Zum Inhalt der Seite

Drachenkind

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich hätte nicht gedacht, dass ich es wirklich noch in diesem Jahr schaffe! Ich bin begeistert! >.<
Ich hoffe das Kapitel gefällt und ihr habt Freude beim lesen.

Eines muss ich noch sagen: Ich hab keine Ahnung von Pferden.^^° Man möge mir verziehen, denn zum nachschlagen hatte ich keine Zeit und hier bei meinen Eltern hab ich auch kein Internet, wo ich mal schnell hätte schauen können. =P
Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der Festumzug

Annie stand in ihrem Zimmer und betrachtete desinteressiert die Winterrobe, die man ihr angelegt hatte. Unter anderen Umständen hätte sie sich vielleicht darüber gefreut, doch nun spürte sie nicht mehr als den schweren Stoff, der auf ihren Schultern lastete. Nein, es war nicht nur der Stoff.

Träge hob sie den Arm und zuckte schmerzvoll zusammen. In dieser Nacht hatte er sein Recht gleich fünfmal gefordert. Oder war es doch mehr gewesen? Sie erinnerte sich nur wage daran, dass es hin und wieder plötzlich dunkel um sie herum geworden war. Wahrscheinlich hatte sie irgendwann das Bewusstsein verloren. Ihr Körper verwehrte sich immer mehr gegen diesen Mann. Schon allein bei dem Gedanken an ihn schien alles in ihr zu zerbrechen. War sie am Anfang noch gegen die Vorstellung, so wünschte sie sich jetzt beinah verzweifelt ein Kind unter ihrem Herzen zu tragen. Natürlich wusste sie nicht, ob er auf sie oder das Kind Rücksicht nehmen würde, aber vielleicht konnte sie doch darauf hoffen, wenn vielleicht einer der Ärzte...

Nein, daran konnte sie nicht glauben. Niemand würde es wagen sich gegen Barrington zu stellen. Und was würde sein, wenn das Kind einmal geboren war? Würde er sich dann zufrieden geben? Wohl kaum. So vulgär, wie er von ihrem Körper sprach, würde er sie niemals in Ruhe lassen.

Wenn nun aber ihr Körper, nicht mehr so... ansehnlich war, wenn er entstellt wäre... was würde er dann tun? Würde er dann von ihr lassen? Wie konnte sie das erreichen?

Der Gedanke erschreckte sie. Soweit hatte dieser Mensch sie also schon getrieben. Wie lange konnte sie noch durchhalten?

War ein Kind wirklich ihre einzige Hoffnung? Wenn sie ihm gleich einen Erben schenkte, würde er sein Recht vielleicht nicht mehr so oft einfordern. Vielleicht... Aber was, wenn es kein Junge würde? Was, wenn es ein Mädchen wäre? Würde er dann ihr die Schuld geben? Annie konnte sich dies nur allzu gut vorstellen. John Barrington war nach eigener Ansicht unfehlbar.

Fast hätte sie bitter aufgelacht bei dieser Vorstellung. Wie eingebildet und verblendet dieser Mann doch war. Er war ein Nichts, der nur durch Mord und Intrigen diese Position bekommen hatte und dennoch musste sie sich ihm beugen. Nicht für sich, aber für andere.

Heute war es so weit, dachte sie kurz. Heute würde Sophie das Land verlassen. Sie betete, dass alles gut gehen möge. Alexander würde schon dafür sorgen, dessen war sie sich sicher. Barrington war nicht zur Jagd aus, sondern beriet sich mit diesem widerlichen Semerloy in einem der unteren Säle. Außerdem hatte Alexander von einer Verkleidung gesprochen. Es würde sie also niemand erkennen und sobald sie auch nur einen Fuß über die Nachbargrenze gesetzt hatte, würde sie in Sicherheit sein.

„Ist es ihnen auch nicht zu eng?“, wurde Annie aus ihren Gedanken gerissen, als man ihr gerade ein Mieder angelegt hatte.

„Wie? Nein.“, antwortete sie kurz. Dann sah sie wieder zum Fenster und hoffte, dass dieser Tag – genau wie die vorherigen – schnell vorüber gehen würde.
 

Die Tür öffnete sich und Draco sah, wie Susan eintrat. Zuerst war er ein wenig überrascht, hatte er sie bisher nur selten gesehen.

„Alexander hilft heute Sophie über die Grenze zu gelangen.“, schien sie seine unausgesprochene Frage zu beantworten.

Draco nickte kurz. In der Hand trug sie eine Schüssel und er ahnte, was sich darin befinden würde. Er hatte nichts mehr erbrochen und er war ehrlich froh darüber, aber diese Kräutermischungen ekelten ihn langsam an. Bei jedem Schluck hatte er das Gefühl sich allein deswegen schon übergeben zu müssen, weil er es zu trinken einfach nicht mehr ertragen konnte.

In der anderen Hand trug Susan einen Korb. Sie stellte die Schüssel auf dem Tisch ab. Den Korb daneben.

„Ich würde gern die Verbrennungen ansehen und vielleicht noch mal einen neuen Verband anlegen.“, erklärte sie ihm. „Die alten kribbeln bestimmt schon unangenehm.“

Draco sah sie misstrauisch an. Woher wusste sie das? Die heilende Haut unter den Verbänden spannte sich. Es war ihm beinah unerträglich und doch konnte er dieses Brennen und Kribbeln nicht stillen. Jede Berührung schien ein neues Feuer auf seiner Haut zu entfachen. Er hatte bisher nicht gewusst, dass die Sonne so etwas vermochte. Der Mond war so viel kühler und angenehmer, so viel schöner und mächtiger, dachte er kurz.

„Darf ich?“, fragte Susan ihn nun und deutet auf das viel zu große Hemd, welches er trug. Es war eines von Alexander. Im gleichen Moment berührte sie es und wollte ihn entkleiden. Blitzschnell packte Draco sie am Arm und funkelte sie aus seinen blauen Augen an. Er konnte die Angst in ihrem Blick sehen. Es bereitet ihm eine gewisse Genugtuung.

Sie hatte nicht das Recht so vertraut mit ihm umzugehen, dachte er. Wieso nur, musste er dies über sich ergehen lassen? Warum war er nicht stärker? Wie hatte er es dazu kommen lassen? Dass es zum Teil wirklich seine eigene Schuld war, machte ihn noch wütender auf sich selbst.

Susan und Draco sahen sich einen Moment in die Augen, abwartend was der andere tun würde. Dann änderte sich ihr Blick und er gewann den Eindruck, dass sie ihn überlegen ansah.

„Ich kann verstehen, wenn du nicht möchtest, dass ich es tue.“, sagte sie ruhig. Wachsam folgte er ihren Bewegungen. Sie ging wieder zum Korb und legte ein paar Sachen nach draußen, während sie sprach. Es waren ein Glas mit einer gelben Salbe darin, sowie ein Krug und einer weitere Schüssel. Dazu ein paar frische Leinentücher, wie er sie bereits jetzt um seinen Körper trug und die ihn sich so unwohl fühlen ließen. „Das ist vollkommen in Ordnung. Alexander sagte er würde sich auch darum kümmern, wenn er zurück ist. Du musst also noch ein bisschen Geduld haben. Es wird wohl erst heute Abend werden.“, sprach sie scheinbar unbeteiligt.

Wenn er gekonnt hätte, hätte er diesen Mann in der Luft zerrissen. Noch nie hatte er sich seine alte Gestalt so sehr zurückgewünscht, wie ihn jenem Moment.

Natürlich war ihm nur zu bewusst, was Susans Worte bedeuteten und erst recht, was sie bezweckten. Dass es ihr damit auch noch gelang, frustrierte ihn noch mehr.

Ohne ein Wort zu sprechen, zog er sich das Hemd über den Kopf. Achtlos warf er es in die nächste Ecke des Raumes. Seine Wut ließ ihn den Schmerz vergessen, den er bei dieser Bewegung empfunden hatte. Ganz egal, wie sehr Annie ihren Bruder liebte, er hasste ihn. Er benutzte und steuerte ihn und er konnte nichts dagegen tun. Irgendwann, würde er es ihm zurückzahlen. Ganz gleich, was er Annie damit antun würde.

Starr blickte Draco nach unten, als Susan begann die Verbände von seinem Körper zu lösen. Die Salbe war angetrocknet und es ziepte etwas. „Tut mir ehrlich leid.“, sagte sie schließlich leise. „Wir wollen dir nichts Böses und ganz bestimmt wollen wir dich nicht demütigen. Wir wollen dir helfen, aber... du machst es uns nicht gerade einfach. Alexanders Methoden sind vielleicht nicht gerade die sensibelsten, aber er meint es gut mit dir. Nicht nur allein deswegen, weil du Annie sehr viel bedeutest.“

Er antwortete ihr nicht, obwohl er ihre Worte sehr genau verstand. Sollte er das vielleicht glauben? Er kannte Alexanders Gesichtsausdruck, wenn er bei ihm war nur zu gut. Draco wusste, dass er die Macht, die er momentan ihm gegenüber hatte, auch genoss.

„Lehn dich zurück.“, sagte Susan und Draco tat wie ihm gehiesen.

Er beobachtete, wie sie die zweite Schüssel nahm, die sie mitgebracht hatte und Wasser aus dem Krug einfüllte. Offenbar waren darin Kräuter gekocht worden, denn es sah seltsam gelblich oder grünlich aus. Dann nahm sie eines der Leinentücher und tauchte es in die merkwürdige Mischung. Sie ließ es einige Sekunden lang einwirken, bevor sie das Tuch wieder ausrang.

„Das wird sicherlich etwas kalt, erschreck bitte nicht.“, sagte sie sanft, als sie ihm das Tuch auf die Brust legt. Kurz zuckte Draco zusammen, spürte dann aber, wie angenehm sich die Kälte gegen die Hitze, die auf seiner Haut zu sitzen schien, ausbreitete.

„Es sieht schon besser aus. Nur noch einmal, dann ist es fast vollkommen verheilt. Ein paar Narben werden wohl trotzdem bleiben, aber nur sehr kleine. Im Vergleich mit denen, die du schon hast, werden sie fast unsichtbar sein.“

Draco hörte ihr nur zur Hälfte zu. Er war zu gefangen den Gefühlen, die ihre Berührungen in seinem Inneren auslösten. Sein Verstand wusste, dass es noch nicht lang her war, als er SIE das letzte Mal in die Armen gehalten hatte, als SIE ihn das letzte Mal zärtlich berührt hatte. Doch für sein Herz schien es bereits eine Ewigkeit gewesen zu sein. Mit Susans Berührungen war eine solche Sehnsucht nach IHR erwacht, wie er sie vorher noch nicht gekannt hatte. Er wollte SIE berühren, wollte SIE küssen und seine Lippen auf ihrem Körper setzen.

Draco spürte, wie sie aufhörte ihm mit dem Tuch abzutupfen und augenblicklich entspannte er sich kurzzeitig. Dann begann sie ihn mit der Salbe einzureiben. Er spannte den Kiefer an und seine Zähne schmerzten schnell. Draco tat alles um sich nicht vom dem Traumbild, das er nur zu bereitwillig glauben wollte – das Annie es war, die ihn berührte – in die Irre führen zu lassen.

„Tue ich dir weh?“, fragte Susan. Kurz schüttelte er den Kopf. Nein, es war seine eigene Dummheit, die ihm einen Streich spielte.

„Setzt dich bitte wieder auf.“ Schweigend legte Susan die neuen Verbände an und Draco war es, als würde es schneller gehen als zuvor. So würde sie sich nicht länger in seiner Nähe aufhalten. Er ließ es nur über sich ergehen, weil er wusste, dass es den Heilungsprozess beschleunigte. Würde er es nicht tun, würde es ihn nur noch länger an die Hilfe dieser Menschen fesseln.

Als Susan geendet hatte, legte sie die Sachen wieder in ihrem Korb und reichte Draco im Anschluss die Schüssel. Ohne hinzusehen, nahm er sie. „Ich habe dir heute Fleischbrühe gemacht. Versuch sie zu trinken, aber zwing dich nicht. Anders als Alexander glaube ich, dass es dir helfen wird, wieder schneller zu Kräften zu kommen. Außerdem kannst du bestimmt versuchen aufzustehen. Eventuell gelingen dir auch schon ein paar Schritte. Das Hemd nehme ich zum Waschen mit. Zieh das hier an. Ich habe es bereits geändert.“

Stumm nickte er, nicht wissend, wie er darauf reagieren sollte. Die Menschen waren ihm einfach ein Rätsel und würden es wohl immer bleiben. Er selbst, war sich das größte.
 

Die Fleischbrühe hatte ihm gutgetan und er glaubte zu spüren, wie sie ihm neue Kraft gab. Als er am Nachmittag erwachte, fühlte er sich so erholt, wie schon lange nicht mehr. Gleich versuchte er aufzustehen. Seine Beine waren noch zittrig, aber er schaffte es sich aufzurichten. Er konnte nicht umhin zu denken, dass es fast genauso war, wie das erste Mal, als er auf diesen menschlichen Beinen gestanden hatte. Damals hatte sie ihm geholfen. Jetzt würde er es aus eigener Kraft schaffen. Es fiel ihm schwer das Gleichgewicht zu halten, aber er schaffte die wenigen Schritte bis zum Tisch. Anscheinend musste er doch nicht von vorn beginnen. Mit den Händen am Tisch abstützend, bewegte er vorsichtig den Nacken und drückte den Rücken durch. Das Liegen bekam seinem Körper nicht und quälte ihn nur noch mehr. Selbst, wenn Susan es ihm nicht „geraten“ hätte, hätte er es wahrscheinlich versucht. Jetzt da er wusste, was er wollte und sich von Tag zu Tag besser fühlte, konnte er nicht länger im Bett liegen bleiben. Es war an der Zeit selbst zu entscheiden was als nächstes geschehen sollte.

Die Stunden vergingen und der Tag zog sich scheinbar endlos für ihn hin. Er blieb in seinem Zimmer und ging hin und wieder ein paar Schritte. Alexander kam erst spät zurück und es dauert noch einen weiteren Moment, ehe er zu Draco kam. Als Alexander eintrat, saß Draco auf dem Bett, die Beine angezogen und starrte ihn aus seinen eisblauen Augen an.

„Wie ich sehe, geht es dir besser.“, sagte Alexander als Erstes. „Das ist schön, dann kann ich Annie das nächste Mal wenigstens beruhigende Nachrichten bringen. Susan sagte, du hättest dich heute auch ganz gut verhalten. Ich bin stolz auf dich.“

Aus jedem Wort, das er sprach, glaubte Draco Hohn und Spott herauszuhören. Wie konnte diese Susan behaupten, er würde es nur gut mit ihm meinen? Hatte sie denn nicht erkannt, wie er wirklich war?, fragte sich Draco zweifelnd.

„Wenn es weiter so geht, kann ich dir vielleicht in zwei oder drei Tagen ein Pferd geben. Reiten wirst du nicht gleich können, aber du kannst dich mit dem Tier schon mal vertraut machen. Genauso, wie mit dem hier.“, sagte er und hielt Draco plötzlich ein Schwert hin. Überrascht sah Draco auf. Die Scheide war aus einfachem Leder, mit nur wenigen Verzierungen, die es dadurch in seinen Augen umso edler erscheinen ließen. Der Schwergriff war aus glänzendem Metall, welches er nicht kannte, aber es war kein Gold. Vereinzelt saßen darauf matte, weiße Steine.

„Nimm schon.“, sagte Alexander ungeduldig.

Zögernd nahm Draco es ihm ab und war erstaunt über das Gewicht. Er hatte nicht erwartet, dass es so schwer war. Dennoch betrachtete er es fasziniert. Er drehte es ein wenig im Kerzenschein und bemerkte, dass sich die Farbe der Steine änderte. Von dem matten weiß, zu einem schwachen lila oder blau.

„Ich werde mein Versprechen halten und dir den Umgang damit beibringen.“, erklärte Alexander. „Allerdings musst du dafür erst wieder richtig stehen können, sonst können wir es gleich sein lassen. Du solltest dich also anstrengen. Außerdem kannst du dich geehrt fühlen, denn ich habe es extra für dich gekauft, obwohl ich dir eigentlich ein anderes von mir geben wollte. Weiß auch nicht, was mich da überkommen hat.“, murmelte er in seinen Bart.

„Was sind das für Steine?“, fragte Draco interessiert. Irgendetwas an ihnen schien ihn nicht mehr loszulassen.

„Mh? Der Verkäufer meinte, es wären Mondsteine. Recht selten, wenn du mich fragst, aber der Griff ist ohnehin egal. Wichtig ist allein, die Verarbeitung des Metalls und das ist gut. Gut geeignet für jemanden von deiner Größe und Statur.“

Unwillkürlich musste Draco ein wenig lächeln. Der Mond war also immer noch sein Begleiter.

Draco fasste die Scheide und den Griff und nach einem kurzen Moment des Zögerns zog er das Schwert schließlich heraus. Die Flammen der Kerzen reflektierten sich auf dem Metall und es glühte förmlich in seiner Hand. Die Klinge war seinem Eindruck nach recht schmal und in der Mitte auf beiden Seiten war ein filigranes Muster eingearbeitet. Er betrachtete es genauer und versuchte eine Gleichmäßigkeit darin zu entdecken, doch vergeblich.

„Tod den Verdienten.“, sagte Alexander unvermittelt und Draco sah ihn verwundert an.

„Das steht da. Latein kannst du also nicht.“, stellte Alexander damit fest.

Draco schüttelte den Kopf, bemüht nicht danach zu fragen, was „Latein“ eigentlich war. Davon hatte Annie nichts erzählt.

Er steckte die Klinge in die Scheide zurück. ‚Tod den Verdienten‘, die Worte halten in seinem Kopf. Diese Klinge würde demjenigen den Tod bringen, der ihn verdient hatte und vor seinem inneren Auge, sah er nur einen Menschen für den sie bestimmt war.

„Wann?“, fragte Draco ihn schließlich.

„Ich sagte doch, wenn du wieder richtig stehen kannst und sicherer auf den Beinen bist. Es wird vielleicht noch zwei oder drei Wochen dauern. Du musst erst wieder zu Kräften kommen. Allerdings kannst du dich in dieser Zeit schon mal an das Gewicht gewöhnen. Wir werden zwar nicht gleich mit dem Schwert selbst anfangen, aber je eher du es kennst, desto besser.“

Wieder nickte Draco. Er konnte Alexander nicht wiedersprechen. Das Gewicht war ungewohnt und im Moment konnte er sich auch nicht vorstellen, wie man mit dieser Waffe umgehen sollte.
 

Zwei Tage später entfernte Susan die Verbände endgültig. Der Rest, so sprach sie, würde so heilen müssen. Aber wenn sein Körper nur halb so robust wie sein Geist dickköpfig war, sah sie darin kein Problem. Draco konnte ihr nicht ganz folgen, aber es war ihm auch egal. Er lief inzwischen täglich und das ohne Beschwerden. Aber noch immer hatte er das Haus nicht verlassen und das machte ihn fast verrückt. Seit er wieder soweit bei Kräften war und nun auch wieder feste Mahlzeiten zu sich nehmen konnte, wurde ihm die Enge des Hauses nur umso bewusster. Selbst wenn Alexander und Susan ihn hätten gehen lassen, so verhinderte es das Wetter. Es regnete diese zwei Tage ununterbrochen durch. Noch nie war er so lange fernab des Waldes gewesen. Selbst im letzten Winter nicht, der so bitterlich kalt gewesen war. Er musste nach draußen, wollte er nicht ersticken. So zumindest hatte er das Gefühl.

„Wo willst du hin?“, fragte Alexander ihn, als er bereits an der Tür stand. Es waren die ersten Momente ohne ständigen Regen.

„Nach draußen.“, antwortete Draco einsilbig.

„Warum?“

Draco sah ihn direkt an, nicht gewillt ihm eine Antwort zu geben.

„Warum?“, fragte Alexander noch einmal.

„Du solltest ihn gehen lassen, Alexander.“, sagte Susan. „Er war jetzt tagelang hier drin. Die frische Luft wird ihm gut tun.“

Draco sah sie misstrauisch an, verstand nicht ganz warum sie offenbar bereit war ihn zu unterstützen.

Alexander musterte ihn einen Moment, scheinbar unschlüssig, ob er dem glauben sollte oder nicht. „Also schön, aber ich rate dir zurückzukommen und überanstreng dich nicht gleich, sonst lass ich dich das nächste Mal wirklich krepieren.“

Ohne einen weiteren Augenblick zu zögern riss Draco die Tür auf und trat nach draußen. Die kalte und feuchte Luft umfing ihn und schmerzte in seinen Lungen, dennoch belebte es ihn sofort. Wo sollte er auch anderes hin?, dachte er bitter, während er die ersten Schritte Richtung Wald ging. Er konnte ihn klar und deutlich vor sich sehen.

Es war kalt und der Wind blies ihm unerbittlich ins Gesicht. Das Atmen fiel ihm schwer und er spürte, wie jeder Schritt ihm mehr Kraft kostete, als der vorherige. Es war etwas anderes, als wenn er sich nur im Haus aufhielt. Dennoch weigerte er sich zurückzugehen. Selbst wenn er allein in seinem Zimmer war, so waren sie trotzdem in seiner Nähe. Draco hatte das Gefühl nie wirklich allein zu sein und er wusste, dass Alexander ihn genau beobachtet. Wie lange würde er es in dessen Gegenwart noch ertragen können? Es war ihm bereits jetzt zu viel. Aber auf keinen Fall wollte er, dass sie es merkten. Sie sahen ihn ohnehin schon als schwach an, diese Genugtuung wollte er ihnen nicht auch noch geben.

Der Himmel war bereits grau und die Nacht würde bald hereinbrechen. Die Dunkelheit störte ihn nicht weiter, ganz im Gegenteil. Er fühlte sich mit ihr sicherer. Draco erreichten den Waldrand als das Dämmerlich ganz verschwunden und der erste Stern am Himmel sichtbar war. Er setzte sich dort auf einen umgeknickten Baumstumpf und blickte in die Schwärze, die die Bäume verschluckte. Er kannte den Weg zur Hütte zurück, doch er wusste, dass er länger als das letzte Mal brauchen würde, um dort hinzugelangen. Aber was sollte er auch dort? Sie würde nicht auf ihn warten.

Draco saß lange einfach da, nicht gewillt schon wieder zurückzugehen. Er hörte das Knacken des morschen Holzes und das Rauschen der Blätter über ihm. Es waren Geräusche, die ihm nur allzu vertraut waren. Genauso wie der Geruch des nassen Holzes, der aus dem Wald strömte.

Als er aufstand und sich umdrehte blieb er noch einen Moment stehen. Vor sich erstreckte sich, wie das erste Mal als er an dieser Stelle stand, die weite Wiese und in der Mitte das Haus von Alexander. Die Fenster waren erleuchtet und kleine feine Rauchwolken stiegen aus dem Schornstein empor.

Dies war nun der Ort an den er von nun an gebunden war.

Hinter sich spürte er die mächtigen Bäume, die in seinem Rücken standen. Sie gaben im Schutz und Sicherheit. Wenigstens hierher konnte er zurückkehren.

Er blickte nach oben und seine Augen fanden wie von selbst den Mond. Er war nur eine flache Sichel, aber er wusste, dass er in wenigen Tagen schon wieder am vollsten strahlen würde. Das war das Einzige, was er sicher wusste. Der Mond würde immer und immer wieder zu seiner schönsten Form zurückfinden. Das war der wahre Ort, an den er gehörte.

Für den Rückweg ließ er sich mehr Zeit. Zum Einen, weil er Alexander nicht so schnell wieder gegenüber treten wollte, zum Anderem weil er wirklich nicht schneller konnte. Als er den schwachen Hang hinab lief, konnte er die Anstrengung, die ihn dieser Weg gekostet hatte, in jedem seiner Muskeln spüren. Doch er empfand es als Bestätigung, dass seine Kraft zurückkommen würde.

Nur ungern öffnete er die Tür, doch als er eintrat wurde er nicht wie erwartet, von Alexander empfangen, sondern von Susan, die ihn mit einem Lächeln begrüßte. „Alexander ist draußen im Stall bei den Pferden.“, sagte sie, während sie in einen Topf, der auf dem Ofen stand rührte. Draco zuckte kurz mit den Schultern. Was ging es ihn an?

„Er möchte, dass du dorthin kommst. Anscheinend will er dir ein Pferd geben.“, erklärte sie weiter, bevor er ganz in seinem Zimmer war.

Draco verfluchte sich selbst und alles um ihn herum. Er hatte nun gar keine andere Wahl, als nun nach draußen zu gehen und wieder das zu tun, was dieser Mann von ihm verlangte.

Flüchtig sah er in den Himmel. Es war eine klare Sternennacht. Nur kurz dachte er, wie schön es doch war. Draco hatte die Ställe noch nie von innen gesehen, aber er folgte dem Wiehern, das er klar und deutlich hören konnte. Mit einem Ruck öffnete er die Tür und trat in den Stall ein.

Warme Luft schlug ihm ins Gesicht, die zudem einen sehr strengen Geruch mit sich trug. Sofort atmete er flacher, um nicht allzu viel davon einzuatmen.

„Hinten!“, hörte er Alexander rufen und folgte dessen Stimme. Draco ging an vier einzelnen Boxen vorbei, jeweils auf der rechten und der linken Seite. Fünf davon waren leer. In den anderen stand jeweils ein Pferd. Sie waren alle braun, nur durch die Form des hellen Fleckes auf ihrer Nase unterschieden sie sich. Draco sah sie nur kurz an. Die Ställe waren mit Stroh ausgelegt. Zwischen dem Fußboden und dem Dach war ein weiterer Boden eingezogen worden und er sah, dass darauf ebenfalls Stroh gelagert wurde. In der Mitte des Stalls stand etwas, was er bisher noch nicht gesehen hatte. Es waren zwei recht massive Stäbe, die parallel zueinander verliefen und zwischen denen weitere, kürzere Stäbe quer angebracht waren. Offenbar wurde es dazu genutzt um nach oben in den Zwischenboden zu gelangen. Als er die Mitte durchquerte hing an einem der Holzpfosten eine Laterne, die nur wenig Licht spendet. Erst am Ende sah er einen weiteren schwachen Lichtschein. Dort musste sich Alexander aufhalten.

Er fand ihn der letzten Box am Ende des Stalles, wie er sich gerade die Hufe des Pferdes besah. Draco hatte dieses Pferd schon oft gesehen, immer dann, wenn Alexander Annie besucht hatte, war er mit diesem geritten. Die braunen Augen des Pferdes schienen ihn direkt anzusehen und er fragte sich einen Moment, was es wohl über ihn dachte. Auch die Laterne, die hier hing, spendete nicht mehr Licht als die andere.

Alexander schien ihn nicht bemerken zu wollen, also ging Draco auf die letzte Box auf der linken Seite zu. Dort stand das einzige schwarze Pferd des gesamten Gestütes. Es war wunderschön, dachte er. Sein Fell glänze trotz des schwachen Lichtes und seine Farbe erinnerte ihn an ihre Haare. Er trat näher heran und im gleichen Moment machte das Pferd ebenso einen Schritt nach vorn. Es schien ihn genauso neugierig zu betrachten, wie er es. Das Pferd war größer, als er erwartet hatte. Sein Kopf reichte gerade einmal bis kurz über die Schulter des Tieres. Bei den anderen reichte er ihnen bis zur Halsmitte.

Die braunen Augen sahen ihn unverwandt an, als würde sie ihn genau kennen. Nein, als würden sie erkennen, was er war. Die Mähne war lang, genauso wie der Schweif. Beides war pechschwarz. Er blickte an dem Tier herab und er konnte die Sehnen und Muskeln genau unter dessen Haut sehen. Von den Hufen bis zu den Kniegelenken waren die Beine weiß, alles andere war schwarz. Es war ein edles Tier, dachte Draco. Vorsichtig streckte er eine Hand aus, wollte wissen ob das Fell wirklich so weich war, wie es aussah. Das Pferd tat es ihm gleich. Neugierig streckte es die Nüstern nach vorn. Doch bevor es Draco berühren konnte, riss Alexander plötzlich seinen Arm weg.

„Pass auf!“, fuhr er ihn an. Erschrocken blickte Draco zu ihm und sah in dann verständnislos an. „Ausgerechnet ihr musst du zu nah kommen.“, sagte Alexander scharf.

„Warum?“

„Das ist Hera und sie hat ihren Namen nicht umsonst. Ein sehr gutes Pferd, wirklich schnell und stark, aber ein unberechenbares Biest. Wenn sie keine Lust hat geritten zu werden, wirft sie dich ab und du kannst froh sein, wenn du hinterher noch lebst. Selbst ich hab sie bisher nur wenig geritten und dabei ist sie schon bei mir, seit sie ein Fohlen war.“

Wieder sah Draco zu dem Pferd. Etwas an ihm faszinierte ihn. Der Blick, wie es ihn ansah... „Wir werden ein anderes für dich finden.“, hörte er Alexander sagen.

„Nein.“

„Bitte? Hast du schon einmal auf einem Pferd gesessen, dass du so selbstsicher sein kannst, gerade sie nehmen zu wollen.“

„Nein.“, antwortete er abermals.

„Warum dann gerade sie?“, fragte Alexander interessiert.

Draco konnte ihm diese Frage nicht beantwortet. Er sah kurz zu dem Pferd in der Box hinter ihm und dann zu denen, die weiter vorn standen, doch keines löste in ihm das gleiche Gefühl aus, wie dieses vor ihm. Bei keinem hatte er das Gefühl, dass sie... Dass sie was?, fragte er sie selbst.

„Dir scheint wirklich nichts am Leben zu liegen.“, knurrte Alexander. „Aber von mir aus. Probier es nur aus. Ab heute wirst du dich um sie kümmern, genauso wie um die anderen Pferde. Das wird deine Arbeit hier sein. Dein Lohn wird Essen und ein warmes Bett sein. Ich lasse dich nicht bei uns leben, ohne dass du auch etwas dafür tust. Du wirst die Tiere füttern, sie striegeln, sauber machen und alles weitere was dazu gehört. Das heißt aber nicht, dass nicht auch noch andere Arbeiten für dich anfallen. Aber wenn du Hera von dir überzeugen kannst, würde mich das echt überraschen.“

„Was bedeutet der Name?“, fragte Draco. Er klang mächtig in seiner Ohren, aber auch gefährlich. Als wäre er für das Tier geschaffen worden, so wie der seine für ihn.

„Weißt du das denn auch nicht?“, fragte Alexander ihn ungläubig.

Kurz schüttelte er den Kopf und sah Alexander ernst dabei an. Dieser seufzte kurz. „Hera ist der Name einer griechischen Göttin. Sie war die Schwester und Frau des Zeus, dem mächtigsten und höchsten aller Götter. Sie wird als Göttin der Macht und des Reichtums beschrieben, aber sie ist auch Rachsüchtig, Eifersüchtig und Dickköpfig. Genauso wie diese Hera hier.“, damit zeigte er auf das schwarze Pferd und von diesem kam ein Schnaupen, als würde sie wiedersprechen wollen.

„Selbst wenn du kein Latein kannst, hast doch sicher schon davon gehört oder irgendwo einmal davon gelesen.“

„Nein.“, antwortete Draco erneut und erwiderte Alexanders Blick, wie er es schon oft getan hatte. Seine Augen waren ausdruckslos und sein Gesicht gleichgültig. Doch im nächsten Moment sah er etwas in Alexanders Augen aufblitzen und für einen Moment befürchtete er, er hätte zu viel von sich preisgegeben.

„Kannst du überhaupt lesen?“, fragte Alexander unvermittelt und dabei klang seine Frage so, als wüsste er die Antwort schon längst.

„Nein. Sie wollte es mir immer beibringen, aber dann...“, ließ er seinen Satz unvollendet.

„Mmh.“, brummte Alexander. Es schien als wüsste er, was Draco sagen wollte. „Komm mit, ich zeige dir, wo du alles für die Pferde finden kannst und dann werden wir sehen, dass wir dir das Lesen beibringen. Ich hoffe du bist ein gelehriger Schüler, ich kann sehr ungeduldig sein. … Wenigstens wird mir über den Wintern nicht langweilig werden.“, murmelte er.

Draco sah noch einmal zu Hera und das Tier erwiderte seinen Blick ebenso. Er wollte selbst bestimmen, was geschehen sollte und dennoch würde er andere für ihn entscheiden lassen. Er würde es tun müssen, um weiter zu kommen. Im Moment war Alexander der Einzige der ihm helfen konnte, so sehr es ihm auch missfiel.

Das Lesen und Schreiben, war nichts worin Draco eine Notwendigkeit sah. Obwohl es Annie ihm hatte auch beibringen wollen. Was sahen die Menschen nur darin? War Lesen und Schreiben wirklich so wichtig? Worauf begründete es sich? Draco verbot sich weiter darüber nachzudenken, denn je mehr er das tat, desto neugieriger wurde er. Aber in einem musste er Alexander sogar zustimmen: Sein Geist und auch sein Körper würde von nun an für eine Weile beschäftigt sein und das war alles was er im Moment wollte.

Es würde sie vielleicht aus seinen Gedanken verdrängen.
 

„Und es geht ihm wirklich schon so schnell besser?“, fragte Annie leicht ungläubig. Vor wenigen Minuten war Alexander zu ihr gekommen und hatte ihr auf ihr Drängen hin von Draco erzählt. Allerdings wurde es immer schwieriger, dies unbemerkt zu tun und schon gar in Anwesenheit von Barrington. Es hatte sich herausgestellt, dass dieser die Kälte ganz und gar nicht mochte und seine Zeit lieber in den Wänden der Burg verbrachte, als nach draußen zu gehen, um zu jagen oder Steuern einzutreiben. Annie hatte sogar gesehen, wie selbst die Worte von Semerloy ihn nicht hatten überzeugen können. Seine Außenaufenthalte waren also sehr gering geworden und die Zeit, die er nun dadurch zur Verfügung hatte, verbrachte er beim Kartenspiel mit seinen sogenannten Freunden, bei ihr oder betrank sich – und kam dann zu ihr. Als Alexander angekündigt worden war, hatte er sich zu ihnen gesetzt und ‚zwanglos‘ mit ihnen geplaudert, wie er es genannt hatte. Er hatte alles über Alexanders Hof wissen wollen, wie viele Pferde er im Moment besaß, wie viele Kühe, Ziegen und Hühner und was das Geschäft machte. Außerdem hatte er die drei Pferde, die Alexander ihm als Hochzeitsgeschenk gebracht hatte, sehr gelobt. Er wollte sogar wissen, ob Alexander nicht noch ein paar solch ausgezeichnete Tiere hätte, die er für seine Zucht benutzen konnte.

Alexander hatte geduldig und sehr höflich auf seine Fragen geantwortet und Annie wäre vor Ungeduld und Angst fast umgekommen, weil sie immer befürchtet hatte, dass Alexander etwas von Draco sagte. Doch das tat er nie und Annie war mehr als dankbar dafür.

Erst als Jonathan erschienen war und ein Problem im Weinkeller meldete war Barrington sofort aufgesprungen und hatte sich entschuldigt. Annie war eine schwere Last vom Herzen gefallen, als sich die Tür endlich hinter ihm geschlossen hatte.

Dann erst hatte sie endlich die Fragen stellen können, die ihr seid seinem Erscheinen auf der Zunge lagen.

Zuerst hatte sie nach Sophie gefragt. Sie hatten nur ein, zwei Sätze darüber gesprochen, aus Angst, dass zu viel sie verraten könnte. Aber allein das Wissen, dass sie nun in einem anderen Land war, fernab von den Zugriffen und Macht Barringtons beruhigte sie sehr.

Und dann hatte sie nach ihm gefragt.

„Ja, nachdem er sich selbst dazu entschieden hatte weiter zu leben, hat er sich recht schnell wieder erholt. Er ist jetzt seit fünf Tagen bei den Pferden und macht seine Arbeit schnell und ordentlich. Ich dachte erst er beschwert sich, weil er mir nicht unbedingt danach aussieht, als hätte er schon jemals in seinem Leben einen Stall sauber gemacht, aber ich habe mich geirrt. Die Tiere scheinen sogar Respekt ihm gegenüber zu haben und das ohne, dass er etwas dafür tun musste.“, flüsterte Alexander.

Annie biss sie auf die Zunge. Sie mochte sich das gar nicht vorstellen. Nein, Draco war nicht für diese Arbeit geschaffen worden. Er sollte das nicht tun, aber sie wollte Alexander auch nicht dazwischen reden. Sie war ihm allein dankbar dafür, dass er sich seiner angenommen hatte. Außerdem war sie sogar ganz froh, dass Draco eine regelmäßige Beschäftigung zu haben schien. Er war zu intelligent, um nichts zu tun. Dennoch war diese Arbeit gewiss nicht das Richtige für ihn.

„Was noch?“, fragte sie weiter. Alexander zuckte kurz mit den Schultern. „Er will den Schwertkampf erlernen. Er sagte, dass er sich nicht mehr verstecken will, wenn er ihn noch einmal findet. Allerdings weiß ich nicht, wer „er“ eigentlich ist.“

Annie erstarrte. „Offenbar weißt du es schon.“, sagte ihr Bruder und einmal mehr wurde ihr klar, dass sie für ihn wie ein offenes Buch sein musste. Knapp nickte sie.

„Aber, dass... er will... gegen... kämpfen?“, brachte sie mühsam hervor.

„Wer ist er? Und was hat das Ganze zu bedeuten? Warum war er damals so schwer verletzt, als du ihn fandest? Irgendetwas stimmt doch da nicht. Sucht jemand nach ihm?“, fragte Alexander sie eindringlich.

Wieder nickte sie. „Wer? Warum?“, drängte er sie weiter.

Annie antwortete ihm nicht. Das konnte sie ihm unmöglich erklären, sie würde ihn nur weiter in Gefahr damit bringen. Je weniger er wusste, desto besser war es für ihn. „Ist er ein gesuchter Verbrecher?“

„Nein!“, zischte Annie sofort. „Wie kommst du darauf?“

„Was soll ich denn sonst denken?“, fragte er sie anklagend. „Du willst mir ja offenbar nichts sagen!“

„Ich kann nicht.“, antwortete sie ihm bloß und schlug die Hände vor das Gesicht. Wollte sich Draco diesem Mann wirklich stellen? Hätte er denn eine Aussicht auf Erfolg, wenn sie sich gegenüberstanden? Das letzte Mal wäre er fast gestorben und da war er weitaus stärker gewesen.

„Du darfst es ihm nicht zeigen.“, sagte sie schließlich und sah ihn durchdringend an.

„Das geht nicht. Ich habe ihm mein Wort darauf gegeben.“

„Dann bringe ihm nur bei, wie er sich verteidigen kann. Aber auf keinen Fall, wie er selbst damit angreifen und kämpfen kann!“

„Wie stellst du dir das vor? Das Eine geht ohne das andere nicht!“

Annie stand auf und lief nervös im Zimmer auf und ab. Wie konnte Alexander nur so uneinsichtig sein!? Selbst, wenn Draco schnell lernte und daran hatte sie keinen Zweifel, selbst wenn er Barrington in Geschwindigkeit überlegen war, so fehlte ihm dennoch die Erfahrung! Sie verstand selbst nicht sehr viel von der Schwertkunst, aber sie wusste, dass doch die Erfahrung einen sehr großen Teil in einem Kampf ausmachte. Konnte Draco das wirklich so schnell lernen? Und selbst wenn, wer garantierte dann, dass er Barrington besiegen würde, sollte es zu einer Konfrontation kommen? Nein, die beiden durften sich nie wieder sehen!

„Du musst es versuchen, bitte!“, flehte sie ihn an. „Zeige ihm, dass er so etwas nicht einfach über Nacht lernen kann!“

„Das wird er auch so merken! Ich werde sehen, was ich tun kann. Vielleicht kann ich ihn anderweitig beschäftigen und die Übungszeit dafür verkürzen. Mal sehen, wie lange er braucht um Lesen zu lernen.“, antwortete Alexander ihr, schien aber selbst sehr unzufrieden darüber zu sein.

„Was, du bringst ihm das Lesen bei?“, fragte Annie ungläubig und war erst einmal beruhigt, dass ihr Bruder wenigstens versuchen wollte ihren Wunsch zu erfüllen. Sie durfte nur nicht daran denken, wie verbissen Draco sein konnte, wenn er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.

„Lesen und Schreiben. Oder darf ich das auch nicht?“, fragte Alexander sarkastisch.

Annie atmete einmal tief durch und setzte sich dann wieder. „Doch, natürlich. Ich freue mich sogar. Er lernt sehr schnell und wird gewiss ein guter Schüler sein.“, erwiderte sie immer noch flüsternd.

„Es hat mich verwundert, dass er das nicht kann. Von seiner Haltung und Art aus betrachtet scheint er mir niemand zu sein, der aus so ärmlichen Verhältnissen stammt.“

„Ja, du hast recht.“, antwortete sie, weil ihr nicht anderes dazu einfallen wollte.

„Ich verstehe nicht, wie du dir immer noch so viele Gedanken um ihn machen kannst. Er ist es doch gar nicht wert. Er ist nur ein gewöhnlicher Mann, der nicht von der Welt zu wissen scheint. Ich frage mich, wie er auf diese Art und Weise eigentlich so alt werden konnte.“, sagte Alexander plötzlich bissig

Annie lächelte traurig. Wenn er doch nur wüsste...

„Alexander... Die Erinnerung an ihn ist manchmal das Einzige was mir die Kraft gibt, jeden weiteren Tag zu überstehen. Ich stelle mir sein Gesicht vor, seine Augen, wie es sich anfühlt, wenn er mich berührt oder eine Umarmung von ihm. Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst, aber... das gibt mir Kraft und das Wissen, dass es nicht für umsonst ist.“

„Nein, das kann ich nicht verstehen.“, sagte Alexander. „Aber da ich weiß, dass du mir ohnehin nicht antworten wirst, wenn ich dich weiter danach frage, versuche ich es erst gar nicht.“

„Tut mir leid.“, sagte sie sanft.

„Schon gut. Es gibt schlimmeres.“

Die beiden Geschwister sahen sich an und Annie ahnte, dass dies nicht das letzte Wort gewesen sein würde, was er dazu zu sagen hatte.
 

Draco war im Stall, als Alexander zurückkam. Er wusste nicht, wo er gewesen war und es interessierte ihn auch nicht. Doch als eintrat und ihm die Zügel überreichte, fuhr ein Windstoß durch den Stall und wehte ihren Duft zu ihm. Er war bei ihr gewesen. Dennoch fragte er nicht danach. Das hätte er nie getan. Er führte das Pferd – dessen Name Wüstensand war – in seine Box und machte sich daran den Sattel zu lösen. Alexanders Blick im Rücken bemerkte er und Draco ahnte, was auf ihn zukam. Eine Eigenart dieses Menschen war es, wann immer es ihm beliebte mit ihm zu sprechen, ganz egal, ob Draco das auch wollte – und das war so gut wie nie der Fall. So würde es auch jetzt sein. Allerdings musste er Alexander ja nicht antworten.

„Ich muss dich was fragen.“, fing Alexander an. Draco unterbrach seine Arbeit nicht. Er würde auch so sagen, was er sagen wollte, ganz egal, ob er Interesse daran zeigte oder nicht. Aber anscheinend kannte Alexander Dracos Verhaltensmuster bereits. Hatte er sich bis vor wenigen Tage noch darüber aufgeregt, reagierte er nun nicht mehr darauf. Vielleicht war es auch nur das Wissen, dass Draco ohnehin das würde tun müssen, was er von ihm erwartete.

„Hast du meine Schwester entehrte?“ Draco kannten den scharfen und ernsten Ton in seiner Stimme. Er hatte ihm schon oft gegolten. Doch dieses Mal war es anders, realisierte er. Draco glaube etwas wie Unsicherheit darin zu hören. Er nahm Wüstensand den Sattel ab und legte ihn an seinen Platz zurück. Dann erst sah er Alexander an. Er studierte das Gesicht seines Gegenübers und versuchte so die Bedeutung der Worte zu entschlüsseln – ohne Erfolg.

„Ich weiß nicht was du meinst.“, antwortete er ihm schließlich ehrlich. Er hielt Alexanders Blick noch einen Moment und sah, wie sich dieser augenblicklich entspannt. Auch das konnte er sich nicht erklären.

Er verstand die Menschen einfach nicht.

Draco begann nun das Pferd abzureiben.

„Mir war so, als hätte sie so etwas angedeutet, aber ich habe mich geirrt. Glück für dich, sonst wäre dein Todeswunsch schneller erfüllt worden, als du ahnen könntest.“

Draco drehte sich abermals um und sah ihn irritiert an. Keines seiner Worte machte Sinn für ihn.

„Wie geht es Hera?“, fragte Alexander weiter und schien das Andere bereits vergessen zu haben. Draco war zu stolz um weiter nachzufragen oder sich nach Annie zu erkundigen. „Gut.“, antwortete er einsilbig.

„Hat sie sich an dich gewöhnt?“

„Ja.“

„Fein, dann werden wir morgen sehen, ob sie sich auch von dir reiten lässt.“ Damit verließ Alexander den Stall und ließ Draco allein zurück. Dieser warf einen Blick auf die fast vollkommen schwarze Stute und ein Gefühl der ungeduldigen Erwartung keimte in ihm auf.
 

Nebel hüllte die Landschaft ein, als Draco Hera nach draußen führte. Er hatte sie zuvor gesattelt, gefüttert und vor allem sie hinter den Ohren gestreichelt. Schnell hatte er gemerkt, dass sie sehr viel zugänglicher war, wenn er das tat. Dann ließ sie ihn immer gewähren. Es war ein einfacher Trick und er hatte nicht vor, Alexander davon zu erzählen.

Wüstensand stand neben Alexander und scharrte unruhig mit den Hufen, beruhigend legte Alexander ihm eine Hand auf die Nase.

„Sieh mir zu und versuche dann auch so aufzusitzen. Es ist jetzt nicht wichtig, wie lange du im Sattel sitzt. Du musst erst einmal hochkommen.

„Du stellst dich seitlich neben sie und legst den linken Fuß in den Bügel. Dann hältst du dich hier oben mit der linken Hand am Sattelknauf fest und stemmst dich mit linker Hand und Fuß nach oben. Das rechte Bein schwingst du gleichzeitig über den Rücken des Pferdes. Pass auf das du nicht hängen bleibst. Ach und erschrick nicht wegen der Höhe. Manche brauchen erst mal eine Weile bis sie sich daran gewöhnt haben. Versuch es mal.“, instruierte ihn Alexander kurz und zeigte es gleichzeitig.

Draco hatte Alexander schon oft dabei zugesehen, so dass er die Bewegungen schon lange verinnerlicht hatte. Er tat es genauso wie Alexander es schon so unzählige Mal vor ihm gemacht hatte. Der linke Fuß in den Bügel des Sattels, mit der linken Hand fasste er den Knauf, dann schwang er das rechte Bein über den Rücken des Pferdes. Das alles geschah innerhalb weniger Augenblicke. Dann saß Draco auf Heras Rücken.

Sie bewegte sich einen Moment unruhig, blieb dann aber beinah reglos stehen. Nur ihr Schwanz wiegte sich sacht hin und her.

„Gut.“, presste Alexander zwischen den Zähnen hervor. Offenbar war er wenig begeistert, dass es Draco schon so schnell gelungen war. „Was ist mit der Höhe? Stört es dich?“

Dracos Mundwinkel zuckte kurz nach oben. „Nein.“, antwortete er Alexander bloß. Wenn er wüsste, welche Höhe er bereits erlebt hatte, würde er nicht solch überflüssige Fragen stellen.

Die Luft war kalt und ein schneidender Wind begann zu blasen, dennoch störte es Draco nicht. Bereits jetzt fühlte er sich so frei, wie er es schon seit einem Jahr nicht mehr getan hatte.

„Wir fangen langsam an. Ich will mich nicht darauf verlassen, dass Hera die ganze Zeit so brav ist. Außerdem musst du erst ein Gefühl dafür entwickeln und das ist etwas, was ich dir nicht beibringen kann.“

Draco nickte zustimmend. Im Moment war ihm alles recht. Er wollte nur endlich beginnen. Wollte sich endlich auf andere Weise fortbewegen, als auf seinen eigenen menschlichen Beinen.

„Zieh an den Zügel, dann fängt sie an zu laufen. Du kannst auch deine Fersen in ihre Flanken drücken, allerdings würde ich es mir mit ihr nicht unbedingt verscherzen. Es ist mir sowieso schon ein Rätsel, warum sie dich oben behält. Und pass dich ihren Bewegungen an, das ist das wichtigste.“

Draco zog kurz an den Zügeln und Hera setzte sich langsam in Bewegung. Ein lang vermisstes Gefühl kehrte in ihm zurück. Es war unbeschreiblich, die Welt wieder von einer anderen Höhe zu betrachtet. Gleich gewann er den Eindruck mehr zu sehen und wahrzunehmen, wie es ihm vom Boden aus nicht möglich war. Er berührte Hera am Hals und spürte ihren gleichmäßigen Atemzug. Sie würde ihn nicht abwerfen. Draco spürte, dass sie wusste, was er einmal gewesen war und das schien sie miteinander zu verbinden. Vielleicht sah sie ihn deswegen als würdig an.
 

Die Tage vergingen und mit ihnen die Wochen. Draco zählte sie nicht. Zeit hatte keinerlei Bedeutung für ihn. Das Reiten erlernte er recht schnell und immer, wenn Alexander ihn nicht für eine Arbeit brauchte, ritt er mit Hera aus. Sie waren lange unterwegs und auch die Kälte trieb ihn nicht in das warme Haus zurück. Die Ausritte klärten seine Gedanken und halfen ihm sie für eine Weile zu vergessen. Wenn das Wetter doch zu schlecht war, verbrachte er die Zeit im Stall, fernab von den ständigen und misstrauischen Blicken.

Lesen und Schreiben hatte ihm Alexander noch nicht beigebracht. Er wollt dies in den vor ihn liegenden Wintermonaten tun. Draco wusste, dass er dann nicht mehr so oft würde Reiten können und er bedauerte es bereits.

In all er Zeit erfuhr er nichts von Annie. Er wusste, dass Alexander noch einmal bei ihr gewesen war, aber wenn er beim Abendessen davon erzählt, hatte Draco das Zimmer verlassen. Er wollte nichts von ihr hören. Jedes Wort über sie, hätte ihn noch mehr gequält. Das taten seine Erinnerungen bereits zur Genüge. Es war genauso, wie Draco immer gefürchtet hatte, nur dass er kein Drache war. Er war ein Mensch und doch war sie nicht bei ihm. Es gab nichts was ihn sie vergessen lassen könnte. Alles war ihm so klar im Gedächtnis, als würde es im gleichen Moment geschehen und doch konnte er sie nicht bei sich spüren. Am Tage vermochte er es die Erinnerungen zu kontrollieren und sie zu bestimmen, des Nachts aber war es ihm unmöglich.
 

Als Draco eines Morgens aus seinem Zimmer kam, verzichtete Alexander auf eine Begrüßung und sagte stattdessen: „Du wirst mich heute in die Stadt begleiten.“

„Warum?“

Noch nie hatte Alexander ihn dahin mitgenommen und er wollte es auch gar nicht. Was sollte er auch dort? Er hatte gehört, dass viele Menschen dort leben sollten und er wollte nicht mehr mit Menschen zu tun haben, als nötig und schon gar nicht wollte er noch mehr um sich herum haben. An die Gesellschaft von Alexander und Susan hatte er sich inzwischen gewöhnt, Er wusste, wie sie sich in bestimmten Situationen verhielten und vor allem, wie er ihnen am besten aus dem Weg gehen konnte. In der Stadt würde das nicht der Fall sein.

„Ich muss ein paar Geschäfte erledigen und Besorgungen machen. Es ist besser, wenn wir mit zwei Pferden unterwegs sind. Außerdem kann es nicht schaden, wenn du mal etwas anderes siehst. Ausreiten kannst du mir Hera auch am Nachmittag noch, wenn du das vorhattest.“

Da Draco nicht mit Alexander sprach, nickte er bloß.

Sie aßen schweigend ihr Frühstück und machten sich danach auf den Weg. Alexander ritt mit Wüstensand voraus und Draco folgte ihm in einem langsameren, widerwilligeren Trott mit Hera.

Nachdem sie ein paar Meilen zurückgelegt hatten, erhoben sich die Tore der Stadt vor ihnen. An dessen Seiten waren sechs Wachen positioniert. Draco sah es bereits, als sie eine kleine Anhöhe erreichten und die Stadt noch in einiger Entfernung lag. Plötzlich hielt Alexander und drehte sich zu ihm um.

„Wir können sie sehen, aber sie uns noch nicht. Mach die Kapuze deines Umhanges nach oben, so dass man dein Gesicht nicht sieht. Das du nicht reden sollst, brauche ich dir nicht zu sagen, dass machst du ja ohnehin nicht. Bleib in meiner Nähe.“

Ohne zu fragen, tat Draco was er ihm gesagt hatte, etwas verwundert zwar, aber es war ihm sogar recht. Die Kapuze bot ihm einen gewissen Schutz vor den vielen fremden Menschen. Es war unsinnig, aber er fühlte sich so etwas sicherer.

Sie durchquerten das Tor ohne aufgehalten zu werden. Alexander hatte den Wachen nur kurz zugeknickt und sie waren vorbeigeritten. Dennoch zog Draco die Kapuze noch etwas weiter ins Gesicht.

Alexander ritt nur langsam durch die Straßen, denn sie waren überfüllt. Draco musste an sich halten, nicht gleich wieder umzukehren. Noch nie hatte er so viele Menschen auf einmal gesehen. Jeder bewegte sich hektisch durch die Menge, alte sowie jung. Jeder hatte etwas in seinen Händen oder auf seinen Schultern tragend. Manche zogen einen Karren hinter sich her, der beladen war mit Säcken oder anderen Dingen, die Draco nicht benennen konnte. Wieder Andere zogen Tiere mit sich, Ziegen oder Schafe und ein andere hatte ein Tier bei sich, dass auf den ersten Blick wie ein graues, viel zu kleines Pferd mit zu langen Ohren wirkte.

Die Geräusche drangen aus allen Richtungen zu ihm hin. Rufe, Begrüßungen, Geschrei aber über allem stand das unablässige Gemurmel der Masse, dass fast wie das wilde Rauschen des Baches in seinen Ohren klang. Aber anders als das schmerzte es ihn.

Nicht viel anders erging es ihm mit dem Geruch. Bei jedem Mensch, an dem sie vorbei ritten nahm er einen anderen Geruch war, selbst wenn es noch so kurz war. Mal war er unerträglich süßlich, ein anderes Mal stechend und brennend in seiner Nase, so dass ihm fast schlecht wurde.

All dies verwirrte Draco, verunsicherte ihn auf eine neue, unbekannte Weise. Es war ihm, als bliebe ihm wegen all der vielen Menschen an einem so kleinen Ort, selbst nicht genug Luft zum atmen. Seine Sinne waren auf alles gerichtet, um jede mögliche Gefahr aber auch Andersartigkeit wahrzunehmen. Sie waren vollkommen überreizt. Er versuchte seinen Geist dagegen zu sichern, sich nur auf Alexander vor ihm zu konzentrieren, aber es gelang ihm nicht. Ihm wurde schwindelig.

Heras bewegte sich unruhig. Es zeigte ihm, dass es ihr nicht anders erging. Wahrscheinlich spürte sie sein eigenes Unbehagen und das verstärkte ihres nur noch. Dies hier war kein Ort für sie beide.

Plötzlich bemerkte er, wie Alexander neben ihm war und nach den Zügeln von Hera griff. Er ritt mit Wüstensand dicht neben ihm, so dass Draco seine Stimme unter all den anderen Geräuschen verstehen konnte. „Du warst noch nie in einer Stadt oder?“

„Nein.“, flüsterte Draco und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme seltsam fremd in seinen Ohren klang. Das Murmeln war inzwischen zu einem Summen geworden, das sich in seinem Kopf festsetzte.

Alexander antwortete nicht und beide ritten schweigend weiter. Irgendwann zog er die Pferde in eine Seitengasse, durch diese hindurch und sie stand auf einer weniger belebten Straße. Sie ritten weiter nach links und schließlich machte Alexander vor einem Haus halt, dessen Dach schief saß. Es war nur eines von vielen in einer langen Reihe fast identisch aussehender Häuser. Das Fachwerk war braun und die Balken von der Zeit zerfressen. Die Fenster hingen nicht richtig in den Angeln und zeigten an einigen Stellen Risse und Sprünge.

„Steig ab.“, sage Alexander kurz und Draco hatte nicht die Kraft um zu wiedersprechen. Jetzt da sie von der Menge weiter entfernt waren, hörte er das Summen in seinem Kopf nur noch lauter. Es machte ihn schier wahnsinnig.

„Warte hier.“ Alexander verschwand in dem Haus und kam wenige Augenblicke später mit einem älteren Mann heraus.

„Oh, ihr seid heute nicht allein unterwegs.“, fragte der Mann und seine Stimme klang zerbrechlich. „Nein, er hilft mir seit ein paar Wochen und nimmt mir ein bisschen Arbeit ab. Er spricht nicht.“, antwortetet Alexander ihm.

„Hat er denn auch ein Gesicht?“, fragte der alte Mann weiter und schien voller Neugier zu sein.

Alexander lachte sein brummiges Lachen. „Natürlich hat er das, Pop. Allerdings würde ich euch nicht raten es anzusehen. Ein Feuer hat es fast vollkommen entstellt.“

Verwirrt sah Draco ihn an. Warum erzählte er so etwas? War sein Gesicht so viel anders, als das anderer Menschen? Er konnte keinen großen Unterschied zu dem von Alexander oder Susan entdecken. Was würde er tun, wenn er die Kapuze einfach abnahm und jeder sein Gesicht sah? Warum sollte er überhaupt die Kapuze tragen? Nur seine eigene Unsicherheit hielt ihn davon ab.

Er verabscheute dieses Leben und noch mehr sich selbst. Wo war sein Stolz, seine Würde, die er besessen hatte? War alles an jenem Tag mit seiner Gestalt verschwunden? Alexander kannte ihn nicht, aber er selbst schien sich ebenso wenig zu kennen, realisierte er schwach.

Warum wurde er sich dessen erst nach so langer Zeit bewusst? Warum hatte es ihn früher nicht schon gestört? War es wirklich nur gewesen, weil sie bei ihm war?

Wie weit hatte er sich bereits von seinem alten Selbst entfernt? Wie weit, ohne das er es bisher bemerkt hatte?

„Ah, verstehe, wenn ihr es sagt, wird es seine Richtigkeit haben. Was kann ich heute für euch tun?“, fragte Pop weiter.

„Nun, das übliche, wenn ihr so hilfsbereit wäret. Ich muss noch ein paar Geschäfte erledigen, aber es wäre überaus freundlich von euch, wenn ihr die lange Liste, die meine Frau geschrieben hat, übernehmen würdet. Ich würde dann alles bei euch nach dem Mittag abholen. Selbstverständlich sollen eure Mühen auch belohnt werden.“ Draco sah, wie Alexander in seine Umhangtasche griff und ein kleines blaues Säckchen hervorholte. Darin konnte er ein paar Münzen zusammenschlagen hören.

„Ihr versteht es wirklich einen Mann ein Angebot zu machen.“, erwiderte der alte Mann und entblößte eine Reihe fauler Zähne, bei denen Draco angewiderte den Kopf wegdrehte.

„Ich weiß, dass ich mich auf euch verlassen kann. Hier habt ihr die Liste. Susan hat wirklich nichts ausgelassen.“

„So sind die Frauen nun einmal.“ Alexander und Pop stimmten in ein gemeinsames Lachen ein und Draco wunderte sich, was es zu bedeuten hatte.

„Aber sagt mal Pop, soll es denn noch heute sein?“, fragte Alexander plötzlich unvermittelt.

„Natürlich. Du solltest das doch am besten wissen.“

„Mag sein und das letzte Mal, war es auch noch so. Allerdings kann es ja auch sehr gut sein, dass der Herr es sich anders überlegt hat. Er soll ja kein Freund von diesem kalten Wetter sein.“

„Ah, er würde es sich niemals überlegen, wenn es um so etwas geht. Er ist viel zu sehr... von sich eingenommen. Würde er nur halb so gut zu uns sein, wie ein Ego groß ist, wäre das schon ein Segen für so einfache Leute wie uns. Aber so lange, wie es noch Menschen wie euch gibt, können wir noch überleben.“, flüsterte Pop nun so leise, dass Draco richtig hinhören musste, um ihn zu verstehen.

„Zu viel der Ehre Pop, ich verlasse mich dann auf euch und komme nach dem Mittag zurück, um meine Ware zu holen.“

„Ganz wie ihr wünscht, es wird alles bereit sein.“

Alexander nickte kurz und gab Draco dann ein Zeichen wieder aufzusitzen. Sie ritten weiter die Straße entlang, während Alexander ihm erklärte, was es mit dem Mann auf sich hatte.

„Pop hat lange für meine Eltern gearbeitet, bis er zu alt dafür wurde. Annie und ich sind praktisch mit ihm aufgewachsen, genauso wie mit Sophie. Allerdings waren meine Eltern nicht besonders großzügig, was die Bezahlung anging und mit fünf Kindern konnten sie auch nichts für sich zurückbehalten. Drei seiner Kinder sind bereits gestorben und die anderen beiden haben selbst kaum genug zum Überleben. Die Abgaben sind einfach zu hoch. Deswegen lasse ich ihn meine Aufträge erledigen und bezahle ihn dafür. So kann er wenigstens die nächste Steuer bezahlen und für ihn und seine Kinder bleibt noch ein bisschen übrig.“

Draco hatte ihm nicht richtig zugehört, denn seine Augen hatten etwas anderes entdeckt. Hinter der Stadt sah er Türme in den Himmel ragen. Die Burg war vielleicht nur ein paar Meilen entfernt, mit Hera sicher schnell zu erreichen. Instinktiv wusste er, dass dies der Ort war, an dem sie war. Warum hatte er ihn hierher gebracht?

„Es fängt bald an.“, sagte Alexander unerwartet und wieder nahm er den Weg in eine Seitengasse. Sie war schmaler und dunkler, als die vorherige und Draco sah sich angewidert um. Das wäre kein Ort an dem er sich freiwillig aufhalten würde.

„Gleich wird es einen Festumzug geben.“, erzählte Alexander leise. „Ich will dass du ihn dir ansiehst. Nur ansehen, haben wir uns verstanden?! Wir werden getrennt sein, ich will nicht, dass jemand uns zusammen sieht. Annie sagte, dass niemand wissen soll, dass du bei mir bist, deswegen die Kapuze und das Schweigen.“

„Warum sollte ich mir sowas ansehen?“, fragte Draco und es war der erste richtige Satz, den er an diesem Tag mit ihm gesprochen hatte. Alexander sah ihn scharf an. „Das wirst du dann schon sehen. Aber wage es nicht, irgendetwas Unbedachtes zu tun. Ich tue das für sie und nicht für dich.“

Verwirrt sah Draco ihn an. „Sie?“

„Meine Schwester, wen sonst und jetzt hör zu. Wir reiten weiter diese Straße entlang, wenn du den Turm der Kirche siehst, befinden sich auf der linken Seite zwei Gassen. Die eine links von einem großen, weißen Fachwerkhaus, die andere genau auf der rechten Seite gegenüber. Du nimmst die linke, ich die rechte. Wenn du sie durchquert hast, befindest du dich wieder auf der großen Hauptstraße, auf der wir vorhin schon waren. Dort wirst du wahrscheinlich auf beiden Seiten eine Menschenansammlung finden. Reihe dich zwischen ihnen ein. Du kannst auf Hera sitzen bleiben, ich gehe davon aus, dass viele Reiter dort sein werden, um es sich anzusehen. Du wirst also nicht weiter auffallen. Irgendwann wird eine Kutsche an dir vorbeifahren. Wenn sie vorüber ist, gehst du sofort durch die Gasse zurück. Wir treffen uns dann an der Kirche. Hast du verstanden?“, fragte er scharf.

„Ja.“, sagte Draco leicht genervt. Was sollte das Ganze? Die Schmerzen in seinen Kopf wurden größer. Seite er wieder gegessen hatte, hatte er sie nicht mehr empfunden, umso schmerzvoller kamen sie ihm nun vor.

Er ritt durch die linke Gasse, wie Alexander es ihm gesagt hatte und bemerkte, dass viele Menschen den gleichen Weg hatten. Auf der Hauptstraße sammelten sie sich an beiden Seiten und ließen auf der Straße selbst Platz. Gebannt sahen sie die Straße nach oben und schienen auf etwas zu warten. Draco folgte ihrem Blick und machte in der Entfernungen einen noch nicht weiter zu erkennenden Punkt aus. Er ließ den Blick weiter schweifen und sah weiter vor ihm Alexander, der ihm einen strengen Blick zu warf. Noch immer fragte sich Draco was das zu bedeuten hatte. Ein Festumzug? Was immer es war, er wollte es nicht wissen. Aber es war angeblich für sie. Was hatte sie damit zu tun? Draco sah sich weiter um und entdeckte viele Reiter zwischen den umstehenden Menschen. Er und Alexander fielen wirklich nicht weiter auf.

Er hörte die Leute, die weiter oben standen etwas rufen und mit der Zeit wurde es lauter und lauter. Der Punkt wurde größer und langsam konnte er eine Kutsche ausmachen. Wieder verging etwas Zeit und Draco folgte desinteressiert dem Punkt – bis er erkannte, was es war.

Und als er es sah, fühlte er das erste Mal seit Wochen wieder etwas in seinem Herzen: Hass und Glück zugleich.

Draco erkannte sie sofort. Ein paar Haarsträhnen hatten sich aus dem Zopf gelöst, der ihr Haar streng zusammenhielt und bewegten sich spielerisch im Wind. Ihr Haar zierte ein Reif aus Gold, besetzt mit roten, feurigen Steinen. Sie trug Kleidung, die er noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte und die auch Susan nicht trug. Ihr Umhang war aus einem tiefen Rot und erinnerte ihn an die Farbe von frischem Blut. Auch dieser war mit merkwürdigen Gebilden verziert worden. Er wirkte schwer und kostbar.

Es passte nicht zu ihr, stellte er simpel fest.

Doch noch mehr verwunderte ihn ihr Gesicht. Sie lächelte, so sah es zumindest aus, aber es war nicht das Lächeln, welches er von ihr kannte. Es erreichte nicht ihre Augen und sie strahlte auch nicht, wie sie es zuvor getan hatte. Ihr Gesicht war steif und das Lächeln eisig. Draco sah, wie sie die Hand bewegte, als wollte sie all die Menschen grüßen, die ihr zuriefen und zujubelten. Doch es wirkte auf ihn mehr gezwungen, als gewollte. Er konnte nicht sagen, ob sie dabei überhaupt etwas empfand. Seine Annie, die Annie mit der er zusammengelebt hatte, war ein Mensch gewesen dem man alles hatte am Gesicht ablesen können: Freude und Glück, Traurigkeit und Wut. In diesem einen Jahr, hatte er als das bei ihr gesehen. Aber die Person, die er jetzt sah, war im seltsam fremd und doch vertraut.

Was hatte man ihr angetan?

Und doch... er sah sie wieder. Es war mehr, als er in den letzten Wochen zu denken gewagt hatte. Die Kutsche zog weiter und Dracos Blick glitt zu ihrem Begleiter.

Ihr gegenüber saß der Mensch, dessen Blut er sehen wollte. Selbstsicher und grinsend saß Barrington in der Kutsche, blickte selbstgefällig über die Menge und hob ab und an eine Hand. Konnten all diese Menschen wirklich ihn meinen mit ihren Rufen?, fragte sich Draco zweifelnd. Liesen sich die Menschen wirklich so leicht blenden? Er konnte den Blick nicht von ihm lösen, obwohl er ihn regelrecht anekelte. Eines Tages würde er diesen Mann gegenübertreten und das beenden was Barrington begonnen hatte. Neben Barrington tauchte eine weitere Gestalt auf. Er ritt auf einem weißen Pferd. Auch ihn hatte Draco schon einmal gesehen. Ebenfalls das erste Mal vor einem Jahr. Draco unterdrückte das Gefühl, welches ihn bei dem Anblick der beiden Männer überkam. Doch eines entschied er noch im gleichen Augenblick: Barrington würde nicht genug sein.

Aus den Augenwinkeln nahm er auf einmal eine Veränderung in Annies Gesicht wahr. Ihre Augen strahlten plötzlich und ihr Lächeln wurde echt. Draco folgte ihrem Blick und sah, dass sie Alexander entdeckt hatte. Er verbeugte sich leicht vor der Kutsche und auch John Barrington hob für ihn grüßend die Hand.
 

Diese eine Person zwischen all den fremden Gesichter zu sehen, gab ihr mehr Halt und Hoffnung, als es tausend gute Bekannte hätten tun können, dachte Annie still. Alexander stand zwischen zwei anderen Reitern und doch hatte sie ihn schnell erkannt. Mit seiner Größe und Statur war er auffälliger, als die anderen. Das letzte Mal hatte sie ihn vor zwei Wochen gesehen. Dass sie so lange nichts mehr von ihm gehört hatte, hatte sie beunruhigt, auch wenn sie wusste, dass es besser war, wenn er nicht zu oft zu ihr kam. Selbst das Versprechen an diesem Tag zu erscheinen, hatte sie nicht beruhigen können. Sie sehnte sich sehr nach seiner Gesellschaft, genauso sehr wie nach der eines anderen geliebten Menschen.

Annies Tage waren einsam und grau. Immer wieder hatten sie nur den gleichen Rhythmus, ohne Abwechslung und immer verbrachte sie sie in Gesellschaft anderer, ihr unbekannter Leute. Dieser Tag brachte zwar in gewisser Weise die ersehnte Abwechslung, doch kam sie sich eher vor, wie ein gut gemästetes Tier, was dem Fleischer vorgeführt wurde.

Annie hielt Alexanders Blick so lange sie konnte. Sie bemerkte wie Jonathan, der neben der Kutsche geritten war und die Soldaten überwachte, die die Kutsche begleiteten, neben Barrington auftauchte und ihm etwas sagte. Es interessierte sie nicht und sie gab sich auch keine Mühe hinzuhören. Doch plötzlich wurde sie stutzig. Alexander stand immer noch reglos in der Menge, doch seine Augen deuten auf etwas anderes, in eine andere Richtung. Sie zeigten nach rechts. Verwundert folgte sie dieser Richtung und ließ ihren Blick über die Menge schweifen. Sie konnte nichts Ungewöhnliches sehen. Die Menge war gesichtslos für sie. Es waren alles unbekannte Menschen, zu denen sie keinerlei Bezug hatte.

Unerwartete wurde ihre Aufmerksamkeit auf einmal auf jemanden gezogen, der aus der Menge herauszustechen schien, obwohl er nicht viel anders aussah, als die anderen Menschen. Er saß auf einem schwarzen Pferd und war vollkommen untern einem Umhang und Kapuze verborgen. Sie versuchte seine Augen auszumachen und augenblicklich war ihr als würden ein paar Augen sie durchdringen und sie gefangen nehmen. Ein Schauer durchlief sie, ließ sie tief in ihrem Inneren erzittern und richtete die feinen Härchen auf ihrem Arm auf.

Sie schloss die Augen, zwang sich zum Atmen. Das war unmöglich. Langsam sah sie erneut hin, wollte sich davon überzeugen, dass ihre Augen und ihre Gefühle ihr nur einen dummen Streich gespielt hatten, doch der fremde Reiter stand noch immer an der gleichen Stelle und wieder spürte sie seinen durchdringenden Blick auf sich. Jetzt sah sie ganz genau hin.

Dieses Pferd... sie kannte es, wurde ihr klar. Sie hatte es so oft bei ihrem Bruder im Stall bewundert. Schnell hatte sie keinen Zweifel daran, dass es Hera war, auf der der unbekannte Reiter saß. Und der verhüllte Reiter saß stattlich auf dem Tier. Seine Haltung war aufrecht, der Rücken gerade und doch wirkte es vollkommen entspannt und natürlich. Die Zügel lagen lose in seinen Händen.

Es war, als würde er auf dieses Tier gehören, nein, vielmehr als würde er nach oben gehören, weit über die andern gewöhnlichen Menschen hinaus, die sie unten auf dem Boden standen. Hera war ein wunderschönes Tier und sie verlieh ihm über seine natürliche Erscheinung hinaus etwas Stattliches, Herrschaftliches.

Es war ein atemberaubendes Bild – als hätte er derjenige sein sollen, den die Menschen feierten.

Sein Kopf war gerade und noch immer spürte sie, wie er sie direkt ansah. Sie sah das eisige Blau vor sich, das Leuchten in ihnen von jener letzten Nacht und auf einmal schien ihr Herz vor Freude zu zerspringen.

Er war es tatsächlich! Er war hier! Nur wenige Schritte von ihr entfernt! Wenn sie doch nur davon laufen könnte! Hera war schnell, sie würden fliehen können. Es wäre doch so einfach... und doch so unmöglich.

„Wen seht ihr an?“, hörte sie Semerloys Stimme plötzlich neben ihrem Ohr und Annie erschrak. Sie hatte vergessen, wo sie sich befand und wer in ihrer Nähe war.

„Niemand bestimmten.“, antwortete sie hastig, konnte aber nicht vermeiden, dass ihr Blick wieder zu ihm schweifte. Sie spürte, wie Barrington und Semerloy ihrem Blick folgten. Alles in ihr schrie, dass es falsch war, dass sie wegsehen sollte, doch seine Augen ließen sie nicht gehen. Sie merkte nicht einmal, wie die Kutsche ihn langsam passierte.
 

Er atmete ein und wieder aus, darum bemüht sich zu beruhigen. Er durfte nicht länger bleiben. Noch war es nicht so weit.

Draco zog kurz an den Zügeln. Hera tat daraufhin einen Schritt zurück und sich nach links drehte. Ganz so, wie er es wollte. Er warf noch einen letzten Blick zu ihr, dann zu Barrington. Irgendwann würde sie wieder bei ihm sein.

Im gleichen Augenblick kam ein Luftzug auf und blies ihm ins Gesicht. Der Wind zog an seiner Kapuze und entblößte einige seiner Haarsträhnen. Doch noch bevor sie ganz von seinem Kopf rutschten konnte verschwand Draco in der dunklen Gasse.
 

Annie starrte schockiert zurück. Plötzlich hatte man einige seiner hellen Haarsträhnen und ein bisschen von seinem Profil sehen können. Von der Seite hatte sie gesehen, wie Barrington auf einmal sehr aufmerksam geworden war. Sein Kopf hatte sich gehoben und seine kleinen Augen noch mehr verengt. Doch schon im nächsten Augenblick war Draco in der Gasse hinter ihm verschwunden und auch Alexander war nicht mehr zu sehen.

„Wer war das?“, fragte Barrington leise.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete Annie so gut sie konnte.

„Danach sah es aber nicht aus.“

„Ich war nur verwundert, dass man sein Gesicht nicht sehen konnte. So kalt ist es heute gar nicht.“, log sie frei heraus.

„Mmh.“, brummte Barrington. Er glaubte ihr nicht, realisierte sie ängstlich.
 

Sie ließen die Tore der Stadt hinter sich und Draco war im gleichen Moment erleichtert. Doch ein kleiner Teil von ihm wollte bleiben, wollte zu ihr und sie mit sich nehmen.

Bisher hatte er nicht mit Alexander darüber gesprochen aber er würde es tun. Das was geschehen war, war etwas, worüber er nicht schweigen konnte und wollte. Als sie die Anhöhe erreicht hatte und außerhalb der Sichtweite der Wachen waren, setzte er die Kapuze ab und sprach ihn an.

„Warum hast du das getan?“, forderte er augenblicklich zu wissen.

Alexander ritt unbeirrt weiter und nur widerwillig folgte Draco ihm.

„Ich sagte doch, ich tue es für sie. Ich habe ihr zwar erzählt, dass es dir gut geht, aber sie... sie hat mir schon geglaubt, aber sie war dennoch beunruhigt. Sie wollte sich gern mit eigenen Augen. Natürlich hat sie das nicht gesagt, aber es war ein leichtes das zu erahnen.

Ich habe mich dazu entschieden, weil ich glaubte es würde ihr helfen. Wenn sie weiß, dass es dir wirklich gut geht, kann sie vielleicht etwas beruhigter sein. Die Sorge um dich schadet ihr zusätzlich.“

Draco antwortete nicht, sondern dachte über seine Worte nach. Ging es ihr damit besser? Ging es ihm besser, jetzt da er sie endlich wieder gesehen hatte? Er wusste es nicht richtig. Er war glücklich gewesen, sie wiederzusehen, aber es hatte ihm auch deutlich den Verlust vor Augen geführt. Erging es ihr nicht ähnlich? Doch sie nicht gesehen zu haben, diese Gelegenheit nicht genutzt zu haben, wäre genauso schmerzlich. Was war also richtig und was falsch?

„Allerdings... glaube ich, dass Barrington dich ebenso bemerkt hat. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, was zwischen euch vorgefallen ist. Aber Barringtons Aufmerksamkeit zu haben ist niemals gut. Wir können froh sein, dass er dein Gesicht nicht gesehen hat. Dennoch war dies das erste und letzte Mal, dass ich dich in die Stadt mitgenommen habe.“

Draco nickte. Er verstand Alexanders Worte klar und deutlich. Doch er würde ihn nicht darin hindern können, wenn er den Weg zu dieser Stadt das letztes Mal suchen würde.


Nachwort zu diesem Kapitel:
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Damit verabschiede ich mich für dieses Jahr.^^ Wir haben den 31.12.2009 und ich muss sagen, ich hätte nicht gedacht, dass es diese Geschichte so lang laufen wird. Geplant war das alles nicht.^^ Aber das Leben ist halt voller Überraschungen.
Wann es wieder ein nächstes Kapitel geben wird, kann ich nicht versprechen oder gar vorhersagen. Das hängt wie immer alles von den Stunden ab, die ich zu planen habe und wie einfach oder schwer mir das fällt.^^°

Also dann... feiert 2010 und schaut nicht so tief ins Glas hinein!

glg maidlin
Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Cygni
2010-01-05T21:19:29+00:00 05.01.2010 22:19
NEEIIIN!!! barrington hat ihn gesehen!

Draco und Hera? joa, versteh ich schon wo ich nur drüber gestolpert bin ist das draco an den zügeln ziehen sollte damit sie losläuft und er ihr nicht in die flanken treten soll um es sich nicht mit ihr zu verscherzen... das is nen bisschen seltsam da einerseits das ziehen an den zügeln das anhalten bewirkt und andererseits profis fast ausschließlich mit schenkeldruck lenken...

aber den lese fluss stört es ansich nicht... denn hera ist ja ein besonderes pferd, wieso sollte sie dann nicht auch besondere eigenschaften haben?

mich stört immernoch das ich nicht weiß welche 'falsche frage' alexander im letzteen chap gestellt hat...

freu mich wie immer aug mehr,
lg stellax3
Von: enni
2010-01-02T07:34:53+00:00 02.01.2010 08:34
Meine güte was machst du??????? Ich bekomme schon einen Herzinfarkt nur bei dem Gedanken daran was jetzt alles passieren könnte oder passiert...

So jetzt gibts an anfang erstmal eine beschwerde von mir,
a) liest sich dein Kapitel einfach zu schnell und flüssig und MAN KANN AUF KEINEN FALL AUFHÖREN ZUM LESEN BIS ES ZUENDE IST und
b) du baust da eine spannung auf, die einen wahnsinnig werden läßt, wenn man ans ende des Kapitels kommt. Ich will wissen wie das weitergeht! Am besten sofort! Also lass alles stehen und liegen, was du sonst noch so machst und setz dich hin und schreib diese Geschichte zuende, AM BESTEN SOFORT! XD
(Ausnahmen von schreiben sind nur dringende menschliche Bedürfnisse und schreiben mit mir!) XD

Nachdem ich das wichtigste mal geklärt habe, kommen wir kurz zu deinen kapitel. XD

Absatz eins "Annie"
Arme Annie! Es ist wirklich traurig zu lesen, wie sehr sie unter der Situation in der sie sich befindet leidet. Aber das es sogar schon so schlimm ist, daß sie sich überlegt was sie tun könnte um sich unansehlicher zu machen, ist schon erschreckend. Ich hoffe wirklich sie muss das nicht mehr allzu lange aushalten und du hast etwas mitleid mit ihr! xD

Absatz zwei "Draco"
>.< Draco...♥! Wie hab ich geschmunzelt bei Dracos Gedanken das er Alexander hasst, sogar wenn er weiß wie sehr Annie ihren Bruder liebt! Ich sehe, Draco und ich gehen in der Hinsicht Hand in Hand! XDDD Auch freut es mich zu sehen, daß Draco endlich mal aus seinem Selbstmitleid und seinen Selbsthass etwas rauskommt und sich anstelle von dem, darauf konzentiert still gegen Alexander zu wettern. Es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Und ein yay zur Fleischbrühe! :D

Absatz drei
Was...o_O. Alexander hat Draco ein Schwert gekauft, einfach aus dem Gefühl heraus und kann sich das selber nicht erklären? Und noch ärger, mit einen Griff aus Mondstein? Alexander, mach hier mal nicht dein schlechtes Image bei mir kaputt! Nette Idee. :D Aber ich kann nicht ohnehin mir zu denken, gibts so ein Schwert mit solch einen Griff in Echt? Würd mich mal interessieren. Auf jedenfall stelle ich mir es sehr ausdrucksvoll vor, wenn Draco damit kämpft! *_*

Absatz vier
Dracos erstes zusammentreffen mit Pferden und in besonderen sinne auch Hera, hat mir gut gefallen. Ich war neugierig, wie diese wohl auf ihn reagieren würden. Eigentlich bin ich fast ein wenig davon ausgegangen, daß die Pferde etwas ängstlich auf ihn reagieren würden. Das sie ihn "durchschauen" war mir fast klar, aber Pferde sind Fluchttiere. Ihr Instinkt treibt sie dazu die Flucht zu ergreifen, wenn sie auf eine gefährliche oder unbekannte Situation treffen. Wenn sie Draco also als Drache erkennen, müssten sie auch fast ein wenig ängstlich ihn gegenüber sein. Ein Drache ist trotz allem ein Jäger und ein Pferd könnte gut unter umständen die Mahlzeit eines Drachen sein. Das Hera allerdings diesen speziellen Drachen Augen in Auge gegenübersteht zeigt das sie ein starker Charakter ist...und stur! XDDD Das gefällt mir!
Ahh Alexander, langsam Schritt für Schritt tappst du dich an das Rätsel Draco ran. Nicht aufgeben! XD

Absatz fünf
Also ich schließe mich Annies meinung zu "diese Arbeit passt nicht zu Draco..." nicht an. Ich denke durchaus das es zu ihm passt und es tut ihn gut in mehrfacher hinsicht. Es ist körperliche Beschäftigung und hilft stress abzubauen. Männer brauchen das Annie!!! XDD Aber ich kann mir auch nicht helfen, wenn Annie ihren Bruder doch so sehr liebt und vertraut, warum erleichtert sie nicht ihr Gewissen und erzählt es Alexander? Er könnte viel besser auf Draco eingehen, wenn er wüsste mit was er es zutun hat. Ich bin jetzt schon auf den augenblick gespannt, wenn du dieses Geheimnis vor ihm lüftest! XD Ich hoffe doch zumindest du tust es! ^^°

Absatz sechs
Alexander läßt den großen Bruder raushängen! Ich hab echt gelacht! Hast du meine Schwester entehrt? (Die Antwort ist "JA!" und er fand es toll!) XDDDDD Das kommt gut! >.< Pech für Alexander, daß Draco keinen Schimmer hat, wovon Alexander spricht ^^°. Wobei mir hier Alexanders verhalten, ein bisschen gegen den strich geht! Wenn er es wüsste, was dann? Es war wenigstens etwas was Annie gewollt hat und ihr Freude bereitete. Etwas ganz anderes als das was sie jetzt durchleben muss. Aber über Draco hätte Alexander sich aufgeregt? >.> Alexander ich mag dich nicht! Überleg mal was für Annie wohl das bessere wahr, bevor du ihrer liebe drohst. (mummel, mummel)

Abatz sieben und acht
Es ist so schön zu lesen, daß Annie trotzdem immer still (oder weniger still XP) in Dracos gedanken ist. Das ist so Herzerwärmend. Und auch das er bei seinen Ausritten ein wenig Frieden schöpfen kann. Es freut mich total das du ihn sowas gönnst. Und mich entspannt das auch! xD

Absatz neun
DAs ganze mit der Stadt, ist klasse geschrieben. Das Draco so reagiert ist verständlich. Ich kann mir vorstellen, daß er es nicht sonderlich mag! Bis hierhin sogut. Aber dann, dann kommt Annie und meine Güte baut sich da eine spannung auf!!! Das ist absolut prizzelnd geschrieben! Ich hätte so gerne gewusst, wie ihr ausdruck war, als sie Draco angesehen hat! Das hast du mir hier wieder verwert, gemein! ^^° Und mussten Barrington und Semerloy denn unbedingt Draco wahrnehmen? Annie, du dumme Nuss! ;__;. Maidlin du machst mich damit wahnsinnig. Wie soll ich das denn jetzt bis zum nächsten Kapitel aushalten? Ich fühl mich zwiegespalten! Einerseits will ich lesen was als nächstes passiert...,
andererseits fürchte ich, daß wird so spannend das ich mich schon fürchte zu lesen, was du dir hast einfallen lassen!

Gibt es etwas schöneres als genau sowas zu lesen und zu spüren in einer Geschichte? Ich glaube nicht! XD

So zum schluss mein Fazit
Du hast mir wieder einmal das gegeben, was ich auch von Dir erwarte! Ein stück wundervolle Geschichte, daß einfach nur große Freude beim Lesen bereitet. Fesselnd, traurig, schön und mitreisend!

Egal wie sehr Draco dich auch ärgert, diese Geschichte ist das alles Wert!

hdgdl enni



Zurück