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Give me your tired, your poor, your huddled masses yearning to breathe free

„Wo wollen wir jetzt hin?“, fragte Gilbert und zog seinen Koffer hinter sich her.

„Ich würde sagen, wir nehmen uns ein Taxi in die Stadt und sehen mal, wo wir ein Hotel finden.“

„Das klingt bei dir alles so... einfach.“

„Was soll schwieriges dabei sein?“, fragte Antonio sorglos. „Wir werden einfach...“

„Verdammt!“

„Was ist?“, fragte er erschrocken und wandte sich Gilbert zu, der neben ihm angehalten hatte und sich neben seinen Koffer kniete. „Verdammte Scheiße“, murmelte er.

„Was ist passiert?“

„Die Rollen sind kaputt. Sowas Blödes.“

„Du musst ihn tragen“, sagte Antonio.

„Das muss ich offensichtlich, Toni, danke für den Hinweis!“

„Wir haben es ja nicht mehr weit“, versuchte Antonio, ihn zu beruhigen. „Lass dir doch von so etwas nicht die Laune verderben.“

Gilbert knurrte nur in sich hinein, als er den Koffer hochhob. Antonio seufzte unhörbar und beschloss, ihn in Ruhe zu lassen. Das war immer das Beste gewesen, was man hatte tun können, wenn er schlechte Laune hatte.

„Und regnen tut's auch!“, fauchte Gilbert, als sie aus den breiten Türen traten. „Lieber Himmel! Das Schlimmste, was jetzt noch passieren könnte, ist...“

„Hallo!“, ertönte eine laute Stimme hinter ihnen. „Braucht hier etwa jemand die Hilfe eines Helden?“

Gilbert riss die Augen auf. „Toni“, sagte er langsam. „Dreh dich um und sag mir, dass es nicht der ist, von dem ich befürchte, dass er es ist.“

Überrascht drehte Antonio sich um und starrte denjenigen an, der gerufen hatte. Und er konnte nicht anders, als seinen Koffer fallen zu lassen und in lautes Gelächter auszubrechen.

„Alfred! Wie zum Teufel... wie kommst du hierher? Einen solchen Zufall gibt es überhaupt nicht!“

„Ich habe einen sechsten Sinn dafür, wenn jemand in Schwierigkeiten ist!“, verkündete Alfred und kam auf sie zu. „Und ihr seht aus, als könntet ihr Hilfe gebrauchen.“

„Das könnten wir tatsächlich“, sagte Antonio, der noch immer nicht recht wusste, ob er dieses Zusammentreffen bejubeln oder unheimlich finden sollte. „Gilberts Koffer ist kaputt und...“

„Ich kann ihn nehmen!“, bot Alfred hilfsbereit an. „Ich habe Superkräfte, müsst ihr wissen! Nur her damit, Gilbert!“

Knurrend ließ Gilbert sich den Koffer abnehmen. „Hätte ich auch selbst geschafft“, murmelte er mit einem bösen Blick in Antonios Richtung.

„Jaja, natürlich!“ Alfred lachte laut auf, hob den Koffer ohne sichtbare Anstrengung hoch und trug ihn davon. „Du benimmst dich genau wie Ludwig damals. Der wollte auch keine Hilfe, obwohl er sie offensichtlich gebrauchen konnte...“

„Ludwig?“, wiederholte Antonio aufgeregt, der sich bemühte, mit Alfred Schritt zu halten. „Also ist er hier? Weißt du, wo er genau ist?“

„Natürlich weiß ich das! Ich halte mich doch auf dem Laufenden darüber, was in meinem Land vorgeht. Was dachtet ihr denn?“

„Er ist hier?“, keuchte Gilbert, der ebenfalls kaum mit Alfred mithalten konnte. „Wo? Seit wann? Und wieso zum Teufel rennst du so?“

„Damit wir aus dem Regen rauskommen!“, erwiderte Alfred und schlug den Weg zum Parkplatz ein. „Mein Wagen steht irgendwo hier. Ich nehme euch mit zu mir, dann reden wir!“

„Woher weiß er, dass wir mitkommen wollen?“, zischte Gilbert Antonio zu.

„Ich glaube nicht, dass er es weiß“, erwiderte Antonio und lachte. „Und ich glaube auch nicht, dass es ihn wirklich interessiert.“
 

„Ich weiß nicht, was mit Ludwig in letzter Zeit los ist“, gab Alfred zu und stellte das Glas mit Cola auf dem Küchentisch ab. „Ich habe ihn schon ein paar Mal angerufen, aber ich hatte immer nur den Anrufbeantworter dran. Er hat sich auch nicht zurückgemeldet.“

„Ob etwas passiert ist?“, fragte Antonio besorgt.

„Ach was!“ Gilbert winkte ab. „Dem doch nicht. Vielleicht schmollt er. Vielleicht will er nur mit Alfred nichts zu tun haben.“

„Wieso sollte er?“, fragte Alfred empört. „Ich will ihm helfen!“

Gilbert sagte nichts dazu. „Hast du seine Nummer?“, fragte er stattdessen.

„Ja. Aber, wie gesagt, er ist seit Ewigkeiten nicht mehr ans Telefon gegangen...“

„Ich rufe ihn an.“

Alfred zog eine Augenbraue hoch. „Also gut“, sagte er. „Aber ich kann für nichts garantieren.“

Gilbert schnaubte nur.

„Hier“, sagte Alfred, ging zu einem kleinen Schrank und zog nach einigem Kramen ein kleines Büchlein aus einer Schublade. „Schlag unter Ludwig nach.“

Gilbert nickte und griff nach dem Buch. „Wo ist das Telefon?“

„Steht im Wohnzimmer. Ja, du darfst es benutzen, danke der Nachfrage.“

„Keine Ursache.“

Gilbert verließ die Küche, ohne sich noch einmal umzusehen.

„Manieren hat er ja“, sagte Alfred gut gelaunt. „Das gefällt mir.“

„Er ist nicht gut drauf nach dem Flug“, erklärte Antonio. „Nimm es nicht persönlich.“

„Ach was, kein Problem.“ Alfred nahm sein leeres Glas, stellte es in die Spüle und warf einen Blick auf die Uhr. „Was, schon so spät? Ich bekomme langsam Hunger. Du auch?“

„Ein wenig.“

„Ich werde mal eben losfahren und Essen holen, wenn das okay ist“, verkündete Alfred und ging zur Tür, ohne eine Antwort abzuwarten. „Ich kann euch doch hier allein lassen?“

„Du musst selbst wissen, ob du Gilbert in deinem Haus allein lassen willst.“

„Ach was! Der ist doch erst einmal mit Telefonieren beschäftigt“, erklang Alfreds Stimme aus dem Flur. „Und ich bin auch sofort wieder da. Was soll ich dir mitbringen?“

„Ich bin nicht wählerisch.“

„Alles klar! Dann werden es Hamburger. Bis später!“

Er hatte so schnell die Tür hinter sich ins Schloss gezogen, dass Antonio nicht einmal etwas zur Verabschiedung sagen konnte. Dass jemand so viel Energie haben konnte, dachte er und zog die Augenbrauen hoch. Beeindruckend.

Gemächlich stand er auf, trat auf den Flur und sah sich um. Nur eine der Türen stand offen. Als er hindurch spähte, konnte er Gilbert mit einem Telefonhörer am Ohr auf einem Sofa sitzen sehen.

„Und?“, fragte er aufgeregt. „Wie läuft's?“

„Pssst!“, machte Gilbert und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Antonio hob entschuldigend die Hand, schlich näher und setzte sich neben ihn auf das Sofa. Das Wohnzimmer war nicht groß, aber die untergehende Sonne schien durch das große Fenster und überflutete den Raum mit Licht.

„Sechs“, murmelte Gilbert, der ins Leere starrte. Verwirrt sah Antonio ihn an, bis ihm einfiel, dass er wahrscheinlich das Tuten in der Leitung zählte.

„Sieben...“

Plötzlich riss Gilbert die Augen auf. Antonio beobachtete ihn und wünschte, er hätte mithören können.

„Nein, nicht Alfred!“, sagte Gilbert und lachte atemlos. „Ich bin's, West!“

Einen Moment lang tat sich gar nichts. Dann erklang aus dem Hörer ein so lautes Krachen, dass sogar Antonio es hörte. Gilbert fuhr zusammen und hielt den Hörer so weit weg von seinem Ohr wie möglich.

„Hat er aufgelegt?“, fragte Antonio.

„Und wie“, knurrte Gilbert. „Verdammt.“

„Was hat er gesagt?“

„Nichts. Naja, außer Hallo, Alfred.“

„Und jetzt?“, fragte Antonio unsicher.

„Und jetzt?“, wiederholte Gilbert, legte den Hörer auf und nahm ihn gleich wieder ab. „Jetzt versuche ich es nochmal.“
 

„Da bin ich wieder!“, rief Alfred, stieß die Tür auf und hielt triumphierend eine Tüte aus dickem Papier in die Luft. „Habt ihr irgendetwas erreicht?“

„Noch nichts“, antwortete Antonio, weil Gilbert nicht so aussah, als würde er etwas sagen. Er hatte es noch einige Male bei Ludwig versucht, doch nie war abgehoben worden. Seitdem er es aufgegeben hatte, hockte er stumm auf dem Sofa und sah ins Leere, in Gedanken anscheinend ganz woanders.

„Schade“, sagte Alfred ehrlich enttäuscht, ließ sich neben ihnen in einen Sessel fallen, warf die Tüte mit den Hamburgern auf den Tisch und zog eines der runden Päckchen für sich selbst heraus. „Bedient euch ruhig. Mit vollem Magen geht alles besser.“

Gilbert knurrte etwas. Antonio öffnete die Tüte, zog ebenfalls einen Hamburger heraus und wickelte ihn aus dem Papier. „Ich habe schon lange nicht mehr so viel Fastfood in so kurzer Zeit gegessen“, erklärte er und lächelte.

„Nicht? Fastfood ist gut für dich! Es geht schnell und macht satt!“

Sie lachten, doch Antonio konnte es nicht aus ganzem Herzen tun. Gilbert, der stumm neben ihm hockte, verdarb die heitere Atmosphäre.

„Iss doch auch etwas“, sagte er und stieß ihm sanft den Ellbogen in die Seite. „Alfred hat Recht. Mit vollem Magen sieht alles schon anders aus.“

Gilbert knurrte nur etwas und griff grob nach der Tüte. Antonio seufzte kaum hörbar und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Er blieb an einem kleinen Bild hängen, das er schon während Alfreds Abwesenheit länger betrachtet hatte.

„Alfred? Was ist das da eigentlich?“

„Hmm?“, machte Alfred und sah von seinem Hamburger auf.

„Es ist ein Bild der Freiheitsstatue, nicht wahr?“, fragte Antonio und beugte sich etwas näher. „Aber ich kann nicht lesen, was daneben steht, es ist zu klein...“

„Es ist ein Sonett“, sagte Alfred, und plötzlich leuchteten seine Augen.

„Ein Sonett? Wovon handelt...“

"Keep, ancient lands, your storied pomp!" cries she

With silent lips. "Give me your tired, your poor,

Your huddled masses yearning to breathe free,

The wretched refuse of your teeming shore.

Send these, the homeless, tempest-tost to me,

I lift my lamp beside the golden door!"

Verblüfft sah Antonio Alfred an. „Du kannst es auswendig?“

The New Colossus von Emma Lazarus“, sprudelte es aus Alfred heraus. „Das war nur der letzte Teil. Es ist auf dem Sockel von Lady Liberty eingraviert. Ich mag es wirklich gern, und ich liebe Lady Liberty!“

„Es ist hübsch“, sagte Antonio, der ein wenig überrumpelt war, und lachte. „Es drückt genau das aus, wofür du stehst, nicht wahr, Alfred? Allen ein Zufluchtsort zu sein, die Zuflucht brauchen...“

Alfreds Grinsen schien plötzlich einzufrieren, obwohl es nicht von seinem Gesicht verschwand. „So könnte man es sagen“, sagte er.

„So könnte man es sagen? Wie sollte man es denn sonst sagen? Du bist jahrhundertelang das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gewesen. Hat sich daran etwa irgendetwas geändert?“

„Ob sich etwas geändert hat?“ Alfred schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich einfach zu alt geworden.“

„Alt?“, wiederholte Antonio und musterte ihn verdutzt. „Du bist doch noch keine zwanzig.“

„Innerlich, meine ich“, erklärte Alfred und zog die Schultern hoch. „Es ist nur... man sagt doch, was man weiß, kann man nicht glauben. Je mehr ich sehe, je mehr ich weiß, desto schwieriger wird es, zu glauben.“

„Woran zu glauben?“

„An meinen Traum. An den Traum, alles schaffen zu können, wenn ich mir nur genug Mühe gebe.“

„Glaubst du etwa nicht, dass es stimmt?“

„Ich versuche, es zu glauben. Aber...“ Unwillig schüttelte Alfred den Kopf. „Ach, ich weiß auch nicht, was ich noch glauben soll.“

Antonio wollte noch etwas fragen, etwas sagen, doch Alfred wich seinem Blick aus und schob sich den letzten Rest seines Hamburgers in den Mund. Es war ein so großer Bissen, dass er sich beinahe daran verschluckte und für Sekunden damit beschäftigt war, nicht zu ersticken.

„Ich versuche es später noch einmal bei West“, sagte Gilbert in die Stille hinein, die am Tisch herrschte, wenn man von Alfreds gedämpftem Husten absah.

„Tu das“, sagte Antonio.

„Und wenn er weiterhin nicht drangeht... hast du seine Adresse, Alfred?“

„Klar“, antwortete Alfred, hustete ein letztes Mal und griff nach dem nächsten Hamburger. „Aber es sind schon zwei oder drei Stündchen von hier aus.“

„Hast du mal versucht, ihn zu besuchen?“

„Ich wollte. Aber irgendwie ist immer etwas dazwischen gekommen... ich habe ja auch noch ein Leben“, erklärte Alfred und zog die Schultern hoch.

Gilbert nickte nur, während Antonio sich fragte, wie dieses Leben wohl aussah.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Zu dem Gedicht, aus dem auch der Titel stammt, wollte ich an dieser Stelle die Quelle angeben, aber Alfred ist mir zuvor gekommen. Böser Alfred! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  deisabri
2011-09-25T07:27:57+00:00 25.09.2011 09:27
schönes Kapitel
toll das du immer wieder literarische oder historische Zitate und Fakten reinbringst.(macht deine Fanfiktions immer so schön lehrreich°,^)

ich kann es kaum erwarten bis es weiter geht
schreib sofort weiter!!



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