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Ritual

Heimkehr eines Mörders
von

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Coming Home

Er lag auf dem Bett und zappte durch die Kanäle, bis er gefunden hatte, was er suchte. Wie jeden dritten Dienstag im Monat hatte er sich ein billiges Motelzimmer genommen, damit er sich CSI und Medical Detectives ansehen konnte. Es war unfassbar, was die Cops heutzutage alles konnten, herausfanden und taten um Mörder zu finden...

Nun, Steel war ein Mörder. Auch wenn er selbst das nicht in seinen Gedanken ausformulierte, aber bewusst war es ihm schon. Er wusste nicht, ob sie ihm auf der Spur waren. Er war zur Zeit mal wieder auf dem Weg nach San Francisco. Mitten auf der Landstraße in einer billigen Absteige hatte er es sich geleistet, mal in einem Bett zu schlafen, anstatt auf seinem Autodach. Eigentlich ging es ihm nur um den Fernseher... und es regnete in Strömen. Aber das ging ihm eigentlich am Arsch vorbei. Er hatte kaum noch Klamotten zum Wechseln dabei. Er brauchte Geld. Doch dies alles war nicht ausschlaggebend. Er entschied sich einfach, dass dies eine gute Nacht war. Er lag auf dem Bett und starrte an die Decke, befragte mit glasigen, stahlblauen Augen das Schicksal und suchte in der zufälligen Anordnung der konzentrisch verlaufenden Schimmelflecken eine Antwort, ein Opfer, für heute Nacht.

Vor seinem geistigen Auge verzogen sich die dunklen Flecken zu einem Wort, zu einem Satz, einer Prophezeiung, seine Lippen formten tonlos die Botschaft und vor seinen Augen erschien das Gesicht des schwitzenden Truckers, der heute Nachmittag mit ihm an der Bar im Diner gesessen hatte. Er würde auf eine günstige Gelegenheit warten, wenn nötig, würde er sich eine schaffen. Er rollte sich vom Bett und kam fast tonlos mit den schweren Stiefeln auf dem schäbigen Teppichboden auf. Er verharrte gekniet, wie ein Ritter vor seinem Meister und betete zum Schicksal. Er betete es möge ihm eine günstige Gelegenheit verschaffen, eine Panne an dem Truck,zum Beispiel. Wenn der Fahrer vielleicht kurz vor ihm aufbrach, würde er ihn langsam einholen und könnte ihn opfern. Die letzten Sekunden, die Augenblicke der Angst, das Adrenalin... Steel war süchtig nach diesen Gefühlen.

Fafarello ruhte auf dem Nachttisch neben der Fernbedienung und der Bibel, die dort lag. Er beobachtete seelenruhig, wie sein "Partner" zum Schicksal betete. Er hätte gelächelt, wenn er dazu im Stande gewesen wäre. Er mochte, mit welcher Hingabe Steel das tat, er mochte seine Abhängigkeit davon, anderer Menschen Leben zu beenden. Und er mochte, wie kühl und berechnend er vorging, mit wie wenig eigenen Emotionen er seine Taten beging, die doch so viel Sinn hatten. Für niemanden auf der Welt mochte es einen Sinn ergeben, aber für Steel war es alles auf der Welt. Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass dies tatsächlich ein menschlicher Geist ersinnen konnte, dass ein menschlicher Geist so fühlen konnte. Steel war auf seine Art und Weise traditionsbewusst. Fafarello wusste das zu schätzen. Und Steel betrog das Schicksal nicht, er nutzte es nicht aus, er bat es nur um seinen Segen. Fafarello wippte mit den Gliedern seines Schwanzes. Der Skorpion verfiel dem Rhythmus der KanjiSilben, der leisen Worte, die Steel ununterbrochen und monoton an das Schicksal richtete. Er verfiel den Schwingungen der sonoren Stimme und der Eintönigkeit der Laute. Er war zufrieden und dankbar, ließ seinen Instinkten freien Lauf und genoss den tödlichen Paarungstanz zwischen Schicksal und Auserwähltem.

Steel betete einige Stunden, fokussierte seine Energien und schenkte sie dem Schicksal, dem er sich übergab, das entscheiden würde, ob er irgendwann gefangen würde. Kampflos würde er sich jedoch nicht ergeben, das war nicht seine Art. Er war ein Auserwählter des Schicksals, das wusste er. Er näherte sich vorsichtig dem Klacken auf dem Nachttisch. Es war jetzt vollständig dunkel im Raum. Steel bewegte seine Hand vorsichtig zu dem Skorpion herüber, der sich unablässig in einem nicht mehr vorhandenen Rhythmus wiegte. Die große, kräftige Hand des Halbasiaten streichelte unsagbar vorsichtig über den Rückenpanzer des Familiars. Der Schwanz zuckte leicht, aber Steel streichelte ihn bis zu seiner tödlich giftigen Spitze. Er stach nicht zu. Ein gutes Zeichen, das Schicksal war ihm wohlgesonnen.
 

Am Nachmittag des nächsten Tages erreichte Kira Oe in seinem alten Ford San Francisco. Er wühlte sich durch den Straßenverkehr und näherte sich China Town. Er parkte den Wagen auf einem Parkplatz am Straßenrand und stellte die Parkuhr ein. Er steuerte auf eine kleine Teebar zu und nahm dabei sein langes Kampfmesser vom Gürtel. Er hatte das Blut des Truckers sorgfältig abgewischt und die Klinge glänzte und roch nach Zitrus. Er stapfte zur Theke der Bar und legte das Messer in eine Kiste, die hinter dem Tresen aufgestellt war. Der alte Chinese, der hinter demselbigen stand nickte ihm zu. Kira setzte sich an einen Tisch in einer dunklen Ecke hinter einem Aquarium mit bunten Koikarpfen im hinteren Teil des Lokals. Der alte Mann kannte ihn, seit er ein kleiner Junge war. Kira war in Frisko aufgewachsen. Unter Fremden. Seine Sucht aber trieb ihn quer durch die USA, um das Risiko entdeckt zu werden möglichst gering zu halten. Der Trucker hatte glücklicherweise auch eine ordentliche Stange Geld bei sich gehabt, also brauchte er sich um seine Versorgung in den nächsten Tagen keine Gedanken zu machen. Der Skorpion ruhte in der Brusttasche seiner gefütterten Steppjacke.

Ein junges Mädchen in einem roten Kleid und Sandalen schob den Perlenvorhang zur Seite und betrat den Laden. Sie trug eine schwarze Handtasche bei sich und war vielleicht um die 20. Sie lächelte und winkte, als sie den Laden betrat, ging aber zuerst zur Theke und sprach ein paar Worte mit dem alten Mann, der sie freundlich anlächelte. Sie hatte ein bildhübsches Gesicht, rund und mit sehr feinen Zügen. Sie war klein und zierlich, schien aber sehr selbstbewusst zu sein. Eindeutig Asiatin, für die Leute hier, eindeutig Japanerin. Kira sah emotionslos zu ihr auf, als sie auf seinen Tisch zusteuerte. Er selbst war ebenfalls Japaner und hatte ähnlich feine Züge wie das Mädchen. Ebenso ein bildhübsches, wenn auch sehr kaltes Gesicht, doch seine Augen waren stahlblau, was ihn als einen Mischling auswies. Ihre Augen waren dunkelbraun, doch auch sie schien keine reine Japanerin zu sein.
 

"Konnichiwa, Bruder!" Sie umarmte ihn, er blieb regungslos. "Willkommen zu Haus!"

Sie setzte sich zu ihm an den Tisch, legte die Handtasche beiseite und schlug die Beine übereinander. Kira sah sie an.

"Hallo Kikue. Wie geht es dir, Schwester?" Seine Stimme blieb beinahe emotionslos, doch der Skorpion bemerkte die leichte Schwankung in dem Bereich, den Menschen nicht einmal wahrnahmen und erwachte kurz aus seiner Stasis. Die Stimme des Mädchens aber, brachte ihn wieder zur Ruhe.

"Gut gut! Das Studium läuft gut, Bruder!" Sie lächelte ihn herzlich an, so ernsthaft glücklich schien sie darüber zu sein ihn zu sehen, es schien sie nicht zu stören, dass sich seine Miene keinen Millimeter verzog. "Hast du schon Tee bestellt?"

"Nein, ich wollte auf dich warten," erwiderte er.

"Dann werde ich etwas aussuchen," strahlte sie und ging zur Theke.
 

Sie tranken grünen Tee on the rocks, denn es war Sommer und Kikue erzählte von ihrem Studium, ihrem neuen Freund, der Chinese war und komische Ansichten von manchen Dingen hatte, aber mit dem sie von ihrem Horoskop her gut zusammen passte. Sie erzählte von Mutter und Vater und ließ es schnell wieder bleiben, weil sie wusste, dass die beiden keinen Sohn mehr hatten. Als sie traurig wurde und den Kopf sinken ließ, lehnte er sich unendlich langsam nach vorne und hob ihr Kinn mit seinen Fingerspitzen. Sie lächelte. Kira war ein sehr kräftiger Mann und es sah seltsam aus, wie er diese zarte Frau berührte, als sei sie ein rohes Ei, welches er jeden Augenblick zerquetschen wollte. Aber sie freute sich über seinen Trost, denn sie verstand ihn. Sie nahm seine Hand in die ihre und küsste den vernarbten Handrücken.

"Und du wirst mal wieder nichts erzählen, Bruder? Wie ist dein Leben in der großen weiten Welt? Hast du Freunde? Geld? Eine Geliebte?" Sie lächelte ihn strahlend an und er wusste, dass sie sich sorgte und sehr traurig war. Er schüttelte nur den Kopf und zog seine Hand zurück um einen weiteren Schluck Tee zu trinken.

"Ich lebe in der Schattenwelt," sagte er tonlos und sie sah ihn an und verstand. Eigentlich verstand sie kein Wort, aber sie wusste, was er meinte, selbst wenn sie nicht wusste, wie er es meinte. Kikue nickte nur und lächelte.

"Ich weiß Bruder, ich weiß. Und was wollen wir heute zusammen tun, damit du sie für einen Moment vergisst? Was wollen wir tun, damit ich mich an dich erinnere, wenn du wieder dorthin zurück gehst?"

Kira zuckte mit den Schultern und schielte zur Theke herüber. Sein Messer lag einsam in der Pappschachtel, kein weiterer Kunde befand sich zu dieser Zeit in der Bar, aber San Francisco war ein gefährlicher Ort für ein Mädchen, wie es seine Schwester war. Steel konnte sie nicht beschützen und würde es auch nicht. Steel, weil er nur mit dem Messer tötete, das war sein einziges Werkzeug außer seinen Fäusten. Kikue wusste nichts von seinem Leben in der Schattenwelt und es würde für immer und ewig so bleiben. Heute war er ihr Bruder, auch wenn er immer noch aus stahl war.

"Wir könnten in den Park gehen, die Enten füttern und ein Picknick machen," schlug Kikue mit strahlenden Augen vor. Kira sah die Tränen, die sie dahinter weinte und nickte. Der Skorpion rollte sich fauchend unter seinem Herzen zusammen, um zu ruhen.
 

Sie gingen im Park spazieren und sie trug einen Korb mit einer Decke. Sie gab ihm den Korb nicht, weil das nichts für ihn war. Damit würde sie beginnen ihn zu etwas zu machen, was er niemals sein konnte. Er war kein Wesen ihrer Welt. Auch an diesem Tag nicht. Er würde ihn für sie tragen, doch sie wollte es nicht.

Er fand eine bunte Eidechse auf einem Stein und fing sie für sie. Sie lachte darüber, obwohl sie nicht gesehen hatte, wie er es angestellt hatte.

Aber sie stellte sich vor, es wäre wie früher, er hätte sich angeschlichen und sie mit beiden Händen eingeschlossen und zu ihr gebracht. Sie wollte die Eidechse anfassen, doch die lief wirr über ihre Hände, während sie bei ihm ganz still gehalten hatte. Sie wollte sie festhalten, doch sie erwischte den Schwanz und dieser fiel einfach ab. Als er wie wild zappelte hielt sie ihn einfach in den Händen und sah wie hypnotisiert dabei zu, wie seine Zuckungen nachließen. Als er tot war, steckte sie ihn in ihre Handtasche und breitete hastig die Decke auf dem Boden aus.

Kira saß auf dem Boden, hatte ein Bein angezogen, das andere angewinkelt und ließ seinen rechten Arm auf dem Knie ruhen. Keine Regung auf seinem Gesicht, oder an seinem Körper. Nur der Wind fegte durch seine Haare und sein Brustkorb hob und senkte sich bei jedem Atemzug. Er hatte die Jacke ausgezogen und sorgsam neben sich gelegt. Sein schwarzes, hautenges T-Shirt aus irgendeinem neumodischen Synthetikstoff roch nach Zigarettenqualm und auch ein bisschen nach ihm, fand sie, auch wenn er nicht verschwitzt war. Aber sie kannte seinen Geruch zu gut und er fehlte ihr zu sehr, so dass sie auf dem Rücken neben ihm lag, und so tat, als würde sie in den blauen Himmel starren. Stattdessen aber, sog sie seinen Geruch ein und starrte hinter ihrer Sonnenbrille in seine stahlgrauen Augen, die sie so liebte, weil sie sich davor fürchtete.

Sie traute sich kaum hinein zu sehen, aus Angst, was sie dort finden könnte, wenn er es bemerkte. Sie hatte Angst den Dämon zu wecken, der für diesen einen Tag tief in ihm schlief. Nur für sie hatte er ihn zur ruhe gelegt und sie fragte sich, ob er eigentlich ahnte, dass sie wusste, dass er kein Mensch mehr war. Er bewegte sich plötzlich, und sie fuhr ein bisschen zusammen. Er steckte sich eine Zigarette in den Mund und bot ihr keine an, weil er wusste, dass sie nicht rauchte. Aber als das Feuerzeug aufloderte und er den ersten Zug nahm, hing sie an seinen Lippen und wünschte sich, wenigstens das mit ihm gemeinsam zu haben. Sie redeten kein Wort und die Jacke lag still und ruhig da, so dass sie sie nicht sehen konnte, hinter seinem Rücken. Die Stunden verstrichen so einsam und doch so unaufhaltsam und sie weinte innerlich darüber, dass nichts, was sie sagen konnte, ihn ihr zurückbringen würde. Nicht für einen winzigen Moment.
 

Sie tranken Lycheebrause aus Dosen und aßen süße Bällchen gefüllt mit Bohnenpaste, die sie extra für diesen Tag gemacht hatte. Dann gingen sie wieder und spazierten zum See herüber, wo Kikue die Enten mit etwas Toastbrot fütterte. Er stand die ganze Zeit neben ihr und sagte kein Wort, rauchte hin und wieder eine Zigarette und ließ sie ruhig seine Anwesenheit genießen, weil er es nicht kaputt machen wollte, indem er etwas sagte. Er bemühte sich, bei ihr zu sein, das wusste sie, und seine Worte waren schon lange nicht mehr von dieser Welt, hatten schon lange keinen Sinn mehr, den sie verstanden hätte. Das Messer trug er am Steiß quer am Gürtel, und obwohl die schwarze scharfe Klinge in der Scheide aus Synthetik und Plastik verborgen war, grinste es sie die ganze Zeit stumm an und leckte sich die Schneide vor Blutgier. Es war seltsam, denn es war nur ein Messer. Viele hier trugen tödlichere Waffen, doch eigentlich war doch jede Waffe nur ein Werkzeug. Und irgendwie wusste sie, so wie er es berührte, wie er es ansah und trug, dass es zu ihm gehörte. Zu dem Dämon in ihm. Er vermied, dass sie sah, wie er mit den Fingern über die Scheide strich, doch manchmal tat er es einfach so. Er streichelte es beinahe, als wolle er sehen, ob es noch da war und ihm versichern, dass er es nicht vergessen würde. Sie hasste das Messer und es machte ihr Angst. Es war wie ein ganz offensichtliches Phallussymbol, das sie verführen und vergewaltigen wollte.
 

Als die Sonne langsam unterging standen sie nebeneinander und sahen es sich an, sahen sich an, wie sich so langsam alles orange färbte, und sie fürchtete sich davor, dass es dunkler und dunkler wurde. Dann, als die ganze Stadt knisterte vor Hitze, die eigentlich gerade verging und die Luft flirrte und die Silhouetten verzog, da war alles rot und er drehte sich zu ihr um und sah ihr direkt in die Augen. Sie starrte ihn an und die Tränen liefen über ihr Gesicht und da sah sie, wie sich etwas regte, in seinen Augen.

"Ich muss jetzt wieder zurück," sagte er ganz sanft, so sanft, dass es sie erschütterte, denn es war beinahe nicht wie seine Stimme. Sein Mund verzog sich zu einem ehrlichen Lächeln, dass nicht traurig war, sondern einfach wusste. Und sie sah, wie die Dunkelheit der Nacht in seinen Augen aufstieg und der Dämon erwachte. Etwas war in ihrem Kopf und plötzlich hatte sie Angst vor ihm. Er hob ihr Kinn und kam ganz nahe, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und sie hörte ein leises zischen und Klacken von seinem Herzen her.

"Ich bin zurück," sagte er leise, ließ die Hand von ihrem Kinn gleiten und entfernte sich quälend langsam von ihr. Dann drehte er sich um, steckte die Hände in die Jackentaschen und ging einfach. Lies sie zurück, mit ihrem letzten tränenerfüllten Blick, der auf der Klinge ruhte, und sie tropfte von Blut. Da war überall Blut, sie sah durch den Schleier, und da war überall Blut. Es tropfte aus seinen Taschen, wo seine Hände waren, von der geifernden Klinge, die sie Lachen hörte. Niemals war sie ihm so nahe gewesen, wie jetzt, und sie bereute und ersehnte es zugleich. Er drehte sich noch einmal um, und an seinem Mund war Blut, in seinem Gesicht und sie starrte ihm einfach nach, nicht fähig, sich zu bewegen, wegzusehen, oder einen Laut von sich zu geben. Als er den Kopf wieder umwandte, kletterte ein blutroter Skorpion schemenhaft von der Brust über seine Schulter und verharrte dort, um sie anzusehen.

Sieh nicht weiter hin, Schwester Mensch. Sieh nicht in die Schattenwelt, es wird dich deine Seele kosten.

Sie hörte die Worte in ihrem Kopf mit seiner sanften Stimme, und ihr Blick sank zu Boden. Sie schluchzte jetzt und die Tränen benetzten den flirrend heißen Asphalt. Dann wandte sie sich um und ging stur, ohne sich noch einmal umzudrehen. Als sie zu Hause war, legte sie den toten Schwanz der Eidechse unter ihr Kopfkissen, und weinte immer noch.
 

Steel hatte angehalten. Er hatte irgendwo im Nirgendwo angehalten und den Wagen abgestellt und lag jetzt auf dem Dach. Er lag mit dem Rücken auf dem Dach seines Wagens und rauchte eine Zigarette um mit glasigen Augen das Schicksal anzubeten. Er betete um das nächste Opfer, dass das Blut in seinen Adern zum pulsieren bringen würde, um den nächsten Kick der Emotionen und des Adrenalins. Der Skorpion saß auf seiner Brust und genoss den Rhythmus der Worte. Aber er tastete währenddessen auch nach den Gefühlen seines Gefährten, und dessen Quintessenz. Plötzlich endete das Gebet und eine gespannte Stille trat an seine Stelle. Fafarello merkte auf.

"Fafarello, sag..." Steel machte eine Pause und sein Familiar war sich nicht sicher, warum, aber da war etwas in seinen glasigen stahlblauen Augen, das anders war, als noch Momente zuvor.

"Was denn, Verbündeter?" Der Skorpion machte klackernde und zischende Geräusche, aber Steel fand seine Worte in seinem Geist wieder.

"Du bist ein Symbol für Rache und Zorn." Steel atmete Qualm mit diesen Worten aus, der sich im Wind kurz zu der grotesken Fratze eines Dämons verzog.

"Das mag sein," schnarrte der Geist des Skorpions.

"Es hat einen Grund, warum wir Gefährten sind, oder nicht?" Der Qualm verriss in einem Windhauch, doch die Augen leuchteten noch einmal blau auf, bevor die Fratze verging.

"Es hat alles seinen Sinn, das Schicksal ist Weise, und du bist von ihm auserwählt."

Steel schwieg einen Moment. "Ich genieße die Anwesenheit meines Untergangs. Ich genieße deine Nähe, mein Freund."

Der Skorpion erhob sich und drehte sich mit klackernden Bewegungen um, um zu demonstrieren, dass sein Gefährte nun seine vollste Aufmerksamkeit hatte. "Ach ja?"

"Ja. Ich genieße die Anwesenheit meines Schicksals."

"Hm." Der Skorpion wog seinen Schwanz von links nach rechts. "Ich genieße auch die deine, Auserwählter."

"Das ist gut." Steel warf die Zigarette weg und starrte weiter in den sternenklaren Himmel. "Ich vertraue dir. Ich vertraue dem Schicksal und ich deute die Zeichen, wenn es so weit ist."

"Tu das." Fafarello ließ den Schwanz weiter kreisen.

"Und morgen werde ich zeigen, dass ich die Zeichen niemals vergessen werde, auch wenn ich dich eines Tages verlieren sollte."

"Verlieren?" Der Schwanz begann heftiger zu kreisen. Paarungstanz.

"Wenn ich tot bin sollen noch alle sehen, welches Zeichen ich ein Leben lang bei mir getragen habe. Und auch meine Schwester soll es sehen, wenn ich sie das nächste mal besuche."

"Du willst mich zeigen?"

"Nein. Ich will dein Bild in meine Handfläche stechen lassen, damit ich es immer sehen kann, auch wenn ich dich für eine Weile schlafen schicke."

"Das ist gut." Der Schwanz kreiste bedrohlicher und den Geist überkam Ekstase wegen dem Verständnis seines Gefährten. "Das ist gut, so kannst du die Augen schließen, aber vergisst dein Schicksal nicht. Und andere, die nicht verstehen wollen, müssen wenigstens zur Kenntnis nehmen."

Steel schloss die Augen, während der Skorpion seiner Begierde folgend über seinen Arm kroch. "Ich danke dir, dass du verstehst," flüsterte Steel.

"Und ich danke dir, dass du verstehst. Sie musste sehen." Das Kribbeln der mit Chitin gepanzerten Beine erreichte die rechte Hand.

"Vergifte mich, ein weiteres mal, damit ich endlich mehr sehen kann," flüsterte Steel und eine einzelne Träne rann aus seinen Augen.
 

Der Schmerz kam mit dem Zischen, er widerstand, zuckte jedoch zusammen und wehrte sich mit Ekstase gegen das schnell wirkende Gift. Er rang augenblicklich nach Luft und zwang sich die Augen zu öffnen. Er sah diese Welt schon lange nicht mehr. Doch diese Nacht ging er einen Schritt weiter in die Welt der Dunkelheit. Ein weiterer Schritt in den Abgrund. Ein schritt in wirbelnde Farben und verzerrte Töne der Nacht, rauschen auf den Ohren und flüsternde Stimmen, Zischen und Schmeicheln, dass er verstand, auch wenn er nicht wusste wieso. Er verlor sich zuckend und taumelnd in einer fremden Welt, eine Welt, die ihm das Gift zeigte. Er sah seine Opfer, seine Morde, die Gründe, die das Schicksal ihm zeigte und so vieles mehr, dass er nicht verstand. Groteske Fratzen von Kreaturen, die zu ihm sprachen in wirren Geräuschen, die er jedes mal vertrauter wurden. Und jedes mal verstand er mehr, und jedes Opfer war ein weiterer Pflasterstein auf seinem Weg.

Fafarello saß ruhig und gelassen auf dem zuckenden, sich scheinbar in Todeskrämpfen windenden Körper seines Gefährten. Schaum lief aus dessen Mund und seine Augen waren nach hinten gedreht. Aber die Erleuchtung kam ein Stück näher in diesem Rausch und die zischenden Stimmen sprachen auch zu Fafarello. Das Schicksal lobte ihn für seine Arbeit und ganz langsam, Linie für Linie, entstand auf der Hand, die kein bisschen geschwollen war, um den Einstich herum das Abbild eines blutroten Skorpions.

Fafarello war mit sich zufrieden. Das Zustechen fiel mit jedem mal leichter, so wie Steel das töten mit jedem mal leichter viel. Er wachte ruhig auf dem Körper, bis sein Zucken erstarb und ließ sich von dem angestachelten Herzschlag in Trance wiegen.

"Ja, kämpfe Auserwählter, kämpfe. Du wirst es auch dieses mal schaffen, das Schicksal ist zufrieden mit dir. Ich bin zufrieden mit dir." Der Skorpion rollte sich auf dem erschlafften Körper zusammen und bewachte seelenruhig seine Träume. Sie würden nicht angenehm sein, diese Nacht, aber sicher waren sie von Erkenntnis gefüllt. Und mit tausend wispernden Schlangenzungen.
 

Am nächsten Morgen war Steel auf dem Weg zu einer alten Autowerkstatt an der Landstraße, Route 64. Er kannte dort jemanden, der ihm einen neuen Wagen besorgen würde. Der Skorpion schlief erschöpft auf dem Amaturenbrett und das Gift im Körper des Menschen hatte sich noch immer nicht ganz abgebaut. Leichte Unschärfe in der Sicht, willkürliches Muskelzucken, brennender Schmerz im Körper, als sei dieser ausgebrannt. Rot unterlaufene blaue Augen blickten eiskalt dem neuen Tag entgegen. Doch das Schicksal würde ihm weiterhin hold sein, das wusste er nun. Und sein nächstes Opfer würde wieder leichter kommen, als das letzte. Und jeder Tod war ein kleiner Tod für den Mörder, ein Schritt weiter auf sein Schicksal zu.



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Kommentare zu diesem Kapitel (9)
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Von: abgemeldet
2006-07-09T17:40:33+00:00 09.07.2006 19:40
Höhö, freut mich, wenn ich dir etwas helfen konnte!

Nee, is mir echt noch nie passiert, dass mit dem Schwanz. Aber gut zu wissen. Ich werde mich von den Schwänzen der Eidechsen fernhalten! *lach*

Danke auch für deine Gästebucheinträge! *freu*
Gruß, Neffy.
Von:  Alexej_Axis
2006-07-08T23:56:25+00:00 09.07.2006 01:56
Hallo Neferte und vielen Dank für deinen Kommentar. Die Rechtschreib- oder besser Tippfehler habe ich weitestgehen behoben. ;)

Ich rede in dem Satz mit der Eidechse von 'Ihm', weil es da schon nicht mehr um das ganze Tier, sondern nur um den abgefalenen Schwanz geht.
Der Schwanz einer Eidechse fängt spastisch an zu zucken, wenn er abfällt, macht also hektische, verstörende Bewegungen, die den Jäger von der eigentlichen Beute, nämlich der Eidechse abhalten sollen.
Falls dir das noch nie passiert ist, es ist morbide und nicht ganz leicht, sich nicht wenigstens etwas zu ekeln.

Das mit dem Muskelzucken stimmt wohl... allerdings verstehe ich es nicht so ganz. O_o; Habe es ganz überrascht im Duden nachgeschlagen und bin da wohl 23 Jahre lang einer umgedrehten Bedeutung der beiden Begrifflichkeiten aufgesessen, was mich tief bestürzt hat.

Nun ja, besser man lernt es spät als nie...

*bows respectfully*
Von: abgemeldet
2006-07-08T10:44:10+00:00 08.07.2006 12:44
Geil!!!!
Okay, das Wort mag ich nicht...
Genial!!!
Besonders die Szene, als er zum Schicksal betet sehr gut gelungen. (okay, sind ja eigentlich alle Szenen gut gelungen, aber die gefällt mir eben am besten *lach*) Und dass er das Schicksal nciht ausnutzt und das alles... naja... um deinen Schreibstil beneiden dich wohl viele... ich auch... *heul*

zweite Seite:

Die Schwester fragt sich, wie er es wohl ANgestellt, nicht ABgestellt hätte, die Eidechse zu fangen. Oder?

Dann, die Eidechse ist weiblich, warum beginnst du plötzlich mit ER und IHM und so?
Kann mich auch irren, aber vielleicht guckst du doch mal, ob das so stimmt.

Dann... hat du irgendwann auf der zweiten Seite mal „zur ruhe gelegt“ geschrieben. Also, Ruhe, eh klar.

Ähm…
Der Qualm verriss in einem Windhauch, doch die Augen leuchteten noch einmal blau auf, bevor die Fratze verging verging.
Das ist sicher keine Absicht, oder? *g*

Gleich der nächste Satz dann.
Das Schicksal ist Weise… ich glaube „weise“ gehört kleingeschrieben, oder???

Und auf der dritten Seite, heißt es, dass das Gift noch nicht ganz abgebaut war.
Müsste dann nicht im letzten Absatz statt „willkürliches Muskelzucken“ Unwillkürlich stehen???

Soda, *großefreude*, so viel habe ich noch nieeeee geschrieben!!!! *lach*
Vielleicht stimmen ja ein paar von meinen … ähm … Fehlersichten??? Wie soll ich da sagen??? Egal.

Muss unbedingt noch ein paar Storries von dir lesen!!! *freude*

Tschüss und immer schön weiter schreiben, ja?
Neffy
Von: abgemeldet
2006-06-29T07:22:41+00:00 29.06.2006 09:22
DAS ist echt genial!
Irgendwie habe ich eine gewisse Sympathie für Steel...
Seine Schwester tut mir irgendwie leid, dass sie das irgendwie mitbekommt... *so viel "irgendwie" in zwei sätzen*
Die Art wie du schreibst, ist echt -mir fällt kein wort ein *aaahh*- mitreißend, super-ober-genial
*dich darum beneid*
ich versuche mich zwar auch in geschichten, aber mir gefällt keine einzige und es kann schon mal passieren, das ich auf einer seite zwei stunden sitze...

Du bist wirklich produktiv!!!
Ich wollte auch Our Darkness lesen, bin aber leider noch keine 18 *grummel grummel*
Von: abgemeldet
2005-07-23T13:02:56+00:00 23.07.2005 15:02
Die FF ist ziemlich cool und besonders dein Stil haut rein, wirklich spannend geschrieben und die Atmo kommt auf jeden Fall rüber^^
Von:  Raz
2005-07-20T18:38:59+00:00 20.07.2005 20:38
Ähm...ok, dann nehm ich erstmal die Sache mit der Realität zurück und les es nochmal.
Ich sehs ein, ich war zu blöd für die Geschichte...oder du hasts nicht gut genug rüber gebracht *g* nein Spaß, es lag echt an mir, excuse-moi...
Also ok, wenn das alles wirklich nur ein Hirngespinst von ihm ist, dann bin ich geradezu begeistert vom Inhalt, aber ich bleibe bei dem was ich über den Stil gesagt habe.
Von:  Alexej_Axis
2005-07-20T16:40:57+00:00 20.07.2005 18:40
Wie ich schon sagte, ist der Skorpion ein Motiv. Genauso wie thomas Mann den Tod in Venedig immer wieder in Gestalt verschiedener Personen auftauchen lässt, die eben das Gesicht des Todes tragen, oder die Fabre Gelb dort eine bedeutung hat, weil sie die allgegenwärtige Krankheit verkörpern soll, habe auch ich mir ein Leitmotiv gesucht und das ist eben unter anderem der Skorpion.
Ich bin nicht thomas Mann und schreibe keine Weltliteratur, trotzdem muss ich sagen, Raziel, dass du mich wohl ein wenig verkennst.
Die Geschichte spielt durchaus in unserer Realität.
Hätte jemand zugeschaut wäre der Skorpion nicht dort gewesen, wenn du verstehst, was ich meine.
Steel ist eben wahnsinnig. Das ist auch schon alles.
Von:  Raz
2005-07-17T11:59:37+00:00 17.07.2005 13:59
Also, da es ja schon eine Weile her ist dass ich sie gelesen habe, habe ich die Geschichte nochmal überflogen.
Ich finde für eine Kurzgeschichte ist sie ein klein wenig zu voll gepackt, manchmal musste ich Sätze 2-3 mal lesen bis ich denn Sinn richtig verstanden habe. Aber das kommt bei anderen Geschichten auch vor, also von daher ist das kein Minuspunkt.
Dein Stil ist toll, aber man kann ihn noch verbessern. Manchmal konnte ich die Sachen nicht in einem Rutsch lesen weil die Satzkonstellation nicht so stimmig ist.
Vom Inhalt her ist es nicht so mein Fall, das liegt aber sicher nicht daran dass die Geschichte nicht gut ist oder so, sondern es ist einfach nicht mein Genre.
Was mir sehr gefiel war die Bruder-Schwester-Beziehung, das kam sehr gut rüber und wäre sicher auch lesenswert gewesen wenn diese ganze Skorpion-Stell-Ritual-Sache nicht gewesen wäre und es eine Geschichte aus unserer Realität gewesen wäre.
Wie auch immer, die Geschichte hat mich im großen und ganzen überzeugt und es ist gut dass du schreibst, du kannst es wirklich.
Von:  Alexej_Axis
2005-07-15T14:29:57+00:00 15.07.2005 16:29
Der Skorpion ist ein Motiv in dieser Geschichte. er ist ein Symbol für viele dinge, nicht wirklich eine eigenständige Person. Genaugenommen steht er für viele Personen und Geister, die Einfluss auf Steel genommen haben und vielleicht sollte auch jeder Leser selbst etwas in diese Geschichte hineininterpretieren, ich glaube, so wäre es am besten.
Steel hat sich dazu entschieden, seine Schwester nicht länger zu belügen und damit vergiftet er sie, er tut es auch wegen Farfarello, abwer hält es für seine eigene Entscheidung. Er glaubt, das richtige zu tun. Glauben wir das nicht alle irgendwann mal?
Wer weiß.
Von:  DarkChrysalis
2005-07-12T06:55:57+00:00 12.07.2005 08:55
Hmmm, ich zwar immer noch nicht so recht was ich genau schreiben soll, aber ich versuche es mal, ich hatte es dir ja auch versprochen. Aber sei mir bitte nicht böse, wenn es vielleicht nicht das ist, was du erwartet hättest, falls du das überhaupt tatest. *dich-anlächel*
Durchgehend weg fand ich Story sehr, sehr traurig. Die Beziehung zwischen Steel und seiner Schwester ist ... niederdrückend und es hatte mich schon bekümmert das zu lesen. Es war schlimm zu erfahren, dass er genau weiß, was er ihr antut, aber trotzdem nichts mehr daran ändern kann bzw. will er gar nichts mehr daran ändern.?
Was ich aber nicht ganz begriff, war seine Beziehung zu dem Skorpion ... das mit dem Giftritual hatte ich nicht auch nicht so verstanden, wie kam es denn dazu? Oder ist das zu lange zu erzählen bzw. kommen noch andere Kapitel, denn für mich Klang die Story schon al abgeschlossen, oder nicht?
Was mich doch beim lesen sehr bekümmert hatte, war die Tatsache, dass ich durch deinen Hinweis wusste, wieso die Geschichte entstand, nun und das Schlimme daran ist, dass sie eine so tiefgründige Erzählung ist, was alles auf deiner von dir benannten Erfahrung basiert.
Ich bin einerseits sehr gerührt, doch anderseits nicht geschockt, aber irgendwie betroffen.
Was das Schreiben von Geschichten angeht bist du bisher wirklich der Beste den ich, mal abgesehen von Berufsautoren, lesen konnte und durfte.
Ich würde mich freuen wenn du noch viel mehr schreiben würdest, auch wenn nicht gerade immer die schönsten Erinnerungen verarbeitet. *bedrückt-trauriges-lächeln*

Chrysalis


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