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Der Scherbensammler

Mehr als nur ein Gesicht
von

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Ungeahnte Konsequenzen

Nach dem Frühlingsfest war Kaiba noch schlechter auf seine Klassenkameraden zu sprechen, als ohnehin schon. Es verging kaum ein Tag, an dem der Firmenchef nicht am Liebsten seinen Kopf gegen die nächste Wand gehauen hätte. Wie dumm konnte man eigentlich sein? Vor allem Wheeler bewies immer wieder aufs Neue, wie wenig intelligent er tatsächlich war. So machte er Athen kurzerhand zur Hauptstadt Italiens, den Vatikan zum Vulkan und der Mount Everest war plötzlich in den Anden. Aber nicht nur in Erdkunde wäre Kaiba beinahe vom Stuhl gefallen. In Mathe musste er Tea Gardner an der Tafel erleben, die verzweifelt versuchte, eine Stammfunktion zu bilden, damit sie ein Integral errechnen konnte. Klar, sie war ein Mädchen und eigentlich nicht ganz so doof, aber Mathe lag ihr einfach nicht. Im Englischunterricht blamierte Taylor sich, als er versuchte Shakespeare einigermaßen angenehm vorzulesen. Bei dem grauenvollen th rollten sich Kaiba glatt die Zehennägel hoch. In Geschichte verwechselte Yugi Muto dann den ersten mit dem zweiten Weltkrieg, machte die Deutschen zu den Siegern und plötzlich waren es die Russen, die für die Vernichtung von ca. 6 Millionen Juden verantwortlich waren. Da war das Maß schon fast voll. Kaiba glaubte nicht, dass es noch schlimmer kommen könnte. Doch das war bevor man ihn zwang in Chemie die Abfrage dieser Göre Thompson mitanzusehen. Das Weib war einfach nicht geschaffen für Naturwissenschaften. Sie bekam keine Reaktionsgleichung hin und hatte anscheinend noch nie was von Oxidationszahlen gehört. Einzig und allein, dass Thompson für ihre miserable Leistung eine entsprechend schlechte Note einsteckte, sorgte dafür, dass Kaiba nicht wahnsinnig wurde. Leider hielt das nicht für lange an. Mit einem geradezu absurd fröhlichen Grinsen verkündete der Kurslehrer, dass die Klasse sich in kleinen Gruppen zusammenfinden sollte, zwecks Experiment. Sie sollten eine Neutralisation von Salzsäure durchführen. Kaiba packte das Grauen. Er hasste es, wenn er einen auf sozial machen musste, aber ihm war auch klar, dass er keine andere Wahl hatte, wollte er keinen Anschiss kassieren. Eigentlich kümmerte ihn so was herzlich wenig. Jedoch hatte die Sache einen kleinen Haken. Da er ein bedeutender Mann war, der ein Unternehmen zu leiten hatte, hatte er im Laufe der Jahre einiges an Fehlstunden angehäuft, die ihn die Zulassung zum Abitur kosten konnten, wenn er nicht brav tat, was die Lehrkräfte von ihm verlangten. Dazu gehörte dann eben auch Gruppen- bzw. Partnerarbeit, etwas, was Kaiba wirklich nicht ausstehen konnte.

Wenigstens hatte er Glück. Nun ja, verhältnismäßig. Wheeler tat sich mit Taylor zusammen und Gardner mit Yugi. Ryou Bakura, der stillste und bei weitem beliebteste Junge der Klasse, hatte die Kratzbürste Thompson für sich erobern können. Da nur noch zwei weitere Jungen im Kurs waren, konnte Kaiba sich damit anfreunden, das fünfte Rad am Wagen zu sein. Er würde den beiden Idioten den Aufbau und die Durchführung des Experimentes überlassen und den Papierkram erledigen. Sollten sie es allerdings vermasseln, das gab er ihnen gleich ganz klar zu verstehen, würde er dafür sorgen, dass sie es allein ausbadeten.
 

Bevor jedoch auch nur mit dem Bereitstellen der Materialien begonnen werden konnte, klingelte es. Stühle scharrten über den Boden, Bücher wurden in Taschen gestopft und dann unter lautem Geschnatter der Raum verlassen. Nur eine ließ sich auffallend Zeit. Das war Kate Thompson. Sie hatte während der peinlichen Abfrage an der Tafel innerlich vor Scham gebrannt. Überdeutlich war sie sich des gehässigen Blicks von Kaiba bewusst gewesen. Er war ein alter Klugscheißer, der es immer besser konnte und wusste und auch jeden spüren ließ, wie intelligent und begabt er doch war. Zugegeben, dumm war der Kerl nicht, nur so furchtbar arrogant, dass Kate ihm am Liebsten die Kreide an den Kopf geworfen hätte, als sie an der Tafel stand und sich unter den Fragen des Lehrers wand.

‚Ich hätte doch Physik wählen sollen!’, dachte sie angefressen, während sie ihre Chemiesachen in ihre Tasche packte, diese schulterte und den Raum verließ. Dabei streifte sie versehentlich Kaibas Arm, der noch ziemlich unbeweglich an seinem Platz verharrte und einfach an die Wand starrte. Er meckerte sie nicht einmal an, obwohl sie ihn ohne seine ausdrückliche Erlaubnis berührt hatte. Irritiert zog Kate eine Augenbraue hoch, zuckte dann innerlich die Schultern und machte, dass sie auf den Sportplatz kam, wo in den Pausen immer Fußball gespielt wurde. Danach würde man sie mit 25 anderen in den Musikraum pferchen, wo sie irgendeinen uralten Choral singen würden. Die Lehrerin hatte irgendwie ein Faible dafür, so dass sie ihre Schüler liebend gern damit quälte. Oder mit Wagner. In diesem Falle musste irgendetwas Miss Montague aufgewühlt oder sonst wie verärgert haben. Meistens war dann der Hausmeister Schuld, der einfach nicht aufhören konnte, die Lehrer zu sabotieren wo er konnte, obwohl er doch eigentlich einen reibungslosen Ablauf des Schulbetriebes garantieren sollte. An der Domino High lief sowieso kaum etwas, wie es sollte. Das galt vor allem für den Umgang der Schüler untereinander. Mobbing war an der Tagesordnung. Hier herrschte das Gesetz des Stärkeren.

Kate gehörte zu den Leuten, die sich durchsetzen konnten, wenn sie es mussten, so dass sie vor Lästereien meist verschont blieb. Zudem war bekannt, dass sie hin und wieder ziemlich brutal werden konnte. Man ließ es daher lieber gar nicht erst auf einen Versuch ankommen. Das war zumindest für Kate positiv und sie war sich auch nicht zu schade, mal für jemand Schwächeren in die Bresche zu springen, obwohl sie mit Strebern eigentlich nichts anfangen konnte. Aber sie konnte Angeber genauso wenig leiden und von denen gab es sehr zu ihrem Leidwesen mehr als genug an der Domino High. Seto Kaiba war nur einer davon.
 

Die Pause war relativ schnell vorüber, so dass Kate zusah, dass sie zum Musikraum kam. Miss Montague hasste Verspätungen und war nur sehr selten geneigt, sie zu verzeihen. Gut, bei den Schülern, die ein Instrument spielen konnten und die aus wahrer Freude am Fach Musik gewählt hatten, drückte die ältliche Lehrerin schon mal eher ein Auge zu, als bei denen, die keinen Bock auf Kunst gehabt hatten, was ziemlich viele waren, wenn man bedachte, dass der Lehrer für Kunst ein alter, wirrköpfiger Trottel war, der sich weder Namen noch Gesichter merken konnte und zudem als Trinker verschrien war. Da bissen die meisten in den sauren Apfel und ließen sich lieber mit irgendwelchen Uraltliedern und Wagner quälen. Ab und zu erbarmte Miss Montague sich auch ihrer Schäflein und erlaubte ihnen, etwas Modernes zu singen beziehungsweise zu spielen. Kate, die eine Altstimme hatte, war bislang weder positiv noch negativ aufgefallen. Dies sollte sich am heutigen Tage ändern. Zu ihrem Glück war Kaiba ein astreiner Tenor und hatte einen Sitzplatz ganz am anderen Ende des Raumes zugewiesen bekommen. Wie alles andere auch mussten auch die Plätze der Schüler einer Ordnung folgen. Miss Montague war geradezu verrückt danach.

Unter Geschnatter, Gekicher und Gelächter nahmen die Schüler Platz, gespannt, was sie heute erwarten würde. Die Lehrerin klatschte mehrmals in die Hände, damit Ruhe einkehrte. Brav verstummten die jungen Leute, die ganz genau wussten, dass sie nachsitzen durften, wenn sie den Bogen überspannten. Und auf Nachsitzen bei Miss Montague war wirklich niemand scharf.

„Guten Morgen, Klasse.“, begrüßte Miss Montague also ihre Schützlinge.

Der Gruß wurde halbherzig erwidert, dann verkündete die ältere Frau den Ablauf der heutigen Doppelstunde. Unter mehr oder weniger leisem Getuschel wurden Notenblätter verteilt und Duke Devlin aus der 1F dazu verdonnert, die Begleitung am Klavier zu sein. Auf ein Zeichen Miss Montagues hin begann Devlin zu spielen. Der Sopran musste zuerst loslegen, gefolgt vom Alt. Danach waren der Tenor und der Bass an der Reihe. Kate stand zwischen Tea und einem anderen Mädchen namens Chiyo. Unwillkürlich wanderte ihr Blick durch den Klassenraum und blieb schließlich an Kaiba hängen. Er sah konzentriert auf das Notenblatt, aber Kate war sich ziemlich sicher, dass er gar nicht wirklich mitsang. Das passte auch gar nicht zu ihm und seiner arroganten, gönnerischen Art.

‚Argh, was mach ich mir denn Gedanken um den blöden Idioten?’, fauchte sie sich an.
 

„Stopp, stopp!“

Miss Montague klatschte erneut in die Hände. Sofort verstummten die Schüler. Sie sahen ziemlich irritiert zu ihrer Lehrerin, die sich eine aus dem Alt vornahm. Kate Thompson war die bemitleidenswerte Leidensträgerin.

„Rüber zum Sopran!“, kommandierte Miss Montague energisch.

Das Mädchen gehorchte widerstandslos, wie selten. In dem ganzen Stimmengewirr mochte es niemandem aufgefallen sein, doch die Rothaarige war ziemlich abrupt in den Sopran gewechselt, so dass die Harmonie des Zusammenspiels der einzelnen Stimmen ziemlich gestört war. Daher hatte Miss Montague abgebrochen und das Mädchen hinübergeschickt auf die andere Seite der Klasse. Dort musste sie sich zu denen gesellen, die regulär als Sopran sangen, direkt neben den Tenor und damit auch in unmittelbare Nähe von Kate Thompsons Intimfeind, Seto Kaiba. Dieser hatte tatsächlich nicht mitgesungen, weil ihn Musik nicht interessierte. Er konnte zwar Noten lesen, sang aber höchst ungern und nur unter Zwang. Im Unterricht versuchte er sich, so oft er konnte, darum zu drücken. Meistens gelang ihm das auch, weil Miss Montague zu sehr mit dem Alt und dem Bass beschäftigt war. Dass die Lehrerin jetzt ausgerechnet Kate Thompson dem Sopran zugeteilt hatte, machte es nicht unbedingt erträglicher für den jungen Unternehmer. Er seufzte.

„Von vorne bitte!“, ertönte Miss Montagues Stimme.

Devlin haute in die Tasten und neben Kaiba erklang hoch, rein und klar ein astreines ‚Catch a falling star and put it in your pocket. Never lade it fade away.’

Irritiert sah er zu dem Haufen Mädchen, der den Sopran zu singen hatte. Sein Blick blieb an Kate Thompson hängen. Die freche Rotzgöre war es tatsächlich, die so perfekt sang, dass Kaiba hätte kotzen mögen. Das hatte er ihr gar nicht zugetraut. In den vorigen Musikstunden war sie eher eine derjenigen gewesen, die Anschiss von Miss Montague kassiert hatten, weil sie so schief sangen. Wie kam es, dass jeder Ton, den die Rothaarige nun hervorbrachte, exakt auf die Note zutraf, die auf dem Blatt angegeben war?

Unwirsch schüttelte Kaiba den Kopf. Hatten alle diese Göre unterschätzt? Oder machte sie sich einen Spaß daraus? Je länger er sie betrachtete, desto seltsamer kam ihm das ganze vor. Ihre Gesichtszüge wirkten viel weicher, weniger ausgeprägt und jünger als zuvor in Chemie an der Tafel. Zudem lockte ihr Haar sich leicht. Kaiba bezweifelte, dass Kate Thompson der Typ Mädchen war, der in den Pausen aufs Klo verschwand, um für eine Generalüberholung des Gesichtes zu sorgen. Sie war zu burschikos und unweiblich, um sich auf ein solches Niveau herabzulassen.

‚Ich sollte aufhören, einer dummen, ungehobelten Pute wie ihr so viel Aufmerksamkeit zu widmen. Hinterher wird mir noch sonst was unterstellt.’

Zu seinem Glück klingelte es in diesem Moment zur kleinen Pause zwischen den Stunden. Kate machte, dass sie davon kam, ohne auch nur irgendwen in ihrer unmittelbaren Nähe eines Blickes zu würdigen.
 

Wie erniedrigend. Sie hasste es, zu nah bei männlichen Wesen sein zu müssen. Dass man sie vom Alt zum Sopran geschickt hatte, war natürlich einleuchtend. Dennoch war es eine Frechheit. Schließlich konnte man Jungs nicht über den Weg trauen. Am wenigsten denen, die einen anstarrten und dabei glaubten, man bemerke sie nicht.

Sue schnaubte leise. Oh ja, sie war nicht dumm. Es war ihr rasch aufgefallen, ohne, dass es sie vom Singen abgelenkt hätte. Irgendwie spürte sie, wenn man sie längere Zeit ansah. Ihr war das furchtbar unangenehm und für gewöhnlich wand sie sich dann unter diesen Blicken. Im Musikunterricht war das natürlich schlecht. Ob Kate ihr böse war?

„Hey, warte doch mal kurz.“

Die Rothaarige wandte sich um. Und erstarrte. Ein schmächtiger Junge mit freundlichen, sanften braunen Augen und weißen Haaren sah sie lächelnd an.

„Was ist?“, fragte Sue knapp.

Sie begann, sich unwohl zu fühlen. Überdeutlich nahm sie den forschenden, entwürdigenden Blick ihres Gegenüber war. Wie hieß er noch gleich?

‚Irgendwas mit R war es...’, dachte sie, während sie sich redlich Mühe gab, dem Jungen zuzuhören.

„Du singst wirklich sehr schön, Kate. Warum hast du das erst jetzt so öffentlich unter Beweis gestellt?“, wollte der Junge wissen.

„Aber... ich bin nicht Kate.“, hörte Sue sich schon sagen.

Sie war nun mal eine ehrliche Haut.

„Bist du nicht?“, entfuhr es dem Jungen, Ryou, erinnerte sich ein Teil ihres Gehirns, erstaunt.

„Bin ich nicht. Mein Name ist Sue.“, erwiderte das Mädchen, einen Schritt zurückweichend.

Ryou runzelte die Stirn. Eben wollte er etwas sagen, als es schellte und das laute Klatschen Miss Montagues zum Unterricht gemahnte. Hastig machte Sue, dass sie aus der Nähe Ryous entkam, nur um sich wieder beim Sopran einzufinden, wo sie vor Angst fast krepierte, weil sie sich überdeutlich der Nähe der Tenöre bewusst war. Sie begann sogar zu zittern.
 

„Aufhören, sofort!“

Schon wieder unterbrach Miss Montague die singenden Schüler. Diesmal klang sie allerdings etwas ungnädiger.

„Kate Thompson, marsch zum Alt und entscheide dich gefälligst, welche Stimme du singen willst!“, befahl die Musiklehrerin barsch.

Irritiert gehorchte Kate.

‚Was hab ich überhaupt beim Sopran gemacht? Ich singe doch immer Alt!’, wunderte sie sich, während sie versuchte, wieder in das Lied hereinzukommen und die Töne halbwegs ordentlich zu treffen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-02-03T14:05:48+00:00 03.02.2010 15:05
Wir könnten unsere FFs kreuzen und die beiden Mädels in die Klapse schicken :-D Dann muss Kaiba sie besuchen und sich zwischen 2 bzw. 5 Persönlichkeiten entscheiden ;-p

Tolles Kapitel, erinnert mich an die Realschulzeit, wo der Musikunterricht noch ganz klassisch abgehalten wurde. Ich habe es gehasst zu singen!!!
Kaiba muss das jetzt wohl auch ertragen. Da sieht man mal, dass man mit Geld keine Freiheit kaufen kann.
Ryou muss dringend zum FF-Bestandteil werden :-D! Der würde so gut zu Kate passen!!!!!
Im großen und ganzen ein super Kapitel! Mach weiter so, heb das Niveau :-D

LG
Mani


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