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disease

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The Mind No. 01

The Mind No. 01
 

Ich war noch sehr jung, als ich das erste Mal starb.

Nie, niemals werde ich diesen Zeitpunkt in meinem damals so kurzen Leben vergessen.
 

Seit diesem Zeitpunkt bin ich noch viele Tode gestorben. Früher dachte ich, dass es mit der Zeit einfacher werden würde. Erträglicher.

Doch das wurde es nicht. Nie.
 

Früher dachte ich, ich würde mich daran gewöhnen, bekäme einen gewissen...Alltag.

Aber das tat ich nicht. Nie.
 

Ich musste Schmerzen erleiden, schlimmer als den Tod.

Ich musste Ängste ausstehen, Erniedrigungen ertragen, mich wie einen Gegenstand behandeln lassen. Ohne Seele, ohne Herz.
 

Und doch bin ich dankbar für jede Sekunde meines bisherigen Lebens. Ich habe meine Bestimmung gefunden, meine Aufgabe.

Eine Aufgabe, die nur ich erfüllen kann. Einen Posten, den nur ich bestreiten kann.
 

Und dafür würde ich alles Leid der Welt auf meine Schultern nehmen.
 

Diese Welt hat sich verändert. Sie wurde gespalten in schwarz und weiß, in Himmel und Hölle. Auseinander gerissen, geteilt, verletzt und blutend liegt diese Welt dar... Und es ist keine Rettung in Sicht. Keine Hoffnung. Kein Heilmittel.
 

Und doch will ich nicht aufgeben.
 

Ich habe noch Hoffnung, trage sie in mir wie ein wärmendes Licht, wie die Flamme einer Kerze; klein, flackernd und doch stark, beruhigend und richtungweisend.
 

Für viele Menschen, die in dieser Hölle dort draußen leben, bin ich die Hoffnung geworden. Ich bringe ihnen Frieden, versuche ihnen ein Leben zu schenken, sie zu schützen und ihnen den Schmerz abzunehmen.
 

Aber es ist nicht so einfach... Besonders an Tagen wie dem heutigen.
 

Ich kann kaum sehen vor Schmerz, keinen klaren Gedanken fassen, keinen Laut von mir geben, mich nicht bewegen, kaum mehr atmen.
 

Um mich herum ist alles weiß, ein süßer Geruch liegt in der Luft, es fühlt sich an als würde ich schweben... Trügerisch.
 

Es ist, als hätte die Welt sich umgekehrt.

Das strahlende Weiß um mich herum sollte dunkles Schwarz sein. Der süße Geruch sollte faulig sein... So würde es stimmen.

So würde es zu dem Leid passen, welches dieser Ort verursacht. Nicht nur mir, sondern noch vielen anderen.

Ich bin lediglich einer der wenigen hier, welche diesen Ort lebend wieder verlassen werden.
 

Und doch werde ich sterben... So, wie damals.
 

Aber ich werde wieder auferstehen, werde mich erneut erheben, werde erneut meine Kräfte sammeln und letztendlich wie ein Phönix aus der Asche wieder auferstehen.
 

Ich trage noch immer die Hoffnung und den Glauben in mir.

Den Glauben an die Menschen dort draußen, an ihren Überlebenswillen, ihre Stärken und ihre Schwächen, ihr Leid und ihre Gefühle.
 

Dort draußen herrscht die Apokalypse, der Kampf um jeden weiteren Tag, darum zu überleben, es zu ertragen, durchzustehen bis...

Bis was?

Bis ein Heilmittel gefunden wird vielleicht.

Bis die Menschheit einsieht, dass sie verdammt nochmal Mist gebaut hat.

Bis die schwarzen Götter es endlich aufgeben?
 

Selbsternannte Götter...

Götter, die dieser Welt den Untergang gebracht haben.
 

Und doch habe ich noch nicht aufgegeben.
 

Ich habe mir die Hoffnung bewahrt. Die Hoffnung auf diese Welt. Darauf, dass auch sie wieder auferstehen wird, aus ihrer eigenen Asche emporsteigt und schöner wird als je zuvor.
 

Ich spüre, wie meine Lippen sich zu einem Lächeln verziehen, wenn ich an solche Dinge denke. Die Schmerzen werden nicht erträglicher, aber sie rücken irgendwie in den Hintergrund. Sie sind nicht wichtig.
 

„Er braucht noch eine Dosis.“
 

Ich weiß nicht wem diese Stimme gehört. Wahrscheinlich einem der Wissenschaftler. Einem der schwarzen Götter.
 

Alles um mich herum ist weiß. Der Boden, die Wände, die Decke, die Instrumente um mich herum, die Laken auf denen ich liege und die Kittel, die diese Männer tragen.
 

Weiß...

Die Farbe der Reinheit aber ebenso der Stille und Leere.

Leer.
 

Mein Herz fühlt sich leer, wenn ich in diesen Räumen eingesperrt bin. Mein Geist scheint ausgelaugt.
 

Weiß steht in einigen Kulturen auch für die Trauer. Das empfinde ich schon als passender.
 

Erneuter Schmerz schießt durch meinen Körper, der Stich im Arm ist da kaum mehr zu bemerken. Dennoch registriere ich ihn und ordne ihn sofort einer Nadel zu. Eine Spritze. Eine von vielen heute. Ich hab aufgehört sie zu zählen.

Ich darf nicht darüber nachdenken, ich darf mich nicht auf den Schmerz konzentrieren, nicht auf die Qualen. In diesen Räumen bin ich kein Mensch mehr. Kein Lebewesen mit Gefühlen oder Schmerzempfinden.
 

Ich war noch so jung, als ich das erste Mal starb.

Damals gab es keine Spritzen, keine piependen Geräte oder Männer in weißen Kitteln.
 

Damals gab es nur mich.

Mich und...
 

Die Bilder der Vergangenheit in meinem Kopf flackern vor meinem inneren Auge. Es ist, als würde mein Herz mich und sich selbst davor schützen wollen.

Nur bruchstückhaft kann ich mich erinnern.

Mein zehnter Geburtstag, meine Familie, das hohe Klirren eines Glockenspiels, der im Wind flatternde Stoff des Kleids meiner Mutter, der Geruch nach frisch gemähtem Gras, nach Lavendel. Kinderlachen, das Plätschern von Wasser, die Stimme meines Bruders...
 

Und dann?
 

Das Bild verschwimmt, plötzlich stand ich in einem dieser weißen Räume. Es roch steril, es gab keine Fenster und doch war es viel zu hell in diesem Raum. Die Neonleuchten über meinem Kopf summten unangenehm, jeder meiner Schritte klang gedämpft auf dem weißen Boden.
 

Ich erinnere mich an die sich nähernden Schritte und kann fast wieder die Angst von damals spüren, die Verwirrung und die Freude und Erleichterung, als mein Vater vor mir zum Stehen kam.
 

Ich kann mich genau an den dunklen Anzug erinnern, der einen so starken Kontrast zu diesem furchtbaren Weiß gegeben hat. Ich erinnere mich an den herben Geruch seines Rasierwassers. Und an die Spritze, die mir in den Arm gejagt wurde.
 

Bis heute kann ich nur Vermutungen anstellen von dem, was man diesem kleinen Jungen damals genau angetan hatte. Und zu welchem Zweck. Mein Gedächtnis ist lückenhaft.
 

Aber alles, an was ich mich von damals noch erinnere, ist bereits quälend genug.
 

Ich erinnere mich an Todesangst und Schmerzen. Daran, dass ich geschrien habe, dass ich den Namen meines Vaters gerufen habe.
 

Heute weiß ich, dass ich nie einen Vater hatte.

Natürlich, ich bin wichtig für ihn, aber nicht aus väterlichen Gefühlen.

Er wusste schon damals, dass ich mit einem gewissen Grad an Antikörpern auf die Welt kommen würde.
 

Ich bin nicht immun, bei Gott nicht.
 

Diese verdammten kleinen Monster die man Parasiten nennt, können auch mich töten. Aber dafür braucht es besondere Spezies von ihnen und eine hohe Anzahl.

Mein Körper kann die weniger aggressiven Arten abtöten, kann sie in geringer Zahl abwehren. Die allerersten Prototypen des Gegenmittels wurden aus meinem Blut geschaffen.
 

Ich weiß, dass ich etwas Besonderes bin. Nicht unbedingt, weil ich als etwas Besonderes geboren wurde, sondern weil ich zu etwas Besonderem gemacht worden bin.
 

Und jetzt liege ich hier. ‚Etwas Besonderes’...es klingt lächerlich in meinen Ohren. Ich liege hier und lasse diese Versuche über mich ergehen, lasse Medikamente an mir testen und verschiedene Parasitenarten. Meine Werte werden gemessen, meine Reaktionen werden aufgezeichnet, der Grad meiner Qualen geschätzt.
 

Aber niemand unternimmt etwas dagegen.
 

Ich spüre wie das letzte Mittel langsam anschlägt und mein Geist wieder klarer wird.

Der Strichcode in meinem Nacken brennt und erneuter Schmerz dringt durch meinen Körper, als das Lesegerät angesetzt und meine aktuellen Werte abgelesen werden.

Der Chip in meinem Nacken fühlt sich heiß an, macht mir Kopfschmerzen und verursacht Übelkeit.
 

Langsam lässt die benebelnde Wirkung der ganzen Medikamente nach und ich kann meine Umwelt immer klarer wahrnehmen, aber auch immer deutlicher das Elend spüren.

Ich beuge mich gerade noch zur Seite, ehe ich mich über den Rand des Bettes übergebe. Es gibt ein klatschendes Geräusch als mein Mageninhalt auf dem Fußboden landet. Die nächsten zwei Minuten erfüllt mein Husten und Würgen den Raum. Mir steigt der säuerliche Geruch in die Nase und stachelt meine Übelkeit nur noch mehr an.
 

Mir dreht sich alles.
 

Ich bin noch viel zu benommen, registriere aber wie man mich auf die Füße zerrt und aus dem Raum schafft. Ich werde mehr mitgeschliffen, als das ich auf eigenen Beinen laufe.
 

Es folgt das übliche: Eine eiskalte Dusche die mir den Sauerstoff aus den Lungen presst, ehe ich zitternd und bibbernd in frische Klamotten gesteckt werde.
 

So langsam hat sich mein Verstand restlich geklärt und ich präge mir ein was am heutigen Tag geschehen ist, welche Versuche man mit mir gemacht hat. Ich darf es nicht vergessen, muss alles genau aufschreiben in der Hoffnung, dass es mir irgendwann noch etwas nützen wird. In der Hoffnung dass sich all die Schmerzen irgendwann bezahlt machen.
 

Man bringt mich aus dem Labortrakt in den öffentlichen Bereich des Gebäudes. Es herrscht geschäftiges Treiben hier, aber ich bemerke es kaum.
 

Mir ist schwindlig.
 

Einmal mehr fühlt sich mein Körper seltsam an. So als wäre es nicht mein eigener. Ich muss mich erst wieder damit vertraut machen, bin noch ganz unsicher auf den Beinen. Mein Blick ist noch etwas trüb, das Bild vor meinen Augen immer wieder unscharf, wird mit jedem Blinzeln aber besser.
 

Zwei bullige Typen in Anzügen übernehmen nun meinen Begleitschutz. Ich weiß, dass diese Männer zur Security gehören. Ihre Aufgabe ist es mich ‚unversehrt’ nach Hause zu schaffen. Als ob es möglich wäre, dass mir etwas noch schlimmeres passiert als es tagtäglich in diesen Laborräumen der Fall ist.
 

Ein Seufzen kommt über meine Lippen, ich steige in den draußen wartenden Wagen, lehne mich auf den kalten Ledersitzen zurück.

Noch immer bin ich ganz benommen und die Übelkeit rumort weiterhin in meinem Magen.
 

Ich greife nach meiner Tasche die neben mir auf dem Autositz liegt und ziehe einen kleinen, selbstgebauten PC hervor. Groß genug um halbwegs damit arbeiten zu können, klein genug um ihn in den hinteren Taschen meiner Jeans mit mir rumschleppen zu können. Ich klappe das Gerät auf, beginne die Informationen von heute darin einzutragen und abzuspeichern. Später kann ich sie dem gesamten Progamm hinzufügen und auswerten.
 

Jetzt brauche ich erstmal meinen Schlaf...

Eine Pause, die mir nicht lange vergönnt bleibt.
 

Lediglich während der Autofahrt kann ich mich etwas ausruhen, ein wenig meine Kraftreserven erneuern.
 

Es dauert über eine Stunde bis zum Hauptgebäude der M-Gene Corporation. In der Zwischenzeit bin ich wieder halbwegs bei Verstand. Dafür ist die Übelkeit aber auch übermächtig geworden.
 

Der Wagen hat noch nicht einmal richtig gehalten, da springe ich auch schon raus. Meine zwei Bewacher kennen das schon und lassen mich gehen. Sie wissen, dass ich nie flüchten würde. Wohin auch?
 

Mein Platz ist hier.
 

Mit raschen Schritten eile ich durch das viel zu große Gebäude und fange schließlich an zu rennen. Auf den letzten Metern drücke ich mir eine Hand auf den Mund. Halb laufe ich in einen der Handlanger des Bosses rein, aber es ist mir egal.
 

Die Tür zu meinen Räumen ist erreicht, ich öffne sie und stolpere in das Loft, wo mich mein Weg direkt ins Badezimmer führt. Ich bin froh das ich mich gerade noch über die Kloschüssel beugen kann, ehe ich mich erneut hustend übergebe.
 

Eigentlich ist es sinnlos, denn mein Magen ist bereits leer. Ich würge lediglich Magensäure hervor, sie brennt in meinem Hals und macht das ganze nur noch schlimmer.
 

Diese ganze Prozedur ist mir bekannt, aber ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Es ist zu widerlich.
 

Ich fühle mich schon wieder ganz benommen, während ich der Kloschüssel mein Innerstes offenbare. Das geräumige Badezimmer dreht sich um mich herum, der Fußboden fühlt sich trotz Bodenheizung kalt unter meinen Knien an.
 

Ich kann mich nur an der Toilette festklammern, um nicht seitlich weg zu kippen.
 

Ich hab keine Ahnung wie lange ich hier hocke und würgend nach Luft ringe. Minuten, vielleicht auch Stunden. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren.
 

Selbst als ich mich nicht mehr übergeben muss sinke ich vor der Toilette einfach auf dem Boden zusammen. Ich ziehe die Beine eng an meinen Körper, bleibe zitternd auf den Fliesen liegen und schließe die Augen.
 

Später kann ich Schritte hören, habe aber keine Kraft mehr dazu auch nur die Augen zu öffnen. Zwei starke Hände greifen nach mir, ich werde aufgehoben und lasse den Kopf gegen die Schulter eines anderen sinken. Eigentlich brauche ich gar nicht nachzusehen. Ich weiß wer das ist.

Eben jener Handlanger, den ich vorhin fast noch umgerannt habe.

Er ist es immer.
 

Es ist seine Aufgabe sich um mich zu kümmern und das wird er auch heute tun. Wie immer weiß ich nicht, ob ich mich für meine Schwäche hassen, oder für die Hilfe dankbar sein soll.

Ich werde in mein Bett gelegt, sinke sofort in die Kissen.
 

Ich kann hören wie er ins Bad zurückkehrt, die Spülung betätigt, das Fenster öffnet und einen Eimer holt, den er neben meinem Bett auf den Boden stellt.
 

Er zieht mir die Kleider aus, ruhig, nicht grob oder dergleichen. Es ist ungewohnt so vorsichtig behandelt zu werden und ich lasse es geschehen. Ich werde in eine warme Jogginghose und ein T-Shirt gesteckt, anschließend hält man mir eine Flasche Wasser an die Lippen und ich trinke gierig.
 

„Langsam,“ mahnt er mich ruhig und wahrscheinlich hat er Recht.
 

Die kühle Flüssigkeit tut gut. Sie vertreibt das Brennen in meinem Hals und dämpft den schrecklichen Geschmack im Mund etwas.
 

„Die nächsten Tage wird man wohl nicht viel mit dir anfangen können, hm?“
 

Da hat er wohl Recht. Es war schlimm heute. Zu viele Medikamentenversuche. Das haut meinen Körper einfach um.

Ich kann nichts mehr antworten, behalte die Augen geschlossen.
 

Ich weiß, dass Cyril noch eine ganze Weile bei mir bleiben wird. Ich weiß, dass ich mich die nächsten Stunden noch öfters übergeben werde, dass ich Schmerzen haben und unter Krämpfen leiden werde.
 

Aber ich weiß auch, dass sich all das lohnen wird. Spätestens, wenn ich meinen nächsten Boten in die Deadzone schicken kann…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  kyouhaku
2013-10-05T22:37:34+00:00 06.10.2013 00:37
"...während ich der Kloschüssel mein Innerstes offenbare."
8D
wie war das, je weniger passiert, umso länger wird der text? xD


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