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Bis(s) in den Tod

von

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Jäger und Gejagte

Menschen leben, Menschen sterben. Das Ende ist unvermeidlich. Irgendwann stirbt jeder einmal. Entweder aufgrund eines natürlichen Todes, durch Krankheit, durch einen Unfall oder in schlimmen Fällen durch einen Mord. Manchmal ist der Tod gewollt, manchmal passiert er ganz plötzlich und unerwartet. Doch es gibt auch Menschen, die ihren Tod selbst verschulden. Es gibt Menschen, die keinen Sinn mehr darin sehen, zu leben.

Shana sollte schneller mit dem Tod konfrontiert werden, als ihr lieb war. Doch es war ihr bislang nicht wirklich bewusst, dass sie eine Gruppe von Untoten ihr eigen nennen sollten. Und genau diese Art von Wesen ernährte sich von Blut.
 

Shana fühlte, wie ihr Kopf zu bersten drohte. Doch warum wunderte sie das? Was hatte sie denn erwartet?

Als sie sich aufrichtete, weil ein starker Hustenanfall sie plagte, fühlte sie sich in ihrer Vermutung doch nur bestätigt. Sie hatte sich erkältet. Und wessen Schuld war das? Natürlich die von Ethan. Von wem auch sonst? Warum musste er sie auch bei diesen abartigen Außentemperaturen spazieren tragen? Seit sie ihn zum ersten Mal getroffen hatte, ging alles schief. Aber auch wirklich alles. Warum eigentlich ausgerechnet sie? Womit hatte sie dieses Schicksal verdient? War sie so böse gewesen? Okay… ganz der Unschuldsengel war sie nun auch nicht gewesen, aber Ethan als Strafe fand sie etwas übertrieben. Sie wollte doch nur normal sein. War das denn zuviel verlangt gewesen?

Vorsichtig schwang sie ihre Füße aus dem Bett und setzte sie auf den Boden. Als sie sich hinstellte, schwankte sie und musste sich festhalten, damit sie nicht umkippte. Ihr Kopf glühte, doch der Rest ihres Körpers fror erbärmlich. Vorsichtig und einen Schritt nach dem anderen nehmend bewegte sie sich ins Bad. Der Blick in den Spiegel ließ sie zurückschrecken. Ihr Gesicht war gerötet und die Augen waren blutunterlaufen. Als sie ihre Zunge raus streckte, war diese belegt. Sie sah furchtbar aus. Nicht, dass sie sonst gut aussah, aber dieses Spiegelbild war grässlich. Wie in einer Horror-Freak-Show. Trotzdem wusch sie sich das Gesicht und zog sich ihre Schuluniform an. Natürlich fühlte sie sich nicht wirklich in der Lage zur Schule zu gehen, aber das sollte sie mal ihrer Mutter erklären. Sie würde Shana nie zu Hause lassen. Egal wie krank sie war. Es könnte ja dem Ruf der Familie Minabe schaden. Bei dem Gedanken rollte sie nur genervt mit den Augen. Wenigstens das konnte sie ohne das ihr schwindlig wurde. Sie fühlte sich sogar so schlecht, dass sie noch nicht mal Hunger verspürte. Und das sollte bei Shana schon was heißen.

Schnell verabschiedete sie sich und wandelte zur Bahn. Es war kein richtiger Gang den sie an den Tag legte, da sie sich nicht in der Lage fühlte normal zu gehen. Es machte ihr richtig Mühe, da sich ihr Kopf anfühlte, als ob er gleich platzen würde. Außerdem wurde ihr zunehmend schwindliger. Doch Shana riss sich zusammen. Zumindest so gut sie es eben konnte. Sie war nicht schwach. Außerdem wollte sie Ethan noch für das bestrafen, was er ihr angetan hatte. Für sie war er schuld an dieser ganzen Misere und sonst niemand. Das würde sie ihm noch heimzahlen.

Als Shana in der Schule ankam, keuchte sie wie ein Kettenraucher und schwankte bei jedem Schritt. Sie war froh, als sie sich endlich auf ihren Platz setzten konnte. Für sie war es geradezu grotesk sich darüber zu freuen, dass sie in der Schule war. Doch heute war ihr alles egal. Doch kaum dass sie saß, kam auch schon Mika und redete in üblicher Manier mit Shana. Doch leider ertrug sie Mika heute nicht. Jedes Wort bohrte sich wie ein Messerstich in ihren Schädel.

„Mika!“, flüsterte sie. Zu mehr fühlte sie sich nicht in der Lage. Mika schaute Shana an. Verwundert, dass Shana überhaupt etwas zu ihr sagte. „Ja?“

„Bitte… sei still. Ich ertrage das heute nicht.“

Mika bekam große Augen. Shana war des Öfteren unfreundlich zu ihr gewesen und normal sah sie auch darüber hinweg, doch wie Shana es heute sagte, behagte ihr nicht. Außerdem hatte sie gebeten, den Mund zu halten. Mit solch einer Höflichkeit hielt sie sich normalerweise gar nicht auf. Sie betrachtete ihre beste Freundin nun genauer und endlich fiel ihr ihr Zustand auf. „Himmel Shana. Was ist mit dir los?“

„Krank.“

„Was machst du dann noch hier? Du solltest das Bett hüten.“

Shana zog eine Grimasse. „Ja klar. Meine Mutter lässt mich auch.“

Da verstand Mika. Sie sah ihre beste Freundin mit mitleidigen Augen an. Shana bereute es sofort, etwas gesagt zu haben. Warum konnte sie nicht wie üblich das Gerede von Mika ignorieren und warten, bis der Unterricht begann?

„Sie mich nicht so mitleidig an“

„Aber Shana…“, begann Mika, wurde jedoch unterbrochen, weil der Lehrer die Klasse betrat. Mika setzte sich auf ihren Platz und der Unterricht begann. Doch Shana konnte sich gar nicht konzentrieren. Nicht mit einem Betonkopf und verstopften Ohren. Außerdem übertönte sie den Lehrer mit ihrem Husten ständig. Einige waren erbost über diese Störung, doch Shana ignorierte das.

Anscheinend hatte Mika Shana die ganze Zeit beobachtet, denn mit einem Mal sprang sie auf, als Shana gefährlich am schwanken war.

„Herr Yamato!“, schrie sie schon fast. Alle Blickte richteten sich auf Mika.

„Ja bitte, Kusuragi- san?“

„Shana geht es nicht gut. Ich bringe sie am besten zur Krankenstation.“

Shana spürte die Augen ihrer Klassenkameraden auf sich und wäre am liebsten im Boden versunken. Herr Yamato besah sich Shana kurz und nickte Mika dann zu. Widerstrebend ließ Shana sich aus der Klasse und ins Krankenzimmer führen. Wie gerne hätte sie Mika für diese tat die schlimmsten Beschimpfungen an den Kopf geworfen, aber sie musste sich auf das Laufen konzentrieren. An das Folgende konnte Shana sich nur noch vage erinnern. Mika sprach kurz mit der Krankenschwester und dann lag Shana auch schon im Krankenbett. Die Krankenschwester machte ein paar Untersuchungen und dann später die Schulärztin, aber das bekam Shana schon gar nicht mehr mit. Sie merkte nur, wie es ihr langsam besser ging.
 

Shana erwachte, als die Schulglocke erklang. Die große Wanduhr, auf die sie einen direkten Blick hatte, als sie die Augen aufschlug, verkündete ihr, dass Schulschluss war. Sie musste nach Hause. Doch als sie sich aus dem Bett erheben wollte, wurde sie jäh von einer Hand auf ihrer Schulter daran gehindert. Verwirrt blickte sie in das Gesicht von Mika.

„Mika? Was machst du noch hier?“ Ihre Stimme war rau und ihr Hals kratzte, sodass sie husten musste.

„Alles okay. Du kommst mit zu mir.“

„Was?“ Shana verstand nicht ganz.

„Denkst du wirklich, ich lasse dich in dieses Höllenhaus zurück, wenn du krank bist?“

„Mika, nicht!“ Shana wollte schreien, konnte aber nur flüstern. Diese blöde Erkältung. „Mutter wird ausflippen. Ich muss nach Hause.“

„Nein!“

Und da hatte sie auch schon ihr Handy gezückt. Sie drückte nur eine Taste und führte das Telefon an ihr Ohr. Nach kurzem Warten, fing sie an zu sprechen. „Guten Abend, Minabe- sama… mir geht es gut. Danke der Nachfrage… Ich rufe an, weil ich ihnen mitteilen möchte, das Shana eine Weile bei mir zu Hause wohnen wird.“

Shana hätte ihr am liebsten das Handy aus der Hand gerissen oder Mika erwürgt. Ihr war beides recht. Hauptsache sie hörte auf mit ihrer Mutter zu reden. Doch Mika wahrte genug Abstand, sodass Shana sie nicht erreichen konnte. Dieses Biest!

„Nun ja. Shana ist krank und ich würde sie gerne pflegen…. Aber es macht mir doch keine Umstände. Ich habe bereits mit meinen Eltern gesprochen und sie würden nichts lieber tun, als Shana zu umsorgen… Sie sind also einverstanden? Wunderbar! Ich komme dann gleich noch vorbei und hole ein paar Sachen von Shana. Bis gleich.“ Sie legte auf und grinste Shana ins Gesicht. „Alles geregelt.“

„Ich hasse dich!“

„Ich liebe dich auch.“ Mika strahlte und Shana bekam zunehmend schlechtere Laune. Und um dem Ganzen noch die Krönung aufzusetzen, trug der Chauffeur von Mika Shana auch noch zur Limousine. Als ob Shana nicht schwer wie ein Tonne wäre. Sie wehrte sich nach Leibeskräften dagegen, doch da diese praktisch nicht vorhanden waren, verlor sie den Kampf natürlich. Es war ihr peinlich und sie überlegte auf der Fahrt zu sich nach Hause, wie sie sich an Mika rächen konnte und sich bei Yoshi-san, dem Chauffeur, entschuldigen konnte. Erstmal ignorierte sie Mika, die wie immer fröhlich vor sich hin redete. Und so was nannte sich beste Freundin. Doch dann schlief sie über die ganze Grübelei ein.
 

Shana wurde von dem Geruch von Reissuppe geweckt. Es war warm um sie herum und es fühlte sich an, als ob sie auf Wolken liegen würde. Vorsichtig öffnete sie die Augen und blickte auf einen vergoldeten Baldachin. Sie ließ den Blick vorsichtig schweifen. Rechts von ihr war eine große Fensterfront mit Balkon. Vor ihr war eine Sitzecke, bestehend aus beigen Möbeln und eine Unterhaltungsanlage. Links war eine große Flügeltür und noch eine etwas kleinere. Sie wusste wo sie war. Im Gästezimmer der Kusuragis. Als sie sich aufrichtete, bewegte sich etwas zu ihrer Linken im Bett. Sie blickte auf den schlafenden Körper von Mika. Natürlich. Das Bett war so riesig, dass locker drei Leute hier Platz fanden. Und bei der großen Decke und den vielen Kissen ging Mika schon leicht unter. Sie sah süß aus, wie sie da so eingerollt lag und schlief. Das war Gelegenheit genug für Shana, um sich zumindest ein wenig zu rächen. Sie rüttelte an ihr, bis Mika ihre brauen Augen aufschlug und gähnte.

„Wie geht es dir?“

„Besser.“ Und es stimmte. Der Schwindel war kaum noch zu spüren und sie hörte besser. Trotzdem war ihr noch warm und ihr Hals kratzte.

„Unser Hausarzt war da und hat dir eine Spritze gegeben. Er sagte, du hast dir eine Grippe eingefangen.“

„Grippe also.“

„Ja. Iss etwas, damit du wieder zu Kräften kommst.“

Mika krabbelte aus dem Bett und reichte ihr die Reissuppe. Erst wollte Shana nicht, doch dann knurrte ihr Magen und sie merkte, wie hungrig sie war. Ein gutes Zeichen. Zwischen zwei Bissen fragte sie: „Hat meine Mutter etwas zu dir gesagt?“

Mikas Augen verengten sich merklich. „Meinst du ob sie sich nach deinem Zustand erkundigt hat oder ob sie versucht hat sich bei mir einzuschleimen?“ Shana wollte etwas sagen, aber Mika sprach bereits weiter. „Sie wollte wissen, wie es mir und meinen Eltern geht. Fragte nach den Geschäften und allem, hat aber nicht ein Wort wegen dir verloren. Ich kann einfach nicht fassen, wie egal du dieser Frau bist.“

Shana zuckte nur mit den Schultern. Was hätte sie auch dazu sagen sollen? Sie wusste, was ihre Mutter für sie empfand, also überraschte es sie auch nicht.

Als sie zu Ende gegessen hatte, kamen auch die Eltern von Mika und umsorgten sie, als ob Shana ihr Kind wäre. Es war herrlich.

Es wurde später und Mika schickte alle heraus, damit Shana schlafen konnte, wofür sie dankbar war. Die Familie war zwar lieb und sehr nett, aber eben auch sehr anstrengend. Außerdem war sie so viel Liebe einfach nicht gewohnt.

Doch lange konnte sie auch nicht schlafen, denn ein penetrantes Klopfen riss sie aus dem Land der Träume. Shana brauchte einen Moment um sich zu orientieren zu können. Dann registrierte sie, dass das Klopfen von der Balkontür kam. Das war doch jetzt ein Witz oder? Sie knipste die Nachttischlampe an und erkannte die Silhouette eines Menschen auf dem Balkon. Shana wusste wer das war und sah rot. Sie sprang etwas zu übermütig aus dem Bett, sodass sie wieder zurück sank. Ihr war immer noch etwas schwindlig. Sie zog sich langsam einen Bademantel, der auf einem Stuhl neben dem Bett stand, an. Als sie zur Balkontür ging, fragte sie sich, was er sich überhaupt erdreistete, hier aufzutauchen. Außerdem fragte sie sich, wie er es immer wieder schaffte, sie zu finden. Hatte er ihr eine Wanze verpasst, von der sie nichts wusste oder wie machte er das? Mit vor Zorn sprühenden Augen öffnete sie die Tür.

„Wurde auch Zeit.“, grollte Ethan und trat ein.

„Was willst du hier?“

„Na was wohl? Dich abholen. Oder denkst du, ich verbringe freiwillig Zeit mit dir?“

„Ich komme nicht mit!“

„Das hast du sicher nicht zu entscheiden.“

„Es ist mir egal was du sagst. Ich bin krank und werde meine Gesundheit wegen dir sicher nicht gefährden.“

„Du bist so erbärmlich.“

„Und du bist pervers und blöd. Also hau ab und lass mich in Ruhe!“

„Das werde ich nicht.“, zischte er. Anscheinend hatte sie ihn verärgert, doch das war ihr egal. Außerdem tat sie seit dem Tag, an dem sie sich kennen gelernt hatten, nichts anderes. Sie wollte wieder ins Bett. „Verschwinde!“

„Nein!“

„Verdammt, Ethan! Du bist schuld, dass ich krank bin. Ich hasse dich und will mit dir und den Vampiren nichts zu tun haben. Das alles ist absurd. Warum kapiert ihr das nicht? Ich bin keine Wächterin. Wie oft muss ich das noch sagen? Und jetzt raus hier. Scher dich gefälligst zum Teufel!“ Sie drehte sich um und ging auf das Bett zu. Sie hatte wirklich genug. Doch sie kam nicht weit, denn sie spürte eine kalte Hand auf ihrer Schulter und wurde herum gerissen. Die tiefe goldene Farbe von seinen Augen schimmerte im Schein der Nachttischlampe wirklich bedrohlich. Er versuchte sie mit seinen Blicken zur erdolchen.

„Hör gut zu, denn ich sage es nur ein einziges Mal. Du bist die Wächterin. Auch wenn du es nicht wahrhaben willst, es ist Tatsache. Mir passt es nicht, dass ausgerechnet du es bist, denn ich hasse Wächterinnen. Und wenn sie auch noch so vorlaute und blöde Kühe sind wie du, ist das noch schlimmer. Folglich hasse ich dich also. Mir ist es vollkommen egal ob du es glaubst oder nicht. Find dich damit ab, so wie alle anderen auch!“

Shana schluckte. Seine Stimme troff vor Hass und Abscheu. Er hasste sie wirklich. Ethan ließ ihr keine Zeit der Erwiderung, denn plötzlich schulterte er sie und sprang in die kühle Nacht.

Von der Grippe ermattet hatte sie noch nicht einmal mehr Kraft zum Schreien. Sie schloss einfach die Augen und brodelte innerlich vor sich hin. Das würde sie Ethan heimzahlen, wenn sie wieder ganz gesund war. Nicht nur er hasste sie, sondern es beruhte auch auf Gegenseitigkeit. Und wie sie ihn hasste.
 

In der Gruft angekommen, brachte er sie in das Arbeitszimmer von Rowen und war von da an nicht mehr gesehen. Rowen legte gerade eins seiner vielen Bücher ins Regal zurück, als Shana sein Arbeitszimmer betrat. Er drehte sich zu ihr um und lächelte. Da Ethan weg war, richtete sie ihren Zorn auf Rowen. Das war natürlich nicht fair, aber ihr war kalt und sie wollte ins Bett. Außerdem war sie stinksauer.

„Warum bin ich schon wieder hier, Rowen-san?“, donnerte sie los. „Ich will nicht, dass Ethan mich ständig hierher schleppt. Verflucht, ich bin eigentlich krank und sollte im Bett liegen und mich erholen. Stattdessen bin ich schon wieder hier!“ Ihr Wutanfall wurde von starkem Husten unterbrochen, sodass Rowen Gelegenheit zum Sprechen fand. „Ich verstehe nicht ganz, was dein Gemüt so erhitzt hat. Erkläre es mir doch bitte in einfachen Worten Shana-cha… -kun.“ Er lächelte sanft und in ihr keimten Schuldgefühle auf. Shana biss sich kurz auf die Unterlippe und begann dann zu erklären.

„Das tut mir leid.“, verkündete Rowen nach Beendigung ihrer Geschichte. „Hätte ich das geahnt, hätte ich Ethan nicht zu dir geschickt.“

„Dann kann ich ja wieder gehen.“ Auch wenn Rowen nichts für ihren Zorn konnte, schlechte Laune hatte sie trotzdem noch. Und die ließ sie normalerweise an jedem aus. Das war zwar keine angenehme Charaktereigenschaft, aber so viele Leute scharrte sie nun auch nicht um sich, die ihr das übel nehmen konnten.

„Aber natürlich kannst du gehen. Obwohl es schade ist, weil ich da weitermachen wollte, wo wir gestern gestört worden sind.“

Shana überlegte einen Moment, bis ihr einfiel, was er meinte. „Deine Geschichte?“

„Genau.“

Sie seufzte. „Also gut. Da ich schon mal hier bin und deine Geschichte wirklich gerne hören möchte, bleibe ich. Aber ich bin trotzdem noch sauer. Nur damit du es weißt. Ihr könnt mit mir nicht machen was ihr wollt. Ich bin nicht euer Spielzeug.“

„Aber gewiss.“ Wieder lächelte er sanft und ihre Wut verpuffte. Sie mochte Rowen wirklich. Seine Art machte sie sogar ein wenig befangen, was aber nicht direkt Verliebtheit war, sondern eher Freundschaft.

Rowen bat sie auf einem Stuhl vor seinem Schreibtisch platz zu nehmen und reichte ihr dann eine Wolldecke, in die sich Shana nur zu gerne kuschelte. Dann entschuldigte er sich kurz und hatte dann zwei dampfende Tassen in der Hand, als er wieder zurückkehrte. Er reichte Shana die eine und setzte sich mit der anderen auf seinen Platz hinter den Schreibtisch. Nachdem sie beide etwas getrunken hatten, begann Rowen, seine Geschichte zu erzählen.

Shana war fasziniert. Als er von seinen Eltern sprach, war seine Stimme recht normal und fast ohne jede Gefühlsregung. Doch als er von Eric anfing, wurde seine Stimme ein wenig sanfter. Und während er von Beth berichtete, schwoll Shana regelrecht das Herz. In seiner Erzählung lag soviel Liebe und Wärme für das kleine Vampirmädchen, dass sie Rowen gleich noch viel mehr mochte. Der Tod von Beth nahm sie so sehr mit, dass Shana fast weinen musste. Doch die Begegnung mit Ethan ließ Zorn in ihr aufwallen, weil sie immer noch sauer auf diesen perversen und blöden Vampir war. Außerdem war er nicht gerade nett zu Rowen gewesen.
 

Shana wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, doch als Rowen mit seiner Geschichte geendet hatte, fühlte sie sich müde und doch gleichzeitig so glücklich, weil er ihr diesen Schatz anvertraut hatte.

Rowen räusperte sich. „Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr gelangweilt.“

„Nein. Natürlich nicht. Wie kommst du darauf? Deine Geschichte war wundervoll. Es ist nur schwer zu glauben, dass du schon 128 Jahre alt bist und dabei noch so jung aussiehst. Das kommt mir so unreal vor.“

„Ja. Es ist eine lange Zeit gewesen. Ethan ist noch älter als ich.“

„Wie alt?“

„Ich glaube so um die 180 Jahre.“

„So alt?“

„Ich denke. Wenn man so altert wie wir, ist einem das Alter nicht mehr so wichtig.“

„Du vermisst Beth, habe ich Recht?“ Sie wollte das Thema vom Alter ablenken, aber vor allem wollte sie nicht über Ethan reden.

Einen Moment trat Stille ein, doch dann sprach Rowen mit einer Mischung aus Liebe und Trauer in seiner Stimme. „Ja. Sie weilt zwar schon lange nicht mehr bei mir, aber ich habe sie wie eine Schwester geliebt. Und da sie niemanden mehr hat, werde ich täglich an sie denken, damit sie nicht in Vergessenheit gerät.“

Shana nickte.

„Aber genug davon. Ich hoffe, du konntest dir ein vages Bild über mich und die Vampire machen. Du solltest jetzt gehen. Bald wirst du zur vollwertigen Wächterin und deswegen musst du dich schonen. In drei Tagen kommst du wieder her. Du hast noch etwas Nachholbedarf, was die Rasse der Vampire anbelangt.“

Shana wollte noch etwas sagen, wurde aber von einem unerträglichen Hustenreiz geplagt. Als sie endlich wieder Luft bekam, stand Ethan vor ihr. Ihre persönliche Hölle mit goldenen Augen.

„Gehab dich wohl, Shana-cha… -kun.“ In diesem Leben würde er es wohl nicht mehr lernen. Und da Ethan keine Geduld hatte, zog er sie einfach hoch und von Rowen weg, sodass sie sich nicht verabschieden konnte. Bestimmend schleifte er sie aus der Gruft. Draußen angekommen schlang Shana ihre Arme um ihren Körper. Es wurde von Tag zu Tag immer kälter. Bald wäre schon November. Sie hasste die kalte Jahreszeit wirklich. Kommentarlos schulterte Ethan sie und machte sich auf den Weg.

Bis sie wieder auf dem Balkon waren, wechselten sie nicht eine Silbe miteinander. Aber wen wunderte das auch? Ethan war noch nie ein Mann großer Worte gewesen und Shana war zu schwach und zu wütend. Außerdem hatten sie sich gegenseitig ihren Hass bekundet. Musste man da mehr sagen?

Er setzte sie ab und wollte sich wieder auf den Weg machen, doch sie hielt ihn an seiner Schulter fest und drehte ihn zu sich herum.

„Was?“, blaffte er ziemlich genervt.

Da holte Shana auch schon aus und gab ihm mit all ihrer momentanen Kraft eine Ohrfeige. „Arschloch!“, zischte sie, ging hinein und schloss die Balkontür. Sie wartete einen Moment und drehte sich dann um. Ethan war verschwunden.

Ihr Herz hämmerte wie wild und ihre rechte Hand pochte unangenehm. Sie konnte Ethan einfach nur hassen. Er behandelte sie schlecht und ließ kein gutes Haar an ihr. Er war abweisend und kühl gewesen. Warum konnte er nicht so sein wie Rowen? Er war gutherzig, freundlich und liebenswert. Was Ethan war, darüber wollte Shana noch nicht mal mehr nachdenken. Vielleicht war ihr Gefühlsausbruch nicht das Wahre gewesen, aber ihrer Ansicht nach hatte er es verdient.

Vorsichtig schlich sie ins Bett und schlief auch fast augenblicklich ein.
 

Drei Tage vergingen rasch. Da die Kusuragis Shana verboten zur Schule zu gehen, konnte sie sich erholen und war schon fast wieder gesund. Natürlich trugen gutes Essen, viel Schlaf und Medikamente dazu bei, dass sie nur noch leichten Husten und ein bisschen Schnupfen hatte. Der Arzt nannte es eine Drei-Tage-Grippe. Sollte ihr auch recht sein. Shana wollte eigentlich wieder nach Hause, aber da Wochenende war, ließ sie sich dazu breitschlagen, noch zu bleiben. Außerdem konnte sie so dem Ärger mit ihrer Mutter noch etwas entkommen. Da Shana wusste, dass sie in dieser Nacht wieder in die Gruft sollte, schlief sie am Nachmittag, damit sie fit für die Nacht war.

Als es dann soweit war, saß sie auf der Couch und sah fern. Es klopfte an der Balkontür und Shana fuhr hoch. Die Ohrfeige hatte sie nicht bereut und würde es wieder tun. Der Zorn auf Ethan war noch nicht verraucht, beziehungsweise flammte er wieder auf. Sie würde ihm schon deutlich zeigen, was sie von ihm hielt. Doch als sie die Balkontür öffnete, stand nicht wie erwartet Ethan vor ihr.

„Hallo, Shana-san. Wie geht es dir? Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen. Warum bist du nicht zu mir gekommen, als du bei uns warst? Ich habe dich so vermisst. Oh… ich freue mich ja so.“ Da hatte Chris sie auch schon umarmt und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Shana war völlig überrumpelt. „Hallo, Chris-chan. Ähm… was machst du hier?“

Chris hielt sie auf Abstand. „Freust du dich etwa nicht mich zu sehen?“ Sie zog eine Schnute. Dieser wunderschöne Vampir zog tatsächlich eine Schnute wegen ihr. „Natürlich freue ich mich.“, sagte Shana hastig. „Es wundert mich nur. Normalerweise holt Ethan mich doch ab.“

Die Gesichtszüge von Chris wurden zuerst ernst, doch dann lächelte sie wieder ihr Sonnenscheinlächeln. „Du kennst doch Ethan.“, sagte sie schlicht. Shana schaltete schnell. „Er ist sauer auf mich.“

„Wann ist er denn mal nicht sauer?“

„Ich glaube das einfach nicht. Er ist derjenige, der mich ständig beleidigt, mich entführt und mich am liebsten umbringen würde, wenn er könnte.“

„Ich weiß auch nicht was er hat.“

Irgendwas an dieser Aussage machte Shana stutzig, sagte jedoch nichts. Stattdessen sagte sie: „Also wollen wir dann in die Gruft?“

„Heute nicht. Rowen bat mich, dir heute eine Lernstunde zu geben.“

„Eine was?“

„Lernstunde.“

„Könntest du bitte etwas deutlicher werden?“

„Später.“ Chris grinste und hob Shana auf ihre Arme.

Es war merkwürdig mit Chris über die Dächer zu springen. Ihr Körper war schmaler, geradezu zierlich. Doch sie hatte nichts an Kraft eingebüßt. Ethan bewegte sich zwar elegant, aber trotzdem ein wenig aggressiv. Chris dagegen bewegte sich so sanft, dass Shana das Aufsetzten das wieder hoch springen kaum bemerkte. Auch ihr Körper fühlte sich anders an. Okay, er war auch eiskalt, aber irgendwie fühlte sie sich nicht wie Stein an. Ihr Körper war ein wenig weicher und der Stoff ihres schwarzen Satinkleides war angenehmer, als der Ledermantel von Ethan. Chris war Ethan eindeutig vorzuziehen. Hätte sie nicht die ganze Zeit über die Vorteile von Chris und die Nachteile von Ethan nachgedacht, wäre ihr vielleicht aufgefallen, wie konzentriert die junge Vampirdame war. Naja… aber auch nur vielleicht.

Die Fortbewegung mit Chris hätte nach Shanas Meinung ewig so weitergehen können, doch irgendwann blieb Chris auf dem Boden und setzte Shana ab. Shana sah sich um. Ein leichter Wind kam auf und ließ nicht nur die Blätter der Bäume erzittern, die hier und da standen, sondern auch sie selbst. Ein Weg umsäumte die weiten Rasenflächen, auf dem die Bäume standen. Das war der Stadtpark gewesen. Nicht weit von ihnen entfernt war ein Spielplatz mit Sandkiste, Schaukel und Rutsche.

Shana machte den Mund auf um etwas zu sagen, aber Chris war bereits losgegangen. Sie musste rennen, um sie einzuholen.

„Chris? Was wollen wir hier?“

„Lernstunde.“

„Was bedeutet das?“

„Nun ja. Du hast doch bestimmt Nachforschungen über uns angestellt oder?“

„Ja.“

„Und Rowen denkt, dass die Informationen aus deinen Büchern nicht ganz der Wahrheit entsprechen.“

Shana überlegte einen Moment, bis der Groschen fiel. „Ethan hat Rowen-san gesagt, was ich über Vampire herausgefunden habe.“

„So sieht es aus.“

Shana platze fast vor Zorn. „So ein Idiot! Das geht ihn doch nichts an.“

„Er hat deine Notizen gelesen und Rowen davon erzählt. Sonst nichts.“

„Das war privat!“ Ihre Stimme wurde ein wenig höher, wie immer, wenn sie sich aufregte.

„Beruhige dich bitte. Jedenfalls bat Rowen mich, dir einige Verhaltensweisen von Vampiren zu zeigen. Dies ist die erste Lernstunde in dieser Nacht.“

„Und was willst du mir beibringen, beziehungsweise zeigen?“

„Ich zeige dir, wie ein Vampir jagt und trinkt.“

Shana blieb ruckartig stehen. Chris drehte sich zu ihr um und sah, wie jegliche Farbe aus dem Gesicht der angehenden Wächterin gewichen war. „Was hast du Shana-san? Ist dir nicht gut?“

„Da… Das ist nicht dein ernst!“

„Eigentlich schon.“

„Chris-chan. Du willst, dass ich zusehe, wie du einen Menschen tötest? Das kannst du nicht von mir verlangen!“

„Warum nicht?“ Chris legte den Kopf schief und bekam einen fragenden Gesichtsausdruck.

„Ich kann nicht.“

„Es ist nicht so wie du denkst. Naja… fast zumindest.“

„Was soll das schon wieder heißen?“

„Komm mit. Ich zeige es dir.“

Chris lächelte, nahm Shana bei der Hand und zog sie weiter. Weitere Kälteschauer jagten Shana über den Rücken. Und das lag nicht an der kalten Hand von Chris. Sie versuchte sich zu wehren, aber da hätte sie genauso gut versuchen können, sich gegen ein fahrendes Auto zu stemmen. Das Resultat wäre ähnlich gewesen. Dieses zierliche Mädchen hatte wirklich außergewöhnliche Kräfte.

Als Chris nach wenigen Minuten stehen blieb, sah Shana einen kleinen Teich vor sich, der von Bäumen umzäunt war. Im schwachen Licht der Parklaternen konnte sie ein Mädchen vor dem Teich stehen sehen. Sie war kaum älter als sie selbst. Sie hatte kurzes schwarzes Haar und trug eine rote Schuluniform im Matrosenlook.

Chris zog Shana hinter einen Baum. „Sieh zu und verhalte dich bitte ruhig.“, flüsterte sie sanft. Shana sah sie an und ihre braunen Augen begannen eigenartig zu leuchten. Stumm nickte sie, weil sie ihrer Stimme nicht mehr traute. Bestimmt hätte sie vor Angst gezittert und diese Blöße wollte sie sich nicht geben. Selbst vor Chris nicht.

Langsam glitt Chris auf das Mädchen zu und stellte sich neben sie. „Guten Abend.“, sagte sie sanft und zärtlich. Das Mädchen schreckte auf und sah Chris an. „Verschwinde!“, quietschte sie.

„Eine schöne Nacht, nicht wahr?“

„Was willst du von mir?“

„Nur ein wenig reden.“

„Ich will nicht mit dir reden.“ Aber die Augen des Mädchens verrieten etwas ganz anderes.

„Das solltest du aber. Ich mag es nicht, dass du dich umbringen willst, indem du dich in dem Teich ertränkst.“

Das Mädchen riss die Augen auf. „Was? Woher…. Ich…“

„Es ist alles okay. Wie heißt du?“

Ohne zu überlegen antwortete das Mädchen. „Ich… Akiko.“

„Du hast einen sehr schönen Namen, Akiko-chan.“

„Wer bist du?“

„Ich? Ich bin Chris.“

„Woher weißt du, dass ich-“

„Schhh…“, unterbrach Chris sie. „Warum bist du denn so traurig?“

„Ich bin doch nicht traurig.“

„Ich weiß, es ist dir unangenehm mit einer Fremden zu reden, aber ich möchte deinen Kummer wirklich gerne hören. Vielleicht kann ich dir ja sogar helfen.“ Chris lächelte so sanft, dass Akiko all ihre Vorsicht vergaß. Es war fast so, als ob Chris sie hypnotisiert hätte.

Akiko holte Luft. „Ich… ich hatte einen Freund.“

„Das ist doch toll.“

„Am Anfang war es das auch. Ich war sehr glücklich mit ihm. Doch nachdem wir drei Monate zusammen waren, wollte er mit mir schlafen und ich wollte nicht. Er sagte, es wäre in Ordnung und ich war froh, dass er so verständnisvoll war. Doch dann habe ich herausgefunden, dass er sich das, was er bei mir nicht bekommen hat, bei meiner besten Freundin und meiner Schwester geholt hatte.“ Akiko war den Tränen nahe.

„Er hat dich mit deiner besten Freundin und deiner Schwester betrogen?“, fragte Chris ungläubig. Akiko nickte stumm und dann flossen die Tränen. Chris machte einen Schritt auf sie zu und umarmte sie. Akiko weinte sich bei ihr aus. Dabei schien der kalte Körper von Chris ihr nichts auszumachen.

Shana konnte von ihrem Beobachtungsposten jedes Wort verstehen und es zerriss ihr fast das Herz. Normalerweise gingen sie die Schicksale anderer nichts an, aber vieles hatte sich geändert, als sie mit Ethan zusammenstieß und er ihr den Schlüssel umlegte. Und da sie gerade an dieses unheimliche Teil dachte, reagierte es. Es fing leicht an zu glühen, so als ob es mit dem Mädchen fühlte.

Als Akiko sich wieder ein wenig beruhigt hatte, löste sie sich von Chris. „Tut mir leid.“, schniefte sie leise.

„Schon gut. Das macht nichts.“

„Du bist ganz kalt“, bemerkte sie plötzlich.

„Ja, aber es ist ja auch recht frisch.“ Sie lächelte verschmilzt.

„Ich halte dich davon ab, ins Warme zu kommen. Tut mir leid.“

„Aber nicht doch. Aber sag mal Akiko-chan. Was willst du jetzt tun? Oder besser, willst du dich wirklich umbringen?“

Einen Moment herrschte Stille. Man konnte sehen, wie sich Akiko quälte. Dann sagte sie leise: „Ich will nicht mehr leben. Ich liebe ihn immer noch, aber ich kann ihm nicht verzeihen. Und meine Schwester und meine beste Freundin hasse ich. Es gibt keinen Halt mehr für mich auf dieser Welt. Ich halte das nicht mehr aus. Ich will sterben, damit ich keine Schmerzen mehr habe.“

„Und das willst du wirklich? Einfach von der Welt Abschied nehmen und jämmerlich und qualvoll ertrinken?“

„Ja verdammt! Du hast doch keine Ahnung wie ich mich fühle!“ Akiko schrie schon fast, doch Chris blieb unbeeindruckt.

„Würdest du eine andere Art von Sterben vielleicht vorziehen?“

„Was meinst du?“

„Ich schlage dir vor, dir die Freuden der Seeligkeit zuteil werden zu lassen.“

„Ich verstehe nicht.“

„Ich verspreche dir, dass du keine Schmerzen haben wirst. Du wirst glücklich mit deinem Freund zusammen sein. Er hat dich nie betrogen und er liebt dich über alles.“

„Das kannst du?“

Chris nickte. Akiko bekam große Augen. „Ich werde keine Schmerzen mehr haben?“

„Nein. Nie wieder.“

„Dann erlöse mich bitte.“

„Bist du dir auch ganz sicher?“

„Ja.“

„Dann schließe deine Augen, Akiko-chan.“ Sie tat wir ihr geheißen und stand ganz still da. Chris legte ihren Hals frei, beugte ihren Kopf ein wenig und biss zu. Akiko zuckte ein wenig, sagte aber nichts.

Wieder überkam Shana ein kalter Schauer. Doch irgendwie war die Szene nicht so gruselig, wie sie sich es vorgestellt hatte. Irgendwie hatte es etwas Sanftes an sich.

Shana sah, wie das Opfer von Chris lächelte und irgendwie einen entspannten Gesichtsausdruck hatte. Aus ihren geschlossenen Augen flossen langsam Tränen über ihre Wangen. Sie formte ein Wort mit ihrem Mund, doch Shana konnte nicht hören, was sie sagte. Als Chris von ihr abließ, legte sie ihre Hand um die Hüfte von Akiko und ging mit ihr in den Teich. Das Wasser spritzte hoch, als sie ungefähr in der Mitte stehen blieb. Das Wasser ging ihnen bis zum Bauch. Chris ließ Akiko los und diese fiel vornüber ins Wasser. Chris wartete noch einen Augenblick und kam dann wieder heraus. Shana blieb beim Baum stehen. Sie wusste nicht recht, wie sie reagieren sollte. Sie war irgendwie zu Tränen gerührt, aber auch wütend, weil Chris Akiko das Blut ausgesaugt hatte. Chris kam auf sie zu. Ihre Augen waren nicht länger braun, sondern leuchteten in einem sehr hellen grün. Und sie sah gequält aus. Das gab den Ausschlag für Shana nicht mehr wütend zu sein.

„Chris-chan? Geht es dir gut?“

„Ja. Es wird gleich besser.“ Sie holte ein paar Mal tief Luft. „Lass uns von hier weg.“ Sie nahm die Hand von Shana und zog sie weiter. Die Hand von Chris war nicht länger kalt, sondern war ein wenig warm. Shana drehte sich noch ein letztes Mal um und sah den Körper von Akiko. Sie sah irgendwie friedlich aus.

Sie gingen ein Stück schweigend, bis Chris plötzlich stoppte und sich auf eine Parkbank setzte. Shana zog sie ebenfalls auf die Bank. Ihre Hände ließen sie nicht los.

„Geht es dir auch wirklich gut, Chris-chan?“

„Ja. Dieses Mädchen war von Trauer schon richtig zerfressen.“

„Also… ich…“ Shana wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Sie fühlte sich unwohl. Mit einem Mal zog Chris sie an ihre Schulter. „Chris-chan?“

„Sorge dich nicht um mich. Geht es dir gut?“

„Ich denke schon. Aber was genau ist eigentlich passiert? Ich habe es zwar gesehen, aber nicht verstanden. Woher wusstest du, dass sie sich umbringen wollte?“

„Das ist eine besondere Fähigkeit. Wir sind nicht wie andere Vampire.“

„Wie meinst du das?“

„Es gibt Vampire, die alles beißen, was ihnen vor die Zähne kommt. So ähnlich wie bei Werwölfen.“

Shana fröstelte es. Sie musste an ihre erste Begegnung mit Werwölfen denken. Chris zog sie noch fester an sich. „Und dann gibt es noch uns.“, sprach sie im ruhigen Ton weiter. „Man könnte uns schlicht als wählerisch bezeichnen. Denn wir jagen nur Menschen mit besonderer Natur.“

„Ich verstehe nicht ganz.“

„Wir jagen Menschen, dessen Leben sowieso endet. Seien es nun todkranke Menschen oder Menschen, die sterben wollen, so wie Akiko.“

Shana dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass sie gar nichts verstand. Chris bemerkte es und ihre Stimme wurde noch zärtlicher, als sie weiter sprach. „Wie soll ich dir das nur erklären? Als wir vorhin unterwegs waren, habe ich meine Sinne geschärft und jemanden gesucht, der große Schmerzen hatte. Natürlich habe ich viele Schmerzen wahrgenommen, aber der von Akiko war am stärksten. Es ist, als ob man Stimmen hören würde. Ich glaube so kann man es ausdrücken. Ich höre viele Stimmen, doch die von Akiko war am lautesten. Und es war seelischer Schmerz. Man muss da unterscheiden. Seelischen Schmerz spürt man, was nur sehr wenige können. Körperlichen Schmerz kann ein Vampir riechen. Das können fast alle.“ Sie machte eine kurze Pause und sah Shana an. Diese hing begierig an ihren Lippen, sodass Chris lächelte und dann weiter erzählte. „Als ich Akiko vor dem Teich stehen sah, war mir klar, dass sie sich ertränken wollte. Dafür brauche ich keine hellseherischen Fähigkeiten oder so.“

„Aber warum hast du sie nicht vom Sterben abgehalten?“

„Oh. Das habe ich. Du hast doch zugehört. Nur wenn jemand wirklich sterben will, verhelfen wir ihm dazu. Wir bringen nicht wahllos Menschen um.“

„Warum?“

„Nun. Nicht jeder von uns ist freiwillig ein Vampir. Nimm zum Beispiel Rowen. Er wollte kein Monster sein und ernährte sich deswegen von Tierblut. Für ihn mag das ausreichen, aber für mich nicht. Ich brauche Menschenblut. Doch auch ich will kein Monster sein. Deswegen wählen wir Menschen aus, die schon mit einem Fuß im Grab stehen. Natürlich rechtfertigt das nicht, dass auch wir morden, aber es ist nicht ganz so schlimm.“

„Aber ihr tötet.“

„Schon, aber wir tun Gutes.“

„Indem ihr Menschen umbringt?“ Shana war empört und wollte sich von Chris losmachen, doch sie ließ das nicht zu. Ihr Griff um sie war eisern. „Du verstehst das falsch. Nimm einen Menschen, der einen schweren Autounfall hatte und solche Schmerzen hat, dass er nach Erlösung schreit. Würdest du ihm dann nicht lieber diese Erlösung bringen, anstatt ihn weiter leiden zu lassen?“

„Ich weiß nicht.“

„Aber ich. Dafür, dass wir ihnen Blut nehmen, geben wir ihnen etwas zurück. Wir schenken ihnen einen schönen Traum.“

„Wie geht das?“

„Wenn man ein Vampir wird, macht man eine anatomische Veränderung durch. Wir sind stärker, schneller und uns wachsen lange Eckzähne.“

„Kein Klischee?“

„Das leider nicht. Obwohl ich wünschte, es wäre eins. Wenn dir die Zähne wachsen, kribbelt es unangenehm. Unsere Eckzähne sind mit einem lähmenden Gift behaftet. Uns tut es nichts, aber das Opfer machen wir dadurch bewegungsunfähig. Und über den Eckzähnen befinden sich Drüsen, die eine Art Halluzinogen absondern. Als sich zu Akiko sagte, dass sie wieder glücklich mit ihrem Freund sein würde, hat sie sich das vorgestellt und das Halluzinogen hat ihre Vorstellung verstärkt und ihr suggeriert, dass es echt wäre. Deswegen sah sie glücklich aus, als ich sie gebissen habe.“

„Also stand sie unter Drogen?“

„So kann man es auch ausdrücken.“

„Ich verstehe.“

„Die meisten Vampire machen davon nicht Gebrauch, aber uns ist es wichtig. Wir wollen die Schmerzen nehmen, was wir auch tun.“

„Und warum hast du dann so traurig ausgesehen, wenn du doch etwas Gutes getan hast?“

„Na wie würdest du dich fühlen, wenn du jemanden umbringen würdest? Es ist, als ob der seelische Schmerz mit dem Biss auf dich selbst übergeht. Ich nehme den Schmerz auf, den mein Opfer erleidet.“

„Was?“

„Frag mich nicht, wie und warum das passiert. Manchmal ist es nicht sehr angenehm, aber ich denke, so tun wir Buße für das, was wir tun.“

„Und das haltet ihr aus?“

„Naja. Mal ja, mal nein. Einmal habe ich mich eine Woche in mein Zimmer eingesperrt, als ich einer Frau das Leben nahm, die ihr Kind verloren hatte. Der Schmerz hat mich fast zerrissen.“

„Das tut mir Leid.“

„Entschuldige dich nicht dafür. Das ist unsere Strafe.“

„Und ist es bei den anderen auch so?“

„Bei unserem Clan? Überwiegend. Das Problem ist, das Opfer zu spüren. Nur Ethan und ich können auch seelische Schmerzen spüren. Die anderen wittern nur körperliche Schmerzen. Ab und zu gehe ich zusammen mit Jay auf die Jagd und überlasse ihm dann Opfer mit seelischen Schmerzen. Er kommt damit besser zurecht, als ich. Vielleicht bin ich als weibliches Wesen emotionaler. Keine Ahnung. Aber für Ethan ist es glaube ich am schwersten.“

Shana spannte sich kaum merklich an. Bisher hatte sie noch nicht viel über Ethan herausgefunden. „Warum ist es für ihn am schwersten?“ Eigentlich hasste sie ihn und es war ihr egal, aber die verdammte Neugier konnte man leider nicht immer besiegen.

„Er sucht sich Extremfälle raus. Vergewaltigte Frauen, misshandelte Menschen oder auch Menschen, die ihre Liebsten auf grausamste Art verloren haben.“

„Wieso tut er das?“ Sie ärgerte sich über sich selbst. Sie sollte still sein und nicht noch weitere Fragen über ihn stellen. Blöde, blöde Shana!

„Keine Ahnung. Aber wenn nicht, hätte er mich wahrscheinlich nicht gefunden.“

„Willst du damit sagen, dass Ethan dich-“ Sie konnte nicht weiter sprechen. Natürlich. Wenn nur Ethan und Chris die Fähigkeiten hatten, seelische Schmerzen zu spüren, war die Sachlage doch eindeutig.

Chris ließ sie plötzlich los und sprang auf. „Hast du Hunger? Lass uns was essen gehen.“

„Chris-chan. Stimmt es, dass-“

„Wir gehen essen und dann erzähle ich dir alles.“, unterbrach sie Shana und lächelte. Ihre Augen waren mittlerweile wieder braun und es sah so aus, als ob es ihr besser ging.

Shana musste ihre Neugier befriedigen. Ob sie nun wollte oder nicht. Solche Laster waren wirklich nicht vorteilhaft gewesen. Aber sie wollte unbedingt die Geschichte von Chris hören.

Also sprang sie auf und folgte dem Vampir, der sie immer mehr faszinierte. Sie war gespannt, was diese ihr zu erzählen hatte.
 

And that's all?
 

Soa. Bin doch schon schneller fertig geworden. Also… Ich wünsche euch auf diesem Wege eine fröhliche Weihnacht und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Wir sehen uns dann ungefähr am 20. oder 25. Januar mit Kapitel 8 wieder.

Ich hoffe, ihr wart alle lieb und bekommt schöne und viele Geschenke.

Bis denn dann
 

BabyG



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  Severinam
2008-09-29T19:40:32+00:00 29.09.2008 21:40
Also, Hallo erstmal
Bin Heute auf deine Story gestoßen und finde sie ganz interessant.
Alerdings werde ich noch etwas Brauchen um sie ganz dürchzulesen.
Mir ist etwas aufgefallen das ich dir unbedingt nahe legen möchte.

"würde nichts ferner liegen" Bedeutet soviel wie "ich will das nicht tun". Es ist also etwas negatives. Was du meinst ist "würde nichts lieber tun".

Ich habe diesen Fehler schon mehrmals gefunden bis zu diesem Kapitel(Jäger und gejagte).

Jetzt werd ich erstmal weiter lesen.

viele liebe Grüße
S.
Von: abgemeldet
2008-01-22T18:45:42+00:00 22.01.2008 19:45
Tolles Kapi ^-^!
Ich finds toll wie Chris Akiko ... umgebracht hat o.O...xD
Ich find es immer sau lustig zu lesen wie sich Shana und Ethan streiten xD
Ich mag Shana total gern x3 Ich liebe ihren charakter.
Ach ja...Wenn das neue Kapi dann bei animexx ist kannst du mir dann ne ENS schicken ><?
Würde mich voll freuen :3

Mach weiter so ich freu mich schon tierisch auf das nächste Kapi!

LG meloO x3!
Von:  Kitty019
2007-12-27T09:36:05+00:00 27.12.2007 10:36
cooles kappi ich bin schon auf ethan gespannt hoffentlich benimmt er sich in zukunft etwas besser *gg*
Von:  Tamatoshi
2007-12-20T17:23:15+00:00 20.12.2007 18:23
vielleicht sollte Ethan mal nen benimmkurs belgen, des würde diesem kerl vll mal ganz gut tun! :3
shana tut mir echt schrecklich leid, ihre familie kümmert sich gar nicht um sie und außerdem hat sie dann noch den ganzen stress mit dem clan!phu, hoffentlich kommt da irgendwann noch ein kleiner lichtblick^.^
echtn supi kappi^^
i wish you merry christmas and a happy new year!! ;D

SCHRANK
Von: abgemeldet
2007-12-19T15:31:54+00:00 19.12.2007 16:31
frohe weihnachten! und guten Rutsch! :-*


war ein schönes Chapie^^
Du musst schnell mit Chris und Ethans Vergangenheit rausrücken! Bitte Bitte Bitte!!!
Scheint ja RICHTIG interessant zu werden....uiii jetzt bin ich gespannt (wie Flitzebogen (ja zuviel Bibi Blocksberg xDDD))

hdgggggggggggggggggggggggggggggggggggdl
Berry

(PS: Ja ich weiß mein Review muss sich ein "bisschen" blöd anhören aber ich denk du weißt wies gemeint ist^^")
Von: abgemeldet
2007-12-18T17:35:58+00:00 18.12.2007 18:35
yay! tolles kapitel :D
ich find chris voll sympathisch x3
und das sich der clan speziallisiert hat is auch total toll! :D
es hat sich verflucht schnell lesen lassen nubin ich geknickt das ich bis zum nächsten monat waretn muss eheihc wiete rlesenkann XDDD
ich wünsch dir auch ein schöens weihnachtsfest udn einen guten rutsch! ^^
Von:  Maron-Kusakabe
2007-12-18T16:25:59+00:00 18.12.2007 17:25
die ärmste erst ne Grippe und dann noch der anblick eines vampirs der einen menschen aussaugt, shana is wirklich stark!!!
aber die Gechichte von Ethan interresiert mich auch, bin genauso neugierig wie shana^^

auf zum nächsten kapi


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