Kapitel 48
Tag 100
T.O.P
“Und er ist einfach so ohnmächtig geworden?”
“Ja! Ich wollte ihn ins Bett tragen, weil ich befürchtet hatte, dass der Weg dorthin zu anstrengend für ihn sein könnte und plötzlich ist er in sich zusammengesackt… Ich hätte ihn vor Schreck beinahe fallen lassen!”
Besorgt wandert mein Blick in Richtung Bett, in welches ich dich gelegt habe, ehe ich den Doktor alarmiert habe. Obwohl der Arzt dir vor wenigen Minuten eine Spritze verabreicht und behauptet hat, dass diese deinen Kreislauf wieder in Schwung bringen würde, hast du dich noch immer nicht bewegt. Lediglich die Tatsache, dass sich deine Brust nun wieder gleichmäßig hebt und senkt und dein Gesicht ein wenig Farbe angenommen hat, macht deutlich, dass es dir inzwischen ein bisschen besser gehen muss.
“Wahrscheinlich hätte ich ihn gleich tragen sollen, anstatt ihn erst minutenlang in seinem Zustand herumstehen zu lassen… Seine Hand hätte ich auch verarzten können, während er im Bett liegt. Und dann habe ich ihn auch noch so aufgeregt. Hätte ich ihn einfach ins Bett gebracht und Sie heimlich angerufen, wäre das sicher nicht passiert…”
“Machen Sie sich keine Vorwürfe. Sie haben sich absolut richtig verhalten!”
“Naja… Wenn es richtig gewesen wäre, würde er nun nicht hier liegen. Ich hab langsam das Gefühl, als wäre mein gesamtes Leben einfach nur eine Ansammlung von Fehlentscheidungen!”
Beinahe freundschaftlich legt der ältere Herr mir seine Hand auf die Schulter und lächelt mir zu und obwohl er nichts antwortet, fühle ich mich irgendwie getröstet. Einige Sekunden verweilt er in seiner Haltung, ehe er sich wieder dir zuwendet, erst deinen Puls misst und anschließend eine Hand auf deine Stirn legt. Auch ich wende meinen Blick wieder dir zu. Wie lange du wohl noch schläfst? Ob du dann wohl noch immer böse auf mich bist? Oder wirst du verstehen, dass ich nur wollte, dass es dir besser geht? Während ich mir Gedanken darum mache, was passiert, wenn du wieder wach bist, beobachte ich den Doktor dabei, wie er deinen Hals abtastet und mir anschließend einen fragenden Blick zuwirft.
“Und Sie sind sich wirklich sicher, dass Ihr Freund über eine Erkältung geklagt hat?”
“Hm…? Natürlich bin ich mir sicher… Außerdem war er die letzten Tage über ziemlich geschwächt, hatte oft Kopfschmerzen und so… Gestern war ihm sogar auch schon kurz schwindelig aber wir hatten gehofft, dass es nicht schlimmer wird…”
“Aber Husten hatte er nicht? Oder musste er sich oft die Nase putzen oder niesen? Sein Hals fühlt sich eigentlich ziemlich normal an… Wenn Sie mich nicht darauf hingewiesen hätten, hätte ich eine Erkältung als möglichen Grund für den Schwächeanfall ausgeschlossen.”
“Husten… hm… Nein, ich glaube nicht… Aber ich bin mir auch nicht wirklich sicher. Wir… wir sind keines von diesen Pärchen, die den ganzen Tag zusammen verbringen und sich keine Sekunde aus den Augen lassen…”
Ich versuche, dem Herren ein schiefes Grinsen zuzuwerfen, doch ohne mich selbst sehen zu können, weiß ich, dass es nicht wirklich überzeugend wirkt. Aber hätte ich lieber erzählen sollen, dass wir uns eigentlich nur noch permanent auf die Nerven gehen, die meiste Zeit in getrennten Räumen verbringen und uns selbst, wenn wir etwas gemeinsam unternehmen, nicht wirklich oft direkt ansehen? Wie sollte ich erklären, dass wir uns lieber den gesamten Tag über belanglose Themen unterhalten, als darüber, wie wir uns fühlen? Wie könnte ich von ihm verlangen, zu verstehen, dass unsere Beziehung so kaputt ist, dass ich sogar Angst davor habe, dass die Frage nach deinem Befinden zu aufdringlich sein könnte und mir diese deshalb so oft wie möglich verkneife?
“Achso… Nun… Also seine Temperatur ist ein wenig erhöht. Allerdings kann dies auch von der Aufregung sein. Ich werde Ihnen gerne ein Mittel gegen Erkältung und Fieber verschreiben aber lieber wäre es mir, er würde es nicht einnehmen…”
“Soll ich lieber zusehen, wie er gleich wieder umkippt?”
“Natürlich nicht… Regen Sie sich doch nicht gleich so auf! Ich meinte lediglich, dass es sein kann, dass Ihr Freund die Symptome falsch gedeutet hat. Die meisten Leute schließen bei Fieber und allgemeinem Unwohlsein sofort auf eine Erkältung, daran ist nichts verwerflich. Ich denke aber, dass es sich hierbei nicht um eine solche Erkrankung handelt…”
Ich rolle mit den Augen und stoße ein genervtes Seufzen aus. Schon wieder jemand, der mir etwas von Stress erzählen möchte. Als ob ich nicht selbst am besten wüsste, wie verdammt stressig unser Leben momentan ist. Aber wenn du sagst, dass du krank bist, wird es wohl so sein. Dennoch nicke ich artig, während der Doktor mir einen kleinen Rezeptzettel für die Apotheke überreicht, woraufhin dieser beruhigt lächelt und in seinen Mantel schlüpft.
“Wahrscheinlich schläft er noch ein paar Stunden… Sie sollten sich auch ein wenig hinlegen. Sie haben beinahe so dunkle Augenringe wie Ihr Freund!”
“Ich muss doch wach sein, wenn er aufwacht! Vielleicht hat er Durst… oder Hunger? Und Sie sind sich sicher, dass er keine Schmerzen haben wird, wenn er aufwacht?”
“Ziemlich sicher, ja… Nein, ich finde wirklich, dass Sie sich hinlegen sollten - oder möchten Sie, dass es Ihnen genau so ergeht, wie Ihrem Freund? Rufen Sie seine Freunde oder seine Familie an - es wird sich sicher jemand um ihn kümmern, während Sie sich ausruhen!”
Ja, klar.
Unsere Freunde werden sicher Luftsprünge vor Begeisterung machen, wenn ich sie erst beschimpfe und aus dem Haus werfe und sie anschließend um einen Gefallen bitte. Und deine Eltern wohnen mehrere Autostunden von hier entfernt und sind schon älter - sie darum zu bitten, den langen Weg hierher zu fahren, nur um dir Essen zu kochen, wäre beinahe eine Beleidigung. Außerdem ist es meine Aufgabe, mich um dich zu sorgen. Schlafen kann ich, wenn es dir besser geht.
“Sorgen Sie dafür, dass er sich heute noch schont, viel isst und trinkt… Autofahren sollte er wohl lieber auch nicht aber wahrscheinlich wird er sowieso noch ziemlich geschwächt sein und freiwillig im Bett bleiben… Da sollten Sie sich jetzt übrigens auch schleunigst hineinlegen! Ich wünsche Ihnen dennoch einen schönen Tag! Und wenn es Probleme geben sollte, melden Sie sich einfach noch einmal bei mir, ja?”
“Ja, mach ich… Dankeschön…”
Möglichst leise schließe ich die Türe, ehe ich einen prüfenden Blick ins Schlafzimmer werfe. Noch immer liegst du mit geschlossenen Augen genau an der Stelle, an der du auch schon lagst, als ich das Zimmer verlassen habe. Beruhigt durchquere ich den Flur, ehe ich vor dem Badezimmer Halt mache. Ob ich hier erst einmal Ordnung machen sollte? Ich weiß, wir haben ausgemacht, dass wir uns zusammen darum kümmern aber der Doktor hat gemeint, dass du dich schonen sollst… Seufzend nehme ich mir einen Besen und kehre die Scherben auf einen Haufen. Immerhin bin ich so beschäftigt, bis du aufwachst.
Tag 100
G-Dragon
“… weiß, dass … … ausgemacht haben! Aber was … … machen, wenn … … nicht gut…? Soll ich … krank … … Restaurant zerren?”
Nur gedämpft dringt deine Stimme zu mir durch. Sprichst du mit mir? Aber hast du nicht eben noch gesagt, dass ich weiterschlafen soll? Und wovon redest du überhaupt? Was für ein Restaurant? Ob ich aufstehen sollte? Vorsichtig schiebe ich die Decke ein wenig zur Seite. Noch immer fühle ich mich merkwürdig kraftlos, aber immerhin ist die entsetzliche Müdigkeit von eben inzwischen vergangen. Wahrscheinlich war es wirklich gut, dass du darauf bestanden hast, dass ich mich erneut ein wenig hinlege, nachdem ich das erste mal aufgewacht bin.
Wie lange ich wohl geschlafen habe? Ich werfe einen kurzen Blick auf die Uhr - schon kurz nach 18 Uhr. Hab ich etwa den gesamten Tag geschlafen? Allerdings ist es auch nicht wirklich verwunderlich, nach all dem Stress. Außerdem konnte ich nach all den schlaflosen Nächten endlich einmal wieder völlig ohne Sorgen einschlafen. Als ich das erste mal aufgewacht bin, hast du an meiner Seite gewacht, hast dich geradezu mütterlich darum gekümmert, dass ich ein paar Schlücke Tee zu mir nehme und verlauten lassen, dass der Doktor ein Medikament für mich hier gelassen hätte, das ich einnehmen könnte, falls es mir schlechter gehen sollte. Heißt das nicht, dass der Arzt mich nicht verraten hat? Und obwohl dies die Tatsache, dass ich dir die Wahrheit sagen muss, lediglich herauszögert und keineswegs besser macht, hat es mir ein paar Stunden Ruhe beschert.
“… bescheuert? Warum … ich das tun? … …. … Beweisen?! … müssen … … nichts beweisen, … … klar?”
Verwirrt steige ich aus dem Bett. Ich verstehe nicht wirklich viel und die Dinge, die ich hören kann, ergeben keinen Sinn für mich aber der gereizte Tonfall, mit dem du sprichst, lässt mich erahnen, dass du dich über die Person, mit der du redest, fürchterlich aufregst. Aber wer könnte das sein? Und vor allem warum? Ob es sich um die gleiche Person handelt, mit der du dich auch gestern in der Küche unterhalten hast? Ich kann nicht verhindern, dass sich bei diesem Gedanken ein leichtes Lächeln um meine Lippen legt. Wenn ich doch nur mehr verstehen würde!
“Wehe! Ich … … ernst! Kommt bloß … … die Idee, hier … und … ihn auszuquetschen! … … … Ach, ihr meint es gut? Wisst ihr, was uns gut tun würde? Wenn ihr euch verdammt noch mal nicht ständig einmisch-… Oh! Moment!”
“Seung-Hyun…? Was…?”
“Ji-Yong, du… Warum schläfst du nicht mehr? Du sollst dich doch ausruhen…”
“Du hast so laut gesprochen… Mit wem telefonierst du? Warum schimpfst du so?”
Gehetzt wandert dein Blick von deinem Handy, das du inzwischen mit einer Hand verdeckt hältst, um zu verhindern, dass dein Gesprächspartner uns hören kann, zu mir, ehe du das Handy schließlich sinken lässt, einen Knopf drückst und es in deiner Hosentasche verstaust. Aber warst du nicht eben noch mitten im Gespräch? Oder hat es sich nur für mich so angehört? Ob ich dich gestört habe? Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, einfach im Bett zu bleiben und dich in Ruhe telefonieren zu lassen.
“Tut mir Leid, dass ich dich geweckt habe… Du hättest den Schlaf so nötig und ich schrei hier rum, sorry…”
“Nicht so schlimm… Aber warum hast du dich so aufgeregt? Ist etwas passiert?”
“Das… das war nichts Wichtiges. Nur ein Kumpel… kennst du eh nicht. Mach dir keinen Kopf deswegen, ja?”
Ich nicke leicht mit dem Kopf, während du versuchst, mir einen aufmunternden Blick zuzuwerfen. Denkst du wirklich, ich falle auf dieses falsche Lächeln hinein? Denkst du, ich sehe nicht, wie sehr dich dieses Telefonat noch immer beschäftigt? Warum sonst sollte deine Hand noch immer nervös mit dem Handy spielen, das sich in deiner Hosentasche befindet? Dennoch verziehe auch ich meinen Mund zu einem Lächeln, während ich langsam das Zimmer verlasse und in Richtung Küche gehe. Welchen Sinn hätte es auch, erneut nachzufragen? Wenn du mir nicht sagen willst, mit wem du telefonierst, sollte ich es akzeptieren. Ich bin schließlich wirklich die letzte Person, die einer anderen Person etwas über Lügen erzählen sollte…
“Soll ich dir noch einmal einen Tee kochen? Oder möchtest du etwas Essen? Der Doktor hat gemeint, du sollst viel essen, um wieder Kräfte zu sammeln… Ich koch uns gleich etwas, muss nur noch kurz was erledigen. Setz dich solange einfach ins Wohnzimmer oder so, okay?”
“Ist gut…”
Ich leiste deiner Aufforderung Folge, obwohl ich eigentlich keinen großen Hunger verspüre. Aber warum sollte ich dein Angebot, für uns zu kochen, ausschlagen? Außerdem hat der Doktor sicher recht - ich fühle mich wirklich völlig ausgelaugt, ein paar Bissen würden mir sicher nicht schaden. Noch während ich langsam ins Wohnzimmer gehe, höre ich, wie du ins Schlafzimmer eilst und die Türe hinter dir verschließt. Und obwohl ich weiß, dass es nicht richtig ist, schleiche ich mich ein wenig heran, doch außer aufgebrachtem Gemurmel kann ich nichts verstehen.
Aber wahrscheinlich ist es sogar besser so. Wer weiß, ob ich überhaupt wissen will, worüber du sprichst. Am Besten wäre es gewesen, wenn ich einfach ins Wohnzimmer gegangen wäre, wie du es gesagt hast. Warum bin ich überhaupt hierher gekommen? Wie würde ich es finden, wenn du mich belauschen würdest? Noch während ich mich selbst dafür schelte, wie ich mich verhalte, öffnest du plötzlich die Türe, vor der ich noch immer stehe und wirfst mir einen irritierten Blick zu.
“Oh… I-ich…!”
“… … ach, schon okay… Ist egal. Na los, ich mach uns etwas zu Essen.”
Perplex verweile ich an der Stelle, an der ich bereits stand, als du die Türe geöffnet hast. Was war das denn gerade? Warum hast du mich einfach unterbrochen? Mir wäre sicher eine logische Erklärung dafür eingefallen, warum ich hier stehe. Warum hast du es mich nicht erklären lassen? Ob du es leid bist, dir meine Ausreden anzuhören? Eilig folge ich dir in die Küche und lasse mich auf einen der Stühle sinken. Ob ich noch einmal versuchen sollte, dir zu erklären, dass es mir Leid tut, dass ich gelauscht habe?
“Möchtest du lieber Fisch oder Gemüse? Oder Fleisch? Ich glaube, wir haben auch noch Fleisch im Kühlschrank…”
“Ähm… Ich weiß nicht… Gemüse vielleicht? … … wegen gerade eben… Es tut mir L-…”
“Es ist in Ordnung, okay? Du warst neugierig, wer ist das nicht? Vergiss es einfach! Lass uns über etwas anderes reden…”
Obwohl du mich eigentlich dazu aufgefordert hast, das Thema zu wechseln, legt sich nun eine erdrückende Stille über uns. Aber was soll ich auch sagen? Es weiß nicht, was ich dir erzählen könnte und habe außerdem nicht das Gefühl, dass du ehrliches Interesse an einer Unterhaltung hast. Eher wirkst du so, als wäre dein größter Wunsch, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Zwar gibst du dir wirklich Mühe, dir nichts anmerken zu lassen, wirfst mir sogar hin und wieder ein leichtes Lächeln zu, doch dein Gesicht wirkt erschöpft. Außerdem massierst du dir ständig die linke Schläfe, während du mit der rechten Hand im Topf rührst. Ob du Kopfschmerzen hast? Oder ist es nur die Müdigkeit? Schließlich hast du dich in den letzten Tagen beinahe ununterbrochen um mich gekümmert.
“Soll ich dir etwas helfen…?”
“Nein, schon gut… Ruh dich aus.”
“Aber du siehst selbst total erschöpft aus… Hast du in den letzten Tagen überhaupt geschlafen?”
“… ja, klar. Und jetzt hör auf, dir Sorgen um mich zu machen… Schließlich bist du krank und nicht ich!”
Schon wieder dieses Lächeln.
Und schon wieder erwidere ich es, obwohl ich weiß, dass es nicht ehrlich ist.
Tag 101
T.O.P
Wie lange es wohl noch dauert, bis endlich der Wecker klingelt? Wie lange ich wohl noch hier liegen muss, ehe das schrille Klingeln mir endlich erlaubt, aufzustehen, ohne, dass du mich fragen würdest, warum ich nicht schlafen kann? Vorsichtig drehe ich meinen Kopf ein wenig in die Richtung, aus der dein gleichmäßiges Atmen ertönt. Immerhin scheinst du endlich zur Ruhe gekommen zu sein. Gestern Abend hattest du große Probleme, einzuschlafen. Wahrscheinlich lag es daran, dass du davor bereits den ganzen Tag geschlafen hast. Vielleicht haben allerdings auch dich Sorgen und Probleme um den Schlaf gebracht.
Wahrscheinlich hätte ich dich darauf ansprechen sollen, dir anbieten sollen, mit dir über deine Probleme zu sprechen aber ich konnte es einfach nicht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde ein einziges weiteres Problem dazu führen, dass es mir zu viel wird, als würde eine weitere Sorge das Fass zum Überlaufen bringen. Also habe ich einfach versucht, gute Mine zum bösen Spiel zu machen und allen möglichen Problemquellen aus dem Weg zu gehen. Selbst die Tatsache, dass du mich ganz offensichtlich belauscht hast, habe ich dem Frieden willen einfach weggelächelt.
Ob es dir heute wohl wieder besser geht? Schließlich hast du ausgiebig geschlafen, wie der Doktor es empfohlen hat. Vielleicht könnte auch ich dann wieder besser schlafen, wenn ich wüsste, dass es dir besser geht. Immerhin gäbe es dann eine Sorge weniger, über die ich mir den Kopf zerbrechen müsste und die mir nachts den Schlaf rauben könnte.
“Na endlich…”
Nur eine Sekunde, nachdem das erlösende Klingeln ertönt, habe ich auch schon den Knopf betätigt, der den Wecker verstummen lässt. Ein kurzer Blick in deine Richtung lässt mich erleichtert feststellen, dass das kurze, jedoch relativ laute Geräusch dich nicht geweckt hat. Möglichst leise verlasse ich das Bett. Am besten wäre es wahrscheinlich, wenn ich erst einmal einen Kaffee trinken würde - oder noch besser: wenn ich erst eine Kopfschmerztablette einnehmen und dann einen Kaffee trinken würde.
Ich kann wirklich nur hoffen, dass dieser Tag besser beginnt, als der gestrige aufgehört hat. Doch schon ein kurzer Blick auf mein Handy zeigt mir, dass ich da wohl die Rechnung ohne die restlichen Mitglieder von Big Bang gemacht habe. Naja, war ja eigentlich klar, dass Taeyang den anderen davon erzählt, wie respektlos ich gestern am Telefon mit ihm geredet habe. Und genauso klar war es, dass diese mich nun mit neugierigen, wütenden und verwirrten Anrufen und Kurznachrichten terrorisieren würden.
Dabei haben sie absolut keinen Grund, wütend zu sein. Okay, ich hätte früher absagen müssen aber immerhin habe ich überhaupt abgesagt, obwohl ich nun wirklich wichtigere Dinge zu tun gehabt hätte, als meine Zeit damit zu verplempern, mich mit Taeyang zu streiten. Ich hätte auch einfach mein Handy ausschalten können und so tun, als hätte ich unsere Verabredung vergessen. Lediglich, um zu verhindern, dass die anderen böse auf uns sind, habe ich mich schließlich durchgerungen, das Treffen abzusagen. Aber was es gebracht hat, sehe ich ja nun.
Hektisch durchsuche ich das Regal mit den Medikamenten nach einer Kopfschmerztablette, habe jedoch keinen Erfolg bei meiner Suche. Wie kann es sein, dass wir kein einziges Medikament gegen Kopfschmerzen im Haus haben, dafür jedoch ein Mittel gegen Heuschnupfen im Schränkchen liegt? Keiner von uns hat Heuschnupfen aber beinahe jeden Tag klagt einer von uns über Kopfschmerzen - wen wundert es auch, bei all dem Stress und dem Schlafmangel?
Genervt schließe ich das Schränkchen wieder und greife stattdessen nach dem Kamm, der neben dem Waschbecken liegt. Lustlos fahre ich mir damit einige male durch die Haare, drehe mich wie gewohnt in die Richtung, in der früher unser Spiegel stand, um mich zu vergewissern, dass meine Frisur zumindest einigermaßen sitzt, ehe mir bewusst wird, dass das nicht mehr möglich ist. Seufzend greife ich mir die nächstbeste Trainingsjacke, die im Wäschekorb liegt und verstecke meine Haare unter der Kapuze. Vielleicht sollte ich später mal versuchen, im Internet einen neuen Spiegel zu erstehen.
Jetzt allerdings brauche ich erst einmal eine Kopfschmerztablette. Um einen Spiegel kann ich mich auch kümmern, wenn das Innere in meinem Kopf aufgehört hat, wie ein Hammer gegen meine Schläfen zu klopfen. Eilig schlüpfe ich in meine Schuhe, nehme meinen Geldbeutel aus dem Flurregal, stecke mein Handy in die Hosentasche und ziehe die Kapuze etwas tiefer ins Gesicht. Gut, dass ich eine Sporthose zum Schlafanzug umfunktioniert habe. Bestimmt hätte es dich geweckt, wenn ich erst Licht im Schlafzimmer hätte machen müssen, um in meinem Schrank nach einer Jeans zu suchen. In Kombination mit der Trainingsjacke und den Turnschuhen wirke ich beinahe wie ein ganz gewöhnlicher Jogger.
Vorsichtig und möglichst leise öffne ich die Haustüre, trete in den Hausflur und versuche, die Türe ebenso leise wieder ins Schloss fallen zu lassen, um dich nicht zu wecken. Und obwohl ich das Gefühl habe, als würde ich beinahe lautlos die Türe schließen, öffnet sich nur wenige Sekunden später die Türe gegenüber. Es dauert einen Moment, ehe ich die Frau, die ihre Haare in Lockenwickler gerollt hat und nur einen Morgenmantel trägt, als die Person ausmachen kann, die sich damals darüber beschwert hat, als ich betrunken an unserer Türe randaliert habe. Auch jetzt wirkt sie aufgebracht, was spätestens klar wird, als sie einige Schritte auf mich zugeht, ihre Hände in die Hüften stemmt und mit schriller Stimme zu schimpfen beginnt.
“Junger Mann, das geht zu weit! Denken Sie, Sie beide können sich alles erlauben, nur weil sie Mitglieder bei Bing Bang sind? Sie müs-…”
“Big Bang… Die Band heißt Big Bang. Außerdem weiß ich gar nicht, wovon Sie sprechen… Und könnten wir uns vielleicht später unterhalten? Ich hab wirklich wahnsinnige Kopfschmerzen und würde gerne kurz zur Apotheke gehen…”
“Sie haben Kopfschmerzen? Na das tut mir aber Leid! Und wer hat Mitleid mit mir?! Nacht für Nacht dieser Lärm bei Ihnen. Wie soll ich schlafen, wenn es bei Ihnen die ganze Zeit über klirrt, poltert, kracht oder jemand schreit?”
“Es… es tut mir wirklich Leid… Ich verspreche Ihnen auch, dass so etwas nicht wieder vorkommt, ja? Nur… Kann ich jetzt bitte gehen?”
Warum muss diese Frau gerade heute nerven? Woher wusste diese Schreckschraube überhaupt, dass ich unsere Wohnung verlassen habe? Sicher stand sie seit Stunden vor dem Türspion und hat nur darauf gewartet, dass einer von uns durch die Türe tritt. Wahrscheinlich hat sie sich regelrecht darauf gefreut, ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Irgendwie kann ich sie ja sogar verstehen - aber musste sie ausgerechnet den heutigen Tag für ihre Beschwerde auswählen? Wenn ihre Stimme wenigstens nicht so dermaßen schrill wäre…
“Natürlich, gehen Sie ruhig! Von mir aus können Sie sogar für immer gehen! Ich wohne hier schon seit über dreißig Jahren und ehe Sie hier eingezogen sind, gab es nie Probleme… Am liebsten wäre es mir, Sie beide würden einfach ihre Koffer packen und ausziehen, damit ich endlich wieder in Ruhe schlafen könnte!”
“Ich verstehe ja, dass Sie wütend sind… aber übertreiben Sie nun nicht ein wenig? Und bitte hören Sie doch auf, mich anzuschreien. Ich stehe nur wenige Meter neben ihnen, meine Ohren funktionieren einwandfrei… Ich kann Sie auch hören, wenn Sie normal mit mir sprechen. Außerdem schläft mein Freund noch… Also bitte…”
Für einen kurzen Moment scheint es, als würde die ältere Dame tatsächlich klein beigeben und ihre Lautstärke mindern, doch nach wenigen Sekunden beginnt Sie von Neuem, auf mich einzuschimpfen. Wahrscheinlich hat Sie lediglich einen kurzen Moment gebraucht, um sich zu sammeln und sich neue Beschimpfungen zurecht zu legen. Seufzend reibe ich mir über die Schläfen. Ob Sie wohl Ruhe geben würde, wenn ich mich einfach entschuldige? Einen Versuche wäre es zumindest wert.
“Hören Sie… Es tut mir Leid, okay? Ich werde dafür sorgen, dass Sie von nun an nachts Ihre Ruhe haben. Ich werde später, wenn er wach ist, auch Ji-Yong Bescheid geben… Bestimmt wird er sich dann auch bei Ihnen entschul-…”
“Oh, wenn er wach ist! Wie schön, dass zumindest einer in dieser Wohnung ausgiebig schlafen kann, während ich Nacht für Nacht wegen Ihnen wach liege.”
“Dafür habe ich mich doch bereits mehrfach entschuldigt… Was wollen Sie denn noch?”
“Ich möchte, dass Sie ausziehen. Es war mir von Anfang an nicht recht, dass hier zwei Jugendliche einziehen - und dann noch zwei Jungen. Das ist doch nicht normal!”
Empört öffne ich meinen Mund, ehe ich das, was ich eigentlich erwidern wollte, einfach hinunterschlucke, um einen noch größeren Streit zu vermeiden. Was bildet diese Person sich überhaupt ein? Beinahe bereue ich es, mich bei ihr entschuldigt zu haben. Was geht diese Frau es überhaupt an, mit wem wir zusammen sind? Beschwere ich mich darüber, dass sie mit über fünfzig Jahren scheinbar immer noch nicht verheiratet ist? Werfe ich ihr an den Kopf, dass ich es nicht normal finde, dass man nach einem halben Jahrhundert noch immer keine Familie aufgebaut hat und völlig isoliert in einer Wohnung lebt, die für eine einzelne Person eigentlich viel zu groß ist? Nein, tu ich nicht - weil es mich nichts angeht.
“Also das muss ich mir nun wirklich nicht gefallen lassen…”
“Sie müssen sich das nicht gefallen lassen? Aber ich soll mir Nacht für Nacht von Ihnen auf der Nase herumtanzen lassen?”
“Sind Sie sicher, dass es Ihnen um das bisschen verpassten Schlaf geht und nicht viel mehr darum, dass Ji-Yong und ich zusammen sind und das nicht in Ihre Weltanschauung passt?”
“Bisschen verpassten Schlaf? Beinahe täglich werde ich von Ihnen um meinen Schlaf gebracht! Wissen Sie, wie das an den Nerven zerrt? Soll ich Ihnen einmal zeigen, wie es ist, so unwirsch aus dem Schlaf gerissen zu werden? Sehen Sie her, ich zeige es Ihnen…!”
Es dauert einen Moment, ehe ich begreife, was die Frau, deren Gesicht inzwischen vor Empörung knallrot angelaufen ist, vorhat. Gerade im letzten Moment, ehe ihre Finger unsere Türklingel berühren, gelingt es mir, diese mit meiner eigenen Hand zu bedecken, um zu verhindern, dass die aufgebrachte Nachbarin dich in ihrer Wut durch pausenloses Klingeln aus dem Schlaf reißt.
“Lassen Sie die Finger von der Klingel…”
“Ach… Ich wollte doch nur zeigen, wie es ist, ein bisschen unsanft geweckt zu werden…”
“Sie sind doch völlig gestört… Und das kommt sicher nicht vom Schlafmangel!”
“Sie wagen es, mich zu beleidigen? Hören Sie mal gut zu, junger Ma-… Was fällt Ihnen ein?! Hey!”
Noch einige Sekunden lang ertönt ein lautes, forderndes Klopfen, gepaart mir wütenden Rufen und Beschimpfungen. Ob sie wohl aufgebracht genug ist, erneut zu versuchen, dich mit der Türklingel zu wecken? Ob ich noch einmal nach draußen gehen und dieser Frau klar machen sollte, dass sie uns in Ruhe lassen soll? Noch während ich überlege, ob ich nicht alles noch schlimmer machen würde, wenn ich ihr jetzt noch mit Konsequenzen drohen würde, falls sie dich wecken sollte, endet das Klopfen und nur wenige Sekunden später ertönt das laute Geräusch, das verkündet, dass die Nachbarstüre schwungvoll geschlossen wurde. Bis auf das stetige Pochen in meinem Kopf herrscht nun wieder völlige Ruhe.
Und noch während ich diesen Tag gedanklich in die Top Ten der beschissensten Tage meines Lebens einreihe, macht mich die Vibration meines Handys in der Hosentasche darauf aufmerksam, dass ich wohl soeben eine SMS empfangen habe. Ich weiß nicht einmal, warum ich sie überhaupt öffne. Außer einer völlig überraschenden Bekanntgabe, dass ich bei irgendeinem Gewinnspiel einen Jahresvorrat an Kopfschmerztabletten gewonnen habe, gäbe es im Moment nichts, was diesen Tag auch nur ansatzweise besser machen könnte. Und tatsächlich - bereits die erste Zeile der Kurznachricht reicht, dass meine Kopfschmerzen sich sogar noch verschlimmern.