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Bis(s) in den Tod

von

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Die Freuden der Seligkeit

Ein Mensch kann viel ertragen. Leid, Trauer, Liebe, Freundlichkeit, Schmerzen, Hass. Ein Mensch ist nur so stark, wie er es wirklich will. Er kann Dinge ignorieren oder er kann sie akzeptieren. Er kann Probleme lösen oder ihnen aus dem Weg gehen. Doch was macht er, wenn er weder das eine noch das andere kann?

Shana hätte es nie für möglich gehalten, dass man es mit seiner Familie noch schlimmer treffen konnte, als mit ihrer. Doch als sie die Geschichte von Chris hörte, wurde ihr bewusst, dass sie es doch ganz gut getroffen hatte.
 

Weh, weh, weh denen, die auf Erden leben.

Sie klappte das Buch zu und starrte ausdruckslos auf den schwarzen Einband. Gedankenverloren strich sie über die roten Schriftzeichen, die den Titel verrieten: „Verderben der Menschheit.“ Ein gutes Buch, befand sie. Dann wandte sie sich von dem Buch ab und schaute durch die breite Fensterfront nach draußen. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten und der Himmel erstrahlte in einem kräftigen blau. Wie sie den Sommer hasste. Die Wärme, den Sonnenschein, die Unbekümmertheit der Menschen. Der Sommer war positiv und gut. Das genaue Gegenteil von dem, was sie verkörperte. Der Blick auf die Standuhr verriet ihr, dass es Zeit für das Abendessen war. Nahrung zu sich zu nehmen empfand sie als nutzlos und als Zeitverschwendung. Wozu essen? Um am leben zu bleiben? Und was, wenn man gar nicht leben wollte?

Xiaofan erhob sich seufzend. Sie strich ihr schwarzes langes und schlicht geschnittenes Kleid glatt. Es war hochgeschlossen und gab so gut wie keine Haut frei. Sie sah aus, als ob sie auf eine Beerdigung gehen würde. Ihr schwarzes Haar hatte sie heute zu einem strengen und festen Dutt zusammengebunden. Dadurch sah sie sehr erwachsen aus, nicht wie ein 14- jähriges Kind. Ihre Haut hatte eine unnatürliche Blässe und die schwarze Schminke hob dies noch hervor. Wenn sie vernünftig essen und sich der Sonne aussetzten würde, hätte sie vielleicht etwas mehr Farbe. Aber ihr gefiel die Porzellanhaut, also machte das nichts.

Ihr Blick glitt über das spartanisch eingerichtete Zimmer. Ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Tisch mit einem Stuhl und ein Regal mit Büchern. Die Wände hatte sie mit schwarzem Tüll verhangen, sodass ihr Zimmer düster erschien. Perfekt. Mechanisch bewegte sie sich zur Tür und trat in den Flur. Hier erstrahlte alles in hellen Tönen wie weiß oder gelb. Eine Beleidigung für ihre Augen. Sie hasste es.

Hochmütig stieg sie die Treppen herunter, ging durch das Foyer direkt in den Speisessaal. Ein dunkler Eichentisch nahm den gesamten Raum ein. Stühle aus demselben Holz umsäumten den Tisch. Sie war nicht allein. Leider. Am Kopf des Tisches saß ihr Erzeuger, Cheng Qiang. Vater konnte man diese Person nun wirklich nicht nennen. Er war schlank, sein schwarzes kurzes Haar, war schon von einigen grauen Strähnen durchzogen, sodass man ihm seine 50 Jahre schon ansah. Er hatte ein markantes Gesicht und seine dunklen Augen strotzten nur so von Stolz und Kälte. Die Frau zu seiner rechten war ihre Stiefmutter, Cheng Lanfan. Oder wie auch immer man diesen Zustand bezeichnen sollte. Sie strahlte soviel Erhabenheit und Arroganz aus, dass Xiaofan bei diesem Anblick immer übel wurde. Familie war doch was Schönes. Hätte sie doch bloß keine gehabt.

Langsam ging sie zu ihrem Platz und setzte sich. Sie sah diese ihr so fremden Personen nicht an, sondern starrte auf die gegenüberliegende Wand. Der erste Gang, bestehend aus einer undefinierbaren Brühe, wurde serviert. Xiaofan starrte den Inhalt ihrer Schüssel an. Sollte sie essen oder nicht? Sie war es leid, so eine profane Zeitverschwendung ausüben zu müssen.

„Xiaofan!“, erdreistete sich ihr Erzeuger sie anzusprechen. Sollte sie darauf reagieren oder nicht? Fast alles was sie tat, wägte sie vorher ab. Ob es sich überhaupt lohnte Dinge zu tun oder nicht. Diesmal entschied sie sich, ihm zu antworten. „Was wünscht ihr?“ Sie würde ihn niemals duzen. Das tat sie nie. Das wäre viel zu persönlich und würde eine Zuneigung verraten, die sie beim besten Willen nicht empfand.

„Was soll dieser Aufzug? Du bist eine Schande für die Familie Cheng!“

„Selbstverständlich. Deswegen tue ich es ja auch.“ Normalerweise rechtfertigte sie sich nicht - es war überflüssig - aber heute hatte sie zur Abwechslung mal gute Laune.

Und im nächsten Augenblick hatte sie sich eine Ohrfeige eingefangen. Sie zuckte nicht mal.

„Sei nicht so frech!“

„Ihr beliebt zu scherzen. Das ist meine einzige Freude.“ Und schon hatte sie die nächste sitzen.

Als das Essen beendet war, hatte sie sich noch sechs weitere Ohrfeigen eingefangen. Ihre Wangen glühten und brannten ziemlich, aber das interessierte sie nicht sonderlich. Warum redete er auch mit ihr? Er wusste doch, wozu das führte. Ihre so genannte Stiefmutter schaute dem Schauspiel immer stumm zu. So wie immer. Nichts hatte sich verändert und es würde sich auch nichts ändern. Niemals.

Es war bereits dunkel, als Xiaofan draußen auf ihrem Balkon stand und in die Nacht blickte. Eine mondlose Nacht, die angenehmste Zeit für sie. Es war dunkel, trist und leblos. Genauso wie sie es mochte. Immer wenn sie sich an der Nacht erfreute – es war fast ihre einzige Freude – dachte sie über ihr bisheriges Leben nach.

Wie kam es, dass sie in dieser Hölle leben musste? Das war leicht zu beantworten. Sie war ein uneheliches Kind gewesen, welches nur durch Lügen und Intrigen einen Platz in der Gesellschaft fand. 1979 hatte eine Frau in China nur zwei Möglichkeiten. Entweder man heiratete und gebar dem Ehemann einen Sohn oder man wurde Prostituierte. Ihrer Mutter blieb nur die zweite Möglichkeit. Sie wusste, dass ihre Mutter Shuang hieß, mehr aber auch nicht. Qiang wurde Kunde bei ihr. Einmal passten sie nicht auf und ihre Mutter wurde schwanger mit Xiaofan. Doch ihr Vater konnte es sich nicht leisten, ein Kind von einer Hure zu bekommen. Er versuchte alles, um sie zu einer Abtreibung zu bewegen, doch Shuang weigerte sich. Das Schlimmste war, dass er kurz nach dieser Liaison seine jetzige Frau, Lanfan, ehelichte und sie erwartete ebenfalls ein Kind von ihm. Das und der Umstand, dass er der Leiter einer großen Firma war, brachte ihn mehr und mehr in Bedrängnis. Shuang beteuerte zwar, dass sie weder Ansehen noch Geld von ihm wollte, doch das glaubte er ihr nicht. Warum sollte er auch? Er traute niemanden außer sich selbst. Ihre Mutter war schon im 8. Monat mit Xiaofan schwanger, als er kurzerhand einen Killer anheuerte und sie umbringen ließ. Zu seinem Pech wurde sie schnell gefunden. Bevor die tödliche Wunde sie dahinraffen konnte, gab sie noch den Namen des Vaters preis und brachte eine gesunde Xiaofan zur Welt. Qiang bekam das mit und wollte Xiaofan ebenfalls umbringen lassen, doch dann erlitt Lanfan eine Fehlgeburt. Sie war im 7. Monat schwanger. Und so fügte sich alles perfekt zusammen. Um der großen Schmach zu entgehen, floss viel Schweigegeld und Xiaofan wurde als das Kind von Lanfan ausgegeben.

Zwar hatte sie jetzt ein Dach über den Kopf, doch sie war die Tochter einer Hure. Und so wurde sie auch behandelt. Ihre ‚Eltern’ hassten sie jeden Tag aufs Neue und bis auf das Kindermädchen und den Hauslehrer bekam sie niemand zu sehen. Und selbst diese Personen brachten ihr Verachtung entgegen. Das prägte Xiaofan aufs Schärfste. Schon früh verfiel sie in Depressionen. Sie aß nur, wenn es nicht mehr anders ging, redete nicht und sah alle so ausdruckslos und desinteressiert an, dass sie täglich Prügel bezog. Liebe war ein Witz. Sie hatte darüber mal etwas in einem Buch gelesen und brachte darüber fast ein Lächeln zustande. Der einzige Gefühlsausbruch, seit sie denken konnte. Ihr Erzeuger strafte sie mit soviel Verachtung, dass sie auf ihre ganz persönliche Art gegen ihn rebellierte. Sie zerriss seine Bücher, zerdepperte Geschirr und steckte sogar das Wohnzimmer in Brand. Wie gerne wäre er sie losgeworden, doch die Angst, dass Xiaofan im Kinderheim das dunkle Geheimnis ihrer Existenz preisgeben könnte, war einfach zu groß. Dieses Risiko konnte er nicht eingehen. Und woher Xiaofan das alles wusste? So albern es auch war, ihr so genannter Vater führte Tagebuch. Falls er mal sterben würde – was nach ihrem Geschmack leider nicht schnell genug ging – würde das Tagebuch sein Leben beschreiben. So sagte er das zumindest immer. Das war Blödsinn. Er las nur jeden Abend gerne, was er in seinem bisherigen Leben alles erreicht hatte.

Xiaofan wunderte sich, warum ihre Stiefmutter bei dieser Farce überhaupt mitmachte. Immerhin hatte man ihr ein völlig fremdes Kind untergeschoben. Aber vielleicht hatte sie auch einfach Angst um ihr Ansehen und das Geld, was sie verloren hätte, hätte sie nicht zugestimmt.

Xiaofan seufzte. Womit hatte sie das nur verdient? Sie schaute über den Rand des Balkons nach unten. Wie oft schon hatte sie versucht sich umzubringen? So viele Male, dass sie schon aufgehört hatte zu zählen. Und alle Versuche scheiterten. Nahrungsverweigerung gelang nicht, weil man ihr das Essen dann rein zwang, wenn es kritisch wurde. Und immer wenn sie versuchte sich zu ertränken oder sich die Pulsadern aufschnitt, wurde sie leider immer rechtzeitig gefunden. Auch der Sprung vom Balkon brachte nichts, da es nicht hoch genug war. Einmal hatte sie es versucht und sich dabei nur den Arm gebrochen. Mehr auch nicht.

Ich sollte es mal mit erhängen versuchen, überlegte sie. Nur würde das etwas bringen? Immerhin waren die Leute, mit denen sie gezwungenermaßen unter einem Dach lebte, vorsichtiger geworden, wenn es darum ging, sie am Leben zu erhalten. Alle scharfen Gegenstände wurden weggeschlossen, so wie auch Medikamente. Das ödete sie an. Der Tüll an ihren Wänden würde ihr Gewicht sicher nicht tragen, aber das Bettlaken würde ihr diesen Dienst vielleicht erweisen.

Xiaofan wandte sich von der tröstenden Nacht ab und trat wieder in ihr Zimmer. Fünf dicke Kerzen erhellten den Raum spärlich. Genauso wie sie es mochte. Sie wollte sich gerade ihr Bettlaken greifen, als die Schiebetür zu ihrem Zimmer sich öffnete und ihr Erzeuger den Raum betrat.

Leicht runzelte sie die Stirn. War es schon wieder soweit?

Leise schob er die Tür wieder zu und sah sie hasserfüllt an. Hätte sie Gefühle ihm gegenüber gehegt, sähe ihr Blick wahrscheinlich ähnlich aus. Aber zu Gefühlen war sie schon längst nicht mehr in der Lage gewesen.

„Das, was du dir heute Abend beim Essen geleistet hast, ist unverzeihlich.“, knurrte er sie an.

„Es war nicht schlimmer als sonst auch.“

„Sei still!“, brüllte er. „Du bist nichts weiter als eine dreckige Hure! Selbst der Dreck unter meinen Schuhen ist mehr wert als du.“

Xiaofan nickte. Er hatte Recht und sie würde ihm nicht widersprechen. „Dann lasst mich doch einfach sterben.“

„Oh nein. Das hättest du wohl gerne.“, zischte er. „Du bist dazu da, um mir zu dienen und als Prellbock zu fungieren.“

Am liebsten hätte sie genervt mit den Augen gerollt, aber soviel wollte sie ihm nicht zugestehen. Sie sah, wie er die Schnalle an seinem Gürtel löste und ihn dann aus der Hose zog. „Du weißt, was du zu tun hast, meine abscheuliche Hure.“

„Natürlich.“, erwiderte sie trocken.

Langsam öffnete sie die Knöpfe ihres Kleides. Es dauerte auch nicht lange, bis sie völlig nackt vor ihm stand. Sie kannte die Prozedur. Deswegen überraschte es sie auch nicht, als er mit dem Gürtel ausholte. Erst verprügelte er sie mit dem Gürtel, bis ihn das so erregte, dass er selbst seine Kleider ablegte und sie vergewaltigte. Wenn er dann fertig war, zog er sich wieder an und verließ das Zimmer.
 

Nackt lag sie auf dem zerwühlten Bett und starrte an die Decke. Sie fühlte nichts. Keine Schmerzen, als er sie schlug, keine Angst, als er sich an ihr verging. Irgendwie hatte er ja auch recht gehabt. Ihre Mutter war eine Hure gewesen und diese Tradition musste sich mit ihr fortsetzten.

Als sie 11 wurde, fing er an, sie mit dem Gürtel zu schlagen. Erst war es nur ein Geburtstagsgeschenk gewesen, doch dann fand er Gefallen daran und kam fast jeden Abend. Denn entweder tat er es, weil sie frech war oder weil er einfach Lust dazu verspürte, sie zu schlagen. So genau konnte man das nie sagen.

Als sie dann 12 wurde und ihr Busen anfing zu wachsen und ihr Körper weiblicher wurde, fing er an, sich nach den Prügeln an ihr zu vergehen. Das erste Mal hatte sie sich doch tatsächlich sogar gewehrt.

An den Gedanken daran fing ihr Mund leicht zu zucken an. Wie töricht sie doch war. Ihre Gegenwehr hatte ihn nur noch mehr angestachelt. Er wollte sie für ihre Existenz bestrafen und konnte seiner Wut anscheinend nur so Luft machen. Es war ekelhaft, seinen nackten Leib auf ihrem zu spüren. Bei seinem tiefen Keuchen wurde ihr immer übel. Doch bald sah sie den Vorteil an dieser Sache. Sie fühlte sich ihrer Stiefmutter gegenüber überlegen. Denn immerhin legte er Hand an Xiaofan und nicht an Lanfan. Das rieb sie ihr ständig unter die Nase und der Gesichtsausdruck eben dieser Frau befriedigte sie. Ihre Stiefmutter konnte nicht viel dagegen tun. Sie steckte zu tief drin in diesem Geflecht aus Lügen. Wenn sie androhen würde ihn zu verlassen, hätte er sie ohne zu zögern umgebracht. Sie musste es einfach hinnehmen.

Xiaofan richtete sich auf. So amüsant das Ganze auch war – sie hatte keine Lust mehr. Sie ging ins Bad und wusch sich die letzten Stunden vom Körper. Ihre Haut war von Narben und blauen Flecken übersäht. Manche Verletzungen hatte sie sich selbst zugefügt, andere stammten von ihrer so genannten Familie. Sie zog sich ein schwarzes Kleid an und band ihre Haare zu einem Zopf. Dann nahm sie sich ihr Bettlaken und ging wieder auf den Balkon. Das eine Ende verknotete sie am Geländer. Dann setzte sie sich auf das kalte Gestein von der Brüstung und wollte sich gerade das andere Ende um den Hals binden, als ein Geräusch sie innehalten ließ. Fast wäre sie gefallen, doch sie konnte sich noch rechtzeitig festhalten. Wie gesagt, runterspringen brachte nichts. Als sie ihr Gleichgewicht wieder gefunden hatte, wandte sie ihren Kopf nach rechts und da war er.

Er saß auf dem steinernen Pfeiler, der die Längsseite des Balkons begrenzte. Sein schwarzes Haar wehte leicht im Wind, sodass es noch mehr verwuschelte, als es eh schon war. Seine Augen funkelten in einem hellen braun. Er trug normale Schuhe, dazu eine schwarze Hose und ein schwarzes Shirt. Darüber trug er einen schwarzen Ledermantel. Seine Haut war noch blasser als ihre. Sie fragte sich, wie er es auf das Grundstück geschafft hatte. Selbst ihr war es unmöglich, dass Gelände zu verlassen. Sie hatte es schon des Öfteren versucht, doch es gab zu viele Wachleute und Hunde. Leicht runzelte Xiaofan die Stirn.

„Guten Abend.“, sagte er mit sanfter und heller Stimme. Sie bemerkte, dass er einen leichten Akzent hatte.

„Kann ich etwas für Sie tun?“

„Wäre möglich.“

„Nun ja. Dann sollten Sie ihre Forderungen schnell vorbringen, denn ich bin gerade dabei mich umzubringen.“ Um ihre Aussage zu untermauern, hielt sie das eine Ende des Lakens hoch. Sie fragte nicht wer er war oder wie er es auf den Balkon geschafft hatte. Es interessierte sie einfach nicht.

Er schmunzelte. „Genau deswegen bin ich hier, Cheng Xiaofan.“

Das wunderte sie dann doch. Woher kannte er ihren Namen? Sie wurde so sehr aus der Gesellschaft raus gehalten, dass sie praktisch nicht existierte. Doch wollte sie das wirklich wissen? Sie wägte es ab und traf dann ihre Entscheidung. „Sie kennen mich?“

„Ich beobachte dich schon eine ganze Weile.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Kann ich dann weitermachen mit meinem Selbstmord oder kommt noch was Konkretes von Ihnen?“, fragte sie, als er längere Zeit nichts sagte.

„Willst du wirklich sterben?“

„Das hatte ich eigentlich vor.“

„Was würdest du davon halten, wenn ich dir die Freuden der Seligkeit zuteil werden lasse?“

„Nein, danke.“

Er blickte sie verwundert an. „Du weißt, was das ist?“

„Nein, aber Freuden belasten mich nur. Ich bin an negative Gefühle gebunden und hasse positive.“

Diese Antwort überraschte ihn sichtlich, doch dann grinste er. „Du hasst also das Gute und das Leben?“

„So kann man es ausdrücken.“

„Was würdest du dann davon halten, wenn ich dir noch einen anderen Weg eröffne?“

„Hat es was mit Freuden zu tun?“

Er lachte leise. „Ganz sicher nicht.“ Sein Lachen erstarb und er wurde ernst. „Das Leben, welches ich dir vorschlage, ist mit dem Tod behaftet. Ist dir der Begriff ‚Vampir’ geläufig?“

Natürlich wusste sie, was ein Vampir war. Sie hatte einige Bücher darüber gelesen. Und jetzt erst viel ihr auf, dass er offensichtlich ein Vampir war. Sie schaute erst auf das Bettlaken und dann sah sie ihn wieder an. „Ihr wollt mir anbieten, mich zu einem Vampir zu machen?“

„So sieht es aus. Du wirst dich von Blut ernähren müssen und kannst nur des Nachts wandeln. Dein Herz erkaltet und ‚schön’ wird dieses Leben sicher nicht.“

Wieder begann ihr Mundwinkel zu zucken. „Von mir aus. Ich nehme an.“

Anscheinend war er nicht verwundert darüber. Er stand auf und sprang vom Geländer. Dann ging er langsam und sanft wie eine Katze auf sie zu. Ihr fiel auf, dass seine Augen wie pures Gold leuchteten.

„Die Verwandlung wird schmerzhaft.“, warnte er noch.

„Umso besser.“

Er zog sie zu sich hinab. Kurz noch erhaschte sie einen Blick in diese wunderschönen Augen und dann biss er in ihren Hals. Seine kalte Hand, die neben seinen Lippen auf ihrem Hals lag, jagte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken. Sie spürte, wie er ihr das Blut und gleichzeitig das Leben aussaugte. Zeitgleich floss etwas anderes in ihre Blutbahn. Es fühlte sich an, als ob pure Säure durch ihren Körper floss. Es war großartig. Er trank noch ein wenig und ließ dann von ihr ab. Ihr Herz pochte wie verrückt und die Schmerzen waren berauschend. Besser als jeder Selbstmordversuch.

Sie blickte ihn an. Sein Mund war blutig und die Intensität seiner goldenen Augen ließen sie leicht lächeln. Er hob seine Hand, die zuvor noch auf ihrer Kehle lag und biss in sein Handgelenk. Dabei ruhte die ganze Zeit sein Blick auf ihr. Dieser Moment hatte wahrlich etwas Intimes. Als er seine Haut durchgebissen hatte und es anfing zu bluten, hielt er ihr sein Handgelenk hin. Sie zögerte nicht einen Moment, öffnete ihren Mund und legte ihn über die blutende Wunde. Gierig saugte sie das Blut aus seinen Adern.

Plötzlich zuckte etwas durch ihre Synapsen. Sie sah eine Frau vor ihrem inneren Auge. Sie war von atemberaubender Schönheit. Sie hatte schwarzes, leicht gewelltes Haar, welches ihr bis zur Hüfte reichte. Ihre eisblauen Augen wirkten kühl. Ihre ganze Erscheinung wirkte erhaben und unnahbar. Noch mehr Bilder flossen durch ihren Kopf, doch sie verschloss dies tief in ihren Gehirnwindungen.

Irgendwann reichte es ihm und er entzog ihr sein Handgelenk. Blut klebte an ihren Lippen und einige Rinnsale liefen an ihrem Kinn herunter. Vorsichtig strich er diese mit seinem Daumen fort und leckte das anhaftende Blut ab. Immer noch sah er sie an.

„Euer Name!“, forderte sie flüsternd. Xiaofan spürte, wie sie bald das Bewusstsein verlor. Er grinste. „Ethan.“

„Danke.“, wisperte sie.

„No problem, cute girl.“

Dann war sie weg.
 

Als sie erwachte, brauchte sie einen Moment zur Orientierung. Erst als sie die Erinnerungen und die Bilder sortiert hatte, konnte sie sich einen Reim darauf machen, warum sie sich so kraftvoll fühlte und warum ihr so kalt war. Es war einfach großartig.

Vorsichtig schlug Xiaofan die Augen auf und fand sich in einem Bett wieder. Und dieses hier war komischerweise viel bequemer, als ihr eigenes. Also schlussfolgerte sie, dass sie nicht mehr in der Anstalt war, in der sie eine so lange Zeit leben musste. Konnte sie der Hölle also tatsächlich entkommen sein? Außer dem Bett standen in dem Zimmer noch ein Stuhl, ein Tisch und ein kleiner Schrank. Auf dem Stuhl saß Ethan und musterte sie.

„Auch schon wach.“, bemerkte er trocken.

Xiaofan zuckte etwas. Irgendwie nahm sie alles ganz anderes wahr, als sonst. Sie hörte Dinge, die sie nicht mal benennen konnte. Ihr Sehvermögen war viel deutlicher und schärfer, als gewöhnlich. Die Farben so intensiv, als ob sie sie anspringen würden.

„Man gewöhnt sich an die geschärften Sinne.“ Er bemerkte anscheinend, wie ungewohnt diese neue Wahrnehmung für sie war.

„Hast du wirklich niedliches Mädchen zu mir gesagt?“ Da sie ihr Blut miteinander geteilt hatten, verzichtete sie auf das Sie. Bei dem Klang ihrer Stimme zuckte sie abermals zusammen- sie war melodisch und irgendwie süß. So niedlich wie kleine Kinder sonst nur redeten. Sie verzog das Gesicht. Das war ja ekelhaft.

„Du kannst Englisch?“, fragte er erstaunt.

„Ein bisschen.“

„Interessant.“

Xiaofan stand vom Bett auf. Sie trug immer noch das gleiche Kleid. Also hatte er sie nicht weiter angerührt. Ihr Zopf hatte sich gelöst und ihre Haare hingen ihr wie ein schwarzer Vorhang vor dem Gesicht. Energisch strich sie sich die Strähnen aus dem Gesicht, aber sie fielen immer wieder zurück. Ärgerlich.

„Wie fühlst du dich?“

„Kalt.“

Wieder grinste er. „Durstig?“

„Ein wenig.“ Sie konnte eigentlich immer gut Durst und Hunger ignorieren, aber das war noch in lebenden Zeiten gewesen. Jetzt war der Durst fast unerträglich. Ihre Kehle brannte förmlich. Ethan hob ein Glas mit tiefroter Flüssigkeit hoch und schwenkte es leicht. Dadurch entfaltete sich ein Geruch, der Xiaofan fast um den Verstand brachte. Mit drei langen und nebenbei bemerkt, sehr geschmeidigen Schritten, war sie bei ihm und nahm ihm das Glas aus der Hand. Doch sie konnte noch ein wenig Selbstbeherrschung aufbringen und es ihm nicht zu entreißen. Das hätte nämlich schon eher ihrem Geschmack entsprochen. Ihre Hand zitterte ein wenig, als sie das Glas zu ihrem Mund führte und die Flüssigkeit gierig hinunterschlang.

„Ein wenig.“, spottete er.

Als das Glas leer war, leckte sie sich genussvoll über die Lippen. „Du hast es erfasst.“ Sie spürte, wie das Blut ihre Kraft nährte und das Brennen der Kehle milderte. Wohlige Schauer jagten Xiaofan über den Rücken. Ein Vampir zu sein fing langsam an ihr zu gefallen.

„Und nun?“, fragte sie leichthin und setzte sich aufs Bett.

„Hast du keine Fragen?“

„Ich halte mich nie mit unwichtigen Dingen auf.“

„Ich denke dein neuer Zustand ist nicht ganz unwichtig. Du solltest schon wissen, welche Regeln ein Vampir zu beachten hat.“

„Und du willst mich aufklären?“

„So ist es leider vorgeschrieben. Ich habe dich zu dem gemacht, was du jetzt bist. Deswegen muss ich dich einweisen, bevor du eigene Wege gehen kannst.“

Xiaofan schnappte kaum hörbar nach Luft. Er wollte sie also verlassen, wenn er seine Pflicht getan hatte. Wieso überraschte sie das überhaupt?

„Na dann fang mal an, damit du mich schnell loswerden kannst.“ Ihre Stimme troff vor Kälte.

Ethan grinste nur. „Wie? Du willst bei mir bleiben?“

„Habe ich das gesagt?“

„Hör zu. Du bist interessant. Ich habe dich sofort gespürt, als ich in China einreiste. So einen emotional kaputten Menschen habe ich noch nie getroffen. Doch auch ich bin emotional verstümmelt. Natürlich würden wir uns perfekt ergänzen, aber ich glaube das würde dich nur langweilen. Du bist frei und solltest die Welt erkunden und dich nicht an ein Frack binden.“

„Ich weiß nicht, warum du dich rechtfertigst. Ich habe doch gesagt, dass ich nicht bei dir bleiben will.“

„Natürlich. Du hast es nicht gesagt, aber wir haben unser Blut miteinander geteilt. Und auch irgendwie unsere Gedanken. Normalerweise ist das nicht üblich. War wirklich nicht schön, was ich da so in deinem Kopf gesehen habe. Aber wegen diesem Umstand weiß ich auch, dass du bei mir bleiben willst. Also mach mir nichts vor. Dein Entschluss stand fest, als ich dich gebissen habe.“

Sie grinste. Es fühlte sich fremd an, aber nicht falsch. „Und du meinst, dieser Entschluss besteht noch?“

„Oh ja.“

Ihr Grinsen wurde breiter. Langsam schmerzten schon ihre Mundwinkel, doch sie konnte damit einfach nicht aufhören. Das war das erste Mal, dass sie Grund zum Grinsen hatte und das wollte sie in vollen Zügen genießen. „Und wenn es so wäre?“

„Dann solltest du wissen, dass ich kaltschnäuzig bin. Ich will nichts von dir. Das was ich wollte, habe ich bekommen. Was also sollte ich noch von dir wollen?“

„Gleich und gleich gesellt sich gern.“

„Glaubst du wirklich, wir sind gleich?“ Er klang ein wenig entrüstet, was sie amüsierte. So was war ihr noch nie passiert.

„Wir haben unsere Gedanken miteinander geteilt, wie du es vorhin so schön ausgedrückt hast.“, erklärte sie so ruhig und langsam, als ob sie mit einem geistig behinderten reden würde. Er schaute sie misstrauisch an. „Ich werde nie auch nur ein Wort über das verlieren, was ich gesehen habe. Das ist deine Sache. Doch wir sind uns ähnlicher, als du wahrhaben willst. Denn auch ich will nichts von dir. Ich habe bekommen, was ich wollte. Trotzdem wäre ich nicht abgeneigt, eine Weile bei dir zu bleiben.“

„Dir ist klar, dass ich eine Weile durch China reise und dann gezwungenermaßen wieder nach Japan gehe.“

„Passt mir prima. Mehr als die vier Wände von dieser Hölle, die ich zu Hause nennen musste, habe ich nicht gesehen. Nehmen wir doch einen Tag nach dem anderen. Dann sehen wir ja, was kommt.“

Ethan verzog ein wenig den Mund, doch dann grinste er. „Von mir aus. Versuchen wir es ein paar Tage zusammen.“
 

Aus den paar Tagen wurde ein ganzes Jahr. Ethan brachte ihr bei, was sie wissen musste. Nebenbei brachte er ihr noch Japanisch, Englisch und diverse andere Sprachen bei. Ihre negative Einstellung behielt sie zwar bei, doch sie war nicht mehr so stark ausgeprägt. Trotzdem lachte sie nicht. Mit Ethan kam sie sehr gut klar. Sie spürte, wenn er schlechte Laune hatte und ließ ihn dann in Ruhe. Er sprach nicht viel und wenn, dann nur das Nötigste. Es kam sogar vor, dass sie eine Woche kein Wort miteinander wechselten. Irgendwie war sie mit ihm verbunden und es fühlte sich gut an. Sie hegte zum ersten Mal so etwas wie freundschaftliche Gefühle für jemanden.

Für Xiaofan war die Zeit mit Ethan eine tolle Erfahrung. Sie hätte nie gedacht, dass es soviel zu sehen gab. Die ganzen Eindrücke erfreuten sie auf eine gewisse Art und Weise. Auch das Ernährungsverhalten von ihm begrüßte sie. Denn das besagte strikt, nur Menschen zu töten, die entweder mit einem Fuß schon im Grabe standen oder sich nach dem Tod sehnten. Es war interessant zu sehen, dass es Menschen gab, denen es noch schlechter erging. Doch die Extremfälle, die Ethan sich gerne suchte, mied sie. Denn so schön negative Gefühle für sie auch waren – soviel hielt sie dann doch nicht aus. Natürlich hatte sie die Medien interessiert verfolgt. Sie wollte ja wissen, was aus ihrem Erzeuger geworden war. Und was sie über ihn in der Zeitung las, überraschte sie nicht mal. Denn darin stand, dass Lanfan verrückt geworden war. Erst hatte sie Xiaofan umgebracht und dann sich selbst. Wahrscheinlich hatte er sich ein Mädchen aus den ärmeren Vierteln gesucht und diese dann als Xiaofan ausgegeben, damit das Ganze auch ein wenig glaubwürdiger war. Ihr Erzeuger hatte danach wieder geheiratet und erwartete diesmal einen Sohn. Endlich das, was er immer haben wollte.

Xiaofan überlegte ernsthaft, ob sie ihm das Blut aussaugen sollte, doch das war etwas, was sie nicht konnte und gegen die Regel verstieß. Dafür hatte sie sich einfach zu sehr mit der Philosophie von Ethan angefreundet. Doch rächen wollte sie sich, ging dabei aber weitaus subtiler vor. Sie brach eines Nachts bei ihm ein und stahl sein Tagebuch und diverse Dokumente und ließ diese anonym den Behörden zukommen. Das Triumphgefühl war herrlich, als er verhaftet wurde.
 

Als Ethan sich dann entschied wieder nach Japan zu gehen, begleitete sie ihn. Und insgeheim war er froh, dass sie es tat. Doch nach außen hin tat er wie immer gleichgültig und cool.

Doch sie hätte nie erwartet, dass sich ihre ganze bisherige Lebenseinstellung ändern würde, sobald sie Japan erreichten und sie die anderen kennen lernte.

Rowen ging ihr am Anfang gewaltig auf die Nerven. Er war so fürsorglich und väterlich. Gefühle, mit denen sie nicht umgehen konnte. Hunter benahm sich ähnlich wie Ethan, deswegen kam sie gut mit ihm zurecht. Hawk war noch besser, weil er gar nicht redete und sie die meiste Zeit ignorierte. Doch wen sie wirklich hasste, war Jay. Gleich schon, als sie ihn zum ersten Mal begegnete.

„Hallo.“, sagte Jay freundlich.

„Hallo.“, entgegnete Xiaofan reserviert.

„Ich heiße Jay Adams. Und wie heißt du?“

Statt zu antworten, schaute sie zu Ethan. Sie verstanden sich ganz ohne Worte, sodass er wusste, was sie wollte. Er nickte einmal und sie wandte sich wieder zu Jay. „Cheng Xiaofan.“

„Bitte, was?“

„Bist du taub?“

„Nein, nein. Der Name ist schwer auszusprechen.“

„Nicht mein Problem.“

„Weißt du was? Ich nenne dich Chris. Viel einfacher und es passt zu dir.“

„Nein!“

„Nicht?“

„Bist du dumm oder so?“

„Nein. Ich finde dich nur interessant, Chris.“ Dann lachte er und wandte sich ab.

Xiaofan sah Ethan verärgert an und er schüttelte nur den Kopf.
 

Es verging eine Woche.

Da sich Hunter und Rowen, sowie Jay und Hawk ein Zimmer teilten, schlief sie bei Ethan im Zimmer. Ihn störte es nicht und sie war froh, bei ihm wohnen zu können. Es war ihr einfach vertraut gewesen und nicht unangenehm, da sie sich auf ihrer Reise durch China schon ständig ein Zimmer geteilt hatten. Mit den anderen verstand sie sich dann auch bald besser. Ja selbst mit Rowen kam sie klar. Wenn man erstmal wusste, wie er tickte, war er ganz erträglich gewesen. Er war durch seine Tollpatschigkeit sehr speziell und man musste ihn einfach mögen. Doch Jay ging ihr nach wie vor auf die Nerven. Nicht nur seine ganze positive Art, sondern auch der Umstand, dass er sie ständig Chris nannte. Das führte dann soweit, dass es auch die anderen taten.
 

Sie versuchte Jay zu ignorieren, doch er schien es darauf anzulegen, sie zu nerven. Drei Wochen versuchte sie es eisern, doch dann hielt sie es einfach nicht mehr aus. Eines Nachts stellte Xiaofan Jay dann in seinem Zimmer zur Rede. Sie waren allein, da die anderen auf der Jagd waren.

„Hör mir mal gut zu!“, begann sie. „Ich kann dich nicht leiden und noch weniger mag ich es, wenn du mich Chris nennst. Ich bin keine Amerikanerin, sondern von chinesischer Herkunft. Also lass das gefälligst sein oder du wirst es bereuen.“ Das Gefühl von Wut kam ihr seit Neustem sehr leicht von der Hand. Allgemein etwas zu fühlen war neu, aber auch befreiend für sie gewesen.

„Tut mir leid.“, sagte Jay reumütig. „Ich hatte nur gedacht, na ja, neues Leben, neuer Name.“

„Wie bitte?“

„Dein altes Leben ging durch die Presse, musst du wissen. Ich habe darüber gelesen. Und ich meine, du wurdest von deinem Vater misshandelt und so. Du weißt ja, dass sie das Tagebuch veröffentlicht haben. Und da habe ich mir einfach gedacht, dass du das hinter dir lassen willst. Dein Name erinnert zu sehr an dein früheres Leben. Und da du dieses Leben aufgegeben hast, solltest du auch deinen Namen aufgeben, der dich bestimmt daran erinnert.“ Er lächelte. „Außerdem ist es wirklich schwer deinen Namen auszusprechen.“

Xiaofan war erstaunt. Sie dachte, dass er sie nur ärgern wollte. Wer hätte denn auch an so etwas Tiefgründiges gedacht. Diese Nettigkeit machte ihr Angst. Nie war jemand nett zu ihr gewesen.

„Wenn es dich wirklich so stört, dann höre ich auf. Versprochen.“, setzte er noch nach und senkte den Blick, um auf den Boden zu starren. „Ich wollte dich wirklich nicht verärgern. Nur es ist so… ich mag dich. Klar, wir kennen uns noch nicht lange und so, aber du hast mir auf Anhieb gefallen. Ich verstehe natürlich, dass du mich nicht magst, aber ich will, dass du es weißt.“

Es verschlug ihr die Sprache. Noch nie hatte ihr jemand positive Gefühle entgegengebracht. Was dachte er sich nur dabei? Und warum keimte so etwas wie Frohsinn bei diesen Worten in ihr auf? Es war ärgerlich. „War das alles?“, hörte sie sich fragen. Jay nickte. Dann trat sie auf ihn zu und er hob den Kopf. „Bist du mir böse?“

„Ich bin verwirrt.“

Er grinste. Dann beugte er sich ohne jede Vorwarnung zu ihr herunter und küsste sie. Nie gekannte Gefühle wallten bei dieser zärtlichen Berührung in ihr auf. Eigentlich hätte sie ihn wegschubsen sollen, aber es ging nicht. Auch wenn seine Lippen genauso kalt waren wie ihre, fühlte sie doch so etwas wie Wärme.

Aus dem Kuss wurde schnell mehr. Irgendwann lagen sie eng umschlungen auf seinem Bett. Doch als er anfing über ihren Körper zu streicheln, stoppte sie ihn.

„Warte!“

Sofort hörte er auf. „Tut mir leid.“, beteuerte er. „Ich wollte nicht… ich… oh man… Sorry. Ehrlich.“ Jay richtete sich auf und wollte aufstehen, doch sie hielt ihn zurück. Verwundert sah er sie an.

„Ich will dir nur eins sagen. Ich bin kaputt. Seelisch wie auch körperlich.“

„Ich weiß. Ich habe darüber gelesen.“

„Das allein reicht nicht. Ich wurde viele Male geschändet, geschlagen und verbal fertig gemacht. Ich bin nicht in der Lage etwas zu fühlen. Nicht solche Gefühle.“

„Ich verstehe.“

„Bist du sicher, dass du das tust?“

„Ich denke schon.“

„Und trotzdem willst du mich? Auch wenn du weißt, dass ich behindert bin?“ Er nickte. Jay legte sich wieder zu ihr und streichelte Xiaofan über die Wange.

„Du bist nicht behindert. Vielleicht auf Gefühlsbasis ein wenig unerfahren, aber sicher nicht behindert.“ Er lächelte. „Ich will dich wirklich. Glaub mir. Aber nicht, um mich körperlich zu befriedigen oder dich einfach als irgendein Objekt ansehen. Ich mag dich wirklich sehr gerne und wenn ich länger darüber nachdenke, habe ich mich auch ein wenig in dich verliebt. Das hier hat mehr mit Gefühlen zu tun. Es könnte dir wehtun.“

„Ich bitte dich. Ich habe schon lange keine Schmerzen mehr gefühlt. Und bei dieser Sache erst recht nicht. Dagegen bin ich immun.“

„Aber bisher war keine Liebe im Spiel. Möchtest du es trotzdem? Ich kann auch warten oder dich in Ruhe lassen. Ganz wie du es möchtest.“

Er ließ ihr die Wahl. Er ließ ihr tatsächlich die Wahl. Sie konnte entscheiden ob sie es wollte oder nicht.

Xiaofan schluckte und fing an zu zittern. Sie schaute in seine grünen Augen und erkannte, dass diese voller Wärme waren. Kein Hass und keine Abscheu. Nur irgendwie Wärme.

„Also gut.“, flüsterte sie. Jay lächelte und küsste sie wieder.

Und er hatte Recht. Es tat weh. Soviel Rücksichtnahme und Gefühl war schmerzhaft und qualvoll für Xiaofan. Trotzdem hatte sie nie Schöneres erlebt.
 

Von da an mochte sie Jay von Tag zu Tag mehr und mehr. Natürlich konnte sie ihren Wesenszug nicht von jetzt auf gleich vollständig ablegen, doch je mehr Zeit sie mit Jay verbrachte, desto fröhlicher wurde sie. Sie genoss es mit ihm zusammen zu sein. Mal redeten sie, mal liebten sie sich. Bald schon teilten sie sich ein Zimmer und Xiaofan machte den Wandel zu Chris durch. Sie hatte sich nie besser gefühlt. Sie hatte Freunde, auf die sie sich verlassen konnte und sie hatte Jay. Den Mann, den sie über alles liebte. Was komisch war, denn das hätte sie nie für möglich gehalten. Niemals. Jay nahm sie so, wie sie war. Kaputt und zerfressen und machte eine völlig neue Frau aus ihr.

Chris.
 

And that’s all?
 

Erstmal frohes neues Jahr euch allen. Da noch Januar ist, kann ich das ja noch sagen, ne? Gut. Das Kapitel ist jetzt keine Glanzleistung und vorerst höre ich mit den Lebensgeschichten der anderen auf. Freut euch schon auf das nächste Kapitel, dann wird es wieder spannender *smile*

Upload ist dann zwischen dem 20. und dem 24. Februar. Ich hoffe, ihr haltet bis dahin durch. Und danke für die ganzen lieben Kommentare. Das war das schönste Weihnachtsgeschenk überhaupt.

Bis denn dann
 

BabyG



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Maron-Kusakabe
2008-01-26T18:03:41+00:00 26.01.2008 19:03
also mir hat das Kapi super gefallen
Xiaofeng bzw. Chris hatte es echt schwer :-(
das Ethan so "nett" sein kann

freu mich aufs neue Kapi ^_^
Von: abgemeldet
2008-01-24T13:10:10+00:00 24.01.2008 14:10
*heul* Arme arme Chriis ;_;
Oh mein Gott was ist das bloß für ein Vater!
Freu mich schon riesig auf das nächste Kapi.
Juchu endlich wieder was über Shana xD
Auf Ethan freu ich mich auch ^^
Ob sie sich wohl wieder Zanken? =DD
Ach ja nochmal danke fürs bescheid sagen.
Mach weiter so!

LG meloO x3!
Von:  Kitty019
2008-01-24T10:45:14+00:00 24.01.2008 11:45
*schnief* arme chris so ein hurensohn von vater
aber jetzt versteht man mehr
freue mich schon darauf wie es mit shana weitergeht
kitty


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