Zum Inhalt der Seite

Tokyo Bay

Neustart
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 11
 

Dieser Duft… Dieser Duft kräftig blühender Kirschblüten…

Haruka zog sich die Decke weiter über den Kopf. Ihr Handywecker hatte sie unbarmherzig aus ihren Träumen gerissen. Fast jede Nacht der letzten Woche war sie gedanklich bei ihrem Engel gewesen. Und fast jeden Morgen sehnte sie sich zurück zu der türkishaarigen Schönheit. Doch wie immer blieb ihr keine andere Wahl, als unter genervtem Gestöhne ihr Handy auszustellen und sich aus dem Bett zu quälen. Sie schleppte sich ins Bad und je wacher sie von der Morgendusche wurde, desto weiter entfernte sich die Erinnerung an ihren Traum.

In der Schule angekommen lief sie langsam auf den Eingang des Schulgebäudes zu. Auch wenn sie dem Original nicht so nahe kommen würde, wie der Violinistin in ihrem Traum, war ihr die reale Michiru mit den realen türkisblauen Augen und dem realen Kirschblütenduft am liebsten. Zu Boden blickend atmete Haruka tief durch und begann gedankenverloren zu lächeln. Erst als sie die Stufen zum Schuleingang erreicht hatte, sah sie auf und erkannte zu ihrer Überraschung eben dieses Türkis, an das sie schon das ganze Wochenende über gedacht hatte. „Guten Morgen, Geburtstagskind.“, grinste Michiru und gab der Blondine einen Kuss auf die Wange. „Michiru?!“ „Ich wollte dich überraschen, und damit deinem Geburtstagsgeschenk nichts passiert, hat mich meine Mutter heute mal zur Schule gebracht.“, erklärte die Künstlerin und hielt ihrer Mitschülerin eine kleine Torte entgegen. Verblüfft hob die Leichtathletin die Brauen. Die junge Violinistin konnte offensichtlich nicht nur ausgezeichnet kochen, sondern auch noch backen. Das von ihr präsentierte Gebäck hatte sie offenbar mit Marzipan verkleidet und so erkannte Haruka auf den ersten Blick die Miniaturausgabe eines Flügels, um den filigran ein paar dünne Marzipan-Rosenblüten drapiert worden waren. Mit einem „Wow!“ nahm ihr die Rennfahrerin den Teller mit der Leckerei ab, um das Kunstwerk von allen Seiten betrachten zu können. Sie drehte und wendete es und aus jedem Blickwinkel schien es ein Meisterwerk zu sein. Erst nach einigen Momenten des Staunens sah die Blondine wieder zu ihrer Freundin. „Und den hast du gebacken? Für mich?“, fragte sie skeptisch und bekam ein verlegenes Nicken zur Antwort. Mit einem breiten Grinsen beugte sich Haruka vor und gab ihrer Mitschülerin ihrerseits einen Kuss auf die Wange. „Vielen Dank, mein Engel. So viel Mühe hat sich seit Jahren niemand mehr wegen meines Geburtstages gemacht. Um ehrlich zu sein, hätte ich nicht geglaubt, dass dieses Jahr überhaupt jemand daran denkt. Ich hätte es ja selbst fast vergessen.“, lachte die Athletin schließlich. Michiru legte sich zunächst ein Rotschimmer auf die Wangen, doch als sie die letzten Worte der Läuferin verarbeitet hatte, sah sie betroffen zu ihr auf. „Aber es ist doch dein Geburtstag…“, dachte sie laut nach. „Wie könnte dich jemand vergessen?“ „Ist egal. Ich hab ja dich. Und dass du an mich gedacht hast, ist alles, was für mich zählt.“, stellte die Blondine mit bedrückter, aber sich aufhellender Miene klar. Nach einem weiteren kurzen Kuss auf die Wange ihrer Schönheit machte sich Haruka auf den Weg in das Klassenzimmer. Dort angekommen, stellte sie ihr Geschenk auf ihrem Tisch ab und sah wieder zu der Violinistin. „Woher hast du nur so viel Talent?“, fragte sie kopfschüttelnd. Dann hockte sie sich hin, um das Kunstwerk weiter zu bestaunen. „Ach was, das ist doch nicht der Rede wert. Meine Mutter hatte früher oft gebacken. Von ihr habe ich meine künstlerische Ader…“, erklärte Michiru verlegen und spielte gedankenverloren mit einer türkisfarbenen Haarsträhne, die ihr ins Gesicht gefallen war. >Und noch ein paar Dinge mehr…< Sie schrak kurz auf, als Kikyo und Junko den Raum betraten und neugierig auf Haruka zueilten. „Was ist das denn für eine Skulptur, Haruka-san? Sag bloß, die hast du selbst gemacht?“, wollte die Klassensprecherin wissen. „Nein, diese wunderbare kleine Torte hat mir Michiru geschenkt.“ Die beiden dunkelhaarigen Schülerinnen sahen staunend zu der Künstlerin. „Wie bitte? Das ist eine Torte? Womit hast du dir die denn verdient?“, fragte Junko und beugte sich bewundernd weiter vor, um die Rosenblüten genauer zu betrachten. „Michiru hatte wohl gemeint, mein Geburtstag wäre ausschlaggebend genug.“ Wieder errötete die Streicherin.

Plötzlich wurde Haruka gleich von vier Armen umschlossen. „Du hast Geburtstag?! Das wussten wir doch gar nicht!“, jubelte Kikyo. Dann wandte sie sich an Michiru. „Und du hast es gewusst und uns nichts gesagt?“, tadelte sie ihre junge Mitschülerin gespielt empört, stellte sich gleich darauf jedoch neben sie und legte ihr einen Arm auf die Schulter. „Wann feiern wir das Ganze?“ Die Geigerin wurde abermals ganz verlegen. Mit Kikyo hatte sie nie viel zu tun gehabt und sie war sich sicher, dass ihr Haruka von ihrer sinnlosen Eifersucht erzählt hatte. Also atmete sie langsam ein und aus und versuchte ihren Herzschlag zu beruhigen.

„Naja, eine Feier war eigentlich gar nicht geplant… Aber wenn ihr nichts vor habt, würde ich euch Drei heute gern auf ein Eis nach der Schule einladen?!“, schlug Haruka vor. „Eis essen? Hört sich gut an!“, meinte Junko und Kikyo zwinkerte vielsagend Michiru zu: „Oder lieber einen Crêpe. Für Eis ist es ja eigentlich noch zu kalt.“, woraufhin die gerade erst blasser gewordene Gesichtsfarbe auf den Wangen der Streicherin wieder kräftiger wurde. „Na gut. Ihr sucht das Café aus und wir treffen uns dann da. Ich würde euch ja gern alle mit nehmen, aber ich habe nur einen zweiten Helm.“, stellte Haruka fest und die Klassensprecherin grinste wieder zu Michiru, um deren Schultern sie immer noch ihren Arm gelegt hatte. „Und wir wissen alle, wem dieser Helm gehört.“ Haruka erkannte, wie unangenehm ihrem Schützling diese Anmerkungen waren und überlegte, wie sie vom Thema ablenken könnte. „Haruka-san, wann schneidest du endlich den Kuchen an?“, unterbrach sie Junko in ihren Gedanken. Auch ihr war die Verlegenheit der Malerin aufgefallen. Anders als ihre beste Freundin fand sie diese kleinen Sticheleien gar nicht lustig. „Eigentlich ist dieses Kunstwerk ja viel zu schön, um es einfach so zu verschlingen… Allerdings läuft mir von dem Duft schon das Wasser im Mund zusammen. Wenn du nichts dagegen hast, werden wir dein Meisterwerk in der Frühstückspause verputzen?!“, grinste die Sportlerin mit angehobenen Brauen ihrem Engel zu, der zwar immer noch verlegen aber längst nicht mehr so errötet dastand und lächelnd nickte.

In der Pause wanderte die kleine Gruppe, zu der sich auch Katashi gesellt hatte, also in die Cafeteria und Haruka lieh sich aus der Küche ein Messer, mit dem sie vorfreudig ihr Geburtstagsgeschenk anschnitt. Kikyo hatte darauf bestanden, alles mit ihrem Handy auf Bild festzuhalten und ließ dementsprechend auch von einem jüngeren Schüler ein Gruppenfoto schießen. Gezielt schubste sie Haruka auf Michiru zu und forderte sie auf, ihr dankbar einen Arm um die Taille zulegen. Man solle schließlich auch noch in Jahren den Sinn des Bildes erkennen können. Dann drehte sie sich um und hockte sich neben Junko und Katashi, der schon seit einer gefühlten Ewigkeit den Kuchen freudestrahlend in die Kamera hielt. Auch die Blondine ging nun etwas in die Hocke, winkelte ein Bein an, zog die Künstlerin zu sich hinunter und setzte sie darauf ab. In dieser Position war die Violinistin nun ein wenig größer, sodass Haruka aufsah und ihr mit den Worten „Vielen Dank, mein Engel!“ einen weiteren Kuss auf die Wange hauchte. Verträumt lehnte Michiru ihren Kopf gegen den der Pianistin, die gedankenverloren mit geschlossenen Augen den Duft ihres Schützlings einatmete. Augenblicklich vergaß das Paar, wo es sich befand. So fiel den beiden nicht auf, wie sich Junko, Katashi und Kikyo erhoben und die Klassensprecherin heimlich noch ein weiteres Bild schoss. Seufzend lehnte sie anschließend ihren Kopf gegen Junkos Schulter, die ihrerseits, nachdem sie die Blicke der anderen Schüler bemerkt hatte, ihre Mitschülerinnen aus ihrer Welt zurück holte. „Vielleicht sollten wir noch ein richtiges Gruppenfoto machen.“, wisperte sie in ihre Richtung und die Leichtathletin sah fragend auf. „Foto?“, überlegte sie abwesend. Nur nach und nach registrierte sie, dass sie sich mit ihrem Engel immer noch in der Schule befand. Michiru sah verlegen zu ihr rüber und flüsterte nur „Foto…“, um sich dann schleunigst wieder zu erheben und ihrer Haruka auf die Beine zu helfen. „Ja, natürlich… ein Foto…“

Den restlichen Tag über erwischten Junko und Kikyo ihre Freundinnen immer wieder dabei, wie sie einander verstohlene Blicke zuwarfen. Schließlich machten sie sich aus, sich in einem kleinen Café in der Innenstadt zu treffen. Auf dem Schulhof verabschiedeten sie sich voneinander und die beiden dunkelhaarigen Mädchen machten sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Katashis Bedauern, seinen beiden hübschen Mitschülerinnen nicht Gesellschaft leisten zu können, weil er noch einen Termin hatte, stand ihm ins Gesicht geschireben.

Nach einer halbstündigen Fahrt erreichten Haruka und Michiru die Innenstadt und der Rennprofi schob sein Visier nach oben. Als Haruka zaghaft ihre Hände auf denen der Violinistin ablegte, öffnete die Künstlerin ihre Augen. Langsam richtete sie sich auf und legte nun ihrerseits ihr Kinn auf der Schulter der Läuferin ab. Ein Weilchen genossen sie nur die Nähe der jeweils Anderen, bevor sich Haruka vorsichtig löste. Sie hängte ihre Helme über den Lenker ihrer Yamaha. Dann griff sie wieder nach den Händen ihrer Schönheit. Ihren Kopf lehnte an den ihres Engels, der sich daraufhin noch dichter an die Leichtathletin kuschelte.

„Ich dachte, ihr wolltet schon mal vorgehen? Oder seid ihr jetzt erst angekommen? Ganz schön lahm für einen Rennprofi.“, ertönte Kikyos Stimme und riss Michiru aus ihren Gedanken. Abermals errötend wollte sie vom Motorrad rutschen, wurde jedoch immer noch fest gehalten. Haruka rührte sich kein Stück. Sie grinste nur: „Mit diesem wundervollen Beifahrer hinter mir kann ich doch nichts riskieren! Rennprofi hin oder her.“ Sanft schob sie ihre Hand unter Michirus Linke und half ihr elegant von der Maschine, um dann selbst abzusteigen, umzufassen und ihre Finger mit denen der Künstlerin zu verschränken. Noch einmal lächelte sie ihr in die türkisfarbenen Augen, bevor sie sie charmant in das naheliegende Café führte.

Bei Gesprächen über Musik, Lob für Michirus Backkünste, Auswertungen über Hiros und Narumis neuste Dreistigkeiten und viel Schwärmerei über das fantastische italienische Eis ging die Zeit schnell um, sodass sich Kikyo und Junko bald von ihren Mitschülerinnen verabschiedeten. Etwas verwirrt nahm die Violinistin ein Zwinkern der Klassensprecherin zur Kenntnis, als diese sie zum Abschied umarmte. Als Haruka jedoch endlich bezahlt hatte und wieder die Hand ihrer Schönheit nahm, vergaß sie ihre Gedanken und schlenderte lächelnd zurück zum Motorrad der Rennfahrerin. „Hast du es eilig oder würdest du mir noch ein wenig von deiner Zeit schenken?“, säuselte die Blondine in einer verführerischen Stimmlage. „Was hast du denn noch vor?“ Michiru bekam nur ein Zwinkern zur Antwort und sprach schließlich weiter: „Ich denke, Hotaru wird sicher nicht allzu enttäuscht sein, wenn ich noch nicht gleich nachhause komme.“

Auf einer Brücke in der Bucht von Tokio angekommen drosselte Haruka ihre Maschine und kam schließlich an der Stelle zum stehen, die sie ihrem Schützling schon vor über einer Woche gezeigt hatte. Michiru wartete nicht länger, nahm sich ihren Helm ab, hängte ihn an den Lenker, an dem die Blondine gerade ihren eigenen befestigt hatte, nahm lächelnd die Hand ihrer Mitschülerin und zog sie sanft aber bestimmt hinter sich her zur Brüstung. Dort angekommen sah Haruka zu ihr herüber. Sie erkannte den ihr vertrauten Rotschimmer auf den Wangen der Schönheit.

Kurz schrak die Künstlerin auf, als sie spürte, wie sich Haruka von ihr löste, doch dann schloss sie leise seufzend die Augen, als sich ihr zwei starke Arme um Taille und Bauch legten. Versunken in dem zarten Duft nach Kirschblüten vergrub die Blondine ihr Gesicht in dem türkisfarbenen, gewellten Haar ihres Engels. Michiru drückte sich ihrerseits weiter in die Umarmung hinein. Lächelnd bemerkte sie die kräftigen und schnellen Herzschläge der jungen Rennfahrerin. „Fühlt sich an, als würde mir dein Herz gleich entgegen springen. Mache ich dich nervös?“ Sanft strich Michiru Haruka über den Arm, woraufhin sich die Umklammerung um ihren Bauch noch fester zog. „Als ob du das nicht wüsstest. Aber dein Herz rast mindestens genauso schnell.“ Gemeinsam sahen sie dem Sonnenuntergang entgegen. Langsam wanderten Michirus Hände nach oben und legten sich in den Nacken der Athletin. Ihre Finger kraulten zaghaft durch das kurze, blonde Haar ihrer Mitschülerin. Verträumt reckte sich die Blondine der Berührung entgegen, was die Künstlerin schmunzeln ließ. Zufrieden mit dem Resultat ließ sie ihre Arme sinken und legte sie auf denen der Sportlerin ab. „Hey! Nicht aufhören.“, bettelte Haruka leise und drückte sich wieder dichter an ihren Schützling. „Pscht, du verpasst es noch.“, säuselte die Schönheit über ihre Schulterhinweg. Sie wartete auf den grünen Schimmer, der immer aufleuchtete, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwand.

Schweigend standen die beiden noch einen Moment ruhig da, bis sich Michiru langsam in der Umarmung umdrehte und der Pianistin in die Augen sah. Ein eisiger, vom Meer stammender Windzug erinnerte sie abermals an die Jahreszeit. Grinsend legte ihr Haruka erneut ihr Jackett um. „Vielleicht sollte ich mir langsam mal eine zweite Jacke einpacken.“, flüsterte die Blondine und schloss ihre Mitschülerin wieder in ihre Arme. „Das solltest du.“

„Ich danke dir, mein Engel.“, wisperte die Leichtathletin und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. Nachdenklich legte Michiru ihre Stirn in Falten und sah ihr, ohne sich weiter als nötig von ihr wegzudrücken, in die strahlendgrünen Augen. Sie erkannte eine gewisse Traurigkeit in dem Blick ihres Gegenübers, die sie dazu veranlasste, ihre Arme in Harukas Nacken zu legen und sie weiter zu sich herunter zu ziehen. Ihr wollten nicht die richtigen Worte einfallen, also versuchte sie, all ihre Wärme in diese Umarmung zu legen.

Nach einer Weile ließ die Rennfahrerin ihre Arme weiter nach unten wandern und noch ehe sie sich dagegen wehren konnte, wurde die Künstlerin von ihr hochgehoben. Überrascht sah Michiru hinab in ein breites Grinsen. „Ich schätze, ich muss dich jetzt mal langsam nach Hause bringen. Sonst bekomme ich noch Ärger mit deiner Schwester.“, zwinkerte die Blondine und trug die Geigerin zu ihrem Motorrad.

Michiru klammerte sich, noch immer perplex, an der Fahrerin fest und war schon ein bisschen enttäuscht, als sie nach gut einer viertel Stunde Fahrtzeit ihre Straße erreichten. Mit einem „Bis morgen, Engel.“ und einem Kuss auf die Wange, der ihre Lippen nur auffallend knapp verfehlte, verabschiedete sich die Sportlerin und rauschte nach einem letzten Zwinkern davon.
 

„Naa, hast du dein Herzblatt gestern noch heil nach Hause gebracht?“, grinste Kikyo breit ihre Mitschülerin an, die schon vor dem Schuleingang wartete. „Herzblatt?“, schmunzelte Katashi, der fast zeitgleich mit den beiden dunkelhaarigen Mädchen eintraf. „Hab ich was verpasst?“ Die Blondine seufzte resignierend. „Nicht mehr als die anderen beiden.“

Die nächsten Tage waren für Haruka stressig. Erst musste sie durch die halbe Stadt fahren, um ihren Mietvertrag zu unterschreiben und dann musste sie auch noch eine komplette Wohnungseinrichtung zusammenstellen. Zum Glück war sie nun volljährig und konnte über ihr ererbtes Vermögen verfügen. Also hatte sie keine Schwierigkeiten damit, ein großes und ausgesprochen teures Möbelhaus damit zu beauftragen, das von ihr gewünschte Mobiliar bis zum Wochenende in ihr Penthouse liefern zu lassen.

Erschöpft ließ sie sich am Mittwochabend auf ihr Bett in ihrem Hotelzimmer fallen und schloss ihre Augen. Irgendwie konnte sie den morgigen Tag kaum erwarten. Sie würde endlich auch wieder nach der Schule Zeit mit ihrem Engel verbringen. Als sie an ihre letzte Lernstunde mit der schönen Künstlerin dachte, schlich sich ein Lächeln auf Harukas Lippen. Bis zum Abend mit Michiru nur auf einer Bank sitzen und die Zweisamkeit genießen… Sie seufzte zufrieden und drehte sich auf die Seite. Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie noch immer die sanften Lippen spüren, die am Montagmorgen ihre Wange berührt hatten. So nahe waren sie sich auf der Brücke gekommen… Noch ehe sie einschlief, verlor sich Haruka in ihren Träumen und schaffte es gerade noch, ihre Schuhe abzustreifen, bevor sie weiter ins Bett kroch und ihrer Müdigkeit erlag.
 

Wie jeden Morgen eilte Michiru über den Schulhof und wie nicht anders zu erwarten war, stand Haruka bereits vor dem Eingang des Schulgebäudes und lächelte ihr mit einem sanften „Guten Morgen.“ entgegen. „Guten Morgen.“, erwiderte die Violinistin ihrerseits.

„Was macht die Wohnung?“ „Alles bestens. Am Samstag komme ich endlich aus diesem Hotel raus und ziehe in mein eigenes Reich.“ Höflich hielt ihr Haruka die Tür des Geschichtsraumes auf.

Die ersten beiden Stunden vergingen schnell, obwohl Frau Ogata nicht sehr erfreut war, zu hören, dass Haruka ihre Hausaufgaben vergessen hatte. Glücklicherweise war Michiru ihre Lieblingsschülerin und konnte die gereizte Lehrerin schnell wieder besänftigen. „Danke.“, zischte ihr die Blondine nur leise zu und bekam dafür ein Zwinkern zurück.

Eigentlich war die Rennfahrerin ja froh, endlich einen festen Freundeskreis gefunden zu haben. Jedoch musste sie feststellen, dass Katashi nicht gerade sehr aufmerksam war und deshalb gerne mal versehentlich die romantische Stimmung zwischen ihr und ihrem Engel verdrängte. Und obwohl sie von Junko für ihre Sticheleien des Öfteren tadelnde Blicke bekam, konnte es sich Kikyo nicht verkneifen, Michiru hin und wieder zweideutige Bemerkungen zu zuwerfen und sie damit in Verlegenheit zu bringen.

Insgesamt war Haruka also erleichtert, als sich ihre Freunde in der Pause von ihr und ihrer jüngeren Mitschülerin verabschiedeten. Hand in Hand schlenderten sie zum Parkplatz und begaben sich schließlich zum Sportunterricht. Einige Mädchen hatten sich immer noch nicht an die Anwesenheit der androgynen Blondine in der Umkleide gewöhnt, weshalb diese auch bei der Erwärmung auf der Laufbahn ihr Grinsen nicht aus dem Gesicht bekam. Am Ende der Doppelstunde klopfte ihr der Sportlehrer anerkennend auf die Schulter. „Alle Achtung, Tenoh-san. Bestzeiten. Schade, dass sie nur noch bis März hier sein werden. Sie könnten unserer Schule bei den Leichtathletik-Wettbewerben im Sommer viel Ruhm einbringen…“ „Tut mir leid, Fukami-Sensei. Ich habe nicht vor, länger als nötig die Schulbank zu drücken.“, zwinkerte die Athletin und verabschiedete sich in die Umkleide. Bevor sie diese, frisch geduscht und umgezogen, wieder verließ, warf sie den wenigen Mädchen, die ihre Blicke immer noch nicht von ihr lösen konnten, noch ein paar Spitzen zu.

Michiru war völlig geschafft. Frau Ogata hatte ihr heute so einiges abverlangt, um zu testen, wie ihre Chancen beim nächsten Schwimmwettbewerb stehen würden. Erschöpft legte sie ihre Sachen auf einer Bank ab und streckte sich. In diesem Moment fuhr die rote Yamaha auf den Parkplatz, von der eine viel zu energiegeladene Haruka abstieg und ihr entgegen stolzierte. „Wie kannst du nur nach zwei Stunden Sport immer noch so wach aussehen?“, wunderte sich die Violinistin, machte sich Platz und setzte sich auf die Bank. Grinsend ließ sich auch die Läuferin nieder. Nachdem die Künstlerin kurz gezögert hatte, ließ sie sich sanft gegen die Größere kippen, die sofort einen Arm um sie legte. „Macht es dir was aus, wenn wir heute nicht lernen?“ Haruka schüttelte seufzend den Kopf. „Ganz wie du willst. Von mir aus können wir einfach hier sitzen bleiben.“ Erschöpft schloss die Schwimmerin ihre Augen.

Nach einigen Minuten sah sie wieder auf und legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Sag mal, Haruka…“, begann sie zögerlich, „du hast gesagt, du bist nach Tokio gezogen, weil du mit deinem Team nicht zurecht bekommen bist…“ Haruka sah ihr fragend in die Augen und vorsichtig sprach die Streicherin weiter: „Warum noch? Ich meine, du hättest doch einfach austreten können. Ich verstehe nicht, warum du es vorgezogen hast, ganz allein in eine fremde Stadt zu ziehen. Noch dazu in ein Hotel.“ Haruka atmete tief ein und zog ihre Mitschülerin wieder sanft in die Lehne und unter ihren Arm zurück. „Es ist nicht so leicht für mich…“, sprach sie langsam. „Ich habe dir doch erzählt, dass meine Eltern bei einem Unfall gestorben sind und meine Schwester und ich zu unserem Onkel Hikaru gesteckt wurden…“ Sie richtete sich auf und sah der Geigerin durchdringend in die Augen. „Michiru, was ich dir jetzt erzähle, weiß außer dir, mir und Hikaru niemand. Und ich möchte auch, dass es so bleibt, okay?“ Sie wartete auf Michirus zaghaftes Nicken. „Hikaru hat mich nie akzeptiert. Er wollte nie verstehen, warum ich so bin, wie ich nun mal bin. Wir haben uns vom ersten Augenblick an nur gestritten. Schon als meine Eltern noch lebten, hat er versucht, mich zu verändern. Während er meine Schwester wie eine Tochter geliebt hat, hat er mich dafür gehasst, dass ich nicht in seine Welt gepasst habe.“ Michiru schüttelte nachdenklich den Kopf. „Wie meinst du das? Er hat versucht, dich zu verändern?“ Haruka blickte zu Boden. „Weißt du… Eigentlich… Es wird dir ja sicher schon aufgefallen sein, dass ich…

Ich war nie ein typisches Mädchen, okay? Meine Eltern haben das voll und ganz akzeptiert. Auch wenn mein Vater mich hin und wieder mal auf den ein oder anderen Jungen aufmerksam gemacht hat… Ich bin mir sicher, sie wussten, dass ich mich schon immer nur für Mädchen interessiert habe. Für sie war es nie ein Problem, dass ich lieber auf der Rennbahn war, anstatt shoppen zu gehen und eher anderen Mädchen als irgendwelchen Jungs nachgesehen habe. Aber Hikaru konnte das nicht verstehen. Er hat mich nur angebrüllt. Und als meine Schwester nach ihrem Abschluss auszog…

Als er mich mit einem Mädchen in meinem Zimmer erwischt hatte, schmiss er sie raus. Ich hätte eigentlich damit gerechnet, dass sie ihn anzeigt, aber er hatte sie wohl zu sehr eingeschüchtert. Und dann kam er zurück in mein Zimmer und wollte mir diesen ‚Unsinn‘ austreiben. Es war nicht das einzige Mal. Er hat mich oft verprügelt, aber mit der Zeit habe ich dazu gelernt und mittlerweile kann ich ihm wohl fast die Stirn bieten…

Darum bin ich abgehauen. Nach Neujahr ging er auf eine Geschäftsreise. Also habe ich meine Sachen gepackt und bin hierhergekommen. Meinen Namen habe ich auch geändert, damit er mich nicht finden kann. Und weil ich es nicht ertrage, den gleichen Namen zu tragen wie er.“

Haruka schrak kurz zusammen, als Michiru nach einem Moment der Stille ihre Hand nahm und sie sanft auf ihren Schoß zog.

„Warum hast du ihn nicht angezeigt? Warum bist du nicht zur Polizei gegangen?“ Haruka schüttelte energisch den Kopf. „Ich konnte nicht. Ich wollte nicht… Wieso hätte man mir glauben sollen? Was wäre passieren, wenn sie mir geglaubt hätten?! …

Vielleicht war es auch nur Trotz… Trotz und Stolz, nicht einzugestehen, dass ich mit ihm nicht fertig wurde, dass ich Hilfe brauchte…“ Michiru wollte protestieren, doch sie sah in die betrübten grünen Augen und spürte, dass Haruka einfach nur zufrieden war, dass der Alptraum ein Ende gefunden hatte.

„Es tut mir unendlich leid, was du in deinem Leben schon alles durchmachen musstest…“, sprach sie sanft. Haruka drehte sich auf der Bank, um ihr nun gegenüberzusitzen. „Es tut gut, jemanden zu haben, der einfach zuhört.“, erklärte sie ruhig, gab ihrer Mitschülerin einen Kuss auf die Stirn, lehnte sich zurück und zog Michiru in eine Umarmung.

Bis zur einsetzenden Dämmerung lagen sie, jede in ihren eigenen Gedanken versunken, schweigend beieinander. Schließlich setzte sich Haruka vorsichtig wieder auf und kündigte langsam die Heimreise an. Irgendetwas war anders. Die Sportlerin war immer noch hilfsbereit und rücksichtsvoll, doch Michiru erkannte Trauer, Wut und Enttäuschung, die das Stahlen ihrer Augen zu unterdrücken schienen. Vor ihrer Wohnung trat sie auf die Fahrerin zu, legte ihr zärtlich eine Hand auf die Wange und sah sie durchdringend an. „Ich kann mir wohl kaum vorstellen, wie es für jemanden sein muss, nicht in einer Familie aufzuwachsen, die einen liebt und für alles Verständnis hat, aber es war richtig, dich jemandem anzuvertrauen. Ich danke dir dafür. Und ab morgen arbeiten wir daran, das Grün in deinen Augen wieder zum Strahlen zu bringen.“, lächelte sie sanft und entlockte damit der Blondine ebenfalls ein zaghaftes Lächeln. „Gute Nacht, Haruka.“, flüsterte sie und gab der Athletin einen zarten Kuss auf die Wange.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: Tidus17
2015-12-24T15:16:15+00:00 24.12.2015 16:16
Ein ruhiges Kapitel und Aufklärung vom letzten Kapitel XD
bin gespannt wann es mal richtig zur Sache kommt bei den beiden in Sachen küssen und so.
Von:  xXxMephistoxXx
2015-09-22T22:47:39+00:00 23.09.2015 00:47
Freut mich das es schon weiter geht 😃
Schönes Kapi
Lg Mephi
Von:  fahnm
2015-09-21T21:44:43+00:00 21.09.2015 23:44
Schönes Kapitel
Mach weiter so^^


Zurück