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PredElection

von

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Part VIII - Heaven is not enough

Da ist eeeeer! Ja, unglaublich, aber wahr, ein neues Kapitel von PredElection. Ich hoffe, es liest jemand. ^^; Dies ist nicht nur das vermutlich vorletzte, sondern das wohl entscheidenste Kapitel mit der entscheidensten Szene der gesamten Geschichte. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass keiner die Geschichte so empfindet, wie ich selbst das tue. ^^;;; Mal sehen, was hierzu geschrieben wird, wenn jemand einen Kommentar schreibt, was mich übrigens sehr freuen würde. Ach ja, in dem Kapitel sind (natürlich auf Deutsch übersetzt) Zitate aus zwei Liedern versteckt, die mich sehr zu Levi inspiriert haben. Eines davon ist extremst gut versteckt, aber eines hat wirklich denselben Wortlaut wie im Lied selbst. Wer etwas davon findet, bekommt einen Preis. ^^ Viel Spaß beim Lesen!
 

Was wäre passiert, wenn ich an diesem Abend einfach nach Hause gegangen wäre? Wenn ich nicht in Panik durch die Straßen der Stadt gerannt wäre, auf der einen Seite getrieben von der Angst, zu spät zu kommen, auf der anderen Seite wie gelähmt von der Vorstellung, was mich erwarten würde? Oh Gott, stellen Sie sich das doch bitte mal vor. Versetzen Sie sich in meine Lage. Ich weiß, dass es für Sie nicht einfach und möglicherweise befremdlich ist. Aber mal ehrlich, hätten Sie gewusst, wie Sie diesen ganzen Wahnsinn einem halbwegs normal denkenden Menschen erklären sollen? Ich versuche es ja jetzt gerade schon wieder, und Sie sehen selbst, wie viele Seiten ich dafür benötige. Dabei ist die Sache bei Ihnen doch sehr viel weniger emotional, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und ich muss Ihnen glücklicherweise nicht in die Augen sehen, während Sie das hier lesen. Und wir haben keine unbeschreiblich peinliche, fast-intime Begegnung mit anschließender Flucht hinter uns, als wir uns das letzte Mal gesehen haben.

Ich sag’s Ihnen, ich bin mindestens zwanzigmal bei Mike um den Block gelaufen, bevor ich mich getraut hab, auch nur in die Nähe seiner Tür zu kommen. Ich meine, er hätte mich ja von seinem Fenster aus sehen können oder so. Ich weiß, es ist ziemlich dämlich, sich davor zu fürchten, von einem Menschen vom Fenster aus gesehen zu werden, den man sowieso gerade besuchen will. Aber naiv, wie ich war, glaubte ich tatsächlich daran, dass irgendwann auf meinem sinnlosen Irrweg durch die Straßen um Mikes Haus so ein Augenblick kommen würde, in dem ich schlagartig bereit für meine Konfrontation mit dem Unvermeidlichen wäre. Zack, und plötzlich hatte ich die perfekte Rede im Kopf, um alles einfach so richtig zu stellen.

Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass dieser Augenblick nicht gekommen ist und vermutlich auch niemals gekommen wäre. Ich hätte noch bis in alle Ewigkeiten abwechselnd ums Haus laufen oder vor der Tür stehen können, nur um dann doch wieder umzudrehen und im Gehen mit mir zu ringen, ob ich nun abhauen oder endlich klingeln sollte. Tja, was mir wieder einmal zum Verhängnis wurde... oder mich davor rettete, irgendwann auf meiner einsamen Wanderung zu verhungern, war wieder einmal der Regen. Ist es Ihnen aufgefallen? Der Regen war für Mike und mich irgendwie schicksalhaft. Er hat mich in diesen Wochen ziemlich oft begleitet, manchmal war er mein größter Feind und dann wieder mein treuster Verbündeter, auch wenn ich das nicht immer gleich erkannt habe.

Welche Rolle von beiden er in dieser Nacht gespielt hat, kann ich beim besten Willen nicht sagen, auch im Nachhinein nicht. Ich weiß nur, dass irgendwann, wie so oft in diesem Sommer, quasi von einer Sekunde auf die nächste ein Platzregen über die Stadt hereinbrach. War das der eine, erleuchtende Moment, auf den ich gewartet hatte? Ein bisschen war der Wolkenbruch ja schon wie ein Zeichen, so plötzlich und gewaltig, wie er auf mich herunterprasselte und meine Kleider und Haare durchtränkte. Und obwohl es den Tag über ziemlich warm gewesen war, sogar etwas schwül und drückend, kühlte die Temperatur nun schon mit den ersten Regentropfen schlagartig ab (und bei einem solchen Platzregen fielen die ersten Tropfen ja ziemlich schnell). Es war ein Wetter, bei dem nur Masochisten freiwillig einen Fuß vor die Tür setzten. Schon nach anderthalb Runden um Mikes Haus fror ich so sehr, dass mir die Zähne klapperten.

Ja, am Ende habe ich geklingelt. Ich tat es nur aus einem einzigen Grund, nämlich weil der Gedanke, jetzt noch bis zur U-Bahn-Station laufen zu müssen, dort auf selbige zu warten und dann klatschnass auf klebrigen Plastiksitzen in zugigen Abteilen vor mich hinzufrieren, einfach unerträglich für mich war. Mich vor Mike zu Tode zu blamieren , erschien mir tatsächlich als die angenehmere Alternative zu einem nassen, kalten Grab irgendwo in der Linie 7. Es war also eigentlich nicht Mut, sondern Feigheit, die mich letztlich dazu brachte, den kleinen runden Knopf neben dem Schildchen zu drücken, auf dem in krakeliger Schrift Mikes Name geschrieben stand.

„Wer ist da?“, fragte er. Seine Stimme klang fröhlich, und unwillkürlich atmete ich auf. Ich meine, natürlich war Mike eine Frohnatur, aber wenn Barbie in den Stunden davor bei ihm angerufen und ihm meine wahre Identität enthüllt hätte, wäre doch selbst er ein bisschen erschüttert gewesen. Na ja, ich gebe zu, ganz kurz hab ich mir den Luxus erlaubt, zu hoffen, dass Barbie ihm doch schon die Wahrheit gesagt hatte, und dass es für ihn einfach vollkommen okay war. Sie hatte den unangenehmen Teil der Arbeit für mich erledigt, und jetzt war alles gut und ich konnte mich bedenkenlos in Mikes Arme werfen und die Früchte meines feigen, unrühmlichen Tuns ernten.

...oder so ähnlich. Ach, seien Sie doch mal ehrlich mit sich selbst, haben Sie sich in unangenehmen Situationen nie gewünscht, dass eine höhere Macht oder wer auch immer alles für Sie regeln würde, einfach so? Obwohl Sie es überhaupt nicht verdient haben? So ging es mir in diesem Augenblick, und ich gab mich der wunderschönen Illusion ganz einfach hin, bis Mike mir ein weiteres Mal, jetzt deutlich fragender, ins Ohr rief:

„Hallo? Ist da jemand?!“

Sofort wurde mir noch ein bisschen kälter. Ich atmete tief durch, und dann flüsterte ich, so laut ich noch konnte, in die Sprechanlage:

„Ich bin’s.“

Stille. Mike antwortete mir nicht. Hatte er mich nicht gehört?

„Ich bin es, Jessie“, murmelte ich etwas lauter, deutlicher, doch es kam immer noch keine Antwort. Die Tür blickte mir weiß und stumm entgegen. Hatte ich zu spät was gesagt, war Mike schon wieder vom Lautsprecher weggegangen? Oder wollte er mich einfach nicht sehen? Ich hätte noch mal klingeln und es drauf ankommen lassen sollen – diesmal sofort und auch verständlicher was sagen, dass er mich auf jeden Fall hörte. Aber die kalten Regentropfen, die mir über den Rücken liefen, froren meinen Körper ein. Ich konnte nicht gehen, aber es war mir auch vollkommen unmöglich, noch einmal auf diesen dämlichen kleinen Knopf zu drücken. Keine Ahnung, ich schaffte es einfach nicht.

Wissen Sie, ich hatte niemals ernsthaft in Betracht gezogen, dass ich Mike mit meinem Verhalten vielleicht so sehr gekränkt hatte, dass er mich bereits jetzt, ohne neue schockierende Nachrichten, nicht mehr wiedersehen wollte. Natürlich hatte ich Angst davor gehabt, aber mein Vertrauen in Mikes unerschütterliche Geduld war die ganze Zeit über stärker gewesen. Und nun stand ich da, im eisigen Regen, und wusste nicht, wohin mit mir. Was war, wenn Barbie doch schon bei ihm angerufen hatte, und er mir deshalb nicht die Tür öffnete? Um ehrlich zu sein, ich wollte die Antwort eigentlich gar nicht wissen. Mir war einfach nur kalt, innerlich und äußerlich, so sehr, dass ich nicht mal mehr Angst haben konnte. Doch dann, ganz leise, verzerrt vom Rauschen und Prasseln des Regens, hörte ich Schritte auf der Treppe.

Ich glaube, das war das Befreiendste, was ich jemals in meinem ganzen Leben gehört habe.

Die Schritte waren schnell, fast ein bisschen hektisch. Sie näherten sich mehr und mehr, wurden immer deutlicher, nur um schließlich wieder zu verstummen. Ein Klappern und Klirren ertönte, dann öffnete sich die Tür. Für diesen einen Augenblick blieb mein Herz ganz einfach stehen. Die wenigen bangen Sekundenbruchteile, in denen ich Mikes Gesicht noch nicht sehen konnte, aber wusste, dass ich es gleich sehen würde. Hatte ich mir nicht geschworen, ihm nie wieder in die Augen zu blicken? Ich verfluchte mich für meine Inkonsequenz, und nur mit sehr großer Mühe widerstand ich dem dringenden Bedürfnis, doch noch abzuhauen. Dann sah ich Mike.

Diesmal lächelte er nicht. Er starrte mich an, und ganz kurz war ich mir sicher, dass er die Tür sofort wieder zuschlagen würde. Doch dann verflog meine erste Angst, und als ich etwas genauer hinsah, erkannte ich einfach nur Besorgnis in Mikes Gesicht. Er war nicht entsetzt oder empört, als er mich betrachtete. In seinem Blick war nichts Böses, nichts Abweisendes. Keine Verletztheit und kein Vorwurf. Und nachdem er mich ein paar Sekunden lang so angesehen hatte, schrak er kurz zusammen und verzog seine Lippen zu einem aufrichtig entschuldigenden Lächeln.

„Oh Gott, Jessie, du bist ja klatschnass!“ Eilig machte er einen Schritt zur Seite und winkte mich in den Treppenflur. „Und ich hab nichts Besseres zu tun, als dich in der Tür stehen zu lassen und dich dumm anzugaffen. Hey, tut mir leid. Komm endlich rein!“

Ich folgte ihm einfach, ohne ein Wort zu sagen. Erstens hatte ich Angst, dass ich sonst wirklich noch lautstark mit den Zähnen klappern würde. Zweitens fehlten mir, wie so oft, die Worte. Ich stieg hinter Mike die Treppe hinauf, bis zu seiner Wohnung, deren Tür halb offen stand. Mikes chaotische, altmodische Wohnung. Ich hatte sie tatsächlich ein bisschen vermisst.

„Zieh dir erst mal was anderes an,“ lächelte Mike, und mir fiel erst jetzt auf, dass er schon ein wenig verlegen wirkte.

„Und was?“, fragte ich. Meine Stimme klang zittrig, aber das konnte ich ja glücklicherweise auf die Kälte schieben. Ich fror tatsächlich immer noch, auch hier, in der beheizten Wohnung. Die Nässe meiner Kleidung und meiner Haare drang durch meine Haut bis tief in den Körper hinein. Mike legte mir eine Hand auf den Rücken, um mich mit sanfter Gewalt in Richtung seines Zimmers zu schieben, und ich spürte, dass er leicht zusammenzuckte, als er das Zittern meines Körpers bemerkte. Sofort wurde aus seinem Lächeln wieder dieser besorgte Gesichtsausdruck.

„Hey, nur weil meine Kleidung immer gleich aussieht, heißt das nicht, dass ich wirklich nur ein einziges Hemd und eine Hose habe. Wird dir zwar alles ein kleines bisschen zu groß sein, aber ich bin mir sicher, du wirst darin trotzdem besser aussehen als ich.“

Wir gingen zusammen in sein Zimmer, und er legte mir einen dünnen Pulli, warme Socken und eine Sporthose mit Gummibund hin, außerdem ein Handtuch. Dann ließ er mich erst mal alleine. Es war wirklich unglaublich – ich war so erleichtert, endlich aus meinen nassen Sachen rauszukommen und in kuschelige, trockene, wärmende Kleidung zu schlüpfen, dass ich darüber beinahe vergaß, warum ich eigentlich hergekommen war. Ich rubbelte mich und meine Haare ab und genoss das Gefühl, wieder ein Mensch zu sein, und nicht mehr nur ein wandelndes Stück Schüttelfrost. Ich fühlte mich ganz ruhig, als ich Mikes Zimmer wieder verließ. Irgendetwas war in dieser schlichten Behausung, das jede Angst und Aufregung von mir nahm und mich in einen ruhigen, zufriedenen Menschen verwandelte, selbst jetzt.

Ein köstlicher Duft empfing mich, als ich die Tür öffnete und zurück ins Wohnzimmer ging. Auf dem Sofa lag eine Decke, in die ich mich dankbar einhüllte, und es vergingen nur wenige Minuten, bis Mike mit zwei Tassen dampfenden Tees wiederkam. Die Tasse mit dem toten Smiley war wieder dabei, die andere war schwarz und hatte ein leuchtend gelbes Bio Hazard-Zeichen aufgedruckt. Einen Moment überlegte ich, aus nostalgischen Gründen wieder zum Smiley zu greifen, aber dann beschloss ich, dass die andere Tasse doch noch ein bisschen cooler war und nahm sie mir. Aber cooler Aufdruck hin oder her, letztlich kam es ja auf die inneren Werte an, und die schmeckten wirklich großartig. Es war himmlisch, das heiße Getränk ganz langsam die Kehle herunterlaufen zu lassen, zu genießen, wie es mich von innen wärmte. Plötzlich merkte ich, wie erschöpft ich war, und schon wieder hätte ich einfach einschlafen können. Es musste wirklich irgendwie an dieser Wohnung liegen.

„Trägheit“, murmelte ich, immer noch eingehüllt in diese absurde, absolut unangebrachte Selbstzufriedenheit.

„Häh?“, machte Mike und zog fragend eine Augenbraue hoch. Ich lächelte nur und winkte ab.

„Vergiss es einfach.“

„Bleibt mir was anderes übrig?“ Mike hob gespielt resignierend die Schultern, und dann sagte er noch irgendetwas, das ich aber nicht hörte, weil ich vollkommen unerwartet von einem Déjà-vu überwältigt wurde. Es war mir am Anfang gar nicht aufgefallen, aber dieser köstliche Tee, der es in mir so wohlig warm werden ließ, schmeckte nach Himbeere und Vanille. Ich konnte nicht umhin, zu lächeln. Das war doch wirklich Ironie des Schicksals! Wieder war ich an einem grauenhaften Tag durch den Regen geirrt, nur um am Ende eine sichere Bleibe und Himbeer-Vanille-Tee zu finden.

Erinnern Sie sich? Das war genau der Tee, den mir meine Nachbarin, dieser Engel auf Erden, dem ich das alles hier verdankte, als Kind immer serviert hat. Ich habe keine Ahnung, wieso ich nicht ein einziges Mal an meine Nachbarin gedacht hatte, als ich den Tee bei Tatsumi getrunken habe, aber jetzt tat ich es, und ein leises Gefühl der Melancholie stieg in mir auf. Und dann fragte ich mich plötzlich, wie es Tatsumi wohl gerade ging. Ob er überhaupt noch hier war. Ob er wieder Stress zuhause hatte und auf die Wände seines makellosen Zimmers einschlug. Ich wollte mich das nicht fragen, ich wollte überhaupt nicht an Tatsumi denken, aber ich konnte einfach nicht anders, weil dieser Tee so wunderbar nach unserem absolut bescheuerten Horrorfilm-Fressgelage schmeckte.

„Jessie? Huhu, schläfst du schon?“

„...was?!“ Ich schreckte tatsächlich ein bisschen hoch, als Mike mich vorsichtig in die Seite stieß. Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen, aber als er mein verwirrtes Blinzeln sah, spielte sofort wieder so ein amüsierter Zug um seine Lippen. „Nein, tu ich nicht! Wieso? Hast... hast du was gesagt?“

„Ich hab nur gefragt, ob irgendwas passiert ist oder ob du einfach nur so klatschnass vor meiner Haustür stehst“, wiederholte er seinen missachteten Satz, und dabei grinste er von einem Ohr zum anderen. Offenbar sah man mir an, dass mir mein gedankliches Abschweifen ziemlich peinlich war. Er konnte ja nicht ahnen, welch beklemmendes Gefühl bei diesen Worten in meine Brust zurückkehrte. Ich schlucke schwer, und auch das entging Mike nicht, denn sofort fügte er hinzu: „Hey, du musst nicht drüber reden, wenn du nicht willst!“

Ich zuckte mit den Schultern, um ein bisschen Zeit zu gewinnen. Ehrlich gesagt, ich wusste nicht, was ich wollte und was nicht. Ich wusste, was ich tun sollte, aber andererseits war mir meine eben erst wiedergewonnene Ruhe zu kostbar, als dass ich sie einfach so wieder opfern wollte. Ich starrte auf meine Finger, die alle möglichen komischen Verrenkungen machten, und richtete mich ein bisschen auf. Keine Ahnung, vielleicht hoffte ich, dass mir das Kraft geben würde, aber es funktionierte nicht.

„Wie lang ist’s eigentlich noch bis zu deinem Wettbewerb?“, fragte Mike, vermutlich, um das Thema zu wechseln, aber dadurch wurde ich nur gleich noch viel nervöser. Ich dachte an meine vermasselte Probe von gestern, an meine erst gar nicht stattgefundene Probe von heute, und ein eisiger Schauer lief mir den Rücken hinab. Außerdem fiel mir das Atmen schwer, als ob jemand seine Hände um meinen Hals gelegt hätte und jetzt fester und fester zudrücken würde.

„Fünf Tage“, antwortete ich, musste mich dann aber verbessern: „Nein, eigentlich vier. Der Tag heute ist ja fast wieder vorbei.“

Vier Tage. Vier verdammte Tage, und ich setzte immer noch andauernd meine Choreo in den Sand. Außerdem durchlebte ich ein emotionales Chaos, hatte eine Todfeindin am Hals, die mein gefährliches Geheimnis kannte, und war gerade ewig lang frierend durch den Regen gelaufen. Wirklich eine super Idee, wenn man in etwa einer halben Woche topfit sein musste. Ich wollte mir am liebsten eine reinhauen, aber das hätte auf Mike vermutlich ziemlich befremdlich gewirkt.

„Wow“, machte er und stieß die Luft zwischen den Zähnen hervor, „dann wundert’s mich aber gar nicht mehr, dass du so durch den Wind bist. Hab ich schon gesagt, dass du jederzeit herkommen oder mich mit Anrufen belästigen kannst, wenn du Panik vor dem großen Tag bekommst? Ja, ich weiß, ist ein bisschen dämlich, dich jetzt drauf hinzuweisen, wo du sowieso schon hier bist, aber... öhm... lieber spät als nie, oder?“

Und dann legte er mir einen Arm um die Schultern, einfach so. Er zog mich sogar ein bisschen zu sich her, und ich ließ dankbar meinen Kopf gegen ihn sinken. Ich hatte so fest damit gerechnet, mit meiner Flucht aus der wachsenden Intimität diese selbstverständliche Vertrautheit zwischen uns zerstört zu haben, aber in seinem Verhalten war keinerlei Befangenheit zu erkennen. Ganz selbstverständlich hielt er mich fest, als ob er keine Sekunde lang daran dachte, dass es mir unangenehm sein könnte. Aber auch überhaupt nicht aufdringlich oder so. Er schien einfach zu spüren, dass ich nichts dagegen hatte, egal, wie merkwürdig ich mich davor verhalten hatte. Ich bin mir sicher, wäre es mir tatsächlich Unrecht gewesen, hätte er es nicht getan.

„Danke“, murmelte ich, so leise, dass ich mich selbst kaum verstehen konnte. Und dann nahm ich all meinen Mut zusammen und fügte dem hinzu: „Und... es... es tut mir leid, dass ich... dass ich letztes Mal so... so abgehauen bin, das... ich meine, ich wollte nicht... es war nicht, weil... ich...“

„Jessie, das ist okay“, fiel Mike mir in mein sinnloses Gestammel. „Ich bin dir nicht böse. Ich... ehrlich gesagt, ich bin einfach froh, dass du jetzt da bist. Dass du wiedergekommen bist. Wenn’s dir letztes Mal zu schnell ging, tut mir das ehrlich leid.“

„Nicht entschuldigen!“, befahl ich etwas kläglich. „Es... es ging mir nicht zu schnell! Das... ich meine, das war nicht der Grund, warum... das... das ist nicht so einfach. Das ist alles überhaupt nicht einfach.“

„Jetzt hör mir mal zu“, antwortete er, und dabei legte er eine Hand an mein Kinn und hob meinen Kopf ein bisschen an. „Jessie, ich mag dich wirklich sehr. Ich glaube, das weißt du auch. Aber wenn du irgendwas nicht willst, oder nicht sofort willst, hab ich damit kein Problem. Ich kann dir nicht böse sein, ich könnte es nicht mal, wenn ich es wollte oder einen Grund dazu hätte, was ich aber nicht habe. Also mach dir wegen mir bloß keinen Kopf. Trink lieber deinen Tee, wärm dich auf und... sag mal, wie kommt es eigentlich, dass du jetzt schon seit mindestens einer halben Stunde hier bist und noch nicht ein einziges Mal nach Fernsehen gefragt hast?“

Ich betrachtete ihn einige Momente lang, einfach so, ohne ein Wort zu sagen. Seine unfassbar zerzausten Haare. Seine blauen Augen, die selbst in der schlechten Beleuchtung seiner Wohnung so blitzten und strahlten wie an einem sonnigen Sommertag. Sein kompromissloses Lächeln, das kein bisschen penetrant, sondern einfach nur unwiderstehlich war. Und da begriff ich, dass er es wirklich ernst meinte. Dass es in Ordnung war, was ich bislang getan hatte, dass es in Ordnung war, was ich in Zukunft tun würde. Dass ich ihm alles, einfach alles sagen konnte, und dass er mich niemals wegstoßen und dafür hassen oder verachten würde. Möglicherweise würde ihn meine große Enthüllung schockieren, aber sie wäre trotz allem nicht das Ende.

Ich würde es ihm erzählen. Ich würde ihm die Wahrheit sagen, da gab es für mich keinen Zweifel mehr. Ein bisschen fürchtete ich mich immer noch davor, natürlich, aber dieses lähmende Gefühl der Panik war verschwunden. Ich wollte und ich würde es tun, aber nicht mehr an diesem Tag. Halten Sie mich für feige? Für... noch feiger, als Sie es vermutlich sowieso schon getan haben? Wahrscheinlich liegen Sie da ganz richtig. Aber mal ehrlich, selbst wenn Mike mich für mein Geständnis nicht hassen würde, es stand außer Frage, dass sich zwischen uns etwas verändern musste, wenn auch möglicherweise nur vorübergehend. Ich war mir immer sicherer, dass Mike bereit war, uns beiden gegen alle Hindernisse und Widerstände ein Happy End zu bereiten. Trotzdem war ich vorsichtig genug, es nicht drauf ankommen zu lassen. Ich wollte nur noch einen einzigen perfekten, unkomplizierten Abend zu zweit genießen. War das etwa zuviel verlangt?

Ich konnte ja nicht ahnen, was am nächsten Tag geschehen würde und vermutlich niemals geschehen wäre, wenn ich in diesem Augenblick anders gehandelt hätte.
 

Dabei ging alles so gut los.

„Mike, ich kann’s dir erklären“, sagte ich zu ihm, und kam mir dabei schon so unglaublich mutig vor. „Ich kann dir alles erklären. Aber bitte... nicht jetzt. Nicht mehr heute. Ich hab seit zwei Tagen nicht mehr richtig geschlafen. Jeder Zentimeter meines Körpers tut mir weh. Ich bin fertig. Können wir’s einfach auf morgen verschieben und heute, öhm... fernsehen?“

Ein Lächeln huschte über Mikes Gesicht, aber dann sah er mich wieder so ernst an, wie ihm das eben möglich war.

„Wenn du’s lieber erst auf nächste Woche verschieben möchtest, würd ich dir auch nicht den Kopf abreißen!“

„Auch nicht dafür, dass ich schon wieder in dein Zimmer gehe?“ Ich nahm ihm das Gefühl, so ernsthaft dreinblicken zu müssen, indem ich einfach selbst lächelte. „Du hast letztes Mal schon vergessen, mich dafür umzubringen.“

„Was heißt hier vergessen?!“, protestierte Mike und stemmte sich die freie Hand in die Seite. „Ich bin einfach nicht dazu gekommen!“

„Tja, jetzt weißt du ja, weshalb ich weggelaufen bin.“ Ich streckte ihm die Zunge raus, und dann löste ich mich mit leisem Bedauern aus seiner Umarmung, um aufzustehen. Es überraschte mich, wie leicht es mir jetzt schon fiel, Witze über diesen Vorfall zwischen uns zu reißen, der doch eben noch so belastend für mich gewesen war. Aber ich fühlte mich alles andere als schlecht, als ich in Mikes Zimmer ging. Ich war so gelöst, so befreit wie schon lange nicht mehr. Ich wusste irgendwie, dass morgen alles gut werden würde. Und ich wusste, dass ich diesen Abend aller Last zum Trotz genießen konnte.

Ich ließ mich, meine Decke im Schlepptau, auf Mikes Bett fallen und machte es mir dort gemütlich. Mike setzte sich neben mich, deckte sich ebenfalls zu und schaltete dann den Fernseher ein. Die Fernbedienung lag praktischerweise schon auf seinem Bett, nahe dem Kopfkissen. Ich lehnte mich wieder gegen ihn, und wieder legte er seinen Arm um mich. Obwohl ich so entspannt war, dass ich sofort hätte einschlafen können, blieb ich noch eine überraschend lange Weile wach und genoss das niveaulose Programm. Ab und an wandte ich auch meinen Blick, um Mike zu beobachten, wie er so konzentriert auf den Bildschirm starrte. Und dann nahm ich es mir sogar heraus, die Fernbedienung an mich zu nehmen. Ich tat es nicht, weil ich umschalten wollte, sondern weil ich auf besonders lustige Momente wartete, in denen ich den Ton des Fernsehers ausschaltete, um stattdessen selbst zu synchronisieren. Mike lachte darüber so warm und herzlich, dass ich beschloss, es lieber für mich zu behalten, dass das ja eigentlich gar nicht mein Witz gewesen war.

Irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen. Es passierte wieder einfach so, mitten in einer Fernsehsendung und ohne, dass ich es gewollt hätte. Aber, um ehrlich zu sein, ich war auch nicht böse darüber. Ich hatte diesen Schlaf wirklich dringend nötig. Ich glaube, ich hab auch ziemlich lange geschlafen, und zwar so tief und fest, dass ich mich nach dem Aufwachen seit Tagen das erste Mal wieder richtig erholt und ausgeruht fühlte. Mike hielt mich immer noch im Arm, obwohl er schon vor mir aufgewacht war, und so erfüllte mich, noch bevor ich die Augen öffnete, wieder diese tiefe Gewissheit, dass ich weglaufen konnte, so oft ich wollte, dass ich tun konnte, was ich wollte, und dass Mike mich trotzdem immer mit einem Lächeln auf den Lippen und mit offenen Armen begrüßen würde.

Sein Lächeln war auch das erste, was ich sah, als ich den Blick zu ihm hob.

„Morgen“, strahlte er mich an, und schlagartig war jedes Aufflackern von Nervosität und Angst wieder vergessen.

„Morgen“, murmelte ich zurück, gähnte ausgiebig und streckte mich. Dann setzte ich mich ein bisschen widerwillig auf. Ich wusste ja, dass ich viel zu wenig Zeit hatte, um noch den halben Tag im Bett zu verbringen, also quälte ich mich wenig motiviert auf die schmerzenden Füße. Meine Schultern knackten laut, als ich sie kreisen ließ – so laut, dass sogar Mike erschrocken die Augenbrauen hochzog.

„Braucht da jemand eine Massage?“, fragte er, und seine Worte ließen mich nicht mal zusammenzucken, weil sein Tonfall es einfach unmöglich machte, sie als Anspielung auf unser letztes unglückliches Zusammentreffen zu missverstehen. Ich lächelte ihn an, ganz frei, ganz ohne bitteren Beigeschmack, und nickte.

„Aber erst mal“, fügte ich dem hinzu, „braucht da jemand einen Kaffee. Und zwar zügig, ich hab immerhin nicht den ganzen Tag Zeit!“

„...denn Kaffee am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen, ich weiß.“ Mike verzog noch einmal kurz das Gesicht, erhob sich dann aber doch – betont langsam, schwerfällig, den Oberkörper vornüber gebeugt wie ein alter Mann – und schleppte sich nicht weniger theatralisch zur Türe. Gegen meinen Willen musste ich lachen. Laut und ehrlich und so richtig ausgelassen. Es war ein befreiendes Lachen, das einen weiteren schweren Stein von meiner Brust abfallen und auf dem Boden in tausend Stücke zersplittern ließ. Ich stolzierte leichtfüßig und hoch erhobenen Hauptes an ihm vorbei, um mir meinen Platz auf dem Sofa zu sichern. Dort betrachtete ich den Regen, der wie ein glucksender und plätschernder Vorhang das Fenster bedeckte, während köstlicher Kaffeeduft die Wohnung erfüllte und Mike in der Küche ein fröhliches Liedchen pfiff.

Ach, wenn er es mir doch nur nicht immer so schrecklich einfach gemacht hätte.

Mike fragte nicht nach, was ich am Vorabend mit ihm hatte besprechen wollen. Mit keinem einzigen Wort erwähnte er diesen oder irgendeinen anderen Vorfall, der jemals zwischen uns hätte stehen können. Er verbreitete einfach nur gute Laune, wie er das eigentlich immer tat, und ich nahm seine Hand und ließ mich mitreißen. Ja, ich wurde übermütig. Aber bitte versetzen Sie sich doch mal in folgende Lage: Sie stehen an einem Scheideweg. Auf der einen Seite ist ein steiler Bergpfad, übersäht mit tückischem Geröll, scharfkantigen Felsen und verborgenen Schluchten, in denen Sie sich jederzeit das Genick und sämtliche anderen Knochen brechen können. Auf der anderen Seite ist eine idyllische, weite Wiese, hinter der gerade rötlich golden die Sonne untergeht, um die zarten Blumen auf der Erde und die fedrigen Wolken am Himmel in ein magisches Glühen zu tauchen. Na gut... ich gebe zu, dieser Vergleich ist jetzt vielleicht doch ein klein wenig pathetisch geraten. Aber Sie verstehen, worauf ich hinauswill. Und seien Sie doch mal ehrlich, würden Sie nicht auch lieber den wunderschönen Weg des geringsten Widerstandes gehen?

Ich tat es. Statt mich einfach meinem Schicksal zu stellen, wie ich es mir am Vorabend noch so fest vorgenommen hatte, ließ ich mich von der süßen Aussicht verführen, dass ich es doch nicht mehr eilig hatte. Dass ich Mike jederzeit einfach alles gestehen konnte, ohne irgendetwas kaputt zu machen. Es war nicht so, dass ich vorhatte, mein Geständnis bis in alle Ewigkeiten vor mir herzuschieben. Ich hatte schon vor, es ihm noch an diesem Tag zu sagen, wie versprochen. Das hatte ich mir vorgenommen, das wollte ich auch halten. Aber eben nicht an diesem schönen, gemütlich verregneten Morgen. Ich war doch so frei, so unbeschwert. Es war einfach genau die Stimmung, die ich schon so lange gebraucht hatte, um wieder einmal richtig gut trainieren zu können. Immerhin hatte der Schönheitswettbewerb allerhöchste Priorität. Höher als mein Glück, höher als mein Privatleben, höher als ein guter Vorsatz oder ein Versprechen, das ich mir selbst nur innerlich gegeben hatte.

Sie halten das für eine billige Ausrede? Na gut, vermutlich haben Sie Recht. Wenigstens zu einem Teil. Dass ich dringend wieder üben musste, wenn ich mich in vier Tagen nicht bis auf die Knochen blamieren und all die Mühen der vergangenen Wochen in den Sand setzen wollte, war eine Tatsache. Aber wissen Sie, was der größte Witz an der ganzen Sache ist? Ich kam mir auch noch unheimlich mutig vor, als ich ganz tief Luft holte, meinen Kaffeebecher zur Seite stellte und zu Mike, auf dessen Schoß ich mittlerweile meine Füße platziert hatte, sagte:

„Möchtest du heute mitkommen, zum Training?“

Ein etwas irritierter Blick – dann ließ auch Mike seine allmorgendliche Droge sinken und fragte:

„Häh?“

„Ich hab dir doch erzählt, dass ich für diesen Schönheitswettbewerb so einen Tanz übe. Na ja... ‚Tanz’. Und den muss ich halt trainieren, hab ja nicht mehr so viel Zeit bis zu meinem Auftritt. Was ‚möchtest du mitkommen’ bedeutet, muss ich nicht erklären, oder?“

„Sehr witzig!“ Mike streckte mir die Zunge heraus. Dann aber verzog er seine Lippen zu einem sogar für seine Verhältnisse sehr breiten Grinsen. „Aber hey, mal ehrlich – du bietest mir an, dich bei deinem geheimnisvollen was-auch-immer begaffen zu dürfen, und da fragst du noch, ob ich das möchte?“

„Ist das ein ja?“

„Aber mal so was von!“

„Gut“, sagte ich und stand auf, diesmal kein bisschen widerwillig, sondern mit so einem gewissen Gefühl nervöser Vorfreude in der Brust. „Dann zieh ich mir meine Sachen wieder an und los geht’s.“

„Worauf du dich verlassen kannst!“

Mit zwei Sätzen war ich in Mikes Zimmer, und obwohl es draußen immer noch regnete, sogar ziemlich stark, und meine Kleidung nicht nur noch nass war, sondern vermutlich auch sehr bald wieder nass werden würde, war ich in diesem Augenblick wirklich, wirklich glücklich.
 

Das änderte sich auch nicht so bald. Mike hatte natürlich einen Regenschirm, der aber nicht viel brachte, weil es ziemlich windig war. Trotzdem lachten wir die ganze Zeit, während uns der Regen ins Gesicht spritze und die nassen Böen ein ums andere Mal den Schirm nach außen bogen, an ihm rissen und zerrten, dass wir ihn mit vereinten Kräften festhalten mussten. Ich sprang in jede Pfütze, die meinen Weg kreuzte, obwohl ich überhaupt nicht die richtigen Schuhe dafür anhatte. Wenn ich kurz zuvor bei Tatsumi eine bedrückende Ruhe nach dem Sturm erlebt hatte, war das hier die Ruhe im Sturm, und zwar eine wunderschöne. Ich war ausgelassen wie ein kleines Kind. Als wir bei Geenia ankamen, konnte ich erst mal gar nicht aufhören, zu kichern.

Ich gebe zu, ein bisschen gemein bin ich schon gewesen, immerhin hatte ich im Gegensatz zu Mike dort ja trockene Kleidung, in die ich schlüpfen konnte. Aber ihn schien es kein bisschen zu stören, dass er bei jedem Schritt kleine Pfützen auf dem Boden hinterließ. Er beugte sich vornüber, schüttelte sich wie ein Hund und fuhr sich dabei mit beiden Fingern durch die Haare, die danach, eben noch nass an seinen Kopf geklatscht, endlich wieder in alle Himmelsrichtungen abstanden. So, wie sich das für ihn gehörte. Ich lächelte und wies ihm einen Platz neben der Heizung zu, wo er sich wieder ein bisschen aufwärmen konnte.

Ich wärmte mich ebenfalls auf, allerdings eher mit Dehn- und Laufübungen, das Übliche halt. Dann holte ich mein Werkzeug und tanzte los. Und obwohl ich diesmal Publikum hatte, war ich wirklich besser denn je. Sagte ich nicht, dass Mike mir geholfen hat, diese Unmöglichkeit doch noch rechtzeitig einzustudieren? Erst war es der Schmerz und die Wut auf mich selbst gewesen, die mich nach unserer schicksalhaften Begegnung auf seinem Sofa so angetrieben hatten, und jetzt war es diese merkwürdige Erleichterung und Ausgelassenheit, die mir Flügel verlieh.

Die ganze Zeit über spürte ich, wie Mike mich mit offenem Mund anstarrte. Ganz so, wie ich damals Geenia angestarrt hatte, als sie mir mein mögliches Ticket zum Sieg präsentierte. Natürlich, Mike hatte sie nicht gesehen und damit keine Vergleichswerte, aber es machte mich trotzdem stolz. Als ich den Tanz ein paar Mal durchgegangen war, fühlte ich mich so stark, als ob ich Bäume, Straßenlaternen und Hochhäuser ausreißen könnte. Ich umarmte Mike und Mike umarmte mich, und er schien genau zu merken, was dieser Moment des Triumphes für mich bedeutete. Wir hielten uns bei den Händen und drehten uns durch den Raum, und dann ließen wir uns neben die Heizung sinken. Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter, schloss die Augen und wünschte mir, so fest ich nur konnte, genau in diesem Moment die Zeit anhalten zu können.

Vielleicht ahnte ich ja schon, wie es weitergehen würde? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich deshalb jede Sekunde so kompromisslos genossen habe. Auch den Heimweg, obwohl der sehr viel ruhiger und... ja, einfach weniger spektakulär war als der Hinweg. Der Sturm hatte sich gelegt, und wir gingen einfach schweigend nebeneinander her, ich bei Mike eingehakt. Den Schirm hielt er. Meine Kleider waren nicht getrocknet, obwohl ich sie neben die Heizung gelegt hatte, und ich fror schon ein bisschen. Aber es war mir egal. Es störte mich nicht, es sorgte nur dafür, dass ich mich noch mehr auf Mikes gemütlich warme Wohnung freute.

Ich freute mich solange, bis wir angekommen waren und die Tür geöffnet hatten, denn genau in diesem Moment klingelte Mikes Telefon.

Ganz ehrlich – für einen Wimpernschlag vergaß mein Herz einfach, zu schlagen. Und meine Lungen, zu atmen. Ich wusste sofort, dass das nur Trish sein konnte. Ich wusste, dass es jetzt vielleicht doch alles aus war, dass ich zu lange gewartet hatte und nun zu spät gekommen war. Wie in einem Alptraum stand ich neben mir, beobachtete mich selbst und Mike, wie ich in der noch offen stehenden Tür erstarrte und wie er ganz unbedarft auf das Telefon zuging, das absurderweise neben dem Sofa auf dem Boden stand.

Wer stellt ein Telefon auf den Boden, wenn er doch ein Tischchen in greifbarer Nähe hat?, ging es mir durch den Kopf, während Mike sich hinkniete und den Hörer abnahm. Er bemerkte nicht, wie ich entsetzt durch seinen Rücken hindurchstarrte. Wie ich nach Luft schnappte, weil mir tausend Gedanken durch den Kopf gingen und keinen Raum mehr für Atem ließen. Ich wusste, dass ich irgendetwas tun musste, dass mir nur noch Sekundenbruchteile blieben, in denen ich das Ruder herumreißen und mich vor dem sicheren Untergang retten konnte.

Und ich handelte. Ohne zu denken und ohne Rücksicht auf Verluste. Vermutlich wäre die ganze Aktion sogar verdammt lustig gewesen, wenn es dabei nicht um so unglaublich viel gegangen wäre. Ich hechtete förmlich in die Wohnung hinein, dem Telefon entgegen, machte eine ziemlich ungelenke Rolle auf dem Boden, und dann hämmerte ich in Panik auf den Auflege-Knopf. Ich lag in einer komisch verdrehten Position und schlug auf dieses Ding ein, als ob es dabei um mein Leben ginge. Ich muss so unfassbar dämlich ausgesehen haben, das will ich mir heute lieber gar nicht mehr vorstellen.

Mike sah mich an, als ob er mich gleich einweisen lassen wollte.

Kennen Sie diese Augenblicke, in denen Sie sich nichts sehnlicher wünschen, als einfach an Ort und Stelle im Boden versinken zu können? Ich will jetzt mal außen vorlassen, dass ich dann vermutlich bei Mikes Eltern auf dem Sofa gelandet wäre. Und es wird Sie auch nicht überraschen, wenn ich schreibe, dass es mir nicht gelungen ist. Ich musste meine Gliedmaßen wieder zusammensuchen, mich aufrappeln und – das Schlimmste von allem – dem entgeisterten Mike in die Augen sehen. Da stand er vor mir, den Telefonhörer noch am Ohr, den Mund schon zum Sprechen geöffnet, der Blick so fragend wie noch nie zuvor. Und mir dämmerte langsam, dass ich jetzt nicht mehr um eine Erklärung herumkam.

„Mike, ich kann das erklären“, begann ich dann auch prompt. Ganz kurz sah ich so etwas wie ernsthaften Zweifel in Mikes Blick, aber dann lächelte er und sagte:

„Davon geh ich einfach mal aus.“

Er ließ die Hand sinken, um den Telefonhörer wieder auf die Station zu legen, und weil es jetzt sowieso nicht mehr schlimmer werden konnte, riss ich ihm selbigen aus der Hand und versteckte ihn hinter meinem Rücken. Ich konnte einfach nicht riskieren, dass Trish gleich noch einmal anrief und meinen ganzen Körpereinsatz zunichte machte. Obwohl Mike mich nun endgültig für geisteskrank halten musste, ich hatte zuviel riskiert, um am Ende doch noch zu verlieren.

„Okay“, sagte ich und atmete tief durch, um noch mal etwas Bedenkzeit zu gewinnen. „Das... oh Gott... das ist jetzt eine etwas... merkwürdige Geschichte. Aber ich bin nicht verrückt. Es ist nur ganz wichtig, dass du nicht mit ihr sprechen darfst. Darum habe ich aufgelegt.“

„Mit ihr sprechen?“ Mike zog kurz die Augenbrauen hoch, und ich begriff, dass mein Einstieg in dieses alles entscheidende Gespräch vielleicht doch nur mäßig gelungen war. „Jessie, ich verstehe kein Wort. Von wem um alles in der Welt sprichst du? Und warum nimmst du mir deshalb mein Telefon weg?“

„Du kennst sie nicht. Sie sieht aus wie Barbie, und sie... sie... ach, das ist nicht so einfach. Aber sie hasst mich, sie hat irgendwie was gegen mich, weil ich ihr mal eine reingeschlagen hab, und... und... jetzt will sie sich an mir rächen! Verstehst du? Darum ruft sie dich an, weil sie sich an mir rächen will!“

Jetzt starrte Mike mich wirklich an, als ob er ein sprechendes Auto vor sich hätte. Oder etwas ähnlich Absurdes. Einen rot und blau gefleckten Hund, beispielsweise, der ein sprechendes Auto fährt. Dann lachte er auf, was aber eher entsetzt als belustigt klang, und verzog die Lippen zu so etwas Ähnlichem wie einem Lächeln.

„Jessie“, sagte er in einem krampfhaft ruhigen Tonfall, „ich hab immer noch keine Ahnung, was du mir da gerade sagen willst und was du heute Mittag heimlich geraucht hast, aber das war keine Sie. Das war ein Kumpel von mir. Ich hab seine Nummer auf dem Display gesehen.“

„Das war...“ Diesmal war ich derjenige, dem die Kinnlade herunterklappte. „Das war nicht Barbie?“

„Nein, das war nicht Barbie.“

„Oh.“ Mehr fiel mir in diesem Augenblick nicht ein. Und auch nicht im nächsten, genauso wenig wie im darauf folgenden. Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss, bis mein Kopf irgendwann so heiß war, als ob er jeden Moment explodieren würde. Gleichzeitig begann ich zu zittern. Oder war das nur der mühsam unterdrückte Impuls, mir selbst kräftig eine runterzuhauen, der meine Muskeln zucken ließ? Ich wusste es nicht – ich wusste eigentlich nur noch eines, nämlich dass ich mich gerade völlig umsonst zum Affen gemacht hatte. Zum Affen? Vermutlich eher zum Psychopathen erster Güte! Lassen Sie Ihre Augen doch bitte wieder ein bisschen nach oben wandern und lesen Sie sich das Ganze noch mal durch. Spielen Sie es im Geiste ab wie einen Film, wobei Sie die Rolle von Mike einnehmen. Und jetzt verraten Sie mir bitte eines – wen würden Sie eher anrufen, den psychiatrischen Notdienst oder die Polizei?

Da war es ja fast gut, dass ich immer noch das Telefon hinter meinem Rücken versteckte.

„Jessie, bist du sicher, dass du okay bist?“, fragte Mike, jetzt viel mehr besorgt als ratlos, entsetzt. „Du siehst aus, als ob du einen Geist gesehen hättest!“

„Schlimmer“, murmelte ich und schloss meine Finger so fest um das Plastik des Telefonhörers, dass ich Angst hatte, er könnte zerbrechen. „Viel schlimmer.“

Und dann spürte ich plötzlich Mikes Hände auf meinen Schultern. Ich blickte auf, so schwer mir das auch fiel, und ich las wieder einen fragenden Ausdruck auf Mikes Gesicht. Aber diesmal war die Frage eine völlig andere, und ich verstand ihn sofort, ohne jegliche weitere Worte. Ich nickte nur, und dann zog er mich an sich und hielt mich im Arm, nicht zu fest, nicht aufdringlich, sondern einfach nur verdammt beruhigend. Sofort fühlte ich mich wieder ein bisschen menschlicher, wenn auch nur ein kleines bisschen. Angst hatte ich immer noch, das will ich gar nicht leugnen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und meine Knie fühlten sich nach wie vor so an, als ob sie jeden Moment unter mir nachgeben würden. Kurz gesagt: Ich fühlt mich weiterhin grauenvoll, aber dieses Gefühl war irgendwie trotzdem ein wenig erträglicher.

„Also“, sagte Mike nach einiger Zeit, und wieder einmal hörte ich an seiner Stimme, dass er lächelte, „was möchtest du: Erklären oder lieber einen Kaffee? Oder beides? Du kannst auch erst mal trockene Kleidung haben. Ja, ich glaube, das ist überhaupt die beste Idee, die ich seit heute Morgen habe, als ich dich zu deinem Training begleitet hab.“

Gegen meinen Willen musste ich ebenfalls lächeln, und wieder erfüllte mich so eine Wärme, die mich die klamme Kälte besagter Kleider beinahe schon vergessen ließ. Ich löste mich ein kleines bisschen von Mike, dass ich ihm ins Gesicht sehen konnte, was mir deutlich leichter fiel als noch kurz zuvor. Meine Augen trafen seine Augen, und irgendwie war es ein schicksalhafter Moment. Nach der ersten Verwunderung war in Mikes Blick das übliche Funkeln zurückgekehrt, und wie immer sagte mir dieser Blick, dass es in Ordnung war, was ich getan hatte. Ich hatte mich blamiert wie selten zuvor in meinem Leben, aber das war überhaupt nicht schlimm. Und wenn ich wollte, konnte ich mich, nach all dem, auf das Sofa werfen, mich in frische, trockene Kleidung kuscheln und gemütlich einen heißen Kaffee schlürfen. Ohne ein einziges unbequemes Wort der Erklärung. Einfach so.

„Kaffee klingt gut“, sagte ich, „und warme Kleidung noch viel besser. Aber das geht noch nicht. Mike, ich muss dir erst etwas sagen. Ich muss. Es ist sehr, sehr wichtig.“

Mike sah mich ein paar Sekunden lang an, ganz ernst – ein bisschen so, wie er sonst immer den Fernseher angesehen hatte. Dann nickte er. Vorsichtig löste ich seine Hände von meinen Schultern und nahm sie stattdessen in meine eigenen. Meine Finger in seinen Fingern. Eigentlich konnte jetzt überhaupt nichts mehr schief gehen.

„Okay“, sagte er, ein Lächeln auf den Lippen. „Leg los.“

„Mike, das wird dir vermutlich nicht gefallen“, begann ich. „Aber ich sage es dir trotzdem, weil ich dir vertrauen kann. Ich muss jetzt einfach ehrlich zu dir sein, weil... weil ich weiß, wie viel ich dir bedeute. Und es wär nicht fair, wenn ich’s nicht tun würde. Weißt du, du... bist immer so nett zu mir. Egal, was für einen Scheiß ich mache. Ich hab nicht gewusst, dass irgendwer zu mir so nett sein kann, echt nicht.“

„Aber natürlich bin ich so nett zu dir!“ Mikes Griff um meine Schultern wurde ein bisschen fester, aber auf keinen Fall so, dass es irgendwie unangenehm gewesen wäre. „Jessie, du hast das verdient, dass dich endlich mal jemand gut behandelt!“

„Das ist überhaupt nicht natürlich! Mike, das... das ist für mich so dermaßen unnatürlich, dass ich’s manchmal noch gar nicht glauben kann! Ich red normal nicht so, aber das... ich mein, seit ich dich kenne, das war die schönste Zeit in meinem ganzen Leben. Ehrlich. Du sagst immer Dinge, die mich zum Lachen bringen. Egal, wie schlecht es mir geht, wenn du da bist, ist’s irgendwie gleich gar nicht mehr so schlimm. Mike, du... du bist einfach zu perfekt, um wahr zu sein. Aber ich bin das leider überhaupt nicht. Ich hab dich angelogen, die ganze Zeit, und das tut mir leid, das tut mir so furchtbar leid. Du bist wirklich der allerbeste Mensch, den ich jemals getroffen habe, aber ich... ich liebe dich nicht.“

Und dann stand ich erst einmal unter Schock. Wissen Sie, ich hatte einfach gesprochen, ohne zu begreifen, was ich tat. Ich hatte das so nicht geplant, ich verstand noch nicht einmal wirklich, was da gerade eben geschehen war. Ich sah einfach nur in Mikes wunderbare blaue Augen – die Augen dieses Menschen, der doch eigentlich alles war, was ich wollte, alles, was ich brauchte, der genau so war, wie ich mein Leben lang gerne gewesen wäre, der immer im richtigen Moment genau das Richtige sagte. Ich konnte nicht begreifen, weshalb ich ihm das antat. Ich wusste es einfach nicht. Was ich sehr wohl wusste, war, dass ich die Situation immer noch hätte retten können. Weil ich tun und lassen konnte, was ich wollte, und weil Mike mir alles, einfach alles vergeben würde, ohne es mir jemals vorzuhalten.

Ich tat es nicht. Ich rettete überhaupt nichts, weder die Situation noch mich selbst. Ich starrte Mike noch einige Sekunden lang an, versuchte, mir jede einzelne Linie seines Gesichtes einzuprägen.

Dann hielt ich es nicht mehr länger aus und lief davon.
 

Nein, ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe. Glauben Sie mir, ich bin alles andere als stolz darauf. Es gibt wenige Situationen in meinem Leben, die ich später öfter im Geiste durchgegangen bin, um wieder und wieder zu überlegen, was ich anders hätte machen können und sagen können. Ob ich es bereut habe? Auf jeden Fall. So, wie es passiert ist, hätte es niemals passieren dürfen, daran ist auch im Nachhinein nichts schönzureden. Manche Dinge werden auch dann nicht weniger schlimm, wenn man genau weiß, was danach geschehen und wie es letztlich ausgegangen ist.

Wieder einmal bin ich durch den Regen gelaufen. Nicht ziellos, nicht stundenlang, aber ich habe um jede S-Bahn-Station einen großen Bogen gemacht. Vielleicht wollte ich mich damit bestrafen, vielleicht wollte ich wieder einen klaren Kopf bekommen. Um zu verstehen, was ich getan hatte. Was ich tun sollte. Ich wusste, wo ich hinwollte, aber ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie ich dort hingelangen konnte. Was mich zu der unschönen Erkenntnis brachte, dass es möglicherweise auch Feigheit war, die mich den längstmöglichen Weg nehmen und so wenigstens noch ein bisschen Zeit gewinnen ließ.

Aber irgendwann bin ich doch bei Tatsumis Haus angekommen. Ich stand da und starrte die makellos weiße Fassade an, während der Regen so heftig auf meine Schultern prasselte, dass es fast schon schmerzte. Ich starrte auf die schwarzen Fenster, die hinter dem Wasserschleier wie verschwommene, formlose Löcher in all dem perfekten Weiß wirkten. Ach, wie metaphorisch! Ich wurde den Eindruck nicht los, dass das Haus mich feindselig anstarrte. Hau ab, schrieen diese Fenster, und ich hätte am liebsten drauf gehört. Weil ich einfach Angst hatte.

Ich lief aber nicht davon. Es war längst zu spät, um noch umzukehren. Wenn ich mir jemals wieder im Spiegel in die Augen sehen wollte, konnte ich nicht mehr davonlaufen. Ich ging so langsam auf die Haustür zu, dass ich fast glaubte, ich würde mich rückwärts bewegen. Vielleicht tat ich das auch, ab und an, aber immerhin drehte ich nicht wieder sinnlose Runden um den Block herum. Gut, da hätte ich bei den ganzen Prachtvillen hier auch eine Menge zu laufen gehabt. Aber der eigentlich Grund, warum ich nicht wieder kehrt machte und weiter durch den strömenden Regen stapfte, war die ungute Ahnung, dass ich dann niemals den Mut finden würde, endlich das zu tun, wofür ich hergekommen war.

Meine Hände zitterten so sehr, dass ich Mühe hatte, mein Handy festzuhalten. Ich verwählte mich zweimal, bevor es mir gelang, Tatsumis Nummer einzutippen. Und dann musste ich mich beherrschen, nicht gleich wieder aufzulegen und die ganze Arbeit zunichte zu machen. Dabei wusste ich eigentlich gar nicht, wo mein Problem war. Tatsumi konnte ja nicht ahnen, was für ein Schlachtfeld ich heute schon hinterlassen hatte. Er konnte nicht wissen, wie es mir ging – um ehrlich zu sein, das wusste ja nicht mal ich selbst. Er würde mich in sein Zimmer führen, in diesen seltsamen Raum mit den leeren Wänden, in dem man die ganze Welt da draußen vergessen konnte, und dann wäre erst einmal alles gut. Natürlich nicht wirklich, aber wen interessierte das, wenn man sich so überzeugend selbst belügen konnte, dass man es irgendwann gar nicht mehr bemerkte?

Es war absurd: Ich hatte diesen Gedanken kaum zuende gedacht, da konnte ich es plötzlich gar nicht mehr erwarten, dass Tatsumi mich endlich reinlassen würde. Meine Angst davor war komplett verfolgen. Ich fror ganz furchtbar, und ich sehnte mich nach einer warmen Dusche. Genau wie an diesem einen denkwürdigen Abend, als ich so kopflos durch die Nacht gerannt war und dann bei Tatsumi Zuflucht gefunden hatte. War ich deshalb hergekommen, weil ich mich genau danach sehnte? Ich ahnte, dass es mehr war als das, aber ich wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Einfach vergessen. Nicht nur vor dem Regen, sondern auch vor diesem verdammten Tag davonlaufen.

Es dauerte länger als sonst, bis Tatsumi mir die Tür öffnete. Jetzt hatte ich doch wieder ein kleines bisschen Angst – Angst, dass er unseren merkwürdigen Streit nicht vergessen hatte, dass er mir meine Worte immer noch übel nahm. Ich hätte es verstanden, aber irgendwie konnte ich es mir nicht vorstellen. Das passte nicht zu Tatsumi, so... so war er einfach nicht. Und dann hörte ich es auch schon, das Geräusch von Schritten hinter der Tür, dann ein Schlüssel, der im Schloss herumgedreht wurde. Ich atmete auf und bemühte mich um ein Lächeln, noch bevor Tatsumi mich sehen konnte. Ich merkte, dass es mir nicht so recht gelang, dass ich trotzdem furchtbar aussah, und natürlich merkte Tatsumi das auch.

Er lächelte nicht, als er mich ansah. Er versuchte es nicht einmal. Ich konnte nicht genau sagen, was für ein Ausdruck auf seinem Gesicht lag... nichts Gutes jedenfalls. Nicht das, was ich gehofft hatte, dort zu finden. Ich lächelte weiter, bis meine Mundwinkel schmerzten, als ob ich Tatsumi auf diesem Wege telepathisch hätte mitteilen können, wie sehr ich mir in diesem Augenblick doch wünschte, dass er dieses Lächeln erwidern würde. Warum tat er es nicht endlich? Ich hatte das verdammt ungute Gefühl, von einer Katastrophe in die nächste gestolpert zu sein, nur dass ich diesmal die Schlacht verpasst hatte. Die Verwüstung, die sie hinterlassen hatte, war jedoch leider unübersehbar.

Ich hätte schreien können. Ja, ich weiß, dass das egoistisch war, aber ich wollte einfach nicht, dass Tatsumi ausgerechnet jetzt schlecht drauf war. Und überhaupt, Tatsumi, schlecht drauf, das waren in meiner Welt nach wie vor Dinge, die nicht zusammenpassten. Obwohl ich es eigentlich besser hätte wissen müssen. Aber verstehen Sie mich doch bitte, ich konnte nicht noch mehr Probleme gebrauchen, es ging einfach nicht. Ich hatte genug, ich hatte so dermaßen genug, und ich gebe zu, dass ich mir mit jeder Sekunde weniger Mühe gab, das zu verbergen. Gott, es war so erbärmlich! Trotzdem hatte ich wenigstens insofern Erfolg, dass Tatsumi tief Luft holte, sich ein unmotiviertes Lächeln abrang und mich – Hurra! – hoch auf sein Zimmer brachte.

Obwohl meine Kleider immer noch nass waren, fühlte ich mich sofort viel besser und... wärmer. Klar, die Heizung war an, aber das war nicht alles. Wie kam es, dass ich plötzlich bemerkte, wie sehr mir dieses kalte, unpersönliche Zimmer ans Herz gewachsen war? Warum eigentlich? Ich dachte nicht weiter darüber nach, ich setzte mich lieber auf das Bett – wieder mal ganz an die Kante, aber diesmal nur deshalb, weil ich die Matratze nicht durchweichen wollte. Tatsumi ging zum Schrank, und jetzt musste ich wirklich lächeln. Die Stimmung war nach wie vor seltsam gedämpft, aber die Vorfreude auf warme, trockene Kleidung machte verdammt vieles wieder gut. Einmal mehr stellte ich fest, wie leicht ein Mensch doch mit ganz simplen Dingen zufrieden zu stellen war, wenn er nur ein paar Stunden auf sie hatte verzichten müssen.

Doch Tatsumi holte keine warme, trockene Kleidung für mich heraus. Wenigstens nicht die Art von Kleidung, die ich in diesem Moment erwartet hätte. Stattdessen nahm er meinen Kimono – seinen Kimono, den er mir geschenkt hatte –, legte ihn sorgfältig zusammen und packte ihn in eine längliche Kiste aus Holz. Diese hüllte er in eine Plastiktüte und dann das gesamte Paket in eine zweite Plastiktüte. Dem Ganzen folgte ein kunstvoll verzierter japanischer Schirm, den er ebenso sicher verpackte, und jede Menge Make up. Außerdem eine Sporttasche, randvoll bepackt mit Kleidung, die ich bei ihm für den Wettbewerb zwischengelagert hatte. Dabei schwieg er die ganze Zeit. Überhaupt wurde mir erst jetzt so richtig bewusst, dass noch keiner von uns ein einziges Wort gesprochen hatte. Langsam wurde mir die Situation verdammt unheimlich.

Ich wollte etwas sagen, das Schweigen brechen, aber ich konnte nicht. Quasi von einer Sekunde auf die nächste war eine so bedrückende, fast bedrohliche Atmosphäre aufgekommen, dass ich davon regelrecht überwältigt wurde. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und sah Tatsumi ins Gesicht, aber er schien sich voll und ganz auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Schon zum zweiten Mal stellte ich fest, dass es erschreckend war, wie starr und ausdruckslos seine schwarzen Augen doch sein konnten. Als ob darin überhaupt keine Gefühle mehr wären... als ob er eigentlich schon gestorben wäre. Mir lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Diese absurde Behaglichkeit, die das Zimmer kurzfristig gewonnen hatte, war nun wieder reiner, anonymer Kälte gewichen. Ich fröstelte mehr und mehr.

„Hier“, sagte Tatsumi nach einer grauenhaft langen Ewigkeit und stellte mir meine Habseligkeiten vor die Füße. „Ist eigentlich ganz gut, dass du vorbeikommst. Dann kannst du deine Sachen gleich mitnehmen und ich muss nicht extra noch mal bei dir vorbeifahren“

Ich starrte die Tüten und die Tasche an wie Fremdkörper; Dinge, die nichts mit mir zu tun hatten. Das alles hatte nichts mit mir zu tun. Das war ein Traum, und ich stand neben mir und beobachtete mich selbst dabei, wie ich von einer Situation in die nächste stolperte, jede einzelne viel zu absurd, um wahr zu sein.

„Warum?“, flüsterte ich. Ich hauchte diese Worte ganz leise und zittrig, wie in einer furchtbar kitschigen Seifenoper. Nein, das konnte nicht wirklich geschehen.

„Ach, stimmt“, antwortete Tatsumi, und in seiner Stimme war plötzlich etwas fast schon... Grausames. Unwillkürlich zuckte ich zurück. „Das kannst du ja noch gar nicht wissen. Du hast ja die letzten Tage mit deinem Freund verbracht.“

„Mit meinem... bitte was?!“, stammelte ich, und dabei klang ich nicht nur wie eine ertappte Ehefrau, ich fühlte mich auch so. Sofort stellte sich ein Schalter in meinem Inneren auf Verteidigungsmodus, und ich starrte Tatsumi viel argwöhnischer und zweifelnder an, als mir das eigentlich zustand.

„Ja, bitte was ist ein ziemlich treffender Ausdruck für ihn.“ Tatsumi verzog die Lippen. Als er weitersprach, lag ein so verächtlicher Tonfall in seiner Stimme, wie ich ihn selbst bei ihm noch nie zuvor gehört hatte: „Ich hätte nicht gedacht, dass du eine solche Vorliebe für... Mittelmaß hast, aber du kannst mir nicht erzählen, dass dein Freund wirklich derart langweilig ist, dass selbst du ihn schon wieder vergessen hast.“

Und mit diesen Worten überschritt er eine Grenze zu einem verdammt gefährlichen Krisengebiet in meinem Inneren, einem emotionalen Minenfeld, das den wunderschönen Namen Mike trug. Meine Angst und Beklommenheit wandelten sich wenigstens kurzfristig in blanke Wut, und mit einem Satz war ich auf den Beinen.

„Sag mal, was soll der Scheiß? Hast du’s einfach mal wieder nötig, das arrogante Arschloch raushängen zu lassen und jemanden zu beleidigen, oder warum führst du dich so auf? Was interessiert dich das überhaupt, mit wem ich die letzten Tage zusammen war? Wir sind verdammt noch mal nicht verheiratet!“

„Nein, wir sind ja nur Verbündete, richtig?“ Er stieß ein kurzes, abfälliges Lachen aus und schüttelte dann langsam seinen Kopf. „Ich versteh nur nicht, warum du dann letztes Mal so geredet hast. Das hättest du dir auch sparen können. Weißt du, ich fand’s auch nicht toll, wie das gelaufen ist, und da dachte ich mir, okay, siehst du nach, wie es Jessie so beim Training geht. Scheint dir jedenfalls viel Spaß gemacht zu haben. Aber gut, warum du ein paar Tage vor dem Wettbewerb lieber mit dem netten Jungen von nebenan rummachst, statt zu üben, muss ich nicht verstehen. Geht mich auch nichts an. Eigentlich geht mich das alles nichts an, das ist dein Leben, also mach damit, was du willst.“

„Tatsumi, bist du eifersüchtig?!“

„Nein, das bin ich nicht!“ Tatsumi starrte mich schon wieder so an, und langsam verstand ich wirklich die Welt nicht mehr. Es war doch einfach nicht möglich, dass er derart die Nerven verlor, nur weil er mich mit Mike zusammen gesehen hatte! Ich meine, es war ja nicht gerade so, dass wir es in Geenias Übungsraum wild und animalisch miteinander getrieben hätten. Wir hatten ein bisschen Spaß gehabt, das letzte bisschen Spaß meines ganzen Lebens, wie es mir langsam vorkam. Also warum diese plötzliche Weltuntergangsstimmung? „Das ist deine Sache. Das geht mich nichts an, und es zwingt mich ja auch keiner dazu, dir nachzuspannen oder so. Ja, ich gestehe, das gerade war lächerlich, und vermutlich habe ich mir einfach nur was eingebildet.“

„Tatsumi, er... er ist nicht mein Freund!“, stellte ich hastig, vielleicht etwas zu hastig richtig, und wieder war ich hin- und hergerissen zwischen viel zu vielen Gefühlen, die ich allesamt nicht verstand. Es war klar, dass sich Tatsumi nicht wirklich, oder jedenfalls nicht nur wegen Mike so aufregte. Da... da war auf jeden Fall noch mehr, das wusste ich einfach. Aber eine ganz, ganz, ganz leise Stimme, irgendwo in einem dunklen Abgrund meiner Seele, flüsterte mir zu, dass ich es auf eine völlig perverse Weise eigentlich gar nicht so schlimm fand, dass es Tatsumi eben nicht egal war, wenn ich einen anderen in meinen wahnwitzigen Plan einweihte, der bislang irgendwie... uns gehört hatte. Dass er sich aufregte, weil ich vermeintlich einen Freund hatte. Dass ich nicht tun und lassen konnte was immer ich wollte, und am Ende würde es trotzdem völlig okay sein. Finden Sie, dass es ein Kompliment ist, wenn ein Mensch zu gut ist, um wahr zu sein? Irgendwie war ich mir plötzlich nicht mehr sicher.

„Es ist mir egal, wer er ist!“, erwiderte Tatsumi, immer noch so... kalt. Langsam, fand ich, übertrieb er es ein wenig, aber das änderte nichts daran, dass mir auf einmal wieder ganz warm ums Herz wurde.

„Das ist nur ein Kumpel“, erklärte ich ruhig, und dann lächelte ich: „Neid, hm?“

Tatsumi lächelte nicht zurück. Er sah mich an, noch viel seltsamer als zuvor, und ganz kurz presste er seine Lippen fest aufeinander. Um ruhig zu bleiben? Er wirkte überhaupt nicht mehr aufgebracht. Es hatte mich ja schon schockiert, ihn wütend zu sehen, aber das jetzt war noch viel, viel schlimmer. Vor allem, weil ich es einfach nicht begreifen konnte.

Und das war vielleicht auch besser so.

„Ich sag doch, dass es mich nicht interessiert“, antwortete Tatsumi dann nämlich. „Mich interessiert’s eher, ob du dich noch an Trish Hedger erinnerst. Diese Silikonbarbie vom Schönheitswettbewerb.“

„Ähm... ja“, murmelte ich, während ich das wunderbare Gefühl hatte, von einem Eimer eiskalten Wassers übergossen zu werden. Mit Eiswürfeln drin. Und das draußen, nachts, im Winter.

„Sie hat mich heute angerufen“, fuhr Tatsumi fort, und die bedrohliche Ruhe in seiner Stimme lähmte mich endgültig. „Warum starrst du mich jetzt so an? Du weißt doch, was sie mir gesagt hat. Du bist ja scheinbar die Einzige, die das weiß. Nein. Entschuldige. Der Einzige. Oder was auch immer.“

„Tatsumi, was soll das? Die Frau hasst mich, das hast du doch gesehen! Keine Ahnung, was sie über mich erzählt hat, aber es ist Müll. Es kann nur Müll sein! Sie... sie kennt mich ja nicht mal wirklich!“

„Sag mal, glaubst du eigentlich langsam selbst, was du da redest?!“ Ganz kurz erhob Tatsumi die Stimme, aber dann fuhr er wieder in diesem furchtbar eisigen Tonfall fort: „Es gibt keine Jessica Maguire. Jesse Maguire ist ein Einzelkind. Du bist ein Einzelkind. Ehrlich, ich habe keine Ahnung, wie du’s geschafft hast, die gesamte Belegschaft dieses Wettbewerbs und... jeden anderen Menschen in deiner Umgebung so dermaßen zu verarschen. Aber du hast dir Jessica Maguire... ausgedacht. Alles, was du in den letzten Wochen getan und gesagt hast, war eine einzige verdammte Lüge.“

„Tatsumi, das ist nicht wahr! Ich... ich kann’s dir erklären!“

„Was?! Dass du keine Wahl hattest? Dass du das Geld brauchst?“ Tatsumi stieß ein unglaublich zynisches Lachen aus, aber dabei sah er mich so an, dass ich fast nicht mehr atmen konnte. „Gratuliere. Da hab ich dir ja sicher helfen können.“

Spätestens jetzt wusste ich nicht mehr, was ich sagen sollte. Ich brauchte meine ganze Kraft, um nicht vor Tatsumi in Tränen auszubrechen. Das hätte nicht passieren dürfen, schoss es mir durch den Kopf, ein ums andere Mal. Dabei war ich ja eigentlich selber Schuld. Was heißt eigentlich eigentlich? Ich konnte nicht begreifen, wie dumm ich gewesen war. Ich hatte keine Sekunde lang an Tatsumi gedacht, als Barbie mir mit ihrem Verrat gedroht hatte. Nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde lang. Vermutlich hatte ich schon deshalb verdient, was da gerade eben passierte.

„Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst“, sagte Tatsumi, und seine Stimme klang dabei furchtbar endgültig.

„Es tut mir leid“, murmelte ich, als ob ich damit noch irgendetwas hätte ändern können. „Es tut mir alles so schrecklich leid. Ich weiß, dass das jetzt verdammt scheiße aussieht, aber so... so war das nicht geplant. Das Ganze hat sich einfach... verselbstständigt.“

„Ja, das habe ich gemerkt.“ Tatsumi schüttelte den Kopf, und ich senkte den Blick, weil ich diesen Ausdruck in seinen Augen nicht mehr ertragen konnte. „Weißt du, Jessie, du hast immer gemeint, du kannst mir alles sagen und mich behandeln, wie du willst. Und mir hat das auch noch gefallen. Aber irgendwo reicht es. Das war zuviel. Das war zuviel, und ich möchte überhaupt nichts mehr dazu hören.“

„Es war nicht alles gelogen“, schluchzte ich jetzt doch noch. Ich konnte nicht anders. Ich ließ mich sogar dazu herab, Tatsumi flehend anzustarren. Ich musste mich beherrschen, nicht auch noch nach seinem Arm zu greifen und mich daran festzuhalten, dass er mich nicht einfach so herauswerfen konnte. Jetzt war er derjenige, der den Blick abwandte, und spontan kam ich mir noch viel schäbiger vor.

„So was kannst du nicht machen. Selbst mit mir nicht. Nimm einfach deine Sachen und geh.“

„Tatsumi, bitte!“

„Nein! Nein, hör auf!“ Er hob abwehrend beide Hände, drehte sich halb von mir weg und machte einen Schritt in Richtung Bett, nur um sich dort wiederum umzudrehen. Dann legte er den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Irgendwie schien ihn das zu beruhigen, aber in seinen Augen war immer noch diese furchtbare Leere – und etwas, von dem ich erst seit Kurzem geahnt hatte, dass es überhaupt existierte, und das mich seitdem irgendwie verfolgt hatte. Ist es nicht absurd? Man nehme bitte mal Tatsumis Leben und vergleiche es mit meinem Leben. Fertig? Gut. Und jetzt erklären sie mir, wie um alles in der Welt ich auf die Idee kam, dass ich vielleicht deshalb von Mike davongelaufen bin, weil ich das Gefühl gehabt hatte, dass nicht er der einzige mir bekannte Mensch war, der mich möglicherweise doch irgendwann einmal verstehen würde.

Aber jetzt war es sinnlos, darüber nachzudenken. Ich wollte Tatsumi nicht noch weiter quälen und mich nicht noch weiter erniedrigen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging ich zum Bett, hängte mir die Tasche um und nahm jeweils eine Tüte in jede Hand. Ich wusste, dass ich nichts mehr ändern konnte, nicht in diesem Augenblick. Ich sah Tatsumi noch einmal an, und sein Blick sprach mehr als tausend Worte. Ich nickte nur, ein stummes Zeichen, dass ich mich geschlagen gab. Ganz kurz hoffte ich, dass Tatsumi doch noch einlenken, dass er einfach lächeln, mich in den Arm nehmen und mir sagen würde, dass alles in Ordnung war. Dass er mir einen Himbeer-Vanille-Tee machen und danach irgendwelche belanglosen TV-Shows einschalten würde. Aber gleichzeitig wusste ich, dass ich dann vermutlich gar nicht hier wäre.

Stattdessen öffnete er mir demonstrativ die Tür und trat zur Seite. Ich hatte keine Ahnung, was ich noch hätte sagen sollen – eine simple Verabschiedung kam mir jetzt so fehl am Platze vor, aber etwas Besseres fiel mir auch nicht ein. Also begnügte ich mich mit einem missglückten Lächeln. Dann ging ich. Tatsumi schloss die Zimmertür hinter mir und ließ mich allein durch das Haus gehen. Ich tat es auch, auf dem schnellsten Wege. Ich schenkte der prunkvollen Umgebung gar keine Beachtung mehr, sondern eilte hinaus in den kalten Regen, vor dem ich vor nicht allzu langer Zeit noch hatte fliehen wollen. Und gerade, als ich ins Freie getreten und die Tür hinter mir geschlossen hatte, fiel mir ein, dass ich etwas vergessen hatte.

„Neid“, murmelte ich, und ich meinte damit Neid auf jeden anderen Menschen dieser Welt, der das unglaubliche Glück hatte, nicht ich zu sein. Aber jetzt konnte ich natürlich nicht mehr umkehren und es Tatsumi noch sagen. Vielleicht denken Sie, dass es dumm und lächerlich ist, sich in einer Situation wie dieser über unser blödsinniges Spiel den Kopf zu zerbrechen.

Es war nur leider nicht das erste Mal, dass ich an diesem Tag zu spät kam.
 

Ich habe die Sachen nach Hause gebracht, aber ich bin nicht dort geblieben. Kurz umgezogen hab ich mich noch, weil es mittlerweile nicht mehr ganz so stark regnete und ich es ja nicht um jeden Preis darauf anlegen musste, doch noch krank zu werden. Außerdem zog ich mir eine Jacke an und nahm einen Schirm mit, nur für den Fall. Ich gebe zu, ich habe darüber nachgedacht, zu Mike zu gehen. Ich wusste ja, dass er mich mit offenen Armen empfangen würde. Ich wusste, dass er mir in den kommenden Tagen beistehen und mich zum Wettbewerb begleiten würde. Aber ich konnte das nicht tun. So ein schlechter Mensch war ich nun auch wieder nicht.

Langsam stieg ich die Stufen zur nächtlichen Straße herab. Das gelblich orange Straßenlaternenlicht ließ die neblige Luft und den feuchten Asphalt leuchten. Hier stand ich also – genau dort, wo ich vor einer scheinbaren Ewigkeit angefangen hatte. Allein. Wieder hatte ich nichts zu verlieren. Vielleicht war das ja in dieser Situation gar nicht das Schlechteste.

Ich lief los, ohne lange darüber nachzudenken, wohin. Das war auch überhaupt nicht nötig. Ich rannte einfach, setzte einen Fuß vor den anderen, so schnell es eben ging, ohne hinzufallen. Erst jetzt bemerkte ich, wie sehr sich meine Kondition in der letzten Zeit verbessert hatte – ich konnte lange rennen, ohne ein Stechen in der Seite zu spüren. Und als ich es dann endlich doch spürte, war ich dankbar dafür, weil es irgendwie dazugehörte. Es war ein seltsam nostalgischer Augenblick, als ich mich erschöpft in das Gras des kleinen Parks am Fluss fallen ließ, in dem ich Tatsumi damals zum ersten Mal wirklich begegnet war.

Eine Weile lag ich dort und starrte hinauf in den Himmel. Das Gras war nass, aber der Regen hatte aufgehört. Ich betrachtete die schweren grauen Wolken, dann die glitzernde Skyline und das Schwarz des Flusses. Den schmalen, in Schlangenlinien geschwungenen Weg, der durch den Park führte. Die dunklen Umrisse der Bäume um mich herum. Ich war lange nicht mehr hier gewesen, aber die ganze Umgebung kam mir trotzdem so vertraut vor. Nach einer Weile setzte ich mich hin und betrachtete mein Spiegelbild im Wasser.

Mein Make-up war verwischt, aber ich sah gut aus. Kein Monster mehr, kein geschlagenes Ding, das auf Rettung wartete. Ich wusste ja, dass niemand kommen würde. Solche Zufälle gab es nur einmal im Leben, außer vielleicht für die Helden kitschiger Fernsehschnulzen. Gut, natürlich wäre es möglich gewesen, dass Tatsumi aus ähnlichen Gründen den Weg zurück zu diesem seltsamen kleinen Ort finden würde, wie ich es getan hatte. Möglich, aber trotzdem so unwahrscheinlich, dass ich gar nicht darüber nachdenken wollte. Ich quälte mich nicht mit unsinnigen Hoffnungen. Ich hörte den Geräuschen der Nacht zu, dem Glucksen und Rauschen des Flusses, dem Flüstern der Bäume und all den undefinierbaren Tönen, die unter anderen Umständen vielleicht unheimlich gewesen wären. Dem gedämpften Großstadtlärm. Irgendwie war alles wie ein weicher Teppich, auf den ich mich fallen lassen konnte. Ganz ehrlich – ich habe nicht nachgedacht. Ich saß einfach da, starrte vor mich hin und ließ die nächtliche Umgebung auf mich wirken.

Um es kurz zu machen: Ich saß etwa eine Stunde da, und natürlich ist niemand gekommen. Mir war nicht kalt. Ich stand irgendwann einfach auf, bin nach Hause gegangen und habe geschlafen. Ja, ich konnte schlafen, sogar ziemlich gut. Fest, traumlos. Die nächsten beiden Tage habe ich von früh bis spät trainiert. Am letzten Tag vor dem Wettbewerb ließ ich es ruhiger angehen – ich hab schon geübt, aber eben nicht so viel. Ich gönnte mir eine lange, ausgiebige Dusche, legte mir meine Kleidung zurecht, ein Bikini, Geenias makabres Cheerleader-Outfit, Tatsumis Kimono. Dann ging ich früh ins Bett, las noch eine Weile und schlief erfreulich schnell ein.

Das Piepsen meines Weckers riss mich am nächsten Tag um neun Uhr früh aus dem Schlaf. Ich schlug die Augen auf und starrte an die Decke. Durch die Japanflagge am Fenster fiel trübes Licht in mein Zimmer. Sonnenstrahlen. Der Regen hatte aufgehört. Es war angenehm warm, nicht zu heiß, aber es war ja auch noch recht früh am Morgen. Ich hoffte, dass es so bleiben würde, die Temperatur war wirklich ideal. Es war still in der Wohnung, nur ab und an fuhr unten ein Auto vorbei. Ich nahm an, dass Mum nicht zuhause war, also konnte ich mich in aller Ruhe für den Wettbewerb fertig machen.

Für den Wettbewerb.

Wissen Sie, wie verrückt dieser Gedanke war? Vor allem, weil er mir im ersten Augenblick so banal vorkam. Heute war der Wettbewerb, und für den musste ich mich herrichten. War ja immerhin ein Schönheitswettbewerb. Ich wusch und föhnte mir die Haare, erledigte den lästigen Rasierjob, schminkte mich, überprüfte noch einmal, ob ich alles, was ich brauchte, auf einem Haufen hatte, zog mich an. Es war alles so einfach, reine Routine. Das Einzige, was anders war, war so ein merkwürdiges Gefühl in meiner Brust. Irgendwie ein bisschen beklemmend, aber auch ein bisschen so wie Achterbahnfahren. Das Gefühl des freien Falls. Ich erschauderte in regelmäßigen Abständen. Wirklich ein seltsamer Morgen.

Es war tatsächlich niemand da. Nicht nur in der Wohnung, wie mir nach kurzem Nachdenken auffiel. Meine Mum hatte die ganze Sache vermutlich längst vergessen... zumindest solange, bis sie sich in einem kurzen klaren Moment wieder daran erinnern würde. Aber nicht heute, bestimmt nicht heute. Mike wollte ich nicht sehen, in seinem Interesse – und Tatsumi wollte mich nicht sehen, auch in seinem Interesse. Geenia wusste von dem Wettbewerb, war aber gerade geschäftlich in Berlin oder in Frankfurt, jedenfalls verdammt weit weg. Und soll ich Ihnen sagen, was das Absurdeste an der ganzen Sache war? Ich war erleichtert darüber, verdammt erleichtert. Haben Sie sich im Sportunterricht nicht auch manchmal gewünscht, dass einfach alle Schüler und der Lehrer verschwinden würden und Sie erst mal ganz alleine üben könnten? Ohne kritische Blicke, ohne peinliche Momente, denn Sie konnten sich ja schlimmstenfalls vor sich selbst blamieren.

Gut, ich würde bei dem Schönheitswettbewerb nicht allein sein. Mir würde ein ganzer Haufen Menschen zusehen, sogar eine Jury, die ja quasi... auch wie ein Lehrer war, nur eben mal drei. Nicht besser. Aber trotzdem, es war doch etwas vollkommen anderes als die Augen von Menschen, die man kannte. Die irgendwie selbst ein Teil der ganzen Sache waren... immer noch. Die zum Teil sogar wussten, wer ich war, wer ich wirklich war. Ich würde zwar auf der Bühne wieder voll und ganz zu Jessica Maguire werden, aber es war trotzdem unglaublich viel schlimmer, wenn wirklich ich persönlich als Versager dastand.

Die Strapazen der letzten Tage hatten glücklicherweise keine Spuren hinterlassen. Ich war vermutlich einfach zu angespannt, um müde zu sein, und auch sonst fühlte ich mich fit. Ich verließ rechtzeitig das Haus und fuhr mit der S-Bahn zum Lucky Karma Arcadium. Das Wetter war wirklich angenehm, der Himmel strahlend blau. Ich fand schon immer, dass so ein wolkenlos blauer Himmel etwas verdammt Schönes ist, ein Anblick, der mich automatisch ein bisschen beruhigte. Lachen Sie ruhig darüber, aber irgendwie fühlte ich mich dann immer so... klein, nur ein Teil eines riesigen Ganzen, und ich war mir jedes Mal sicher, dass ich doch nicht völlig allein auf der Welt war.

Natürlich war mein Gepäck insgesamt ziemlich schwer, aber ich hatte mir ja glücklicherweise in den vergangenen Wochen ganz schön Muskeln antrainiert. Meine Arme und Beine waren immer noch furchtbar dünn, doch unter der harmlos wirkenden Oberfläche ruhten erstaunliche Kräfte. Na ja, als wir dann vor der Tür noch ein bisschen warten mussten, wurde es schon anstrengend, aber ich wollte die Sachen auf gar keinen Fall abstellen, obwohl der Boden trocken war. Es waren bereits einige Mädchen da, aber nicht alle. Mindestens zwei von ihnen sahen so müde aus, dass ich mich ernsthaft fragte, ob sie nicht vor der Halle gecampt hatten. Oder vielleicht waren sie ja nur noch nicht geschminkt.

Irgendwann kam Melinda Farley und führte uns zu den Umkleidekabinen. Ich erkannte sie sofort wieder, auf den allerersten Blick. Dabei hatte ich sie erst einmal gesehen – Sie wissen schon, als sie uns von Freestyle Walk und Performance erzählt hatte. Ihre brünette Fönfrisur war gigantisch. Ihre Lippen waren knallrot geschminkt, so groß und leuchtend, dass man gar nicht aufhören konnte, sie anzustarren. Ihr Kleid hatte dieselbe Farbe. Es war bis über die Hüften ganz eng und ein bisschen gerafft, nur um sich dann in einem üppigen Wasserfall aus Mengen von Stoff bis auf den Boden zu ergießen. Jeder ihrer Schritte wurde nicht nur von einem ausladenden Hüftschwung, sondern auch von einem leisen Rascheln begleitet.

Es gab nur einen einzigen großen Umkleideraum, der noch mehrere abgetrennte Kabinen hatte, die man mit Vorhängen verschließen konnte. Gegenüber jeder dieser Kabinen war an der Wand ein von runden Lämpchen umrahmter Spiegel. Auch sonst hatte man einige Strahler in die Wand eingesetzt, den Boden mit schickem schwarzem Laminat bezogen, die Decke sogar verspiegelt. Aber das alles konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns in einem umgebauten Lagerraum befanden. Dort, wo die Wände frei lagen, sah man hässlichen, nackten Beton. Der Kleiderständer in der Ecke sah nicht weniger nach Warenlager aus, nur weil tolle Ballkleider daran hingen. Na ja, mich störte es nicht. Ich war zufrieden, solange ich mich ungestört umziehen konnte.

Mir wurde die Kabine mit der Nummer Siebzehn zugeteilt. Ziemlich weit hinten, aber wenigstens eine schöne Zahl. Ich meine, ich konnte mir denken, dass das auch meine Startnummer sein würde, und ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass eine lange Wartezeit ein annehmbarer Preis dafür war, als einer der Schlusspunkte der Show einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu können. Ich legte sorgsam meine Sachen auf dem Brett ab, das an den Wänden der Kabine angebracht war und wohl als Sitzgelegenheit dienen sollte. Solche Hungerhaken wie die meisten Mädchen hier konnte es vermutlich auch wirklich tragen, aber ein bisschen misstraute ich der Sache trotzdem. Ich wollte nicht im letzten Moment noch eine Verletzung riskieren.

Ich packte mein Kleidchen für die Tanznummer lieber schon mal aus, schließlich sollten die Stoffbahnen nicht verknickt sein, sondern schön fliegen können. Dieser Tanz hatte mich nicht nur Nerven und Schlaf gekostet, er hatte mir auch mehr Schmerzen bereitet als die meisten von Mums Exfreunden. Es war nicht einfach nur eine einstudierte Performance, es war mein Baby. Ich wollte, dass alles dafür perfekt war. Ich wusste, ich würde unzufrieden sein, wenn auch nur die kleinste Kleinigkeit schief ging, selbst, wenn das außer mir überhaupt keiner bemerkte.

Nachdem ich mein Territorium markiert hatte, ging ich wieder raus und suchte auf dem Kleiderständer nach meinem Outfit. Und, siehe da, ich erlebte schon wieder eine positive Überraschung: Mein Abendkleid war nämlich wirklich, wirklich schön. Es war in so einem dunklen Türkis... Petrol nannten es die anderen Mädchen, glaube ich. Der Rock war bodenlang, mit einer Lage transparenten Stoffes in etwas hellerem Türkisblau darüber. Das Oberteil war ganz schlicht, mit dünnen Trägerchen, in die so winzige silberne Fäden eingenäht waren. Ja, ich hatte definitiv Glück gehabt, wenn ich mir ansah, was andere Mädchen so in ihren Händen hielten. Direkt neben mir stand eine eher kleine und ziemlich dünne Asiatin, die unglücklich auf ein leuchtend gelbes, flattriges Monstrum starrte.

„Oh jeee“, seufzte sie in meine Richtung, als sie meinen Blick bemerkte. „Das Ding ist ja größer als ich! Und diese tolle Farbe!“

„Ja, aber echt“, grinste ich zurück. „So... unauffällig.“

„Ich hasse Gelb!“

„Ich auch.“

„Cool! Wie heißt du?“ Sie lächelte mich so offen und ehrlich an, dass mich ihre – in diesen Kreisen doch eher ungewöhnliche – Freundlichkeit überhaupt nicht misstrauisch machte. Da war keine Falschheit in ihrer Stimme, die ein todsicheres Indiz dafür gewesen wäre, dass sie sich gleich über mich lustig machen würde. Offensichtlich suchte da ein ziemlich nervöser Mensch wenigstens irgendeinen Gesprächspartner, und ich nahm ihr Angebot dankbar an. Spontan warfen uns einige der anderen Mädchen verächtliche Blicke zu.

„Ich heiße Jessica“, antworte ich gleich noch ein bisschen freundlicher.

„Und ich bin Mi Cha.“ Sie deutete eine Verneigung an und zwinkerte mir zu. Offenbar hatte sie die Blicke unserer Konkurrentinnen auch bemerkt.

„Woher kommst du?“

„Ich bin eigentlich schon hier, seit ich denken kann. Aber geboren bin ich in Daejon, das ist in Südkorea.“

„Nicht schlecht! Ich bin...“

Und dann stockte ich, weil ich zum ersten Mal an diesem Tag Barbie sah.

Es war absurd – sie stand einfach so da, mit ihren wasserstoffblonden Locken und den riesigen glänzenden Lippen, ein knallpinkes Kleid in ihren Händen. Ein wahr gewordener Alptraum. Sie hatte mich offenbar schon eine Weile beobachtet, denn sie erwiderte meinen Blick sofort, und in ihren großen blauen Augen blitzte unverhohlene Schadenfreude auf. Ich spürte, wie mir übel wurde. Mit aller Gewalt rammte ich mir die Fingernägel in die Handflächen, weil ich mich sonst vermutlich nicht mehr hätte zurückhalten können. Das Bedürfnis, mich auf sie zu stürzen und ihr wieder und wieder und wieder in ihre dümmliche Silikonfresse zu schlagen, war so überwältigend, dass ich kaum mehr atmen konnte.

Sie hatte alles kaputt gemacht. Ich war zum ersten Mal seit so, so langer Zeit wirklich glücklich gewesen, und ich wusste, dass ich die Chance gehabt hatte, noch viel glücklicher zu werden, und zwar auf Dauer. Na ja, vielleicht nicht für immer, das konnte man ja nie wissen. Aber ich hatte Möglichkeiten gehabt wie noch nie zuvor in meinem Leben. Barbie hatte mir das weggenommen. Es war schwer, die Wut und den Schmerz, die immer weiter und weiter in mir hochkrochen, wieder zurückzudrängen. Und als ich gerade drauf und dran war, all die Arbeit der vergangenen Wochen mit ein paar Faustschlägen und Tritten in Trümmer zu legen, schallte aus einem der Lautsprecher in den oberen Ecken des Raumes eine süßliche Frauenstimme auf uns herab:

„Nun, meine Schönheiten – Zeit zum Umziehen, dann werdet ihr den Catwalk näher kennen lernen und wir gehen noch einmal die Aufstellung nach der Walk-In-Sequence durch!“

Und auf einen Schlag war alles wieder weg. Die ganzen überwältigenden Emotionen, einfach aufgelöst. Ich war wieder Teil dieses Wettbewerbs, und, so blöd das jetzt vielleicht klingt, mein Privatleben hatte da nichts zu suchen. Jetzt kam es nur noch auf den Sieg an. Ich würde laufen, ich würde tanzen, ich würde lächeln und ich würde gewinnen. So sah mein Plan für den heutigen Abend aus. Über alles Weitere konnte ich mir später noch Gedanken machen.

Ich lächelte Mi Cha zu, die mich etwas besorgt anblinzelte. Sie lächelte zurück und nickte, und dann verschwanden wir wieder in unseren Kabinen.

Es war Zeit, sich für die große Schlacht zu rüsten.
 

Den Rest des Nachmittags verbrachten wir mit langweiligen, immer gleichen Proben: Aufstellen, den Kopf genau im richtigen Winkel drehen, Zähne zeigen, aber nicht zu sehr. Es war eine angenehme, beruhigende Routine, und obwohl wir wieder und wieder das Gleiche machten, ging die Zeit erstaunlich schnell rum. In dem tollen, großen Zuschauerraum konnte man den Himmel nicht sehen, und als wir eine kurze Pause machten, war es draußen schon dunkel. Die meisten, die rausgingen, taten es, um zu rauchen – ich wollte einfach frische Luft schnappen, drum entfernte ich mich ein bisschen von der Masse. Wir durften nur noch durch den Hinterausgang raus, also vermutete ich, dass vor dem Haupteingang schon Zuschauer und vielleicht sogar ein paar Presseleute herumlungerten.

Ich war froh darüber, nicht mehr lange warten zu müssen. Ich wollte einfach nicht mehr. Mir war es bis jetzt gelungen, die Unruhe, die sich wie ein Gift in meinem Körper ausbreitete, eben als das zu bewahren, was sie war – Unruhe. Aber langsam merkte ich, wie sie mehr und mehr in Angst umschlug. Angst, vielleicht sogar Panik. Diese Art von Panik, bei der einem furchtbar übel wurde, die einen zittern ließ und die einem die Luft abschnürte, während einem abwechselnd heiß und kalt war. Der ultimative Adrenalinrausch. Ich wusste, dass er früher oder später sowieso kommen würde, aber dann wollte ich ihn bitteschön nicht länger als irgendwie nötig ertragen müssen.

Zuerst sah alles danach aus, als ob das Schicksal ein Einsehen mit mir hätte. Ich musste nur noch etwa zehn Minuten warten, dann wurden wir alle wieder in die Halle gerufen und es ging los. Natürlich noch lange nicht mit dem Schönheitswettbewerb – aber mit fertig Schminken, Haare machen, Schmuck anlegen, all das eben. Jedem Mädchen war ein so genannter Personal Coach zur Seite gestellt, der Tips beim richtigen Make up und der passenden Frisur gab. Mir verhalf eine junge, hübsche Frau mit Sommersprossen und einem wilden roten Lockenkopf zu einer blauen bis hellblauen Augenumrandung, verziert mit ein bisschen silbrigem Glitzer. Meine Lippen schminkte sie ziemlich hell, was am Ende irgendwie unwirklich aussah. Dazu noch streng zurückgebundene Haare, und ich erkannte mein Spiegelbild kaum mehr wieder. Es war mir ein bisschen peinlich, aber ich konnte nicht anders, als mich in jeder freien Sekunde bewundernd anzustarren.

Leider zeigten mir Blicke in die nähere Umgebung, dass die anderen Mädchen mit diesem gewissen Hauch professioneller Unterstützung fast genauso umwerfend aussahen wie ich – naja, manche auch ein wenig übertrieben, mit künstlicher Bräune am ganzen Körper und mehr Glitzer im Gesicht als Strass auf ihren Abendkleidern. Barbie stach da besonders heraus – sollte es mich wundern? –, mit ihrem pinkfarbenen, hautengen, großzügig berüschten Fummel, um die großen blauen Augen herum ein unvergleichlich nuttiges Kunstwerk aus Pink, noch mehr Pink, Rosa und ein bisschen Gold, die Lippen… fast genauso Pink wie der Lidschatten. Grauenhaft. Aus irgendeinem Grund war ich mir sicher, dass ich von diesem Anblick Alpträume bekommen würde.

Aber immerhin vertrieb die gegenseitige Musterung die nun quälend langsam dahinkriechende Zeit. Ich beobachtete auch, wie Mi Cha geschminkt wurde. Erstaunlicherweise sah das neongelbe Etwas an ihr sogar richtig gut aus, mit seinen komischen transparenten Flatterärmeln und den meiner Meinung nach vollkommen überflüssigen, ebenfalls transparenten… Flatterbändern am Rücken. Trotzdem, zu ihr passte es. Sie war ja eh so klein, und dann halt noch Asiatin. Ihr Haare wurden, Klischee ahoi, zu einem Knoten hochgesteckt und mit schwarzen Haarnadeln verziert. Als sie meinen Blick bemerkte, lächelte sie nervös und zwinkerte mir mit ihren langen Wimpern zu.

Ich verbrachte etwa eine weitere Viertelstunde damit, die Konkurrenz zu begutachten. Ich hatte so ein ungutes Gefühl im Magen, das jeden Augenblick in Übelkeit umschlagen konnte, und meine Hände waren furchtbar zittrig. Ich verschränkte die Füße hinter dem einen runden Bein meines Stuhles, um nicht ständig damit herumzuzappeln. Einfach weiter dasitzen und dich umschauen, sagte ich mir. Ganz ruhig. Momentan konnte ich sowieso nichts ändern, und wenn ich jetzt die Nerven verlor, konnte ich der Jury meine tollen Walking Skills auch nicht besser präsentieren.

Tja, und dann war es plötzlich so weit. Eine gestresste dürre Frau in Jeans und T-Shirt schaute zur Tür hinein und winkte uns hektisch zu sich. Durch einen langen, schmalen, vollkommen schmucklosen Korridor stöckelten wir einer Treppe entgegen, die nur durch einen roten Vorhang von der Bühne getrennt war. Von draußen hörte man die gedämpften Stimmen des wartenden Publikums und die elektronisch kühle Lautsprechermusik. Es roch nach Menschen, nach verdammt vielen Menschen und ihren typischen, undefinierbaren Gerüchen, eben irgendsoeiner wilden Mischung aus Schweiß, Parfum, Haarspray und, ja, Körpergeruch. Außerdem nach Plastik, nach Staub, nach Hitze. Ich merkte, dass mir schwindlig wurde, und stütze mich lieber schnell an der nackten Wand ab.

Mi Cha stand fast direkt hinter mir, nur durch ein einziges Mädchen von mir getrennt – ich rechnete aus, dass sie folglich die Startnummer neunzehn haben musste. Ich hob die Hand zu einem fahrigen Gruß, aber sie schien mich gar nicht zu bemerken. Ihre schönen Mandelaugen fixierten starr den Boden, ihre Arme umklammerten ihren Bauch, und ihr Gesicht war so bleich, als ob man durch sie hindurchsehen könnte. Bei ihrem Anblick fühlte ich mich spontan noch miserabler, noch nervöser. Ich bohrte mit der Spitze meines türkisfarbenen High Heels in dem hässlichen grauen Bodenbelag herum, aber das half mir auch nicht weiter.

„Alles okay?“, fragte ich vorsichtig. Vielleicht zu vorsichtig, denn zuerst kam von Mi Cha überhaupt keine Reaktion. Sie starrte weiterhin vor sich hin, der Ohnmacht weitaus näher, als mir lieb war, und das konnte ich so nicht akzeptieren. Es war möglicherweise ein bisschen verrückt, aber ich hatte plötzlich das unbedingte Bedürfnis, ja den Zwang, ihr helfen zu müssen, um selbst durchzuhalten. Die Situation wurde mit jeder Sekunde unerträglicher, und ich wusste, dass ich etwas tun musste, wenn kein Unglück geschehen sollte. „Du siehst grad nicht so gut aus.“

Ich wollte Mi Cha damit keinesfalls beleidigen – natürlich war sie immer noch wunderschön, und sie können sich ja denken, wie ich’s gemeint habe. Aber Mi Cha hob auf meine Worte hin derart plötzlich und entsetzt den Kopf, als ob ich sie weiß Gott wie schlimm beleidigt hätte. Ich kannte Beleidigungen, die eine derartige Reaktion bei meinen Mitmenschen hervorriefen, zweifellos, und ich hatte es schon oft genug erfolgreich ausprobiert. Im aktuellen Fall hatte ich aber eigentlich nur besorgt und freundlich klingen wollen, und Mi Chas erschrockener Blick erschreckte mich meinerseits so sehr, dass ich schon drauf und dran war, mich bei ihr zu entschuldigen.

Dazu kam ich aber gar nicht mehr. Bevor ich noch ein weiteres Wort sagen konnte, fuhr Mi Cha herum, drängte sich mit hektischen, fahrigen Bewegungen an unseren gemeinsamen Konkurrentinnen vorbei und stürzte in Richtung des so genannten Backstagebereiches von dannen. Ich überlegte kurz, ihr nachzulaufen, aber dann war meine Angst, den Anfang des Wettbewerbes zu verpassen, doch zu groß. Klar schämte ich mich ein bisschen für diese egoistische Entscheidung, aber Sie wissen ja selbst, dass man manche Chancen nur einmal im Leben bekommt, und bei meiner Chance hier ging es um alles oder nichts.

Ich verfluchte mich für diesen Gedanken, kaum dass er mir durch den Kopf gegangen war. Super, jetzt war zwar mein Gewissen beruhigt, dafür spürte ich den Druck, der auf meinen Schultern lastete, mit hundertfachem Gewicht. Einen Moment befürchtete ich, in den Boden gestemmt zu werden. Ich gratulierte mir selbst zu dieser Meisterleistung und trippelte auf meinen Absatzschuhen herum, um nicht doch noch umzufallen. Warum ging es denn nicht endlich los? Doch dann musste ich wieder an Mi Cha denken und wurde noch nervöser, weil ich hoffte, dass sie rechtzeitig wieder zurückkommen würde. Langsam fragte ich mich, ob es gerade überhaupt noch irgendetwas gab, das mich nicht nervöser machte.

Und dann wurde draußen die Musik leiser. Ja, ich weiß, eigentlich das genaue Gegenteil von einem spektakulären Ereignis, aber ich wusste genau, was es bedeutete: Der Elektrosoundteppich wurde eingerollt, um in den Gehörgängen der Zuschauer Platz für das penetrant fröhliche Geschwafel des Ansagerduos zu machen. Sie lesen richtig, wir hatten ganze zwei Ansager. Wenn das kein Grund war, sich wichtig vorzukommen, weiß ich’s auch nicht mehr. Ich konnte nicht genau verstehen, was Mr. J. Anderson und Mrs. Patty Stepford sich da in ihre bühnentauglich überschminkten Gesichter säuselten, aber die Tatsache, dass sie es taten, machte uns hinter der Bühne natürlich sofort klar, dass es gleich losgehen würde. Meine Knie zitterten so sehr, dass ich sie schon nach kurzer Zeit kaum mehr spürte. Was natürlich die allerbeste Voraussetzung für eine eindrucksvolle Demonstration meiner Walking Skills war. Noch dazu in Abendkleid und High Heels. Ach, und habe ich schon erwähnt, dass mich meine Nervosität langsam umbrachte?

Ich wusste, gleich würden sie uns holen. Und, ja, genau das war der Wortlaut meiner Gedanken: Sie werden dich holen. Ich fühlte mich, als ob ich sterben müsste. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, bis es beinahe weh tat, und plötzlich fiel mir kein Grund mehr ein, warum ich nicht lieber schreiend weglaufen sollte. Was vermutlich in erster Linie daran lag, dass die Panik mein Gehirn lahmgelegt hatte. Wäre ich ein Computer gewesen, hätte man mich jetzt vermutlich gewaltsam neu starten müssen.

Tja, was soll ich sagen? Dieser Neustart kam tatsächlich, und zwar in Gestalt von Mi Cha, die in ihrem gelben Flatterkleidchen den Korridor hinuntertrippelte. Sie war extrem bleich, aber perverserweise machte sie das eher noch ein bisschen schöner. Gegen meinen Willen atmete ich auf. Ich wusste nach wie vor, dass die Show gleich beginnen würde – wie hätte ich das vergessen können? –, und ich war froh, dass für das mit Abstand sympathischste Mädchen hier nicht schon alles vorbei war, bevor es überhaupt richtig angefangen hatte. Während mir durch den Kopf ging, dass ich verdammt nochmal nicht mehr ans anfangen denken sollte, wurde meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt, das ich im ersten Moment noch gar nicht so recht begreifen konnte.

Irgendetwas stimmte nicht mit Mi Chas Gesichtsausdruck.

Sie wirkte nicht mehr so nervös wie zuvor, nicht mehr so völlig in sich gekehrt, fast abwesend. Eher… besorgt, aber selbst da war ich mir nicht sicher, ob es das richtige Wort dafür war. Doch bevor ich noch länger darüber nachdenken konnte, war Mi Cha auch schon auf mich zugetrippelt und drängte sich hinter mich. Sie ließ mich gar nicht zu Wort kommen, sondern zupfte mit ihren winzigen Fingerchen an meinem Kleid herum. Ich war so verwirrt, dass ich für einen kurzen Augenblick tatsächlich vergessen konnte, dass ich vor wenigen Sekunden noch beinahe verendet wäre.

„Du, Jessie“, flüsterte sie ganz aufgeregt, „ich hab grad da hinten im Umziehraum etwas gesehen, das war total komisch!“

„Wieso?“, fragte ich zurück, und gegen jedes winzige bisschen meines Willens wurde ich neugierig. Es war einfach unmöglich, sich diesem Tonfall in Mi Chas Stimme zu entziehen, der schon ohne große Worte von dem bedeutsamsten Geheimnis der Menschheitsgeschichte erzählte – oder wenigstens von etwas, das dem sehr nahe kam. Außerdem, und das war fast das Bemerkenswerteste, hatte sie in ein Handy in der Hand. Wissen sie eigentlich, wie unfassbar streng verboten es für uns war, Handys mit hinter die Bühne zu nehmen? Wenn Mi Cha dieses Risiko freiwillig auf sich nahm, dann musste es hier verdammt noch mal um etwas wirklich Wichtiges gehen!

„Da war dieses Mädchen“, erklärte sie endlich, „diese Blonde, die du vorher so angestarrt hast, und die ist in deine Umkleidekabine gegangen.“

„Wer?!“, fauchte ich, obwohl ich die Antwort natürlich schon kannte, bevor Mi Cha ihr Handy hob und mir ein etwas pixeliges, aber doch unverkennbares Bild von Barbie präsentierte, wie sie in ihrer ganzen pinkfarbenen Pracht in meine Kabine schlich. Ich sah sogar, dass sie ziemlich verschlagen lächelte, aber das hätte es gar nicht gebraucht, um zu begreifen, dass diese Person ganz bestimmt nichts Gutes im Sinne hatte. Und bei diesem Anblick überkam mich etwas, womit ich um wirklich nichts auf der ganzen Welt gerechnet hätte.

Freude. Erleichterung. Ein Gefühl, als ob eine tonnenschwere Last von mir abfallen würde, von der ich zuvor noch nicht einmal richtig begriffen hatte, dass ich sie überhaupt mit mir herumschleppte. Mi Cha hielt in ihren schmalen Fingern nicht weniger als meine Rettung. Das Gegenmittel... oder vielmehr Gegendruckmittel zu Barbies Wissen, mit dem sie mich nach wie vor ins Verderben reißen konnte. Natürlich, Barbie konnte auch weiterhin da raus gehen und der Jury erzählen, dass die liebreizende Jessica Maguire eigentlich weder liebreizend noch weiblich war, aber von der jetzigen Sekunde an konnte ich ihr nachlaufen und schreien: „Okay, dieses eine Mal hat sie Recht, aber dafür schleicht sie in ihrer Freizeit gerne heimlich in den Umkleidekabinen der Konkurrenz herum, was sagt ihr dazu?“

Ja, ich gebe zu, ich habe wieder einmal zu wenig nachgedacht. Ich war einfach nur glücklich darüber, Barbie jetzt genauso erpressen zu können, wie sie mich erpressen konnte. Ich fühlte mich sicher, ich fühlte mich stark und gut, und vielleicht war das ja in diesem Moment auch das Beste, was mir hätte passieren können. Als Mi Cha fragte, ob wir das Foto nach dem Freestyle Walk den Preisrichtern zeigen sollten, lehnte ich das ab. Ich konnte ihr diese Entscheidung natürlich nicht bis ins Detail erläutern, aber ich glaube, als ich sagte, dass ich gegen Barbie gerne noch etwas in der Hand haben würde, verstand mich Mi Cha, obwohl sie doch gar nicht wirklich verstehen konnte.

Als wir dann von unfreundlichen Backstage-Helfern zu unserem ersten Lauf auf den Catwalk geholt wurden, fühlte ich mich ganz und gar nicht mehr wie ein Lamm vor dem Schlachter. Ich war immer noch groß und mächtig, ich war unbesiegbar und ich lächelte jetzt schon wie eine Gewinnerin. Ich bin mir sicher, dass der Jury das gefallen hat. Der Lauf war vermutlich der beste, den ich jemals gehabt habe. All die Zuschauer saßen zu meinen Füßen, in einem schwarzen Saal mit glitzerndem Boden, und ich kam mir so vor, als ob ich über ihre Köpfe fliegen würde. Da war kein Hauch mehr von Nervosität, ich genoss jeden einzelnen eleganten Schritt, den ich machte. Ich fühlte mich wie befreit, und als ich wieder hinter der Bühne verschwand, da grinste ich wie ein Clown auf Drogen.

In diesem Moment hatte ich einfach alles vergessen. Ich hatte sogar vergessen, warum ich so unglaublich selbstbewusst und glücklich war, und wem ich das eigentlich zu verdanken hatte. Ich schwebte weiter, den sterilen Gang entlang hinter die Bühne. Ich wusste, dass ich mich ein bisschen beeilen musste, um meinen Kimono rechtzeitig anzuziehen und das ganze komplizierte Make up und die Frisur hinzubekommen, aber selbst dieser Gedanke erschreckte mich nicht mehr. Der erste Schritt war geschafft. Ich hatte meine Walkings Skills zeigen sollen, und ich hatte sie verdammt noch mal so was von gezeigt! Jetzt würde ich den Rest, auf den ich so viel mehr geprobt hatte, auch noch irgendwie hinbekommen.

Ich trat in den großen Umkleideraum und zog als erstes meine Schuhe aus, obwohl ich mich auch an die Absätze inzwischen ganz gut gewöhnt hatte. Aber ich wollte schon mal ein Gefühl dafür bekommen, jetzt auf weniger hohen Schuhen laufen zu müssen. Immer noch ziemlich dümmlich grinsend trippelte ich in meine Umkleidekabine und stolperte dort beinahe über etwas, das am Boden lag. Als ich überrascht nach unten blickte, stellte ich fest, dass es der Schleier meines Cheerleaderkleides war.

Die langen, transparenten Bänder lagen abgeschnitten und –gerissen in dem kleinen Raum verteilt, und auch der Rest des Kleides war übel zugerichtet. Die Schleifchen waren bis auf eine einzige alle abgerissen worden, und diese letzte hing in Fetzen herunter. Die Spitze war völlig zerschnitten, und in dem Stoff des ehemals so schönen Cheerleaderkostüms des Todes prangten mehrere große, unregelmäßig gezackte Löcher.

Vermutlich habe ich nur deshalb nicht geschrien, weil mir jeder Laut im Hals stecken blieb. Von einer Sekunde auf die nächste hatte sich meine Begeisterung in blanken Horror verwandelt, und obwohl ich es ja immer noch eilig hatte, war ich vollkommen unfähig, mich auch nur um einen einzigen Millimeter zu bewegen. Nur in Ohnmacht zu fallen hätte ich vielleicht gerade noch hinbekommen. Ganz, ganz langsam begriff ich, dass ich mit diesem einen verdammten Foto von Barbie zwar etwas gewonnen, dass ich aber auch etwas ungleich Wichtigeres verloren hatte. Meinen Tanz. Mein Baby.

Alles, wofür ich in den vergangenen Wochen bis zum Äußersten gekämpft und gelitten hatte, lag nun in Fetzen vor mir auf dem Boden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2009-06-13T19:41:40+00:00 13.06.2009 21:41
wow hab diese ff heute mittag entdeckt und tatsächlich komplett durchgelesen.
die story ist sehr gut (und interessant) geschrieben, unglaublich fesselnd und irgendwie hinreißend ^^
bitte bitte bitte schreib so schnell wie möglich weiter.
glg anukia
Von:  chaos-kao
2008-11-02T18:19:02+00:00 02.11.2008 19:19
Ich versteh sein Verhalten zwar nicht ganz, was die beidne Jungs angeht, ABER WARUM ENDEST DU GERADE JETZT, WO ES SO SPANNEND WIRD?!? ;___;
Bitte beeil dich mit dem nächsten Kapitel ^^ Du schreibst nämlich echt gut und die Story ist auch mal was anderes! ^^
Gruß
KaNi
Von:  ShapeShifter
2008-11-02T11:27:41+00:00 02.11.2008 12:27
toll~ endlich mal wieder ein kapitel *.*
woha, is ja ganz schön heftig >.<
bin gespannt wie das weiter geht


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