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Tokyo Bay

Neustart
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Wie ich bereits in einem Kommentar erwähnte, wird dieses Kapitel möglicherweise ein wenig Verwirrung stiften ;)
Das ist beabsichtigt und Unklarheiten werden im nächsten Kapitel sicher wieder beseitigt :P Komplett anzeigen

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Kapitel 12
 

„… und dann noch diese blöde Hausarbeit in Psychologie! Nur weil ich ein Mal die Hausaufgaben nicht hatte. Toll, das Wochenende kann ich wohl vergessen. Morgen Haruka-san…“, beschwerte sich Kikyo, als sie gemeinsam mit Junko und Katashi den Eingang des Schulgebäudes erreichte.

Erst als Michiru zu der kleinen Gruppe stieß, hellte sich Harukas Miene etwas auf. Ihre Vergangenheit, von der sie jetzt so viel freigegeben hatte, nagte an ihr. Also kam ihr die für sie fast schon entspannende Doppelstunde Musik gerade gelegen. Michiru versuchte ihr gelegentlich aufmunternde Blicke zu zuwerfen, doch so richtig schien sich ihre Mitschülerin nicht von ihren Gedanken befreien zu können. Deshalb schlug die Violinistin vor, sich von dem Rest der Gruppe zu trennen und so verbrachten sie sowohl die Frühstücks- als auch die Mittagspause allein.

„Ich habe eine Idee.“, grinste Michiru kurz vor Beginn der letzten Unterrichtsstunde, nachdem sie die ganze Pause über vergebens versucht hatte, die Rennfahrerin auf andere Gedanken zu bringen. Diese sah nun fragend auf und warf den Rest ihres Apfels zielsicher über ihre Schulter hinweg in einen Mülleimer. „Ich zeige dir Tokio. Also nicht ganz Tokio, dafür bräuchten wir ja ewig… Aber einen Teil. Was hältst du davon?“, schlug die Streicherin vor.

Haruka überlegte kurz, begann dann jedoch zu lächeln und nickte „Klar. Wieso nicht. Allerdings werde ich morgen in meine Wohnung ziehen… Aber Sonntag wäre gut.“, antwortete sie und bei dem Gedanken an einen ganzen Tag mit Michiru wurden ihre Gesichtszüge endlich wieder weicher. Glücklich über die Reaktion stand Michiru auf und reichte der Athletin die Hand. „Sehr gut. Also Sonntag. Hol mich gegen zehn ab. Dann haben wir den ganzen Tag. Jetzt komm aber. Wir sollten langsam zu Mathe. Ich kann dich nicht jedes Mal bei Ogata-sensei raus hauen.“
 

>Sehr zuverlässig. Aber bei dem Preis…<, dachte Haruka, als sie ihre neue Wohnung betrat. Die meisten Möbel waren bereits geliefert worden und standen an ihren Plätzen. Ihren Helm legte sie auf einer Kommode direkt vor dem Fahrstuhl ab, um sich dann einen Überblick über ihre Zimmer zu verschaffen. Küche und Bad hatte sie von dem Vormieter übernommen, also führte ihr erster Weg in den Raum mit der Wendeltreppe zum Dach. Regale für Bücher und Vitrinen für ihre Pokale. Irgendwie wirkte alles recht leer. >Was soll´s?...< mit einem Schulterzucken machte Haruka Kehrt und schlenderte ins Wohnzimmer. Hier war schon mehr zu sehen. Die dunkle Sofalandschaft hätte für eine ganze Großfamilie Platz geboten. Davor stand ein breiter Sofatisch und an der Wand gegenüber befand sich ein dunkles Medienregal mit breitem Flachbildfernseher und einer Surround-Anlage, bei deren Anblick sich ein Grinsen in Harukas Gesicht schlich. In der anderen Raumhälfte war der Essbereich mit einem schweren Holztisch und dazu passenden aber moderneren Stühlen. Im Schlafzimmer fand Haruka ein französisches Bett mit zwei Nachtschränken - >Vielleicht bekomme ich ja doch mal Besuch…< – und einen für Haruka eigentlich viel zu großen Kleiderschrank. Auf dem Balkon standen bis jetzt nur zwei Liegen, aber um hier zu essen oder sich auf ein Glas Wein am Abend raus zu setzten, war es sowieso noch zu kalt. Haruka stütze sich auf dem Geländer ab, sog tief die kalte Luft ein und schloss die Augen. Eine Zeit lang stand sie still da und genoss den Wind, der ihr ins Gesicht blies. Mit einem leisen Seufzer sah sie noch einmal in die Ferne.

Wieder im Wohnzimmer leerte sie ihren Rucksack, zog sich ihre Jacke über und schlug den Weg zum Fahrstuhl ein. Für dieses Wochenende würde sie sich ein Auto leihen müssen. Also mietete sie sich die weiße Sportausführung eines Honda Civic, holte ihr Gepäck aus dem Hotel und checkte aus.

Am nächsten Morgen traf sie die bestellten Möbelpacker vor ihrem gemieteten Lagerraum. Sie verstaute ihre wichtigsten Sachen (hauptsächlich Spielkonsolen und DVDs) in ihrem Auto und begann kurze Zeit später mit dem Einrichten der Wohnung. Erschöpft fiel sie abends ins Bett und schaffte es noch gerade so, ihren Wecker für den nächsten Tag zu stellen.
 

Aufgeregt tippelte Michiru vor ihrem Schrank von einem Fuß auf den anderen. Es war das erste Mal, dass sie Haruka nicht in Schuluniform treffen würde. Skeptisch warf sie noch einen Blick nach draußen. Für Anfang Februar war es schon ziemlich warm, aber sie wollte auch nicht wieder frühzeitig nach Hause müssen, weil ihr kalt wurde. Zögerlich griff sie nach einem hellen Sommerkleid, einem breiten, beigefarbenen Gürtel, einer schwarzen Leggins und ihrer braunen Kunstlederjacke und legte alles auf ihr Bett. Auf ein leises Klopfen antwortete sie mit einem nachdenklichen Brummen, woraufhin Setsuna das Zimmer ihrer Stieftochter betrat. „Guten Morgen, Michiru. Du bist schon auf? Ich dachte, Haruka würde erst in zwei Stunden kommen.“ „Was hältst du davon?“, fragte Michiru mit hochgezogenen Brauen und in Richtung ihres Outfits nickend. Setsuna verschränkte die Arme vor ihrer Brust und sah abwechselnd zwischen dem Bett und der Künstlerin hin und her. Schließlich lächelte sie: „Ich denke, das passt. Ich leihe dir meine braunen Booties. Die sollten zur Jacke passen.“
 

Nervös lehnte Haruka an ihrem Auto und trommelte mit ihren Fingern gegen den Lack. Sie war viel zu früh dran. Abermals ließ sie ihren Blick am Gebäude vor ihr nach oben wandern. Schließlich stieß sie sich schwungvoll vom Wagen ab. Ein Blick auf die zahlreichen Klingelschilder verriet ihr die richtige Etage.

Im vierten Stock angekommen zögerte sie. Sie sah noch mal auf die Uhr ihres Handys. >Ob sie schon fertig ist? … Was würde sie in zehn Minuten noch großartig machen müssen?<, dachte sie sich, atmete noch einmal tief durch und betätigte entschlossen die Klingel. Hinter der Tür war aufgeregtes Getrappel und ein leises „Verdammt… Sag ihr, ich bin gleich da!“ zu hören. Haruka lauschte einen Moment, bis plötzlich die Tür aufgerissen wurde und ein Mädchen mit dunklen Haaren aus der Wohnung lugte. „Guten Morgen, Haruka-san. Chiru-chan ist gleich fertig. Sie ist nur noch mal im Bad.“, begrüßte die Kleine die ihr fremde Blondine. Dann wurde sie von ihrem Vater zurückgedrängt. „Taru-chan, das war unhöflich. Guten Tag, mein Name ist Kaioh Toshio. Ich bin Michiru-chans Vater.“, stellte sich der Mann mit dunkelbraunem Haar vor und reichte der Schülerin die Hand. „Tenoh Haruka.“, stellte sie sich vor, nahm den Handschlag an und verbeugte sich knapp, „Freut mich, Sie kennenzulernen. Und du musst Michirus kleine Schwester sein, Hotaru-chan. Richtig?“ Grinsend beugte sich Haruka zu der Jüngeren herunter. „So klein bin ich gar nicht mehr.“, schmollte diese, grinste dann aber frech zurück und griff nach Harukas Hand. „Komm ruhig rein, Haruka-san. Mama und ich backen gerade und Chiru-chan braucht garantiert wieder ewig.“ „Übertreib nicht immer so, Taru-chan! Ich bin ja schon fertig.“, ertönte plötzlich Michirus Stimme. Harukas Augen weiteten sich, als sie die Schönheit in ihrem Sommerkleid im Flur herum stolpern sah. Schwankend schlüpfte die Violinistin in die bereitgestellten Schuhe, schnappte sich ihre Jacke und Handtasche, bevor sie sich grinsend mit einem „Guten Morgen! Du bist zu früh.“ Haruka zuwandte. Die Sportlerin stand reglos in der Tür. Langsam ließ sie ihren Blick am Körper der Streicherin nach unten und wieder nach oben wandern. Bevor Toshio die Starre der Blondine bemerken konnte, boxte ihr Hotaru leicht in die Seite. Verwirrt räusperte sich die Läuferin und fand ihre Stimme wieder „Ja, guten Morgen. Ich weiß. Ich hoffe, das macht dir nichts aus…“, stammelte sie und bedankte sich bei Hotaru mit einem kaum sichtbaren Nicken. Die grinste daraufhin: „Na dann, viel Spaß ihr Zwei.“ und verschwand in der Küche. „Danke. Bis später. Bis heute Abend, Mama!“, rief ihr Michiru nach. Dann drückte sie sich an ihrem Vater vorbei in den Hausflur. „Pass auf dich auf, mein Schatz.“, seufzte Toshio, bevor ihm seine Tochter die Tür vor der Nase verschloss.

Erleichtert atmete Michiru aus. Dann grinste sie in das Gesicht ihrer Mitschülerin und schlenderte mit einem „Können wir?“ zum Fahrstuhl. Einen kleinen Moment brauchte Haruka noch, um die Worte zu verstehen. Schließlich folgte sie der Geigerin. „Ich dachte, du nimmst immer die Treppe. Ich mein, so außer Atem, wie du neulich warst.“, meinte sie, als sie auf den Lift warteten. „Ja, eigentlich tue ich das auch. Das Ding braucht eine halbe Ewigkeit und in den vierten Stock kommt man über die Treppe viel schneller. Aber wir haben ja Zeit.“, lächelte die Malerin und betrat den kleinen Raum, dessen Tür sich mit einem leisen 'Ping' geöffnet hatte. Haruka musste hart schlucken, als sie Michiru dabei zusah, wie sie sich die Jacke überzog und elegant ihr Haar auflockerte, das ihr nun in Wellen über ihre Schultern viel.

Auf der Straße angekommen sah sich Michiru suchend um. „Ich habe ein Auto gemietet. Wenn ich bitten darf.“, antwortete die Rennfahrerin, ohne gefragt zu werden, und öffnete ihrem Engel hilfsbereit die Wagentür des Civics. Dankend stieg Michiru ein. „Und? Wo soll´s hin gehen?“, fragte Haruka, als sie sich hinters Steuer gesetzt hatte. „Ich schlage vor, wir verschaffen uns erst mal einen Überblick. Also zum Tokyo Sky Tree. Fahr einfach los, ich sag dann schon, wo wir lang müssen.“
 

Elegant drehte Haruka das Lenkrad mit einer Hand, um den Wagen geschmeidig in eine Tiefgarage zu lenken. Mit dem Fahrstuhl gelangten die beiden Schülerinnen wieder an die Erdoberfläche. Kurz darauf sah die Rennfahrerin staunend an Tokios höchstem Gebäude empor. Michiru hingegen hatte nur Augen für die vielen Schaufensterläden des Plaza-Einkaufszentrums. Neugierig eilte sie von einem Fenster zum nächsten. „Willst du doch lieber Shoppen gehen?“, grinste Haruka breit und trat mit einem skeptischen Blick an ihren Schützling heran, der grade die neuste Sommermode begutachtete. „Ja, äh, was? Ich meine, willst du denn?“ „Naja, vielleicht solltest du dich erst mal auspowern, bevor wir uns irgendwelche Sehenswürdigkeiten ansehen. Also klar. Wieso nicht?“, zuckte die Leichtathletin und grinste noch mehr, als sie das Funkeln in den Augen der Malerin erkannte.

Zum ersten Mal in ihrem Leben schlenderte Haruka freiwillig durch ein Einkaufszentrum. Die verschiedenen Läden interessierten sie zwar kaum und die Klamotten noch viel weniger, aber die Begeisterung ihrer Mitschülerin brachte auch sie zum Lächeln. Mittlerweile betraten sie den zweiten Laden und als Michiru in einer Umkleide verschwunden war, sah sich die Blondine genauer um. Die Marken sagten ihr überhaupt nichts. Normalerweise war sie auch andere Preisklassen gewöhnt, und was die Qualität betraf, erkannte sie große Unterschiede zu ihren eigenen Sachen. Sie ließ ihren Blick zu den Umkleidekabinen schweifen. Vor jeder einzelnen Tür warteten mindestens vier Kunden und auch sonst war offensichtlich das ganze Einkaufszentrum überfüllt. Nachdem sie kurz überlegt hatte, zog sie ihr Handy aus der Tasche und suchte im Internet nach einer Adresse.

„Irgendwie ist das nicht so das Wahre…“, bemerkte eine etwas enttäuschte Michiru plötzlich hinter ihr. „Ich weiß auch nicht… Vielleicht finde ich oben eher was. Wie sieht´s bei dir aus?“ „Mir ist noch was Besseres eingefallen.“, grinste Haruka und griff nach der Hand ihres Schützlings. Schnellen Schritts erreichten sie wieder die Tiefgarage.
 

Überrascht sah die Künstlerin kurze Zeit später an einem großen Gebäude empor. „Das Takashimaya? Haruka, das ist viel zu teuer! Hier kostet ein Oberteil mindestens genau so viel wie ein ganzes Outfit im Plaza. Das kann ich mir nicht leisten.“, erklärte sie enttäuscht, doch Haruka lächelte nur kopfschüttelnd. „Mach dir darum mal keine Gedanken. Ich lade dich ein. Ich hab mehr als genug Geld auf der hohen Kante, also kann ich dir ruhig mal was Gutes tun. Und wehe, du widersprichst jetzt! Lass uns erst mal nachsehen, ob dir überhaupt etwas gefällt.“ Die Sportlerin fest und unterband damit jede Widerrede.

Das Edeleinkaufszentrum Tokios war in der Tat nicht so überfüllt, wie der Touristenmagnet am Tokyo Sky Tree und schon im ersten Geschäft erkannte Michiru die Unterschiede zu den Sachen, die sie sich sonst aussuchte. Fast schon eingeschüchtert schlich sie -Hand in Hand mit Haruka- durch die Gänge und traute sich nicht, sich etwas genauer umzusehen. „Was hältst du davon?“, fragte die Blondine und nickte in Richtung einiger Sommerkleider. Sie bemerkte den verträumten Blick ihrer Begleiterin, der offensichtlich einem hellblauen, leichten Kleid mit zarten, dunkelblauen Verzierungen und einem dunkelblauen Band in der Taille galt. Also nahm sie das Kleidungsstück vom Haken und hielt es der Violinistin vor. Michiru zögerte noch kurz, nahm es dann jedoch in die Hand und verschwand mit einem Lächeln in der nächsten Umkleidekabine.

Sprachlos stand ihr Haruka gegenüber, als die Künstlerin wieder heraustrat. „Es ist fantastisch… Meinst du nicht auch?“, äußerte die Malerin glücklich Sie drehte sich ein Mal um die eigene Achse und begutachtete sich selbst in einem großen Spiegel. „Wie viel kostet es? Siehst du das Preisschild?“, fragte sie vorsichtig, woraufhin Haruka an sie heran trat. Gezielt griff sie nach dem Schild und riss es vorsichtig ab. „Darum kümmere ich mich schon. Ich schenke es dir.“, flüsterte sie, umschloss Michirus Taille und legte ihr Kinn auf deren Schulter ab. „Das kann ich nicht annehmen, Haruka!“, seufzte die Geigerin und sah in dem Spiegelbild der Rennfahrerin durchdringend in die Augen. Doch die erklärte schlicht: „Das wirst du müssen. Ich kaufe es und mir selbst wird es nicht passen.“ Dann ließ sie ihren Blick durch das Geschäft wandern. „Wir müssen dir noch die passenden Schuhe suchen.“

Breit grinsend nickte Haruka etwas später in Richtung eines Cafés in der Mitte des Centers: „Wie sieht´s aus? Das Mittagessen haben wir verpasst, aber für ein Eis ist es noch nicht zu spät. Ich könnte mich auch wirklich mal irgendwo hinsetzen. Shoppen gehen bin ich echt nicht gewöhnt.“ „Bist du nicht? Das hätte ich nicht gedacht. So gezielt, wie du mich durch die Läden rangiert hast…“, lächelte Michiru und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und hinter ihr Ohr. >Gott, was sieht sie umwerfend aus…<, dachte sich Haruka und bemerkte zunächst nicht, wie sich die Schönheit langsam von ihr entfernte. „Woran denkst du eigentlich, wenn du so vor dich hin träumst? Wolltest du nicht mitkommen?“, fragte die Violinistin und kam noch mal ein paar Schritte zurück, um ihre Mitschülerin, der sich mittlerweile ein Rotschimmer auf die Wangen geschlichen hatte, an die Hand zu nehmen. „Ach, das erzähle ich dir irgendwann mal. Warst du hier schon mal?“, wich ihr die Sportlerin aus und rückte ihr hilfsbereit einen Stuhl zurecht. „Als ich klein war, sind meine Eltern hier schon mal mit mir einkaufen gegangen. Aber das ist lange her und eigentlich ist mir das ganze Center auch zu teuer. Und wo wir schon beim Thema sind… Ich fühle mich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass du so viel Geld für mich ausgegeben hast. Das muss ich irgendwie wiedergutmachen können. Wenn ich irgendwas für dich tun kann, dann sag es mir bitte!“ „Na gut, ich merke es mir vor. Einverstanden?“, schmunzelte Haruka und zog eine Eiskarte aus ihrer Halterung. Michiru nickte lächelnd.

Eigentlich verlief der Tag etwas anders als geplant, wirkliche Sehenswürdigkeiten hatte Haruka noch nicht zugesicht bekommen und als sie das Einkaufszentrum gemeinsam mit Michiru und beladen mit drei Einkaufstüten verließ, setzte bereits die Dämmerung ein. Trotzdem hätte sie sich den Ausflug mit ihrem Engel kaum schöner vorstellen können. „Hm, wenn wir noch auf den Sky Tree wollen, müssen wir jetzt Karten holen. Hoffentlich ist es nicht mehr so überfüllt…“, sprach Michiru mehr zu sich selbst und sah der Rennfahrerin dabei zu, wie sie ihren Einkauf im Kofferraum verstaute. „Dann sollten wir uns beeilen.“, grinste diese breit und hielt Michiru die Beifahrertür auf.

Die Eingangshalle Tokios höchsten Gebäudes war immer noch sehr voll, aber die wenigsten Besucher standen noch für Karten an. Die Mehrheit stand schon in langen Schlangen vor den Fahrstühlen. Die beiden Schülerinnen ergatterten noch Tickets für die letzte Fahrt des Tages um kurz vor acht. „Bis dahin haben wir noch über zwei Stunden… Was kann man hier noch machen? Ich meine, außer shoppen?“, fragte Haruka. Michiru begann zu lächeln. „Es gibt hier noch ein Aquarium. Wenn du möchtest, können wir uns da die Wartezeit verkürzen.“ Zu Harukas Überraschung zückte die Malerin schon eine Jahreskarte für das Sumida Aquarium aus ihrem Portemonnaie.

Verträumt beobachtete die Künstlerin kurze Zeit später die exotischen Fische in ihrem Lieblingselement und wurde ihrerseits von Haruka beobachtet. „Du bist wohl öfter hier?!“, unterbrach die Sportlerin sie in ihren Gedanken. „Ja, das Wasser ist eben mein Element. Manchmal bin ich ein bisschen neidisch, wenn ich sehe, wie diese wundervollen Wesen durch ihre ganz eigene Welt schweben.“, antwortete Michiru fast flüsternd. Die Leichtathletin erkannte sofort die Sehnsucht im Blick ihres Schützlings. „Das kann ich gut verstehen. Mir geht es ähnlich, wenn ich sehe, wie ein Vogel nur seine Flügel ausbreitet und einfach so in den Himmel fliegt.“, erklärte sie fast ebenso leise und sah wieder auf das große Becken, in dem gerade langsam und elegant ein großer Channa vorbeischwamm. „Eigentlich sind sich Fische und Vögel gar nicht so unähnlich. Sie lassen sich einfach von ihrem Element tragen. Du hast recht, sie sind wirklich zu beneiden…“ Nachdem jede eine Zeit lang in ihrer eigenen Welt versunken war, nahm Michiru wieder die Hand ihrer Mitschülerin. „Na los. Ich will dir noch die anderen Becken zeigen.“, lächelte sie und schlenderte mit Haruka vorbei an unzähligen kleineren Aquarien mit bunten Süßwasserfischen, an großen Becken, in denen unterschiedliche Quallen ihre Bahnen zogen, bis hin zum großen Pool der Pinguine. Begeistert beobachtete Haruka, wie die an Land tollpatschigen Vögel ins Wasser tauchten und zu perfekten Schwimmern wurden. „Sie sind ein bisschen wie ich. Findest du nicht?“, bemerkte Michiru und sah erwartungsvoll auf. „Was ihren Schwimmstil betrifft, kann ich dir vermutlich recht geben. Ich meine, ich habe dich noch nicht im Wasser gesehen, aber du schwimmst sicher genauso elegant. Aber was ihre Tollpatschigkeit an Land betrifft, muss ich dir widersprechen. Da bewegst du dich doch viel graziler. Selbst wenn du ins Stolpern kommst, wie heute Morgen beim Schuhe Anziehen.“ Die Künstlerin hielt Harukas Blick schmunzelnd stand. „Und egal wie süß Pinguine auch sind, an dich reichen sie bei Weitem nicht heran.“, fügte die Athletin zwinkernd hinzu. Noch breiter grinste sie, als Michiru verlegen zurück zu den Tieren sah.

Abrupt sah die Malerin wieder auf und zog die Blondine in Richtung des größten Aquariums. „Das ist mein Lieblingsbecken.“, erklärte sie knapp, als ein großer Hai friedlich vorüber schwebte. „Da kann ich mich nur anschließen.“, antwortete Haruka, deren Blick einem Manta folgte. „Rochen sind im Meer meine Lieblinge. Sie scheinen zu fliegen und mit ihren Flügeln zu schlagen. Meinst du nicht auch?“, bemerkte sie, woraufhin sich Michiru nur schweigend gegen sie lehnte.
 

Um kurz vor acht war die Eingangshalle des Sky Tree war nur noch halb so voll. Haruka und Michiru betraten einen der vier Fahrstühle, dessen Wände mit kupferfarbenen Kirschblüten verziert war. Nach kurzer Zeit hielt der Aufzug in 350 Metern Höhe. Langsam schritt die Blondine auf die große Glasscheibe zu. Sanft ergriff Michiru wieder die Hand der Rennfahrerin und zog sie mit den Worten „Von oben hat man noch einen viel schöneren Ausblick.“ wieder zurück. Mit einem weiteren Fahrstuhl, der in blaues Licht getaucht war, fuhren sie weitere 100 Meter nach oben, wo Michiru ihre Mitschülerin dann endlich zur Glaswand führte. Die Sonne war längst unter gegangen, und so erleuchtete Tokio in unzähligen Lichtern. „Wahnsinn!“, brachte Haruka hervor. Sie versuchte zu begreifen, wie weit sich die Stadt erstreckte. „Beeindruckend, was?“, grinste Michiru, lehnte sich gegen das Geländer und deutete in die Richtung vor ihr: „Da hinten liegt Tokyo Bay.“ Haruka lächelte. Sie trat hinter ihren Schützling, legte ihre Arme um dessen Taille und flüsterte: „Schade, dass man nicht so weit sehen kann.“ Die Violinistin schmiegte sich wortlos in die Umarmung und merkte, wie ihr Herz wieder kräftiger schlug, als sie den Atem der Blondine an ihrem Hals spürte. Sie atmete tief ein und aus und nach einem kurzen, leisen Seufzer drehte sie sich in der Umarmung um.

Augenblicklich ließ sie sich von dem strahlenden Grün fesseln, das ihr zunächst überrascht, doch dann irgendwie warm aber durchdringend entgegenblickte.

Haruka versank sofort in leuchtendem Türkis und drückte sich langsam und sanft gegen die junge Künstlerin, die nun mit dem Rücken an das Geländer lehnte. „Unglaublich, wie deine Augen in diesem violetten Licht hier oben noch mehr zu funkeln scheinen… Du hast mich vorhin gefragt, woran ich immer denke, wenn ich vor mich hin träume… Ich denke nur an dich.“, flüsterte die Sportlerin. Vorsichtig kam sie dem Gesicht der Schönheit noch näher. Zärtlich legte ihr Michiru eine Hand auf die Wange. Haruka tat es ihr gleich und grinste leise: „Da ist sie wieder. Die bezaubernde Röte auf deinen Wangen. Ich glaube, daran werde ich mich nie satt sehen können.“ „Haruka- … Ich… Du machst mir immer solche Komplimente… Ich meine…“, stammelte die Künstlerin. Nachdem sie erneut tief eingeatmet hatte, sprach sie weiter: „Und ich kann mich nicht an diesem strahlenden Grün sattsehen. Lass das Leuchten in deinen Augen nie mehr verschwinden, okay?“ „Solange ich meinen Engel so ansehen kann, wird das Leuchten bleiben.“, flüsterte die Blondine und lehnte ihre Stirn gegen Michirus. Langsam reckte die Malerin ihr Kinn nach oben und schloss ihre Augen. Sie bekam eine Gänsehaut, als sie Harukas warmen Atem auf ihrem Gesicht spürte und lächelte noch mehr, als sich ihre Nasenspitzen berührten. Schließlich fühlte sie eine zärtliche Berührung ihrer Lippen, sanft wie ein warmer Sommerwind.

Endlich wollte sie dem Verlangen nachgeben, doch plötzlich wurden sie und Haruka aus ihrer Zweisamkeit gerissen. „So viel Romantik hätte ich dir gar nicht zugetraut, Touma.“ Michiru sah fragend auf. Harukas Miene hatte sie verfinstert. „Super Timing, Kawashima!“, knurrte die Blondine, als sie sich langsam umdrehte, um Hiro in seine fast schwarzen Augen blicken zu können. „Tut mir leid, Touma. Wollte dich nicht bei dem Versuch stören, Michiru-san klarzumachen.“ „Ich versuche gar nichts.“, zischte Haruka zurück. „Nicht? Ach, hast du aufgegeben? Ist nicht so leicht rumzukriegen, wie die Möchtegernmodells aus Nagoya, was?“ Haruka ballte ihre Fäuste. „Wovon zur Hölle sprichst du?“ Hiro bekam nicht die Zeit, selbst zu antworten. Erst als sie sich zu Wort meldete, bemerkte Haruka, dass Hiro nicht allein war. „Das weißt du ganz genau, du Heuchlerin! Du hast gesagt, Hiro wäre nicht gut genug für Michiru-san. Du hast gesagt, sie ist zu gut für uns. Dabei bist du selbst die arroganteste und draufgängerischste Aufreißerin überhaupt! Du hast keinerlei Respekt vor Frauen!“ Narumi schritt auf Haruka zeigend an Hiro vorbei. „Wie viele Herzen hast du gebrochen, Touma Haruka?“ Die Brünette ließ einen verachtenden Blick an der Blondine hinauf wandern.

Haruka schnaubte. „Was ist eigentlich euer Problem?! Was soll das?! Ich habe meinen Namen nicht grundlos geändert!“ Mit einem kleinen Schritt überwandte Haruka den Abstand, der zwischen ihr und Narumi lag. Die wurde augenblicklich von Hiro zurückgezogen, der die Schultern straffte. Seine dunkelbraunen Augen starrten direkt in Harukas grüne. Die Athletin atmete tief ein, bevor sie leise fortfuhr: „Höre ich diesen Namen nur noch ein einziges Mal, wirst du im Dreck landen, Kawashima!“ „Das würde ich zu gerne sehen.“, fauchte Hiro zurück. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, stieß er Haruka gegen ihre Schultern. Sofort waren zwei Sicherheitsleute des Sky Tree zur Stelle und stellten sich zwischen die jungen Erwachsenen. Unverzüglich mussten die Schüler in getrennten Fahrstühlen zurück in die Eingangshalle fahren.

Immer wieder spähte Haruka über ihre Schulter zurück. Hiros Stimme hallte ihr nach. Aber Michiru dirigierte sie sicher in Richtung der Tiefgarage. „Reg dich bitte nicht auf, Haruka. Ist doch alles nur Schwachsinn, und das weißt du auch. Lass dieses Geschwafel nicht an dich heran. Ich weiß, dass du anders bist und dass die Medien alles hoch gepusht haben. Ignorier sie einfach, okay?“ Die Leichtathletin setzte sich schnaubend ins Auto und starrte betrübt aufs Lenkrad. „Sie hat recht, Michiru. Ich war früher wirklich so. Keine war vor mir sicher und die Medien haben nur geschrieben, was wirklich passiert ist. Ich war arrogant und eitel. Keine hat es lange mit mir ausgehalten. Und weißt du, was das Schlimmste daran ist? Das kam mir gerade gelegen. Ich selbst wollte sie ja nie für eine zweite Nacht. Ich wusste jedes Mal, dass ich das Mädchen am nächsten Morgen allein zurücklassen würde. Ich bin jedes Mal ohne ein weiteres Wort verschwunden. Hara-san hat recht. Ich bildete mir ein, ich wäre zu gut, um eine Frau länger zu halten. Selbst im Vergleich zu Kawashima bin ich ein Ekel, selbstverliebt und verachtenswert.“, fluchte sie vor sich hin. Erneut schnaubte die Blondine.

Vorsichtig nahm Michiru Harukas Hand und sah sie durchdringend an. „Mir ist egal, was sie sagen. Mir ist egal, was alle sagen. Ich weiß, wie du wirklich bist. Du bist mir gegenüber immer so höflich und charmant. Du nimmst mich in Schutz und sorgst dich um mich. Du bist kein Ekel! Haruka, du bist ein liebenswerter Mensch. Jeder trägt etwas in seiner Vergangenheit, auf das er nicht stolz ist, aber du hast dich doch geändert! Du bist nicht mehr so wie früher in Nagoya. Dass du jetzt anders bist und deine Fehler bereust, zeigt deinen wahren Charakter.“ Endlich sah Haruka sie an.

„Ich glaube, ich sollte dich langsam nach Hause bringen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: Tidus17
2015-12-24T15:37:46+00:00 24.12.2015 16:37
Wow ein kleiner Kuss und dann diese Unterbrechung. Woher wussten die denn das Haruka dort ist. Seit wann hat Haruka einen Führerschein fürs Auto, hattest du nicht erwähnt das diese den noch nachmacht? Bin grad verwirrt.....
Von:  fahnm
2015-09-25T23:33:23+00:00 26.09.2015 01:33
Super geschichte
Von:  xXxMephistoxXx
2015-09-25T06:58:28+00:00 25.09.2015 08:58
Spitzen Kapi
Weiter so
Lg Mephi


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