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Drachenkind

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Schallömchen!
Hoffe, euch geht es gut und ihr seid noch frisch und munter.
Dann will ich mich auch nicht länger aufhalten, sondern wünsche euch viel Spaß beim Lesen!

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Unerwartetes

„Wie war es in der Stadt? Habt ihr sie gesehen?“, fragte Susan als erstes, nachdem Draco und Alexander die Tür durchquert hatten.

„Ja, das haben wir. Sie war wunderschön.“, antwortete Alexander und gab seiner Frau zu Begrüßung einen Kuss auf die Stirn.

„Wenn sie nicht deine Schwester wäre, würde ich glatt eifersüchtig werden.“, erwiderte Susan lächelnd. „Wie fandest du es Draco? Hat es dir in der Stadt gefallen?“, wandte sie sich dann an ihn. Alexander sah ihn streng an und Draco wusste, dass eine Antwort von ihm erwartet wurde. Aber er antwortete nicht.

Stattdessen ging er in sein Zimmer.

„Was ist mit ihm?“, hörte er Susan noch fragen und Alexander mit zusammengebissenen Zähnen darauf antworten: „Es geht ihm nicht gut.“

Draco ließ sich augenblicklich auf das Bett fallen und vergrub das Gesicht im Kopfkissen. Hinter seinen Augen saß noch immer dieser dumpfe Schmerz und selbst jetzt, nachdem sie die Stadt weit hinter sich gelassen hatten, glaubte er deren durchdringende Geräusche immer noch hören zu können.

Und die Geräusche vermischten sich mit ihrem Anblick.

Ja, sie war schön, dachte er. Das war sie immer. Aber diese Kleidung... als hätte sie einer anderen gehört. War es wirklich die gleiche Annie gewesen, die ihn gerettet hatte? Sie hatte am Anfang so anders gewirkt. So steif und erhaben. Erst als sie Alexander gesehen hatte und dann ihn, hatte er sie wirklich erkannt. Sie hatte sich verändert. Er konnte es spüren. Was hatte dieser Mann mit ihr gemacht? Wie weit würde er sie noch verändern? Existierte seine Annie noch?

Was, wenn sie so werden würde, wie er? Wäre das möglich? Würde sie den gleichen, kalten Blick, wie dieser Mann haben? Würde sie genauso grausam sein?

Draco verdrängte diesen Gedanken sofort wieder. Nein, das war vollkommen unmöglich. Er hatte sie ein Jahr lang kennengelernt. Niemals wäre sie fähig etwas Böses zu tun. Die letzte Woche ihres Zusammenseins hatte ihm das deutlich gezeigt. Dennoch war die Veränderung nicht zu übersehen. Noch nie zuvor hatte sie auf ihn so traurig, aber vor allem einsam gewirkt.

Er wollte bei ihr sein. Wollte sie berühren und küssen, immer und immer wieder, bis sie beide vergaßen wer sie waren oder woher sie kamen.

Allein mit diesen Gedanken gelang es ihm einzuschlafen, begleitet von dem leisen Pochen in seinem Kopf, das selbst die Erinnerung an ihren Anblick nicht besänftigen konnte.
 

Die nachfolgenden Wochen vergingen nicht mehr so schnell wie zuvor. Die Tage wurden immer kürzer und zogen sich trotzdem scheinbar endlos. Dracos Tagesablauf hatte sich nicht geändert. Er versorgte die Tiere und hakte Holz, weil Alexander oft den ganzen Tag nicht da war, um, wie er selbst sagte, ein paar Geschäfte zu erledigen. Wenn Draco Zeit hatte, dann nutzte er diese, um mit Hera auszureiten.

Dann war es nicht er, der entschied, wohin es gehen sollte, sondern er ließ sich von ihr tragen. Hera wählte oft den Weg in den Wald, durch den sie langsam trabte. Draco wusste, dass dies der eigentliche Ort war, an den sie beide gehörten. Doch nie kehrte er bei solcher Gelegenheit zu der kleinen Hütte zurück. Was sollte er auch dort? Es gab nichts, was ihn an diesen Ort band außer seinen Erinnerungen. Und diese Erinnerungen schienen ihn mit jedem Tag schwerer. Was sollte er mit all diesen Erinnerungen, wenn sie ihn doch nur quälten? Er wünschte sich mehr und mehr vergessen zu können. Aber er wusste, dass das vollkommen unmöglich war. Nur der Tod selbst konnte ihm vielleicht diesen Wunsch erfüllen.
 

Es waren bereits drei Wochen vergangen, seit er Annie in der Stadt gesehen hatte, als Susan mit einer Neuigkeit aufwartete, die er zu Beginn nicht ganz verstand. Ihm war nur aufgefallen, dass sie sich anders benahm, doch er hatte damit ebenso nichts anfangen können. Sie hatte nur immer wieder die Stirn gerunzelt und dabei gelächelt. Er hatte sich nichts dabei gedacht und Alexander schien das Verhalten seiner Frau auch nicht aufzufallen.

„Willkommen daheim.“, begrüßte Susan Alexander eines Abends, während sie und Draco schon beim Abendessen waren und ihr Mann gerade erst zurückkam. Sie küsste Alexander flüchtig auf die Lippen, etwas was sie noch nie in Dracos Gegenwart getan hatte und ihre Augen strahlten ihn so glücklich an, dass Draco nicht anders konnte als wegzuschauen. Er kannte diesen Blick. Es gab eine Zeit, da hatte Annie ihn ebenso angesehen.

„Was ist denn in dich gefahren? So glücklich habe ich dich schon lange nicht mehr erlebt.“, fragte Alexander und sah sie genauso liebevoll an, wie sie ihn. Draco beeilte sich sein Abendessen zu beenden und sich dann zurückzuziehen. Diesen Anblick konnte er aus irgendeinem Grund nicht ertragen.

„Ich muss dir etwas ganz fantastisches erzählen.“, redete Susan weiter und Draco hörte, dass ihre Stimme leicht zitterte.

„Was denn? Spann mich nicht so auf die Folter.“, drängte Alexander sie.

„Nun, das... Das, was wir uns am sehnlichsten gewünscht haben, ist endlich in Erfüllung gegangen.“, sagte Susan aufgeregt und doch mit einem seltsamen Unterton in der Stimme. Nun drehte sich auch Draco neugierig um und sah, dass Alexanders Gesicht für einen Moment erstarrt war und er sie dann ungläubig ansah. Als könnte er nicht ganz begreifen, was sie da sagte. Genauso, wie es Draco erging. Es schien ewig zu dauern, eher Susans Mann seine Sprache wieder gefunden hatte und brachte dann nicht mehr als ein gekrächztes „Ist das wirklich wahr?“ zustande.

Draco verstand die Menschen einfach nicht.

Susan nickte mit dem Kopf und ihre Wangen färbten sich leicht rosa. Sie sah glücklich aus.

„Du bist wirklich schwanger?“, fragte Alexander noch einmal und schien es immer noch nicht begreifen zu können.

„Ja, ich bin mir ganz sicher. Ich wollte dir vorher nichts sagen, weil ich es nicht genau wusste, aber jetzt... Oh, Alexander endlich ist unser Wusch in Erfüllung gegangen.“ Sie umarmte ihn und er zog sie fest an sich. „Das ist wunderbar.“, hörte Draco Alexander leise sagen, konnte ihnen aber noch immer nicht folgen.

Draco erhob sich. Er spürte, dass es besser war die beiden allein zu lassen. Außerdem konnte er es nicht ertragen sie so zusammen zu sehen. Er würde sie wohl nie wieder so in seinen Armen halten können. Selbst dann nicht, wenn er endlich den Umgang mit dem Schwert erlernen würde. Schon lange hatte Alexander ihm versprochen, es ihm beizubringen, doch bisher war nichts dergleichen geschehen. Allerdings hatte er auch noch nicht wieder von diesem Lesen und Schreiben angefangen. Wie auch, wenn er oft erst wieder zurückkam, wenn selbst das Abendessen bereits beendet war?

Schwanger?, fragte sich Draco, als er die Tür hinter sich schloss. Er hatte dieses Wort noch nicht gehört. Annie hatte es nie gebraucht und er konnte sich nichts darunter vorstellen.

Aber musste er es wirklich wissen? Es ging ihn nichts an und wenn es wirklich von so großer Bedeutung war, wie die Worte und Handlung der beiden vermuten ließen, dann würden sie es ihm vielleicht schon sagen. Wenn, nicht, dann war es ihm genauso gleich. Es hatte offenbar nichts mit ihm zu tun.

Draco sollte sich irren, denn nur wenige Augenblicke später betrat Alexander den Raum.

„Warum hast du dir keine Kerze angezündet? Es ist viel zu dunkel hier drin.“, bemerkte er gleich und kehrte noch einmal in die Küche zurück, um eine Kerze zu holen. Alexander stellte die brennende Kerze auf den Tisch und setzte sich auf den Stuhl, wie er es schon so oft zuvor getan hatte. Draco sah ihn ausdruckslos an und wartete bis er reden würde. Denn nur deswegen war Alexander hier, dessen war er sich durchaus bewusst. Das tat er schließlich immer: Reden.

„Du hast gehört was Susan gesagt hat?“, fragte er. Natürlich hatte er es gehört, dachte Draco bissig. Statt es auszusprechen nickte er kurz.

„Jetzt, da wir ein Kind erwarten und meine Familie schon bald zu dritt sein wird, wirst auch du einige Einschränkungen hinnehmen müssen.“, begann Alexander. Draco musterte ihn. Ein Kind erwarten? War es das, was dieses Wort „Schwanger“ bedeutete? Ein Kind?

„Ich will, dass du Susan gerade jetzt mehr im Haushalt zur Hand gehst. Ich werde zwar wieder mehr zu Hause sein, aber es kann nicht schaden, wenn du auch mithilfst und dich mehr einbringst. Ich will nicht, dass sie schwer hebt oder sich sonst irgendwie anstrengt. Ich erwarte, dass du alles tun wirst, worum sie dich bittet, ohne wenn und aber. Hast du mich verstanden?“, fragte Alexander und seine Stimme hatte einen scharfen Unterton bekommen.

Ja, das hatte er, klar und deutlich. Alexander hatte in einem Ton gesprochen, der eigentlich keinen Widerspruch zuließ. Es war nicht so, dass das Draco beeindruckte, aber er wusste, dass keinen Sinn haben würde. So lange, wie er bei diesem Mann lebte und auf ihn angewiesen war, blieb ihm nichts anderes übrig. Also nickte er kurz.

„Gut.“, sagte Alexander, offenbar zufrieden, dass es so schnell ging. „Was geschehen wird, wenn das Kind da ist, werden wir dann sehen. Es kann sein, dass du in ein anderes Zimmer musst. Aber das entscheiden wir später. Morgen beginnen wir mit der ersten Lektion in Lesen und Schreiben. Mal sehen, wie du dich da anstellst.“ Damit erhob sich Alexander und wollte den Raum gerade verlassen.

„Was ist mit der Schwertkunst?“, fragte Draco.

„Jetzt im Winter ist es ungünstig. Wir haben im Haus nicht genügend Platz und im Stall würden wir nur die Tiere verschrecken. Der Schnee kommt bald und da werden wir keinen festen Halt finden, also werden wir es auf das Frühjahr verlegen.“

Draco sah ihn misstrauisch an. Der Winter war zuvor kein Hindernis gewesen. Doch da Alexander ihm direkt anschaute und seine Stimme vollkommen überzeugt geklungen hatte, konnte Draco nicht anders, als ihm zu glauben. Er verstand von diesen Dingen nicht viel und würde sich nach ihm richten müssen. Wenigstens würde ihm das Lesen und Schreiben die Zeit vertreiben, das hoffte er wenigstens.
 

Er lag noch im Bett, als es an eine Tür klopfte. Er hatte nicht mehr geschlafen, aber er hatte sich auch nicht dazu aufraffen können aufzustehen. Was brachte das auch? Es war ein weiterer Tag mit dem gleichen Abläufen, an dem er nur darauf wartete, bis er vorbei war.

Er antwortete nicht und richtete sich schließlich auf. Im gleichen Moment streckte Susan ihren Kopf durch die Tür und sah ihn ein wenig entschuldigend an.

„Guten Morgen, ist alles in Ordnung mit dir? Du bist noch nicht aufgestanden und das Frühstück wird sonst kalt.“, fragte sie ihn.

Draco nickte kurz, wie es sonst auch seine Art war.

„Könntest du mir dann einen Eimer Wasser vom Brunnen holen, bevor du zu den Pferden gehst?“, fragte sie unsicher weiter.

Wieder nickte er. Hatte er eine andere Wahl? Alexander hatte ihn am vergangenen Abend ja direkt darauf hingewiesen.

„Danke.“, sagte sie erleichtert und schloss dann die Tür wieder hinter sich.

Nach einem kurzen Frühstück ging Draco zum Brunnen, der hinter dem Stall stand. Er machte den Eimer fest und ließ ihn am Seilzug hinunter. Er hörte wie das runde Holz auf der Wasseroberfläche aufschlug und spürte wie der Eimer schwerer wurde, als er sich langsam mit Wasser füllte. Nach einer Weile zog er ihn wieder nach oben. Das Seil war von den geringen Temperaturen ganz steif geworden und scheuerte unangenehm auf seiner Haut, als er daran zog. Die Temperaturen störten ihn noch nicht weiter. Auch im letzten Winter hatte es lange gedauert, bis er so etwas wie Kälte empfunden hatte. Er war sich sicher, dass es in diesem ebenso sein würde. Dennoch dachte er daran, wie viel wärmer es mit ihr an seiner Seite gewesen war.

Draco trug den Eimer in die Küche zurück. Susan war bereits über den Herd gebeugt und etwas schien in einer großen Pfanne zu brachten. Es war ein wohlriechender Duft, der in der Luft hing.

„Zur Feier des Tages gibt es einen Hasenbraten.“, erklärte sie ihm, als sie seinen Blick bemerkte. „Es war ein großes kräftiges Tier, ich denke er wird ganz ausgezeichnet schmecken. Damit er nicht zäh wird, werde ich ihn ganz langsam garen lassen. Hast du schon mal Hase gegessen?“, fragte sie ihn und sah ihn mit einem Lächeln auf den Lippen an.

Draco schüttelte den Kopf.

„Du wirst gewiss begeistert sein. Aber noch besser als das Fleisch sind die Leber und die Nieren. So schon zart und weich.“, schwärmte sie. „Allerdings wirst du dich da wohl mit Alexander einigen müssen, wer was bekommt.“ Die Vorstellung schien sie wohl zu amüsieren, denn sie lachte kurz.

„Alexander ist in der Stadt und macht ein paar Besorgungen.“, sprach sie weiter, als würde es Draco interessieren, wo dieser Mann sich aufhielt. „Er will schon bald zurück sein. Ich hoffe es für ihn, sonst erfreuen wir beide uns allein an dem Braten.“

Draco sah sie verwundert an. Noch nie hatte er sie so reden gehört. Aber vielleicht konnte er jetzt von ihr mehr erfahren.

Er hasste seine Neugier wahrlich.

„Was bedeutet es schwanger zu sein?“, fragte er sie zögerlich.

Verwundert sah Susan ihn an. Die Überraschung über solche eine intime Frage war ihr anzusehen, auch wenn Draco sich um die Intimität der Frage nicht bewusst war. Einen Augenblick schien sie zu überlegen, ob sie ihm antworten sollte, dann wurde ihr Gesicht ganz sanft und ein kleines Lächeln umspielte ihre Züge.

„Wo kommst du eigentlich her, dass du es nicht weißt? Hast du denn noch nie eine schwangere Frau gesehen?“

Draco schüttelte den Kopf und verfluchte sich bereits dafür, dass er nicht einfach zu den Pferden gegangen war. Die stellten ihm wenigstens keine Fragen, die er ohnehin nicht beantworten konnte, geschweige denn wollte. Doch anders als Alexander, ging Susan auch darauf nicht weiter ein.

„Ganz einfach ausgedrückt, wächst der Bauch um ein vielfaches an. Der kleine Mensch in einem wächst ja auch, als muss sich auch der eigene Körper verändern. Meine Mutter sagte immer, man ist nach neun Monaten froh, wenn das Kind endlich seinen Weg nach draußen gefunden hat. Da ich soweit aber noch nicht bin, werde ich versuchen es anders zu formulieren.

„Es ist... ein unbeschreibliches Gefühl. Zu wissen, dass etwas in einem wächst, das in vielen vielen Jahren einmal ein erwachsender Mensch sein wird, so wie du und ich, erscheint mir unfassbar. Ich frage mich selbst die ganze Zeit, wie so etwas eigentlich möglich ist. Warum ist der Körper einer Frau dazu in der Lage und der eines Mannes nicht? Uns ist dadurch ein Privileg zuteil geworden, das ohne Gleichen ist. Zu wissen, dass in einem ein Kind wächst und dafür verantwortlich zu sein, dass es behütet aufwächst, ihm das Sprechen, Gehen, Schreiben und Lesen zu lehren ist ein faszinierender Gedanke. Gleichzeitig ängstig er mich aber auch ein wenig. Woher weiß ich, dass ich es richtig mache?“, fragte Susan mehr sich selbst und sah ihn nachdenklich an. „Das sind die Gedanken, die einen durch den Kopf gehen. Diese und noch viel mehr. Aber ich weiß, dass sie unbedeutend werden, wenn das Kind erst einmal da ist.“

Ein Kind? War es so ähnlich, wie bei uns, fragte er sich? Langsam schien er zu verstehen.

„Wie lange dauert es bis aus diesem Kind ein Mensch, wie du und Alexander wird?“

„Schließt du dich denn selbst nicht als Mensch, wie wir sie sind mit ein?“, fragte Susan und Draco biss sich auf die Lippen. Nein, das tat er nicht. Auch, wenn er es vielleicht akzeptiert hatte, für den Rest seines Lebens ein Mensch zu bleiben, so machte ihn das noch lange nicht zu einem von ihnen.

Wieder erwartete Susan keine Antwort und sprach weiter. „Der Mensch entwickelte sich beständig weiter, selbst ich und Alexander lernen jeden Tag neue Dinge kennen. So gesehen, kann man kein Alter festmachen. Aber es wird so an die sechzehn Jahre dauern, ehe das Kind erwachsen sein wird. Bis dahin dauert es also noch ein bisschen.“

So lange brauchte ein Mensch um zu wachsen?, fragte sich Draco verwundert.

„Gibt es noch etwas, was du wissen möchtest?“, fragte Susan und wandte sich wieder dem Braten in der Pfanne zu.

„Nein.“

„Dann solltest du dich um die Pferde kümmern. Ich brauche nachher deine Hilfe noch einmal. Ich sage dir dann bescheid.“

Also ließ Draco sie allein und widmete sich seiner Aufgabe die Tiere zu versorgen. Er begann immer mit den anderen Tieren im zweiten Stall und wandte sich dann erst den Pferden zu, um genügen Zeit für sie zu haben. Würde er an diesem Tag noch einmal Gelegenheit haben mit Hera auszureiten?, fragte er sich, als er gerade dabei war, frisches Stroh in Wüstensands Box zu verteilen. Hinter ihm scharrte Hera bereits ungeduldig mit den Hufen und wartete darauf, dass er zu ihr kommen würde.
 

Dieser Tag verging schneller als erwartet und sobald das Abendessen vorbei war und der Tisch abgeräumt war, sagte Alexander zu Draco: „Warte hier. Ich hole Papier, Feder und Tinte, dann können wir anfangen.“

Es dauerte nicht lange ehe Alexander zurückkam, mit all den Dingen in der Hand, die er aufgezählt hatte. Draco hatte das Alles schon einmal kurz gesehen, allerdings nie, wie es benutzt wurde. Annie hatte so etwas auch nicht besessen. Zumindest hatte er nichts der gleichen gesehen.

Alexander legte die Sachen auf dem Tisch ab und reihte sie ordentlich nebeneinander auf. Ganz links lag das Papier. Es war merkwürdig braun-gelb und jedes Blatt hatte eine andere Größe, als das andere und schlug leichte Wellen. Rechts daneben lagen zwei Federn und daneben stand das Fass mit der Tinte. Draco sah es ungläubig an. Mit all dem sollte man schreiben können? So recht konnte er sich das noch nicht vorstellen.

„Also, pass genau auf.“, sprach Alexander dann und zog ein Blatt Papier zu sich. „Das hier ist das große A.“, lautierte er und schrieb gleichzeitig den Buchstaben. Draco beobachtete ihn genau und folgte der Bewegung seiner Hand mit seinen Augen. „Die Worte Ameise, Apfel, Ast oder auch Alexander beginnen mit diesem Buchstaben. Das hier ist das kleine a.“, sprach er weiter und schrieb es daneben. „Das kleine a ist in Wörtern, wie Susan, Draco, Kalender oder Blatt. Verstanden?“

Draco nickt kurz. Das war nun wirklich nicht allzu schwierig.

„Gut, dann versuch es selbst. Erst das große A, dann das kleine.“, kommandierte Alexander.

Draco nahm die Feder in die recht Hand und setzt sie auf das Blatt Papier, genauso wie es zuvor bei Alexander beobachtet hatte. Er setzte die Feder neben Alexanders geschriebenen Buchstaben.

„Nein, du hältst sie vollkommen falsch.“, wurde er sofort von Alexander unterbrochen. „Du nimmst sie zwischen Daumen und Zeigefinger, den Mittelfinger legst du so dahinter und nimmst ihn als Stütze.“ Alexander legte seine Finger neu an die Feder, bis er zufrieden war. „Jetzt versuch es.“, sagte er noch einmal.

War es nicht vollkommen egal, wie er die Feder hielt, so lange nur das Ergebnis stimmte?

Draco wusste genau wie Alexander begonnen hatte und versuchte den Aufstrich ebenso glatt und gleichmäßig zu machen, wie er es gesehen hatte. Doch seine Hand fühlte sich bereits nach wenigen Sekunden, die sie die Feder gehalten hatte, verkrampft an, so dass der Strich weit länger als beabsichtig wurde, dazu noch vollkommen verwackelt und zu schief. Er war regelrecht entsetzt über das, was er sah.

„,Mach den Abstrich.“, verlangte Alexander. Draco tat es, nur um ein ähnliches Ergebnis zu erhalten. Seine Finger schmerzten inzwischen und seine Hand begann zu zittern. Trotzdem versuchte er sich an dem waagerechten Strich in der Mitte, der ebenso misslang. Sein großes A war völlig verwackelt, verzerrt, mit unterschiedlich langen Seiten und hatte nur weit entfernt Ähnlichkeit mit dem was Alexander ihm aufgeschrieben hatte.

„Versuch das Kleine.“, sagte Alexander. Seine Stimme klang ebenso wenig begeistert über das Ergebnis, wie Draco selbst war. Er hatte nicht erwartet, dass es so schwierig sein würde. Draco versuchte es dennoch. Der Krampf in seinen Fingern breitete sich inzwischen über seine Hand aus und kroch langsam in sein Handgelenk. Er hatte nicht erwartet, dass es so anstrengend sein würde.

Auch das kleine a wurde nicht viel besser. Der Bogen glich eher einem gekrümmten Strich und mit dem Abstrich am Ende, sah sein a eher aus wie ein Viereck. Erschöpfte ließ Draco die Feder sinken und besah sich sein missglücken Versuch. Man konnte es nicht einmal als Buchstaben erkennen.

„Du hast auch noch nie eine Feder in der Hand gehabt.“, sagte Alexander trocken und Draco hätte ihm bei diesem Tonfall am liebsten den Hals umgedreht. Natürlich hatte er das nicht! Warum sollte er auch?!

„Ich hätte es eigentlich wissen müssen.“, sprach Alexander weiter und erwartete offenbar nicht einmal eine Antwort von ihm. „Es war mein Fehler, ich selbst habe auch anders Schreiben gelernt.

„Beim Schreiben werden viele Muskeln auf einmal beansprucht und für jemand unerfahren, ohne Übung, kann es sehr schwer sein. Es hat so keinen Sinn weiter zu machen. Das Beste ist, wenn du erst einmal ein Gefühl für die Feder und Tinte bekommst. Zeichne Kreise und Linien, Schleifen, Bögen und Muster - alles was dir einfällt. Das ist die einzige Möglichkeit um deine Hand daran zu gewöhnen. Eher brauchen wir gar nicht weiter zu machen.“ Als Alexander die Dinge aufgezählt hatte, die Draco zeichnen sollte, hatte er sie selbst gemalt, um es ihm zu demonstrieren. Die Worte allein haben Draco auch nicht viel gesagt.

Draco nickte kurz. Das schien ihm einleuchtend. Alexander stand auf und sagte: „Du kannst die Buchstaben auch erst einmal mit den Finger auf die Tischplatte zu schreiben. So werden die großen Muskeln beansprucht und du bekommst vielleicht eher ein Gefühl dafür. Die Bewegungsabläufe werden besser in Gedächtnis gespeichert. Ich gehe jetzt in mein Arbeitszimmer. Wenn was ist, findest du mich dort.“

Draco nickte kurz und wartete bis Alexander die Küche verlassen hatte. Dann schrieb er das große A und das kleine a mit dem Finger auf die Tischplatte. Er konnte nicht feststellen, dass ihm das irgendwie half, aber er hatte es getan. Anschließend tauchte er die Feder in das Tintenfass, wie er es zuvor bei Alexander gesehen hatte. Draco blicke kurz in die Flamme des Kerzenleuchters, der vor ihm stand, bevor er die Feder wieder auf das Papier setzte. Er versuchte sich nicht gleich an dem A, sondern nahm Alexander Rat an und zeichnete Kreise und Linien. Trotzdem hatte er nicht das Gefühl es würde sich etwas ändern. Die Feder lag schwer in seiner Hand und seine Finger verkrampften sich nach wenigen Augenblicken aufs Neue.

Es verwunderte ihn nicht. Er war von vornherein nicht dafür geschaffen zu schreiben. Vielleicht sollte es also einfach nicht sein. Aber es wurmte ihn ungemein, dass es etwas geben sollte, was er nicht erlernen konnte und sein Ehrgeiz war angestachelt. Demnach probierte er es weiter. Je mehr er es aber versuchte, desto größer wurde der Schmerz in seiner Hand, der sich schon bald über sein Handgelenk in den Arm zog und desto unansehnlicher wurden die Muster auf dem Papier. Trotzdem ließ er es nicht bleiben.

Er musste schon eine ganze Weile dort gesessen haben, als er immer noch keinen Fortschritt feststellen konnte. Stattdessen musste er immer häufiger die Feder absetzen um seine Hand zu bewegen, um den Schmerz und den Krampf zu vertreiben – mit nur wenig Erfolg. Offenbar sollte er wirklich nicht schreiben können, begann er zu denken. Plötzlich betrat Susan den Raum und brachte ein paar Kerzen mit. Erst da fiel Draco auf, dass die alten schon fast herunter gebrannt waren.

„Du solltest es nicht krampfhaft versuchen. Niemand kann das Schreiben über Nacht lernen, auch Alexander und ich haben Jahre dafür gebracht.“, sagte sie, während sie die neuen Kerzen in den Halter steckte.

Draco erwiderte, wie so oft, nichts und setzte die Feder abermals an. Inzwischen hatte er unzählige Linien, Kreise, Schleifen, Bögen und andere Muster auf das Papier gezeichnet, doch nie war es so geworden, wie er es sich vorgestellt hatte. Doch kaum hatte er einen weiteren Strich gezogen, warf er die Feder beiseite. Er konnte sie absolut nicht mehr in der Hand halten. Inzwischen fühlten sich seine Hand und sein Arm nicht nur steif, sondern auch taub an. Zu allem Überfluss war er frustriert, dass es ihm einfach nicht gelingen wollte. Draco spürte, wie Susan ihn beobachtet und er wünschte sie würde einfach verschwinden. Er drehte vorsichtig sein schmerzendes Handgelenk und war wütend über sich selbst, dass es ihm nicht gelang. Aber erst recht, dass er es überhaupt so lange probiert hatte. Es sollte nicht sein und damit konnte er leben.

Wortlos drehte sich Susan um und füllte ein wenig Wasser in eine Schüssel ab. Er glaubte schon, sie würde ihn endlich in Ruhe lassen. Susan tauchte ein Tuch in die Schüssel, nur um es im Anschluss auszuwringen. Als sie fertig war, kam sie wieder auf ihn zu.

„Darf ich?“, fragte sie. Er verstand nicht, was er meinte. Ohne die Antwort abzuwarten, nahm sie vorsichtig seinen rechten Arm. Er wollte ihn zurückziehen, doch noch bevor er schnell genug war, hatte sie das feuchte Tuch darauf gelegt. Als er merkte, wie kühl es war, hielt er inne und ließ sich das Tuch ganz um das Handgelenk wickeln. Sofort klang der Schmerz etwas ab.

„Danke.“, presste er widerwillig zwischen den Zähnen hervor.

„Schon gut. Aber... Vielleicht solltest du mal die anderen Hand probieren.“, flüsterte sie leise und sah über ihre Schulter, als wollte sie sicher gehen, dass Alexander auch plötzlich nicht im Raum stand.

„Was?“, fragte Draco ebenso leise, der nicht wusste, was sie ihm damit sagen wollte.

„Es heißt man soll nur mit der guten Hand, der rechten Hand schreiben, aber manche können das einfach nicht. Sie benutzten nur die linke. Vielleicht bist du ja auch so jemand. Probier es einfach mal, dann wirst du es ja sehen. Aber sag Alexander nicht, dass ich dir das geraten habe. In der Sache ist er genauso altmodisch, wie die ganzen anderen Lehrmeister. Dabei ist es vollkommen egal mit welcher Hand man schreibt, wenn du mich fragst. Hauptsache man kann Wörter und Sätze aufs Papier bringen.“ Sie sah ihn an und Draco nickte kurz.

„Und vielleicht solltest du nicht mehr ganz so lange hier sitzen. Das Feuer ist fast herunter gebrannt und Alexander und ich gehen gleich zu Bett. Es wird dann schnell kühl hier drin. Morgen ist auch noch Zeit für so was. Guten Nacht.“

Damit ließ Susan ihn wieder allein. Draco sah ihr noch einen Moment hierher und dachte über ihre Worte nach. War das denn wirklich möglich? Erneut nahm er die Feder in die Hand, dieses Mal in die Linke. Die Rechte lag neben dem Papier auf dem Tisch, immer noch eingeschlagen in das kühlende Tuch. Im Moment hatte Draco das Gefühl, dass er sie so schnell nicht wieder bewegen könnte ohne dabei Schmerzen zu empfinden. Er nahm die Feder so in die Hand, wie es Alexander ihm gezeigt hatte, tauchte sie abermals ein und als er sie auf das Papier setzte hatte er das Gefühl, dass es wesentlich leichter ging, als zuvor. Die Bewegung wirkte nicht falsch in seiner Hand. Er zeichnete Bögen, Schleifen und Kreis und die Bewegungen gingen ihm leichter aus dem Handgelenk. Allerdings ergaben sich nun zwei neue Probleme: Er schob nun mehr die Feder, als das er sie zog, wie er es zuvor getan hatte und dadurch verrutschte das Papier. Dieses Problem löste er in dem er einfach das Tintenfass als Beschwerer darauf stellte. Das andere Problem allerdings, konnte er nicht so einfach lösen. Denn jedes Mal, wenn er einen Strich gezogen hatte, verwischte er die Tinte mit seiner eigenen Hand und es verschmierte. Er machte noch ein paar Versuche, hielt die Feder etwas anders und doch gelang es ihm nicht, das Verschmieren ganz zu verhindern. Langsam wurden ihm die Augen schwer und sein Körper müde. Kurz bevor er die Feder endgültig bei Seite legen wollte, versuchte er noch ein letztes Mal ein großes A und ein kleines a zu schreiben. Es sollte ihm zeigen, ob Susan wirklich recht gehabt hatte. Bereits nachdem er den ersten Strich gemacht hatte und dieser fast gerade, ein wenige schräg nach oben lief, wusste er, dass es wohl stimmte. Er war jemand der mit der linken Hand schreiben konnte, während seine Rechte mit einer Feder in der Hand scheinbar vollkommen nutzlos war. Er vollendete die beiden A und betrachtete sie, nicht ohne eine gewissen Selbstzufriedenheit zu verspüren. Es war noch lange nicht so sauber, wie bei Alexander, aber er wusste, dass er es schaffen konnte.

Als er zu Bett ging fühlte sich sein Kopf abermals schwer an und in seinem rechten Handgelenk pulsierte es leicht. In dieser Nacht brauchte er nicht lange, um Schlaf zu finden.
 

Er erwachte später, als an all den anderen Morgen und seine rechte Hand war immer noch steif. Als er in die Küche trat, waren Susan und Alexander bereits beim Frühstück und noch bevor er sich richtig gesetzt hatte, schob ihm Alexander das Blatt Papier hin, welches er gestern beschrieben hatte.

„Das hier sieht schon sehr viel besser aus.“, sagte er und deutete auf die letzen beiden Buchstaben, die er vor dem Zubettgehen geschrieben hatte. „Es hat den Anschein, als hättest du plötzlich eine ziemliche Wende gemacht. Dieses A hier sieht sehr viel besser aus, als die vorherigen. Wie kam es, dass es dir plötzlich so gut gelang?“, fragte er und klang scheinbar wirklich interessiert.

„Ich hab die linke Hand benutzt.“, antwortete Draco kurz und nahm die Schüssel, die Susan ihm in dem Moment reichte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich Alexanders Blick sofort verdunkelte.

„Die linke Hand?“

Draco nickte abwesend und begann mit seinem Frühstück.

„Du kannst nicht die linke Hand nehmen!“, sagte Alexander aufgebracht und klang schockiert. Draco sah ihn kurz an und erinnerte sich an das, was Susan ihm am Abend gesagt hatte.

„Warum nicht?“, fragte er zurück, ließ sich bei seinem Frühstück aber nicht unterbrechen.

„Die linke Hand ist keine gute Hand. Man muss mit der Rechten Schreiben oder gar nicht. Nur mit der rechten Hand kann es einem gut gelingen.“

„Dann eben gar nicht.“, antwortete Draco gleichgültig und kaute weiter.

„Was?!“

„Alexander nun reg dich doch nicht auf.“, ging Susan nun dazwischen. „Es ist doch wirklich vollkommen egal mit welcher Hand er schreibt. Wenn es ihm mit links leichter fällt, dann lass ihn doch. Es wird ihm auch so schwer genug fallen, in dem Alter noch das Schreiben zu lernen. Außerdem kann die linke Hand nicht so verkehrt sein. Vergiss bitte nicht, dass das Herz auch auf der linken Seite sitzt.“

Alexander warf rasch einen Blick zu Susan und auch Draco sah sie unverwandt an. Er hätte nicht gedacht, dass sie ihrem Mann wiedersprechen würde. Sie erschien ihm nicht die Person für so etwas – und schon gar nicht für ihn.

„Wenn du meinst. Ist mir doch egal.“, knurrte Alexander und konnte Draco nicht anders, als ihn ungläubig anzusehen. Er machte nicht einmal den Versuch seiner Frau zu widersprechen. Mit so etwas hatte Draco nicht gerechnet. Er fand dieses Verhalten höchst interessant. Alexander konnte ihn also doch noch überraschen.
 

Die folgenden Tage verliefen ohne dass dieses Thema noch einmal angesprochen wurde. Jeden Abend zeigte Alexander ihm einen neuen Buchstabend, der Reihenfolge des Alphabetes nach. Er sagte auch nichts mehr, wenn Draco die Feder jedes Mal in die linke Hand nahm, obwohl Draco spüren konnte, dass es ihm immer noch nicht passte. Alexander presste dann jedes Mal die Lippen zusammen und musste offenbar an sich halten, nicht zu widersprechen. Aber da Susan sich jedes Mal mit in der Küche aufhielt, wagte es Alexander nie seinen Unmut kund zu tun. Draco konnte dann nie anders und lächelte in sich hinein. Sogar der scheinbar noch so starke Alexander hatte einen Schwachpunkt. Nur würde Draco den nicht nutzen können. Susan hatte ihm schon zu oft geholfen, als das er sich jetzt gegen sie wenden könnte.
 

Sechs Tage nachdem Draco den ersten Buchstaben kennengelernt hatte, besucht Alexander endlich nach vier Wochen Annie wieder. Sie hatte seinen Besuch nach dem Festumzug jeden Tag ungeduldig erwartet, nur um am Abend, als es zu dunkel geworden und Besuch nicht mehr zu erwarten war, enttäuscht zu werden. Es brannten ihr viele Fragen auf der Zunge, die sie ihm unbedingt stellen musste und mit jedem Tag, der verging und sie ihn nicht sah, hatte sie Angst, möglichweise etwas zu vergessen. Selbstverständlich konnte sie sich in Gegenwart von John Barrington oder Jonathan Semerloy nichts dergleichen anmerken lassen. Sie war unendlich froh, dass keiner der beiden nicht noch einmal nach dem merkwürdigen Reiter gefragt hatte und sie tat alles, um sie nicht wieder darauf zu stoßen.

Ohnehin hatte sie momentan andere Sorgen.

Als Alexander ihren Raum betrat war sie erleichtert ihn wieder zu sehen. Sie umarmten sich fest und innig und wieder einmal hätte sie ihn am liebsten nie wieder gehen lassen.

„Wo warst du so lange?“, flüsterte sie vorwurfsvoll, bevor sie ihn aus der Umarmung erließ.

„Es tut mir leid. Ich will mich geschäftlich ausweiten und hatte deswegen ein paar Gespräche die keinen Aufschub duldeten.“

„Und das ist ein Grund deine Schwester zu vernachlässigen?“, fragte sie und setzte sich. „Was waren das für Geschäfte?“

„Interessiert dich das denn wirklich?“, fragte er und zog eine Augenbraue nach oben.

„Nein, eigentlich nicht. Aber es ist schön mal etwas von der Außenwelt zu hören.“

Alexander lächelte sie sanft an und Annie verspürte wieder das vertraute Gefühl von Heimat, wenn sie ihn sah.

„Ich habe versucht ein paar neue Kunden zu gewinnen und ich musste es in diesem Jahr noch klären, um zu wissen, wie viel ich im nächste Jahr anbauen muss.“, erklärte er ihr kurz.

„Aber ist es denn noch sicher?“, fragte sie und wusste, dass er wohl verstehen würde, was sie meinte.

„Bisher wurde noch nichts gegenteiliges bekannt gegeben und gegen Küchenkräuter wird wohl kaum jemand einen Einwand haben.“, sagte er und sie verstand. Er würde sich schon zu helfen wissen. Das hatte er immer und sie konnte nun, gefangen in diesem Mauern, auch nichts mehr tun, um ihn zu helfen.

„Was gibt es sonst noch neues? Wie geht es Susan?“, fragte Annie weiter.

„Es geht ihr gut.“, antwortete Alexander und auf einmal breitet sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus, das sich Annie nicht ganz erklären konnte. Was war an dieser Frage so lustig? „Offen gestanden geht es uns beiden sehr gut. Unser sehnlichster Wunsch ist endlich erfüllt worden.“, sagte er und seine Augen strahlten sie regelrecht an. Noch nie hatte sie ihren Bruder so glücklich gesehen und es dauerte nur einen kurzen Moment, ehe Annie begriff, was er ihr damit sagen wollte.

„Oh, Alexander, das ist wunderbar!“, sagte sie euphorisch, sprang auf und umarmte ihn gleich noch einmal. „Ich freue mich sehr für euch!“

„Danke schön.“, sagte er und erwiderte ihre Umarmung.

„Ihr müsst wahnsinnig glücklich sein. Ich werde Tante! Ich kann es noch gar nicht glauben! Ich hoffe, ich kann das Kleine auch mal sehen kann.“

„Natürlich wirst du das, daran besteht doch gar kein Zweifel.“, sagte Alexander und meinte es auch so.

„Ich weiß nicht.“, erwiderte sie und ihre Stimmung war nicht mehr ganz so zuversichtlich.

„Warum denn nicht? Du kannst nicht immer hier in den Wänden bleiben und ich kann das Kind, wenn es erst einmal ein wenig älter ist, auch mitbringen.“

„Ich weiß nicht, ob ich das wollen würde. Ich finde nicht, dass ein Kind an diesen Ort passt. Aber natürlich werde ich alles versuchen, um es mir anzusehen, wenn es geboren ist.“ Sie lächelte schwach und versuchte sich schon einmal zu überlegen, wie sie die Erlaubnis bei Barrington erhalten sollte, ihren Bruder sehen zu dürfen. Aber brauchte sie überhaupt eine Erlaubnis? Eigentlich nicht. Sie war nicht minderwertiger als er. Sie konnte doch selbst über ihr Leben entscheiden – zumindest wollte sie das glauben.

Und sie würde ihn wiedersehen. Allein schon bei dem Gedanken an ihn, schlug ihr Herz so viel schneller, dass es ihr augenblicklich besser ging. Die Gedanken der letzten Tage schienen für wenige Augenblicke, wie verschwunden.

„Wie geht es dir?“, fragt Alexander sie schließlich.

„Gut.“, antwortete sie mit einem Lächeln. Sie freute sich zu sehr für ihn, um ihm von ihren eigenen Sorgen zu erzählen.

Alexander schaute sie skeptisch an. „Du warst schon immer eine schlechte Lügnerin.“, sagte er dann und nahm ihre Hände in seine. „Was stimmt nicht?“

Alles, hätte sie am liebsten geantwortet, aber das wäre gelogen gewesen. Dadurch dass Barrington kaum noch ausritt und seine Zeit lieber mit Festen und Alkohol verbrachte, war er nachts schon gar nicht mehr in der Lage sie regelmäßig aufzusuchen. Etwas, worüber sie äußerst froh war. Dennoch konnte sie nicht sagen, dass es ihr dadurch viel besser ging. Allerdings konnte sie auch nicht sagen, was ihr fehlte.

„Nichts, es geht mir gut. Ich bin nur... Ich weiß nicht... Ich kann es nicht erklären. Wenn ich mich hinlege, dann fühle ich mich aufgewühlt, angespannt und rastlos. Ich wälze mich im Bett und kann doch keinen Schlaf finden - egal zu welcher Tageszeit ich es auch versuche. Stehe ich dann aber doch auf und gehen ein paar Schritte oder suche mir eine Näharbeit oder etwas zum lesen, dann bin ich nach wenigen Augenblicken so sehr erschöpfte, dass ich mich kaum auf den Beinen halten kann. Lege ich mich aber wieder hin, beginnt die Rastlosigkeit von neuem und ich kann es kaum ertragen im Bett zu liegen. Ich weiß nicht... ich schlafe nur noch wenig und sehr unruhig und jede noch so kleine Bewegung strengt mich unglaublich an.“, versuchte sie ihm ihre Situation verständlich zu machen.

Alexander stand auf und hob ihr Kinn an. Er sah ihr in die Augen und Annie vermutete, dass er Anzeichen für eine Krankheit suchte. Ihre Vermutung wurde bestätigt, als er ihre Stirn fühlte und ihre Schläfen abtastete.

„Ich kann nichts ungewöhnliches bemerken.“, sagte er schließlich, nachdem er auch kurz ihren Hals berührt hatte.

„Ich weiß, so gesehen fehlt mir ja auch nichts. Ich weiß nicht... Vielleicht ist es bald vorbei. Irgendwann muss ich ja mal so erschöpft sein, dass ich gar nicht mehr anders kann als schlafen.“, sagte sie und merkte selbst, wie bissig es klang.

„Das hört sich nicht gut an. Ich werde versuchen morgen noch mal kommen und dir etwas zur Beruhigung mitbringen. Ein wenig Hopfen und Baldrian, das sollte dir helfen leichter Schlaf zu finden.“

„Nein tut das nicht. Das ist viel zu gefährlich. Du weiß, was Barrington davon hält und ich will nicht, dass er wieder etwas hat, womit er uns...“ Sie brach ab. Es war nicht nötig, dass sie es aussprach.

„Annie, das ist wirklich-“

„Nein, du solltest jetzt besonders vorsichtig sein. Immerhin hast du bald eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Ich komme schon zurecht und es ist nicht so, dass ich mich täglich überanstrenge. Vielleicht kommt es auch nur von der Langweile.“, sagte sie. Schon wieder klang es so bissig, dafür konnte Alexander nun wirklich nichts dafür. Sie lächelte ihn an und hoffte, dass er nicht merke, wie schwer es ihr fiel.

„Bitte sag ihm nichts davon.“, flüsterte sie schließlich und hörte wie Alexander daraufhin geräuschvoll ausatmet.

„Sicher.“, antwortete er knapp. Annie sah sich noch einmal kurz um, um sicher zu gehen, dass niemand sie hören konnte. Der Raum war zwar leer, aber sie wusste mit Sicherheit, dass draußen vor der Tür die Kammerfrauen warteten oder noch ein paar Wachen. Seit acht Wochen lebte sie in der ständigen Angst irgendwas Falsches zu sagen oder zu tun, was andere in Gefahr bringen konnte. Es zerrte an ihren Nerven und sie konnte sich nur zu gut vorstellen, dass das die eigentliche Ursache ihres Unwohlseins war.

„Warum hast du das getan?“, fragte sie dann endlich kaum hörbar.

„Ich wollte, dass du dich selbst davon überzeugen kannst, dass es ihm gut geht. Ich weiß, dass du mir nicht ganz geglaubt hast und zweifeltest. Ich hoffte, ich könnte dir damit eine Sorge nehmen.“

Annie lächelte wieder und dieses Mal war es echt. „Das hast du. Das hast du wirklich.“, sagte sie sanft. „Ich kann dir nicht beschreiben, wie ich mich gefühlt habe, als ich ihn erkannte. Es war als würde mein Körper mit neuem Leben gefüllt werden.“, wisperte sie.

„Das freut mich.“, antwortete er. Annie lachte leise auf.

„So ganz glaube ich dir das nicht.“

„Na ja... es macht mich einfach glücklich zu sehen, dass ich dir dadurch helfen konnte. Ich bin schließlich nicht ganz schuldlos.“, sagte er und wirkte sehr nachdenklich.

Es war das erste Mal, dass er so etwas ausgesprochen hatte und obwohl sie wusste, warum und seine Gedanken ahnte, konnte sie sie dennoch nicht nachvollziehen.

„Was du getan hast, war vollkommen richtig, wirklich.“, sagte sie deswegen ernst. „Du wolltest deine Familie beschützen und das ist dein Recht. Es ist sogar deine Pflicht. Außerdem weiß ich nicht, ob es mir besser gegangen wäre, wenn ich wirklich davongelaufen wäre. Ich glaube nicht, dass ich den Gedanken euch allein und eurem Schicksal überlassen, lange ertragen hätte. Ihr habt das beide erkannt. Deswegen ist es in Ordnung.“

„Annie, du brauchst meine Handlung nicht zu rechtfertigen.“

„Das tue ich nicht. Es war richtig, was du getan hast. So sehe ich es und wir brauchen darüber auch nicht weiter zu reden. Ich komme zurecht. Denen, die ich liebe geht es gut und das ist das Einzige was zählt. Alles andere kann ich ertragen.“

Alexander schwieg und sah nach unten. Annie wusste, dass dies nicht die Worte gewesen waren, die er hatte hören wollen, aber sie konnte ihm absolut nichts anderes sagen.

„Wie geht es ihm? Hat er sich inzwischen bei euch eingelebt?“, fragte sie schließlich neugierig.

„Mehr oder weniger. Wir... geraten nicht mehr aneinander. Oder besser ich habe es aufgegeben.“, antwortete er und klang auch ehrlich entnervt. Noch immer flüsterten sie mit einander, damit niemand hörte worüber oder über wen sie sprachen. Er sprach weiter und Annie nahm jedes Wort in sich auf und verschloss es tief in ihrem Herzen.

„Es geht im körperlich ausgezeichnet, das hast du ja hoffentlich selbst gesehen. Wir haben vor sechs Tagen mit dem Schreiben und Lesen angefangen. Inzwischen sind wir beim Buchstaben F und er lernt recht schnell.“

„Ich habe nichts anderes erwartet.“, unterbrach sie ihn kurz und lächelte in sich hinein.

„Er schreibt mit links.“, machte Alexander seinen Unmut darüber Luft und Annie sah ihn überrascht an.

„Oh.“, stieß sie aus und es dauerte etwas ehe sie sich weiter dazu äußerte. Sie selbst fand es nicht besonders schlimm, aber sie kannte Alexanders Ansicht darüber nur zu genau. „Aber im Grund ist das doch nichts schlechtes.“, sagte sie endlich. „Solange wie es ihm gelingt, ist es in Ordnung. Ich denke nicht, dass er diese Kunst irgendwann einmal intensiv anwenden muss und selbst dann ist es doch eigentlich keine Frage dessen, welche Hand er benutzt. Solange wie die Buchstaben leserlich sind, ist doch alles in Ordnung und vergiss nicht, das Herz sitzt ebenfalls links.“

„Das gleiche hat Susan auch gesagt.“, erwiderte ihr Bruder und verdrehte die Augen.

„Sie ist eine sehr klug Frau.“, schmunzelte Annie. „Ich kann verstehen, dass du darüber nicht erfreut bist. Wenn ich daran denke, wie unserer Lehrmeister sich verhalten halt, wenn wir auch nur einmal die Feder ausversehen in der falschen Hand hatten. Jedes Mal ist er zu einem echten Ungeheuer geworden.“

„Ich hoffe, dass ich nicht so bin wie er oder zumindest nicht ganz so schlimm. Aber du hast schon recht. Ich denke, ich werde ihn dann für mich Rechnungen schreiben und die Bestände aufnehmen lassen. Das sollte er hinbekommen. Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell er begreift. Aber vor allem wird es ihn beschäftig halten.“

„Was ist mit der Schwertkunst?“, fragte sie vorsichtig weiter.

Wieder atmete Alexander tief ein und aus und Annie erkannte, dass er mit ihrer Bitte immer noch nicht ganz zufrieden war.

„Ich habe ihm gesagt, dass wir im Frühjahr anfangen werden. Ich musste mir einen plausiblen Grund einfallen lassen und offenbar hat er mir geglaubt. Ich habe dich das schon einmal gefragt: Warum will er es so unbedingt lernen? Damals hast du mir nicht geantwortet, wirst du es jetzt tun?“

Müde lächelte sie ihn an. „Nein, tut mir leid.“

„Dachte ich mir.“

„Wie hat Draco reagiert... Ich meine, wusste er, dass er mich... das wir uns sehen werden?“, kam sie nun endlich auf den Festumzug zu sprechen.

„Nein, er wusste es nicht. Er war ebenso überrascht, aber vielleicht auch dankbar, wie du. Trotz der acht Wochen, die er nun schon bei uns ist, ist er immer noch schwer einzuschätzen.“

„Das kann ich mir vorstellen.“

„Die Stadt muss ihn allerdings schwer zugesetzt haben. Ich hätte nicht erwartet, dass er noch nie in einer war.“

„Wie meinst du das?“

„Er war vollkommen... erschöpft von den ganzen Eindrücken, die er hier bekommen hat. Man konnte es ihm gerade zu ansehen und er ist an dem Tag auch gleich zu Bett gegangen.“

„Wirst du ihn wieder mitnehmen?“, fragte sie zaghaft und wusste nicht, ob sie sich ein Ja oder ein Nein als Antwort wünschte.

„Nein, ich denke nicht. Außerdem ist es wohl zu gefährlich.“

Annie nickte. Alexander hatte es also auch bemerkt.

„Offenbar versteht er sich mich Susan. Er hilft ihr, wenn sie ihn darum bittet und das ist eigentlich mehr als ich erwartet habe.“, wechselte ihr Bruder nun das Thema.

„Sei nicht ungerecht zu ihm. Es hört sich ja fast so an, als würde er sonst nichts tun.“

„So meinte ich es nicht. Natürlich hilft er. Er tut was man ihm sagt und das ohne Widerspruch, aber er spricht ja auch sonst nicht viel.“, murmelte Alexander. „Die Tiere haben sich inzwischen an ihn gewöhnt und das reicht mir im Moment eigentlich schon.“

„Wie kommt es dass er gerade Hera hat?“, fragte sie nun. „Ich hätte nicht gedacht, dass du Hera ausgerechnet ihm gibst. Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, war sie nicht sehr zugänglich.“

„Oh, ich habe sie ihm nicht gegeben. Glaube mir, es hätte mir nichts ferner gelegen. Aber offenbar hat es einfach gepasst. Sie hat ihn gewählt und er sie, von Anfang an. Sie hat ihn nicht einmal beim ersten Mal abgeworfen. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr mich das geärgert hat.“, knurrte er. „Dabei habe ich sie zugeritten. Er reitet jeden Tag mir ihr aus, so lange bis es dunkel wird.“

„Das klingt wundervoll. Er scheint sein Leben endlich akzeptiert zu haben.“, sagte sie und ihr Blick war traurig. Vielleicht konnte sie ihres dann auch endlich akzeptieren.

„Ich weiß nicht. Wie ich sagte, er ist schwer einzuschätzen. Er spricht immer noch nicht viel und sein Blick ist manchmal seltsam leer, als wäre er gar nicht da und ganz wo anders. Ich kann nicht unbedingt sagen, dass er mir sympathischer geworden ist, aber wir kommen miteinander aus.“

„Es macht mich sehr glücklich, dass zu hören. Ich weiß nicht, wie ich dir das je danken soll.“

Alexander machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du weißt, dass du das nicht musst. Ich würde alles für dich machen.“

„Aber es ist nicht selbstverständlich jemanden fremdes aufzunehmen. Deswegen nimm meinen Dank an und belasse es dabei.“ Ihre Worte ließen keinen Widerspruch zu und doch wusste sie, dass Alexander dem nicht zustimmte.

„Was macht dein Gemahl?“, fragte Alexander sie nun und Annie zuckte bei dem Wort unweigerlich zusammen. Nie würde sie sich auch nur an den Gedanken gewöhnen können, dass dieser Mann ihr Ehemann war und das so lange bis einer von ihnen sterben würde. Sie hoffte, dass sie die Erste sein würde. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was mit ihr geschehen würde, wenn Barrington vor ihr ging. Würde sie dann einen anderen Mann ehelichen müssen? Sie bezweifelte, dass sie das Glück haben würde und man sie dann gehen ließe. Also konnte sie nur auf einen früheren Tod hoffen.

„Er spielt Karten und der Wein fließt in Mengen.“ Mehr konnte und wollte sie sich dazu nicht äußern. Sie wollte Alexander nicht noch mehr mit ihren trüben Gedanken belasten.

„Hat er irgendwas gesagt?“, fragte Alexander sie weiter und in Annie machte sich abermals das Gefühl von Angst breit. Ihr Bruder konnte nur diesen einen Moment während des Festumzuges meinen, als Dracos Haare kurz sichtbar gewesen waren.

Kurz nickte sie. „Sie haben bemerkt, wie ich zu ihm geschaut habe. Allerdings habe ja selbst ich sein Gesicht nicht richtig gesehen. Ich wusste nur, dass er es war, eben weil er es war. Aber sie? Nein, ich denke nicht, dass sie deswegen etwas bemerkt haben. Es war meine Schuld, dass sie dann doch misstrauisch geworden sind. Ich konnte meinen Blick einfach nicht von ihm lösen. Ich weiß nicht, ob sie mir meine Ausflucht geglaubt haben. Es ist gut, dass du ihn nicht wieder mit in die Stadt nehmen wirst.“

„Wie kommt es, dass er noch nie eine Stadt gesehen hat?“

„Warum fragst du ihn das nicht selbst?“, erwiderte sie.

„Du weißt, dass er mir nicht antworten wird. Und du?“

Abwartend sah Alexander sie an und Annie schüttelte gleich den Kopf. Auch sie würde ihm keine Antwort geben.

„Ich verstehe.“, sagte Alexander daraufhin. „Ich muss mich auf den Weg machen, aber ich komme so bald wie möglich wieder, um nach dir zu sehen. Ich muss die Gärten und Ställe endlich winterfest machen. Ruh dich aus und versuch zu schlafen. Irgendwann wird es schon gelingen. Ich werde versuchen ein paar Kräuter zu dir zu bringen.“

„Ich danke dir, aber bitte tu es nicht. Du weiß warum.“

„Wir werden sehen.“, sagte Alexander unbestimmt. „Vielleicht brauchst du sie dann gar nicht mehr.“ Er küsste seine Schwester flüchtig auf die Stirn und verabschiedete sich dann.

Annie blickte nachdenklich auf die Tür. Es war nicht gut, wenn Alexander so viel riskieren wollte. Jetzt im Moment schon überhaupt nicht.

Sie schüttelte kurz den Kopf. Es brachte nichts darüber nachzudenken, dass wusste sie. Alexander hatte seinen eigenen Kopf. Sie würde sich hinlegen und versuchen zu schlafen, ganz so, wie er es gesagt hatte. Sie konnte ja nicht für immer wach sein und das Gespräch hatte sie noch müder werden lassen. Sie musste jetzt einfach schlafen.

Doch kaum hatte sie dies gedacht, klopfte es erneut an ihre Tür, doch ihr blieb nicht einmal Zeit den Besucher hereinzubitten, als sie auch schon auf ging.

Jonathan Semerloy betrat den Raum.

Sofort schien alles in ihr wieder zu erwachen. Ihr Körper wusste instinktiv, dass er bei diesem Mann nicht schwach sein durfte, dass er jeden noch so kleinen Moment Schwäche von ihr ausnutzen würde, um sie zu brechen. Annie richtete sich gerade auf, straffte die Schulter und sah ihn mit entschlossenem Blick an.

„Was führt euch zu mir.“, verlangte sie zu wissen, noch bevor er ein Wort der Begrüßung verloren hatte.

„Ich freu mich auch sehr euch zu sehen.“, sagte Jonathan Semerloy dennoch und behielt das kühle Lächeln, welches seine Lippen umspielte. Er ging auf sie zu und Annie ließ es geschehen, dass er ihre Hand nahm, um sie zu küssen.

„Nun?“, verlangte sie noch einmal zu wissen.

„Offenbar war euer Bruder zu Besuch. Hat er gute Nachrichten gebracht?“

„Ich habe Alexander schon vier Wochen lang nicht mehr gesehen und habe mich sehr darüber gefreut und ja er hatte gute Nachrichten. Aber ich denke nicht, dass es euch etwas angeht. Daher werdet ihr sicher Verständnis dafür haben, wenn ich nicht weiter darüber rede.“

„Aber natürlich.“, sagte er einschmeichelnd und deutet eine Verbeugung an.

„Wie steht es sonst um euer Befinden? Geht es euch gut?“

Misstrauisch sah sie ihn an. Ahnte er etwas? Aber woher? Sie hatte sich gegenüber den Kammerfrauen, Barrington oder ihm nie etwas anmerken lassen. Er konnte nichts wissen. Sicher stellte er sie nur auf die Probe.

„Mir geht es gut.“, und um nicht mehr ganz so bissig zu klingen - wusste sie doch, dass es nicht gut sein konnte, ihre Feindseligkeit ganz so offen zu zeigen - fügte sie etwas schmeichelhafter an: „Danke, dass ihr euch Gedanken um mich macht, aber das ist wirklich nicht nötig.“

Wieder umspielte ein Lächeln seine Mundwinkel und Annie gewann den Eindruck, dass es nicht mehr ganz so kühl wirkte.

Er streckte einen Arm nach ihr aus und berührte sanft ihre Wange. Zu schockiert von dieser Geste, um auch nur überhaupt reagieren zu können, starrte sie ihn überrascht an.

„Ich muss sagen ihr fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Wie ihr von einem Moment zum anderen so Angewidert sein könnt und dann im nächsten wieder voller Liebreiz zu mir sprecht, ist wahrlich bemerkenswert. Es ist nicht nur eure Schönheit, die euch auszeichnet.“

Sie war unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Was sollte das alles? Er hatte sie vom ersten Moment verachtet, sie als Minderwertig, als Spielzeug gesehen und nun war er fasziniert von ihr? Das musste ein übler Scherz sein!

„Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass ihr mich sonderlich zu mögen oder zu schätzen scheint.“, sprach sie ihre Gedanken laut aus und versuchte die Gänsehaut zu ignorieren, die seine Berührungen bei ihr auslösten. Es war nicht die Gleiche, die sie bei Draco jemals empfunden hatte. Vielmehr war dies der Beweis ihrer Angst, die ihren Körper erfasst hatte.

„Das kann ich euch selbst nicht beantworten, obwohl ich nichts lieber täte. Vielleicht ist es gerade diese direkte Art, die mich so in den Bann zieht. Aber vielleicht ist es auch nur eine kurzzeitige Verwirrung. Wer weiß...“ Gedankenverloren strich er von ihrer Wange ihr Kinn entlang und fuhr anschließend mit dem Daumen über ihre Lippen. „Ich würde gern wissen, wie diese Lippen schmecken.“

Annie begann zu zittern. Seine Worte waren andere, als Dracos, kurz bevor er sie geküsst hatte und doch hatte sie die gleiche Sehnsucht daraus gehört. Würde er sie ebenfalls...

„Ihr seht ein wenig blass aus. Ihr solltet euch für heute hinlegen und ausruhen. John ist bereits in seinem Gemach eingeschlafen. Ich hoffe euch bald wieder sehen zu können, Mylady.“

Ohne eine Verbeugung, wie es der Anstand verlangen würde, verließ er den Raum. Annie starrte ihm hinterher. Was sollte dieser Besuch? Was ging in seinem Kopf vor?

Wollte er mit ihr spielen? Wollte er ihr Angst machen? Wollte er ihr seinen Spott spüren lassen?

Alles davon war ihm perfekt gelungen.

Sie stolperte rückwärts zum Bett und ließ sich darauf fallen. Ihr Körper zitterte noch immer unkontrollierbar und ihr Unwohlsein war vollkommen vergessen. Sie biss sich heftig auf die Lippen, um seine Berührung an dieser Stelle vergessen zu können.

Nur zu genau erinnerte sie sich an seine Worte, als sie das erste Mal allein gewesen waren. Er würde nicht mehr lange warten wollen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Mmh... heute habe ich gar nichts weiter dazu zu sagen. O.o Na so was....^^;
Na ja... außer, dass ich finde, dass der Titel dieses Mal sogar gut passt. *lol* Endlich mal...ich sollte es im Kalender vermerken. Kommt ja selten vor, dass ich selber damit zufrieden bin.^^

Kapitel 18 ist schon in Arbeit, und ich hab auch schon ein paar Seiten geschrieben. Ich gebe dieser FF im Moment einen kleinen Voran vor meinen anderen. Warum weiß ich selbst nicht, aber mir soll‘s recht sein.

Bis zum nächsten Mal hoffentlich!

glg maidlin
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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: enni
2010-02-24T21:18:17+00:00 24.02.2010 22:18
So jetzt bekommst du was du verdienst! Nämlich dein kommi! XD

Armer Draco, man merkt das es ein echter Schock für ihn war, Annie so zu erleben. Besonders auch, daß er ihre veränderung so stark erkennen musste. Dieses Bild jetzt und dann noch das völlig fertig verweinte, bevor er sie verlassen hat, es muss ihn echt innerlich zerreisen! ;__;

Ahh Susan ist schwanger! Ich kann nicht anders ich freu mich für sie! >.< Obwohl ich natürlich nicht so begeistert bin, daß Alexander wiedermal den Chef raushängen läßt... ich verstehe seine gründe natürlich absolut, aber das könnte man dann aber auch netter sagen. Viel, viel besser finde ich hingegen die art und weiße wie Susan Draco über die Schwangerschaft aufklärt! XD Das kommt so süß und herzlich, daß man sie am liebsten dafür drücken und knuddeln oder sich sofort mit ihr im Kreis drehen möchte, weil ihre Freude da so toll rauskommt! Ich würde mich sehr freuen, lesen zu dürfen, wie die erste begegnung von Draco mit den Baby ist. Ich kann mir das so toll vorstellen! ♥

Mist, Alexander ist doch früher nach Hause gekommen, und ich hab nicht erfahren wer was von den Hasen bekommen hat! So wie ich Alexander einschätze, hat er die guten teile für sich behalten und Draco nichts davon gegeben! *in Alexanders richtung gifte!* Und aha... es gehts endlich ans schreiben! XD Da hattest du mich ein wenig überrascht, ich hätte damit gerechnet, daß Draco mit beiden Händen gleich geschickt ist, aber siehe da, Draco hat eine schwäche! *lach* Aber du hast es schon wieder geschafft mir Susan nochmal einen großen schwung beliebter zu machen. Außerdem ist die gute schlau. Gut das ihr eingefallen ist, Draco mal anzuregen es mit links zu versuchen. Ich finds amüsant Dracos schreibversuche zu lesen. XD Einerseits ist er voller Ehrgeiz, andererseits hat er das volle "Wenns nicht klappt gehts mir am Arsch vorbei" gefühl! XD Der Kerl! >.<

Hahaha~ und nochmal ein fettes Plus für Susan, weil sie Draco verteidigt und Alexander in die Knie zwingt! *strike* Mädel ich mag dich! XD Und Draco schaut nur ungläubig! Wuahhh! Das gefällt mir. XD Und noch mehr gefällts mir, wenn Draco es gefällt und es auch geniest Alexander kuschen zu sehen! *lach*

Ach und Annie... ganz ehrlich ich mach mir sorgen um sie! Mein gedanke war echt, bitte bitte, sei nicht schwanger! Lass es was anderes sein! Und als sie zu Alexander meinte er hätte das richtige getan und solange es allen gut ginge könne sie mit allen leben, zog sich mein Magen zusammen. Es ist echt schlimm sowas zu lesen. Da kann ich mich nichtmal darüber freuen, daß Alexander nicht das zu hören bekam, was er hören wollte...
Aber dann auch noch das mit Semerloy! ^^ Gott die gute hat echt kein Glück! Allerdings darf ich sagen, daß mir diese Stelle verdammt gefallen hat! Ich rieche Gefahr für Annie und das läßt in mir einen angenehmen schauder des entzückens über meinen Rücken fahren! ^^ Barrington hasse und verachte ich, Semerloy hasse und verachte ich auch, aber er hat eindeutig was, was Barrington nicht hat und das gefällt mir! XD

Man ich freu mich echt total auf dein nächstes Kapitel, lass mich sehen wie es weitergeht! XD

hdgdl enni





Von:  Cygni
2010-02-20T10:55:57+00:00 20.02.2010 11:55
ich liebe es, wie immer.

du schreibst einfach wundervoll, und alle gefuehlsregungen lassen sich so herlich nachvollziehen, aber was ist das mit der rechten hand, das versteh ich nicht...

aber das hat bestimmt noch einere tiefere bedeutung...

lg stellax3


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