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Anime Evolution

Erste Staffel
von

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Der Youma

Prolog

Mein Leben in der Animekonstruktwelt war anstrengend. Zugegeben. Aber wer mochte es schon leicht? Egal, ob ich diese komplexen Strukturen herbei gesehnt hatte oder nicht, ich genoss eigentlich jede wache Sekunde.

Genauso häufig bereute ich mein Hier sein aber auch. Denn immer wenn ich glaubte, nun konnte es keine Steigerung mehr geben, dann setzte die Konstruktwelt noch einen oben drauf.

So wie an diesem Morgen, als ich vollkommen hilflos ausgeliefert und kraftlos war…
 

Megumi Uno sah mich aus großen Augen an. Sie saß neben mir auf meinem Bett und beugte sich zu mir herüber. Ich war zu kraftlos, um zu protestieren.

Ihr Gesicht näherte sich meinem. Ich fühlte, wie eiskalte Schauer über meinen Rücken gingen. Dann berührte ihre Stirn die meine.

„Du hast eindeutig Fieber, Akira“, stellte sie fest und drückte ihre Stirn weit länger auf meine als nötig gewesen wäre. „Mindestens achtunddreißigeinhalb.“

„Warum hast du nicht einfach das Messgerät aus der Küche geholt? Einmal ins Ohr gehalten, und du hättest meine Temperatur gehabt, bis auf zwei Nachkommastellen“, erwiderte ich. Verdammt. Erst die Prellung, an der ich immer noch zu kauen hatte, und nun diese Erkältung. Ich hatte aber auch ein Pech.

Andererseits, wenn ich mir Megumi-chan so ansah, wie sie auf meinem Bett hockte und die sonst so leblosen Augen voller Mitgefühl auf mich herab sahen…

Allerdings hätte ich diesen Umstand sicher mehr genossen, wenn ich keinen Schüttelfrost gehabt hätte.

Megumi lächelte mich an und streckte ihre Zungenspitze durch den linken Mundwinkel. „Das hätte aber keinen Spaß gemacht, Akira“, sagte sie. Sie schloss die Augen und mir wurde schmerzlich bewusst, dass es in meinem Leben von hübschen Mädchen nur so wimmelte. Aber Megumi war etwas wirklich Besonderes.

Vielleicht sah ich das so, weil die aufgepfropfte Erinnerung mir weismachte, dass ich und Megumi unsere Kindheit zusammen verbracht hatten. Vielleicht gab es andere Gründe, die ich noch nicht entdeckt hatte.
 

Megumi erhob sich. Dabei tätschelte sie meinen Kopf wie einem kleinen Jungen. „Ich kenne da jemanden, der heute nicht zur Schule geht. Bleib schön liegen und kurier dich aus. Ich bringe dir noch Frühstück bevor ich gehe.“

Ich sah ihr nach. Sie trug nur das Shirt, in dem sie zu schlafen pflegte. Als ich morgens aufgewacht war und einen Hustenanfall bekommen hatte, war sie sofort zu mir gestürmt. So wie sie gewesen war. Über ihre Motivation konnte man jedenfalls nicht meckern.

Was die Schule anging, ich protestierte nicht, denn fiebernd und frierend war ich sicher nicht in der Lage zu lernen.

Eine andere Sache machte mir nicht weniger zu schaffen: Das war lediglich Megumis Visite gewesen. Ich dachte unwillkürlich an meine anderen Mitbewohner und der Schüttelfrost wurde heftiger.
 

1.

„Akiiiiiraaaa-samaaaaa!“ Lonne – nein, seit einigen Tagen hieß sie ganz und mit vollem Herzen Lilian – stürzte neben meinem europäischen Bett zu Boden und sah mich aus riesigen, tief traurigen Augen an. „Akira. Kann ich dir helfen? Soll ich dir was bringen? Brauchst du einen frischen Schlafanzug?“ Sie schniefte und in ihren Augen schimmerten Tränen.

„Komm, Lilian“, beruhigte ich sie. „Ich habe mir eine Erkältung eingefangen. Aber das ist nicht das Ende der Welt. Ein paar Tage, und ich bin wieder der Alte.“

Ein heftiger Niesanfall folgte, der in Lilians Augen blanke Panik zurück ließ. „Er muß ins Krankenhaus! Ich rufe sofort einen Arzt an!“

Sie stürzte zum Telefon, wurde aber in letzter Sekunde von Sakura aufgehalten.

„Nun mach nicht gleich so einen Wind, Lilian-chan. Akira-chan wird daran nicht gleich sterben.“

„Sakura“, murmelte ich. Das war eine sehr erwachsene Einstellung. Gerade für meine Cousine.

„Aber er ist so krank“, warf Lilian aufgelöst ein.

Sakura tätschelte ihren Kopf. „Keine Angst. Ich verspreche dir, dass er bald wieder gesund ist. Und jetzt hilf bitte Megumi in der Küche.“

Lilian sah zu der größeren Frau auf. „Ja, Sensei.“
 

Als sie gegangen war, kam Sakura an mein Bett und setzte sich auf den Rand. Sie zog einen eng beschriebenen Zettel hervor. „Hier ist meine Handynummer, die Nummer der Schule, die von deinem Vater auf OLYMP, die der Einsatzstelle der UEMF, des Militärkrankenhauses, eines Rettungshubschraubers den wir auf Bereitschaft gestellt haben und die Nummer des Notarztes. Wenn was ist, ruf sofort an.“

Ich nahm den Zettel entgegen. „Danke, Sakura-chan. Du bist wirklich die Beste. Und im Gegensatz zur restlichen Bande wirst du wenigstens nicht hysterisch.“

Ich hatte es kaum gesagt. Im nächsten Moment drohte ich zu ersticken. Meine Cousine drückte mich so fest an ihren Busen, dass ich ein Brecheisen benötigt hätte, um mich zu befreien.

„Armer Akira. Alleine in diesem großen Haus, schwer krank mit niemandem, der ihn pflegt. Ich habe so ein schlechtes Gewissen, wenn ich dich hier zurück lasse.“
 

Endlich hatte ich mich frei gekämpft und bekam etwas mehr Luft. „Es ist nett von dir, dass du dir Sorgen um mich machst, Cousinchen. Aber es ist nur eine Erkältung. Das wird schon wieder.“

Nur widerstrebend ließ sie mich los. „Meinst du? Pass aber trotzdem auf dich auf. Ich stelle dir auf jeden Fall eine Thermoskanne mit grünem Tee hin. Den musst du aber auch trinken, ja?

„Ja, ja“, brummte ich wütend.

„Wie, Ja, ja? Ja, ja heißt leck mich am…“

„Danke für deine Fürsorglichkeit“, wandte ich hastig ein. „Ohne dich wäre ich hier echt verloren.“

„Das klingt doch schon besser.“

Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und stand wieder auf.

Müde ließ ich mich zurück sinken. Der Schüttelfrost war vorbei. Mir wurde plötzlich warm. Etwas zu warm. Und das hatte ausnahmsweise nichts mit den Frauen in meinem Leben zu tun…
 

„Okay, wir gehen dann mal.“ Kei sah freundlich zu mir ins Zimmer herein. Er winkte und strahlte dabei. „Ich bringe dir auf dem Rückweg die Hausaufgaben und frisches Obst mit, ja?“

Yoshi drückte sich an ihm vorbei in mein Zimmer. In der Hand hielt er das Katana, welches ich vor einigen Tagen selbst benutzt hatte. Er legte es neben mein Bett. „Was zum festhalten“, kommentierte er.

Ich nickte. Was für eine tolle Geste. Ich war regelrecht gerührt.

„Danke, Yoshi. Äh, was machst du da?“

Verwundert beobachtete ich, wie mein Freund aus der Realität längliche, mit Kanji beschriftete Zettel an die Türen und Fenster heftete. „Sicher ist sicher. Diese Bannsprüche beschützen dich vor weiteren Krankheiten und vor Dämonen jeder Art.“

„Übertreibst du nicht ein wenig?“, fragte ich leise.

Yoshi sah zu mir herüber. Sein Blick wurde zwingend. „Wenn es um meinen besten Freund geht, mit dem ich außerdem unter einem Dach lebe, dann gibt es keine Übertreibung.“

Ich duckte mich unwillkürlich.

Yoshi wandte sich ab. „So, ich muß los. Bleib gefälligst im Bett und werde gesund, ja?“

Ich nickte. Zu etwas anderem wäre ich sowieso gerade nicht in der Lage gewesen, wie mir amüsiert bewusst wurde.

Kaum hatte Yoshi mein Zimmer verlassen, kaum war die Haustür verriegelt worden, da drehte ich mich auf die Seite und schlief ein. Tief und traumlos.
 

2.

Als ich erwachte, waren mehrere Stunden vergangen. Mittag war schon vorbei. Ich wusste, in der Küche stand etwas für mich bereit – zumindest Sakura hatte mir zugetraut, die paar Meter bis zur Küche zu bewältigen. Aber ich hatte keinen Hunger. Dafür trank ich etwas grünen Tee.

Ich versuchte wieder einzuschlafen, aber es ging nicht. Mir war immer noch warm, aber ich bemerkte es kaum. Damit war dieser Tag bereits jetzt der mit Abstand langweiligste, den ich bisher in dieser Welt erlebt hatte.

Für einen Moment vermisste ich angreifende Mechas, Mädchen in Uniformen, die gegen Dämonen kämpften, Schüler, die gefakte Fotos von mir kauften, den Disput mit den Lehrern, den langen Weg zur Titanen-Station, kurzum, alles was ich gerade nicht hatte.

Ich richtete mich auf. Ein kleines Schwindelgefühl befiel mich, aber ich fand es erträglich. Ich schwang die Beine aus dem Bett und griff nach meiner Decke. Derart bewaffnet schlich ich mich ins Wohnzimmer. War ich wirklich schon so tief gesunken? Suchte ich, krank wie ich war, Zerstreuung beim fernsehen?
 

Leider ja. Ich schaltete den Fernseher ein, schnappte mir die Fernbedienung und wickelte mich in meine Decke ein. Weitere zwei Stunden ließ ich mich von Musikvideos, Nachrichtensendungen, Talkshows, Spielesendungen und Werbung berieseln.

Gnädigerweise überwältigte mich irgendwann die Müdigkeit, ich streckte mich aus und schlief weiter. Leider träumte ich diesmal und fand mich als Kandidat einer Spieleshow wieder. Allerdings war mein Traum nicht halb so abgedreht wie die Wirklichkeit.

Und auf jeden Fall war er angenehmer, als plötzlich gewaltsam hoch gerissen zu werden, die Augenlider mit Gewalt geöffnet zu bekommen und auch noch Gebrüll ertragen zu müssen – natürlich aus kürzester Distanz direkt ins Ohr.
 

„Aaaaakiiiiraaaaaaa! Bist du wach?“

Ich schreckte aus meinem Dämmerschlaf mit dem gleichen Entsetzen wie ich es getan hätte, wenn man mir befohlen hätte, einen Daishi mit bloßen Händen anzugreifen.

„Wer? Was? Wo? Wie?“

„Ooooch, was machst du denn hier? Ich wollte dich doch überraschen, und jetzt bist du Zuhause.“

Verwirrt hielt ich mir den Schädel und schüttelte ihn kräftig, um zurück in die Realität zu kommen. Mist. Im Traum hätte ich beinahe hunderttausend Yen gewonnen.

Ich öffnete vorsichtig die Augen. Und sah in ein niedliches, schmales Gesicht, dass von einem wirklich süßen Kurzhaarschnitt umkränzt wurde.

„Sag mir, dass das nicht wahr ist“, stöhnte ich verzweifelt auf.

„Was denn, was denn?“, fragte mein Gegenüber. „Freust du dich denn nicht, mich zu sehen?“

Mein Blick ging über das rostrot gefärbte Haar meines Gegenübers. „Nein, Mako.“

Womit ich eine Leidensmiene auslöste, die Geringere als mich in den Selbstmord getrieben hätte.

„Magst du mich nicht mehr?“

„Du hast es genau erfasst, Mako. Alle halbe Jahre fällst du bei mir ein, setzt dich für drei Monate fest und bringst mein Leben durcheinander.“

Mein Blick ging über Makos Bekleidung. Ich schüttelte wütend den Kopf. „Und dann das. Warum trägst du einen Minirock?“

Mako erhob sich strahlend und drehte sich einmal vor mir im Kreis. „Steht mir doch gut, oder?“

Wütend griff ich in den Rock und zog heftig. Mako stürzte neben mir auf die Knie. „Ob er dir steht oder nicht, ist hier überhaupt nicht die Frage“, erwiderte ich ernst. „Egal, wie hübsch du bist. Egal wie viele Mädchen du ausstichst. Du bist ein Junge! Will das nicht endlich in deinen Schädel? Schon mal über eine Therapie nachgedacht?“

Tränen füllten Makos Augen. „Du magst mich wirklich nicht mehr. Und das nur, weil ich immer trage was ich mag.“

Resignierend sah ich zu Boden. „Leider ist das was du magst, fast immer für Frauen!“

„Aber die halbe Menschheit trägt das. Dann kann es doch nicht schlecht sein“, wandte Mako mit seiner ureigensten Logik ein.

„Ich weiß genau, ich werde diese Frage bereuen. Aber bitte beantworte sie mir. Weißt du, dass du mit deinen Mädchenklamotten wie ein Mädchen aussiehst, Mako?“

„Natürlich weiß ich das“, erwiderte er kichernd.

„Okay, Frage zwei. Willst du das?“
 

Ich hatte eine flapsige Erwiderung erwartet. Oder einen Witz. Nicht aber diesen tiefen Schatten über seinem Gesicht. Und dieses betretende Schweigen. „Das ist doch sowieso egal“, murmelte er schließlich leise. „Selbst wenn ich Männerkleider trage, sagen die Leute doch sowieso nur, wie niedlich ich bin. Oder noch schlimmer, sie fragen mich gleich ob ich ein Mädchen bin. Warum soll ich mich dann nicht gleich wie eines anziehen?“

Ich schluckte hart. Das waren gute Argumente. „Weil du dann nicht mehr auf die Herrentoilette darfst?“, wandte ich ein.

Makoto sah zu mir herüber. Glucksend begann er zu lachen. „Das ist natürlich ein Argument, Akira.“

Ich konnte nicht anders, ich fiel ins Lachen ein. Es tat sehr gut.
 

Langsam schloss ich meinen Cousin in die Arme. „Es ist schön, dich mal wieder zu sehen, Makoto.“

„Danke, Akira. Ich freue mich auch, dich wieder zu sehen. Ich habe gehört, O-nee-chan unterrichtet an deiner Schule?“

Ich grinste. „Sie wohnt hier.“

Mako erhob sich wieder. „Ich ziehe ins Hotel.“

„Momomomoment. Nun übertreib nicht gleich so“, rief ich lachend und hielt ihn wieder am Rocksaum fest. „Wie wäre es, wenn du dein altes Zimmer beziehst und ein paar von meinen alten Sachen anziehst? Ich habe da noch Klamotten, die dürften dir passen. Ich war fünfzehn, als ich sie gekauft habe.“

„Du willst, dass ich in Männerkleidern herum laufe?“

„Ich verlange es. Ansonsten können wir die Hotelsache noch mal aufkommen lassen. Na?“

Mako nickte knapp und erhob sich. „Na gut. Weil du es bist.“

„Ach, Mako, was machst du eigentlich hier?“

Mein Cousin lächelte. „Ich habe davon gehört, dass du wieder in einen Mecha geklettert bist. Was bist du schon ohne mich? Ich steige auch wieder mit ein, wenn du magst. Onkel hat bereits sein Okay gegeben.“
 

Makoto Ino, mit den höchsten Reflexen, die je bei einem Menschen gemessen worden waren, mit einer Auffassungsgabe, die als gespenstisch galt und mit der Fähigkeit, die Unterseite einer Tischplatte zu beschreiben, indem er auf die Oberfläche sah. Der ideale Koordinator.

Ich nickte ernst. Er war damals mit mir gegangen, als… Ja, als was? Wir waren ausgestiegen. Warum wusste ich immer noch nicht. Aber es war hart genug, um uns beide vom OLYMP zu vertreiben. „Ich freue mich, dass du wieder in meinem Rücken bist.“

„Es tut gut, das zu hören. Ach, was machst du eigentlich hier? Hast du nicht eigentlich Schule?“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin krank. Habe mich neulich erkältet.“

Mit Entsetzen im Blick starrte Mako mich an. „Du… hast mich umarmt, obwohl du wusstest, dass du ansteckend bist? Verantwortungslos wie eh und je, hm? Ich suche mir was bei dir aus dem Schrank und bade. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.“

Hoffentlich nicht, dachte ich, während Makoto im Gang verschwand, um meinen Kleiderschrank zu plündern – was mir nachher sicher nicht gefallen würde, denn ich meinte plündern – denn diese Krankheit wünschte ich keinem meiner Freunde.
 

3.

„Bin wieder Zuhause“, kam es vom Eingang her. Ich hockte in meinem Zimmer und sortierte das Chaos, welches Mako wie erwartet und befürchtet hinterlassen hatte.

„Willkommen daheim“, antwortete ich automatisch, obwohl ich die müde, gepresste Stimme erst nicht zuordnen konnte.

Ein ziemlich mitgenommener Yoshi sah zu mir ins Zimmer hinein. „Dir geht es also schon wieder besser. Na, wenigstens etwas Positives heute.“

Erstaunt sah ich ihn an. „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“

Yoshi barg sein Gesicht in den Händen und seufzte tief. „Akane.“

„Akane-sempai? Erzähl schon.“

Yoshi seufzte erneut und ließ sich auf den Boden sinken. Dort kreuzte er die Beine und sah aus müden Augen zu mir hoch. „Es ist so. Du erinnerst dich noch, wie sie neulich gesagt hat, dass an unserer Schule die Magischen Youma Slayer eingeschrieben sein sollen und dass irgendein VIP ebenfalls anonym an unserer Schule studiert?“

„Lass mich raten. Akane hat einen Tipp gekriegt und dich darauf angesetzt.“

„In ihrer Eigenschaft als Stellvertretende Chefin der Schülervertretung“, bestätigte Yoshi mit einem Nicken.
 

Kurz huschte Hinas Gesicht durch meinen Geist, aber ich drängte den Gedanken beiseite. „Und? Worauf wurdest du angesetzt?“

„Auf den VIP. Akane meinte, die Transferstudentin Sarah Anderson könnte dieser VIP sein. Also bin ich hin in ihre Klasse, um sie zu überprüfen. Damit fing der ganze Ärger an.“

Yoshi öffnete seinen Mandarinkragen. Ich bemerkte auf Schulteransatz und unterem Hals einen derben blauen Fleck, der bereits grünlich schillerte.

„Wie dem auch sei, sie hat die Klasse gerade verlassen. Ich also hinterher. Sie geht zu den Sporthallen, ich hinten dran. Ich habe sie beinahe schon eingeholt, da schießt plötzlich dieser Vollidiot aus einem Nebengang und versucht, mir den Arm auf den Rücken zu drehen. Ich halte natürlich voll dagegen und komme aus dem Griff raus. Da saust ein Tritt auf mich zu, den ich blocke. Der war aber nur eine Finte, denn seine Handkante saust auf meinen Halsansatz zu. Ich also gehe mit dem Schlag etwas mit, um die Wucht zu dämpfen, werde jedoch getroffen. Ich revanchiere mich mit einem Schwinger in die Magengrube, die er aber mit beiden Händen stoppt. Diese Öffnung nutze ich sofort für eine derbe Kopfnuss mit meinem eigenen Schädel. Hätte ich besser nicht gemacht. Mein Kopf dröhnt immer noch.

Aber dieser Typ, der steckt den Schlag einfach weg. Ich meine, er knickt zwar ein, aber ich habe ihn nicht fertig gemacht. Was für ein Monster.“

Yoshi seufzte tief und eindringlich. „Plötzlich zieht der Kerl eine Glock 19 Halbautomatik.“

„Moment mal. Reden wir hier von einer scharfen Waffe und nicht von einem Spielzeug?“

Der böse Blick der mich traf, hätte sicherlich ein Loch quer durch meinen Kopf gebrannt, wenn die Energie des Blickes hätte tödlich sein können. „Ich werde ja wohl eine scharfe Waffe erkennen, wenn ich eine sehe. Immerhin habe ich eine 17L Zuhause als Sportwaffe in meiner Sammlung.“

„Schon gut, schon gut“, wehrte ich mit einem verlegenen Lächeln ab. „Er zieht also die Pistole.“

„Richtig. Und versucht, sie auf mich zu richten. Ich also einen halben Schritt vor und drücke den Waffenarm beiseite, um die Pistole aus dem Spiel zu nehmen. Da trifft mich ein Knie mit voller Wucht im Bauch. Ich knicke ein und gehe fast zu Boden. Mit letzter Kraft ramme ich dem Kerl nun meinen Schädel in den Bauch und quetsche ihn zwischen mir und der nächsten Wand ein. Der Typ stöhnt auf, verliert aber die Waffe nicht. In diesem Moment hören wir beide Mädchenstimmen im Gang.

Und du wirst es nicht glauben, plötzlich stehen wir ganz brav nebeneinander im Gang. Er versteckt die Pistole und ich unterdrücke den beißenden Schmerz in meinem Magen, bis die drei hübschen Mädchen vorbei sind.

Danach geht es wieder los. Er bringt die Waffe wieder ins Spiel, ich blocke. Daraufhin denke ich, er versucht wieder das Knie. Aber denkste. Lässt dieser Mistkerl die Waffe fallen. Mein Blick folgt automatisch der Pistole, und darauf hat er nur gewartet. Seine Linke rauscht heran, mit meiner Schläfe zum Ziel, und ich höre schon die Englein singen, da legt sich eine schlanke Hand auf die heran rasende Faust und stoppt sie, als wäre eine unsichtbare Wand zwischen ihr und meiner Schläfe.

Unglaublich. Verwirrt sehe ich zur Seite. Und da ist dann plötzlich Sarah. Sie lächelt mich verschmitzt an und entschuldigt sich für die Rangelei. Rangelei. Kannst du dir das vorstellen? Wir beide kämpfen quasi auf Leben und Tod, und sie sagt Rangelei.

Und das Schärfste ist, ich habe es ihr auch noch abgenommen, freundlich gegrinst. Ich war sogar richtig verlegen. Und dieser Typ nimmt seine Waffe wieder auf, verstaut sie irgendwo hinter seinem Rücken und zischt mir ein böses nächstes Mal mache ich ernst zu.

Und ich stehe da und weiß nicht, worüber ich mich mehr ärgern soll. Darüber dass ich keinen Fotoapparat mitgebracht hatte, um Sarahs lange Beine zu fotografieren, diesem Verrückten nicht seine Waffe abgenommen zu haben oder unsere Austauschstudentin nicht gefragt zu haben, ob sie unser VIP ist. Wobei, letzteres, ich meine, zwischen den beiden läuft irgendwas, das merkt ein Blinder, aber sein Auftreten war professionell. Er hat mich als potentielles Risiko angesehen und versucht auszuschalten. Damit sollten wir auf jeden Fall einen der Bewacher unseres VIPs gefunden haben.“
 

„Sehr schön. Das war doch die Schmerzen wert. Und wie heißt der Bewacher?“

Erschrocken sah Yoshi auf. „Wie er heißt? Ich habe nicht gefragt.“

Ich legte eine Hand auf die Stirn. „Willst du mir allen Ernstes erzählen, dass du nicht seinen Namen festgestellt hast, nachdem du mit ihm und seiner Pistole gekämpft hast?“

Kleinlaut sah Yoshi zu Boden. „Tu-tut mir leid. Aber sein Gesicht habe ich mir gemerkt. Ich wette, wenn ich noch mal zu Sarah gehe, dann…“

„Schon gut. Diesmal schnappen wir ihn uns aber zu zweit. Ich bin fit genug, um Morgen wieder zur Schule gehen zu können. Dann nehmen wir den Knaben mal ran und erklären ihm, was wir von Handfeuerwaffen in öffentlichen Gebäuden halten.“

„Okay. Aber weißt du, was mich am meisten ärgert?“, brummte Yoshi, halb beleidigt, halb besänftigt.

„Erzähl schon.“

Er hob seine rechte Hand. Plötzlich konnte ich die Aura erkennen, die sie umgab. Es war ein feines Leuchten, das immer stärker wurde. „Du konzentrierst dein KI in der Hand?“, staunte ich.

Yoshi nickte. „Ja, ich kann so was. Damit hat mein Schlag einen Wumms, um Wände zu durchschlagen. Nur leider habe ich das hier erst Stunden später herausgefunden, als ich frustriert in der Toilette gegen eine Wand geschlagen habe.“

Er beugte sich leicht vor. „Hey, deine dämliche Anime-Elfe, der wir das hier verdanken, hätte uns wirklich Anweisungen mitgeben können, was wir hier alles drauf haben, Mann. Das wäre echt hilfreich gewesen. Vielleicht kannst du das ja auch, hm?“

„Stimmt, das wäre nett gewesen. Aber verwende für dieses kleine superreduzierte Monster nie wieder einen so netten Namen wie Elfe“, erwiderte ich. „Vielleicht kann ich das auch. Aber du bist es, der einen Großvater hat, der Priester in einem Tempel ist und an seiner geistigen Vollendung arbeitet.“

„Hm. Vielleicht habe ich es dir beigebracht? Sollten wir mal ausprobieren, wenn es dir wieder richtig gut geht. So, ich bade erst mal.“

Yoshi erhob sich und zwinkerte mir zu. „Deine Krankheit scheint jedenfalls schnell abzuklingen, Akira.“

Ich nickte. „Ich denke mal, ich habe mich bei dem Stratosphäresprung unterkühlt, als ich in fünf Kilometer Höhe mein Visier geöffnet habe. Oder später in der Halle, als dieser Youma aufgetaucht ist und ich mich im Hangar teilweise aus meinem Kampfanzug geschält habe. Da drin war es lausig kalt und ich war durchgeschwitzt.

Wenn es jetzt vorbei ist, umso besser.“

„Du solltest heiß baden, um auf Nummer sicher zu gehen“, erwiderte Yoshi und dehnte sich. „Aber erst nach mir.“
 

„Sei mein Gast“, erwiderte ich und sah dabei zu, wie Yoshi mein Zimmer verließ. Moment mal, Gast? „Yoshi!“, rief ich aufgeregt.

In diesem Moment erklang sein Entsetzensschrei. „Verzeihung, Verzeihung, Verzeihung!“

Mit hochrotem Kopf stürmte er in mein Zimmer zurück. Er sah mich mit einem Blick an, der noch um etliches mörderischer war als der zuvor. „In deiner Wanne badet ein hübsches Mädchen mit rostroten Haaren, Akira. Krank, eh?“

Ich schluckte trocken. Und konnte nicht anders, vor lachen prustete ich los. „Du hättest länger ins Bad gucken sollen, Yoshi“, bemerkte ich grinsend. „Dann hättest du nämlich sehen können, dass dein hübsches Mädchen ein junger Mann ist!“

Yoshis Gesicht spiegelte sämtliche Emotionen zwischen Panik und Entsetzen wieder. „Was?“

Oh, ich amüsierte mich köstlich. „Im Bad ist mein Cousin Makoto. Der kleine Bruder von Sakura-chan. Er kommt ab und an mal vorbei und wohnt bei mir. Außerdem wird er wieder auf OLYMP arbeiten.“

„Ein… Mann?“ Yoshi schien an dieser Information hart zu kauen zu haben. Resignierend sah er zu Boden. „Was für eine Verschwendung.“

„Was ist eine Verschwendung?“, fragte Mako vom Eingang her. Er triefte immer noch vor Nässe und hatte nur einen Bademantel angelegt. Sein schmächtiger Oberkörper war gut zu sehen und beendete sämtliche Spekulationen Yoshis ein für allemal.

Mein Kumpel wurde knallrot im Gesicht. Sein Blick ging hoch zu Makos Gesicht, dann etwas tiefer. „Äh, tja“, erwiderte er leise.

Ich beschloss, ihn zu erlösen. „Mako, erinnerst du dich noch an Yoshi, meinen besten Freund? Ihr habt euch das letzte Mal gesehen vor… Warte mal, drei oder vier Jahren.“

„Ach, Yoshi-kun!“, rief Makoto und trat mit strahlenden Augen ein. Burschikos schlug er dem Größeren auf die Schulter. „Stimmt, wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Mann, beinahe hätte ich dich nicht erkannt. Du bist so groß geworden. Und du siehst noch besser aus als damals.“

Wieder stieg Röte in Yoshis Gesicht. „Meinst du?“

Erkennen glomm in seinem Blick. „Ach, Mako. Der Bengel, auf den die Mädchen so neidisch waren, weil er hübscher war als sie.“

Makoto seufzte schwer. „Mädchen können manchmal Zicken sein. Danke wegen damals, Yoshi-kun.“

Yoshi nickte nachdrücklich. „Ja, das war nicht nett von ihnen. Ich musste ja eingreifen.“

„Teilt Ihr hier gerade irgendeine Erinnerung, von der ich nichts weiß?“, argwöhnte ich.

„In der Tat“, brummte Yoshi. Er schien sich nun gefangen zu haben, legte sogar einen Arm um die Schultern meines Cousins. „Du glaubst nicht, was damals auf der alten Schule los war. Wenn ich das eine Mal nicht dazwischen gegangen wäre… Aber was erzähle ich da. Das ist Schnee von Gestern. Es freut mich wirklich, dich wieder zu sehen. Und du siehst noch besser aus als damals. Hey, wollen wir losziehen und die Mädchen von damals richtig in die Verzweiflung treiben?“

Mako schmunzelte. „Wenn du es so sagst, ist es nicht mehr so ein Fluch, wie ein Mädchen auszusehen.“

Yoshi grinste breit. „Das sollte es auch nicht. Wie lange bleibst du hier, Mako-kun?“

„Kann das vielleicht warten, bis Mako sich abgetrocknet und angezogen hat?“, rief ich bissig. „Du tropfst mir mein Zimmer voll.“

„Oh. OH!“ Hastig raffte Makoto den Bademantel enger zusammen und sah auf die kleine Pfütze, die sich zu seinen Füßen gebildet hatte. „Tut mir leid. Aber Yoshi ist so überstürzt verschwunden, dass ich dachte, ich sollte dir besser beistehen, Akira. War ja auch der richtige Gedanke, ne?“

„Ja, ja. Jetzt aber zurück ins Bad mit dir. Nicht dass du der Nächste mit Erkältung bist.“

Makoto nickte, zwinkerte Yoshi noch einmal zu und verschwand im Gang.
 

Yoshi schüttelte den Kopf. „Wie kann ein Mann nur so hübsch sein? Das will nicht in meinen Kopf.“

„Hast du nicht schon genügend männliche Verehrer?“, stichelte ich.

Yoshi wurde knallrot. „So habe ich das überhaupt nicht gemeint, Akira!“

„Wie dem auch sei. Sieh zu, dass du gleich nach Mako ins Bad kommst. Die Frauen kommen sicher auch bald, und du weißt, wie lange die im Bad brauchen.“

„Hast Recht. Und du willst sicher auch noch baden, ne?

Ach, bevor ich es vergesse, Doitsu und Kenji wollen nachher noch vorbei kommen, um zu sehen, wie es dir geht…“

Na toll. Dann war Akiras Zorn ja komplett. Ein erschreckender Gedanke huschte durch meinen Geist. Was, wenn die beiden auch noch einzogen?

Nachdenklich betrachtete ich meine Hände. Und was, wenn ich diesen KI-Kram auch drauf hatte?

Immer wenn ich dachte, die Animewelt hätte sich erschöpft, legte sie noch einen Gang zu.
 

4.

Nach einem heißen Bad sieht die Welt ganz anders aus, heißt es.

Nun, dieser Meinung konnte ich mich anschließen, denn meine Welt sah wirklich ganz anders aus: Absolut finster und bedrohlich.

Denn nachdem ich aus der Wanne geklettert war und mich mehr oder weniger recht in einen Yukata eingewickelt hatte, erwartete mich Übles. Ein mehr als verzweifelter Mako rauschte heran und drängte sich an meine Brust. Ihm stand blankes Entsetzen ins Gesicht geschrieben – und er trug schon wieder Mädchenkleider. Außerdem hatte er Make-up aufgelegt.

„Hilf mir, Akira!“, rief er. „Sakura und die anderen zwingen mich, hier eine Modenschau für sie abzuziehen. Das ist jetzt schon die fünfte Kombination, die ich für sie anziehe, und es ist immer noch nicht genug.“

Sakura kam auf den Gang hinaus. In ihren Augen lag ein hinterhältiges Funkeln, wie ich es sonst nur in den Augen eines Youma gesehen hatte. „Wo ist denn mein kleiner Bruder? Sieh mal, was ich hier für dich habe, Mako-chan. Willst du nicht diesen süßen kleinen Minirock für mich tragen?“

Yoshi streckte seinen Kopf auf den Gang hinaus. „Besser er als wir, Akira. In der Not ist sich jeder selbst der Nächste.“

„Mako-chaaaaaan“, säuselte Sakura und glitt regelrecht zu uns heran.

Makoto drängte sich nur noch enger an mich. „Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht. Weiche von mir, böser Geist.“
 

Sakura hatte ihren kleinen Bruder fast erreicht gehabt. Ihr langes, blondes Haar hatte für einen Moment so gewirkt, als hätte es ein Eigenleben entwickelt. Doch von einem Moment zum anderen änderte sich die Szenerie. Eine regelrecht fühlbare Welle von Depression ging von ihr aus. Sie sah zu Boden mit dem düstersten Blick, den ich je bei ihr gesehen hatte. Selbst ihr goldenes Haar wirkte plötzlich stumpf.

„Okay. Ich habe verstanden. Du liebst mich nicht mehr, kleiner Bruder. Na, damit musste ich ja irgendwann einmal rechnen, oder?“ Langsam wandte sie sich um und schlich den Gang zurück zum Wohnzimmer. Ihre Schultern bebten leicht, so als ob sie weinte.

Makoto streckte eine Hand nach ihr aus. „Nee-chan…“

„Das ist eine Falle“, zischte ich ihm zu. „Vorsichtig.“

Sakura blieb stehen. Ihr unglaublich eisiger Blick fixierte mich. „Und du, Akira-chan? Warum tust du mir das an?“

Ich schluckte hart. Sie spielte hier mit vollem Einsatz. Und ich war nahe daran, unter dem Druck den sie aufbaute, zusammen zu brechen. Aber nur fast. Demonstrativ legte ich einen Arm um Makos Schulter.
 

Der eisige Blick verschwand und wieder schien beinahe körperlich spürbar die Welle der Depression von Sakura auszugehen.

Wie hingezaubert stand plötzlich Akane Kurosawa neben Sakura und legte eine Hand auf ihre Schulter. Wie kam die Stellvertretende Schulsprecherin hier her? „Du hast es wirklich nicht leicht, Sensei, bei diesem herzlosen Bruder und diesem Monster von Cousin.“

Anklagend sah sie uns an. „Alles was Sensei wollte war, das Makoto-san mal ein paar Sachen anprobiert. Aber ihr zwei tut so, als wäre das das Ende der Welt. Ihr solltet euch schämen.“

„Geht es bald weiter?“, erklang die Stimme von Doitsu Ataka aus dem Wohnzimmer. Der ruhige, sonst so beherrschte weil streng erzogene Doitsu klang doch recht enthusiastisch.

Makoto sah zu mir hoch. „Tut mir Leid, Akira, dass ich dich da mit rein gezogen habe.“

Langsam löste sich mein Cousin von mir und mir war es als hätte ich versagt. Versagt dabei, ihn zu beschützen. Was war ich doch für ein schwacher Mensch. Wie sollte ich die ganze Menschheit beschützen, wenn es mir nicht mal bei jemandem gelang, der mir etwas bedeutete?
 

Mako seufzte leise. „Gut, Nee-chan. Zwei oder drei Kombinationen noch, dann ist aber Schluss.“

Übergangslos verschwand die depressive Wolke, die Sakura umgab. Ihr Haar schien regelrecht aufzuleuchten und ihr Lächeln, das sie Mako nach dessen Kapitulation zeigte, war noch strahlender. Sie trat schnell näher und knuddelte ihren kleinen Bruder kräftig. „Ohhhh, das ist mein Mako-chan. Du bist ja so süß. So, den Rock probierst du noch an, dazu habe ich ein wirklich tolles Top und…“

„Keine Schminke mehr, ja?“, wagte es Mako aufzubegehren.

„Ja, ja, schon klar, nun komm aber endlich“, murmelte Sakura und zog ihren Bruder mit sich.

Ich legte eine Hand vor die Stirn. Armer Makoto. Nun war er endgültig verloren. Na immerhin war es eine Erklärung dafür, warum er manchmal in Frauenkleidern herum lief.

„Ich helfe dir, Sensei“, bot sich Akane an und ging mit. „Weißt du, Mako-chan, wenn du für die Dauer deines Aufenthalts auf unsere Schule kommen willst, könnte ich dafür sorgen, dass du die Mädchenuniform tragen darfst.“

„Ohhh, das wäre sooo süß“, kreischte Sakura. „Wollen wir ihn das nicht gleich mal anprobieren lassen?“

Die sonst eher stoische Akane bekam glänzende Augen. „Megumi hat doch in etwa seine Größe. Megumi-san, hast du eine zweite Schuluniform für Mako-chan?“

Ich unterdrückte ein Auflachen. Bei meiner kleinen Megumi würden sich die beiden aber die Zähne ausbeißen. Himmel, es war ja schon schwer genug gewesen sie zu überreden, mit Lilian zusammen einkaufen zu gehen, damit die Außerirdische überhaupt etwas Bekleidung hatte…

Megumi steckte ihren niedlichen Kopf aus ihrem Zimmer. Sie strahlte regelrecht. „Ja, habe ich. Und da sind noch ein paar andere Sachen, die er vielleicht mal anprobieren könnte.“

Eine eiskalte Hand griff nach meinem Herzen. Konnte das wahr sein? Unwillkürlich griff ich an meine Seite und suchte nach dem Griff meines Katanas. Würde irgendein Mann dieses Haus noch lebend oder zumindest bei Verstand verlassen können?

„Nun komm endlich, Akira. Die Show ist gut“, rief Doitsu herüber.
 

Langsam setzte ich mich in Bewegung. Aber meine Sinne waren weit aufgespannt und meine Muskeln begannen vor Anspannung zu schmerzen. Wenn ich es bis zu meinem Katana schaffte… Wenn ich bis zur Tür kam…

Wenn da nicht plötzlich der schweigsame Kenji Hazegawa gewesen wäre, der mich an den Schultern gepackt und ins Wohnzimmer geschleift hätte.

Ergeben wollte ich mich in mein Schicksal fügen. Bis ich die illustre Runde sah, die sich hier eingefunden hatte. Neben Doitsu und Kenji waren natürlich Kei und Yoshi anwesend, klar. Lilian ebenso. Sie schien vollkommen aufgeregt zu sein. Ihre weiße Haut hatte sich kräftig gerötet und sie schwärmte über irgendetwas. Mit Hina Yamada und Ami Shirai.

Na Klasse. Sie hockten um den niedrigen Tisch herum und sahen auf die Papierfront zum Nebenraum. Dahinter erklangen begeisterte Mädchenstimmen und ab und zu die Leid geplagte Stimme von Makoto. Nebenbei aßen sie Sushi, das reichlich auf dem Tisch stand.

Yoshi schlug auf das Kissen neben sich. „Hier, habe ich dir frei gehalten. Komm, setz dich.“

„Guten Abend, Akira-san“, sagte Hina und verbeugte dich. „Verzeih bitte, dass wir hier so einfach eindringen, aber wir waren besorgt, weil du heute nicht in der Schule warst. Es ist schön, dass es dir nun wieder besser zu gehen scheint.“

Ich schluckte hart, als ich mich auf dem Kissen nieder ließ. Hinas Augen schimmerten feucht, als sie zu mir herüber lächelte. Hatte sie sich solche Sorgen um mich gemacht? Okay, der Morgen war wirklich beschissen gewesen, zugegeben. Aber mittlerweile hatte ich es doch ganz gut gepackt.

„Du bist natürlich willkommen, Hina-chan“, erwiderte ich und nickte leicht. „Ihr seid alle willkommen.“

„Wäre ja auch noch schöner gewesen“, brummte Doitsu zur Antwort, während Hina selig strahlte. „Immerhin hast du uns schon verschwiegen, dass Kei und Megumi bei dir eingezogen sind. Von Yoshi mal gar nicht zu reden.“

„Äh…“ Was hätte ich in diesem Moment nicht alles für eine gute Erklärung gegeben.

Übergangslos strahlte Doitsu mich an. „Aber die Show entschädigt dafür.“
 

Die Show… Was den jungen und streng erzogenen Mann so begeisterte, war eine Abfolge von verschiedenen Kleidungsstücken, in die Sakura, Megumi und Akane den armen Makoto nun steckten, um ihn zu präsentieren. Erwartungsgemäß hatte sein Vorstoß das Make-up betreffend nichts genützt.

Aber ich musste zugeben, wenn man nicht wusste, dass Mako ein Mann war, machte er in den Kleidern eine mehr als gute Figur. Gerade in der Schuluniform kam er sehr gut rüber. So gut, dass die Mädchen am Tisch begeistert aufkreischten.

„Du kommst definitiv an unsere Schule“, bestimmte Akane mit zufriedenem Lächeln. „Und du kriegst die Erlaubnis, die Mädchenuniform zu tragen.“

Diese Information nahmen die Mädchen am Tisch mit Begeisterung auf.

Mako ließ das alles stumm über sich ergehen. Er hatte resigniert, aufgegeben. Und ich trug einen Teil der Schuld dran.

Ich fühlte mich erbärmlich. Vor allem in dem Moment, als ich mich dabei ertappte, dass ich mich auf sein nächstes Outfit freute.
 

Übergangslos erhob ich mich und ging in mein Zimmer. Die Blicke der anderen folgten mir. Das Verhalten des Hausherrn irritierte sie.

Aber darauf nahm ich nun keine Rücksicht. In meinem Raum zog ich mich schnell um und legte etwas dickere Kleidung an, als für diesen milden Abend nötig gewesen wäre, aber ich wollte einfach keinen Rückfall erleiden.

Einer Eingebung folgend nahm ich das Katana an mich und legte es mir auf den Rücken. Eine schwarze Lederjacke, die ich offen lassen würde, half das Katana zu verdecken und vervollständigte mein legeres Outfit.

„Hast du was Größeres vor, Akira?“, fragte Megumi vom Eingang her.

Ich sah zu ihr herüber. „Tut mir leid, aber ich finde einfach nichts dabei, Mako in Mädchenklamotten zu stecken.“

„Lügner“, stichelte sie und lächelte leicht. „Aber ich finde es sehr nett von dir, dass du für deinen Cousin lügst. Hm, wird Makoto nicht etwas irritiert sein, wenn du nicht mehr im Haus bist?“

„Wirst du nicht irritiert sein, wenn ich nicht mehr im Haus bin?“, erwiderte ich und ging damit in die Offensive.

„Natürlich werde ich das. Ich vermisse dich schon jetzt“, antwortete sie und trat an mich heran.

Unwillkürlich brach mir der Schweiß auf. Sie griff in meinen Nacken und zog meinen Kopf zu sich herab. Sie berührte meine Stirn mit der ihren und flüsterte: „Kein Fieber mehr. Du darfst eine Stunde raus an die frische Luft. Aber handle dir keinen Ärger ein.“

Ich grinste schief. „Ich will es versuchen, Megumi-chan.“

Sie lächelte und löste sich wieder von mir. „Ich sage den anderen, dass du kurz raus bist, um frische Luft zu schnappen. Aber bleib nicht länger weg, ja? Immerhin sind sie alle gekommen, weil du heute Morgen so krank warst. Es sind alles deine Gäste.“

„Ja, Mama“, scherzte ich.

Ihr Blick war amüsiert. „Mama zieht dir den Hosenboden stramm, wenn du nicht auf sie hörst.“

„Das will ich sehen.“

Megumi wandte sich um und trat auf den Gang hinaus. Kurz sah sie zu mir zurück. „Vielleicht wirst du das, Akira. Vielleicht.“

Ich lüftete meinen Kragen. Mist, kam das Fieber wieder? Und dieses flaue Gefühl im Magen, war das normal? Nun brauchte ich definitiv frische Luft. Je eher desto besser.
 

5.

Mit frischer Luft ist das so eine Sache. In einer Großstadt ist sie eher selten und ruhige Ecken gibt es nicht viele. Weit fahren wollte ich auch nicht, also spazierte ich durch die Nachbarschaft. Immerhin bot unsere Gegend auch ein paar Parks und alte Tempel mit großen Gärten, in denen man super entspannen konnte.

Es war ruhig, der Wind etwas kühl und biss unangenehm in meinem Gesicht. Der Himmel war sternenklar und nur der aufgehende Vollmond vermochte es, das prächtige Band der Milchstraße einzutrüben. Den Kopf in den Nacken gelegt wanderte ich so vor mich hin. Die Milchstraße. Was für ein schöner Anblick. Und aus ihren Tiefen waren die Kronosier gekommen und bedrohten nun unser aller Leben.
 

Ich war so tief in Gedanken versunken, hatte kaum auf meinen Weg geachtet, dass ich selbst erschrak, als ich gegen etwas Schweres lief.

Ich taumelte einen Schritt zurück, bevor ich mich wieder fing. „Tut mir leid. Ich habe nicht auf meinen Weg geachtet.“

Ich hatte eine Person angerempelt. Diese Person hockte nun mit Händen und Füßen auf dem Gehweg und erhob sich gerade wieder. „So, so. Nicht auf den Weg geachtet. Du denkst, mit einer Entschuldigung ist es getan?“

Leises, raues Gelächter kommentierte diese Worte. Meine Augen erfassten binnen weniger Augenblicke die Situation. Außer dem dicken Mann am Boden befanden sich acht weitere Männer hier. Dazu drei junge Frauen. Sie trugen Lederoutfits und hatten ihre schweren Motorräder mitten auf dem Bürgersteig geparkt.

Ich war in eine Gang gerasselt. Na danke.
 

„Natürlich ist es damit getan“, erwiderte ich und bot ihm meine Hand zum aufstehen an.

Der Dicke schlug meine Hand weg. Sein eisiger Blick fixierte mich. „Nein, ist es nicht. Du wirst dafür bezahlen. Und wenn du kein Geld hast… Michio!“

Aus den Augenwinkeln sah ich blanken Stahl aufblitzen. Einer der Gangmitglieder hatte ein langes Messer hervor gezogen. Klassische Bowie-Klinge, gut dreißig Zentimeter lang. Wurde viel für den Einsatz im amerikanischen Militär produziert. Ich hatte auch ab und an eine in meinem Cockpit, wenn ich in den Einsatz ging.

Weitere Messer wurden gezogen, unter ihnen Stiletts und Springmesser.

„Ach, bitte“, sagte ich und rollte mit den Augen. „Wenn Ihr keine Schusswaffen habt, dann lasst es besser gleich.“

Der Dicke streckte seine Hand aus. Einer der anderen gab ihm das Bowiemesser. „Dieses Messer wird mehr als genug für dich sein. Entweder schneide ich dir Geld aus den Rippen, oder etwas anderes hübsches.“ Die Männer und Frauen der Gang lachten.

Ich grinste schief und griff auf meinen Rücken. Langsam und nachdrücklich zog ich das Katana hervor. „Wie ich schon sagte, wenn Ihr keine Schusswaffen habt…“

„Wer ist der Kerl?“, raunte einer der Motorradgangster.

„Na was wohl, ein Angeber. Schnappt ihn euch!“
 

Es war nie meine Art, mehr als das übliche Maß anzugeben oder zu protzen. Aber das kleine Scharmützel mit der Clique einen Kampf oder sogar eine Schlacht zu nennen wäre maßlos übertrieben gewesen. Ich begnügte mich damit, ein paar Haare ab- und ein paar Kleidungsstücke aufzutrennen, mit dem Griff in der Hand ein paar mächtige Kellen zu verteilen und hier und da eine Nase zu brechen. Gegen mich schien diese Bande in Zeitlupe zu kämpfen. Und obwohl ich noch nicht wieder völlig fit war, genoss ich meinen kleinen Sieg.

Als die Hälfte von ihnen am Boden lag und ich einer der Frauen mit der Linken den Arm auf den Rücken drehte, bis sie ihr Stilett fallen ließ – auch wenn ich hinten keine Augen hatte, so vergaß ich doch nie die Position eines Gegners, erst recht nicht in meinem Rücken – fragte ich freundlich: „Ihr könnt euch nicht zufällig Schusswaffen besorgen, oder?“

Der dicke Anführer warf sich vor mir auf den Boden. „Gnade, Herr. Gnade. Es tut mir Leid, dass ich Euren Zorn herauf beschworen habe. Wir wollen uns bessern und nur noch Gutes tun. Nur verschont mich und meine Leute.“

Ich ließ den Arm der Frau fahren. Sie lief sofort zurück zu den Motorrädern, wo sich der Rest ihrer blessierten Truppe versammelt hatte.

Ich lächelte schief. „Es ist ja nichts passiert. Aber das nächste Mal solltest du eine Entschuldigung annehmen, wenn man sie dir vorträgt.“

„Ja, Herr!“, rief der Dicke aus seiner unbequemen Position. Er sah auf. „Darf ich den Namen des edlen Herrn erfahren?“

Ich dachte kurz nach. Wollte er sich an mir später rächen? Hm, das versprach spaßig zu werden. „Akira Otomo.“

Der Dicke wurde bleich. „Otomo-sama. Verzeiht, dass ich euch nicht erkannt habe. Es tut mir unglaublich, unglaublich Leid, den Anführer von Akiras Zorn belästigt zu haben. Es wird nie wieder vorkommen, Otomo-sama.“

„Ist ja schon gut. Lassen wir das. Steh wieder auf und mach, was du und deine Leute vorher gemacht haben.“ Langsam steckte ich das Katana wieder zurück und ging mitten durch die Bande durch. Sie machten mir angsterfüllt Platz. Hm, meine kleine Schülerschlägertruppe schien einen verdammt miesen Ruf zu haben.
 

„Äh, Otomo-sama, wollt Ihr wirklich in dieser Richtung weiter gehen?“, erklang die Stimme des Dicken hinter mir. Ich wandte mich um. „Warum?“

In seinen Augen stand Angst. Aber nicht unbedingt Angst vor mir. „Das… Das ist Yakuza-Gebiet, Otomo-sama.“

„Yakuza?“ Ich hielt an und dachte nach. Hatte ich wirklich Lust und Zeit, um mir auch noch eine Yakuza-Gruppe zum Feind zu machen? „Dann gehe ich eben die Seitenstraße runter. Danke für den Tipp.“

Ich wandte mich wieder um und winkte kurz, bevor ich weiter ging.

„Auf Wiedersehen, Otomo-sama, auf Wiedersehen“, rief der Dicke mir nach.

Ich winkte erneut und verschwand in der Seitenstraße. Sie führte in gerader Linie zu einem bewaldeten Hügel, auf dessen Krone ein Tempel gebaut worden war. Eigentlich genau das, was ich an diesem Abend gesucht hatte.
 

Als ich am Fuß des Hügels stand, sah ich ehrfurchtsvoll zu den alten Bäumen auf, die den gesamten Hügel zierten. Ja, zierten. Alles wirkte wie ein wohl strukturierter Garten. Ich war sehr beeindruckt.

Doch nicht zu beeindruckt, um nicht das leise metallische Singen zu hören, das entstand, wenn man ein Schwert aus der Scheide zog.

Das Geräusch erklang dreimal, also hatte ich drei bewaffnete Gegner.

„Guten Abend“, sagte ich leise. „Was verschafft mir die Ehre eures Besuchs?“ Langsam wandte ich mich um. Vor mir standen drei Männer in schwarzen Geschäftsanzügen. Sie hielten Katanas in den Händen, wie ich es befürchtet hatte. Der Vorderste nahm seine schwarze Sonnenbrille ab und sah mich an. „Deine Waffe interessiert uns. Ich nehme nicht an, dass du sie uns freiwillig überlässt?“

Ich grinste gespenstisch. „Wenn ich anfange zu schwitzen und mich wieder erkälte, dann seid Ihr dran. Das ist euch doch wohl klar, oder?“ Mit einer schnellen und uneleganten Bewegung zog ich meine eigene Klinge.

Der Anführer sah mich mit versteinerter Miene an. „Greift an.“

Die beiden Substituten sprangen. Einer kam von Rechts, der andere passierte mich und wollte in meinem Rücken angreifen. Ich nutze die offene Lücke und sprang auf die Mauer, welche den Hügel einfasste. Von dieser erhöhten Position war ich im Vorteil. Leider nur für ein paar Augenblicke, denn der Anführer der Yakuza – dass es welche waren, daran zweifelte ich nicht – hatte meinen Zug voraus gesehen und kam ebenfalls die Mauer hoch. Langsam gab ich meine Position auf dem Sims auf und zog mich in den Wald zurück, den Hügel hinauf. Die anderen beiden folgten auf die Mauer nach.

Was nun? Konnte ich sie auseinander ziehen und einzeln erledigen? Oder sollte ich volles Risiko gehen und sie töten?

Vorerst zog ich mich weiter den Hügel hinauf zurück.
 

Die erste Attacke erfolgte von schräg links hinter mir. Einer der Substituten, der Kleinere setzte einen Karatake an, einen Schlag von oben herab. Ich entging ihm, ohne ihn zu parieren. Dadurch behielt ich den Willen über meine Klinge und meine einzige Abwehrmöglichkeit.

Was die richtige Entscheidung war, denn so konnte ich knapp und mit viel Glück den Kesagiri-Hieb des Anführers parieren, den Hieb von schräg rechts oben, quer über die Brust.

Für einen Moment hielten wir nur gegeneinander, brachten Stärke auf und maßen unsere Kräfte. Dann brach ich ab und sprang zurück. Gerade noch rechtzeitig genug, um dem Karatake des dritten Angreifers zu entgehen. Wäre ich dort stehen geblieben, hätte ich mit zwei Drittel weniger Kopf auskommen müssen.

Ich zog mich schnell drei Schritte bis unter einen hohen Baum zurück. Mit dem mächtigen Stamm im Rücken hatten die Yakuza nur noch drei Richtungen, aus denen sie mich angreifen konnten. Leider fehlte mir so aber auch die Fluchtoption. Was mir aber nur zum Verhängnis wurde, wenn sie alle drei zugleich angriffen.

Ich hatte Glück, der Anführer versuchte einen Tsuki direkt in meine Brust, aber ich wich erneut aus, ohne meine Klinge ins Spiel zu bringen und ließ so den Stoß aus nächster Nähe passieren. Die Klinge meines Gegners drang Zentimetertief in das alte Holz ein, blieb aber nicht stecken. Er befreite es mit einer nebensächlichen Bewegung.
 

Wieder griff einer der Substituten an. Den Hidarinagi des Größeren musste ich mit der Klinge kontern. Dabei, da der Angriff von links auf den Rumpf erfolgte, musste ich mich drehen, um genügend Kraft für den Konter aufbringen zu können. Und drehte so meinen Rücken dem Anführer zu, der gerade wieder seine Klinge befreit hatte.

Ich fühlte beinahe, wie er zu einem weiteren Karatake ansetzte, der, so er denn traf, durchaus meinen Schädel spalten würde.

Ich erhöhte den Druck gegen meinen Gegner, während der Anführer der Yakuza wild aufbrüllte. Dann nahm ich den Druck von meinem Gegenüber und glitt zur Seite. Er taumelte überrascht einen Schritt vor und war nun dem Karatake-Schlag seines Chefs ausgesetzt.

Der Substitut riss seine eigene Klinge hoch, um die Attacke zu parieren und bot mir somit eine Öffnung. Ich setzte zu einem Miginagi an, einen Schlag von rechts auf den Körper.

Mein Katana traf kaum auf Widerstand, als es eine tiefe Wunde in die Seite meines Gegners riss. Blut trat aus und benetzte den nahen Baum und den Anführer, während ich mich schnell in Sicherheit brachte. Dieser Schlag hatte meinen Gegner sicher nicht getötet. Aber hoffentlich verlangsamt, im besten Fall aus dem Kampf genommen.
 

Neben mir tauchte Gegner Nummer drei auf, setzte zu einem Midikiriage an. Der Aufwärtsschlag, von Rechts geführt, durchschnitt aber nur die Luft. Ich hatte meine Position bereits wieder geändert, war hinter einem Baum verschwunden und suchte von dort das Weite, um Distanz zwischen uns aufzubauen. Dennoch behielt ich meine Gegner im Auge. Der Verletzte ließ sich gegen den Baumstamm sinken. Er presste eine Hand auf die blutende Wunde. Hatte ich ihn schwerer getroffen als ich dachte, womöglich auch innere Organe verletzt? Der Anführer sah sich suchend nach mir um, und obwohl ich im Dunkeln stand, fixierte er mich nach kurzer Zeit. Meine Klinge hatte im Mondlicht geglänzt. Schneller hätte ich meine Position nur preisgeben können, wenn ich gerufen hätte: Hier! Hier bin ich! Schlachte mich doch bitte ab!
 

Ich setzte meine Absetzbewegung fort. Doch diesmal war ich im Nachteil, denn ich wusste nicht, wo sich der Kleine aufhielt. Er konnte jederzeit in meinem Rücken auftauchen.

Erst einmal musste ich weiter kommen, Distanz aufbauen. Und ich dachte ernsthaft darüber nach zu fliehen. Jetzt, wo sie nur noch zu zweit waren, sollte es mir gelingen.

Was aber, wenn sie mir bis nach Hause folgten? Und vor allem, wenn sie mich nun einmal auf dem Kieker hatten, was wenn sie meinen Freunden auflauerten? Yakuza spielten in einer anderen Liga als ich und meine kleine Schlägergruppe. Von den Mädchen mal ganz zu schweigen.

Aber irgendwo in mir nagte die Gewissheit, dass die Yakuza bereits die Vernichtung ihres drei Mann starken Schwerttrupps sehr, sehr schlecht aufnehmen würden.

Verdammt, ich war keine Einmann-Armee, die mal eben eine ganze Yakuza-Gruppe auslöschen konnte.

Aber vielleicht konnte ich Megumi dazu überreden, mit Lady Death einen Stepptanz in ihrem Viertel aufzuführen.

Kurz dachte ich daran, sie zu Hilfe zu holen. Aber sie war Mecha-Pilotin, keine Kommandosoldatin.
 

Eine Klinge, die durch meinen Kopf gegangen wäre, wenn ich nicht ausgewichen wäre, holte mich in die Realität zurück.

Vor mir stand der Kleine und atmete schwer. Sein Tsuki war mit Nachdruck geführt worden, zugegeben. Aber ich hatte dem Direktstoß dennoch ausweichen können.

Dies bot mir Gelegenheit für eine Eröffnung. Ich täuschte an, nach Links auszuweichen, worauf hin der Kleine seine Waffe nach Rechts ausscheren ließ. Dieser Moment reichte mir um ihn auf der anderen Seite zu passieren und meine Klinge fast wie beiläufig über seinen linken Arm tanzen zu lassen. Diese Art des Angriffs hatte nicht viel mit Schwertkampf zu tun, ich nutzte einfach nur meine eigene Bewegung und die Schärfe meiner Klinge. Am ehesten konnte man die Attacke, die eine große Wunde in den rechten Oberarm riss, noch den Sakakaze zuordnen, den Schlägen, die von unten geführt wurden. Blut spritzte wieder, benetzte meine Kleidung und einen kleinen Schrein, der unter einer uralten Eiche stand.

Ich fühlte mich gut, trotz der Krankheit vom Morgen. Zwei Verletzungen hatte ich verursacht und im Gegenzug war nicht einmal meine Kleidung angekratzt worden.

Mein arrogantes Grinsen blieb mir aber im Halse stecken, als der Anführer erneut angriff und mit einem sehr harten und sehr nachdrücklichen Karatake von oben auf mich niederschlug. Mit Mühe brachte ich meine Klinge weit genug hoch, um seinen Hieb an mir vorbei und zu Boden zu lenken. Sein Katana fuhr zu Boden und zerteilte dabei den kleinen Schrein.

„Elender Bastard!“, fuhr er mich an. In seinen Augen glomm ein kaltes Licht. „Du wirst langsam sterben!“
 

Ein gleißender Schein trat aus dem Schrein aus und blendete mich für einen Augenblick. Meinem Gegner ging es nicht viel besser.

Als ich wieder sehen konnte, schwebte mein Gegner einen halben Meter über dem Boden. Sein Kopf war von einer weißen, schmalen Hand umklammert. Ich zwinkerte ein paar Mal, aber das Bild änderte sich nicht. Die weiße Hand gehörte zu einem Dämon, einem gehörnten Oni, der den Yakuza hasserfüllt anstarrte. „Duuuuu. Du hast mein Heim zerstört. Dafür wirst du bezahlen!“

Die Augen in der Maske glommen grell auf. Blitze schossen aus ihnen hervor und bohrten sich in die Augen des schreienden Yakuza. Sein Entsetzen war so groß, dass sich meine Nackenhaare aufrichteten.

Ich hörte auch den Entsetzensschrei seines Kompagnons, der sein Schwert fortwarf und hastig davon lief.

Nun, es war wirklich nicht jedermanns Sache, sich einem Oni zu stellen, der gerade den eigenen Vorgesetzten zu Tode folterte.

Mit einer nebensächlichen Handbewegung warf der Oni den Yakuza fort. Seine Haare waren schlohweiß geworden und seine Iris hatte einen matten, graublauen Farbton angenommen.

„Du darfst leben“, verkündete der Oni. „Aber die Haare und Augen wirst du den Rest deines Lebens behalten. Und jetzt geh.“

„Ja. Ja. Ja.“ Hastig kam der Yakuza auf die Knie und verneigte sich bis zum Boden. „Ja, Meister.“

„GEH!“, blaffte der Oni und der Yakuza gehorchte ohne zu zögern. Blind vor Angst hetzte er durch das Unterholz den Hügel hinab.
 

„Und du“, grollte der Oni und fixierte mich mit eiskalten Augen, „bekommst deine Strafe ebenso!“

Die Hand des Oni schoss vor, doch ich parierte mit meiner Klinge. „Graue Haare stehen mir einfach noch nicht“, erwiderte ich und versuchte zu ignorieren, dass meine Knie erbärmlich zitterten. „Sieh mal, das tut mir Leid mit deinem Schrein. Wie wäre es, wenn ich ihn wieder zusammen baue? Immerhin habe ich ihn nicht zertrümmert und auch nicht dabei geholfen.“

Der Oni hielt sich die rechte Hand. „Du trägst einen Dämonenpeiniger bei dir? Bist du ein Dämonenschlächter?“

„Äh, nein!“

„Das Schwert muß vernichtet werden!“, rief der Oni und stürzte sich auf mich.
 

Zehn Minuten später war ich ziemlich außer Atem. Der Kampf mit den Yakuza hatte mich verdammt angestrengt, aber der Fight mit dem Oni hatte sich ganz schön gezogen. Immerhin lebte ich noch. Und glücklicherweise war mir noch rechtzeitig eingefallen, was Yoshi mir vorhin gezeigt hatte. Er konnte sein KI in der Hand konzentrieren. Ich hatte es geschafft, mein KI auf die Klinge zu übertragen.

Der Oni kniete vor mir auf dem Boden und berührte mit der Hörnermaske die nackte Erde. „Bitte, Meister, verschone diese unwürdige Kreatur. Die Kreatur entschuldigt sich für ihr rüdes Benehmen.“

„Was?“, fragte ich erstaunt.

„Meister, du hast diese unwürdige Kreatur besiegt. Sie erkennt ihre Niederlage offen an.“ Wieder verbeugte sich der Oni vor mir und verharrte in dieser Stellung. Waren Onis nicht eigentlich Dämonen, die sich auf Hass spezialisiert hatten oder so?

Langsam ließ ich mein Katana sinken. Für einen Abend reichte es wirklich. Ich hatte genügend erlebt. Am surrealsten war natürlich die Modenschau gewesen, aber die Kämpfe waren auch nicht schlecht gewesen.
 

„Ist gut. Und Morgen komme ich und baue deinen Schrein wieder auf. Und jetzt erheb dich und tu was du willst.“

„Wirklich?“ Der Oni sah auf. „Dann könnte ich vielleicht einen kleinen Ausflug in die Stadt machen und ein paar Seelen fressen…“

„Außer das“, warf ich hastig ein. „Tu einfach was Normales. Sieh fern oder hör Radio. Oder lies mal ein gutes Buch. Hast du denn keinen PC, um mal etwas Go zu spielen?“

„Radio? Fern sehen? PC? Was?“ Verständnislos sah mich der Dämon an.

„Oooookay, ich verstehe. Dann bleib einfach hier im Wald und stell nichts an, ja?“

Wieder verneigte sich der Oni. „Ja, Meister. Ich werde folgsam sein.“
 

Konnte ich einem Dämon wirklich trauen? War es nicht besser, ihn zu vernichten, eine potentielle Gefahr für die Menschen auszulöschen? Andererseits, jemand hatte ihm einen Schrein gebaut. Anstatt ihn zu vernichten. Und dieser Schrein war, nicht zuletzt durch meine Hilfe, zerstört worden. Jemand hatte gewollt, dass dieser Oni überlebte. Wer war ich, dass ich einfach aus einer Laune heraus diese Existenz nahm? Ich war mir nicht einmal sicher, ob dieses Wesen vor mir wirklich böse war.

„Gut“, sagte ich und wandte mich ab, den Hügel hinab.
 

Als ich nach ein paar Metern wieder über meine Schultern sah, hockte der Oni noch immer auf seinen Knien und verbeugte sich in meine Richtung.

Würde er etwa den Rest des Abends und die Nacht an dieser Stelle und in dieser Position verbringen? Ein amüsanter Gedanke. Nicht unbedingt für den Oni.

Eigentlich war er ja ganz nett. Er war mit dem Yakuza sehr nachsichtig umgegangen. Andererseits, Megumi hatte mir auch nicht gerade den Kopf abgerissen, nur weil ich ihr Appartement zerstört hatte.

Ein lauter, unmenschlicher Schrei ließ mich herum fahren. Ich hetzte los, zog im Laufen meine Waffe. Sehr schnell kam ich an die Stelle zurück, wo der Schrein stand. Von dem Oni fehlte jede Spur. Verdammt. Und ich hatte ihm wirklich vertraut. Dieser Bastard!

Ein neuer Schrei erfolgte, und ich hetzte ihm hinterher. Wenn ich dieses Biest erwischte…

Ich brach durch eine Hecke und gelangte auf den Platz vor dem Tempel. Drei Shintopriester hatten den Oni eingekreist. Ein merkwürdiges Licht ging von ihnen aus und schloss den Dämon ein. Einer, der Älteste von ihnen, beschwor etwas, was wie eine Lanze aus purer Energie aussah. Bevor ich mich versah, raste diese Lanze auf das Herz des Oni zu.
 

„Tut mir leid“, sagte ich atemlos, während sich die beiden Bruchstücke der Energielanze hinter mir verflüchtigten. „Tut mir leid, dass ich nicht schneller hier sein konnte, Oni.“

„Meister!“, rief der Dämon ergriffen. „Du bist gekommen, um mich zu retten!“

„Was tust du da, Akira-kun?“, rief der Alte. „Dies ist ein Oni!“

„Das habe ich auch schon gemerkt!“, erwiderte ich bissig. Moment, Akira-kun? Kannte ich den alten Knaben? Yoshis Großvater? Hm, konnte sein. Aber den hatte ich schon Jahre nicht mehr gesehen.

„Oni sind eine Gefahr für die Menschen. Wir müssen sie vernichten, bevor sie Menschen gefährden, töten oder ihre Seelen für immer vergiften, Akira-kun. Tritt beiseite und lass uns tun, was getan werden muß.“

Energisch schüttelte ich den Kopf. „Nein, Futabe-sensei. Dieser Oni bewohnte einen Schrein in diesem Wäldchen, der durch meine Unachtsamkeit zerstört wurde. Er hätte ohne mich bis in alle Ewigkeit friedlich ruhen können.“

„Dann tritt beiseite. Wir geben ihm den ewigen Frieden wieder.“

„Was für zynische Worte, Futabe-sensei“, erwiderte ich ernst. „Zu unserer Kultur, zu unserer Natur gehören die Oni genau so wie die Menschen. Jemand hat diesem Oni einen Schrein gebaut. Jemand wollte, dass dieser Oni in Frieden leben kann. Ich bin nicht gewillt, den Wunsch dieses Wesens, egal ob Mensch oder Dämon zu ignorieren.“

Ich umfasste den Griff meiner Waffe fester. Mist, bekam ich da etwa eine Blase? „Und ich bin bereit, dafür zu kämpfen.“
 

Es erforderte nur wenig Konzentration und der matte Schein meines KI umgab die Klinge. Nun war sie um einiges gefährlicher als das ultrascharfe Blatt ohnehin schon war.

Futabe-sensei lachte leise. „Wie ich sehe, hast du endlich die Lektionen, die ich dir und meinem Enkel erteilt habe, umgesetzt. Du bist auf dem richtigen Weg zur Erleuchtung. Aber einen Oni zu schützen ist ein Schritt zurück.“

„Und?“, blaffte ich und stellte meinen linken Fuß vor, um schneller auf Geschwindigkeit kommen zu können, wenn es sein musste. „Es ist meine Entscheidung. Und ich stehe dazu.“

Futabe-sensei senkte den Kopf. „Ich will nachsichtig mit dir sein. Ich weiß, durch welche Schmerzen du gehen musstest, seit du aus den UEMF ausgeschieden bist. Aber tritt nun beiseite und lass uns unsere Pflicht tun.“

Ein Hinweis auf das, was mir widerfahren war? Ich schob den Gedanken beiseite. Wichtig war jetzt nur eines: Mir selbst nicht untreu zu werden und meinen Willen durchzusetzen. Und der lautete, diesen Oni zu beschützen.
 

Der alte Mann beschleunigte aus dem Stand auf eine unglaubliche Geschwindigkeit. Ich hatte aber damit gerechnet und schlug einen harten, schnellen Karatake von oben herab.

Futabe-sensei fing die Klinge auf. Seine Hände waren von seinem KI umgeben. Als unsere KIs aufeinander trafen, zischten Funken von meiner Klinge und seinen Fingerspitzen in alle Richtungen davon. Schlagartig erhöhte er sein KI. Die Absicht war klar. Er wollte mein Katana zerbrechen.

Ich lächelte gering schätzend. „Dies ist Großmutters alte Klinge, Futabe-sensei.“

Der alte Mann nickte verstehend und verlegte sich darauf, sie mir aus den Händen zu reißen. Als das auch nicht gelang – obwohl der Greis die Kraft eines durchgehenden Bullen hatte – verlegte er sich auf einen reinen Kampf des KI. Seine Augen blitzten auf, und ich sah die Welt auf zwei Ebenen. Einmal die Realität, in der ich schweigend dem Shintopriester gegenüber stand und dann eine Schattenwelt, in der wir, weißen Schraffuren gleich mit langen, Klingen bewehrten Lanzen miteinander kämpften.

Ich wusste, auf dieser Ebene war mir der alte Mann Jahrzehnte voraus. Ich konnte nicht gewinnen. Also versuchte ich verzweifelt, den Blickkontakt abzubrechen, während sich unsere Entsprechungen in der Negativebene einen erbitterten Kampf lieferten.
 

„Ich kann das nicht zulassen, Futabe-sensei“, knurrte ich wütend.

„Warum? Warum verteidigst du den Oni so vehement? Was liegt dir an ihm?“

„Wir müssen nicht immer alles gleich vernichten, nur weil es auf den ersten Blick gefährlich erscheint. Gib einem Menschen eine Pistole in die Hand und er ist sehr gefährlich. Töten wir ihn deswegen gleich, bevor er etwas getan hat? Was ist mit Giftschlangen? Warum haben wir aufgehört zu versuchen sie auszurotten? Warum lernen wir sie stattdessen besser zu verstehen und arrangieren uns mit ihnen? Giftspinnen, Haie, Nesselquallen, die Liste ist endlos. Warum macht der Oni hier eine Ausnahme? Was macht ihn schlechter? Oder uns dadurch besser?“

Futabe-sensei hielt inne. Erschrocken führte meine Entsprechung im Negativraum seinen letzten Hieb noch aus und wurde vom eigenen Schwung zu Boden getrieben.

„Gut, das ist ein Punkt, Akira-kun. Aber dieser Oni ist herrenlos. Wir können ihn nicht wieder in den Schrein sperren. Das Siegel war einmalig und ist nicht zu restaurieren. Er würde irgendwann wieder ausbrechen können, und das dürfen wir nicht riskieren.“
 

Das KI um meine Klinge erlosch. Die Negativwelt brach zusammen und ich steckte die Waffe elegant wieder in meinen Rückenholster zurück. „Ich werde auf ihn aufpassen. Und wenn er wirklich zu einem Dämon wird, der Menschen schädigt, dann werde ich es sein, der ihn vernichtet.“

Das KI um die Hände Senseis erloschen. Er musterte mich schmunzelnd. „Nun gut. Ich gebe dir eine Chance. Deine Worte sind nicht ohne tieferen Sinn. Ich akzeptiere das.

Aber wenn du versagst, Akira-kun, erwartet dich eine harte Strafe.“

Ich verneigte mich leicht. „Ja, Sensei.“

Das Licht der Priester erlosch und gab den Oni frei.

„Meister!“, rief der Oni.

Er hatte sich wieder zu Boden gehockt. Respektvoll hatte er das Haupt gesenkt. Seine Fingerspitzen berührten parallel zueinander den Boden. Ich kannte diese Pose. Sie war Ausdruck größter Höflichkeit und wurde meist für jemanden vollzogen der über einem stand. Was mich daran irritierte war, dass es Frauen waren, denen diese Pose anerzogen wurde.

„Meister, diese unwürdige Kreatur bittet um die Ehre, in deinen Dienst aufgenommen zu werden. Sie wird dir keine Schande machen und dich beschützen. Sie wird auf dich hören und freundlich zu allen Menschen sein.“

„Nun, Akira-kun, es ist deine Entscheidung. Vergiss aber nicht, auch wenn ein Oni sich unsichtbar machen kann, besonders sensitive Menschen erkennen einen Dämon auch dann noch. Du wirst viel Ärger haben, wenn du den Oni zu dir nimmst.“

„Auf einen mehr kommt es nun wirklich nicht mehr an“, murmelte ich leise. „Ich nehme deine Dienste an.“

Der Oni sah auf. „Danke, Meister. Danke.“
 

Langsam griff er sich in den Nacken und löste etwas. Die gehörnte Frontmaske und das buschige weiße Dämonenhaar gerieten in Bewegung und glitten vom Kopf herab. Ein langer Schwall tiefschwarzen Haares folgte und rahmte ein hübsches Frauengesicht ein.

Mist. Irgendwie hatte ich das geahnt. „Wird der Meister der unwürdigen Kreatur nun einen Namen geben?“

„Hast du denn keinen?“, argwöhnte ich.

„Wenn du einem Dämon einen Namen gibst, so heißt es, bleibt er bei dir“, informierte mich Sensei leise. „Dies ist euer gemeinsamer Bezug.“

„Oh.“ Nachdenklich kratzte ich mich am Kinn. „Tut mir leid, mir will gerade keiner einfallen. Bis ich einen guten weiß nenne ich dich Akari, einverstanden?“

„Der unwürdigen Kreatur ist alles Recht, Meister.“

„Und hör mit dem Unwürdige Kreatur-Quatsch auf, ja?“, blaffte ich aufgeregt. „Außerdem höre ich nicht auf Meister. Mein Name ist Akira.“

Über das blasse Gesicht des Oni huschte eine gewisse Röte. „Oh. Und ich dachte, Ihr wärt… Verzeihung, Meister. Meisterin.“

„Meisterin?“

Wieder errötete der Oni. „Nun, Akira ist ein Frauenname.“

Futabe-sensei lachte laut. „Du liegst falsch, Akari. Auch Männer tragen diesen Namen.“

„Oh. OH! Verzeiht der unwürdigen Kreatur für ihren doppelten Fehler, Meister.“

„Akira. Ich heiße Akira. Und du sollst doch den Quatsch mit der Kreatur lassen.“ Ich wandte mich um. „Lass uns gehen.“

Der Oni sprang auf und schwebte an meine Seite. Unschlüssig spielte der Dämon mit der Maske, bis er sie schließlich in seinen weiten weißen Gewändern verstaute.

„Futabe-sensei. Ich bedanke mich.“

„Oh, ich habe mich zu bedanken. Du hast mir heute eine Lektion erteilt. Eine gute Lektion, Akira-kun. Komm bald wieder und trainiere mit mir weiterhin dein KI, ja?“

Ich nickte. „Das werde ich. Und ich bringe Yoshi mit. Tschüss, Sensei!“

Mit einem letzten Winken verließ ich den Platz. Diesmal aber nahm ich die Treppe, die den Hügel hinabführte.
 

„Und dich kann niemand sehen, wenn du dich unsichtbar machst, Akari?“

„Du kannst mich immer sehen, Meister. Die meisten anderen nur, wenn ich dies wünsche oder du es mir erlaubst.“

„Akira. Ich heiße Akira.“

„Verzeih. Akira-sama.“

Damit musste ich dann wohl als Minimum leben. „Sag mal, was isst du denn so? Du hast da vorhin was von Seelen erzählt.“

„Ach, das. Ho, ho, ho. Das war ein Scherz, Akira-sama. Ich bin durchaus in der Lage, mich von menschlichen Speisen zu ernähren.“

„Gut. Seelen sind nämlich schwer zuzubereiten“, scherzte ich.

„Akira-sama. Ihr seid mir ja einer“, schmunzelte der Oni.

Ich grinste. Und wieder hatte die Konstruktwelt noch mal einen Zacken drauf gelegt.
 

6.

Eigentlich genoss ich die herrliche Nachtluft. Ich fror zwar etwas, als der kalte Wind den Schweiß auf meiner Stirn trocknete, und ich brauchte definitiv neue Klamotten, wenn ich nicht sofort wieder krank werden wollte. Aber diese Momente der Ruhe hatten etwas Erfrischendes. Mein Oni schwebte neben mir, während ich durch die Straßen ging.

„Sag mal, kannst du auch normal gehen?“, tadelte ich Akari.

„Verzeihung, Akira-sama, aber für mich ist es vollkommen unerheblich, wie ich mich fortbewege. Wenn du es wünschst, werde ich selbstverständlich neben dir her gehen.“

„Dann bitte ich darum.“

Der Oni berührte mit den Füßen den Boden und begann neben mir her zu gehen. „Diese Stadt ist so vertraut… Und doch so anders. Ich habe lange geschlafen.“

Ich lächelte leicht. Akari kannte weder PCs noch Radios. Lange geschlafen hielt ich für die Untertreibung des Jahrtausends. „Wann kamst du in diese Welt, Akari?“

Der Oni sah mich an. In dem hübschen Frauengesicht zeichnete sich Erstaunen ab. „Oh. Ihr meint, Akira-sama, wann ich geboren wurde?“

„Geboren? Oni werden geboren?“, argwöhnte ich.

„Oh, das weiß ich nicht. Aber ich für meinen Teil war nicht immer ein Oni. Ich wurde als Mensch geboren zu der Zeit, als Tokugawa Ieyasu Shogun wurde.“

Tokugawa… Das bedeutete, dass meine Begleiterin vierhundert Jahre alt war.

„Das ist sehr lange her. Wir schreiben das Jahr Zweitausend nach westlicher Rechnung.“

„Westliche Rechnung? Ist es so weit gekommen mit unserem Land? Ich habe den Missionaren nie getraut, aber das es so schlimm werden würde…“ Akari konnte sich nicht entscheiden, ob sie wehmütig oder ärgerlich gucken wollte. Die Emotionen wechselten einander schnell ab. Kurz entschlossen setzte sie ihre Oni-Maske wieder auf.
 

„Na ja, in vierhundert Jahren passiert eine ganze Menge. Missionare spielen heutzutage aber nicht gerade eine große Rolle in unserem Land“, sagte ich, um den Oni zu besänftigen.

„Hm.“

„Also, du wurdest zu Beginn des Edo-Shogunats geboren, als Mensch“, nahm ich den Faden wieder auf.

„Edo-Shogunat, nennt man diese Zeit denn heute so? Das man eine ganze Epoche nach dieser unbedeutenden Verwaltungsstadt benennt… Edo muß mächtig geworden sein in den letzten Jahrhunderten.“

Ich lächelte über die Unwissenheit des Oni. „Edo trägt heute einen anderen Namen, Akari. Er lautet Tokio. Und Tokio ist schon seit langer Zeit unsere Hauptstadt.“

„Edo? Hauptstadt? Was erzählst du mir als nächstes, Akira-sama? Dass die Samurai auf dem Mond gekämpft haben?“

„Äh, nun, zumindest waren schon Menschen auf dem Mond, aber ich bezweifle, dass sie gekämpft haben.“

„Ho, ho, ho, ho. Akira-sama, du hast wirklich Humor. Menschen auf dem Mond. Ach wirklich.“

„Akari, das ist die Wahrheit“, wandte ich vorsichtig ein.

„Auf dem Mond?“ Ich nickte. „Da oben?“ Wieder nickte ich. „Aber… Aber… Der Mond ist ganz aus Nickel und ist zwischen uns und der Sonne aufgehängt. Und wenn der Neumond ansteht, wo sind die Menschen da geblieben? Vom Rand gesprungen?“

Ich seufzte. „Das ist eine lange Geschichte. Ich erzähle sie dir Zuhause.“ Insgeheim beschloss ich, Akari die nächsten Tage vor den Fernseher zu setzen.
 

Schweigend gingen wir nebeneinander her. Meine innere Uhr verriet mir, dass ich die Stunde Ausgang, die mir Megumi gewährt hatte, bereits überzog. Das musste nicht unbedingt schlecht sein. Konnte aber auch nachteilig werden.

„Deine Geschichte“, erinnerte ich den Oni. „Wie bist du so geworden, Akari?“

„Auch das“, begann sie leise und ernst, „ist eine lange Geschichte. Und es ist keine schöne Geschichte. Ich bin nicht freiwillig ein Oni geworden. Mein Fluch war, dass ich viel zu schön geboren wurde.“

Aus den Tiefen ihrer Bekleidung zog sie einen Fächer hervor und entfaltete ihn. „Ich wurde hoch geboren, mein Vater war ein wichtiger Beamter im Bakufu des Shoguns Tokugawa. Ich gehörte damit dem Haushalt an und hatte recht früh Zugang zu Bildung, Kunst, Musik und dergleichen. Zugleich aber sah ich auch die raue Kriegerwelt der Samurai, die Eide der Treue und des gegenseitigen Beistandes. Ich sah tapfere und verschlagene Krieger, Herren die die Leben ihrer Samurai verschwendeten und solche, die Seite an Seite mit ihnen fochten.

Sie faszinierten mich und ich verbrachte mit einigen von ihnen mehr Zeit, als es sich geziemte. Um vieles habe ich sie gebeten und vieles haben sie mich gelehrt.“

Akari seufzte lang und tief. „Aber ich war eine Frau, Tochter eines hohen Beamten. Meine Bestimmung war es, einen guten Mann zu heiraten, um der Familie Ehre zu machen. Und so hätte mein Leben sein können. Auch wenn ich es nicht gemocht hätte. Aber es wurde anders, so vollkommen anders.“
 

Akari zögerte im Schritt und auch ich blieb stehen.

„Wie ich schon sagte, Akira-sama, ich wurde nicht freiwillig ein Oni.

Es gab da einen Herrn von edler Geburt. Er stand zu hoch über mir, um mich zu heiraten. Und mich ihm zur Mätresse geben wollte mein Vater nicht. Dennoch war der hohe Mann fasziniert von meiner Schönheit. Von meiner makellosen, perfekten Schönheit. Und er erdachte einen Plan, wie diese Schönheit auf ewig erhalten werden sollte, verschont vom Altern und vom Tod.

Dieser Mann wusste sehr wohl um meine Vorlieben und um meine Verehrung für die Samurai. Und darauf baute er auf.“ Akari sah hoch zu den Sternen. „Er brachte mich dazu, zwanzig von ihnen umzubringen.“

Erschrocken sah ich sie an. „Akari.“

„Ich war eingeladen worden, mich mit den Samurai zu unterhalten und ihnen vorzutanzen und zu spielen. Und mein Gönner bat mich, den Samurai Reiswein einzuschenken. Er war vergiftet, und so tötete ich jeden einzelnen, dem ich zu trinken gab. Und zum Schluss ließ er mich vom Reiswein trinken. So starben wir einundzwanzig in einer einzigen Nacht.

Doch das war nicht sein ganzer Plan gewesen. Denn der einzige Weg, den er gesehen hatte, um meine Schönheit für die Ewigkeit zu konservieren, Akira-sama, war, mich zu einem Dämon zu machen. Also ließ er verkünden, wer den vergifteten Reiswein eingeschenkt hatte. Und zu meinem Grab kamen die Witwen und Waisen der toten Samurai und fluchten mich und wollten mir den Weg in den Himmel verwehren.

Bei all dem Hass, bei all den Vorwürfen, wo ich doch unschuldig war, band es meine Seele an die Erde und eigener Hass kam in mir empor. Sie taten mir so sehr Unrecht und sahen es nicht ein. Dennoch fluchten sie und verwünschten mich.

Ich will nicht im Einzelnen sagen, was dann geschah, aber ich wurde ein Oni. Ein Oni, blind vor Zorn und dürstend nach Rache. Es wurde eine blutige Nacht.“

Ich lüftete meinen Kragen. Was für eine Geschichte.
 

„Es war dann mein Vater, der mich in meiner Raserei stoppte. Aber er brachte es nicht übers Herz, seine Tochter, die er bereits einmal verloren hatte, noch einmal zu opfern. Also erbaute er mir auf dem Hügel einen Schrein und bannte mich in ihm, auf dass ich ewig schlafe und nicht zu sterben brauchte und meine Seele nicht verloren ging. Bis zum heutigen Tag war das so und ich habe friedlich geschlummert und meine Wut vergessen. Meine Rache vergessen.“

Sie sah zu mir herüber. „Nun bin ich wieder wach, und es sind vierhundert Sommer vergangen. Diese Welt ist nicht die meine. Und für Rache ist es lange zu spät, Akira-sama. Aber ich habe eine Aufgabe und die will ich erfüllen. Denn sonst habe ich nichts in diesem Leben…“

Peinlich berührt sah ich sie an. „Akari…“

Abrupt wandte ich mich ab. „Gehen wir. Ich bin spät dran.“

„Ja, Meister“, sagte der Oni und trat an meine Seite.
 

Drei Minuten später betraten wir das Haus. „Bin wieder da. Akari, bleibe bitte unsichtbar. Was brauchst du eigentlich so? Soll ich dir im Garten einen Schrein aufbauen oder geht auch ein eigener Raum?“

„Akira-sama? Kann ich nicht zu deinen Füßen wachen?“

Ich grinste schief. „Du bist immer noch ein Oni. Du wirst mit einem eigenen Zimmer vorlieb nehmen müssen.“

„Ich sehe, Ihr traut mir noch nicht. Und Ihr habt ja auch Recht, wenn ich solch eine Geschichte erzähle.“

„Willkommen zurück“, erklang Yoshis Stimme. Er trat auf den Gang und grinste mich an. „Die anderen sind schon wieder gegangen, ich soll dich schön grüßen. Und von Hina soll ich dir ausrichten, dass du gefälligst Morgen in die Schule kommst, sonst versohlt sie dir den Hintern.“

„Ha, ha. Das hat sie auch gerade gesagt.“

Yoshi zuckte mit den Schultern. „Stimmt, aber gemeint. Übrigens, du weißt schon, dass dir ein Dämon folgt, Akira?“

Entsetzt starrte ich ihn an. „Du kannst Akari sehen?“

„Akari? Hast du ihm einen Namen gegeben?“

„Dämon? Was?“, fragte Megumi und lugte auf den Gang hinaus.

„Schon gut“, sagte Yoshi. „Akira wird uns schon alles sagen, wenn er es für nötig hält.“

Der Junge tat cool, aber ich sah durchaus seinen wachsamen Blick, mit dem er den Maskenbewehrten Oni taxierte. Auch sein Stand zeugte von innerer Anspannung. Ich rechnete jede Sekunde damit, dass er los lief, um seinen Bogen zu holen.
 

Ich trat ins Wohnzimmer. Unsere Gäste waren wirklich schon weg, aber die Party ging anscheinend weiter. Makoto hockte wie ein Häufchen Elend zwischen Lilian und seiner großen Schwester. Immerhin durfte er nun wieder Männerkleider tragen. Aber vor den dreien auf dem Tisch lagen fünfzig Polaroid-Schnappschüsse von ihm in den diversen Outfits.

„Akira. Nun sag doch auch mal was. Findest du nicht auch, dass Mako in der Mädchenuniform zur Schule gehen sollte?“, empfing mich Sakura anstelle einer Begrüßung.

Lilian nickte dazu energisch.

Bevor ich antworten konnte, ruckte Makotos Kopf hoch. In seinen Augen blitzte es auf. Kurz fixierte er den Oni, dann aber die Tür zum Garten. Automatisch griff ich zum Griff meines Katanas.

Keine Sekunde später standen zwei Mädchen an der Tür, als hätte sie jemand hingezaubert.

Eines kannte ich nur zu gut. Blue Slayer. Die andere trug einen roten Rock. Red Slayer? Ihr war ich bisher noch nicht begegnet. Aber die langen, dunkelgrünen Haare würde ich mir merken.

„Dämon!“, rief Blue Slayer und fixierte exakt die Stelle, an der Akari gerade stand. „Ich werde dir nicht vergeben, dass du Akira-san zu deinem Opfer erkoren hast. Im Namen der Gerechtigkeit werde ich…

Ich zog mein Katana hervor und fixierte das rothaarige Mädchen.

„Genug!“, blaffte ich.

Die Frauen und Kei raunten leise, als ich Akari zunickte, und sie nun für jedermann sichtbar wurde. Aber das war mir egal. Früher oder später hätte ich sie sowieso vorstellen müssen.

„In diesem Haus bestimme immer noch ich, was passiert. Okay, solange mein Vater nicht da ist. Aber dieser Oni ist nun mein Diener und ich lasse nicht zu, dass Ihr ihm schadet.“

„Akira-san! Das ist ein Oni! Ein O-N-I! Ein Dämon! Man kann Dämonen nicht zu Dienern machen. Verdammt noch mal, ich und Red Slayer wollen dich retten!“

„Ich muß aber nicht gerettet werden, ja? Danke für den Versuch und danke für neulich. Aber heute ist das nicht nötig, ja, Blue Slayer?“
 

Ein Entsetzensschrei ließ mich herum fahren. Hatte sich Black Slayer etwa von hinten heran geschlichen und war gerade dabei, Akari zu attackieren?

Der Oni hatte seine Maske abgenommen und wieder im Gewand verstaut. Das hübsche weibliche Gesicht war von tiefer Röte verziert und die Augen schimmerten träumerisch und feucht. Sie hielt ihr Gesicht in beiden Händen und seufzte. „Ooohhh, diese Bilder. Sind sie von dem jungen Mann da? Die sind aber hübsch geworden. Ooohhh, was für eine herrliche Mode Ihr heutzutage habt.“

Sakura strahlte. „Ja, nicht? Er macht wirklich eine tolle Figur in allem, was wir ihm anziehen.“

„Äh, Sensei, du redest mit einem Oni“, warf Megumi ein.

„Mit einem Oni mit Geschmack“, erwiderte Sakura resolut. „Das ist mein kleiner Bruder. Er ist ja sooo süß in Frauenkleidern.“

Akari hockte sich an den Tisch.

Entsetzt sackte Kei nach hinten. „Ist die hübsch!“

„Tolle Bilder. Wirklich tolle Bilder“, schwärmte der Oni. „Hach, das ist so schön. Und dieses erst. Sind so kurze Röcke denn erlaubt?“

Sakura grinste bis zu den Ohren. „Aber ja, aber ja. Sind gut geworden, nicht? Und ich habe ja noch so viel mehr zum anziehen.“

„Hallo? Wir sind auch noch da. Wir wollten dich gerade bekämpfen“, beschwerte sich Blue Slayer.

Akari hörte gar nicht hin. „Ne, habt Ihr diesen niedlichen Burschen schon in einen Kimono gesteckt? Und sein Gesicht traditionell geschminkt und die Haare gemacht?“

Über Makos Gesicht huschte blanker Horror. „K-Kimono? Traditionell geschminkt?“

„Oh, jaaaa. Das sieht bestimmt gut aus“, rief Blue Slayer. Blue Slayer?

Sie stürzte mit an den Tisch. „Am besten einen mit Kirschblüten.“

„Du hast Geschmack“, stellte Akari fest. „Ein weißer Kimono mit roten Kirschblüten.“

„Du aber auch, Oni.“ Blue Slayer klatschte in die Hände. „Das will ich sehen, will ich sehen!“
 

Megumi erhob sich und verließ den Tisch.

„Na, wenigstens eine hier, die genügend Verstand hat und den Oni meidet“, meldete sich Red Slayer, die bereits nahe der Verzweiflung war, zu Wort.

„Nein“, erwiderte Megumi von der Tür, „ich habe so einen Kimono. Ich wollte ihn holen.“

Die Frauen und der Oni schrieen begeistert und auch Red Slayer bekam glänzende Augen.

Ich konnte mich einfach nicht entscheiden, ob ich lachen oder weinen sollte. Sicherheitshalber stützte ich meinen Kopf auf der Rechten ab und legte die Linke quer über den Bauch.

„Das ist also der wahre Horror, den ein Oni verbreiten kann“, hauchte Makoto leise. „Akira, hilf mir.“

Ich winkte ab. Nun noch einzugreifen wäre mein Todesurteil gewesen.
 

„Sei ein Mann und ertrage es, Mako, ja?“, sagte Yoshi leise. Er wandte sich Kei zu und flüsterte: „Bete. Bete, Junge, dass die Mädels nie auf die Idee kommen, etwas Ähnliches mit uns zu machen. Ich bin ja zum Glück ziemlich groß, aber du…“

Kei schluckte hart.

In diesem Moment ruckten die Köpfe aller Frauen in seine Richtung. Der kleine Hitzkopf wurde blass. „Äh, da fällt mir ein, ich habe noch eine dringende Arbeit an meinem PC zu erledigen. Danach gehe ich dann schlafen. Gute Nacht.“

„Wenigstens einer, der die Kurve gekriegt hat“, murmelte ich belustigt, während ich Kei hinterher sah.

Megumi kam, mit einem Kimono zurück, was die Mädchen mit Entzückenslauten kommentierten.

Ich ergriff Yoshi am Kragen, während die Frauen Megumi umlagerten. „Unsere Chance!“

„Wir lassen Mako hier zurück?“

„Er ist der Köder, der unser Entkommen sichert“, zischte ich. „Er wird es verstehen. Irgendwann wird er es verstehen.“
 

Eine halbe Stunde später, ich hatte mich umgezogen, saß ich mit Yoshi im Garten. Ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen wegen meinem Cousin. Aber mich beruhigte die Tatsache, dass ihm weniger die Frauenkleider und mehr das Gegängel durch Sakura zu schaffen machte.

„So, so. Du hast jetzt also einen Oni.“

„Was sollte ich machen? Futabe-sensei wollte ihn vernichten“, erwiderte ich.

„Ist es nicht das, was man normalerweise mit einem Oni macht?“, erwiderte Yoshi amüsiert. „Wie hast du Opa überhaupt besiegen können? Er spielt doch in einer ganz anderen Liga als wir zwei.“

„Vielleicht gibt es Oni, die man vernichten sollte. Aber ich denke… Halte mich für verrückt, aber ich will es mit Akari versuchen. Ich will ihr trauen. Vielleicht nützt sie uns ja auch mal, hm? Vielleicht können wir mit ihr ein paar Lehrer erschrecken.“

„Vielleicht kannst du sie auch zusammen mit deinem Hawk einsetzen“, brummte Yoshi.

Ich sah den Freund an. „An diese Möglichkeit habe ich überhaupt nicht gedacht.“

„Und? Wie hast du Opa nun besiegt?“

„Ich habe ihn nicht besiegt. Ich habe ihn überredet.“

„Muss eine gute Rede gewesen sein, wenn sie bis zum Gehirn des alten Dickkopfs durchgedrungen ist, Akira.“

„Wie man es nimmt. Sie hat zumindest gereicht.“ Nachdenklich sah ich in den Sternenhimmel. Wenigstens eine Sache hatte sich heute gut entwickelt. Akari war von den Mädchen angenommen worden, da war ich mir sicher.
 

Yoshi streckte sich neben mir aus. „Ich will da auch hoch.“

„Was?“ „Ich will da hoch. Mit dir und Makoto. Ich will einen Eagle steuern. Ich bin so gut im Bogenschießen, vielleicht ist der ArtillerieMecha genau das Richtige für mich.

Verdammt, ein Teil deines Lebens steht mir nicht offen, Akira. Ich will hier nicht nur den Spaß mit dir teilen, ich will dir auch bei den schweren Sachen zur Seite stehen. Kannst du das arrangieren?“

„Mal sehen, was ich oder Megumi da machen können“, erwiderte ich und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Es tat gut, Freunde zu haben.

„Akira?“ „Hm?“ „Was meinst du, wann ist es wieder sicher da rein zu gehen?“

„Keine Ahnung.“

„Dann kann das hier draußen eine lange Nacht werden“, seufzte Yoshi.

Ich grinste schief. „Mein Fenster zum Garten ist nur angelehnt.“

„Schummler“, kommentierte Yoshi mit einem dünnen Lächeln. „Meins auch.“

Wir lachten leise. Über uns glitzerten die Sterne. Merkwürdigerweise war ich sehr zufrieden. Vielleicht zu zufrieden…



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Erzsebet
2007-12-03T20:34:29+00:00 03.12.2007 21:34
Herrlich, überraschend, komisch, spannend, mehr passende Adjektive fallen mir grad nicht ein, wenn ich mich nicht wiederholen möchte.
Oh ja, an Kämpfen gibt es in diesem Kapitel ja einiges - den von Yoshi detailliert erzählten Kampf in der Schule, der Schwertkampf Akiras gegen die Motoradgang, die gegen die Yakusas und schließlich der Kampf um den Oni. Beeindruckend, wie detailliert du das gemacht hast und das ganze Fachvokabular.

Die Geschichte des Oni war dagegen plötzlich wie zwei Seiten eines anderen Mangas, die irgendwie zwischen eine Komödie geraten sind, aber auch wenn sie ganz anderes sind, paßt es doch. Und spätestens als der Oni in Begeisterungsstürme über die Fotos von Makoto in Mädchenkleidung gerät sieht man, daß Akari ganz assimiliert wurde. Wirklich sehr gekonnt gemacht.

Fazit: hat mir wirklich sehr gut gefallen, war zum großen Teil wirklich sehr komisch, aber auch spannend, rührend und schaurig (ah, sind mir doch noch ein paar andere Adjektive eingefallen ,-)

Schöne Grüße von Erzsebet - bis zum nächsten Mal.
Von: abgemeldet
2007-01-26T09:47:48+00:00 26.01.2007 10:47
*imer noch vor lachen am Boden lieg*
Von: abgemeldet
2005-05-02T17:27:40+00:00 02.05.2005 19:27
Hier bin ich wiede!! *____*
Favo dieses Kap.: ONI! Ganz klar!!
*schwärm*
>.< Sie ist einfach ZU süß...
Von:  Carnidia
2005-02-09T20:38:48+00:00 09.02.2005 21:38
Cool! Einfach nur Cool! Der arme Mako ... er tut mir echt leid ... und der Oni ist einfach nur süß. Spitze!
Morgen wird weiter gelesen, ohne Rücksicht auf Verluste!
^.^v
Von: abgemeldet
2005-01-15T21:01:04+00:00 15.01.2005 22:01
Wow!!!!
Das is einfach nur wow!!!
Genial geschrieben und die Welt ist so rwealisrisch aufgebaut!
Ich würd mich echt freuen wenn du weiter schreibst und mir bei nen Chappy Update ne ENS schickst!
Bye Angel of Sins


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