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Cake & Scissors

Diary of a mad girl
von

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Entry 1

„Schwester! Schwester, kommen Sie schnell! Emilie hat schon wieder eines der Jungen angegriffen!“

Ich nahm die Stimme der jüngeren Schwester des Waisenhauses gar nicht mehr wahr. Ich sah zu dem Jungen runter, der sich unter Tränen die blutende Hand hielt. In meiner zitternden Kinderhand die eine Schere, die ich der Schwester aus dem Nähkasten entwendet habe. Er hatte es aber provoziert, oder? Sie sahen nie, wie mich die anderen Kinder verhöhnten und mich beschimpften. Ich konnte nichts dafür. Mich hatte niemand gefragt, hier zu sein.

Ich spürte, wie mir die oberste Schwester die Schere aus der Hand riss und mich an dem roten, mit Locken durchgezogenen Schopf, den ich meine Haare nannte, packte und mich von dem Jungen wegzerrte.

„Emilie, was hast du wieder angerichtet?“ Die darauffolgenden Schläge waren bereits zur Gewohnheit geworden. Sie taten schon gar nicht mehr weh. Ich war es gewohnt. Er hätte auch einfach den Mund halten können.

„Was willst du überhaupt hier? Deine Eltern haben dich sicher abgegeben, weil sie dich nicht wollten! Du wirst nie richtige Eltern finden!“ Hätten die Schwestern mich nicht aufgehalten, ich weiß nicht, wozu ich fähig gewesen wäre. Aber war es meine Schuld? Ich denke nicht. Ich war ein Kind.

Die Schwestern erzählten mir als ich alt genug war, dass mich jemand in einer dunklen, verschneiten Nacht auf die Schwelle des Waisenhauses gelegt hatte. Derjenige oder diejenige hielt es anscheinend nicht mal für nötig, mich in die Babyklappe zu legen. Wahrscheinlich hätten sie am liebsten gewollt, dass ich in der Kälte erfriere. Aber meine Schreie hatten die Stille so durchzogen, dass die Schwestern mich fanden und ins Waisenhaus aufnahmen.

Sie dachten, ich wäre ein einfaches Kind. Spätestens als ich acht Jahre alt wurde, merkten sie, dass ich das nicht war. Von wegen, die Schwestern im Waisenhaus ziehen die Kinder mit Liebe und Geduld groß. Kein Wunder, dass ich so war wie ich war. Von klein auf war ich eines der Kinder, das die meisten Schläge einstecken musste. Jeder andere kam mit seinen Schandtaten immer wieder durch aber ich...ich musste nur einen Keks aus der Keksdose geklaut haben, schon rissen sie mir wieder an den Haaren und schlugen mich so hart ins Gesicht, dass ich mir wünschte, ich würde sterben. Frustrierte, alte Frauen, die in ihrem Leben nichts erreicht hatten oder von ihren Männern sitzen gelassen wurden und ihre letzten Jahre in einem Waisenhaus fristen, nur um ihren angestauten Frust an uns Kindern auszulassen. An mir hatten sie einen Narren gefressen. Sie wussten, dass die meisten Familien an mir vorbeigingen und mich mieden als wäre ich ein Kadaver einer toten Katze auf der Straße. Wenn sie mich ansahen, sahen sie den Teufel auf meiner Schulter sitzen.

Ich sah Kinder ins Heim kommen und mit glücklichen Augen an der Seite ihrer neuen Eltern gehen. Tagein, tagaus beobachtete ich sie, während ich meinen Puppen die Haare abriss und und ihnen die Köpfe abdrückte.

Ich wurde leider in eine Zeit geboren, in denen nur Menschen das Wissen zugänglich war, wenn sie in Wohlstand lebten. Leider konnte ich davon bis ich acht Jahre alt wurde nicht profitieren.

Ich hatte damit abgeschlossen, ein liebevolles Elternpaar zu finden. Gab es doch mal ein Paar, das sich für mich interessierte, strafte ich sie mit Ignoranz. Ich glaubte nicht an die Liebe der Eltern. Es war doch alles eine Farce. In jenem Moment verstellten sie sich, nur um einem Kind ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern, im nächsten Moment musste ich vielleicht damit rechnen, wieder ins Heim zu müssen, weil ich ihnen zu anstrengend war oder ich vielleicht ihrem geliebten Haustier mit der Schere ein Auge ausgestochen habe.

Ich verstellte mich und begann mich mit dem Gedanken abzufinden, jemals ein Elternpaar für mich zu finden. Ich würde lieber alleine bleiben und eines Tages aus diesem Folterhaus ausbrechen wenn ich alt genug bin. Doch meine Einsamkeit sollte nicht von langer Dauer sein.
 

Es war an jedem schicksalhaften Tag als diese Familie in mein Leben trat. Ich hatte gerade das achte Lebensjahr durchschritten und wie jedes Jahr kein Geschenk und keinen Kuchen bekommen. Ich saß schweigend auf meinem Bett und hatte den zerrupften Teddybären so feste an mich gedrückt, als ob er mein Leben wäre. Viele Kinder warteten auf die Ankunft der heutigen, vielleicht zukünftig werdenen Eltern.

Es dauerte nicht lange, da traten sie ein. Eine Familie ähnlicher als die andere. Wie heuchlerisch sie alle waren. Als ob sie wirklich genug Platz zum spielen hätten. Alles Lügen! Zumindest dachte ich das. Ich hatte die Hoffnung längst aufgegeben. Man sagt, die Hoffnung stirbt zuletzt. Bis zu jenem Augenblick flackerte sie noch wie das Licht einer Kerze, die kurz davor ist zu erlöschen. Dann erblickte ich aus dem Augenwinkel einen Schatten, der sich zu mir runterbeugte und eine Stimme ertöhnte, die wie eine süße Melodie aus dem Himmel klang.

„Hallöchen, kleines Fräulein. Darf ich fragen, wie du heißt?“

Ich blickte mit großen Augen hoch und sah in das Gesicht eines Engels. Und so war auch meine Reaktion als ich den wunderschönen jungen Mann mit dem edlen Gehstock ansah.

„Bist du...ein Engel?“

Der Mann blickte verwundert drein, lächelte dann aber gütig. „Nein, ich bin kein Engel. Aber deine Worte schmeicheln mir. Junges Fräulein, darf ich nochmal fragen, wie du heißt?“

Ich war wie in seinen Bann gezogen. Ich habe viele Menschen in das Waisenhaus kommen und gehen sehen aber keiner war je so schön und ohne Makel gewesen wie dieser Mann.

„Emilie, Sir. Mein Name ist Emilie.“

Er setzte sich zu mir auf das Bett, um mit mir auf Augenhöhe zu sein und legte den Gehstock beiseite. „Emilie, das ist wirklich ein wunderschöner Name. Emilie, mein Name ist Andreas. Sag mir, die Schwestern sagen, dass du bisher keine Familie finden konntest. Kannst du mir sagen, woran das liegt?“

Wollte er mich testen? Ich sank immer mehr zusammen und würdigte ihn keines Blickes. „Keine Sorge, du kannst es mir sagen. Hab keine Angst.“ Ich schaute vorsichtig aus. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass ich ihm vertrauen konnte.

„Es ist nicht meine Schuld! Die anderen Kinder...sie hassen und beschimpfen mich! Sie sagen andauernd, dass ich besser sterben sollte weil mich eh niemand haben möchte! Sie sollen alle ruhig sein!“ Ich spürte, wie ich einknickte. Dann fühlte ich die sanfte Berührung dieses Mannes auf meinem zierlichen Handgelenk.

„Emilie, möchtest du hier raus? Möchtest du eine Familie haben? Du müsstest nie wieder Angst haben.“ Mein Blick war voller Hoffnung als ich den Worten des Engels lauschte. Ich presste den Teddybär an mich.

„Kriege...kriege ich auch Schokokuchen? Heute...heute wäre mein Geburtstag. Aber ich habe wieder nichts geschenkt bekommen.“

Der Engel fuhr mit einer Hand durch mein Locken und mein Blick war auf ihn gerichtet. „So viel Schokokuchen, wie du essen kannst.“

In meinem kleinen Herz glimmte der Docht einer Kerze, die gerade erloschen war, wieder auf. Gab es doch noch Menschen mit einem guten Herzen? Ich beobachtete, wie der Engel zu der obersten Schwester sprach und sie allen ernstes noch versuchte, ihn davon abzuhalten, mich zu nehmen, da ich so anstrengend sei. Sie machte nicht mal Halt davor zu sagen, dass ich bereits mehrere Kinder verletzt hätte. Ich dachte, das würde den Engel abschrecken. Doch mit seiner Antwort, die folgte, hatte ich nicht gerechnet.

„Emilie ist noch ein Kind. So, wie ich das sehe, wurde sie keiner vernünftigen Erziehung unterzogen, woran sie keine Schuld hat, sondern nur Sie und ihre Schwestern alleine! Dieses Kind braucht keine harte Hand, sondern Menschen, die sie lieben, wie sie ist.“

Die Schwester versuchte sich verzweifelt rauszureden. Anscheinend hatte er die Blessuren an meinen Armen und meinem Gesicht gesehen. Der Engel ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen, selbst als die Schwester ihm noch einmal ins Gewissen reden wollte, ob er seine Entscheidung, mich zu adoptieren, nicht nochmal überdenken wollte. Seine Antwort stand fest.

„Wir haben uns entschieden. Wir nehmen Emilie.“

Als die Formalitäten erledigt waren, konnte ich es immer noch nicht fassen. Meine Augen füllten sich nach Jahren des Wartens mit Tränen der Freude als der Mann auf mich zukam und mir die Hand entgegenstreckte.

„Komm, Emilie. Komm zu mir!“

Ich ergriff vorsichtig seine Hand und spürte zum ersten Mal ein Feuer. Ein Feuer, das Liebe und Fürsorge versprach. Ein Leben in Glück. Ich sah zu dem Mann auf.

„Mein Engel...ist wunderschön.“ Ich bekam die Worte fast kaum hervor, ein Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet, doch der Engel lachte und nahm mich hoch auf den Arm. „Dann bin ich eben dein Engel.“

Wir wollten gerade das Waisenhaus verlassen, da hielt ich ihn nochmal zurück. „Moment! Wir können erst gehen, wenn sie mir meine Violine wiedergegeben haben! Sie haben sie mir weggenommen, nachdem ich den ersten Jungen verletzt hatte. Sie ist mein Ein und Alles! Bitte, ich brauche sie!“

Der Engel schaute erstaunt drein. „Oh, du bist also musikalisch begabt? Erstaunlich! Keine Sorge, wir holen deine Violine!“

Und so war es auch. Nachdem ich den kleinen Violinenkoffer mit der darin enthaltenden Violine, die ich als einziges Geschenk erhalten hatte, weil ich mich schon immer für Musik begeistern konnte, zurückbekommen hatte, traten wir nach draußen und obwohl der Tag trüb war, sah ich das erste Mal die Sonne für mich scheinen.



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