und wuchs auf das hundertfache an Länge. Dann war ich unter dem Rumpf des Schlachtschiffs und schlug die blanke Klinge in den Stahl, während ich erneut beschleunigte. Über mir glaubte ich das Brummen der fast feuerbereiten Hauptwaffe zu hören, während sich der Mecha mit gewaltiger Anstrengung gen Heck arbeitete.

"Hekatoncheiren, Schlachtfeld sofort räumen!", blaffte ich, als ich die Hälfte des Schiffes regelrecht halbiert hatte. Wenn dieses Mistding sich dreimal aufladen konnte, hatte es vielleicht auch Kraft für ein viertes Mal. Und wenn diese Kraft freigelassen wurde, dann sollte besser kein Mecha mehr in der Nähe sein!

Ich erreichte das Heck, durchschlug es und riss Blue nach unten, sechs, sieben Kilometer in die Tiefe, nur um Distanz zwischen mir und dem ZULU aufzubauen.

Neben mir sank Akari vollkommen erschöpft im Cockpit zusammen. "Ha-haben wir es geschafft, Meister?", hauchte sie.

Über mir zuckten Überschlagsblitze über die Hülle des ZULU und verkündeten den Anfang vom Ende. "Ja", antwortete ich.

Der Angreifer verging in einem sonnenhellen Feuerball.
 

Erleichtert wollte ich aufatmen, als eine Anzeige auf meinem Bildschirm zu flackern begann. Sie bezog sich auf die Hekatoncheiren, genauer gesagt auf die Briareos-Kompanie. Einer der Mechas stürzte in die Erdatmosphäre hinab. Grund genug für mich, sofort zu helfen. War der Pilot bewusstlos, würde es ein Sturz in den Tod werden.

Doch ein zweiter Blick belehrte mich darüber, wer abstürzte. Megumi!

Trümmerstücke des ZULU zogen an mir vorbei und trafen Schulter und Rumpf von Blue, aber das war mir egal. Wichtig war jetzt nur eines! "MEGUMI!"
 

Lady Death taumelte dem Erdboden entgegen. Die Reibung der dichter werdenden Luftschicht ließ es so erscheinen, als würde der Mecha lichterloh brennen.

"Blue", rief ich mit Panik in der Stimme, "versuche den Bordcomputer von Lady Death zu erreichen! Er soll versuchen, das taumeln um alle drei Achsen zu beenden!"

Der Sturz, dieser Absturz hatte rein gar nichts mit dem kontrollierten Sturz zu tun, den Megumi und ich mit unseren Mechas Richtung Titanen-Station vollführt hatten, um Lonne aufzuhalten. Damals waren wir in einem sehr steilen Winkel eingetaucht und hatten die Hawks so gedreht, dass sie kaum Angriffsfläche boten. Die Reibungshitze hatte zudem auf dem Kopf und den Schulterschilden gelastet, die am besten gepanzert waren. Lady Death aber fiel in einem relativ flachen Winkel hinab, was nicht nur die Belastung erhöhte. Es erschwerte mir die Verfolgung, weil ich die gleiche Last auf mich nehmen musste.

"Negativ, Colonel. Lady Death rebootet sich gerade selbst, nachdem die Reparatursequenzen abgeschlossen waren", meldete Blue.

"Wie lange bis zur Vernichtung des Hawk, Blue?", fragte ich ernst.

"Colonel, diese Berechnung ist schwierig. Ich..."

"WIE LANGE!"

"Lady Death und Captain Uno werden in drei Minuten verglühen", erwiderte die Roboterstimme noch tonloser als sonst.

Verzweifelt schloss ich die Augen. "Wie schnell können wir sie erreichen?"

"Wir werden fast zweieinhalb Minuten brauchen. Aber ich rate davon ab, Sir. Wenn Lady Death verglüht, wird die Energiezelle kollabieren. Wir können in diesem Bereich der Atmosphäre kaum manövrieren und eine Explosion in direkter Umgebung würde uns auch vernichten."

Ich ignorierte die Warnungen des Computers und hielt meinen Kurs. Ich wagte es nicht zu beschleunigen, weil ich die Reibungshitze nicht erhöhen wollte. Außerdem befürchtete ich, aus dem Kurs getragen zu werden und den Kontakt zu Megumi zu verlieren.

"Zwei Minuten bis Kontakt", meldete Blue leise. Es klang resignierend.

Akari sah zu mir herüber. "Meister. Soll ich hinüber gehen und versuchen, Megumi-sama zu wecken?"

Ich schüttelte den Kopf. "Du wärst nicht schnell genug."

Ein Arm löste sich von Lady Death. Er stand lichterloh in Flammen. Ich wagte nur einen kurzen Seitenschub, um den zwei Tonnen Stahl auszuweichen. Mehr hätte mich nur unnötig fort getragen. "Das war knapp", kommentierte ich ernst.

"Anderthalb Minuten!"

Und damit nur etwas länger, bis Lady Death verglühte. Einzelne Panzerkacheln begannen sich zu lösen und auf meinen Mecha einzuhämmern. Die Schulterschilde hielten, verloren aber einiges an Substanz. Der Mechakopf mit den Sensoren wurde mehrfach schwer getroffen. Zum Glück fielen die Sensoren aber nicht aus, was in dieser Hitzehölle mit einem Missionsabbruch gleichzusetzen war.

"Eine Minute!"

"Was kann ich tun, Meister?", rief Akari aufgeregt.

"Hoffen, Akari", erwiderte ich und konzentrierte mich darauf, den rechten Arm des Hawk nach vorne zu bringen und die Hand auszustrecken.

"Dreißig Sekunden!"

Megumis Mecha kam nun schnell näher. Ich wagte kaum zu reagieren, als sich ein Bein unterhalb des Knies löste und an meinem Cockpit vorbei sauste. Zum Glück weit genug entfernt, um keine Schäden anzurichten.

"Zehn, neun, acht, sieben, sechs..."

Die Hand des Mechas fuhr auf, ich versuchte etwas, irgendetwas zu finden, wonach ich greifen konnte. Woran ich Megumi festhalten konnte!

"Fünf, vier, drei, zwei, eins, null!"
 

Ich hatte Lady Death erreicht und Blue griff nach einem Vorsprung auf ihrem Rücken.

Eiskaltes Entsetzen griff nach mir, als ich sah, wie die Hand ins Leere glitt.

"Abbrechen, Colonel! Der Hawk wird gleich explodieren!", gellte Blues Warnung auf.

Kurz dachte ich daran, dass Megumi genau jetzt sagen würde, dass einer von uns überleben musste und es keinerlei Sinn machte, dass wir beide starben.

Es war so traurig. Sie war noch jung, hatte so viel freie Zeit dem Schutz der Erde geopfert. Und nun starb sie für die Erde. Weil ich nicht hatte richtig zugreifen können.

Nein. Nein! NEIN!

"ICH LASS DICH NICHT GEHEN!", schrie ich wütend und trieb den Hawk ein letztes Mal vor, während Blue einen anderen Countdown herunter zählte. Den bis zur Explosion von Lady Death. "Fünf, vier, drei..."

Anstatt nach etwas vom Mecha zu greifen umschlang ich ihn nun mit beiden Armen meiner Maschine, beendete damit die Taumelbewegung und drehte mich so, dass der breite Rücken von Blue als Hitzeschild fungierte. Mühsam bewegte ich die Beine in Fallrichtung, um die schweren Manöverdüsen zünden zu können.

"Countdown steht bei drei", meldete Blue. "Temperatur in der Speicherzelle von Lady Death fällt leicht."

Ich sah auf meinen Anzeigen, wie meine eigene Temperatur sprunghaft in die Höhe schnellte. Meine Düsen feuerten und reduzierten Stundenkilometer um Stundenkilometer unsere Fallgeschwindigkeit.

Schweiß vor Hitze und Anstrengung trat mir auf die Stirn. Wir waren zu schwer um alleine mit meinen Düsen wieder in den Orbit zu kommen. Aber ohne die Steuerdüsen von Lady Death war ein kontrollierter Fall auch unmöglich. Geschweige denn von den Beschädigungen am Hawk, die etliches an Reibungshitze durchlassen würden. Eigentlich war meine Lage schlicht und einfach verzweifelt.

"Ich lass dich nicht gehen", murmelte ich trotzig. "Ich lass dich nicht gehen!"
 

"Lady Death ist wieder on!", meldete Blue und ich glaubte Erleichterung in seiner Stimme hören zu können.

Beinahe sofort richtete der rotlackierte Mecha das verbliebene Mechbein aus und feuerte beide Steuerdüsen ab. Auf diese Weise reduzierten wir nach und nach unseren Fall relativ zur Erde auf Null, bis wir schwerelos in dreißig Kilometern Höhe schwebten.

Erleichtert ließ ich mich in meiner Liege zurück sinken. "Blue. Wir wollen langsam wieder aufsteigen. Setze Kurs auf OLYMP, geh dabei aber so vorsichtig wie möglich vor. Was sagen die internen Sensoren über Megumi?"

"Captain Uno ist bewusstlos. Aber anscheinend unverletzt."

Die Erleichterung schlug über mir zusammen wie eine extra große Welle über einen Surfer am Strand von Hawaii. Ich hatte es geschafft. Wir hatten es geschafft.

"Du hattest Recht, Akira-sama", sagte Akari und lächelte mich an.

"Was meinst du?", fragte ich verwirrt.

"Du hast Megumi-sama wirklich nicht gehen lassen. Hoffentlich weiß sie das zu würdigen."

Ich grinste schief. "Das ist meine letzte Sorge heute. Blue, rauf mit uns."
 

3.

Als Blue Lightning im Hangar des OLYMP wieder aufsetzte und sich der Energievorhang hinter uns schloss, manövrierte ich meinen Mecha zur Andockstation. Lady Death wurde von Kontrollsystem übernommen und an den Andockplatz neben mir dirigiert.

Ich konnte kaum die Zeit abwarten, bis mein Cockpit entsiegelt wurde.

Kaum das sich die Luke öffnete, schoss ich hinaus und rannte auf den Nebensteg.

Techniker und Soldaten der Hekatoncheiren strömten herbei.

Ich untersuchte die Cockpitluke oberflächlich. "Wir brauchen was zum aufbrechen! Die Hitze hat den Falz verschweißt!", rief ich.

Einer der Techniker brachte einen Schneidbrenner mit und machte sich sofort an die Arbeit.

"Bericht", raunte ich, ohne den Blick vom Geschehen zu lassen.

Dandy trat neben mich. Auch er sah mit brennenden Augen auf Lady Death. "Kottos hatte drei Totalverluste und fünf Teilbeschädigungen. Ganz ohne Schäden ist keiner davon gekommen. Keine Toten, aber fünf Verletzte, einer davon schwer.

Gyes hat zwei Totalverluste, sieben Teilbeschädigungen. Ein Toter, Hawkeye. Fünf Verletzte, davon keiner schwer.

Briareos hatte drei Totalverluste. Mit Lady Death neun Teilbeschädigungen. Zwei Tote, Pale Rider und Dynamo. Acht Verletzte, drei davon schwer, ohne Captain Uno einzurechnen."

"Weiter", forderte ich.

"Wir haben mit Hilfe der Titanen die restlichen Mechas vernichtet oder ausgeschaltet. Wir haben siebenundachtzig Gefangene gemacht und fast hundert Tote geborgen.

Der ZULU wurde total vernichtet. Es gab keine Rettungsboote, keine Überlebenden. Aber in der australischen Wüste und im indischen Ostozean regnet es gerade Trümmer. Ein Teil trifft auch die malayischen Inseln. Es könnte schlimmer sein. Leider können wir deshalb niemals herausfinden, wieso dieser ZULU so kampfstark war."

"Ich habe da so eine Idee, Dandy", knurrte ich wütend.
 

"Das war es. Das Ding ist auf!"

Noch vor den Sanitätern drängte ich mich ins Cockpit. Dandy hielt den Mediziner, der protestieren wollte, zurück. "Ihr Bordcomputer meldete stabile Lebenszeichen. Lassen Sie ihn vor."

Als ich hinein sah, hielt ich inne. Sie schlief. Und das mit einem seligen Lächeln, wie ich es selten zuvor gesehen hatte. "Megumi", sagte ich leise. "Megumi, geht es dir gut?"

Die junge Frau rollte sich auf der Liege herum. Wachte sie auf? Ich ging näher an sie heran.

"Megumi? Bist du in Ordnung?"

Ich spürte, wie sich ein Arm um meinen Nacken legte. Mit unwiderstehlicher Gewalt zog sie mich zu sich heran und drückte mich gegen ihren Busen. Hoffentlich sah jetzt niemand ins Cockpit, ging es mir durch den Kopf.

Dann schlug sie die Augen auf. Innerlich erstarrte ich. In dieser Haltung, von ihr fest an sich gedrückt, zudem an ihre Brust, rechnete ich mir keine große Überlebenschance aus.

Ich sah an ihr hoch. Unsere Blicke trafen sich.

Sie lächelte. "Gefällt es dir da unten?", fragte sie.

Ich wollte antworten, irgendetwas sagen, sie widerlegen, sie bestätigen. Egal was.

Stattdessen legte sie ihr Kinn auf meinen Kopf und umarmte ihn noch etwas fester. "Du hast mich gerettet. Ich weiß, du hast mich gerettet. Danke, Akira."

Langsam löste sie ihren Griff und ich hob meinen Kopf auf ihre Augenhöhe. "Ich... Ich habe OLYMP nicht dafür geopfert", rechtfertigte ich mich vorsichtshalber. "Ich habe erst den ZULU vernichtet und dich dann erst gerettet."

"Ich weiß. Nachdem mich dieser tanzende Waffenstrahl getroffen hat, bin ich gefallen. Nur gefallen, unendlich tief. Lady Death taumelte um alle Achsen, aber ich hatte keine Angst. Ich wusste, du würdest deine Aufgabe erfüllen und mich danach retten."

Ich schwieg verblüfft.

"Megumi?", fragte ich und kam ihrem Gesicht ganz nahe.

Sie wurde rot.

"Kannst du laufen, Megumi?"

"Ich... Ich weiß nicht."

Kurzerhand löste ich das Sammelschloss ihres Gurtes, griff zu und hob sie auf meine Arme. "Heyyy!", protestierte sie, ließ es aber geschehen.
 

Mit meiner kostbaren Last manövrierte ich mich vorsichtig wieder hinaus. "Es geht ihr gut!", rief ich laut aus und löste einen spontanen Applaus der Hekatoncheiren und der Techniker aus.

Mit Megumi auf den Armen trat ich auf die Rampe hinaus. Für ein paar Sekunden genoss ich die Kulisse, den Applaus, die Pfiffe, die begeisterten Gesichter.

"Akira, du Halunke!", rief Yoshi und trat auf uns zu. "Du hast mir ja gar nicht gesagt, wie geil es ist, in so einem Ding zu sitzen. Das war klasse. Kann ich einsteigen?"

Er musterte mich einen Moment und grinste breit. "Ist sie schwer verwundet oder gefällt dir die Situation einfach nur, hm?"

Für einen Augenblick verlor ich die Fassung und hätte beinahe den Griff um Megumi gelockert. Beinahe. Stattdessen erwiderte ich: "Nun, mir gefällt die Situation."

Langsam ließ ich meine Freundin aus Kindertagen herab. "Trotzdem muss ich dich irgendwann wieder auf die eigenen Füße lassen."

Vorsichtig setzte Megumi auf, belastete ihre Gelenke und nickte. Ich ließ sie ganz los. Sie stand zwar etwas wacklig da, aber es ging.
 

"Die Hekatoncheiren bitte zur Routineuntersuchung", erklang eine Lautsprecherdurchsage. "Die Hekatoncheiren bitte zur Routineuntersuchung."

Ich seufzte schwer. Bisher war ich immer drum rum gekommen, entweder indem ich mit meinem Mecha direkt auf die Erde gestürzt war oder irgendeine wichtige Besprechung vorgeschoben hatte. "Wenn ich mir meine Schuluniform wieder anziehe und heimlich in die Lounge zurück kehre..."

"Nichts da!" Megumi griff nach dem Kragen meines Anzugs und zog mich hinter sich her. "Wenn das volle Bataillon untersucht wird, dann du auch, mein Herr Colonel."

Ich ergab mich in mein Schicksal. Aber mit der freien Hand schnappte ich nach Yoshi. "Du auch, Kumpel."

"Was hab ich denn damit zu tun? Ich bin Zivilist! Makoto, Hilfe!"

"Die medizinische muß sein, Yoshi, tut mir leid", sagte mein Cousin, der gerade aus seinem angedockten Eagle kletterte. "Da muß eigentlich jeder durch. Warte, ich komme mit."

"Muss das wirklich sein?", fragte Yoshi verzweifelt.

"Ja, willst du wirklich aufgrund einer internen Verletzung in den nächsten Tagen sterben, obwohl eine winzig kleine Untersuchung kurz nach der Schlacht genau das verhindert hätte?", tadelte ich grinsend.

"Das sagt der Richtige, mein lieber Herr Colonel", tadelte Megumi.

Ach ja, ich hasste die Untersuchung ja auch.
 

Yoshi und ich wurden bevorzugt als erste behandelt. Man hatte sogar unsere Schuluniformen für uns eingesammelt, damit wir uns gleich umziehen konnten.

"Und?", fragte Yoshi, als wir uns im Wartezimmer wieder trafen.

"Was, und?" "Und wie geht es jetzt weiter? Ich meine, dein heldenhafter Stunt inklusive der Rettung von Megumi wird von über sechzig Schülern unseres Jahrgangs kaum unbemerkt geblieben sein. Mal ganz davon abgesehen, dass die Attacke des ZULU kaum zu übersehen gewesen war."

Ich runzelte die Stirn. "Soweit habe ich noch gar nicht gedacht. Ich bin immer noch im Ich helfe Megumi und rette den OLYMP-Modus."

"Hm. Na, dann mach dich mal auf ein Hallo gefasst", sagte Yoshi grinsend. "Mich hat ja Makoto da raus geholt und gesagt, ich soll in die Zentrale kommen. Und unseren Abflug und unsere Ankunft haben wir in der Lounge ausgeblendet. Aber du, mein lieber Akira...

Wollen wir auf Megumi warten oder bringen wir es hinter uns?"

Für einen Moment war ich unentschlossen. Dann resignierte ich erneut. "Bringen wir es hinter uns."
 

Als wir nebeneinander die Lounge betraten, verstummte das wahrhaft babylonische Stimmgewirr. Alle, ich schwöre, alle sahen uns an. Und schwiegen.

Irritiert blieben ich und Yoshi stehen. Nur sehr zögerlich setzten wir uns wieder in Bewegung.

"Akira!", rief Kei aufgeregt und lief auf uns zu. "Wie war es in der Zentrale bei deinem Vater? Hattest du einen guten Platz? Hast du gesehen wie die Kanonen explodiert sind? Und warum hast du nur Yoshi nachgeholt und deine armen Freunde hier vergessen?"

Ich erstarrte mitten in der Bewegung. Konnte das wahr sein?

"Typisch. Nur weil sein Vater den Laden hier schmeißt...", sagte jemand aus der Menge.

"Würdest du doch genau so machen", konterte eine zweite Stimme.

Die hatten wirklich nichts gemerkt. Die hatten absolut nicht mitgekriegt, was ich getan hatte.

"Akira, Mann, hast du das gesehen, wie dieser Hawk Blue Lightning in den Kampf eingegriffen hat? Was der alles drauf hatte, unglaublich. Zusammen mit Megumi hat der eine Show abgezogen. Und später erst zusammen mit diesem Eagle. Aber was rede ich da, du hast das aus der Zentrale ja viel besser mitgekriegt als ich."

Yoshi räusperte sich neben mir. "Dieser Eagle. Der hat doch wirklich super exakt geschossen, nicht?"

Ich versetzte dem Freund einen leichten Stoß in die Rippen, was der mit einem Grinsen beantwortete.

"Na, na, na", rief Sakura-sensei und trat neben mich. "Nun seid mal nicht so neidisch, weil dieser Bengel hier seine Beziehungen ausgenutzt hat, um von der Zentrale besser sehen zu können, wie Menschen für unsere Verteidigung sterben. Sicher wäre er lieber der Pilot des blauen Hawk gewesen, der Uno-chan gerettet hat, oder?"

Sie nahm mich in einen liebevollen, aber knallharten Schwitzkasten.

"Urgs!"

"Übrigens, gute Arbeit da draußen. Du hast echt nichts verlernt", raunte sie mir zu, bevor sie mich wieder fahren ließ.

Sie sah die anderen acht Lehrer und die Schüler an. "So, eine Zeitlang wird sicher noch roter Alarm herrschen, aber danach können wir die Tour hoffentlich Zuende führen."
 

"Leider nicht", erklang die Stimme von Makoto vom Eingang her.

Er sah in die Runde. Megumi, die in Uniform neben ihm stand, sah ausdruckslos auf ihre Jahrgangskameraden.

"Wir hatten bei diesem Angriff Verluste. Fünfzehn Crewmen und Offiziere der TSUKIHIME sind gefallen, um uns zu beschützen. Dazu kommen drei tote Piloten bei den Hekatoncheiren. Von den Beschädigungen am OLYMP ganz zu schweigen. Captain Uno und ich sind gekommen, um euch mitzuteilen, dass wir den Rundgang abbrechen müssen. Alleine schon um die Opfer zu würdigen."

Leises Raunen klang auf. Es hatte einen durchwegs eher verständnisvollen Ton.

Innerlich atmete ich auf. Wenigstens hatten wir das hinter uns gebracht.

"Aber Direktor Otomo hat versprochen, dass wir die Tour am Ende des Monats erneut ansetzen", verkündete Makoto.

Ich unterdrückte das dringende Bedürfnis, mir eine Hand vor die Stirn zu schlagen. Nicht von vorne. Bitte nicht die ganze Geschichte noch mal.

"Au ja", sagte Akari, die für die anderen unsichtbar neben mir schwebte mit verzücktem Gesicht. "Noch mal die Samurais."

"Akari", raunte ich leise, "der Rock ist wirklich kurz."

Ich lachte leise, als sich der Oni erschrak und feststellte, dass er noch immer die Slayer-Uniform trug. Ich sah kurz zu Megumi herüber, die meinen Blick mit einem Nicken bestätigte. Es war egal, was passieren würde. Ich würde mich dem Geschehen stellen. Und zusammen mit meinen Freunden würde ich es bewältigen. Daran hatte ich keine Zweifel.

Nie wieder.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2007-01-26T09:48:34+00:00 26.01.2007 10:48
Ich stimme den beiden Vorgängern wieder zu. ^^
Von: abgemeldet
2005-05-02T17:29:31+00:00 02.05.2005 19:29
Meinereiner beim lesen:
... *kreisch*
...
...
*Augen zuhalt* Sag mir, wenns vorbei istanderes Ich: Du musst schon weiterlesen... *drop*
Ich: Na gut... weiterles-.... *____* white Slayer (Ich hoffe immernoch auf einen Rainbow-Slayer)
...
... *kreisch*
... *im Zimmer rumhüpf*
... *vom Stuhl fasll und im fallen noch weiterles*
... Du hast Kampfszenen einfach drauf!!
Von:  Carnidia
2005-02-11T05:53:25+00:00 11.02.2005 06:53
Super! (Sakura ist einfach spitze)
Genial! (vor allem die Oni)
Absolute Spitze! (Gott sei Dank kommt jetzt Wochenende, ich hoffe da komm ich dann mehr zum Lesen)
^.^v


Zurück