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Our Darkness / Unsere Dunkelheit - Abschnitt I: Sonnenuntergang

Dystopische Nah-Zukunftsvision nach der Apokalypse. Hintergrund nach dem Rollenspiel D.E.A.D!!
von

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Das Ende aller Dinge

Prolog
 

'The end of all things...' -Aufzeichnungen des Schreibers zu Rom Anno 2106
 

1994 läutete eine Reihe von Ereignissen hinter der Weltregierung einen erschreckenden Trend zur Abrüstung ein. Augenscheinlich bereiteten sich die meisten Weltwirtschaftsnationen auf den "immerwährenden Frieden" vor. Die zivilisierte Menschheit verdrängte die Ereignisse im Golfkrieg und andere Anzeichen für die kriegerische Natur von Homo Sapiens Sapiens.
 

Im Jahr 2000 bekamen die Vereinigten Staaten eine neue Führung und erhielten die Fassade eines gottesfürchtigen Volkes in ihren Herzen aufrecht, überschattet vom wirtschaftlichen Streben nach Macht. Andere Nationen taten es ihnen gleich, oder ergaben sich dem gegensätzlichen religiösen Wahn, der falscher nicht hätte sein können. Der Sündenpfuhl der neuen Welt hatte schon längst vergessen, was Demut vor dem Herren wirklich zu bedeuten hatte. Ihr Hochmut sollte den Untergang der Welt einläuten, den Fall Gottes.
 

Die Apokalypse kam um die Jahrtausendwende. Entgegen der weltweiten Abrüstungsabkommen hatten die Vereinigten Staaten plötzlich eine Menge in petto, um den fanatischen Muslimen den Heiligen Krieg zu erklären. SüdKorea prahlte mit der Bombe und China und Japan bedrohten sich gegenseitig. Andere Länder stiegen in die aufgeheizte Stimmung mit ein, die Spannungen auf der Welt wurden fühlbar unerträglich. Neue Erfindungen und Techniken, die während der stillen Jahre heimlich entwickelt worden waren, fanden schleunigst Verwendung auf dem Schlachtfeld, als der Terror überhand nahm.

Die Konflikte über die Methoden der Weltwirtschastsmächte führten zum Auseinanderbrechen Europas. Frankreich und Deutschland gemeinsam mit Skandinavien gegen Italien, Spanien und England, der Rest gezwungen, Stellung zu beziehen, verteilte seine Loyalität nach Gebiet. Die Schweiz machte ihre Grenzen zu und es dauerte nicht lange, bis Russland eine Chance sah, wieder in altem Glanz zu erstrahlen. Im ehemaligen Jugoslawien zerstörten die weltweiten Spannungen sofort die innerpolitische Ordnung. Nord- und SüdKorea verfielen in zerstörerische Verhaltensmuster während China ebenfalls zum Krieg rüstete -

kurz, die Welt verfiel ins Chaos und die zivilisierte Menschheit war nicht in der Lage das unvermeidbare aufzuhalten.
 

Der Dritte Weltkrieg kam über die Welt und ließ keine Nation unberührt. Obwohl viele Länder keinen offensichtlichen Grund hatten sich einzumischen, zog sich die blutige Spur aus Furcht und Gewalt, Terror und Fanatismus durch alle Kontinente, versüßt mit neuen Waffentechnologien und Erkenntnissen. Die Schlachtfelder der Weltwirtschaftsnationen waren die Gebiete der Dritten Welt. Unzählige Menschen starben unter der schrecklichen Kraft von biologischen Massenvernichtungswaffen, die viel subtiler und grausamer arbeiteten als je zuvor. Auf den Einsatz von Atomwaffen wurde größtenteils verzichtet, die Gier nach dem Land war zu groß, ein neuer Eroberungsfeldzug entwickelte sich zum Totalen Krieg.
 

Und über all dem blutigen Gemetzel schwebte ein Reiter auf einem gepanzerten, schwarzen Ross, dessen Mähne und Schweif aus Feuer waren und dessen Atem und Augen glühten wie Brennstäbe. Der Krieg beobachtete sein Werk und bald schon folgten seine Brüder. Der Tod gesellte sich dazu auf seinem fahlen Pferd aus Mondlicht, dicht gefolgt vom Hunger auf einer ausgemergelten Mähre und der Pestilenz auf einem verrottenden Kadaver.

Die Vier Apokalyptischen Reiter donnerten über das Land hinweg und brachten den Sündenpfuhl der Menschheit zum kochen. Sie waren Vorboten des Untergangs und ihre vergiftete Anwesenheit färbte die Seelen der Sterblichen schwarz.
 

Als der Krieg seinen Höhepunkt erreichte, ertönte laut die Höllenglocke, 13 mal schlug das gestaltlose Artefakt und die Temperatur auf der Erde stieg. Eine Stunde nach Mitternacht, eine Stunde vor dem neuen Tag, Götterdämmerung, Apokalypse, Endzeitspektakel. Die Zeit für Luzifers Rache war gekommen. Die Tore zur Hölle öffneten sich und die Dämonen stürmten das Schlachtfeld Erde. Zur gleichen Zeit taten auch die Engel ihre Pflicht. Angeführt von den fünf Erzengeln, von je sechs Schwingen getragen, traten auch sie auf die sterbliche Welt um zu kämpfen.
 

Die Menschen bemerkten zunächst nicht, was geschehen war. Wie Berserker, von einem unnatürlichen Hass erfüllt kämpften sie brutal mit rotem Schleier vor den Augen, als gäbe es kein Morgen mehr. Doch innerhalb weniger Stunden waren die Schlachtfelder mit lebenden Toten übersäht. Die Tore der Unterwelt hatten sich geöffnet und die Seelen nicht länger bewacht; so stürmten die Verwesenden in den Krieg. Sie erwachten direkt nach ihrem Tod und wussten nicht, was mit ihnen geschehen war, nur der alte Hass brannte in ihnen.

Einbalsamierte Päpste durchlebten ihre Wiederauferstehung und zogen in goldenen Keramikrüstungen in die Schlacht und in den Reihen der Sterblichen erwachten dämonische Schläfer um den Widerstand der Kirche mit Vampirzähnen, Feenfeuer und Werwolfsklauen niederzustrecken. In einigen Menschen erwachten die Seelen von Hexern aus langem Schlaf, jene mystische Priesterkaste, die in den vergangenen Jahrhunderten durch die Verfehlungen der menschlichen Kirche und Luzifers Versuchung in deren Reihen oftmals auf dem Scheiterhaufen gelandet waren.
 

Das Chaos nahm seinen Lauf. Sechs Jahre, sechs Monate, sechs Wochen, sechs Tage, bis es endlich ein Ende fand. Entgegen der euphorischen Prophezeiungen der Kirche trat Luzifer das Tor zum Himmel auf, um Gott zu töten.

Doch der Schöpfer war verschwunden.

Luzifer schrie in Agonie und Zorn und ließ seine Kinder den Himmel und die Erde stürmen, er ließ ihnen freie Hand, ihrer Zerstörungswut, ihrer Pein, ihrem Schmerz, ihrem Trotz, und kehrte selber in die Hölle zurück. Gott hatte ihm seinen Existenzgrund genommen.
 

Den Dämonen gehört die Welt. Die trotzigen Kinder sehen sich mit einem ernsthaften Problem konfrontiert; Wem soll man trotzen, wenn man gewonnen hat? Wenn man siegreich war, es aber niemanden zu besiegen gab? Niemand die Verantwortung trägt?
 

Etwa 90 Jahre nach dem Ende des Krieges herrscht immer noch Chaos. Die Fünf Schwingen Luzifers regieren die Welt, jeder seinen Kontinent, jeder gegen jeden. Sie zerfleischen sich gegenseitig, wissen nicht wohin mit ihrem Hass und ihrer Enttäuschung.

Die Menschen aber, ahnen von all dem immer noch nichts. Der Schleier des Vergessens hüllt ihre schmerzerfüllten Seelen ein und lässt sie blind vor dem Abgrund stehen. Die Hölle ist nichts weiter als die Abwesenheit von Gott. Heimlich, still und leise hat der Schöpfer aussortiert und eine endgültige Wahl getroffen. Wer reinen Herzens war und das Mal des Lammes trug, wurde auserwählt und mitgenommen in die neue Welt, das goldene Jerusalem. Was nicht mehr zu gebrauchen war, blieb zurück, all die armen, kleinen, befleckten Seelen, die charakterschwachen Todsünder und ebenso die verbrauchten Engel und Gotteskrieger.
 

Wir befinden uns mitten im umkämpften Europa. Samael, Luzifers einst treueste Schwinge regiert die Vereinigten Staaten und ließ in Rom den Antichristen zurück, den, wohlgemerkt er, nicht Luzifer selbst, gezeugt hat. Der Süden des Kontinents, der eigentlich Bahemuth gehört, ist in Dämonenhand. Doch diese verzweifeln an den letzten menschlichen Widerstandsgruppen und ihren letzten göttlichen Verbündeten.

Die Menschen. Sie überleben alles, gewöhnen sich an alles und sind doch Schuld an allem. Aber sie geben niemals auf. Wer hätte gedacht, dass Gottes liebste Kinder solche zähen Bastarde sind...
 

Immer wieder werden die Seelen geboren, denn es gibt kein Entkommen aus der Hölle. Gott ist fort, nichtmal der Teufel weiß wohin. Die Menschen haben eine relative Ordnung erschaffen. Nach dem Ende des Krieges etablierte sich die 'Neue Welt Allianz' - kurz NWA, die den Norden und Osten Europas regiert und gegen 'den Feind' im Sden kämpft. Was für die normalen Seelen ein Krieg gegen ein faschistisches Regime mit Sitz in Rom ist, ist für jene die erwachen etwas anderes.

In dieser Hölle sind nur die starken Sünder, auf deren Seele das kohlschwarze Mal des Tieres brennt, wirklich in der Lage etwas zu verändern.

Ohne das Gott oder der Teufel noch eine Macht über sie hätten bleiben sie frei und treten einen schweren Weg an. Wie werden sie sich entscheiden? Im ewigen Kampf mit dem Mal, das ihre Seele bei jeder Wiedergeburt zeichnet, stehen sie im Konflikt mit sich selbst und gegen den Rest der Welt.
 

Eine neue Ära hat begonnen...

...das Zeitalter der Snder ist gekommen.

Abrupter Einstieg

Az wachte auf. Zuerst vergewisserte er sich, ob dies auch der Ort war, an dem er eingeschlafen war. Er war es, doch als Az gerade nach dem Pferd sehen wollte, hörte er den ersten Knall. Es war ein lautes Geräusch und fatalerweise erkannte er es nicht gleich als das, was es war, doch er erkannte es als das, was sein Pferd verschreckt hatte. Er sah sich verstört um und stand auf, zog die Kutte wieder zurecht und da folgte auch schon der zweite Knall, deutlich näher, als der Erste.
 

Az kam unter dem Trümmerstück des Gebäudes hervor und sah sich um. Phaeton lief hektisch über das karge Feld, es war Tag, aber nicht besonders hell, sehr bewölkt, Weltuntergangsstimmung sozusagen. Der dritte Knall war zu nah. Az fluchte und rannte geduckt los. Jetzt hatte er das Geräusch erkannt.
 

Er pfiff kräftig, doch das Pferd war nicht zu halten und galoppierte über die matschige Ebene. Es hatte vor kurzer Zeit geregnet. Az interessierte das nicht weiter, als dass es ihm nur noch mehr Probleme machte. Er rannte so schnell er konnte und der nächste Einschlag war so nah, dass er sich nicht sicher war, ob die Lautstärke sein Trommelfell zum Platzen gebracht hatte. Er hasste Mörser!
 

Ein weiterer zerberstend lauter Knall kündigte sich mit einem Pfeifen durch die Luft an und Az warf sich einfach auf den Boden und nahm die Hände über den Kopf. Entweder war jetzt alles aus, oder die Detonation verfehlte ihn. Die kreischende Explosion hörte er kaum noch, aber die Druckwelle erfasste ihn hart. Zum Glück schien die Granate doch noch einige Meter entfernt eingeschlagen zu sein, denn die Hitze verbrannte ihn nicht. Er blieb einfach liegen und wartete ein paar Sekunden. Zum Glück schien die Munition ausgegangen zu sein, oder sonst was. Auf jeden Fall hörten die Schüsse auf und es wurde still.
 

Er wandte sich um und sah nach Phaeton, der einige hundert Meter weit entfernt im Matsch watete und aufgehört hatte zu rennen. Az fluchte und pfiff. Er wollte gerade wieder aufstehen, da stellte er fest, dass im sich verziehenden Staub ein Graben zum Vorschein kam. Sandsäcke, eine kleine Barrikade und Schießscharten. Dahinter ein paar schlecht gelaunte Männer mit Zigaretten und Gewehren. Az biss sich auf die Unterlippe und fluchte innerlich. Er war mitten in einem Schlachtfeld gelandet. Wer oder was sich hier bekriegte wusste er nicht, aber es konnte ihn den Kopf kosten, dass er so blöd gewesen war und es nicht gemerkt hatte.
 

Er versuchte so dicht wie möglich am Boden zu bleiben, und sich aus dem Sichtfeld der Männer hinter den Sandsäcken zu bewegen. Er robbte über den schlammigen Grund und legte die Flügel so dicht an den Körper wie möglich. Doch dann sah er, wie Phaeton auf seinen Pfiff reagierte und langsam und gemächlich auf ihn zugetrabt kam. Er fluchte wieder, dieses dumme... Ach es konnte ja nichts dafür. Er robbte einfach weiter und versuchte langsam Distanz zwischen sich und dem Graben zu gewinnen.
 

"Ey, guck mal," hörte er plötzlich von einem der Männer und verharrte augenblicklich, "da steht'n Gaul."

"Ja, lass'n doch," sagte ein anderer und spuckte aus.

"Wie kommt der da hin?"

"Weiß ich nicht, is doch egal."

"Aber ich frag mich ob das da 'ne Leiche is, oder ob da ein Typ liegt..."

"Schieß doch drauf, dann haste Gewissheit."

Az drehte sich auf den Rücken und schrie. Sein eindringliches Kreischen, ein heller Ton, unerträglich für jedes Geschöpf, fegte über die Ebene und er sah, wie sich die Leute hinter den Barrikaden an die Köpfe fassten. Er sprintete los, sprang auf sein Pferd und riss es um. Er stieß ihm in die Seiten und Phaeton galoppierte sofort los, als ging es um sein Leben, was gar nicht so weit hergeholt war. Az hoffte gerade noch, dass er vielleicht die richtige Richtung gewählt hatte, um zu entkommen, dass das Schlachtfeld vielleicht nicht ganz so groß war, oder dass ihm sonst etwas den Kopf retten würde, da traf ihn der erste Schuss in den Rücken.
 

Er zuckte auf Grund des Schmerzes, biss die Zähne zusammen und lehnte sich nach vorne, um das Pferd anzutreiben. Weitere Schüsse fegten an ihm vorbei, aus welcher Richtung wusste er nicht. Er trieb das Pferd, als ihn der zweite Schuss traf. Er splitterte irgendwo in seine rechte Knochenschwinge. Er biss weiter die Zähne zusammen und hielt sich auf dem Pferd. Er wusste, wenn er jetzt hinunter fiel, wäre das sein Ende. Ein weiterer Schuss neben den fielen, die ihn verfehlten, traf ihn in den Bauch und er fluchte. Der Schmerz wurde immer stärker, stechender, doch er war Schmerz gewöhnt, er zeigte ihm, dass er lebte und so hielt er aus, schnaubend, knurrend. Sein Blut trieb ihn an, weiter, immer weiter, er konnte es schaffen.
 

Doch dann ein weiterer Knall und Phaeton wieherte, das Pferd bäumte sich auf und Az stürzte, während sich das Tier ebenfalls lang legte und irgendwo in den Matsch schlitterte. Der Blüter knallte auf den Boden und versuchte sich abzurollen, doch er fiel unsanft und überschlug sich. Dann knallte sein Kopf hart auf einen Stein und er verlor das Bewusstsein.
 

-
 

Als Az wieder zu sich kam, war das erste, was er hörte ein "Klick". Er sah nach oben und stellte fest, dass einige Leute um ihn herum standen und Schusswaffen aller Art auf ihn gerichtet hatten. Ganz vorne stand ein Mann mit Mauser und Zigarre, der eine fahle, graue Haut hatte, keine Nase und auch keine Augenlieder. Ein Untoter. Az war schwindelig. Er wusste, dass er wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung hatte und er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.

Die Mauser kam näher und Az versuchte entwaffnend die Hände zu heben, seine Wunden bluteten noch und es ging ihm wirklich dreckig. Aber der Schmerz half. Der Untote, der nach seiner vermoderten Uniform zu schließen anscheinend General oder so etwas war, nahm die Zigarre aus dem Mund und pustete ihm den Qualm entgegen, während er ihm die rostige alte Mauser unter die Nase hielt.

"Sprich, Arschloch," grollte der General.

"Was?", krächzte Az, obwohl er nicht wusste warum. Der Typ kotzte ihn an. Die anderen Soldaten lachten und der General sah sich in ihren Gesichtern um. Dann sah er Az verachtend an und grinste, packte ihn und zog ihn hoch, um ihm in die Eier zu treten. Az keuchte und krümmte sich zusammen, worauf ihn der Stiefel des Generals am Kopf traf und er erst einmal Schlamm fraß.

"Sag was, Arschloch," grollte der Untote unter dem erheiterten Gelächter seiner Kameraden.

"Ich hab mit der Scheiße hier nichts zu tun," keuchte Az, während er Blut in den Schlamm spuckte. Sein Blut kochte so langsam und er wusste nicht warum sich immer noch alles um ihn herum drehte. Der General zog ihn an den Haaren hoch und setzte ihm die Mauser auf die Schläfe. Danach nahm er die Hand wieder von Az' Kopf und zog wieder an seiner Zigarre.

"Willst du vielleicht einen Kopfschuss kassieren?"

Ja, vielleicht wollte er dass. Az starrte den General an und dieser schien immer noch zu warten. Dann zog der Untote den Schlagbolzen zurück und es klickte wieder. Az sah in seine Augen und grinste irgendwie, dann rollte er sich zur Seite und der Schuss fegte knapp an ihm vorbei. Das Piepen übertönte fast den Schmerz. Er glaubte die anderen wieder Lachen zu hören und er zwang sich, sich ein Stück aufzurichten.

"Verdammt," keuchte er, doch er musste sich aus irgendeinem verfluchten Grund noch immer ein Grinsen verkneifen, "Ich habe mit der Scheiße hier nichts zu tun, ich weiß nicht auf welcher Seite ihr kämpft, aber ich gehör auch nicht zur Gegenseite, also entweder habt ihr noch irgendeine Verwendung für mich, oder ihr knallt mich ab." Schluss mit dem Kinderscheiß!, fügte er gedanklich hinzu.

"Geht doch," grinste der General dreckig und pustete den Qualm von seiner Mauser mit dem Qualm seiner Zigarre fort. Az sah es und merkte, wie ihn der Blutverlust schaffte. Er verlor das Bewusstsein und viel in den Schlamm.
 

-
 

Als Az dieses mal zu sich kam, war er zuerst einmal überrascht, dass er noch lebte. Beziehungsweise, er war überrascht, dass er nicht besonders überrascht war, noch zu leben. Aber bevor er sich wie so oft mal wieder in seinen Gedankengängen verstrickte, versuchte er trotz der Gehirnerschütterung, die sich wieder in schweren Kopfschmerzen bemerkbar machte, einen Überblick über die tatsächliche Situation zu bekommen. Er lag auf der Seite auf einer Pritsche. Es war dunkel und überall um ihn herum waren Schreie und Stöhnen zu vernehmen. Feldlazarett.
 

Er versuchte auszumachen, wo er Verletzt war und stellte sehr schnell fest, dass er unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand. Trotzdem war der Schmerz der Schussverletzungen allgegenwärtig. Der Bauchschuss machte ihm zu schaffen, er dachte sich, wenn er überhaupt wieder aufgewacht war, konnten seine Innereien nicht maßgeblich betroffen sein, doch es tröstete ihn nur ein wenig. Ansonsten schien der Schuss im Rücken nicht im Knochen zu stecken, so schlecht fühlte er sich nicht. AMehr konnte er nicht sagen, und seine Flügel spürte er nicht. Er wagte sich auch nicht, sie zu bewegen. Bewegung schien allgemein eine ganz schlechte Idee zu sein. Er verhielt sich ruhig und überdachte die Situation.
 

Nach ein paar Minuten sah er einen Mann mit einem schwarzen Arztkoffer auf ihn zukommen. Der Typ sah zu dem letzen Bett in der Reihe herüber, welches ganz an der Wand des niedrigen und verschlammten Bretterbaus stand. Az rührte sich nicht, starrte aber zu ihm herüber, was dem Arzt zu reichen schien, um weiter auf ihn zuzuschlurfen. Er kam zu dem Bett und sah zu Az herunter. Die Tatsache, dass der Mann ein kleines Loch in der Stirn und ein umso größeres Im Hinterkopf hatte, machte sehr schnell klar, dass es sich ebenfalls um einen Untoten handelte. Aber die Schreie im Lazarett gaben die Gewissheit, dass hier auch Menschen oder Blüter kämpften ... und starben.

"Aufgewacht?", fragte der Mann gelangweilt.

"Sieht so aus," sagte Az kühl.

"Wie geht's ihnen denn?", kam genauso gelangweilt wie zuvor zurück und die blutbeschmierten und verkrusteten Handschuhe schienen nach dem Verband am Bauch zu sehen. Az wollte gerade etwas sagen und regte sich, was er auf Grund des Schmerzes sofort bereute, da viel ihm der Arzt in das noch nicht formulierte Wort. "Und ich will jetzt nichts hören wie, ,scheiße geht's'. Etwas genauer bitte."

"Hm, stehe ich unter Drogen?", fragte Az verklärt.

"Jep." antwortete der ,Arzt' belanglos.

"Na dann sieht es schlecht aus. Ich habe jetzt schon Schmerzen, erträglich, aber Schmerzen."

Der Arzt sah ihn beinahe vorwurfsvoll und leicht enerviert an. "Also soll ich sie auf Eis legen?"

"Eis klingt gut," sagte Az eher von dem Arzt genervt, und war sich nicht sicher, ob er das wirklich nötig hatte, zumindest auf Grund der Schmerzen. Aber der Typ schien etwas zu tun zu brauchen und eigentlich war ihm ein bißchen Ruhe ganz angenehm.

"In Ordnung." Der Feldarzt ohne Selbsterfahrung zog eine widerliche Glasspritze mit undefinierbarem Inhalt auf und jagte sie in Az leblosen Unterarm. Er knickte augenblicklich weg.
 

Als er wieder zu sich kam, fühlte er sich irgendwie schwindelig. Er rechnete damit, dass die Medikamente, die er lieber gleich als Drogen einstufte, nach all der Zeit eher daran Schuld hatten, als die leichte Gehirnerschütterung, die von dem Sturz übrig geblieben war. Alles war verschwommen und er schloss noch einmal schmerzverzerrt die Augen. Als er sie wieder öffnete, besserte sich die Sicht und er sah etwas, was er nicht sehen wollte.

Jemand starrte ihn an und irgendetwas sagte ihm, dass er diese Visage kannte. Er legte den Kopf zurück und stöhnte. Eigentlich freute er sich schon beinahe, auch wenn es ihm tierisch auf die Nerven ging, dass er ihn hier so liegen sah. Az richtete sich wieder auf und starrte seinem Freund direkt ins Gesicht. Die bernsteinfarbenen Augen starrten verständnislos zurück und er pustete sich eine braun-schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine Frisur war ein einziges Gestrüpp, wie immer und Az musste grinsen.

"Was guckst'n so, Gräte?", knurrte Slizer. Er spannte die Nackenmuskeln an und knackte dann mit den Fingern, als wolle er Az verprügeln. Er warf mit seiner massig muskulösen Gestalt einen großen Schatten auf das Bett.

"Nichts. Weiter," quälte sich Az zu sprechen und legte sich vorsichtig wieder auf seine gesunde Schulter. Der Schmerz kehrte zurück und er biss die Zähne zusammen. Niemand hätte ihm solche Wunden angesehen, wenn er ihm ins Gesicht geschaut hätte.

"Na dann lass es bleiben," maulte Slizer entnervt. "Was hast du eigentlich gemacht? Du bist ja total zerschossen." Er besah sich das Dilemma und schien Az zu beschnuppern.

"Ich war scheiße dumm. Hab nicht aufgepasst," sagte dieser immer noch leicht betäubt. Aber er kam langsam wieder klar und auch der Schmerz wurde präsenter. "Ich hasse Mörser," presste er zähneknirschend heraus.

"Wieso?", fragte Slizer verständnislos.

"Ach nichts. Ich bin mitten in einem Schlachtfeld aufgewacht und hab versucht zu fliehen, weil ich nicht wusste was los war, okay? Halt einfach scheiße dumm! Man versucht zu schlafen und plötzlich ist Krieg. Sind eben Scheißzeiten!", maulte Az und schnaubte. Es war wirklich dumm von ihm gewesen, das Gelände vorher nicht etwas eindringlicher zu begutachten.

Slizer blieb stumm und Az versuchte, sich seiner Verletzungen etwas bewusster zu werden. Sein Arm schmerzte und seine Schulter ebenfalls. Es war die rechte Schulter, und somit lag auch sein Arm flach. Er schien nichts gebrochen zu haben, soweit die gute Nachricht, doch der Bauchschuss machte ihm ernsthafte Sorgen. Anscheinend waren keine inneren Organe verletzt, sonst wäre er schon tot. Aber ein Schuss ins Muskelfleisch reichte ihm schon, das würde ihn noch für Tage am Boden halten und seine Kondition maßgeblich gefährden. Dann bemerkte er ein unangenehmes Ziehen in seinem rechten Flügel und Panik stieg in ihm auf. Das letzte Glied war taub. Er wuchtete sich hoch, bereute es aber sofort und bezahlte die Überstürztheit mit einem saftigen, reißenden Schmerz in seinen Bauchmuskeln. Er knurrte, und versuchte sich trotz allem zu drehen, aber er konnte die Flügel nicht sehen. Er wollte den rechten Arm heben, aber seine Schulter brannte wie heißes Öl in seinen Knochen und er musste es schlichtweg sein lassen. Er schüttelte mit dem Kopf und knurrte wieder, ließ sich vom Schmerz niederringen und drückte sich wie eine getretene Knochenratte auf das Lager in dem Bestreben, seine Schwingen ruhig zu halten.

"Was ist mit meinem Flügel? Wie ... wie sieht der Knochen aus?", fragte er und konnte den dämonisch grollenden Unterton in seiner Stimme nicht verbergen.

"Weiß nicht. Ist geschient," meinte Slizer. "Vielleicht is er schon abgefallen." grinste er, doch er ließ es wieder, als er Az' Gesichtsausdruck sah.

"Wie hast du mich gefunden?", fragte Az und versuchte sich zu beruhigen.

"Ich hab die hier Kämpfen sehen und gefragt, ob es Arbeit gibt, aber die brauchen nur Leute für den Grabenkampf." Er knurrte. "Das is mir ne Spur zu dreckig. Na ja und dann hab ich dich hier liegen sehen und dachte mir, die Fresse kennst du doch. Hab gesagt, die sollen mich zu dir lassen, oder ich räume hier mal auf. Hat denen wohl nicht gefallen, die Vorstellung." Slizer kratzte sich an seinem mächtigen Kinn. Az grinste innerlich. Mit ihm war ja auch nicht zu spaßen, er mochte nur ein Blüter sein, aber er hatte die Statur eines Gehörnten und Az war sich nicht sicher, wer einen Ringkampf gewinnen würde, wenn man bedachte, das Slizer noch eine Kriegsgestalt hatte, in der er noch an Muskelmasse gewann. Ansonsten sah sein Freund eher wie ein ganz normaler Mensch aus, aber er benahm sich irgendwie immer äußerst asozial. Er hatte eben etwas von einem Köter, egal wie er aussah.

"Wer kämpft hier gegen wen?", fragte Az eigentlich wenig interessiert.

"Hauptsächlich Untote. Ne ganze Kohorte und ein paar Söldner, Menschen und Blüter. Aber die sagen, die kriegen Verstärkung von einem Sturmtrupp Dämonen."

"Ja isses nich...," kommentierte Az und stöhnte einmal schmerzverzerrt, als er schon wieder versehendlich seinen rechten Arm anhob.

"Das kann man sich ja nicht mit ansehen, ich hol dir jetzt einen Arzt," sagte Slizer und stand auf. Az guckte ganz und gar nicht glücklich und eigentlich hatte er auch gar keine Lust, schon wieder bewusstlos gespritzt zu werden mit was auch immer für Drogen. Aber die Schmerzen waren enorm und obwohl er sie seiner Meinung nach verdient hatte, weil er so verdammt blöde mitten in das Schlachtfeld spaziert war, war es vielleicht besser, wenn er noch etwas Schlaf und Ruhe fand, um bald wieder klar zu kommen.

Er lag einige Minuten da und hasste sich selbst für seine Dummheit, dann kam Slizer mit dem Arzt zurück. Der Typ hatte nicht an Enthusiasmus gewonnen seit dem letzten Besuch und zog eine weitere Spritze auf. Az atmete ruhig und starrte nur zu Slizer rauf. Irgendwie sah er fast besorgt aus, aber dann kippte seine Sicht auch schon um und ihn umfing abermals Dunkelheit.
 

Hüte dich vor dem Phoenix aus den Flammen, dem weißen Ritter, dem Gefallenen...

...und der Zwillingsseele.
 

Az' Geist erwachte. Er hatte leichte Kopfschmerzen. Schon wieder. Aber er lag immer noch auf dem Feldbett und schien sich nicht bewegt zu haben. Er wusste nicht, wie lange er schon wach dalag. Das Gefühl der Taubheit war schon größtenteils aus seinem Körper gewichen, was für ihn angenehm war. Die Schmerzen spürte er gleich, es ging nicht dieses Kribbeln voraus, dass die Sinne benebelte. Es war ihm deutlich lieber so. Wieder einer dieser Blackouts. Die Kopfschmerzen ließen langsam nach und die Worte verklangen in seinem Schädel. Er kannte sie. Es war nicht das erste mal, dass er sie hörte. Er hörte oft Worte, wenn er wieder zu sich kam und nicht wusste, was er getan hatte. Aber diese Worte, genau diese, hörte er schon zum zweiten mal. Er wusste nicht warum. Aber seit er ein Kind war, geschah das manchmal. Er konnte sich nicht genau daran erinnern wann es angefangen hatte. Aber eines wusste er. Es ging nichts und niemanden außer ihn etwas an.

Irgendwie fühlte er sich jetzt besser. Er lag ganz ruhig da und tat nichts. Er spürte die Schmerzen und lebte von ihnen. Er biss sich leicht auf die Zunge und schmeckte sein Blut. Sein Blut, auf das er so stolz war. Obwohl er nicht wusste, warum. Sein Blut, dessen Geruch, Geschmack, Farbe ihn am Leben erhielt. Sein dunkelrotes Blut. Er liebte es zu schmecken. Es war starkes Blut. Er wusste es. Es musste so sein. Er schüttelte die Gedanken ab und spuckte auf den Boden. Er durfte jetzt nicht in einer Selbstverliebtheit schwelgen, die keine war. Er musste auf seine Stärke vertrauen, durfte sich aber nicht darin verlieren. Als er aufsah, bemerkte er wie Slizer zwischen den Feldbetten entlang auf ihn zustapfte und den Arzt im Schlepptau hatte.

"Machen sie mal das Bett frei," kommandierte der Arzt und Az versuchte sich aufzurichten. Er schüttelte kaum merklich den Kopf, als er sah wie Slizer den Mund zu einem grimmigen Knurren in Richtung des Untoten verziehen wollte. Az setzte sich auf und stellte fest, dass der Schmerz noch lange nicht aus seinem Körper gewichen war, aber er biss die Zähne zusammen und ließ sich nichts anmerken. Er wollte vor dem Arzt keine all zu große Schwäche mehr zeigen. Er hatte die Geduld aller wirklich genug strapaziert, auch wenn dieser selbsternannte Mediziner sicherlich einfach nur verlernt hatte, wie man mit lebenden Patienten umging. Die Wunden waren noch lange nicht verheilt, aber Az wollte selber so schnell wie möglich raus hier. Als Söldner hatte er genug Erfahrung mit Feldlazaretten gesammelt, um zu wissen, dass hier meistens mehr Leute starben, als wieder auf die Beine kamen. Glücklicherweise hatte er ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass er ein zäher Typ war und das Dämonenblut in seinen Adern dafür sorgte, dass er Wunden ohne Langzeitschäden überstand, die einen normalen Menschen töten würden.

Er setzte sich und der Schmerz holte ihn mit einem Schwindelgefühl ein. Er kniff die Augen zusammen und grollte. Dann wurde seine Sicht klarer und er versuchte aufzustehen. Aber seine Knie machten nicht mit. Er hatte einfach zu lange gelegen, ihm wurde bewusst, dass er bei all den Drogen nicht wusste, wie lange genau und ihm wurde schlecht bei dem Gedanken. Er hasste es, schwach zu sein. Er musste sich wieder setzen, denn ihm wurde wieder schwarz vor Augen. Slizer schob den Arzt beiseite und wollte ihn stützen, doch Az wehrte mit der Linken ab. Er wollte keine Hilfe, er wollte es aus sich heraus schaffen.

Wieder stand er auf, doch das Gewicht seiner Flügel zerrte ihn hinab. Er verkniff sich jede Regung und ließ sich einfach noch fünf Minuten, die Hand abwehrend in Richtung der beiden, die an seinem Bett standen. Dann stand er ein weiteres mal auf, langsam und vorsichtig, aber mit erhobenem Kinn. Er riss sich endgültig zusammen und blieb stehen. Ein Zittern durchfuhr seinen Körper, doch er ließ sich nicht wieder in die Knie zwingen. Ein paar Minuten genoss er das Gefühl, aus eigener Kraft zu stehen. Dann machte er den ersten Schritt, der ihn beinahe wieder in die Knie zwang. Slizer reichte ihm die Hand mit einem flehenden Gesichtsausdruck, während der Arzt mit verschränkten Armen stand, als wolle er ihn hinauswerfen, doch er blieb stumm. Az biss die Zähne zusammen und nahm Slizers Hilfe an. Er ging sehr wackelig, und brauchte weitere Versuche, bis er ein paar Schritte machen konnte, ohne Gefahr zu laufen, sich wieder setzen zu müssen. Slizer half ihm aus dem Feldlazarett heraus.

Draußen herrschte im Moment Stille. Es war sehr dunkel, so dass Az zu dem Schluss kam, dass gerade Nacht war. Vereinzelt brannten Feuer, die es schwer hatten, auf dem durchweg matschigen und feuchten Boden. Da waren eine Menge Untote, die rauchend und tratschend in den Gräben hockten und hinter den Sandsäcken und Palisaden anscheinend auf den nächsten Angriff warteten. Ein paar menschliche Söldner und Blüter waren auch dabei. Alles war sehr ruhig, die Ruhe vor dem Sturm vielleicht? Die Moral der Leute schien jedenfalls nicht vorhanden und die Gespräche wurden allenthalben gemurmelt als wären es Sachen, die man besser nicht laut aussprach. Der Boden war so verschlammt, dass man zentimetertief darin einsank. Az ging eine Weile mit Slizer, der ihn stützte und fühlte sich sehr klein in seinen mächtigen Armen. Dann blieb er stehen und bedeutete Slizer anzuhalten.

"Was ist los Gräte? Du wackelst ja schon wieder," grummelte Slizer.

"Lass mich," sagte Az nur tonlos. Er machte ein paar Schritte, und fiel dann auf die Knie. Er konnte es nicht verhindern. Slizer wollte ihm aufhelfen, doch er schlug seine große Hand einfach zur Seite.

"Na dann mach, was du willst, ich geh dann mal." Slizer grummelte und zog beleidigt ab. Er verschwand hinter der Ecke des Versorgungsgebäudes und Az saß schwer atmend alleine im Matsch. Er musste und wollte es aus eigener Kraft schaffen. Seine Schwingen zitterten und er sah sein Spiegelbild in einer großen Pfütze.

Er war bewusstlos gewesen, also hatte er die Panzerung nicht aufrecht erhalten können, die er aufgelegt hatte, als er angeschossen worden war. Sein Dämonenblut gab ihm die Möglichkeit, seinen Körper durch geringe Willensanstrengung mit einer ledernen, festen Hautpanzerung zu schützen. Seine normalerweise so strahlend helle Haut wurde dann dunkelbraun und fest, aber blieb trotzdem elastisch und behinderte ihn nicht. Seine Schneeweißen Haare färbten sich dann pechschwarz mit silbernen Strähnen darin.

Es war niesselig und Wasser tropfte von seinem Gesicht. Jetzt waren seine Haare wieder weiß und er hatte sie mit einem schwarzen Band nach hinten gebunden, die verfilzten Strähnen hingen ihm bis unter die Schulterblätter. Sein Gesicht war schlammig und er sah krank und schwach aus. Er hasste es, aber das alles änderte nichts an seinen feinen, fast femininen Zügen, die doch so eisern wirkten. Manche sagten ihm, in seinen Augen würde etwas unerbittliches liegen. Er wusste nicht, ob es so war. Seine Iris hatte eine tief dunkelrote Farbe, wie sein Blut und seine Pupille war ein länglicher Schlitz. Schatten schienen über seinen ausdrucksstarken Augen zu liegen und seine Augenbrauen waren weiß und dünn geschwungen. Er hatte spitze Ohren und trug ein paar Ohrringe, und er wusste, dass er sehr schön war. Eindrucksvoll, vielleicht?

Sein Körper war momentan in keiner guten Verfassung, doch trotzdem war er durchtrainiert und gut Gebaut. Er hatte breite Schultern und ein schmales Becken, aber eine sehr feminine, wenn auch muskulöse Taille. Über seinen Rücken zog sich eine einfache, aber seltsame Tätowierung. Zwei Striche links und rechts der Wirbelsäule, der Linke führte bis in den Haaransatz, der Rechte nur bis zum Nacken. In der Mitte des Rückens begann ein dritter Strich auf der rechten Seite, der eine sichelförmige Auswölbung an der Hüfte hatte, wie ein Zacken oder ein Dorn. Alle drei Striche zogen sich bis zum Ende der Wirbelsäule. Er hatte sie von seiner Zeit bei den Glücksrittern, einem Söldnertrupp. Alle Glücksritter trugen dieses Zeichen, ob es sonst noch etwas zu bedeuten hatte, wusste Az nicht.

Er war schlank und dennoch kräftig, aber sein Körper war voller Narben. Eine trug er schon seit frühester Kindheit, eine kreuzförmige, tiefe Narbe, die sich längs über seinen linken Unterbauch zog, und bis zum Becken reichte. Sein Stiefvater hatte sie ihm zugefügt, als er noch sehr klein gewesen war. Sie verschwand unter dem Saum seiner Jeans, die er mit einem großen schwarzen Ledergürtel trug, den er gerade festzog, da er merkte, dass er abgenommen hatte, was ihm gar nicht gefiel. Als Söldner war sein Körper sein Kapital, und er konnte sich keine Schwäche erlauben. Er sah an sich hinunter, bis auf seine schweren Stiefel aus rotem und schwarzem Leder, mit Metall beschlagen und ziemlich robust. Im Moment waren sie voller Matsch, wie der Rest von ihm und er begann ein wenig zu frieren, was ihn noch mehr ärgerte.

Seine Knochenschwingen zitterten. Sie waren von schwarzer Haut umgeben und nur noch wenige Muskelfasern sorgten dafür, dass er sie bewegen konnte. Es fiel ihm schwer, sie hoch zu halten, er musste wirklich lange gelegen haben. Die fünf Glieder breiteten sich sachte aus, aber ein abrupter Schmerz ließ ihn die Übung abbrechen. Wenigstens Schmerz. Er atmete auf, die Nerven im Flügel waren nicht beschädigt. Er hatte eine volle Spannweite von circa zwölf Metern, wenn er die Flügel seitlich ganz von sich streckte, vielleicht wären es 16 gewesen, wären seine Gelenke nicht irreparabel beschädigt. Aber sein Stiefvater hatte damals ganze Arbeit geleistet und er wusste nicht, wie oft er ihm sämtliche Knochen, besonders die Flügel, gebrochen hatte. Keine Haut spannte sich zwischen den traurigen Gliedern, die wie gotische Rippen von seinem Körper zeigten. Er biss die Zähne zusammen. Er wollte so wenig Gedanken wie möglich daran verschwenden, dass er niemals Fliegen konnte. Der Hass dieses Menschen hatte es ihm genommen. Das Geschenk aus seinem Blut und er hasste ihn immer noch dafür.

Az stand langsam auf. Seine weißen, gepanzerten, fingerlosen Lederhandschuhe waren total verschlammt, genauso wie seine Hose und sonst alles an ihm, wie er feststellte. Ein kräftiger Ruck an dem Würgehalsband ließ ihn röcheln, aber jetzt viel es ihm leichter, sich zusammen zu reißen. Selbstdisziplin. Das Halsband trug er schon so lange er denken konnte. Sein Stiefvater hatte ihn damit früher immer im Keller festgekettet. Rostfreier Stahl. Er hatte es niemals abgenommen und immer, wenn er sich zusammenreißen musste, zog er selbst daran. Der Schmerz, diese Art von Schmerz, war er so gewöhnt, aber es half ihm jedes mal weiter ihn zu spüren. Die Kette von seinen DogTacks hatte sich mit dem Halsband verfangen und er entwirrte sie. Er war immer noch wackelig auf den Beinen und entschied, sich erst einmal zu dehnen, damit er sich nicht zu viel abverlangte. Er ging abermals in die Knie, ein feuchtes Geräusch, als er wieder im Matsch ankam. Er streckte sein rechtes Bein von sich und dehnte es. Das Gleiche machte er mit dem Linken. Einmal, zweimal, dreimal, ganz langsam, immer wieder. Dann traute er sich zu, es noch einmal zu versuchen. Langsam stand er auf, klopfte sich den Schlamm von den Händen. Er ging ein paar Schritte, kriechend langsam und wackelig, aber er ging. Aus eigener Kraft, nur das zählte, er war stark.

Als er um die Ecke wankte, sah er Slizer dort auf einer verschlammten Munitionskiste sitzen und eine Zigarette rauchen. Er hatte die Hände auf die Knie gestützt, trug eine viel zu weite Jeanshose, die ebenfalls schlammig war. Sein Schuhwerk war nicht mehr zu definieren, aber Az tippte auf schwere Stiefel mit Stahlkappen, die sein Freund wie immer nicht zugebunden hatte. Das T-Shirt, dass er an hatte war ebenfalls viel zu groß, was bei der breite seines Kreuzes fast unmöglich erschien. Az konnte sich ohne Probleme hinter dem Riesen von einem Mann verstecken. Aber er wusste, dass er, wenn er sich verwandelte noch an Muskelmasse zunahm. Deswegen trug er weite Sachen, die das mitmachten, ohne zu reißen.

"Hast du es endlich geschafft? Das ist schon meine vierte Kippe." Slizer sah Az vorwurfsvoll an, doch in den bernsteinfarbenen Augen eines Raubtiers, die von buschigen schwarzen Augenbrauen umgeben waren, steckte etwas von... Sorge? "Du bist ein Dickkopf," fügte er noch leise hinzu.

"Wo sind meine Sachen?", fragte Az trocken.

"Ich werd nachsehen," sagte Slizer mit fester Stimme. "Und wenn sie Stress machen, dann räum ich da mal auf."

"Was ist mit meinem Pferd?", erkundigte sich Az nun nachdenklich.

"Ich hab keine Ahnung, aber ich glaube er lebt. Ich meine, ich hätte ihn gesehen, ist ja nicht alltäglich, die Farbe."

"Dann lass uns zuerst danach sehen."

Az stand immer noch und fing nun wieder an zu laufen. Aber Slizer ging es zu langsam und er fasste ihn bestimmend unterm Arm und stützte ihn. Er ließ es sich gefallen, war aber nicht glücklich darüber. Auf dem Weg zu den Stallungen kamen sie an einem Trupp Dämonen vorbei, die gerade hinter den Sandsäcken lauerten und schwer mit Kunststoffpanzerung und Munitionsgurten behangen waren. Aus den Helmen drehten sich teilweise lange Hörner und aus den Visieren entstieg kondensierender Atem. Schnauben war zu hören und das Grollen von dämonischen Stimmen, die sich rau unterhielten. Sie schienen versessen auf den Kampf zu sein und unruhig, weil sie nichts tun konnten. Slizer wurde ganz klein und schleppte Az so unauffällig wie möglich an dem Trupp vorbei. Es fehlte nur noch, dass er anfing zu pfeifen, aber Az wusste, dass er gut daran tat, unauffällig zu bleiben. Wenn den echten Dämonen langweilig wurde, konnten sie sich alles herausnehmen. Sie waren so viel mehr wert als ihre beiden Leben, wenn sie wollten, konnten sie sie aus Langeweile als Ziele benutzen, um das neueste Hellfire-Modell auszuprobieren und keiner würde sich daran stören. Und diesen Dämonen war ganz offensichtlich langweilig.

Sie kamen bei dem zusammengeflickten Stallungsgebäude an, an das sich eine matschige Weide mit Unterstand reihte. Ein eher klappriges Botenpferd stand dort relativ unglücklich und kaute auf dem Strick herum, mit dem es festgebunden war. Aber Phaeton, Az' Braunschimmel war nirgends zu sehen. Vor dem Eingang zu dem Brettergebäude, dass keinen ordentlichen Artillerieangriff überlebt hätte, standen zwei gelangweilte menschliche Söldner, die mit zusammengeflickten Rüstungsteilen und Mps bewaffnet waren. Alles tropfte vom nassen Wetter, obwohl es nicht wirklich regnete. Az machte sich von Slizers Griff los und dieser stapfte bestimmt auf die Beiden Soldaten los. Der eine stieß dem anderen in die Seite, um ihn auf die lauernde Bedrohung ihrer nicht vorhandenen Autorität aufmerksam zu machen. Slizer baute sich vor ihnen auf und seine Gesichtszüge verrieten, dass er gerade einen Gedanken zu einem Satz formulierte. Das nahm einige Sekunden in Anspruch, die sich zu einer Minute dehnten und die Beiden sahen sich unsicher an. Aber Az bemerkte, dass der eine seinen Griff gelockert hatte und kaum merklich zu seiner Waffe griff, bereit sie zu ziehen, wenn es Ärger gab.

"Habt ihr unser Pferd gesehen?", blökte Slizer schließlich wenig freundlich und die beiden Wachen tauschten nun eher amüsierte, denn unsichere Blicke aus.

"Ham sie's auch genauer?", ließ sich dann der eine vernehmen, während der andere grinste, als wenn er Unterhaltung wirklich nötig hätte. Az stapfte gefestigten Schrittes auf die Beiden zu und entschärfte Slizers wütende Pose mit einer leichten Handbewegung. Man sah ihm seine Schwäche nicht mehr an.

"Ist'n Braunschimmel mit nem seltsamen Stirnpanzer gewesen."

"Ah. Ja is drinnen." Der Typ mit dem Unterhaltungsdefizit zündete sich eine Zigarette an und wies gelangweilt in den Stall, während der andere seine Hand wieder aus der Griffbereitschaft zurück an seinen Gürtel führte.

"Okay, danke. Is nämlich meins.", kommentierte Az angemessen freundlich und trotzdem direkt, so dass er keine Widerrede zu befürchten hatte.

Er und Slizer gingen herein und Az beurteilte die Moral der Soldaten als im Keller. Sie hatten sich nicht maßgeblich dafür interessiert, ob es nun stimmte, oder gelogen war. Sie hätten auch ins Blaue raten und sich ein Pferd stehlen können, aber er war froh darüber, dass es keine Probleme gab.

Sie betraten den Stall und Az sah Phaeton schon alleine und maßgeblich unruhig in einer der ersten Boxen stehen. Soviel zum Pferde stehlen. Es schien kein weiteres Pferd vorhanden zu sein. Verständlich, denn Untoten vertraute man selten Kavallerie an. Wahrscheinlich waren die Boxen für die Pferde von Gesandten, Boten und Dämonen gedacht. Az stapfte immer noch sehr langsam und unter glühenden Schmerzen zu seinem Reittier hinüber. Er fragte sich, ob er Fieber hatte.

"Na, mein Junge?" Der Blüter bemühte sich das heisere Kratzen aus seiner Stimme fern zu halten, um das Pferd zu beruhigen, das mit den Hufen in dem nassen und verdreckten Stroh scharrte. Er sah nach dem Trog und obwohl das Wasser schlammig war und das Heu feucht, war er sich sicher, es war das Beste, was man hier finden konnte und er gab sich damit zufrieden. Phaeton hatte anscheinend eine Schusswunde im Brustmuskel, die notdürftig mit einem großen Pflaster zugeklebt war. Er beugte sich unter Schmerzen vor und untersuchte den Verband, hob ihn leicht an und strich das blutverklebte Fell glatt. Phaeton schnaubte und er tätschelte seinen Hals um ihn ruhig zu halten. Die Wunde war genäht, aber nicht gesäubert und sah eitrig aus.

"Verdammt," fluchte er und klebte das Pflaster wieder auf.

"Was ist los?", fragte Slizer knurrig. Er stand leicht gebückt und mit verschränkten Armen in dem niedrigen Unterstand und rümpfte seine feine Nase. "Wie sieht es aus? Wird er es überstehen?"

"Keine Ahnung," gab Az frustriert zurück. "Ich werd mir das mal näher ansehen und ihn erst einmal beruhigen. Versuch du meine Sachen aufzutreiben."

"In Ordnung." Slizer stapfte verächtlich durch den Schlamm davon.

Az sah sich im Stall um und fand die ,Sattelkammer', ein abgetrennter Bereich, der einmal eine Box gewesen war. Sein Sattel und sein Zaumzeug waren da, ebenso Phaetons Stirnpanzer, und er hob ihn hoch, um ihn sich näher anzusehen. Das Ding war noch in Ordnung. Es war aus glänzendem und mattiertem, seltsamen, schwarzen Metall zusammengeschweißt, mit dicken Nähten und verschlungenen Spitzen. Von innen wattiert und die Riemen bestanden aus einer Art schwarzem Gummi, das seltsam roch. An der Seite war in seltsamer Schrift das Wort ,Phaeton' eingraviert und Az hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Aber er mutmaßte, dass der Stirnpanzer mit den gemeingefährlich aussehenden Augenhöhlen wahrscheinlich aus altem Autoblech zusammengebastelt worden war. Das Ding umfasste die Stirn des Tieres und umklammerte fest die Wangen, ließ aber die Ohren vollkommen frei und beweglich. Das Pferd hatte ihn schon getragen, als er es "bekommen" hatte. Tatsache war, er wusste nicht wie. Er war eines Tages quasi neben dem Tier aufgewacht. Vor zwei Jahren vielleicht. Er hatte wohl mal wieder einen Aussetzer gehabt, eine seiner seltsamen Gedächtnislücken. Er erinnerte sich nicht mehr, ob er danach, so wie heute, wieder Worte in seinem Kopf gehabt hatte, aber auf jeden Fall war das Pferd da gewesen. Er wusste gar nicht, woher er es hatte. Aber es war ihm auch egal, Hauptsache, es war ein gutes Pferd, und das war es. Phaeton war für einen Hengst sehr ruhig und zuverlässig, aber aufbrausend in Kampfsituationen, stark und geschickt und ein ausdauernder Läufer. Er schlief sogar manchmal im Vorankommen und besaß ein gutes Maß an Erfahrung und Intelligenz. Fast schon ein Schlachtross, ein Profi eben.

Az redete beruhigend auf ihn ein, und es zeigte wenigstens geringe Wirkung. Sie zogen jetzt schon lange durch die Gegend, und obwohl Az bei dem Söldnertrupp, der ihn quasi aufgezogen hatte, reiten gelernt hatte, war die Erfahrung erst auf dem Rücken von Phaeton gekommen. Er klopfte ihm den Hals und sah, dass er immer noch sehr panisch war. Az wollte auch gar nicht wissen, wie sie ihn behandelt hatten und hoffte nur, dass er keine Störung davon hatte. Aber bei Phaetons erfahrenem Gemüt war das eher unwahrscheinlich. Das er bei den Granateneinschlägen durchgedreht war, konnte er dem Tier nicht übel nehmen, aber außer solchen eher kritischen Angriffen war der Hengst ein sehr gutes, erfahrenes und umgängliches Tier, dass man nicht so leicht aus der Ruhe bringen konnte. Ein eher wehleidiges Schnauben in Az Richtung und Phaeton drückte seine samtige Schnauze in seine Handfläche. Er stupste in den matschigen Handschuh und schüttelte sich. Az zog einen Handschuh aus um dem Tier die Mähne zu kraulen, wühlte in seinen Satteltaschen und stellte glücklicherweise fest, dass nichts fehlte.

Slizer kam wieder durch die Tür gestapft und hatte Az' Jacke und Rucksack dabei, ebenso seine Waffen. Außerdem hatte er nun anscheinend auch seine Schrotflinte und seinen eigenen Umhängebeutel geschultert. Er warf Az die Sachen vor die Füße und reichte ihm seine beiden Waffengurte, den mit dem Holster für seine BlackFox, und seine Schwertscheide. Az grinste bei dem Anblick seiner Pistole. Gut, dass sie sich niemand unter den Nagel gerissen hatte. Er liebte diese Waffe. Kaliber 11mm aus der Zeit des großen Krieges, pechschwarzes Metall mit silberner Gravur, "BlackFox - 11mm - H&K". Wofür das H&K stand, wusste er nicht, aber die überschwere Pistole war eine gute und zuverlässige Waffe und es hätte einiger Umständen bedurft sie wieder zu bekommen, wenn jemand lange Finger gemacht hätte. Aber er wäre zu allem bereit gewesen, um sie wiederzubekommen, selbst wenn das bedeutet hätte ein paar Untote von der Silbe "UN" zu trennen.

"Ah, gut. Gab's Probleme?", erkundigte sich Az. Slizer schüttelte den Kopf.

"Sonst hätte ich mit Untoten geschmissen," knurrte dieser. Er schien von der Situation wirklich sehr angepisst zu sein. "Aber wir sollten uns verziehen, ich denke, wenn der nächste Angriff kommt, dann haben die hier ein Problem. Dann schlagen die Dämonen zu und wir haben hier ein heilloses Durcheinander. Wir sollten uns echt so bald wie möglich verpissen. Mir schmeckt das da Draußen gar nicht."

"Mir auch nicht," entgegnete Az, während er das Magazin aus der Waffe holte und es inspizierte, "aber ich kann noch nicht weg, die Wunde von Phaeton sieht zu übel aus."

"Was soll das heißen?", knurrte Slizer nun endgültig wütend.

"Das soll heißen," kommentierte Az und schenkte ihm einen Blick, der ihn wieder in die Schranken wies, "dass ich das Tier frühestens wieder in zwei Tagen anfassen werde, und selbst, wenn dann der Sattel liegen bleibt, reiten kann ich ihn frühestens wieder in drei bis vier." Er unterstrich die Deutlichkeit seiner Aussage indem er das Magazin mit einem lauten "Klick!" wieder in den Griff der Waffe zurückschob, und sie sich seitlich an die Schläfe legte. Die Kühle des Metalls linderte seine Kopfschmerzen, aber er wollte seinem Gegenüber nicht zeigen, dass er selbst noch ziemlich schwach war. Slizer schnaubte.

"Also hängen wir hier noch mindestens zwei Tage rum? Das schmeckt mir nicht, Az!" Er schien am liebsten mit dem Fuß aufstampfen zu wollen, aber Az Blick nagelte ihn fest.

"Dann geh alleine, aber ich brauche das Tier und ein totes Pferd nutzt mir gar nichts! Wir wissen nicht, wann es los geht, und wenn schon! Wir, beziehungsweise ICH muss es riskieren, du kannst ja alleine gehen, wenn du willst. Keiner verlangt von dir hier zu bleiben."

Slizer schnaubte und warf den Kopf beiseite. Er wollte gerade Luft holen und eine trotzige Antwort geben, doch Az Blick traf den seinen und die unerbittlichen, roten, kalten Augen stampften seinen Widerstand in den Boden.

"Hör zu," setzte er an, "ich werd noch zwei Tage bleiben, in Ordnung? Es könnte jeden Tag los gehen. Jeden Tag. Also gib mir die verschissenen zwei Tage, lass es uns riskieren und dann machen wir uns gemeinsam vom Acker. Es ist sowieso gleich. Aber zu zweit ist es sicherer da Draußen. Gegen wen kämpfen die?"

"Gegen Menschen. Ist ein Widerstandsnest." Slizer hatte den Blick von Az abgewandt, er hatte sich aus dem Niederstarren zurückgezogen und Az grinste kaum merklich. Gewonnen.

"Okay. Menschen mit Technik. Das ist sowieso Scheiße. Was sollen wir machen, wenn die im umliegenden Gebiet noch Truppen verstreut haben? Alleine machen die uns Platt, wir sehen sie nicht mal kommen. Nur mal im falschen Moment pennen gelegt und Zack!" Er richtete die Knarre in Slizers Richtung und der schnaubte. Er hob die Hand und schlug die Waffe weg, Az grinste wieder.

"Lass den Scheiß, Mann! Du bist'n Profi, also ziel nicht mit ner scharfen Waffe auf Leute, die du nicht erschießen willst!" Az grinste ihn wieder an, und Slizer trat von einem Bein aufs andere, aber er nahm die Waffe und steckte sie in das Gürtelhalfter, dass er an der rechten Seite trug.

"Okay. Dann lass uns noch zwei Tage abwarten, ich wechsle jetzt den Verband bei Phaeton und dann sehen wir morgen weiter." Az legte den Schwertgurt um und sah Slizer zufrieden an. "Deal?"

"Deal," grummelte Slizer immer noch unbehaglich. "Aber dann verschwinden wir in Richtung Süden, okay? Hab keine Lust denen vor die Flinte zu rennen." Az nickte und Slizer schüttelte sich unzufrieden. Beide wussten, dass das zwei verdammt heiße Nächte werden würden.

Verwirrender Abgang

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Abenddämmerung

Als Az erwachte, stand die Sonne schon am Himmel. Er öffnete seine Augen und blieb regungslos liegen. Er wollte, wie immer, erst die Lage einschätzen, bevor er seinen Feind wissen ließ, dass er mit ihm rechnen musste. Und der Feind konnte überall sein. Sein Gesicht war immer noch in den Stoff der dunkelblauen Kutte gehüllt, es war relativ warm und trocken geblieben, also vermutete er, dass es nicht geregnet hatte. Er hörte gedämpfte Worte und sah, als er aus seiner dunklen Ecke herausspähte, dass Slizer anscheinend mit dem Mädchen redete. Er hatte wieder seine menschliche Gestalt angenommen und war wieder der große, ausnehmend muskulöse Kerl von der Straße, mit dem schwarzen wilden Haar und den eindringlichen, aber schönen bernsteinfarbenen Augen. Er trug nur eine weite, ausgewaschene Jeans und war wieder in seine Stiefel geschlüpft, deren Schnürsenkel wie immer offen und schon total verdreckt und schlammig waren.

Die Kleine schien aufgewacht und Az verstand nicht, was er zu ihr sagte, aber sie nickte. Seltsam, wie sanftmütig Slizer mit seiner gutturalen Stimme umgehen konnte, es klang fast fürsorglich, wenn auch irgendwie unbeholfen, was auch immer er gerade zu ihr sagte. Ihr Gesicht war immer noch geschwollen, und das Hämatom hatte seine Farbe von dunkelblau zu schwarz mit rotem Rand geändert. Ihr Jochbein aber, schien nicht gebrochen zu sein. Slizer drehte sich um und Az schloss sofort die Augen. Er hörte den Blüter hinausstapfen und als er sich entfernt hatte, öffnete er sie wieder. Das Mädchen sah Slizer anscheinend nach, und Az fixierte sie mit seinem Blick. Seine Pupillen verengten sich in der ungewohnten Helligkeit zu noch kleineren Schlitzen, und als hätte sie das gespürt, schaute sie plötzlich erschreckt zu ihm herüber.

"Wie ist dein Name?", fragte Az kalt und fast geschäftlich, ohne etwas auf ihre Verwirrung zu geben, oder etwas zu sagen, was ihre Angst mildern würde. Sie starrte ihn einen Moment fast hilflos an und wich dann seinem schneidenden Blick aus.

"Kassandra," hauchte sie immer noch kraftlos.

"Gut, Kassandra," sagte Az weiterhin mit einem sehr gleichgültigen Tonfall. "Wie geht es dir?"

"Hm." Sie schien sich nicht zu trauen, eine ehrliche Antwort auf seine Frage zu geben, aber andererseits wollte sie ihn auch nicht anlügen. Az merkte, dass Konversation mit dem Kind sehr schwierig werden würde. Er richtete sich langsam und beinahe drohend auf. Es war keine Absicht, nur einfach seine Art. Er setzte sich immer in Szene. Immer. Mit jedem Atemzug holte er das Beste aus sich heraus und verlangte sich alles ab. Er schüttelte sich wie ein nasser Hund und sein Halsband klirrte dabei. Sie zuckte zusammen und er fuhr sich durch die Haare. Er öffnete das Haarband und ließ sich die langen, weißen, verfilzten Strähnen ins Gesicht fallen. Dann schüttelte er die Stoffkutte ab, so dass sie an seinem Becken herunter glitt.

Er lag auf der Seite und hatte ein Bein leicht angewinkelt, so dass er in der Hüfte einknickte. Seine Bauchmuskeln spannten sich sehnig, und im Licht der Morgensonne hob sich die kreuzförmige Narbe links von seinem Nabel besonders hervor. Er streckte sich einmal ausgiebig, indem er die Hände mit den weißen, fingerlosen Handschuhen hinter den Kopf nahm und viele Narben zeigten sich, als die Muskeln darunter zu spielen begannen. Er gähnte und bleckte dabei die messerscharfen Eckzähne, streckte seine lange, dicke, schleimige Zunge heraus und breitete dann langsam und knarrend die schwarzen Knochenschwingen hinter seinem Rücken aus, als seien sie Schatten, die nicht zu seinem Körper gehörten, und die er trotzdem kontrollierte.

Er spähte wachsam zu Kassandra herüber, die zusammenzuckte, als sein Blick den ihren traf. Er grinste. Sie hatte ihn angesehen. Er liebte es, wenn ihn Leute ansahen. Ihren Blick nicht von ihm lösen konnten, egal wie sie zu ihm standen. Er wusste, dass er selbst seine Feinde nicht selten faszinierte. Er nahm abrupt die Arme nach vorne und ließ sich auf die Handflächen fallen, so dass er kurz über dem Boden stand, als würde er sie belauern. Doch seine Augen begutachteten sie nur kalt und ein bisschen triumphierend. Sie schien sich noch weiter in den Schatten zu ducken, als sie es gerade schon getan hatte. Er grinste wieder, ließ dann die Anspannung aus seinen Muskeln fahren und rollte sich fast verspielt aus der Kutte.

"Hier." Er warf sie ihr zu, und sie fing sie aus Reflex auf, schaute ihn dann etwas verwirrt an. "Ich bin sicher, dir ist ganz schön kalt," sagte er und spielte mit seinen Flügeln, indem er die Glieder streckte und wieder zusammenzog. Er beugte sich nach hinten, und entfernte die Schiene, die ihn nur noch störte. Seine Knochen waren gut verheilt und er strich selbstverliebt über die lederne, schwarze Haut, die sie umspannten.

Seine Schwingen waren für ihn kein störendes Anhängsel, sie gehörten zu seinem Körper und er war sich ihrer immer bewusst. Ein Großteil seiner Körpersprache beruhte auf der Gestik, die er mit ihnen vollzog. Doch da ihnen die schützende und stabilisierende Haut zwischen den Gliedern fehlte, waren sie der verwundbarste Teil seines Körpers. Er wusste nur zu gut, dass er mit ihnen niemals fliegen würde und ein Mensch war schuld daran.

Kassandra blickte immer noch verstört zu ihm herüber, aber sie wurde sich gewahr, dass sie bis auf ihre Turnschuhe und ein paar Fetzen ihrer ehemaligen Kleidung nichts mehr am Leib trug. Die Kälte der Nacht ließ sie immer noch zittern, oder vielleicht gerade jetzt? Jedenfalls begann sie zögerlich, sich in die Kutte einzurollen und bemühte sich, dem Blüter einen dankbaren Blick zu zeigen, auch wenn sie immer noch vor Angst ganz gelähmt war. Az bemerkte, wie Slizer anscheinend näher kam und legte sich wieder auf den Boden. Er legte die Arme übereinander und rollte sich auf die Seite, wie ein schlafender Hund mit angewinkelten Beinen.

"Hey Gräte! Aufwachen!", knurrte Slizer aufgeregt und wenig freundlich. Az öffnete ein Auge und sah zu ihm hinauf, als sei er gerade erst aufgewacht. "Keine Zeit zum rumliegen! Hast jetzt lang genug gepennt. Da kommen Soldaten!"

Az war sofort "hellwach". Er richtete sich auf und sprang in die Hocke, schlug zweimal kräftig mit den Flügeln, die dabei leise knarrten und widerliche Geräusche von sich gaben, wie wenn Knochen aneinander rieben. Er schüttelte sich, wobei das Halsband klirrte und sah alarmiert zu Slizer hinauf, während er sich die Haare wieder zusammenband.

"Menschen?", fragte er fest.

"Mhm." Slizer nickte. "Ich denke zumindest. Kommen aus dem Wald heraus, könnte sein, dass die uns suchen... Oder das Mädchen."

"So'n Mist." Az sprang auf die Füße und ruckte seine Lederjacke zurecht, er knackte mit dem Genick und sah Slizer ernst an. "Wenn die unsere Spuren verfolgen, haben die vielleicht den Dämon gefunden. Das könnten Versuchte sein. Wir könnten mächtig Ärger bekommen! Vor Allem, wenn die uns mit der Kleinen sehen. Die werden uns dafür den Kopf wegschießen, da bleiben keine Fragen offen. Am besten, wir lassen das Mädchen hier. Immerhin sind das Menschen. Die glauben noch, wir hätten ihr das angetan."

"Ich weiß nicht," murrte Slizer und trat unruhig von einem Bein aufs andere. "Denk doch mal nach. Das sind Soldaten, vielleicht Söldner. Die kennen auch keine Moral, wer weiß, was die erst mit ihr anstellen."

Az schenkte Slizer einen verständnislosen Blick und dieser bereitete sich auf eine weiteres Wortgefecht vor, indem er die Fäuste ballte und sich vornahm angestrengt nachzudenken, bevor er die erste Antwort formulierte. Doch dann drehte sich Az unerwartet zu Kassandra um und starrte ihr in die Augen. Sie wollte erst wieder wegsehen, doch er starrte sie unerbittlich an und fesselte sie.

"Was willst du?", fragte er fast spöttisch, doch kein Lächeln umspielte seine Mundwinkel und er ging einen Schritt auf sie zu. "Wir haben keine Zeit für Spielchen," sagte er nun fest und ernst und ohne jeden Anflug von Humor oder Spaß. Sie sah ihn angsterfüllt an und brachte keinen Ton heraus, ganz abgesehen davon, dass sie auch keine Antwort wusste.

"Entscheide dich! Vertraust du uns, oder deiner eigenen Art? Ich werde dich nicht mitschleifen, wenn du dich nicht von selbst entscheidest." Er ging zu Phaeton herüber und begutachtete die Wunde. Sie sah besser aus, das Bitterkraut hatte anscheinend geholfen und so führte er den Hengst energisch hinaus ins Sonnenlicht. Er drehte sich um und starrte Kassandra an, als würde er eine Antwort erwarten. Doch das Mädchen wich seinem Blick aus und schwieg. Tränen schienen in ihren Augen aufzusteigen, doch sie unterdrückte jedes Schluchzen oder Schniefen.

Az stieg auf und wandte den Hengst noch einmal um, um die Dringlichkeit seiner Worte zu unterstreichen. Er ließ das Tier geschmeidig einige Schritte rückwärts gehen. Es wehrte sich nicht gegen die kaum spürbaren Hilfen seines Herren. Phaeton war ein Profi und im Survival Reitstil eingeritten, der sehr viel pragmatischer war, als der englische Reitstil, der verhältnismäßig wenig von Tier und Reiter verlangte und nach Az' Meinung auch für wenig gut war. Er verschärfte seinen Blick dem Mädchen gegenüber und dieses schien nur noch tiefer in der Kutte zu verschwinden. Az verstand ihre Gefühle nicht. Von Gefühlen hatte er verhältnismäßig wenig Ahnung. Er konnte nicht nachvollziehen, was Kassandra gerade durchmachte und benahm sich darum rau und unbarmherzig, wie es seine Art war. Slizer kratzte sich ratlos am Kopf.

"Geh schon mal vor," warf er plötzlich ein. Sein Blick war beschwichtigend, doch dringlich. "Ich rede noch mal mit ihr. Reite schon mal vor, wie gehabt in Richtung Nürnberg, ich hol dich schon ein, keine Panik." Az nickte, sein Freund wusste schon was er tat. Das konnte man zwar lange nicht immer behaupten, denn Slizer war ein ziemlich irrationaler Kindskopf, doch im Kampf konnte man sich auf ihn verlassen und er hatte auch ansonsten seine vernünftigen Momente. Das hier war solch ein Moment, wie Az an Stimme und Gestik des Blüters erkannte und er vertraute ihm die Situation an, die er anscheinend versaut hatte. Er sah Slizer noch einmal fest an, ließ das Pferd einige weitere gekonnte Schritte rückwärts machen, drehte es dann wendig und ohne Gegenwehr auf der Hinterhand um und jagte im Galopp davon. Erde und Asphaltsplitter flogen, und Az sah sich sofort aufmerksam in der Gegend um.

Es schien Vormittag zu sein und einige Fasane flogen auf, als er durch eine kleine Grasnarbe preschte. Er stellte mit Erleichterung fest, dass es hier langsam wieder mehr Vegetation gab, ein Zeichen dafür, dass sie dem Norden näher kamen. Nach wenigen Minuten ließ er Phaeton wieder in einen leichten Trab zurückfallen, denn er wollte dem verwundeten Tier immer noch nicht zuviel zumuten. Der Hengst schnaubte und schäumte unter dem aggressiven Stirnpanzer aus Autoblech, den Az ihm wieder angelegt hatte, als sie den Wald verlassen hatten.

Eine solche Kleinigkeit konnte der Schlussstrich zu einem Erscheinungsbild sein, die letzte Komponente eines gelungenen Auftritts, die dafür sorgte, dass man als gefährlich eingestuft und nicht angepisst wurde. Jede Kleinigkeit, selbst die Art, wie er sich auf dem Pferd hielt, konnte für eventuelle Angreifer darüber entscheiden, ob er ein lohnenswertes Ziel war, oder doch ein zu großer Happen. Az schätzte Gegner selber oft genug ein, um das zu wissen und Outfit und Gehabe machten eine Menge aus, wenn man beobachtete. Az wusste, wie er sich zu verkaufen hatte.

Er trabte durch eine langgezogene Grasnarbe und sah, wie Slizer mit dem Mädchen auf dem Arm aus dem Unterschlupf kam und begann, zu ihm aufzuschließen. Az nahm absichtlich den Weg durch die Grasnarbe, um eventuelle Spuren so gering wie möglich zu halten. Im staubigen und festen Boden, der von Betonsplittern und Kieseln der ehemaligen Gebäude durchzogen war, hinterließ ein Pferd recht deutliche Abdrücke für einen geübten Jäger oder Söldner. Er sah sich immer noch um und entdeckte dann eine Straße, die anscheinend gepflastert war. Einen Handelspfad, oder Wanderweg, der zu einer großen Stadt führen musste, wenn er so gut ausgebaut war.

Auf dem Weg ging in einiger Entfernung eine Person. Az drückte seine Schenkel zusammen und ließ Phaeton losgaloppieren. Er schloss effektvoll zu dem Wanderer auf, der einen Stab trug und in eine einfache Leinenkutte gehüllt war. Als er näher kam, erhob der Mann seinen Blick und Az viel wieder in Trab zurück. Er bremste das Pferd in einem respektablen Abstand, so dass er nicht rufen musste, damit der Mann ihn verstand.

"Heda! Ich will nach Nürnberg. Sag, weißt du in welche Richtung es liegt, und wie weit es ist?"

Der Mann nickte und deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. "Etwa zwei Tage in diese Richtung, nun, zu Fuß jedenfalls."

"Danke." Az drehte das Pferd geschmeidig auf der Hinterhand und galoppierte los, um wieder zu Slizer aufzuschließen. Der Braunschimmel schnaubte und Schaum flog aus seinem Maul. Das Tier schien immer noch nicht ganz gesund zu sein, wie Az an der schweren Atmung feststellte. Der dunkle Schweif zuckte wild, während er das Pferd antrieb und der Gang war noch nicht ganz sauber. Die dunklen Vorderläufe verhaspelten sich beinahe im Galopp und Az entschied, das Tempo wieder etwas zu drosseln und es gezwungenermaßen langsam angehen zu lassen. Er klopfte den hellbraun gesprenkelten Hals des Schimmels und beruhigte ihn.

Slizer bewegte sich in gutem Laufschritttempo auf Az zu und trug dabei mühelos das Kind und seine Ausrüstung. Az blieb stehen und wartete ab, bis sein Freund endgültig zu ihm aufgeschlossen hatte.

"Die Straße führt nach Nürnberg. Hab nen Wanderer gefragt, der sagte vielleicht zwei Tage noch zu Fuß." Er wies in die Richtung, in die der Mann gezeigt hatte, dann zuckte er die Schultern und beugte sich etwas im Sattel vor, worauf das Tier seine Bewegung vollendete und einige Schritte auf Slizer zu machte. "Weiß nich, ob das stimmt, oder der Kerl Müll labert, aber ich denke wir folgen einfach der Straße und warten ab, oder?"

"In Ordnung." Slizer war von dem Dauerlauf kaum geschafft. "Hauptsache wir kommen voran, ich hab wenig Lust, den Soldaten in die Hände zu fallen, sahen so aus, als wärens viele."

"Okay aber gib mir das Kind." Az streckte die Hände nach dem Mädchen aus und lehnte sich weiter vor, worauf Phaeton schnaubend noch einige Schritte machte, um ihm sein Handeln zu erleichtern. Slizer reichte Kassandra herüber, die schon wieder das Bewusstsein verloren hatte. Az merkte, dass sie Fieber hatte und er war sich nicht sicher, ob sie ihre Verletzungen überstehen würde. Er wickelte das Kind fester in die Kutte und setzte sie vor sich auf das Pferd. Der Sattel war Survival und hatte vorne einen Knauf, an dem man Seile festmachen konnte, wenn man wilde Pferde einfing, oder sonst etwas vorhatte, aber Az sah zu, dass sie nicht darauf saß und ließ Phaeton wieder lostraben. Schnaubend setzte sich der Hengst in Bewegung und schlug mit dem Schweif aus. Die Kurzatmigkeit des Tieres machte Az Sorgen. Wie lange hatte er dort herumgelegen und wie lange hatte das verletzte Tier stehen und bangen müssen. Er hoffte nur, dass Phaeton kein Trauma davongetragen hatte, ein verängstigtes und gestörtes Pferd konnte er hier draußen nicht gebrauchen. Aber sein bisheriges Benehmen hatte glücklicherweise eher darauf schließen lassen, dass dieses gemeinsame Erlebnis des Leidens das Tier nur noch enger mit seinem Herren zusammengeschweißt hatte. Sie setzten sich in Bewegung und Slizer trabte neben dem Paar her, er hatte kaum Probleme mit dem Tempo, es sah eher aus, als würde er ein Joggingtraining momentan Willkommen heißen.
 

Sie verfolgten den Weg einige Stunden. Az musste das Tempo irgendwann doch drosseln, zum einen, weil Slizer nicht mehr mitkam, und zum anderen, weil er Phaeton noch nicht soviel zumuten wollte. Sie verließen die Straße einige Male, um sich umzusehen, und bald säumten Grasflecken und Gebüsche ihren Weg; ein Zeichen dafür, dass es in dieser Gegend sauberes Wasser im Boden gab, vielleicht sogar einen größeren Fluss.

Az bemühte sich immer noch so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen und behielt die Umgebung im Auge. Dasselbe galt für Slizer, der von Natur aus die geschärfteren Sinne hatte. Aber von möglichen Verfolgern war weit und breit nichts zu sehen und so setzten sie ihren Weg eisern fort. Gegen Einbruch der Nacht machte sich Slizer auf, um vom Wegesrand ab nach einer geeigneten Stelle für ein Nachtlager Ausschau zu halten. Az blieb auf der Straße, um kein Aufsehen zu erregen und Phaeton eine ruhige Schrittpause zu gönnen. Die Abendsonne tauchte die alte Welt in rot und Az fragte sich, wie dieses Rot wohl erst in Amerika leuchten würde. Himmelsfeuer, die Abenddämmerung.

Morgens brennt die Hölle, weil ihre gierigen Flammen nach dem Licht des Tages greifen, nach dem strahlenden Antlitz der Engel. Und Abends lodert der Himmel, denn zur Dämmerung stürzen sie herab, die Gefallenen. Hinab zu ihrem Herren Lucifer, um ihm zu schmeicheln und Kunde zu bringen, was sie den Tag über für Schandtaten getan und für Sünde verbreitet haben. Und das Heulen der Wölfe und die Schreie der Tiere sind ihre Schreie und ihr Gelächter, mit dem sie den Himmel verspotten und Gott trotzen.

Das war eine Kindergeschichte, die seine Mutter ihm mal erzählt hatte und ihre Augen hatten diesen leuchtenden Glanz gehabt, den er sich nie hatte erklären können. Ihre Augen, ihr Geist, sie schien immer so weit weg zu sein von allem Irdischen. Er fragte sich, ob die Geschichte wohl ein Ende hatte. Den Anfang kannte er. Den Fall des Strahlenden, den Fall Lucifers. Aber ein Ende? Wenn ja, so hatte sie es ihm nicht erzählt. Aber sie hatte ihm niemals eine Geschichte zu Ende erzählt. Dazu hatten ihre klaren Momente nicht ausgereicht. Immer war ihr Verstand wieder in die Tiefen ihrer Seele zurückgekehrt, bevor sie zum Ende einer Geschichte kam und leise singend hatte sie sich selbst in Trance gewiegt. Aber selbst wenn die Geschichte vom Fall der Engel und der Erschaffung der Dämonen ein Ende gehabt hätte, so wäre es wohl eine Prophezeiung gewesen, denn der Krieg zwischen Himmel und Hölle tobte noch immer auf Erden.

Slizer kam zurück, Az sah seine Silhouette näher kommen und erkannte ihn sofort an seinem Gang. Sein Freund kam langsam auf ihn zu und zeigte mit dem Daumen hinter sich.

"Ich hab wieder ein eingestürztes Haus gesehen. Ist aber abgebrannt. Stehen nur noch zwei Mauern von. Dürfte aber gehen." Er stützte die Hände in die Hüften und ließ seine Zunge seitlich aus dem Mund hängen. Es sah seltsam aus, wenn er das in seiner menschlichen Gestalt machte, aber Slizer war nun mal ein sehr tierischer, instinktgeleiteter Blüter.

"Okay, lass uns da hingehen und rasten. Meinst du, du kannst etwas zu Essen auftreiben?" Az rieb sein linkes Handgelenk, an dem er die Pistolenarmbrust festgeschnallt hatte. Er hatte nur noch zehn Pfeile und wusste, dass es günstiger war, auf Slizers Talent zur Kaninchenjagd zu vertrauen, solange es ging.

"Schon okay. Ich such was," grollte Slizer und stapfte los. Az stieß dem Phaeton leicht in die Seiten und dieser bewegte sich schnaubend los. Er fand das Haus, von dem Slizer gesprochen hatte und manövrierte das Pferd zwischen die abgebrannten und rußgeschwärzten Mauern des ehemals unteren Stockwerkes. Er stieg ab und setzte das Kind in eine Ecke. Kassandra schien ruhig zu schlafen, aber das Fieber war nicht gesunken.

Wenn sie Pech hat, verreckt sie dran, dachte er bei sich. Irgendwie beeindruckte ihn das Durchhaltevermögen des kleinen Körpers. Er sah in das immer noch angeschwollene Gesicht und stellte fest, dass er es schade fände, wenn das Mädchen nach alldem einfach so an der Entzündung sterben würde. Vielleicht hatte sie ja einfach eine Chance verdient zu überleben.

Wenn es nach Az ging, war niemand einfach das, was er war, sondern hatte erst einmal eine Chance verdient, sich zu beweisen. Für viele Blüter und besonders für Dämonen war ein Mensch immer nur ein Mensch, und würde niemals über dieses Stadium hinauskommen. Ein Mensch besaß keine besonderen Kräfte, oder Fähigkeiten, er war nur ein dreckiger Mensch. Aber Az wusste aus vielen Schlachten und aus eigener Erfahrung, dass nichts und niemand auf dieser Welt so dreckige Tricks hatte, so verzweifelt und irrsinnig kämpfen konnte und so schwer zum Aufgeben zu bewegen war, wie Menschen. Menschen waren zäh und irgendwie bewunderte er sie dafür. Er hatte eine Menge Kampferfahrung gesammelt und viel gesehen und deswegen schätzte er jeden Gegner individuell nach seinem Aussehen, Verhalten und seiner Ausrüstung ein. Die Rassenzugehörigkeit musste man bedenken, war aber nicht ausschlaggebend, damit man niemanden unterschätzte. Falsche Arroganz und Selbstüberschätzung konnten in einem Kampf ganz schnell zu einem unerwartet dreckigen Ende führen.

Az inspizierte die Mauern, die noch etwa zweieinhalb Meter in die Höhe standen und stellte fest, dass sie stabil waren. Er hockte sich auf eine, die gen Südosten zeigte, also in Richtung des Weges und in Richtung Nürnberg und verharrte dort wie ein grotesker Wasserspeier mit Lederjacke. Er spreizte die Flügel leicht ab, um das Gleichgewicht optimal auszubalancieren und behielt die Umgebung im Auge, bis Slizer wieder zurück kam.

"Da." Der Große grinste und hielt drei Kaninchen hoch. "Hat ganz schön gedauert, aber ich wollte sie nicht erschrecken." Er deutete zu Kassandra herüber und Az bemerkte, dass sie aufgewacht war. Er zog eine Augenbraue hoch und fragte sich, ob Slizer die Beute in Menschengestalt gefangen hatte. Wenn ja, dann bewunderte er ihn dafür, aber verstand den Grund nicht ganz..

"Gib es mir einfach so," sagte Az und Slizer warf den leblosen Körper zu ihm rauf. "Du kannst ruhig ein Feuer machen, aber nur ein kleines. Ich halte hier oben Wache." Az fing das Kaninchen mit einer Hand auf und begann die Eingeweide heraus zu holen und es zu häuten. Slizer zuckte mit den Schultern, redete wieder irgendetwas zu Kassandra und sie nickte verschüchtert. Dann machte er sich daran Holz von den Satteltaschen zu nehmen und zündete ein kleines Feuer an, über dem er die Kaninchen aufhängte, die er dieses mal genauso bearbeitete, wie Az es getan hatte. Anscheinend wollte er Rücksicht auf das Kind nehmen. Az war wirklich verwundert. Er ließ seinen Blick schweifen, während er das magere Fleisch von den Knochen zog und gierig hinunterschlang. Er versuchte so wenig Blut wie möglich zu verschwenden, denn es war wichtige Flüssigkeit. Er achtete nicht auf die anderen, während er wachte, und so sah er auch Kassandras ängstliche Blicke nicht, die ihn immer wieder trafen.

Als die Beiden am Boden ihre Mahlzeit beendet hatten, legte sich Slizer auf die Seite und grummelte irgendetwas, was vielleicht "Gute Nacht" oder etwas ähnliches hätte heißen können. Az vergewisserte sich nicht, ob auch das Mädchen schlief, aber Slizer begann wie fast immer nach wenigen Minuten dezent zu schnarchen. Die Umgebung schien ruhig zu sein und Az genoss die Kühle der Nacht auf seinem Aussichtsplatz. Er verharrte regungslos, bis er einmal hinuntersteigen musste, um darauf zu achten, dass Phaeton sich auf der Suche nach spärlich Essbarem nicht aus dem Schutz der Deckung bewegte. Er klopfte das Tier und gab ihm eine Hand voll Kraftfutter, die er noch in den Tiefen seiner Satteltaschen auftreiben konnte. Danach hockte er sich wieder auf seinen Aussichtspunkt und verharrte. Er saß so eine Weile, er wusste nicht genau wie lange, ein paar Stunden vielleicht, als er plötzlich etwas hörte.

Der Unterschlupf war nicht weit von der Straße entfernt; in der Tat hatte Az sie noch gut im Blick und umgekehrt. Er hörte harte, donnernde Hufschläge, die anscheinend den gepflasterten Weg entlang kamen und das sehr schnell. In der kargen Ebene Süddeutschlands, das vom Krieg verwüstet worden war, konnte man solche Geräusche kilometerweit hören und Az konnte schlecht einschätzen, wie weit der Herd des Aufruhrs noch entfernt war. Geschmeidig hüpfte er von der Mauer und kam leise in der Hocke auf, die Schwingen nah an den Körper gepresst. Er zog seine Pistole und schlich sich geduckt und rasch näher an die Straße heran. In einem großen Gebüsch nahe bei einem toten Baum hielt er inne und versuchte auf die immer noch gut zehn Meter weit entfernte Pflasterstraße zu spähen.

Die Hufschläge wurden lauter und er schätzte, dass es vier Pferde waren, mindestens. Eine Kutsche vielleicht?

Er strengte seine Augen an und sah aus der Dunkelheit etwas schnell näher kommen. Es schien tatsächlich eine Kutsche zu sein, und sie schien in größter Eile. Sie war anscheinend schwer und massig, dunkel und reichlich verziert. Der Kutscher schrie die vier pechschwarzen Pferde an und knallte energisch mit der Peitsche. Sie kamen die Straße entlang und preschten an Az Position vorbei in einem Tempo, dass wahrlich halsbrecherisch war. Der Blüter stand auf und sah der Kutsche nach. Er wunderte sich, wie die Pferde ein solches Tempo bis Nürnberg schaffen sollten, ohne hinter den Toren tot umzufallen. Da die Kutsche so aufwendig und wie er nun ebenfalls feststellte, sehr aggressiv verziert war, schätzte er, dass sie sehr reichen Leuten gehörte. Er machte sich wieder auf den Rückweg zu ihrem Lager und sprang auf die Mauer. Slizer war aufgewacht und sah sich hektisch um.

"Was' los Gräte?! Was war das?"

"Ne Kutsche," antwortete Az nachdenklich und schnarrend. "Keine Ahnung, hatte ein irres Tempo drauf. War voll verziert und so'n Scheiß, Mit vier Gäulen vorne dran in echt halsbrecherischem Tempo. Reiche Leute, auf jeden Fall. Wollen bestimmt nach Nürnberg."

"Hm. Und was meinst du? Wurden die verfolgt?" Slizer kratzte sich nachdenklich am Kinn.

"Keine Ahnung," gab Az schulterzuckend zurück. Er duckte sich auf dem Sims und wandte sich in die Richtung um, in die die Kutsche geprescht war. Das gedämpfte Donnern der Hufe war noch zu hören. "Ich hoff nich, sonst haben wir ein Problem. Sah echt krass aus, das Ding, hatte überall scharfe Kanten und Spitzen und Schlieren aus Metall. Hab es aber nicht so genau gesehen, war echt schnell."

Slizer grummelte und Az sah, dass Kassandra wach war und sich ängstlich umsah, immer noch in die Kutte gehüllt.

Slizer wollte gerade etwas sagen, Da hörten sie plötzlich eine lautes Wiehern und Knallen, wie von einem Schuss. Das Donnern hörte abrupt auf und Kampfeslärm drang zu ihnen herüber. Az war sofort auf Hundertachzig und stellte sich aufrecht auf die Mauer um besser sehen zu können. Er klappte die Schwingen unruhig aus und zitterte mit ihnen, was ein Rasseln wie bei einer Klapperschlange von sich gab, vermischt mit einem unnatürlichen Zischen.

"Was ist passiert?" Slizer hüpfte ebenfalls auf die Mauer und Phaeton wieherte unruhig.

"Werwölfe!", zischte Az. "Ich kann nicht sehen wie viele, aber die Leute in der Kutsche ham Probleme!"

"Scheiße, ja." Slizer formte seine Augen zu Schlitzen und grollte. "Was meinste, rauben die die aus?"

"Ich weiß nicht." Az war nachdenklich. "Die Kutsche sah echt heftig aggressiv aus. Vielleicht verziehen wir uns besser."

"Du hast gesagt, die sahen nach Geld aus." Slizer wurde plötzlich aufgeregter, als habe er soeben die Erleuchtung gefunden.

"Ja..." Az wartete geduldig, bis sein Freund die Worte ausformuliert hatte. Slizer war nun einmal nicht der Hellste.

"Und die sind auf dem Weg nach Nürnberg. Woll'n wir denen helfen? Vielleicht springt was raus und wir stehn gleich gut da." Slizers Gesichtsausdruck wurde fast freudig vor Aufregung und er ließ die Zunge seitlich raushängen. Az hatte den Eindruck, als wolle er gleich mit dem Schwanz wedeln. Er dachte einen Moment nach, zog eine Augenbraue hoch und wunderte sich über den plötzlichen Geistesblitz seines sonst eher tollpatschigen Gefährten. Wenns um Geld, Weiber und was zu Essen geht... , dachte Az kopfschüttelnd und sprang dann grinsend von der Mauer.

"In Ordnung."

"Also los!" Slizer hüpfte in Richtung Straße und Az hörte es knacken und dieses widerliche Geräusch, als wenn Fleisch auseinander riss. Slizer ging in seine Wergestalt. Az schüttelte sich wegen dem Geräusch und ging auf Phaeton zu, stieg auf und wandte sich Kassandra zu.

"Wir gehen jetzt einen Job erledigen, wir holen dich später. Bleib hier, egal was passiert, bleib hier. Wenn wir zurückkommen und du bist nicht da, gehen wir dich nicht suchen. Verstanden?" Er wartete ihr Nicken nicht ab und stieß Phaeton in die Seiten. Das Pferd wieherte auf und preschte im Galopp los. Sand flog und Az bewegte sich auf die Kutsche zu.

Während er zu Slizer aufschloss legte er den Kopf in den Nacken und konzentrierte sich einen Moment. Er rief die Kraft in seinem Blut an, um seinen Körper zu schützen und langsam spürte er, wie seine Haut dicker wurde, und sich überall über seine Muskeln sehnige Adern zogen. Er legte seine Panzerung auf, seine Haut wurde dunkler und fester und es war nicht so leicht ihn zu verletzen. Zu seinem Glück sparte diese Kraft keine Nische seines Körpers aus und behinderte ihn kein Stück. Az legte viel Wert auf Wendigkeit und Schnelligkeit in einem Kampf, deswegen trug er keine andere Panzerung, die starr oder störend gewesen wäre. Seine Haut bekam eine dunkelbraune Farbe und seine Haare färbten sich schnell tiefschwarz, bis auf einige silberweiße Strähnen, die darin zurückblieben. Der Vorgang nahm nur eine Minute in Anspruch und kostete ihn einen Augenblick Konzentration, dann öffnete er wieder die Augen und schüttelte das benebelnde Gefühl ab, dass er immer hatte, wenn er der Stärke seines Blutes anrief.

Az sah Slizer schon auf allen Vieren auf die Kutsche zurennen. Er überholte ihn und gab ihm ein Handzeichen nach rechts. Als sie dem Ort des Geschehens näher kamen, sahen sie, dass etwa sechs Werwölfe mit der Belegschaft in einen zähen Kampf verwickelt waren. Es schienen auch schon Opfer am Boden zu liegen, die definitiv humanoider Statur waren. Slizer drehte nach rechts ab und Az nahm die linke Seite. Zu beiden Seiten der Kutsche standen je drei Werwölfe, während vorne rechts einer anscheinend die Pferde im Visier hatte, die von einer weiteren Person verteidigt wurden und laut grölten. Die rechte Tür der Kutsche stand offen und davor wehrte sich gerade ein Kerl in einem schwarzen Ledermantel, anscheinend ohne jede Waffe gleich gegen zwei der Biester. Az preschte auf sie zu und hielt einige Meter davor abrupt an. Er zog seine BlackFox und legte an. Einer der Wölfe, die sich mit dem Kerl beschäftigten schaute auf und kam nun zähnefletschend auf Az zugerannt.

Der Typ guckte verwirrt, was sein verbliebener Gegner nutzte, um ihm einen Hieb in die Seite zu verpassen, der ihn übel verwundet haben musste, aber es spritzte kein Blut. Der Aufschrei des Mannes war nicht menschlich, aber auch nicht dämonisch und Az sah Klauen an seinen Händen und seine Augen rot funkeln. Als er das Gesicht zu einem Schmerzensschrei verzog, bleckte er lange, spitze Eckzähne, die im Mondlicht aufblitzten.

Vampire, dachte Az verstört. Er glitt von Phaetons Rücken, ohne sein Ziel aus den Augen zu verlieren und schlug ihm mit der flachen Hand auf den Hintern. Das Pferd wieherte und trabte ab. Az visierte den sabbernden Werwolf an, der mit blutverschmierten Klauen auf ihn zuhetzte, und schoss.

Der Schuss knallte laut in die stille Nacht und übertönte das Kampfgebrüll. Der Wolf schüttelte sich verwirrt, wurde aber nur noch wütender, als er das große Loch in seiner linken Brust bemerkte. Az grinste. Blattschuss, dachte er bei sich. Doch der Schläfer rannte weiter auf ihn zu und Az schoss ein weiteres mal konzentriert. Er wusste, dass Werwölfe eine Menge einstecken konnten, das war ihre Stärke.

Der zweite Schuss fetzte dem Biest ins linke Bein, doch es musste ein Streifschuss gewesen sein, denn es taumelte nicht einmal. Az fluchte, als ihm der Wolf zu nahe kam und bereitete sich darauf vor, auszuweichen. Er steckte eilig die Pistole weg und zog sein Schwert, und dann war das Grauen auch schon da. Die erste Klaue verfehlte Az nur knapp, doch es lag zuviel Schwung in dem Hieb, so dass das Biest seine aufrechte Haltung beim Zuschlagen verlor und knurrend auf beide Vorderpfoten viel, um sich abzufangen. Az drehte sich geschickt und warf sich dem Biest entgegen. Er führte das Bastardschwert zweihändig, um mehr Wucht zu bekommen. Hier half nur brachiale Kraft. Er musste seinen Gegner so schnell wie möglich fertig machen, denn im Nahkampf war ihm das mächtige Vieh einfach überlegen. 180 Kilogramm pure Muskelmasse, deren Klauenhiebe er mit dem Schwert schlecht parieren konnte. Er beneidete gerade Slizer, der den Werwölfen ebenbürtig war und schlug mit all seiner Kraft zu.

Die Bestie kreischte auf, als die Schneide von Az' Schwert ihr rechtes Hinterbein traf. Er zog die Klinge durch und machte einen sauberen Schnitt, so dass das Fleisch des Wolfes vor ihm aufklappte und ihm eine Blutfontäne entgegenschoss. Dann drehte er das Bastardschwert in der Luft elegant und blitzschnell zu einem zweiten Schlag abwärts, der den verdutzen Angreifer mitten in die Seite traf und tief in seinen Körper eindrang. Mit einem Knacken der oberen Rippen verließ sie ihn wieder und Az sprang einen Meter zurück, brachte sich in eine ordentliche Schrittstellung und bereitete sich darauf vor, den wütenden Klauen auszuweichen, während er die blutverschmierte Klinge schützend mit beiden Händen vor sich hielt.

Der Werwolf grölte schmerzverzerrt auf und landete zwei schnelle Schläge mit beiden Pranken, doch Az schaffte es, sich mit ein paar grazilen Schritten zu entziehen. Ein dritter Schlag jedoch traf ihn als er sich mit einer fließenden Bewegung wieder seinem Feind zuwenden wollte und fetzte ihm durch die linke Seite. Er knurrte und verdrängte die glühenden Schmerzen sofort, um wieder zum Angriff überzugehen.

Da die Klinge nun über der Schulter des gebeugten Wolfes war, ließ er sie einfach nach unten schnellen und verlieh dem Schlag mit einer kraftvollen Rechtsdrehung den richtigen Schwung. Mit einem lauten Knacken und Reißen grub sich die Schneide tief in das Fleisch des Gegners und schlitzte ihm die linke Schulter bis zur Brust auf. Die Bestie schrie jetzt eher verzweifelt und schlug noch einmal nach Az, doch der Schwung ließ sie keuchend und Blut spuckend auf dem Boden zusammenbrechen.

Das Vieh schien nicht mehr aufzustehen und Az drehte sich sofort in Richtung Kutsche um. Der Kerl im Ledermantel prügelte sich immer noch mit den gleichen beiden Werwolf, und alle drei schienen inzwischen eine Menge Wunden auf ihren Körpern zu tragen. Sie knurrten sich an und Az bemerkte, dass der Kerl anscheinend krampfhaft versuchte, die Bestien von der Tür fernzuhalten und gleichzeitig noch die Pferde im Auge behielt. Die Person, die gerade noch bei den Pferden gestanden hatte, schien nun gefallen und der Mann im Ledermantel schien verzweifelt zu versuchen, beide Kreaturen von ihren zerstörerischen Zielen abzubringen. Az sprintete los und ignorierte den Schmerz vollkommen.

Da beide Wölfe mit nur einem Ziel beschäftigt waren, bemerkten sie sein Kommen nicht und er hieb einfach mit einer Drehung aus dem Lauf auf den Linken ein, der eigentlich für die Pferde zuständig war, und sich dem Mann im Ledermantel gerade erst zugewandt hatte. Die Wucht von Az' Schlag traf das Vieh hart und unerwartet, worauf es aufschrie und seinen Kollegen ablenkte, der erstaunt zusammenzuckte und sich zu den Beiden umdrehte. Die Gelegenheit nutzte der Mann und trieb ihm mit unglaublicher Kraft eine klauenbesetzte Hand tief unters Brustbein, wo sie im Fleisch des Wolfes verschwand, der nur ein glucksendes Geräusch von sich geben konnte.

Az' Schlag hatte die Bestie hart in die linke Seite getroffen und war über ihren Rücken geglitten, wo nun eine mächtige Schnittwunde klaffte. Er zog das Schwert noch einmal gekonnt durch den rechten Oberschenkel des Gegners, doch dieser schüttelte sich nur und ging sabbernd auf den neuen Feind los.

Az wich dem ersten Schlag aus und bemerkte im Augenwinkel, dass die Pferde seltsam aggressiv waren. Sie grölten und wieherten weniger vor Angst, sondern mehr vor Angriffslust, so schien es. Panik machte sich anscheinend breit, weil sie angeschirrt dastanden und den Angriff über sich ergehen lassen mussten. Die schwarzen, großen, schlanken Rösser hatten Schaum vor dem Mund, ihre Augen leuchteten leicht rot und sie stiegen und das Kutschgeschirr klapperte und rüttelte gefährlich. Az war sich sicher, dass jeden Moment einer der Geschirrriemen reißen, und der Leithengst in die Nacht davon preschen würde... wenn die Werwölfe Glück hatten.

Plötzlich sah Az, wie die Kutsche anfing zu wackeln und er erkannte auch schnell den Grund. Auf der anderen Seite war gerade einer der Wölfe auf die Idee gekommen, einfach die Tür aufzureißen, und in die Kutsche zu springen. Der Blüter stieß einen leisen Schrei aus, er wusste nicht, ob noch jemand schutzbedürftiges in der Kutsche war, sprich, der Mann mit Geld. Doch er konnte den Gegner vor sich nicht aus den Augen lassen!

Plötzlich hörte er einen gellenden Schrei aus dem Inneren des Wagens, der ganz bestimmt nicht menschlich klang und alle Beteiligten für einen Moment zusammenfahren ließ. Ein Reißen und das Knacken von Knochen waren zu hören, und eine Blutfontäne schoss aus der rechten Seite der Kutsche. Fleisch- und Fellfetzen flogen in hohem Bogen hinterher und Az schluckte mit weit aufgerissenen Augen. Okay, was immer auch in der Kutsche war, es war nicht sonderlich schutzbedürftig, wenn es in der Lage war so mit der Bestie fertig zu werden. Ob es auch ein Vampir war?

Der Schlag der messerscharfen Klaue traf Az unerwartet, denn er hatte geglaubt, der Wolf hätte mit vier Schlägen nacheinander sein Pulver verschossen, doch der Gegner war geschickter, als er geglaubt hatte. Die Lücke falsch eingeschätzt und schon hatte er einen Schlag sitzen. Er traf ihn am rechten Oberschenkel und riss Fetzen aus seiner sowieso schon demolierten Jeans. Az knurrte und spürte, wie sein Blut augenblicklich in die tiefen Kratzer sickerte, was ihm den brennenden Schmerz am Bauch auch wieder ins Gedächtnis rief. Währendessen verpasste auch sein Mitstreiter einen wichtigen Moment, nämlich den, seine Hand wieder aus dem Magen des Werwolfes zu ziehen. Warum auch immer, aber der Wolf war schneller als er, bekam sein Handgelenk zu packen und drückte zu, was den Vampir vor Schmerz aufschreien ließ. Az hörte es knacken und dann fegte ein wirklich übler Schlag dem Kerl mitten durchs Gesicht, der ihn von den Beinen holte. Es spritzte wieder kein Blut und Az war sich nun sicher, es mit Vampiren zu tun zu haben.

Während Aza'zels Blut im Staub gerinnt, und wofür?, knurrte er leise in sich hinein. Euch Bastarden werde ich's zeigen!

Jetzt war es an Az laut aufzubrüllen und der Spielerei wutentbrannt ein Ende zu setzen. Er drehte sein Schwert behände und trat ein paar schnelle Schritte zurück, brachte Distanz zwischen sich und den Werwolf, der nach ihm schnappen wollte, aber Az in seiner geschmeidigen Kür glatt verfehlte. Dann zog der Blüter das Schwert mit einem Grinsen im Gesicht scharf nach unten und traf den ihm zugewandten Hals des Wolfes mit voller Wucht.

Er hätte nicht nach mir schnappen dürfen, dachte Az triumphierend und trieb die scharfe Klinge mit aller Kraft durch den muskulösen Hals der Bestie, die gurgelnd und keifend in sich zusammensackte. Er freute sich richtig über dieses schöne Ende und wandte sich tänzelnd sofort wieder dem nächsten Gegner zu. Er hielt das Schwert abwehrbereit über seinem Kopf und versuchte ein wenig Abstand zu gewinnen, um erst einmal den Überblick über die Lage des Vampirs zu bekommen. Vor allem aber hatte er gesehen, dass eines der Pferde dem Wolf, der seinen Herren in der Zange hatte, kräftig in den Rücken getreten hatte, worauf dieser jaulend in der Seite eingeknickt war. Az hatte genug und hieb die Klinge seitlich in den Rücken des abgelenkten Angreifers. Dieser grölte auf und brach dann zusammen. Der Söldner drehte das Schwert brutal aus dem aufgeklappten Fleisch und hieb zur Sicherheit noch einmal auf den Kopf ein. Jedes Geräusch erstarb und der Koloss ging entgültig zu Boden.

Die Pferde drehten immer noch durch und Az sah, dass sich der Vampir langsam aufrappelte. Vorerst wollte er nachsehen, ob Slizer in Ordnung war, oder noch Hilfe brauchte. Er wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus den Augen, dass der Werwolf über ihn vergossen hatte und machte einen großen Bogen um die eh schon panisch kreischenden Viecher. Er taperte um die Front der Kutsche herum und sah, dass der Kutscher anscheinend tot auf dem Kutschbock lag. Auf der anderen Seite waren die Werwölfe auch schon ausgeschaltet, es lagen nur zwei Körper da und Slizer schien wohlauf, obwohl er sich den linken Oberarm hielt und massig Blut daran heruntertroff und in seinem pechschwarzen Fell klebte. An seiner Seite stand anscheinend noch eine weitere Person, ebenfalls im schwarzen Ledermantel, und mit Klauenhänden. Da alles in Ordnung war, lief Az wieder auf seine Seite, wo der Vampir wieder auf die Beine gekommen war und sich den Kopf hielt. Er stöhnte und nun konnte Az einen genaueren Blick auf seinen unfreiwilligen Arbeitgeber werfen.

Er hatte lange schwarze oder dunkelbraune Haare - schlecht zu erkennen, bei der Dunkelheit - die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren, seine Haut war blass und wirkte wie zarter Marmor. An der Brust war das Fleisch in vier langen Rissen aufgeklappt, aus denen kein Blut lief. Az war sich sicher, dass dieser Schlag, der astrein die Rippen freigelegt hatte und den Blick auf eine kalte, funktionslose, tote Lunge freigab, ihn selbst mit Sicherheit getötet hätte.

Er verlor keine Zeit und sprintete zu der Kutschentür herüber. Als er näher kam verlangsamte er seinen Gang und spähte vorsichtig in das Innere des Wagens. Doch gerade, als er hineinsteigen wollte um nach dem Rechten zu sehen, hörte er den Vampir stöhnend näherkommen. Der Mann stieß ihn unsanft weg und stellte sich in den Eingang des Wagens, er hielt sich immer noch den Kopf und machte eine beschwichtigende Handbewegung. Die stahlblauen Augen öffneten sich und Az meinte einen großen Hunger darin zu sehen, ein Raubtier, dass Probleme hatte, sich im Zaum zu halten und er wich instinktiv einige Schritte zurück.

Er hatte nur Geschichten über Vampire gehört, aber er hatte wirklich keine Lust, gebissen zu werden und da er selbst verletzt war und sein dunkelrotes, sattes Blut an ihm sicher sehr schmackhaft herunterlief, zog er sich lieber zurück. Der Kerl bedeutete ihm mit einer seltsam sachten Handbewegung nicht näher zu kommen. Az nickte nur und versuchte sich in Anbetracht der seltsamen Situation ruhig zu verhalten. Sie waren hier alle Raubtiere und die aufgeputschten Gemüter konnten leicht überkochen.

Der Mann stieg eilig die Treppen zum Wagen hinauf und kniete sich vor einen großen Metallsarg, der im Inneren stand und ebenso reich und aggressiv verziert war, wie die ganze Kutsche. Az späte hinein und sah, das dort, in all dem Blut und den Fleischklumpen anscheinend jemand saß, der jetzt leise hauchend mit dem Mann zu reden begann, der zur Antwort demütig nickte. Az kratzte sich am Kopf und musste dann zur Seite springen, als eines der immer noch panisch kreischenden Pferde nach ihm schnappte.

Er wunderte sich, wer leichte Schlachtrösser vor eine Kutsche spannte, denn diese Tiere waren definitiv kriegstauglich. Es schienen keine Dämonenschlachtrösser zu sein, also keine Bestien von Bahamuths Brut. Dafür waren sie zu schlank und zu grazil und nicht wild und abartig genug. Aber mit Sicherheit steckte böses Blut in ihnen, dass nicht irdischen Ursprungs war.

"Sicherlich keins von Gottes Geschöpfen," murmelte Az leise, als er einer weiteren Beißattacke des Hengstes auswich. Solche Tiere hatte der Söldner noch auf keinem Schlachtfeld gesehen. Er bemerkte, wie sich die Riemen zu lösen begannen und stapfte nun energisch auf den Leithengst zu. Er steckte das Schwert weg und bemühte sich, die Tiere zu beruhigen, damit sie nicht durchgingen und alles kaputt machten. Dann bemerkte er, wie die andere Person im schwarzen Mantel auf ihn zukam. Es war eine Frau deren Haut ebenfalls aussah wie Marmor.

"Danke für eure Hilfe," brachte sie aufgeregt jedoch wenig außer Atem hervor. Ihre Stimme war kalt, aber sanft und von echter Dankbarkeit erfüllt.

"Wir sind Söldner." Az grinste locker und griff energisch nach dem Kutschgeschirr des Leithengstes, nachdem er dessen gebleckten Zähnen ein weiteres mal ausgewichen war. Die Frau senkte ihren Blick.

"Ach so ist das." Ihre Worte blieben sanft, waren nun aber weniger herzlich. "Ihr werdet euren Lohn bekommen," sagte sie fest und half dann Az dabei die aufgebrachten Tiere zu beruhigen, was langsam zu gelingen schien. Der Mann hüpfte aus der Kutsche und kam knirschend auf den blutgetränkten Kieseln auf.

"Ceran geht es nicht gut," knurrte er dunkel und nicht annähernd so sanft wie die Frau, doch auch seine Stimme war von elegantem Schwung und rauer Schönheit. Az sah, dass die Frau besorgt dreinschaute und dann einen verzweifelten Blick zum Kutschbock hochwarf. Er sah sich um und rieb sich den Arm, dann stellte er fest, dass sich der Himmel langsam blau färbte.

"Hm, äh, Verzeihung..." Az erhob die Stimme und blickte die Frau an. "Ihr seid Vampire oder? Tja also, ich hab keine Ahnung von Vampiren, aber die Sonne geht bald auf, oder?" Er kam sich blöde vor, weil er nicht wusste was nun an den Geschichten dran war, und was nicht. Aber in einer Welt, in der die Heerscharen der Dämonen genauso über die Welt gekommen waren, wie die Engel des Herrn war keine Legende ohne Bedeutung. Und ganz besonders Lucifers Schläfer nicht. Der Erschrockene Blick der Frau, die zum Horizont aufsah bestätigte seine Vermutung, dass dieser Umstand von Wichtigkeit war und er sah sie fragend an, als würde er weitere Anweisungen erwarten. Die Frau verstand und richtete das Wort fest und fast dankbar an ihn. "Wir können es noch schaffen. Die Pferde bringen und noch vor Sonnenaufgang nach Nürnberg. Begleitet uns. Dort werdet ihr eure Belohnung bekommen, und es wird nicht wenig sein. Ihr habt euch sehr verdient gemacht. In dieser Kutsche reist das Kind des Herrschers von Nürnberg."

Az war baff. Er hatte Gerüchte gehört, dass Nürnberg eine freie Stadt unter der Herrschaft eines Vampirs war. Eines sehr alten Vampirs. Einem jener Schläfer, die Lucifer auf Grund ihres geringen Blutes schon vor der Apokalypse auf der Erde abgesetzt hatte, weil er sie ohne großen Aufwand dorthin geleiten konnte, ohne das Uriel und die anderen Erzengel es bemerkten.

Vampire waren niedere Dämonen, die einst einmal Menschen gewesen waren und ihre Seele an den Teufel gegeben hatten, um dafür gewisse Zuwendungen zu erhalten. Das Kharma ihrer Seele war dadurch auch in jeder weiteren Wiedergeburt gestört und es hieß, das sie in jedem Leben aufs neue den Fluch der Unsterblichkeit auferlegt bekamen, bis sie es schafften, ihre Schuld reinzuwaschen. Keine Leichte Aufgabe, wenn man zum Überleben das Blut von anderen Menschen trinken musste.

Werwölfen und Feen erging es ähnlich. Je nachdem, welcher Sünde die Menschen verfallen waren, die den Pakt schlossen, erhielten sie auch eine übernatürliche Form, und einen ganz bestimmten Fluch und wurden von Lucifer als Krieger missbraucht. Meist waren diese Krieger unsterblich, oder zumindest mit einer verlängerten Lebensspanne "gesegnet". Da sie nur die Seelen von schwachen Sterblichen waren, die einen Packt mit dem Teufel geschlossen hatten, konnten sie agieren, ohne Aufsehen unter den Augen Gottes zu erregen. Meistens jedenfalls.

Aber als der Krieg kam, mit den Apokalyptischen Reitern über die Welt hereinbrach und das Sterben begann, hatten viele dieser Kreaturen wenig Interesse daran für einen Herren zu sterben, der sie nicht einmal achtete. Sie hatten schon zuviel vom süßen, unabhängigen Leben unter Sterblichen gekostet und die Hölle niemals gesehen. Sie fühlten sich den Heerscharen des Strahlenden nicht zugehörig und begingen massenweise Fahnenflucht. Heutzutage musste man Schläfer als eine eigene Partei ansehen, die sich eigentlich immer bemühte aus allem rausgehalten zu werden. Sie dienten nun weder Himmel, noch Hölle, denn sie waren einst Menschen, deren schlechtes Kharma sie eingeholt hatte. Nachdem Gott einfach verschwunden war und die Seelen einen Kreislauf der Wiedergeburt durchlitten, wusch auch der Tod das schlechte Kharma nicht mehr rein.

"In Ordnung, aber seid ihr sicher, dass..." Az erhob das Wort, doch die Frau unterbrach ihn abrupt.

"Folgt uns, wir werden euch reich entlohnen, das verspreche ich. Er ist Arthur," sie weiß mit dem Arm auf den Mann mit den schwarzen Haaren, der schon auf den Kutschbock kletterte und den leblosen Kutscher einfach herunterwarf. "Ich bin Alexandra."

"Na schön," sagte Az genervt. Er hatte Angst beschissen zu werden und die Ausdrucksweise der Frau war ihm etwas zu blumig und geschwollen. "Nehmt Slizer auf dem Kutschbock mit, ich finde euch schon, ich komme nach, ich muss noch etwas aus unserem Lager holen." Er hoffte, wenn sie Slizer mitnahmen wäre die Chance größer, dass sie ihr Geld bekämen, auch wenn er nicht ausschloss, dass sie ihn einfach herunterwarfen und alleine davon preschten.

"In Ordnung." Alexandra nickte. "Wir werden warten, damit du uns nicht verlierst, aber beeile dich." Az steckte zwei Finger in den Mund und pfiff laut und langgezogen. Phaeton galoppierte hektisch zu ihm herüber und er schwang sich hoch, ohne auch nur genauer hinzusehen. Der Blüter drehte das Pferd und preschte augenblicklich los. Er sah noch wie Slizer auf den Kutschbock kletterte und ihm einen sorgenvollen Blick zuwarf.

Der Unterschlupf war nicht weit entfernt und Az ritt einfach hinein und hielt das Tier mit einem sauberen Stopp auf der Hinterhand an. Kassandra guckte verstört zu ihm hinauf und er hielt ihr eine Hand hin.

"Komm. Keine Zeit!" knurrte er und sie beeilte sich schleunigst auf die Beine zu kommen. Sie stand noch sehr wackelig und Az manövrierte das Pferd geschickt an sie heran, zog sie hinauf und platzierte sie vor sich. Er wartete nicht ab, bis sie ordentlich saß und preschte wieder los, trieb Phaeton mit einem "HEY!" an und das Pferd bewegte sich geschmeidig und flink, als gehöre es zu seinem Körper. Das Zusammenspiel der beiden war perfekt und Phaeton bemerkte, dass es jetzt um alles ging und gab genauso wenig um seine Verletzungen, wie Az um seine. Schmerzen konnten sie später haben. Schwäche im falschen Moment konnte hier Draußen zum Tode führen.

Az holte die Kutsche sehr schnell ein und es schien, als hätten sie wirklich auf ihn gewartet, denn obwohl sie sich schon in Bewegung befanden, trabten sie nur seicht dahin. Die Anspannung war allen Beteiligten anzusehen, und Az preschte einfach an ihnen vorbei in Richtung Nürnberg, um ihnen zu zeigen, dass es jetzt losgehen konnte. Die Peitsche knallte, und die Tiere setzten sich in Bewegung. Sie waren wirklich unglaublich schnell und Az wunderte sich wirklich, wie sie dabei noch die Kutsche ziehen konnten. Der Blick von Arthur war gehetzt, Slizer hielt sich murrend an der Kutsche fest um nicht herunter zu fallen und Alexandra sah besorgt in Richtung Morgengrauen, als wollte sie den Dämonen entkommen.

Der Himmel färbte sich langsam rosa.

Morgendämmerung.

Die Hölle brennt und Lucifer greift schallend lachend nach gottes Reich, so wie jeden Tag.

Morgengrauen in der Vampirstadt

Sie preschten im wahrsten Sinne des Wortes wie vom Teufel gejagt über die gepflasterte Straße. Die Hufe der Schlachtrösser sprühten Funken und die Minen der Beteiligten verhärteten sich mit jedem Meter, den sie zurücklegten. Der Himmel wurde immer heller und Az fragte sich, ob sie es wohl noch rechtzeitig schaffen würden und wagte kaum zu mutmaßen, was es für Folgen hätte, wenn nicht. Das letzte was er wollte, war in Nürnberg anzukommen und in der Asche einer solch wichtigen Persönlichkeit zu knien. Sicher würde man Slizer und ihn dann dafür verantwortlich machen und das hatte ihm noch gefehlt. Kassandra krallte sich in der Mähne von Phaeton fest, der doch Mühe hatte, das Tempo zu halten. Das Gesicht des Mädchens war schmerzverzerrt und sie hielt sich mit der linken Hand den Bauch.

"Hast du Schmerzen?", fragte Az, der atemlos das Pferd antrieb. Sie nickte nur. Er fluchte. "Halt noch ein wenig durch. Wenn alles glatt läuft, dann haben wir es gleich so was von geschafft, das kannst du dir gar nicht vorstellen und dann werden wir endlich ein bisschen Ruhe finden. Dann sehe ich mir deine Verletzungen mal an. Das wird schon." Sie nickte nur und krallte sich weiter fest.

Az war immer noch skeptisch, ob die Verletzungen nicht doch zu schwer für so ein kleines Mädchen waren und ob er nicht schon viel zu viel Lebensenergie für einen zukünftigen Kadaver verschwendet hatte. Doch dann unterbrach der schattige Anblick der Silhouette von Nürnberg seine Gedankengänge, die ihn erst einmal erschlug. Die Stadt musste alt sein und war bedeutend gut erhalten. Der Krieg musste dieser Gegend wirklich weniger übel mitgespielt haben, als den meisten Städten, die er bis jetzt gesehen hatte. Die Stadtmauern standen fünfzehn Meter weit in die Höhe und waren aus massiven, großen, groben Steinen, welche die verstrichene Zeit schwarz gefärbt hatte. Die Gebäude in der Stadt standen allesamt düster und schwarz noch meterhoch über die Mauer und beinahe jedes war mit Stuck verziert und zeigte Türme, Erker, Krabben und Fialen. Die Häuser schienen dicht beieinander gedrängt und fast alle mehr in die Höhe, als in die Breite gebaut zu sein, und es waren viele Häuser.

Doch gegen deren Schatten zeichnete sich eine viel mächtigere Silhouette ab. Mitten in der Stadt schien erhöht noch ein anderes, viel größeres Gebäude zu stehen. Es musste auf einer Erhebung erbaut sein, um schon von hier aus so eindrucksvolle Schatten zu werfen. Anscheinend war es eine Art Burg. Schloss wäre der falsche Ausdruck gewesen, denn es erschien fest, dunkel und wehrhaft, aber dennoch war es verzierter und komplizierter in Szene gesetzt, als die anderen Gebäude. Es wirkte jedoch keinen Deut verspielt, sondern eher mächtig und ehrerbietend. Mit vielen Türmen, einem deutlich mit Rippen verbundenen Seitentrakt und einem großen Vorhof, so wie es schien.

In der glücklicherweise anhaltenden Dunkelheit des anbrechenden Tages konnte Az nicht viel erkennen und spekulierte schon wild, wie dieses Gebäude wohl aus der Nähe aussehen mochte. Wenn das, was Alexandra ihm erzählt hatte der Wahrheit entsprach, dann war dies mit Sicherheit ihr Ziel und er wusste nicht, ob ihn das zufrieden stellen, oder argwöhnisch stimmen sollte. Da Az nicht an Glück glaubte, zog er immer alle Möglichkeiten in Betracht und blieb meistens eher pessimistisch, um einer Niederlage entgegen zu wirken. Er preschte weiter neben der Kutsche her auf das riesige Stadttor zu, das glücklicherweise (oder vielleicht doch eher geplanter Weise?) bereits offen stand. Sie passierten das Tor in Windeseile und ließen ein paar sehr überrascht aussehende Wachen zurück, die ihnen nachspähten.

Die Straßen von Nürnberg waren, wie Az es sich gedacht hatte, sehr eng und gepflastert und er konnte nicht mehr neben der Kutsche herreiten, die in immer halsbrecherischem Tempo zielstrebig ihren Weg durch die Häuserschluchten fand. Er setzte sich hinter den Wagen und sah, wie einige erschreckte nürnberger Frühaufsteher aus dem Weg und um ihr Leben sprangen. Er hetzte klappernd über die Pflastersteine und hoffte inständig, Arthur würde in seiner Eile niemanden überfahren, dem er vielleicht nicht mehr ausweichen konnte, oder schlimmer, der die Kutsche zum Umkippen bringen würde. Er wunderte sich jetzt schon, wie das große und schwere Gefährt die engen Kurven nahm, in denen er mit Phaeton mehrmals fast ausgerutscht wäre. Nach wenigen Minuten jedoch, bogen sie in eine größere Straße ein, die breiter und besser ausgebaut war und Az sah mit gemischten Gefühlen den Schatten der riesigen, romanisch-gotischen Burg auf sie fallen, der sich schwer über den grasbewachsenen Hügel legte, auf dem sie stand.

Der ganze Hügel war von einer Mauer umgeben und ein großes, schmiedeeisernes Tor erwartete sie offen, wie der Schlund der Hölle selbst seine Kinder Willkommen heißt. Sie preschten hindurch und klapperten und rumpelten über eine weitere Pflasterstraße den Hügel hinauf. Die Burg an sich schien keinen Fried zu haben, aber Arthur machte keine Anstalten vor dem geöffneten Burgtor, welches anscheinend direkt in einen Saal führte, anzuhalten. Er trieb die Pferde laut und herrschend und sie gehorchten, hetzten wie wahnsinnig. Az dachte sich, dass die Pferde tot umfallen mussten, wenn sie dort drinnen und in Sicherheit waren, und dass die Kutsche auseinanderbrechen sollte, sobald sie einmal stand. Aber als der riesige Torbogen über sie hinwegfegte und Az einfach wacker seinen Arbeitgebern hinterher jagte, um eine ebenso rasche Vollbremsung hinzulegen, wie Arthur, geschah erst einmal nichts von beidem.

Ein paar sehr besorgt aussehende Bedienstete waren schon in hektischer Eile herbeigekommen und Arthur sprang ab und kommandierte sie sofort herum. Die wiehernden und schnaubenden Pferde wurden augenblicklich beruhigt und einige Leute kamen, und öffneten die Kutsche. Sie halfen einer Person heraus, die in einen schwarzen Umhang gehüllt war und gestützt werden musste, wie ein alter Greis. Az besah sich die Sache nur aus dem Augenwinkel. Er hatte vorher nicht in die Kutsche sehen dürfen und wollte sich jetzt keine Schwierigkeiten machen, weil er doch neugierig wurde. Aber er fragte sich ernsthaft, was das war, das einen Werwolf einfach so in Püree verwandelte und nun daherkam wie ein bettlägeriger alter Mann. Aber Az blieb einfach abseits, tat so, als ginge ihn das alles nichts an, was eine Tatsache war, bis ihm jemand etwas anderes sagte, und versuchte nicht im Weg zu stehen. Arthur hatte entweder Spaß am Brüllen, oder war wirklich sehr aufgeregt. Alexandra wies ihrerseits die Leute eher förmlich aber bestimmend an, die Kutsche mit den Tieren fortzubringen und Slizer sprang ab. Er wankte noch etwas, als er auf dem Boden ankam und Az befürchtete, er würde sich jeden Moment übergeben.

Alexandra kam auf ihn und Kassandra zu und nickte einmal dankend. Jetzt, wo er sie im Licht zahlreicher Fackeln einmal deutlich sah, viel ihm auf, dass sie eine recht hübsche Frau war. Ihr Gesicht wirkte noch sehr viel eher wie das einer Statue, als das von Arthur, denn es entbehrte beinahe jeglichem Gefühlsausdruck. Sie hatte tiefe, blaue Augen und lange, dunkelbraune Haare zu einem Zopf geflochten, der ihr beinahe bis zur Hüfte reichte. Kein einzelnes Haar schien sich in eine falsche Richtung abzuspalten und keine Unebenheit schien in ihrem Gesicht zu sein. Sie war kräftig für eine Frau, wirkte aber dennoch nicht klobig. Ihre Brüste waren eher klein, aber Az schob es darauf, dass sie sicherlich sehr muskulös war - an ihrer Weiblichkeit bestand dennoch kein Zweifel.

"Folgt mir, ich werde euch ein Zimmer geben. Wir werden alles andere Morgen nach Sonnenuntergang klären, bis dahin, seid unsere Gäste."

"Ähm. Will ja nich unhöflich sein, oder so, aber kümmert sich jemand um mein Pferd? Beziehungsweise, wohin damit?" Az war immer noch unsicher. Das führte zu einem Ausdrucksdefizit. Er konnte sich sehr gewählt artikulieren, wenn er wollte, aber wenn ihn jemand unterschätzen sollte, weil er noch nicht wusste, wie er zu ihm stand, benutzte er Worte und Formulierungen, die man von einem dreckigen Söldner erwartete. Wenn er mit Slizer redete, war es mehr eine Stilangleichung. Es hatte keinen Zweck, sich vor ihm gewählt auszudrücken, weil er selbst es wirklich nicht konnte.

"Es wird sich jemand darum kümmern," versicherte Alexandra mit starrem Gesichtsausdruck. Az nickte nur, und gab Kassandra an Slizer ab, der sie vom Boden aus entgegennahm. Az selbst stieg ab und klopfte dem schnaubenden Phaeton den Hals. Zwei Bedienstet kamen an und nahmen das Pferd mit sich. Sie trugen allesamt ausgefallene, edle Kleidung, was für sich genommen nichts ungewöhnliches war. Doch Az beobachtete weiterhin, dass Keiner unter ihnen hässlich, oder uncharismatisch zu sein schien, und er entdeckte etwas in ihren Blicken, was sich nur schwerlich beschreiben ließ. Sie schienen weder zu schleimen, noch zu kriechen. Sie waren höflich und auch folgsam, doch ihre Augen waren mit Stolz gefüllt. Vielleicht waren sie so glücklich darüber, hier arbeiten zu dürfen, aber in jedem Fall schienen sie sich bewusst, etwas Besonderes zu sein und wollten dies anscheinend auch zur Schau stellen. Sie waren ganz offenkundig Individuen und wurden wohl als diese geschätzt und akzeptiert, was Az seltsam fand, da sie doch nur Bedienstete waren. Alles worauf es ankommen sollte, war, wie sie ihre Sache erledigten. Ein arroganter Blick oder zu große Selbstsicherheit konnte zu mannigfaltiger Bestrafung von einer Ohrfeige hin bis zum Tode führen. Aber diese Leute hier schienen ernsthaft mit Stolz zu dienen und dennoch sie selbst zu sein. Oder vielleicht war dies in diesem Haushalt gerade wichtig?

Az dachte nicht weiter darüber nach, merkte es sich aber gut. Er wollte jedes Details, dass ihm dabei helfen konnte, seine seltsamen neuen Auftraggeber zu verstehen, erhaschen. Die beiden Bediensteten führten Phaeton durch ein großes, weiteres Steintor, welches dem, durch dass sie gekommen waren direkt gegenüber lag. Az hatte gesehen, wie auch die Kutsche dort hingebracht worden war. Das Tor war wirklich hoch und dahinter schien ein sehr breiter Gang zu sein. Wahrscheinlich führte er zu den Stallungen.

Die Architektur dieses Gebäudes verwirrte ihn. Aber er hatte schon sehr alte Burgen gesehen, daran gearbeitet sie einzunehmen und sie zu verteidigen. Solche Festungen waren bei Dämonen sehr beliebt. Manchmal war der Aufbau solch alter Gebäude ernsthaft durcheinander, aber auf Grund des Platzmangels durch die dicken, mit Geröll gefüllten Mauern war das wohl üblich. Man musste mit dem zurecht kommen, was man hatte. Eine Belagerung konnte bedeuten, dass man die Außenwelt monatelang nicht betreten konnte. Keine besonders schöne Sache, aber miterlebt hatte er so etwas schon.

Der Raum in dem sie standen war eine große Halle, die eine sehr hohe Decke hatte. Der Stil war eher romanisch, zumindest von innen, aber auch hier schmückten Fresken und Verzierungen jede auffälligere Stelle, die Gelegenheit dazu gab. Das Tor zum Beispiel, welches hinter ihnen sofort geschlossen worden war, war von innen mit mannigfaltigen, gotischen Fratzen geschmückt. Az stellte fest, dass es alte Gotik war. So viel Ahnung hatte er davon nicht - das, was er wusste, hatte ihm Karkas erzählt, als sie einmal gemeinsam in einer Belagerung feststeckten. Alle Vorräte waren aufgebraucht gewesen und ihnen blieb nichts, als sich das zehrende Warten mit Reden zu verkürzen.

Die Dämonen liebten die Gotik, der Stil, der das Streben der Menschen zu Gott hin architektonisch manifestierte. Auch die Höllengeschöpfe strebten nach Gott ... Nach seiner Macht und seinem Reich.

Die Neugotik, oder auch Höllengotik genannt, entstand nach der Apokalypse. Während der alte Stil aus dem 13. Jahrhundert mit dämonischen Fratzen auf Säulen und Türmen die Sünder abschrecken und ihnen näher bringen wollte, was sie an Qualen erwartete, wenn sie nicht brav in die Kirche gingen, stellten die Fratzen der Neugotik dar, was die Dämonen erreichen wollten, wenn sie erst einmal angelangt waren, wo sie hinwollten. Natürlich sollten sie auch einschüchtern, besonders die armen Menschen und die seelenlosen Engel, die es wagten sich ihnen in den Weg zu stellen. Der Triumph in den Gesichtern war in der Regel nicht zu verkennen, außerdem waren die Verzierungen der Neugotik allgemein hin viel aggressiver und jede Krabbe, jede Fiale auf jedem Turm, jede Rippe, jeder Schluss-Stein, jeder Kreuzgang, der einen Gebäudetrakt mit einem anderen verband, stand dafür, dass die Dämonen sich schon bald holen würden, was ihnen zustand, und dass dies nichts Gutes für Gott und die Welt bedeuten würde.

Und nun war Gott fort und die Engel kämpften verzweifelt um die Seelen der Menschen, der letzte Funken von Gottes guter Schöpfung. Ein ziemlich aussichtsloser Kampf, denn auf der anderen Seite stand Luzifer mit Legionen von Dämonen, die in der Lage waren, sich fortzupflanzen und die Seelen der Menschen zu beflecken, was über Generationen neues Unheil versprach. Im Gegensatz zu Engeln, die von Gott gemacht, nicht in der Lage waren sich untereinander zu vermehren und auch keine Bastarde zeugen wollten, weil es in ihrer Existenz nicht vorgesehen war, gab es viel zu viele unheilige Krieger, die die Welt schon fest in blutigen Krallen hielten.
 

Az strich mit seiner Hand gedankenverloren über das seltsam verzierte Treppengeländer, als sie links aus der Halle hinausgingen. Die Treppe war groß breit und aus massivem Stein, so wie alles hier. Von innen war es wahrhaftig eine alte Burg, keine blasphemische Verhöhnung einer Kirche mit ihren Seiten- und dem Querschiff. Man konnte wahrscheinlich den Weltuntergang unbeschadet hier drin überleben. Az grinste innerlich bitter. Nun ja, anscheinend HATTE hier drin irgendetwas den Weltuntergang überlebt. Die Sandsteine und ihre Marmorverkleidung waren mit der Zeit schwarz geworden, genau wie die Außenmauern der Burg.

Er und Slizer folgten Alexandra ein Stockwerk höher über die breit geschwungene Treppe und liefen durch einen langen Flur, von dem mehrere Gänge abzweigten. Es waren kaum Fenster in der Burg, und wenn, dann waren sie mit sehr schweren Samtvorhängen zugehängt, so dass kein Sonnenstrahl jemals den Boden erreichen konnte. Der Vampir bog ein paar mal ab und Az bemühte sich darum, sich den Weg einzuprägen, damit er ihn zu gegebener Zeit alleine wiederfinden würde.

Slizer war wieder in seine menschliche Gestalt zurückgegangen und kratzte mit seinen offenen Armeestiefeln wenig elegant über den Steinboden. Er hielt das Mädchen in den Armen und hatte den Blick gesenkt. Az sah, dass er eher ihm folgte, als Alexandra. Anscheinend war ihm die ganze Sache auch nicht geheuer. Er vertraute auf Az, dass er eine Finte früh genug wittern und sie da heraushauen würde. Slizer war meist nicht besonders gut im planen von Dingen, und das wusste er selber ganz gut. Anscheinend hatte er Angst überzureagieren und ihnen die Chance auf die friedliche Übergabe ihrer Belohnung zu versauen, wenn er redete, oder irgendetwas anderes tat. Also begnügte er sich damit, die Kleine aus Az Aktionsfeld heraus zu halten, und sich gleich mit. Er beobachtete stumm und achtete aufmerksam darauf, ob sein Freund vermutete, dass etwas schief ging. Wenn, dann wäre er zur Stelle.

Az seufzte und wandte sich wieder Alexandra zu, als diese vor einer großen Eichenholztür stehen bleib, die kaum verziert war. Nur Maßwerk zog sich in hübschen Schnitzereien bis zum spitzbogenförmigen Türrahmen hinauf, als wolle es ein Fenster schmücken, dass von innen mit Brettern vernagelt wurde. Der Vampir öffnete die Tür und gab den Blick auf ein äußerst geräumiges Zimmer mit beinahe beängstigend hoher Decke frei, dass den Besuchern erst einmal den Atem verschlug, als sie es betraten. Links neben der Tür stand zuerst ein kleines Nachtischchen und daneben ein riesenhaftes, übertriebenes Himmelbett, in dem sicherlich fünf Leute platz hatten, nach Az grober Einschätzung. Ein großer Kamin von fast zwei Metern Durchmesser und Höhe lag an der gegenüberliegenden Wand, etwas ins Mauerwerk hineingesetzt und noch weiter links angesiedelt. Ihm direkt gegenüber befand sich eine Couchecke mit einem zweieinhalb Meter langem Liegesofa, dass in einem rechten Winkel verlief und gegenüber dem Bett noch einmal anderthalb Meter zählte. Diesem Stück gegenüber stand noch ein riesiger Ohrensessel; das ganze Interieur war in rotem und violettem Samt gehalten. Ein kleiner Glastisch befand sich in der Mitte der Sitzecke. Hinter dem Sessel waren noch zwei Meter Platz, bis sich an der erdrückenden Steinwand ein richtiges Geflecht aus Kerzenständern gen Decke schraubte, welches sicher über 1,50 Meter maß. Viele dicke Stumpenkerzen hatten dort Platz und beleuchteten den Raum schummrig, doch angenehm. Rechts in der Wand, an der das Bett stand befand sich noch eine kleinere, normale Holztür, die halb offen stand, doch der Raum dahinter war dunkel, und Az konnte nicht sehen, was darin war. Gegenüber des Bettes befand sich eine große Kupferwanne, die Slizer sofort ins Auge gefasst hatte.

Was Az ganz und gar nicht gefiel, war die Tatsache, dass der Raum, so erdrückend er war, kein einziges Fenster besaß. Okay, jetzt ist es Zeit, sich Sorgen zu machen, argwöhnte er im Stillen. Slizer setzte das Mädchen auf dem Bett ab und grummelte einmal etwas zu auffällig und laut. Der Boden war mit roten Läufern ausgelegt ... auf denen sich jetzt einige dunkle Flecken ausgebreitet hatten.

Az linke Hand war warm und feucht und er biss unablässig die Zähne aufeinander, um den dumpfen Schmerz zu ertragen, der durch seinen Unterleib pochte. Die Blutflecken jedoch hatte Slizer verursacht. Sein rechter Oberarm war arg demoliert. Die Wunde war so groß gewesen, dass Az Sorge hatte, wenn sie nicht mitschrumpfte, wenn Slizer wieder menschliche Gestalt annahm, wäre seine Schulter mit dem Delta weggefetzt gewesen. Der große Blüter sagte aber keinen Ton, presste sich nur, genau wie Az, inzwischen ein Tuch auf die Wunde, dessen einstmals weiße Farbe vollends in sattes Rot gewechselt hatte. Der Arm hing leblos herab und Blut tropfte unablässig auf den Boden, wo er ging. Beide waren Schmerzen gewöhnt und man sah ihnen keine Schwäche an.

"Ihr seid verletzt, soll ich einen Arzt rufen lassen?" Alexandra sah gefühllos aus, aber irgendeine Kleinigkeit in ihren Augen und ihrer Tonlage verriet Az, dass sie anscheinend aufrichtig besorgt war.

"Das wäre sehr liebenswürdig," dankte Az in förmlichem Tonfall. Er hatte sich schon darauf eingestellt sich selber zusammenzuflicken, wie immer eigentlich, aber er hatte ernste Bedenken, ob das funktioniert hätte, zumindest bei Slizers Wunde. Der Muskel schien durchtrennt und da wollte er sich mit seinen minimalistischen medizinischen Kenntnissen nicht herantrauen. In der Tat beschränkten sich diese auf das Nähen von Wunden und allgemeine Erste Hilfe. Alexandra nickte nur verstehend und wandte sich zum Gehen. In der Tür blieb sie noch einmal stehen.

"Ich werde einen Arzt aus der Stadt kommen lassen, wollt ihr danach etwas essen und ein Bad nehmen?" Az war nun mehr als skeptisch. Wen oder was hatten sie da den Arsch gerettet? Solch eine Behandlung war er nicht gewöhnt. Unter Dämonen war er Abschaum, ein dreckiger Bastard unter vielen mit wertlosem Blut, und die Menschen hassten ihn, weil er sie an ihre Peiniger erinnerte, weil er Dämonenblut in sich trug. Slizer ging es in der Regel genauso, wenn er auch in normaler Gestalt eher als Mensch durchging.

"'n Bad klingt gut," meinte Slizer fast freudig, aber Az sah, wie er immer noch die Zähne zusammenbiss. Sein Blut tropfte im Sekundentakt auf den wertvollen Teppich, während Az sich einfach argwöhnisch an die Steinwand neben dem Kamin gelehnt hatte, um nichts dreckig zu machen. Alexandra nickte nur und ging. Sie schloss die Tür hinter sich und Slizers Blick wanderte zu Az herüber. Er war im Gegensatz zu seinem Freund nicht mehr allzu skeptisch, aber auch nicht beruhigt. Az stand genauso kühl an der Wand, wie die Steine selber. Sein Blick war eisig und angespannt. Er presste das Leinentuch aus seinem Verbandskasten fest gegen seinen Bauch und hielt mit den Muskeln dagegen. Er hoffte, dass sie nicht gerissen waren. Sein Blut sickerte auf seine zerfetzte Jeanshose. Während Slizer sich auf die Couch fläzte, ohne Scham oder Scheu sie voll zu bluten (,Is ja eh rot', wäre wahrscheinlich sein Argument gewesen), nahm Az vorsichtig die Hand von der Wunde, um sie einzuschätzen.

Kassandra atmete schwer im Bett, in das Slizer sie gelegt hatte und bewegte sich keinen Millimeter. Sie war in die Kissen eingesunken und schien froh darüber, dass ihr im Moment niemand Aufmerksamkeit schenkte. Az hatte schon beim Reiten festgestellt, dass sie Fieber hatte. Zu viel Lebensenergie für einen Kadaver, dachte er, aber wenn der Arzt etwas machen konnte, so sollte er es tun. Es würde ihnen sicher vom Lohn abgezogen, und gute Ärzte waren teuer, aber irgendwie wollte er sie jetzt nicht umsonst mitgeschleppt haben. Sie verdiente eine Chance.

Die Tür ging auf und zwei Bedienstete traten ein. Sie nickten knapp, beachteten die Beiden ansonsten anscheinend nicht weiter, und während der eine Handtücher auf ein unscheinbares Holztischchen neben der Kupferwanne legte, machte der andere etwas seltsames, was Az' Aufmerksamkeit erregte. Über dem Zuber war ein seltsames Ding in die Wand eingelassen, ein nach unten gebogenes Röhrchen mit einem seltsamen Kleeblatt darauf, dass beinahe wie ein Hebel abstand. Der Kerl drehte das Kleeblatt und Wasser kam aus der Wand. Der Erste schüttete Öle und Zeug in die Wanne, die begann voll zu laufen und sofort schäumte das Wasser. Az guckte argwöhnisch und zog eine Augenbraue hoch. Er konnte nicht wissen, was ein Wasserhahn war, denn er war selten in Städten und noch viel seltener in solchen, die noch ein intaktes Rohrsystem von vor dem Krieg besaßen; beziehungsweise das Wissen und die Technik, so etwas in Stand zu setzen und zu bauen.

Bei ihrem gnadenlosen Kampf um die Welt hatten die Dämonen in blinder Zerstörungswut, in Trotz und Zorn und Eitelkeit, fast keinen Stein auf dem anderen gelassen, der nicht schon vom Dritten Weltkrieg zerrüttelt worden war. Nur in Amerika fand man noch teilweise intakte Städte, oder man hatte sie wieder aufgebaut. Dort gab es sogar wieder Strom und Wasserversorgung. Die schöne neue Welt war zu ihrem Glück erst nach Europa unter das Messer des Krieges geraten und hatte zum Zeitpunkt des sicheren Sieges der Dämonen dann doch das Interesse für die schöne neue Technik erweckt.

Die Bediensteten gingen wieder hinaus, während das Wasser weiterlief. Az stellte mit zunehmender Verwunderung fest, dass es sogar warm war. Es dampfte aus der Wand, einfach so. Er ging unsicher näher und klopfte gegen die Steinwand. Sie schien massiv zu sein und der Blüter fragte sich, wo zum Henker dahinter ein Behälter sein sollte, der Regenwasser auffing, und es einfach so ins Becken abgab. Noch dazu heißes Wasser. Er kratzte sich am Kopf und hob die Hände in einer ratlosen Geste, als er nun auch Slizers erstaunt argwöhnischen Blick sah. Das Blut tropfte weiter auf den Boden. Az sah an sich herab und begutachtete die Wunde. Sein Fleisch war aufgeklappt und die geringe weiße Fettschicht zwischen Haut und Muskeln war blutgetränkt. Er wischte es fort und sah genauer hin. Es schien aber trotz allem nur eine böse Fleischwunde zu sein. Augenblicklich sickerte Blut nach. Es hatte eine sehr dunkle Farbe, fast so, als sei es schon geronnen und im flackernden Licht der hundert Kerzen wirkte es beinahe schwarz. Man hatte Az schon erzählt, seine Leber währe getroffen und er müsse sterben, als er im Feldlazarett zu sich kam. Als Kind hatte ihn das erschreckt, aber passiert war nie etwas. Sein Blut war einfach so dunkel und der Arzt von seiner alten Söldnertruppe, mit der er ein paar Jahre gelebt hatte, hatte ihn dafür verflucht.

"Bei dir weiß man nie was los is!", hatte er sich aufgeregt. "Man denkt du verreckst, und dann is doch nichts weiter als ne Fleischwunde. Junge, du machst einem Sorgen." Az hatte Vertigo immer sehr gemocht und danach eigentlich nie wieder einem Arzt wirklich vertraut. Der Kerl war jung gewesen, aber ein Blüter der etwas von anderen Blütern verstand und immer gut drauf, wenn es angebracht war. Dafür umso trostspendender, wenn es das mal nicht war. Az fragte sich manchmal, ob die Leute aus seiner alten Truppe noch lebten. Sicher nicht allen, aber vielen, so wie Vertigo, wünschte er es sehr. Irgendwie wünschte er sich jetzt in sein Zelt zu stapfen und mit einem bösen Scherz über seinen Zustand begrüßt zu werden. Die Glücksritter waren für ihn einfach wie eine Familie gewesen. Nein, sie WAR seine Familie gewesen. Sie waren die Ersten gewesen, die ihm wenigstens so etwas ähnliches wie ein zu Hause gegeben hatten. Eine Chance. Ja, Karkas und die Glücksritter waren die Ersten gewesen, die ihm eine Chance gegeben hatten. Eine faire Chance und eine Möglichkeit zu überleben. Und auch Freundschaft irgendwie. Seit vier Jahren war er alleine unterwegs und am Anfang war es die Hölle gewesen. Niemand nimmt dich ernst, wenn du erst fünfzehn bist, und sagst du bist ein Söldner. Aber er hatte es irgendwie geschafft. Genauso, wie er es geschafft hatte seinem Stiefvater zu entkommen.
 

Blut tropfte auf Az' Stahlkappen. Slizer sah unruhig zu ihm herüber. Seit gut zehn Minuten starrte er jetzt auf seine Wunde und hatte das Tuch weggenommen. Das Blut sprudelte und tropfte und bahnte sich fröhlich seinen Weg und es schien ihn nicht zu kratzen. Nein, schlimmer noch, er schien es nicht einmal zu bemerken! Einer der Bediensteten war inzwischen wieder hereingekommen und hatte gemacht, dass das Wasser aufhörte, aus der Wand zu kommen, wie auch immer. Slizer knurrte. Das is mal wieder einer dieser verfluchten Az-Momente, dachte er. In einem Kampf konnte er sich hundertfünfprozentig auf seinen Partner verlassen, aber ansonsten war der Kerl unberechenbar und einfach irre. Dieser glasige Blick gefiel ihm gar nicht, er kannte das bei Az. Und meist war das nicht gut. Er war danach immer komisch und abwesend und irgendwie jagte ihm das Angst ein. Nicht wirklich Angst, aber er fühlte sich hilflos, wenn so was passierte. Er wusste nicht, ob er ihn dann noch ansprechen konnte, oder nicht. Meist ging's übel aus und darauf hatte Slizer keinen Bock. Er hatte im Moment auf all die Scheiße keinen Bock. Er blutete und hatte Schmerzen und hier war alles seltsam und komisch und er wusste eigentlich gar nicht so genau was los war. Er wollte seine Kohle haben. Das Zimmer war toll, aber er wusste genauso wie Az, dass sie eigentlich Abschaum waren, der so ein Zimmer nicht verdient hatte. Entweder, es war Teil ihrer Bezahlung, was er hoffte, oder sie würden abgemurkst. In dem Zimmer ohne Fenster. Er sah auf seinen Arm. Oder das war gar nicht mehr nötig und er verblutete einfach. Alles scheiße.
 

Slizer knurrte irgendwie unzufrieden und genervt und Az schreckte aus seinen Gedanken hoch. Er hatte sich mal wieder darin verlaufen, so etwas passierte ihm manchmal. Er sah Slizer immer noch ausdruckslos an. Er wollte gerade etwas sagen, da bemerkte er, dass kein Wasser mehr aus der Wand kam und er schloss den Mund wieder. Im selben Moment ging die Tür auf, und der Arzt trat ein. Az beäugte ihn vorsichtig und nicht ohne Verwunderung. Der Mann war vielleicht 1,40 groß und trug einen seltsamen Anzug plus Zylinder. Er hatte eine merkwürdig aussehende Brille auf der Nase, mit kleinen runden Gläsern. Das seltsamste aber, war sein Erscheinungsbild. Az war sich zuerst nicht sicher, ob er es mit einem lächelnden Untoten oder einem wahnsinnigen Blüter zu tun hatte. Der Arzt hatte eine bleiche, beinahe weiße Hautfarbe und stechend rote Augen, dazu zierte sein breites Gesicht ein Grinsen, dass mit zahlreichen spitzen, kleinen Zähnen bestückt war. Er nickte geschäftig, als er den Raum betrat und ein Bediensteter schloss hinter ihm die Tür. Az sah, dass er einen übergroßen Arztkoffer aus schwarzem Leder schleppte. Kassandra war tief in den Kissen verschwunden und regte sich nicht. Der Arzt bemerkte sie nicht.

"Wer zuerst?", fragte der Arzt schnarrend und sah sich seine Patienten interessiert an. Az, der mit dem Rücken an der Wand lehnte, zeigte sofort auf Slizer. Er fing sich einen Blick von seinem Freund ein, der Arzt nickte nur und ging immer noch grinsend auf die Couchecke zu. Slizer warf dem nahenden Ungeheuer einen skeptischen Blick zu und sah dann wild zu Az herüber. Dieser senkte nur den Kopf und starrte ihn fest an. Er nagelte Slizer mit seinem Blick an der Couch fest. Der Arzt marschierte auf den riesigen Mann zu und legte seinen Koffer auf dem Glastisch ab, der nun ganz von ihm eingenommen wurde. Er ließ die großen, blankpolierten Scharniere aufschnappen und klappte den enormen Deckel zurück. Der Innenraum des Koffers war mit blutrotem Samt verkleidet und Slizers Blick verriet Az, dass wirklich grausame Dinge dort drinnen lauern musste, die man herrlich zweckentfremden konnte, wenn man ein kreativer Psychopath war. Ein solcher platzierte sich laut Slizers Meinung gerade vor dem Koffer und nahm mit größter Sorgfalt ein paar weiße Latexhandschuhe heraus. Der Arzt streifte sie nunmehr mit ernster Miene über seine seltsam langen und dürren Finger, die seiner sonstigen Pummeligkeit entgegenstanden und nahm den Zylinder ab. Das was er tat, bedeutete ihm eine Menge. Das merkte Az an der Art und Weise, wie er selbst dieser Kleinigkeit seine vollste Aufmerksamkeit schenkte. Er war definitiv gestört, aber Az nahm an, dass er sein Handwerk verstand und ein guter Arzt war, zumindest, wenn man ein guter Patient sein konnte. An Slizers Gesichtsausdruck erkannte er, dass er es nicht war.

"Wo sind ihre Verletzungen?", schnarrte der Arzt und inspizierte Slizers Körper wie ein Aasgeier den Kadaver.

"Mhrm....da." Slizer deutete mit einigen wenig artikulierten Lauten auf seinen Arm, er schien sonst nichts weiteres zu haben, was eine Behandlung durch einen hochbezahlten Quacksalber rechtfertigte. Es war ihm ganz recht.

"Bitte wenden sie mir die Seite zu, bleiben sie aufrecht sitzen, das könnte jetzt wehtun." Der Arzt beugte sich über Slizer, der ihm grummelnd seine Seite zuwandte und Az erbarmungslosen Blicken auswich. Er wusste ja selber, dass er jetzt besser still war und die Klappe hielt, aber er traute Ärzten nun mal selten und diesem hier ganz besonders nicht. Der kleine Kerl beugte sich über Slizer und säuberte mit größter Sorgfalt die Wunde mit Wattebausch, Alkohol und Pinzette. Ein hoffnungsloser Vorgang, denn unentwegt sickerte neues Blut durch das zerfetzte Muskelfleisch. Az beobachtete die ganze Prozedur eisern. Slizer bleckte die Zähne, denn der Alkohol brannte in der aufgeklappten Wunde wie Feuer, doch bis auf ein heiseres Gurren blieb er ruhig. Der Arzt nahm eine kleine Taschenlampe zur Hilfe und porkelte vorsichtig in dem zerstörten Gewebe des Muskelstranges herum. Er tupfte dabei immer wieder mit Wattebausch und Pinzette das ständig nachsickernde Blut ab, doch es hatte wenig Erfolg.

"Ich muss den Muskel nähen, der Strang ist zerrissen." Er rückte die Brille mit dem Handrücken zurecht und sah Az über die Schulter an. "Könnten sie mir bitte etwas Wasser in dieser Schale bringen?" Az stieß sich mit der Schulter von der Wand ab und kam lässig auf den Arzt zu. Er klappte seine Schwingen einmal auf und zu, um das Gelenk zu dehnen, dass er die ganze Zeit gegen den Stein gedrückt hatte und er sah etwas in den Augen des kleinen Mannes aufblitzen, dass fast wie Gier aussah. Az bemühte sich, einen argwöhnischen Blick zu vermeiden und blieb kühl. Er nahm die silbern glänzende Nierenschale aus dem Koffer und beschloss, dass er die Messer und Knochensägen darin gar nicht sehen wollte. Er stempelte sie im Gepäck eines Arztes, der einen Hausbesuch machte als moderne Folterinstrumente ab, ohne die sich der Kerl wahrscheinlich nicht wohl fühlte und hoffte nur, dass er sie nicht krampfhaft zum Einsatz bringen würde.

Er wandte sich um und schritt bedacht zu dem Wasserhahn hinüber, wobei er die Blicke des Mannes auf seinen schwarzen, glänzenden Rippen spüren konnte. Anscheinend hatte er das Interesse des Arztes geweckt. Az hielt einen Moment inne, und drehte dann vorsichtig an dem Kleeblatt, nicht sicher, was passieren würde. Doch es kam tatsächlich Wasser aus dem Hahn geflossen und er ließ es in die Schale laufen. Az war neugierig und wissbegierig und freute sich, wieder etwas gelernt zu haben, auch wenn es nur eine Kleinigkeit war. Er drehte das Kleeblatt in die andere Richtung und der Strahl versiegte. Triumphierend drehte er sich um, fasste sich dann aber wieder und schritt genauso posierend zurück, wie er gegangen war. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt und wie immer holte er das Maximale aus sich heraus, auch wenn ihn die Wunde dadurch nur noch mehr schmerzte, aber er konnte nicht anders. Er setzte sich in Szene, egal was er tat.

Der Arzt nahm die Schale nickend entgegen und wusch die gebrauchten Utensilien darin ab. Die Wattebäuschchen legte er auf den Tisch, wo er ein Papiertaschentuch an einer freien Stelle neben dem Koffer ausgebreitet hatte. Az lehnte sich wieder gegen die Wand und legte den Kopf schief um weiter zu beobachten. Der Arzt nahm geschäftig Nadel und Faden aus dem Koffer und schob wieder die Brille zurecht. Er sah Slizer ernst an, schien ihn einen Moment zu mustern was sofort Argwohn in dessen Gesicht aufziehen ließ.

"Wollen sie eine Betäubung?", schnarrte er. Slizer sah ihn aufgebracht an.

"Keine Spritzen!", raunte er barsch. "Das geht schon, aber keine Spritzen!" Der Arzt schenkte ihm einen Blick und seufzte, als habe er diese Antwort erwartet.

"Gut." Er zuckte mit den Schultern. "Dann eben nicht. Aber ich sage ihnen gleich, das wird nicht angenehm. Und wenn sie zucken oder sich winden, dann kann ich ihnen nicht helfen. Sie verstehen?"

"Keine Spritzen." Slizer knurrte jetzt beinahe und sah um sich wie eine in die Ecke gedrängte Ratte.

"Köter." Az stimme durchschnitt den Raum und traf Slizer hart und kalt. Sein Blick war umso härter. "Lass - dir - eine - Spritze - geben." Az betonte jedes Wort, als würde er zu einem Kleinkind sprechen, dass seinen Vater gerade sehr wütend gemacht hatte. Er duldete keinen Widerspruch und Slizer wurde etwas kleiner auf der Couch.

"Hmmmmmmm in Ordnung," murrte er. Der Arzt zog eine Augenbraue hoch und wandte sich kurz zu Az um. Dann legte er Nadel und Faden noch einmal zur Seite und holte eine wirklich gemein aussehende alte Glasspritze aus dem Koffer. Er hantierte klirrend mit ein paar dunkelbraunen Glasphiolen herum, bis er fand, was er suchte und holte vorsichtig einen Korken heraus. Dann zog er die Spritze auf und setzte sie gekonnt direkt in das Muskelfleisch um die Wunde herum. Slizer zuckte zusammen als er stach, hielt aber still.

"Es wird gleich taub werden," schnarrte er, als er die blaue Flüssigkeit ganz hineingedrückt hatte und die Nadel sorgfältig wieder herauszog. Slizer schnaubte. Der Arzt säuberte die Spritze in Wasser und Alkohol und nahm Nadel und Faden wieder zur Hand.

"Ganz still halten," meinte er kühl und begann sich die verschiedenen Stränge schon einmal mit einer Pinzette herauszusuchen.

"Is ganz taub," grummelte Slizer äußerst ungehalten nach einer kurzen Weile. Der Arzt nickte nur und begann die Wunde zu nähen.

"Könnten sie mal die Taschenlampe halten? Danke." Slizer nahm die kleine Stablampe entgegen und hielt sie auf die Wunde, sah dann aber demonstrativ weg. Az war sich sicher, es war besser so.

"Sie sind Blüter?", fragte der Arzt unvermittelt, während er nähte.

"Ja." Slizer presste die Antwort durch zusammengebissene Zähne.

"Wie äußert sich das?", erkundigte sich der kleine Mann enerviert, als habe er auf eine ausführlichere Antwort gehofft.

"Ich shifte," brachte Slizer hervor, anscheinend verwirrt, warum ihn das interessierte.

"Ah," gab der Arzt wissend zurück. "Nun ich denke dann ist klar, dass das für die nächste Zeit nicht angebracht ist." Slizer grummelte nur vor sich hin und nickte trotzig. Az presste seine Hand immer noch gegen den pochenden Schmerz. Sie war blutverklebt. Als der Arzt fertig war, schien eine Ewigkeit vergangen und er verband Slizers Wunde fest und fachkundig.

"Sie können jetzt aufstehen, aber sie dürfen den Arm keinesfalls Bewegen, ich gebe ihnen eine Schlinge. Sie müssen selber sehen, wie es besser wird, die Fäden lösen sich von selber auf, sie brauchen sie nicht zu ziehen." Er wusch sich die Hände und Slizer sah ihn verdutzt an, traute sich aber anscheinend nicht zu fragen.

"In Ordnung," raunte er nur heiser und trollte sich in die andere Ecke der Couch.

"Ich hätte hier noch eine Kleinigkeit," erwähnte der Arzt schnarrend, aber bedeutungsschwanger. Slizer wandte sich zu ihm und sah ihn fragend an. "Ich nehme an, sie wollen bald wieder auf den Beinen sein?"

"Sicher," antwortete Slizer skeptisch.

"Hinsetzen," kommandierte der Arzt und zog eine weitere Spritze mit einer seltsam leuchtend grünen Flüssigkeit auf. "Das ist ein von mir entwickeltes Medikament, das die Heilung beschleunigt."

"Und was ist das genau?", fragte Slizer und wand sich unter dem Anblick der Spritze mit dem obskuren Inhalt. Der Arzt grinste breit.

"Das ist ein Geheimnis, sie würden es eh nicht verstehen," schnarrte er und sein Blick wurde wieder fest. "Wollen sie's oder nicht?" Der hilfesuchende Blick zu Az rüber wurde erbarmungslos abgeschlagen und so nickte Slizer argwöhnisch und hielt dem Arzt seinen Arm hin. Dieser lächelte freundlich und jagte die Spritze mit glänzenden Augen in eine offensichtliche Vene. Slizer riss den Mund entsetzt auf und wollte sich beinahe losreißen, doch der Griff des kleinen Mannes war plötzlich eisern und er drückte die Spritze ganz hinein.

"Scheiße, was is das für'n Zeug? Fühlt sich an wie Schnee, der sich durch meine Venen schiebt und alles kribbelt...", knurrte der Patient und riss ruppig den Arm weg, als der Arzt die Spritze herauszog und ihn wieder losließ. Slizer hatte die Augen weit aufgerissen und knurrte jetzt, fasste sich mit der Linken ans Herz und sah panisch aus. Er kniff die Augen zusammen und schüttelte sich, warf dem Arzt einen gefährlichen Blick zu, der jedoch schenkte ihm keine weitere Beachtung und legte sorgfältig die Spritze zurück.

"Der Nächste bitte," spottete der Arzt beinahe und sah Az mit glänzenden Augen an. Er schien sich auf den ,guten Patienten' zu freuen. Az stapfte näher und setzte sich auf die Couch, nicht ohne Slizer noch einmal mit einem warnenden Blick an seinen Platz zu verweisen. Er zog die Lederjacke aus, streckte den Rücken durch und nahm die Flügel zu den Seiten weg, damit er den Arzt nicht behinderte. Er hob die Hand von der Wunde und tupfte noch einmal nach, um das nachgesickerte Blut zu entfernen und ihm freie Sicht zu verschaffen. Er spannte die Muskeln an, auch wenn es schmerzhaft war und bot dem kleinen Mann eine respektable Arbeitsfläche. Dieser schob seine Brille zurecht und begutachtete die Wunde.

"Ah, das ist nicht so schlimm. Der Muskel ist fast in Ordnung, aber ich werde es nähen und sauber machen." Er drehte sich zu seinem Koffer um, wandte sich dann wieder zu Az. "Spritze?", fragte er lächelnd. Az nickte nur und der Arzt zog eine kleinere Dosis des blauen Zeugs auf, um es ihm zu geben. Augenblicklich setzte ein seltsames Kribbeln ein und Az seufzte. Der Arzt begann zu nähen und er spürte es schon nicht mehr.

"Sind die Flügel von Geburt an so?", erkundigte sich der Arzt wissbegierig. Az schüttelte nur den Kopf. "Verstehe," entgegnete der kleine Mann beinahe enttäuscht und lies es dabei bewenden, um sich wieder der Wunde zuzuwenden. Als er fertig war, verband er die Verletzung und besah sich noch den Rest von Az' Körper. Er säuberte die kleineren Schlitzer und begutachtete die anderen Blessuren, die noch nicht ganz verheilt waren.

"Sie hatten vor Kurzem noch andere Wunden?", erkundigte sich der Arzt. Az nickte knapp. "Schlampig verarztet," murrte der kleine Mann und klebte noch ein Pflaster auf den Schlitzer in der Hüfte.

"Wollen sie das Serum?", raunte er. Az nickte wieder und der Arzt zog geschäftig eine weitere Glasspritze mit dem leuchtend grünen Zeug auf. "Es wird sich seltsam anfühlen," warnte er und rammte die Nadel geradezu in Az' rechten Arm, den er schon hingehalten hatte. Der Patient biss die Zähne zusammen und war bemüht, sich seine Verwunderung nicht anmerken zu lassen. Es fühlte sich an, als würde man zerstoßenes Eis in seinen Körper jagen. Das Gefühl war kalt und taub, äußerst unangenehm und zog sich bis zu seinem Herzen hinauf, ebbte dann aber sehr schnell ab und er zwang sich ruhig weiterzuatmen und nicht panisch zu werden. Der Arzt hatte ihn im Auge und steckte dann geschäftig die Spritze weg.

"Sie sollten sich nicht zu viel bewegen und auch nicht schwer heben, oder sich bücken. Hier haben sie ein paar Pillen..." Der Arzt kramte wieder irgendetwas in dem Koffer und gab Az zwei kleine Pillendöschen. "Sie sind von mir selbst entwickelt. Aufbauvitamine und anderes. Es wird bei der Heilung helfen, sie sind speziell für Blüter. Sie," er deutete auf Slizer, "jeden Tag zwei und sie," er wandte sich wieder Az zu, "jeden Tag drei, bis sie alle sind. Ich lasse ihnen noch etwas Folie da, damit sollten sie die Verbände abkleben, wenn sie baden wollen. War es das?"

"Noch nicht," sagte Az ruhig und stand langsam auf. Er schüttelte sich und knackte mit dem Genick, dann schritt er vorsichtig zum Bett herüber. Der Arzt stand auf und folgte ihm. Az setzte sich neben Kassandra und sah, dass sie anscheinend wieder das Bewusstsein verloren hatte. Der kleine Mann kam watschelnd näher und erspähte interessiert, was dort in den schweren Kissen lag. Az deckte die Kutte, in die das Mädchen immer noch gehüllt war, zur Seite und präsentierte das Elend. Der Arzt hockte sich zu ihr und sah ihr sofort prüfend ins Gesicht. Dann nahm er ihren Kopf und legte ihn zur Seite, fühlte Puls und kontrollierte die Atmung. Er nickte und hob eines ihrer Lider, um zu testen, ob die Pupille nach oben gedreht war, doch stattdessen strahlte der ganze Augapfel in einem goldenen Licht. Der Arzt riss die Augen auf und Az lehnte sich ungläubig nach vorne.

"Äh...", stammelte er und fasste sich schleunigst wieder. "Also DAS habe ich bei ihr noch nie gesehen." Er betrachtete das Phänomen ungläubig und sah, wie sich der Arzt geschäftig die Lippen benetzte und das Lid wieder fallen ließ.

"Ist sie Blüter?" fragte er voller Erwartung auf Antworten.

"Ich dachte sie wäre ein Mensch...", brachte Az hervor.

"Ich finde das sehr seltsam", grübelte der Arzt. "Wo haben sie das Mädchen her?" Er beäugte Az wie ein gefräßiger Geier, der Bereit war, nach seiner Leber zu picken.

"Wir haben sie gefunden", antwortete Az und kratzte sich am Kinn. Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen erstaunt und beunruhigt, was im Moment beides gespielt war. Er konzentrierte sich auf die Lüge, die er dem Arzt auftischte. "Es war nich weit weg von hier. Sie saß in einem kleinen, verfallenen Haus und der Große hatte irgendwie Mitleid mit ihr, also haben wir sie mitgenommen. Ich meine, jeder verdient doch eine Chance, oder? Und sie is ja nur'n kleines Mädchen. Sie war fast nackt und hatte das Bewusstsein verloren. Sie war bis jetzt noch nicht so oft wach, und wenn dann hat sie wenig erzählt. Haben aus ihr nur rausbekommen, dass sie aus nem Dorf kommt, das von Dämonen platt gemacht wurde. Ich glaub sie wurde Vergewaltigt. Vielleicht ham sie sie für tot gehalten und sie konnte sich bis dahin schleppen, oder so."

"Was für Verletzungen hat sie denn genau?", fragte der Arzt interessiert, anscheinend bemerkte er nicht, das Az sich mal wieder dümmer stellte, als er war. Az redete mit einer gewissen Härte und gespielten Coolness. Es war nicht seine normale, kühl professionelle Art, sondern etwas ungefährlicheres. Ein Tonfall, wie man ihn bei normalen Straßengangstern und Söldnern fand, die von sich selbst behaupteten, gut in dem zu sein, was sie taten, die aber eigentlich weit entfernt davon waren. Andererseits entbehrte es jeglicher Naivität. Die war bei Leuten wie ihm wenig Glaubhaft, und das wusste er.

"Seh'n sie's sich an", schlug Az vor und deckte den Körper des Mädchens ab. Der Arzt beugte sich vor und besah sich die Innenseite der Schenkel, an denen massig geronnenes Blut klebte. Er fühlte Fieber und besah sich dann die Vaginalgegend. Er steckte prüfend einen Finger hinein und zog ihn vorsichtig heraus. Es klebte etwas Blut an dem Latexhandschuh und er stand auf und holte seine Taschenlampe. Er schob die Schenkel des Mädchens beiseite und tastete sie ab. Dann nickte er anscheinend sich selber zu und drehte sich zu Az um.

"Dammriss. Sieht böse aus, aber es ist schon recht gut verheilt. Eigentlich hätte sie an den Verletzungen sterben müssen, aber das muss wirklich schon ein paar Tage her sein, vielleicht eine Woche. Alleine die Wahrscheinlichkeit einer Infektion ist da sehr groß, ich frage mich, wie sie das allein geschafft hat." Az sah den Arzt fragend und argwöhnisch an, aber immer noch mit einer gewissen Gleichgültigkeit, als ob ihn die ganze Sache nicht wirklich weiter interessierte.

"Wir haben sie erst heute gefunden und vorhin hatte sie noch Fieber", war Az' Antwort. Der Arzt zog eine Augenbraue hoch und sah dann argwöhnisch auf das Mädchen.

"Hm. Ich glaube kaum, dass sie Blüter ist, aber sie scheint eine erstaunlich gute Heilungsrate für einen Menschen zu haben. Es kommt selten vor, dass jemand so wenig Blüter ist, dass man es gar nicht mehr sieht." Er schien kurz zu überlegen und sah sich Kassandra an. "Nein, ich bin auf Blüter spezialisiert, ich behandele nur Blüter, eigentlich, und ganz selten Menschen und so etwas ist mir noch nie untergekommen." Er verharrte kurz und formte die Augen zu Schlitzen, dann sah er Az fast fanatisch an. "Darf ich einen Test machen?"

"Einen Test?" wiederholte Az ungläubig und betonte das Wort, als habe er es noch nie gehört. "Wie zur Hölle wollen sie testen, ob das Mädchen Blüter ist, oder nicht?"

"Bedaure, aber das kann ich nicht verraten", schnarrte der Arzt wichtigtuerisch und er ging Az damit langsam auf die Nerven.

"Von mir aus." Der kleine Mann hüpfte vom Bett und eilte zu seinem Koffer. Er hantierte geschäftig darin herum und Az verschränkte die Arme. Er hatte ja nicht wissen wollen, WIE er einen solchen Test selber machte, sondern was der Scheißkerl verdammt noch eins dafür mit dem Kind anstellen musste. Vielleicht waren ihm gewisse Dinge ja gar nicht recht? Aber jetzt war es auch egal und Az entschied sich, den Arzt einfach machen zu lassen.

Der kleine Mann kam wieder und kletterte eilig aufs Bett. Er nahm den Arm des Mädchens und entnahm eine Blutprobe mit der Spritze. Er klebte eilig und ohne hinzusehen ein Pflaster auf die Wunde und vermischte ein bisschen von dem Blut mit einer Flüssigkeit in einem kleinen Glasröhrchen. Diese färbte sich plötzlich blau, was Az überraschte, aber der Arzt schien noch nicht zufrieden zu sein und wartete weiter. Az' Blick war skeptisch und irgendwie fragte er sich, ob der Mann wohl auch feststellen konnte, wie stark das Dämonenblut in jemandem war. Er überlegte sich, ob er ihn nicht fragen sollte, einen solchen Test auch bei ihm zu machen, aber schob den Gedanken dann beiseite, weil er schwachsinnig war.

Az kannte seinen richtigen Vater nicht. Er war ein typischer "Vergewaltigungsblüter", wie man so sagte. Seine Mutter war ein Mensch, der von einem Dämon vergewaltigt worden war. Sein Stiefvater war der Ehemann seiner Mutter gewesen und hatte immer an Az ausgelassen, dass er die eigentliche Vergewaltigung nicht hatte verhindern können, ja sie nicht einmal mitbekommen hatte. Az' Mutter hatte einen psychischen Schaden. Wenn es nach seinem Stiefvater ging, dann durch die Vergewaltigung und die Tatsache, dass seine Flügel ihr den Bauch aufgeschlitzt hatten, als er geboren wurde. Aber heute wusste Az, dass auch Dämonen ihr Kinder unter Umständen mit Flügeln zur Welt brachten, und danach nicht gestört waren. Die kleinen, noch biegsamen Knochen in den Schwingen können dem Leib der Mutter genauso viel, oder wenig anhaben, wie normale Gliedmaßen auch. Aber als er noch ein Kind gewesen war, hatte er es natürlich nicht gewusst und es hatte ihm immer schrecklich leid getan, dass er seiner Mutter wohl so etwas schreckliches ,angetan' hatte. Für seinen Stiefvater war Az immer nur der kleine Bastard gewesen. Der Dämon, der von Grund auf schlecht, alles kaputt gemacht hatte. Aber Az' Mutter hatte zu ihm oft gesagt, wenn sie mal einen klaren Moment in ihrem Leben gehabt hatte:
 

Du bist Aza'zel, der Sohn des Ashmodai.

Und du bist mein Kind. Ein schöner Junge.
 

Az hatte nie gewusst, was das bedeutete, denn er kannte seinen Vater nicht. Der Name seines Vaters war Ashmodai. Und das sagte ihm rein gar nichts. Aber Aza'zel war der Name eines echten Dämons. Er hatte das erst später herausgefunden, aber es war eine Tatsache. In der Sprache der Dämonen hatte es eine Bedeutung und deswegen hatte er sich immer Az nennen lassen, so wie seine Mutter ihn immer genannt hatte. Sie hatte seinen echten Namen niemals in den Mund genommen, außer, wenn sie diesen einen Satz zu ihm sagte, und sie hatte ihn seltsamerweise oft wiederholt. Az wusste nicht, ob es irgendwo auf der Welt vielleicht einen Dämon gab, der Aza'zel hieß, aber wenn, dann wollte er mit dem sicherlich keinen Stress haben. Manchmal, in bitteren Momenten dachte er darüber nach, ob sein Vater ihn oder seine Mutter vielleicht verhöhnen wollte; ihr deswegen eingeschärft hatte, wer er war, und wie sein Kind heißen sollte. Er konnte sich geradezu bildlich vorstellen, wie so ein großer massiger Körper über ihrer zarten Erscheinung hing und immer wieder sagte: ,Das wird einmal Aza'zel, mein Sohn und ich bin Ashmodai, merk dir das gut, du kleine Hure.' Er wusste nicht, ob es so gewesen war, aber er wollte das nicht wirklich glauben. Aus irgendeinem Grund war er stolz auf sein Blut und hoffte irgendwann einmal herauszufinden, was es damit auf sich hatte. Dieser Satz hatte sich in seinem Kopf eingebrannt. Du bist Aza'zel, der Sohn des Ashmodai. Und er wusste es ganz tief im Inneren, er war sich sicher, etwas ganz Besonderes zu sein. Er wusste es ganz einfach und obwohl er niemals unvorsichtig war, oder zu große Risiken einging, war er sich irgendwie sicher, dass er nicht einfach so irgendwie und irgendwo dreckig sterben würde, bevor er es nicht herausgefunden hatte.
 

Auch nach einigen Minuten des Wartens tat sich nichts weiter in dem Röhrchen mit der Flüssigkeit und der Arzt schien enttäuscht zu sein. Az sah geduldig zu, wie er das Zeug in die Schale kippte und wieder wegsteckte.

"Sie ist kein Blüter...", meinte der kleine Mann nachdenklich. Einen Moment wirkte es, als wolle er noch etwas sagen, er ließ es aber und ging stattdessen zu seinem Koffer zurück. Er kramte darin und kam dann mit etwas wieder, einem kleinen Salbentöpfchen aus Keramik. Er steckte zwei Finger herein und schmierte das Mädchen vorsichtig damit ein, dann reichte er es Az.

"Damit jeden Tag zweimal einreiben.", ordnete er schnarrend an. "Dann sollte es besser werden, Fieber hat sie keines mehr. Mehr kann ich nicht tun."

"In Ordnung," gab Az knapp zurück und stellte das Töpfchen auf das Nachttischchen links neben dem Bett. Er deckte Kassandra wieder zu.

"War es das?", fragte der Arzt und putzte seine Nickelbrille. Az nickte. "Gut. Dann empfehle ich mich." Der kleine Mann watschelte zu seinem Koffer und ordnete ihn kurz, schloss ihn dann wieder und ließ die Scharniere zuschnappen. Er wuchtete das Riesenteil vom Glastisch und nickte noch einmal in die Runde, dann ging er aus dem Raum und schloss die Tür hinter sich. Slizer warf Az einen mürrisch veralbernden Blick zu, der wohl den Arzt verhöhnen sollte, doch dieser war nachdenklich geworden. Er wartete eine Weile und setzte sich neben Slizer auf die Couch, der ihn fragend ansah.

"Du weißt, was das heißt, oder Köter?" fragte Az geistesabwesend.

"Nee," maulte Slizer zurück. "Wattdenn?"

"Na ganz einfach..." gab Az zurück ohne seinen Gesprächspartner eines weiteren Blickes zu würdigen, "Sie ist kein Mensch und trotzdem hat irgendetwas mit da reingewichst. Was ist, wenn es kein Blüter, oder Dämon, sondern ein Engel war?" Nun sah er zu Slizer auf und erhielt einen verzerrten Gesichtsausdruck des Unglaubens als Antwort.

"Du glaubst sie is'n verfickter Nephilim? Komm schon was soll die Scheiße?" Slizer gurrte unzufrieden und ungläubig.

"Könnte doch sein. Und wenn ich auf diese Idee komme, kommt der Freak da auch drauf. Was is, wenn der das jemandem erzählt? Wir sollten schön die Klappe halten, hoffentlich kriegen wir keinen Ärger." Az sah nun starr und wieder gewöhnt kühl in den Raum.

"Alles scheiße, vielleicht haben die Soldaten ja sie gesucht," maulte Slizer und warf sich auf die Linke Seite.

"Gut möglich. Hoffentlich finden sie uns hier nicht," knurrte Az mürrisch.

"Wenn sie ein Nephilim is, sollten wir sie im Fluss ersaufen, wo wir sie rausgeholt ham!", schnappte Slizer noch mürrischer. Az sah auf.

"Wieso dass?", fragte er argwöhnisch.

"Na weil Nephilim nur ärger machen!" knurrte Slizer wenig freundlich. Az sah ihn fest und kühl, fast herabwertend an. Er hielt den Blick einige Sekunden starr auf Slizer gerichtet und sah ihm in die Augen, was bei seinem großen Freund mal wieder für Trotz und Unbehagen sorgte. Was hat er denn nu schon wieder?, fragte der sich stumm. Az beendete die Diskussion. "Ach ja? Wie viele Nephilim kennst du denn?"

Darauf gab Slizer natürlich keine Antwort, was Az als Eingeständnis reichte und der Köter grummelte und wendete den Kopf, wie ein Hund, den man beim Niederstarren bezwungen hatte. Az schenkte ihm daraufhin einen noch vernichtenderen Blick. Er wusste gar nicht so genau warum, aber er redete sich ein, dass es daran lag, dass er nicht leiden konnte, wenn Leute so sprunghaft ihre Meinung wechselten. Slizer war da sehr gut drin. Er hatte das Kind angeschleppt und nun sollte er sich ja nicht einfallen lassen, es auf Az abzuwälzen. Schließlich war es nicht seine Idee gewesen sie mitzunehmen. Kassandra begann derweil etwas lebhafter zu werden und Az stand auf, um nach ihr zu sehen. Das Mädchen hob den Kopf und blinzelte ihn verstört an, als er sich zu ihr setzte. Ihm vielen zum ersten mal ihre strahlend blauen Augen auf, die ihn sofort faszinierten. Er nahm das Salbendöschen vom Nachttisch und reichte es ihr. Sie nahm es zitternd und sah ihn fragend an.

"Der Arzt war hier, während du geschlafen hast. Er hat dich auch untersucht. Er hat dich eingeschmiert und gesagt, wir sollen es jeden Tag zweimal auftragen. Ich geh dir da unten nich ran, also mach du das selber." Er hob entwaffnend die Hände während er sprach und erhob sich, als er zu Ende gesprochen hatte. Sie nickte nur, anscheinend bemüht, etwas dankbar auszusehen, aber es fiel ihr schwer. Az war sich sicher, dass sie dankbar war, jedoch schien sie der Schmerz niederzudrücken. Der körperliche, wie der seelische.

Az ging zu dem Waschzuber herüber und wischte mit der Hand durch den Schaum und das Wasser. Es war noch warm, hatte jetzt eine angenehme Temperatur. Az begann sich auszuziehen. Er legte seine Schuhe beiseite, Socken trug er nicht, und besah sich seine Hose. Sie hatte vorne auf den Beinen je vier Löcher, sie waren teilweise Gebrauchsspuren, der Rest mit Absicht hineingemacht, und ziemlich ausgefranst. Das Blau der Jeans war hell und ausgewaschen mit einigen dunkleren Flecken. Und jetzt war sie dazu mal wieder voller Blut und links unter dem Ledergürtel, mit dem er sie trug zerfetzt von den Werwolfsklauen. Zum Glück war der Gürtel selber heil geblieben, allerdings hatten die Klauen der Bestie seiner Lederjacke übel mitgespielt. Der Reißverschluss war ausgerissen und zerfetzt und er ärgerte sich darüber. Er würde sie reparieren lassen, wenn sie erst einmal bezahlt wurden. Er seufzte, legte seinen Kram ordentlich zur Seite, sicherte seine Waffe, bevor er sie wieder ins Holster zurücksteckte und auf dem Klamottenberg platzierte.

Die Folie, die ihm der Arzt für solche Anlässe dagelassen hatte, war seltsam, dünn und durchsichtig, und er wickelte seine Wunde irgendwie damit ein, damit der Verband nicht zu nass wurde. Er nahm das Band aus seinen Haaren und schüttelte sich, dann stieg er in die Wanne und seufzte. Das Wasser war sehr angenehm auf seiner Haut. Er tauchte mit dem Kopf unter und blieb erst einmal ein paar Minuten ruhig sitzen. Dann wusch er sich die Haare und schrubbte sich ab. Er war froh die Gelegenheit zu einem Bad zu bekommen, das war äußerst selten bei seinem Lebensstil.

Als er wieder aus dem Wasser stieg war es fast kalt. Slizer schmollte immer noch und Kassandra gab keinen Mucks von sich. Az nahm seine Hose, besah sich die Misere und stopfte sie dann ins Wasser. Er wusch auch seine Shorts, legte sich ein Handtuch um die Hüften und trocknete seine Haare. Slizer hörte das Platschen des Wassers und drehte sich um.

"Ach Az! Da wollte ich noch drin Baden! Jetzt ist es ganz dreckig, musst du unbedingt jetzt deine Klamotten waschen?" Az drehte sich nicht zu ihm um und machte einfach weiter.

"Stell dich nicht so an. Das Wasser kommt warm aus der Wand und es hört nicht damit auf, warum auch immer. Du kannst dir neues Wasser machen." Er schrubbte die Jeans energischer, aber er wusste, dass er das Blut nicht herausbekommen würde. Die Hose hatte inzwischen viele solcher Flecken.

Es klopfte an der Tür und Az ging um sie zu öffnen. Slizer drehte sich grummelnd um. Ein Bediensteter kam herein und schob einen kleinen metallenen Speisewagen hinein. Er platzierte ihn neben dem Tisch, machte eine andeutungsweise Verbeugung und ging wieder. Auf dem Wagen befanden sich einige Teller, die mit Silberkuppeln zugedeckt waren und zwei gute Flaschen Wein, sowie Gläser, Besteck und eine Karaffe mit Wasser. Slizer zog eine Augenbraue hoch und wuchtete sich in eine aufrechte Position. Seine Laune hatte sich schlagartig gebessert und er nahm das Essen in Augenschein. Unter der ersten Abdeckung kam ein dampfender Braten mit einer dunklen Soße zum Vorschein. Az stand skeptisch vor dem Tisch und kratzte sich am Kopf.

"Na das nenn ich ein feines Fresschen!" grinste Slizer und hob weitere Deckel, unter denen eine Gemüsebeilage, Kartoffeln und eine seltsame Süßspeise zum Vorschein kamen, die an Grieß erinnerte. "Woll'n wir loslegen?" Jeder Streit schien vergessen und Az setzte sich.

Slizer schlug zu, während Az eine kleine Auswahl traf und eher gesittet damit anfing, dieses seltene Ereignis zu genießen. So gutes Essen kam für ihn wirklich selten in Frage. Slizer schlang seinen Anteil eher hinunter und begoss das ganze mit einer ganzen Flasche Wein. Danach brachte er dem Mädchen eine kleine Auswahl unbeholfen ausgesuchter Happen und sprach leise zu ihr. Az sah sich das Spielchen an und stahl sich eine zerknautschte Zigarette aus Slizers Schachtel.

Der Köter war Kettenraucher, irgendwie. Das bedeutete, das er maßgeblich über seine Verhältnisse lebte, denn Zigaretten waren teuer und in Europa nicht ganz so leicht zu bekommen, wie in den HellfireStates, wo sie wieder maschinell produziert wurden. Nur Leute mit Kontakten nach Amerika oder zur Neuen Welt Allianz konnten Zigaretten importieren und das waren im ersten Fall meist Dämonen und im zweiten Fall nur Menschen, denn die Widerstands-Armee der NWA vernichtete alles, was nicht menschlich war. Bei den Dämonen konnte auch nicht jeder einfach aus den States importieren. Das konnten nur Lords, die hier Land besaßen und den Krieg gegen den menschlichen Widerstand der NWA anführten, oder hohe Tiere aus Wien. Wien war neben Rom eine der wichtigsten Städte, die von Dämonen beherrscht und bewohnt wurden. Es musste eine schöne Stadt sein, aber dort waren Blüter sicherlich genauso Abschaum, wie überall auf der Welt, wo Dämonen das Sagen hatten. Dort hinzukommen musste sehr schwierig sein.

In Anbetracht solcher Fakten war klar, dass Slizer im Verhältnis zu seinem unregelmäßigen Einkommen zu viel und zu regelmäßig rauchte. Az zündete sich eine an und lehnte sich auf der Couch zurück. Slizer kam zurück und Kassandra schien zu essen.

"Ich leg mich pennen," meinte er und gähnte, dann warf er sich auf die Seite und begann wie immer kurze Zeit später zu schnarchen. Az rauchte zu Ende; drückte dann die Zigarette in einem Aschenbecher aus, der auf dem Tisch stand. Er zog die Knie an und schlang die Arme darum. Er dachte nach. Aber dann bemerkte er zum Einen den stechenden Schmerz in seinem Bauch und zum Anderen seine aufsteigende Müdigkeit. Er schloss die Augen und öffnete sie dann wieder. Die Folie war schnell entfernt und er warf dem schnarchenden Slizer einen seltsamen Blick zu, dann Kassandra. Auch sie schien wieder eingeschlafen, oder was auch immer. Az schüttelte sich und ruckte einmal kräftig an seinem Halsband. Er musste seine Sinne und Gedanken beieinander halten. Wahrscheinlich war es nicht nötig, sich mit dem Schlafen abzuwechseln, und er war auch zu müde, um anstelle seines sorglosen Freundes zu wachen. Wenn ihre ,Auftraggeber' sie loswerden wollten, dann hatten sie ihnen jedenfalls mehr als nur eine angenehme Henkersmahlzeit verschafft.

Az gähnte und streckte die Zunge heraus, so weit er konnte (etwa 20cm), dann schüttelte er sich und ließ sie wieder zurückschnellen. Es hatte keinen Zweck. Auch er ließ sich auf die Seite fallen und kauerte sich zusammen, wie ein schlafendes Raubtier. Er beschloss, nicht mehr nachzudenken, schüttelte die Gedanken ab, machte seinen Kopf leer. Er spürte wie die Endlosigkeit näher kroch und ihn der Frieden eines schlafenden Verstandes einholte... wie irgendetwas nach seinen Gedanken griff und sie sanft tötete, damit er Ruhe finden konnte und er ergab sich der namenlosen Dunkelheit in seinem Geist, die aus seiner Seele emporkroch.

Wunden lecken

Az saß auf dem großen Sessel. Slizer hatte gerade irgendetwas zu ihm gesagt, das sanft und dumpf zu ihm hindurch gedrungen war. Er antwortete mit einem knappen und äußerst kühlen "Ja". Slizer sah ihn genervt an und stützte dann wieder das Kinn in die Hand. Er saß ihm gegenüber auf der Couch und schien gelangweilt zu sein. Az blinzelte kaum merklich. Er stellte fest, dass er seine Hose und seine Schuhe trug und im Schneidersitz auf dem Sessel saß. Feuer brannte im Kamin und die Reste des Essens schienen weggeräumt worden zu sein.

Er fasste sich wieder und ließ nichts von seinem inneren Kampf nach außen dringen. Mal wieder ein Black Out. Er erinnerte sich an nichts, was nach dem Erwachen gewesen war. War es Tag oder Nacht? Worüber hatten sie gerade gesprochen? Er wusste es nicht. Solche Erinnerungslücken hatte er öfter und manchmal hinterließ die Taubheit seltsame Worte in seinem Kopf, die in dumpfem Schmerz endeten. In diesem Moment aber, fühlte er sich eher ausgeruht. Wahrscheinlich hatte er geschlafen. Er wusste nicht, ob Slizer mitbekam, dass sein Verstand manchmal ausklinkte, und er fragte ihn auch nicht danach, was in dieser Zeit geschehen war. Vielleicht würde er es sich leichter machen, wenn er es täte, aber er war sich sicher, diese Black Outs waren etwas ganz persönliches und die Worte, die er zu hören, nein, eher zu spüren glaubte, hatten eine Bedeutung, auch wenn sie sich ihm nicht immer gleich erschloss. Das ging niemanden etwas an, außer ihm. Niemanden.

Da er aber in Slizers Augen schon eine Weile wach zu sein schien, und Az keinen blassen Schimmer hatte, über was sie gerade gesprochen hatten, musste er nun etwas sagen, damit seinem Freund nicht auffiel, dass er nichts mitbekommen hatte. Nur keine Schwäche zeigen.

"Wie geht's der Kleinen?", murmelte er monoton, als frage er nur, um die Langeweile zu vertreiben.

"Wie oft willst du das noch fragen?", maulte Slizer genervt. Az sah ihn kalt und ausdruckslos an.

"Wie geht's der Kleinen?", fragte er wieder, als habe er es zum ersten mal gesagt. Slizer knurrte auf Grund der Provokation, nahm sie aber hin, ohne ihm eine Antwort zu geben. Az ließ es dabei bewenden und stand auf, um selbst nach dem Mädchen zu sehen.

Kassandra lag immer noch im Bett, eingehüllt und beinahe gänzlich versteckt von den schweren Decken, die auf dem Himmelbett aus geschnitztem Holz lagen. Az setzte sich zu ihr und sie öffnete die Augen.

"Ah, du bist wach, das ist gut." Az grinste beinahe, konnte es sich aber noch verkneifen während Slizer auf Grund seines Kommentars den Kopf hob und überrascht zum Bett hinüber sah. "Wie geht es dir?", fragte der Blüter emotionslos. Das Mädchen nickte nur, schien aber immer noch Angst und Schmerzen zu haben.

"Besser." hauchte sie zaghaft, als Az nicht weitersprach, sondern fragend den Kopf schief legte.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Slizer sprang regelrecht von der Couch und griff nach seiner Flinte, Az stand ebenfalls abrupt auf, allerdings weniger erschreckt und entfernte sich ein paar Schritte von der Tür. Er bemühte sich irgendetwas wie eine Haltung anzunehmen, denn er wollte sichergehen, sich angemessen und ohne eine Spur von Schwäche zu präsentieren, egal wer jetzt gleich zur Tür herein kommen würde.

"Herein." sagte Az scharf und warf Slizer über die Schulter einen lockeren, kalten Blick zu. Allerdings verschärfte sein Grinsen in Richtung seines Freundes nur dessen Anspannung, machte dieser eisige Blick dazu ihm doch unmissverständlich klar, das Gewehr sofort hinzulegen und die Klappe zu halten.

Die Tür ging auf und Alexandra kam herein. Sie hatte einen festen und eleganten, sehr selbstsicheren Schritt und Az fragte sich, wie alt sie wohl sein mochte. Des Weiteren stellte er soeben fest, dass ihr Samtkleider nicht standen. Sie hatte wenig damenhaftes und das was sie nun trug, hob ihre Reize perfekt hervor und zeichnete ihr Gesicht mit noch mehr Anspannung und Ernsthaftigkeit. Anscheinend genoss sie es gar nicht, diesen feinen Stoff am Leib zu tragen, musste sie doch anscheinend ihre bequeme und praktische Hose dagegen eintauschen. Az zog eine Augenbraue hoch und legte den Kopf schief, als würde er erwarten, dass sie spräche. Er fuhr sofort wieder auf hundert Prozent und verschränkte seine Arme direkt über der Wunde, deren Schmerz er vollkommen verdrängte.

"Guten Abend." Alexandras kalte, aber höfliche Stimme brachte die Flammen der zahlreichen Kerzen zum zittern, als sie vorsichtig die Tür hinter sich schloss. "Ich hoffe der Arzt hat seine Arbeit zu eurer Zufriedenheit erledigt." Sie sah die Beiden nacheinander fragend an.

Az nickte nur und machte eine Handbewegung, die ihr bedeutete fortzufahren.

"Das freut mich.", sagte emotionslos. "Ihr habt unseren Erzeuger gerettet, Lord Ceran, das Kind des Herrschers von Nürnberg. Ihr habt dieser Stadt einen großen Dienst erwiesen und sollt dafür reichlich entlohnt werden, wie versprochen." Sie nahm ohne Umschweife zwei Geldbeutel von ihrem Gürtel und reichte den einen Az, den anderen Slizer. Slizer nahm den Beutel beinahe gierig in die Hände, öffnete ihn dann aber eher wie ein verschüchtertes Kind, welches seine unhöfliche Geste sogleich es das Ersehnte in der Hand hält, wieder bereut. Az nahm das Geld entgegen und warf es einfach zu seinen Sachen, ohne nachzusehen, wie viel es war. Er kannte sich nicht mit Vampiren aus, jedoch interessierte ihn das, was sie soeben gesagt hatte mehr, als die Belohnung, die ihm nicht mehr davonlaufen würde. Das Kind des Herrschers von Nürnberg? Das musste wirklich etwas bedeuten, man erzählte sich, der Vampir, der hier herrschte, sei hunderte von Jahren alt und ein Schläfer, der noch lange Zeit vor der zivilisierten Zeit erwacht sei.

"Nun, auch auf die Gefahr hin unhöflich zu sein, aber was wolltet ihr in Nürnberg?", fragte Alexandra. Az grinste und verschränkte geschäftlich die Arme vor der Brust.

"Wir suchen Arbeit, wisst ihr? Es sind harte Zeiten da draußen, ich meine überall herrscht Krieg. Die Widerstandsnester und so weiter...Wir sind ehrliche Söldner, wir haben keine Lust uns auf den Schlachtfeldern der Dämonen verheizen zu lassen. Sorry, aber das ist nicht unsere Sache, also haben wir uns gedacht in einer freien Stadt wie dieser finden wir sicherlich noch am ehesten einen guten Job, der nichts damit zu tun hat, irre menschliche Fanatiker in Stücke zu schießen, während man irre infernale Fanatiker im Rücken hat. Und das auch noch vollkommen unterbezahlt." Az grinste dreckig. Es war aufgesetzt. Er wollte Alexandra testen.

Wie groß war der Gefallen, den sie ihr und der Stadt getan hatten wirklich? Für diese Leute hier mussten sie Beide ganz dreckige kleine Pisser sein, die es irgendwie gebacken gekriegt hatten, etwas ganz großes zu leisten, und genauso benahm er sich jetzt auch. Eigentlich war er eher ruhig und durchweg in der Lage höflich zu sein, artikuliert zu sprechen und Manieren an den Tag zu legen, das hatte er bei seiner alten Truppe gelernt. Aber er traute dem Braten nicht. Die Frau wollte wahrscheinlich mehr von ihnen, als sie nur bezahlen und davonjagen wie dreckige Hunde, sonst hätte sie sie nicht so lange hierbehalten, ihnen einen Arzt bezahlt und jetzt angefangen über Dinge zu plaudern, die zwei Söldner nichts angingen. Da musste mehr dahinterstecken und er war sehr gespannt darauf, wie viel Geld in dem Beutel sein würde. Nach der Behandlung durch den Arzt dürfte eigentlich nicht mehr allzu viel herumspringen.

Alexandra bedachte ihn mit einem...nun...emotionslosen Blick. Wie immer. Es fiel ihm sehr schwer die Frau einzuschätzen, aber anscheinend war sie nicht angewidert oder beleidigt. Sie schien ihn eher prüfend anzusehen. Nach einigen ewigen Augenblicken, in denen Az ihrem eiskalten Blick standhielt, erhob sie wieder das Wort.

"Nun, ich bin sicher, wir hätten noch einige Aufgaben für euch, wenn ihr Interesse daran hättet."

"Oh, sicher." sagte Az geschäftig, aber weniger herausfordernd als gerade. Er war jetzt vorsichtiger, wer wusste schon, was in Alexandra vorging. Er wollte es sich nicht verderben hier vielleicht wirklich einen Fuß in die Tür zu bekommen. "Kommt drauf an, was für Aufgaben das sind. Soll ich über unsere Qualitäten referieren, oder haben wir sie für das, was Euch vorschwebt schon genug unter Beweiß gestellt?"

"Ich denke, das habt ihr. Ich kann euch jetzt noch nicht sagen, was für Aufgaben es konkret sein werden, aber loyale Mitarbeiter können wir immer gut gebrauchen. Zur Zeit herrschen einige Spannungen in der Stadt. Da kann es von Nutzen sein, jemanden von Außen zu haben, der von all den innenpolitischen Querelen unbefangen ist." Az nickte, als sie zu Ende gesprochen hatte und stellte besorgt fest, das Slizer im Begriff war, sich am Kopf zu kratzen, weil er die Hälfte der Wörter nicht verstanden hatte.

'Von innerpolitischen Querelen unbefangen...' dachte Az. 'Nette Umschreibung für, naive Idioten, die man für seine Zwecke mißbrauchen kann, damit man die dreckige Arbeit nicht selbst erledigen muss. Aber wer weiß, vielleicht spiele ich das Spielchen sogar gern, wenn nur die Bezahlung stimmt.'

"Nun, solch eine hohe Arbeitstelle zu bekommen hatten wir nicht erwartet." Az ergriff schnell das Wort und sprach mit anscheinend unverhohlener, dreckiger Freude über das begonnene Arbeitsverhältnis. Doch dann verfinsterte sich sein Blick schlagartig, und der plötzliche Stimmungswandel erregte wieder Alexandras Aufmerksamkeit. "Allerdings," hob Az wieder die Stimme, "will ich schon gern wissen, was genau wir für euch tun sollen und wann. Mal ganz ehrlich," er ließ die Arme sinken und entblößte die Wunde, "ich glaube es wird noch ein Weilchen dauern, bis ich mich wieder mit Werwolfpack anlegen sollte." Alexandra musterte ihn wieder prüfend und er hoffte, dass seine Art dafür sorgte, dass sie ihn nicht gänzlich durchschaute. Az war kein guter Schauspieler, genauer gesagt, besaß er überhaupt keine schauspielerischen Qualitäten, er war nur schlichtweg gestört und wusste, dass viele Leute mit seiner schizophrenen Art des ,Verhandelns' nicht zurecht kamen. Er verarbeitete Informationen anscheinend nicht exakt so wie andere Leute, oder eher, wie andere Leute es erwarteten. Das verschaffte ihm oft einen Vorteil, sorgte aber auch dafür, dass er immer sehr hoch pokerte.

"Ich werde euch mitteilen, wenn ich etwas für euch habe. Ich oder Arthur, genauer gesagt. Ich denke ihr werdet ein paar Tage Ruhe bekommen, das ist kein Problem. Wir haben nichts davon, wenn unsere Männer nicht voll einsatzfähig sind. Ihr könnt hier bleiben und euch ausruhen, bis ihr wieder genesen seid. Dann werden wir zu euch kommen und euch vielleicht einige kleinere Aufgaben zukommen lassen. Wenn ihr diese zu unserer Zufriedenheit erledigt, hätten wir noch eine Große für euch. Und ich verspreche euch, ihr werdet fürstlich dafür entlohnt werden." Weder ihre Stimme noch ihr Blick verrieten irgendetwas über ihre Gefühle, während sie sprach und Az war sich nicht mehr sicher, ob sie überhaupt so etwas besaß.

"In Ordnung." grinste er jetzt wieder vorsichtig. "Ich denke das wird durchaus machbar sein."

"So lange ihr für uns arbeitet, könnt ihr hier natürlich weiterhin unterkommen. Dieser Flügel ist in Ordnung, wenn ihr etwas braucht, fragt einen Bediensteten, sie werden euch Fragen beantworten und euch etwas zu Essen bringen, wenn ihr es wünscht. Wendet euch auch an sie, wenn ihr irgendetwas braucht. Der Rest des Schlosses ist aber Tabu."

"Verstanden.", kommentierte Az befehlsgewohnt. "Aber, wenn ich fragen darf, wo ist mein Pferd?"

Alexandra nickte. "Frag einen Bediensteten nach den Stallungen und wo sie es hingebracht haben. Dort dürft ihr euch natürlich auch aufhalten. Habt ihr sonst noch fragen?"

"Nun, wir wollten vielleicht mal in die Stadt, einkaufen und so..."

"Das ist kein Problem, ihr dürft euch in der Stadt frei bewegen."

"Nun, äh..." Az versuchte krampfhaft eine höfliche Formulierung zu finden. "Nun, wie soll ich das sagen, ich hatte noch nie mit Vampiren zu tun, und man hört so Geschichten über die Stadt...Versteht Ihr ich möchte einfach niemandem auf die Füße treten."

"Das ist an und für sich kein Problem. Die allgemeinen Regeln hier sind einfach. Wir sind eine freie Stadt, das bedeutet keine Diskrepanzen unter den verschiedenen Rassen. Dämonen sind hier genauso viel wert, wie ein Mensch oder ein Blüter. Das Gleiche gilt für Nephilim und Schläfer. Es gibt keine bestimmten Wohnbereiche in der Stadt, sie ist Ringförmig aufgebaut. Umso näher ihr dem Stadtkern kommt, desto dreckiger werden die Viertel. Dort bekommt man häufig Ärger, wenn ihr den vermeiden wollt, bleibt in den Randgebieten der Stadt. Es gibt hier eine Menge Menschen und viele Schläfer. Mehr als Dämonen oder Blüter. Alle sind hier vor dem Gesetz gleich, also keine Rassenstreitigkeiten."

"Hm, geht klar. Und die Vampire?", erkundigte sich Az.

"Wir unterteilen uns in Familien, aber hier sind alle Kinder oder Kindeskinder des Herrschers. Wir haben selten Besuch von Außerhalb, und niemand von Draußen hat hier etwas zu sagen. Ansonsten ist es schwer uns in die Quere zu kommen. Vampire kontrollieren hier alle wichtigen Einrichtungen und wir hegen untereinander keinen Groll. Wir sind eine Familie und agieren nicht gegeneinander. Wenn ihr euch nicht in wirklich wichtige Geschäfte einmischt, könnt ihr keinem von uns in die Suppe spucken und werdet keine Probleme haben." Alexandra beendete ihre monotonen Ausführungen und nickte Az noch einmal zu. Die Frau hatte ein Gesicht wie eine Porzellanpuppe und er hoffte, dass er sich daran gewöhnen würde.

"In Ordnung, kein Problem." antwortete er selbstsicher. "Also ist gegen einen Rundgang nichts zu sagen, ja? Das ist gut, denn wenn ich demnächst in der Stadt operieren muss, will ich mir erst einmal ein Bild vom Terrain machen." Alexandra zog kaum merklich eine Augenbraue hoch, aber der Ansatz von Az schien sie zu überraschen. Vielleicht hätte sie nach seiner Art der Verhandlungen doch eher erwartet, dass er den kleinen Abstecher für ein sinnloses Besäufnis genutzt hätte. Er grinste sie an und sie nickte verwirrt.

"In Ordnung, wenn noch etwas ist, fragt einen Bediensteten nach was auch immer ihr wissen wollt. Sie werden euch auch etwas zu Essen bringen, wenn ihr es wünscht. Ansonsten werde ich mich jetzt erst einmal zurückziehen. Wir werden uns wieder bei euch melden, wenn es etwas Neues gibt." Sie wandte sich zum Gehen und drehte sich in der Tür noch einmal um. "Ach und... Ceran richtet euch seinen Dank aus." Sie ging und schloss die Tür hinter sich ohne ein weiteres Wort und Az und Slizer standen im Regen.

Kassandra hatte die ganze Zeit keinen Ton von sich gegeben und war anscheinend noch tiefer in die weißen Laken eingesunken. Vielleicht war sie sogar wieder bewusstlos geworden, Az war sich nicht sicher. Slizer kratzte sich am Kopf.

"Seltsam oder?" fragte er. Doch dann schien sich etwas anderes in seinem Kopf breit zu machen und den Zweifel zu verdrängen. "Woll'n wir nachsehen wie viel Geld es ist?" Er grinste und strahlte über das ganze Gesicht als er Az seinen Beutel zuwarf.

"Na ja," gab Az mürrisch zu bedenken, "viel wird das nicht mehr sein, nachdem sie die Arztkosten abgezogen haben."

"Ist doch egal, es sieht nach `ner Menge aus! Sieh nach, sieh nach, sieh nach!"

Az seufzte und nahm auch seinen Beutel, er schüttete die vielen Euros alle zusammen auf den kleinen Glastisch in der Mitte des Raumes und begann die Münzen durchzuzählen. Es wahren auch noch alte Scheine dabei, was ihn wunderte. Hier war die Zeit wirklich stehen geblieben. Sie waren zwar noch gültig, beziehungsweise wieder, da die Neue Welt Allianz wieder hinter der festen Währung in Europa stand, aber Scheine wie diese wurden nicht mehr gedruckt. Dies hier waren noch alte Scheine mit deutschen Aufdrucken, die Az nur sehr schwer lesen konnte. Die Zahlen waren natürlich die Gleichen, aber die Sprache schien Deutsch zu sein und er sprach nur Common. Die Scheine mussten aus einer Zeit lange vor dem Großen Krieg kommen, denn Englisch hatte sich mit den verschiedenen Modifizierungen schon lange zuvor als Sprache durchgesetzt. Inzwischen hatten sich die anderen Sprachen in Europa mit Englisch vermischt und dabei war Common herausgekommen. Das hatte Duncan ihm mal erzählt, einer von den Glücksrittern. Andere anerkannte Sprachen nach der Apokalypse waren Latein und Cruel, wie die Sprache der Dämonen bei den Menschen genannt wurde, die Dämonen selber hatten ein eigenes Wort dafür, dass Menschen nicht aussprechen konnten. Latein wurde von gewissen Kirchenvereinigungen benutzt, weil es eine alte Sprache war, die niemand mehr sprach und kaum ein Wesen verstehen konnte.

Az konnte lesen. Er hatte es bei den Glücksrittern gelernt. Karkas hatte immer gesagt, Wissen ist Macht, und das einfache Volk wird niemals das gleiche Wissen erlangen, wie die Obrigkeit und das aus gutem Grund. Wenn man lesen und rechnen konnte, dann konnten einen die gebildeten Leute schon einmal nicht für dumm verkaufen. Karkas selbst hatte sogar ein paar Brocken Cruel gesprochen, das klang einfach seltsam, denn es war eine gutturale, raue Sprache, die beinahe nur aus Lauten bestand, die ein Mensch nicht erzeugen konnte. Az wusste nicht wieso sein Hauptmann die Sprache der Dämonen beherrschte, aber Karkas hatte auch niemals wirklich darüber gesprochen. Wenn mal jemand fragte, dann hatte er einen Scherz gemacht und damit das Thema beendet. Unmissverständlich. Aber in jedem Fall war Az ihm dankbar, dass er dafür gesorgt hatte, dass er heute einen recht umfassenden Wortschatz hatte und sogar recht gut Lesen, Schreiben und Rechnen konnte. Slizer konnte nichts von alledem und das war auch der Grund, warum Az nun das Geld zählte, denn Slizer war schlichtweg nicht dazu in der Lage.

Bei so viel Geld würde die Verwaltung des Vermögens wieder an Az hängen bleiben. Slizer neigte zu unkontrolliertem Kaufrausch, wenn er Geld besaß und ließ sich gerne bequatschen jede Menge Kram zu kaufen, den man nicht brauchte. Er liebte Reliquien und alten Tand aus der Zeit von vor dem Krieg, egal, ob man damit etwas anfangen konnte, oder nicht. Ließ man ihn alleine losziehen, so verscheuerte er all sein Geld und kam mit einem Haufen nutzlosen Krams zurück. Ganz zu schweigen davon, dass er in Bordellen und bei anderen Dienstleistungen immer viel zu viel Geld ließ, weil er nicht durchrechnen konnte, wie viel er gerade in der Hand hielt.
 

"Es sieht nach ner Menge aus..." hechelte Slizer wie ein kleines Kind neben Az. "Es ist ne Menge, oder, oder, hab ich recht?"

"Nun lass mich doch mal in Ruhe zählen", murrte dieser genervt. "Ja, das sind....insgesamt, wenn ich mich nicht irre...mal eben schlappe 500 Euro!"

"JA! Ich WUSSTE es!" Slizer grinste und ballte die Hand zu einer Faust. "Strike! Das sind 250 für jeden! Das ist ne Menge Asche, dafür kann ich mir neue Munition kaufen und ein Besuch im Bordell ist auch noch drin! Sogar mehr als einer..." Er bekam einen verträumt lüsternen Blick, nahm die Hände hinter den Kopf und ließ sich auf die Couch fallen. "Verwalte du mein Geld." sagte er geschäftig grinsend und malte sich anscheinend weiter aus, was er mit all der Kohle anfangen konnte.

"Wie immer", sagte Az monoton, verdrehte aber genervt die Augen, als er die Münzen und Scheine in die zwei Beutel zurückschüttete und den einen an seinem Gürtel, den anderen in seinem Rucksack verstaute. "Wollen wir uns die Stadt mal ansehen?"

"In Ordnung!", lachte Slizer und sprang wieder von der Couch auf, die er damit einen halben Meter in Richtung Wand beförderte. Er nahm sich seine Flinte und zog sich seine alte Motorradlederjacke über, was seltsam aussah, da sein rechter Arm immer noch in der Schlinge lag. Er schulterte seinen Armee-Rucksack und steckte sich breit grinsend eine Zigarette ins Maul. Az zog sich seufzend seine eigene Lederjacke über und nahm seinen eigenen Rucksack. Er bewaffnete sich wieder und stapfte zur Tür, an Slizer vorbei, der sich gerade die Zigarette angezündet hatte. Az nahm sie ihm aus dem Mund, ohne ihn anzusehen und schob sich seine orangefarbene Sonnenbrille mit den Runden Gläsern auf die Nase. Slizer grummelte ihn an, nahm sich dann aber einfach eine neue Kippe aus seiner Jackentasche und stapfte hinter Az her.

"Heut kannst du mir nicht mehr die Laune verderben, Gräte." lachte Slizer dreckig, als Az abrupt in der Tür stehen blieb und sein Freund verdutzt inne hielt. Die runden Gläser drehten sich blitzend zu dem Häufchen Elend in den schweren Decken um.

"Hey Kleine." schnappte Az zu ihr rüber und nahm die Zigarette aus dem Mund. Kassandra rührte sich kaum merklich und starrte in die farblos wirkenden Augen hinter dem orangefarbenen Glas. Az atmete qualm aus, dann zog er plötzlich ruckartig das Kampfmesser aus der Halterung an seinem Unterschenkel und drehte es behände, so dass er es an der Klinge festhielt. Kassandra starrte den Griff an, als sei er die Schneide. "Ich lass dir das hier da. Ich trau den Blutsaugern nicht. Wenn jemand reinkommt und will dir was, wehr dich, kapiert?" Er reichte ihr das Messer rüber und sie nahm es zaghaft in ihre kleine schmächtige Hand. Sie starrte es einen Augenblick an, sah dann auf, traf Az' eisigen Blick und nickte nur. "Okay, gehen wir," hauchte Az mit einer Qualmschwade. Slizer zuckte die Schultern und stapfte hinterher, wobei er reichlich Asche auf dem Teppich verteilte.
 

In dem Gang, der hinunter in die große Halle führte, standen zwei finstere Gestalten in barocken, schwarzen Kleidern, die sich mit tiefen Stimmen in gedämpfter Lautstärke zu unterhalten schienen. Slizer scherte sich nicht darum, Az dagegen musterte die beiden mit argwöhnischem Blick. Der Erste war sehr groß und unglaublich hager, hatte eine komische Frisur, hochtupiertes, aufgebauschtes graues Haar und pechschwarze Augen, die zu den zwei Fremden hinüberblitzten. Die Falkennase ließ sein Gesicht hässlich aussehen, männlich und gefährlich, aber ganz sicher nicht schön. Az roch sofort, dass sie nicht lebten, es mussten Vampire sein. Der zweite, der eben gesprochen hatte drehte sich mit einem unwahrscheinlich einschüchternden Grinsen zu Slizer und Az um, als sie an ihnen vorbei mussten, um die Treppe hinunterzugehen. Eine Glatze und silberne Augenbrauen, kräftiger und etwas kleiner als sein Gegenüber präsentierte sich der Gesichtsausdruck des zweiten nicht kalt und arrogant, sondern selbstsicher und bösartig. Seine hellblauen Augen blickten spöttisch, gerade auf Slizer. Er hatte einen markanten Bart, scharf geschliffen und zackig um die Mundwinkel und trug einige Piercings und Ohrringe. Die Haut von beiden war weiß und kalt wie Schnee.

"Jetzt residiert das Söldnerpack schon bei uns im Haus, was soll ich davon halten, Vigor?", spottete die Glatze und sein Gesprächspartner knackte finster mit den langen, knochigen Fingern, während sein Blick der eines Raubvogels blieb, der gefühllos seine Beute belauert. "Ich weiß nicht, was Ceran sich dabei denkt, aber ihr solltet euch hier nicht zu wohl fühlen. Ihr habt hier nichts verloren, ihr seid nichtswürdige Beutetiere und Sklaven." Der Mann grinste mit spitzen Eckzähnen wölfisch und seine Blicke durchbohrten zuerst Slizer und dann Az. Als er letzteren anstarrte leckte er sich lüstern über die Lippen, sein Zungenpiercing glitzerte im Kerzenlicht. Az lugte gefährlich über die Gläser seiner Sonnenbrille hinweg und grinste herausfordernd, während er Slizer die Treppe herunter schob, der sich gerade umdrehen wollte, um die zwei anzuknurren.

"Schon klar, werden uns nicht dran gewöhnen," grinste Az und warf beiden einen lockeren, etwas provozierenden Seitenblick zu. "Angenehme Nachtruhe."

"Ah du dreckiges Scheusal," kicherte der hagere Typ plötzlich, "wir werden dein Blut sehen, sobald Ceran das Interesse an euch verliert. Und du, Hund, solltest aufpassen was du von dir gibst, sonst habe ich noch eine hübsche Kette übrig, die dir passen könnte."

Az senkte den blick und schubste Slizer fast die Stufen hinunter, dem sich schon die Nackenhaare sträubte. Als sie in der ,Lobby' ankamen, drehte sich dieser aber knurrend zu seinem Freund um.

"Hast du sie noch alle? Was wollen die Typen von uns?"

"Halt die Klappe Köter," schnalzte Az ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen und ging weiter. "Das ist ihr Revier, sei nicht so dumm und Piss ihnen auf den Teppich, das wollen die nur. Lass die reden. Wir gehen jetzt Geld ausgeben."

Slizer grummelte, schien aber den Vorschlag von Az zu begrüßen und stapfte weiter. Az sah sich nicht um, aber er spürte die kalten Blicke auf seinen zuckenden, knarrenden Schwingen. Scheusal, das Wort hatte Karkas oft benutzt. Eine altertümliche Bezeichnung für Dämonen, die aus menschlichen Seelen entstanden waren und durch schlechte Gefühle und Höllenqualen Macht entwickelt hatten. Es gab millionen von dämonischen Manifestationen in den zersplitterten Welten, aber wenige besaßen einen Körper aus Fleisch. Diese nannte man auch Scheusale, solange sie nicht direkt von den Gefallenen abstammten. Slizer kannte das Wort sicher nicht aber alte Wesen benutzten es auch für Dämonenblüter, da sie ebenfalls einen Fleischkörper besaßen. Die Vampire mussten Slizer für einen Werwolf halten. Werwölfe waren einst die Diener der Blutsauger gewesen, sie hielten nicht viel von ihnen. Aber Az hatte die beiden als alt und gefährlich eingeschätzt, und es wäre nur dumm gewesen, auf ihre Provokation einzugehen. Er speicherte das Erlebnis ab und wertete es als ein Teil des Puzzles, dass er hoffentlich später noch zusammenfügen würde. Er vertraute erst einmal Alexandras Worten, dass sie sie noch brauchen konnte. Warum hätte sie sich sonst all die Mühe gemacht? Anscheinend war die ,Familie' hier doch nicht so friedlich miteinander, wie sie behauptet hatte.

Sie verließen das Schloss, so wie sie es betreten hatten, und das große Tor stand ihnen offen. Sie folgten dem Pfad durchs Gras vor dem Gebäude und kamen durch das schmiedeeiserne Tor, welches ihnen geöffnet wurde. Die Wachen schienen Menschen zu sein, aber auch sie hatten diese Art zu blicken, zu stehen und sich zu bewegen, als wenn sie wüssten, dass sie etwas ganz besonderes waren. Az sah an ihren Bewegungen, dass sie sicherlich trainierte Kämpfer waren, und er hoffte nur, sie würden sie auch wieder hereinlassen. Immerhin war sein Pferd noch da drin und er konnte ungemütlich werden, wenn es um Phaeton ging.

Der Weg zur Stadt hin war gepflastert und gut in Stand gehalten, gesäumt von Wohnhäusern, die sich um den Schutz des Anwesens und ihres Herrschers zu drängen schienen. Az und Slizer schlenderten durch die engen Gassen Nürnbergs und schoben sich durch das nächtliche Stadtleben, als gehörten sie zum Inventar. Anscheinend war die Besetzung bei Nacht keine andere als bei Tag. Ein Zeichen dafür, dass die Lebensgewohnheiten der Herrscher schon lange auf die Bevölkerung abgefärbt hatte und mehr als das, die Menschen schienen ihnen zu vertrauen. Az war es gewöhnt, dass das Nachtleben in Städten eine zwielichtige, bis gefährliche Sache sein konnte, hier jedoch schienen sich kaum finstere Gestalten durch die zahlreichen Schatten zu drücken. Sicher, hier und da sah er durchaus Leute, die vielleicht demselben Berufszweig folgten, wie er und auch einige Blüter streunten durch die Strassen, aber alles in Allem schien dies hier eine ruhige Gegend zu sein.

Menschen neigten dazu, die Begegnung mit dem Übernatürlichen zu verdrängen. Wahrscheinlich waren sich die Bewohner dieser Stadt nicht bewusst, dass sie von einem uralten Vampir regiert wurden. Selbst die Gerüchte, die kursierten, schienen auf der Oberfläche ihrer Realität abzuperlen, wie Regentropfen auf einer frisch gewachsten Lederjacke. Die NWA hatte Deutschland wieder fest im Griff, so glaubte sie. Die Gefechte mit den Dämonen in Richtung Süden verliefen schon seit Jahren gleich, die Grenze stand und Nürnberg lag nicht in Dämonenhand. Alle Orte, an denen keine infernalen Tore, oder Risse in Splitterwelten offen lagen, waren stets vom Nebel des Vergessens und der Verdrängung umgeben. Die Menschen wünschten sich eben eine heile Welt, dieser Wunsch war so stark, dass er sie beizeiten vergessen ließ, dass schon ihren Großeltern der Himmel auf den Kopf gefallen war und die Hölle auf Erden residierte. Doch hier in einer Stadt, regiert von Toten wunderten sich die Leute wahrscheinlich über wenig. Az entschied, sich keine sorgen zu machen. Seltsamerweise hatte ihn dieser Scheißnebel nie beschützt, in seinem ganzen Leben nicht. Während andere Personen schwanzwedelnd durch Menschenmassen spazieren konnten und niemand Notiz davon nahm musste er sich und seine Flügel in die Stoffkutte einwickeln und still und heimlich an allem vorbei schleichen, damit ihn die Menschen nicht sofort als Dämon brandmarkten.

Sie gingen weiter in Richtung Stadtkern und stellten fest, dass beinahe alle Geschäfte hier anscheinend Nachts geöffnet hatten. In der Nähe der Burg waren eine Menge Tavernen und auch Gasthäuser, die eine bessere Klasse zu haben schienen, als die üblichen Absteigen, die man in von Dämonen besetzten Gebieten liegenden Städten fand. Die Stimmung auf den Strassen schien unbeschwert zu sein und keiner der menschlichen Passanten hielt sich damit auf, Slizer oder Az anzustarren. Az spürte die Auren einiger anderer übernatürlicher Wesen und schmeckte nun, da er sich darauf konzentrierte den süßlichen Geruch eines Tores. Die Vampire besaßen also eines und somit wirkte der Schleier auch nicht auf normale Weise auf die Menschen hier ein. Sie konnten unbesorgt sein.

Slizer blieb neugierig bei jedem Händler und vor jedem Schaufenster stehen und beäugte interessiert die Waren und Auslagen, aber Az marschierte zu seinem größten Bedauern eisern weiter.

"Wollen wir nicht was kaufen?" fragte Slizer eifrig. "Ich könnte Munition gebrauchen und..."

"Nein." unterbrach Az ihn harsch. "Wir sehen uns erst alles an, und dann entscheiden wir, wo wir etwas kaufen und ob wir es brauchen."

"Ach, komm schon!" Slizer drängelte und quengelte wie ein trotziges Kind, doch Az gab nicht nach und ging einfach weiter. Sie bewegten sich weiter durch die Ringe in Richtung Stadtkern und Az untersuchte verschiedene Geschäfte. Er machte schnell einige Waffenhändler aus, viele sogar. Auch wenn die Stadt groß war, die Leute mussten es sich hier leisten können teurere und exklusivere Waffen zu besitzen. Anscheinend wollte Nürnberg als Handelsstadt etwas zu bieten haben und Az freute sich auf die Gelegenheit an gute Munition und vielleicht an ein neues Schwert zu kommen. Sein altes hätte er in Zahlung gegeben, aber da er im Moment genug Geld hatte, sorgte er sich nicht darum. Viel würde er für das vernarbte Stück Stahl nicht mehr bekommen, wozu es also säubern? Es sah benutzt aus und in der Blutzinne klebten noch immer Werwolfseingeweide.

Die Stadt hatte eine große Auswahl von allem zu bieten, wie er sie selten auf so engem Raum gesehen hatte. Die Geschäfte waren sehr spezialisiert, verkauften entweder Rüstung, Schuss- oder Nahkampfwaffen. In großen Städten nichts ungewöhnliches, aber hier hatte man gleich dutzendweise Geschäfte an der Hand, die sich mit ihren Auslagen gegenseitig die Kundschaft streitig machten. Noch dazu fiel Az auf, dass die Geschäfte nicht auf besondere Weise gesichert waren. Man schien hier kaum Angst vor gewalttätigen Übergriffen zu haben. Doch was Alexandra gesagt hatte, stimmte offensichtlich, denn umso näher sie dem Stadtkern kamen, umso zwielichtiger wurden die Gestalten, die sich jetzt doch öfter in den Schatten tummelten.

Slizer blieb vor einem relativ dreckigen Laden stehen, der alte Gitter vor den Fenstern hatte und mit Ware aller Art glänzte, die nicht ganz so glänzend Kreuz und quer im Schaufenster verteilt lag. Az stellte bei genauerer Betrachtung des Schildes fest, dass es ein Second Hand Laden war und in dem Hauseingang zur Ladentür stand ein Kerl, der nach Dämonenblut roch und nach Schläger aussah. Az rückte seine Brille zurecht und stapfte weiter. Niemand hätte ihm angesehen, dass er verletzt war, wenn die Lederjacke nicht zerfetzt gewesen wäre und somit den Blick auf die Wunde freigab. Aber sein Gang war nun der eines Raubtieres in seinem Revier, was einige herausfordernde Blicke provozierte. Er verstand es gut, sich zu Nutze zu machen, dass er kein alltäglicher Anblick war und hatte die knöchernen Flügel leicht drohend vom Körper abgespreizt. Mit Slizer im Schlepptau sahen die zwei nicht gerade aus wie lohnende Beute für einen dreckigen Staßenkriminellen und so verharrten viele finstere Augen lieber in ihren Schatten und warteten bis ihnen ein leichterer Coup gelang.

Als die Ringe der Stadt auseinander bröckelten und die Straßen enger, die Häuser düsterer und verfallener wurden und sich beinahe in jeder Richtung nur noch enge Gassen ausstreckten, drehte Az um. Er hatte das Gefühl hier immer jemanden im Rücken zu haben und so entschied er sich, genug von der dreckigen Seite Nürnbergs gesehen zu haben. Es ging ihm auch nicht darum zu sehen, wer hier lebte, sondern eher, was hier so seltsam roch. Az konnte sich nicht helfen, er hatte einen seltsamen Geruch auf der Zunge. Der Geruch von finsterer Essenz. Er vermutete einen tiefen Riß in den verfaulten Eingeweiden der Stadt, wunderte sich aber darüber, gerade hier keine anderen übernatürlichen Wesen zu spüren. Die meisten Leute hier schienen Bewohner der heruntergekommenen Häuser zu sein und sahen arm und dreckig und somit auch verzweifelt genug aus, um vielleicht einen Angriff zu wagen. Jedoch schienen die Menschen hier ruhig und eingeschüchtert zu sein. Der Herrscher der Stadt musste wirklich eine feste Hand haben, daran zweifelte Az nicht. Interessante Läden gab es hier nicht und die Nutten auf den Straßen schienen die Qualität eines Verteilerkastens in der Quarantänestation eines Feldlazaretts zu haben. Und trotzdem... irgendetwas lockte ihn. Etwas Gefährliches.

Slizer war quengelig, er schien nichts zu bemerken und normalerweise war seine Nase besser als die von Az. Der Dämonenblüter spürte ein Kribbeln auf der Haut, dass ihm signalisierte, dass er dieser Gefahr wohl besser fürs erste aus dem Weg gehen sollte und so gab Az sich zufrieden und kehrte um. Sie schlenderten unbehelligt durch die Straßen bis die stechenden Blicke nachließen und wieder emsiges Treiben herrschte. Die Stadt lebte und war allem Anschein nach ein florierender Handelsposten. Az blieb skeptisch, dieser Ahnung, dieser Faulgestank aus dem Inneren der Steine haftete noch lange an seinen Gedanken, doch Slizer brachte ihn schnell davon ab, weiter darüber nachzudenken, indem er sich wie ein kleines Kind nach jeder Gelegenheit streckte, gleich beider Lohn auf einmal auf den Kopf zu hauen. Er sah sich nach Munition um, was Az erlaubte, war aber nicht glücklich damit, mit dem neu gewonnenen Reichtum gleich wieder Arbeitsmaterial einzukaufen und nervte rum. Az suchte sich einen Laden, der Kleidung verkaufte und fand zu seiner Überraschung eine Packung verschweißter, fabrikneuer Shorts, importiert aus den HellStates. Er kaufte sie und nahm sich noch eine Bluejeans dazu. Seine war an der Hüfte zerfetzt und er war froh, dass der Gürtel sie noch an seinem Leib hielt. Dann sah er sich anderweitig um und Slizer guckte ihn verdutzt an.

"Was suchst du, Gräte?"

"Ich habe eine Packung Shorts mit ,Heil Smael!'-Aufdrucken und kleinen Totenschädeln, was will ich mehr?", murmelte er schnippisch. Slizer machte ein äußerst dummes Gesicht. "Nein, im Ernst, ich suche etwas für Kassandra." gab Az monoton zurück und sah sich die Kinderkleidung an. Slizer kratzte sich am Kopf. "Wir schmeißen zusammen für das, was wir für die Kleine ausgeben." fügte Az hinzu, als sein Freund stumm blieb.

"In Ordnung." antwortete Slizer überrascht. Er hätte nicht gedacht, dass Az als erster daran denken würde, dem Mädchen etwas neues zum Anziehen zu kaufen. Und schon gar nicht, dass er auch sein Geld für sie opfern würde.

Az ramschte eine schwarze Tuchhose und ein dunkles T-Shirt ein. Beides war aus Leinen und Az entschied sich für dunkle Farben, weil man darauf Blut nicht so schnell erkannte. Slizer und er schätzten ihre Größe und waren sich sicher, damit kräftig falsch zu liegen, aber Az entschied sich, die Sachen lieber zu groß, als zu klein zu kaufen. Außerdem würden schlabberige Anziehsachen sie eher nach einem Jungen aussehen lassen, damit rückte sie ein wenig mehr aus der Kategorie "Opfer" heraus, wenn auch nur ein winziges Stückchen. Aber da ihre Haare zur Zeit mehr als schrecklich aussahen und sehr kurz geschnitten waren, erhoffte er sich wenigstens einen Teilerfolg bei seiner Planung.

Az entschied sich, mit dem Kauf von Waffen und Munition noch zu warten, bis er die Unkosten im Griff hatte. Noch hatte er Munition und er wollte nicht voreilig entscheiden, wo er sie kaufte. Eigentlich war es egal, aber da es immer eine relativ teure Investition war, sich zu bewaffnen, wollte er noch abwarten. Vielleicht konnte er Spesen herausholen, wenn er bei einem weiteren Auftrag mehr verschoss. Er glaubte nicht wirklich daran, aber er wollte sich einfach ein bisschen Zeit lassen. Er suchte sich einen kleinen Schneiderladen, der auch bessere Kleidung verkaufte, und warf dort seine Lederjacke auf den Tresen. Der Mensch hinter der Theke sah ihn über seine Brille hinweg an, er starrte kurz verdutzt auf Az' Flügel, besann sich dann aber und schaute dem Kunden in die Augen, was ihn noch mehr verwirrte. Az nahm die Sonnenbrille ab.

"Können sie das reparieren?" fragte er kühl, aber nicht unfreundlich.

"Ja, sicher." Der Mann begutachtete sich das Dilemma. "Ich muss einen neuen Reißverschluss einnähen, aber ich habe einen hier. Das wird kein Problem sein." Er untersuchte die eingenähten Schlitze im Rücken der Jacke und schaute fasziniert die Klippverschlüsse an.

"Ich hänge sehr an dieser Jacke." sagte Az kühl. "Ich will, dass sie möglichst wieder so aussieht, wie vorher." Der Mann nickte und nahm die zahlreichen Flicken und Ausbesserungen zur Kenntnis, die bereits an dem Kleidungsstück vorgenommen worden waren.

"Ich denke das ist kein Problem. Ich habe schwarzes Leder in der Dicke da. Das wird aber bis Morgen dauern."

"Wieviel?", fragte Az.

"Ich denke fünf Euro, wegen dem neuen Reißverschluss." Der Mann wirkte einen Moment verunsichert, ob jemand wie Az auch bezahlen würde, schien sich aber sicher, dass er nicht zu befürchten hatte in dieser Stadt betrogen zu werden, ohne dass es tödliche Folgen für den Betrüger hätte. Az legte zwei Euro auf den Tisch und setzte die Sonnenbrille wieder auf.

"Wir sehen uns Morgen.", sagte er zum Abschluss, drehte sich um und ging wieder. Slizer stand mit verschränkten Armen vor der Tür und rauchte sich eine. Az schlenderte an ihm vorbei und winkte ihn nach.

"Heimwärts!", kommandierte er. Slizer murrte und schlug vor, doch eine Kutsche zu nehmen, damit sie nicht so weit laufen mussten und Az verdrehte die Augen. Sie gingen wieder den Aufgang zum Anwesen hinauf und unablässig quengelte Slizer Az ins Ohr. Doch dieser ignorierte ihn einfach und stapfte eisern an jeder sich bietenden Gelegenheit vorbei, Geld auszugeben, ohne anzuhalten.
 

Entgegen jeder Befürchtung wurden sie ohne Aufsehen wieder in die Burg gelassen. Sie tigerten an den Bediensteten und Wachen relativ unbehelligt vorbei und gingen wieder durch die verschlungenen Gänge hinauf zu ihrem Zimmer. Als Az die Tür öffnete hörte er förmlich, wie Cassandra zusammenzuckte. Slizer stapfte rein und warf sich wieder auf die Couch. Az legte seinen Rucksack ab, schob sich die Sonnenbrille in die Haare und stapfte dann zu Kassandra herüber.

"Gib mir das Messer wieder, okay?" Er hielt die Hand auf und das Mädchen nickte mit niedergeschlagenen Augen. Sie holte das Messer unter dem Kopfkissen hervor und reichte es ihm ungelenk. "Ist irgendwas gewesen?", fragte er weiter. Sie schüttelte nur den Kopf und Az steckte das Messer zurück. Er fühlte sich seltsam müde. Aber er konnte nach dem Black Out nicht ausmachen ob und wie lange er geschlafen hatte. So ausgeruht er gerade noch gewesen war, so erschöpft fühlte er sich jetzt und er wurde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit dem seltsamen Gefühl zu tun hatte, dass er in der Stadt verspürt hatte.

Es klopfte an der Tür und Az öffnete. Ein Bediensteter kam herein und brachte einen Wagen mit Essen. Slizer setzte sich wieder auf die Couch und grinste breit.

"So lässt's sich leben!", raunte er, als der Bedienstete sich wieder entfernt hatte, und sie auf's Neue Fleisch, Soße und Beilage in sich hineinschaufeln konnten. Az beachtete ihn nicht weiter und spähte scharf zu Kassandra herüber, die sich nun im Bett aufgesetzt hatte.

Sie muss doch auch Hunger haben. Rechnet sie damit, dass wir sie füttern? Az passte die Art des Mädchens nicht. Er verstand, dass sie eingeschüchtert war, aber sie musste lernen sich durchzusetzen, sonst war sie nur ein Klotz am Bein.

"Hey," meinte er zu Slizer, der mal wieder gierig das gute Essen in sich hinein stopfte, "wirst du deine Tabletten nehmen?"

"Watt?!", fragte Slizer ruppig und verlor dabei ein Stück Fleisch aus seinem Mund. Er starrte Az verständnislos an.

"Die Tabletten, die der Arzt dir gegeben hat. Wirst du sie nehmen? Ich wette nein, oder?" Az zog eine Augenbraue hoch und Slizer verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

"Nee. Der kann mich mal, der Quacksalber." Er schlang weiter Fleisch hinunter.

"Dachte ich mir.", entgegnete Az und begann ebenfalls zu essen. "Aber ich werd sie nehmen, mal sehen, was passiert."

"Vielleicht wird deine Zunge grün!", spottete Slizer und kassierte Az' Blick gerne. Was dachte der denn, was passieren sollte. Der Quacksalber wollte sicher nur mehr Bezahlung für sich herausholen. Er würde das Teufelszeug nicht anrühren, diese komische Spritze hatte ihm gereicht. Diese Pillchen würden die Gräten auch nicht mehr ganz machen.

Sie aßen zu ende und Slizer legte sich auf eine der Couchen. Er begann wie immer nach kurzer Zeit zu schnarchen und Az legte sich auf das andere Sofa. Er begutachtete die Pillen in dem kleinen Döschen. Es waren sechs, also für drei Tage. Er sah sich die kleinen, runden, gelben Tabletten näher an, aber er wusste ja eh nicht was drin war und entschied sich, sie einfach zu schlucken. Dann verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und streckte sich lasziv auf dem Sofa, so wie es seine Art war.

Az, sein Rufname. In einer alten und längst vergessenen Sprache bedeutete es Begierde. Er kannte diese Sprache nicht, aber er wusste, dass es so war. Niemand hatte es ihm je erzählt, aber in seinen Adern floss das Blut eines Dämons. Wie verwaschen es war, wusste er nicht, aber allein die Tatsache, dass er so schön war, konnte ein Zeichen für starkes, gutes Blut sein. In jedem Fall war sein Name Begierde. Und das spürte er. Az war ein ziemlicher Schwerenöter, wenn es um Sex ging. Er hatte keine Probleme damit, Frauen und auch Männer zu verführen und dazu zu bekommen, mit ihm ins Bett zu steigen. Er war nicht nur einfach schön, in jeder seiner Bewegungen steckte etwas, was andere verrückt machte, und das wusste er. Wenn er es richtig anstellte, dann lag ihm die Welt zu Füßen, wenn sie nicht gerade seinen Kopf wollte. Jedenfalls hatte er es nicht nötig, ein Bordell aufzusuchen und wenn, dann zahlte er eigentlich nie. Er nahm sich, was ihm gefiel und in der Regel hatte er keinen Widerstand zu erwarten. Wenn er auf Touren kam, dann vergaßen Frauen oft, dass ihnen dieser kurze Spaß ein Kind anhängen konnte und Az wollte nicht wissen, wie viele er schon verbockt hatte. Er blieb niemals lange genug, um es herauszufinden. Alleine schon, weil sein Lebenswandel es nicht zuließ. Außerdem hatte Karkas mal erwähnt, dass Blüter gerade Menschenfrauen nicht so schnell Kinder machten, warum auch immer.

Als er sich räkelte bemerkte er, wie Kassandra zu ihm herüberspähte. Er dachte an die Vergewaltigung zurück. So etwas hatte er nicht nötig. Sein Selbstwertgefühl hob er indem er andere dazu brachte ihn zu wollen, nicht indem er sie dazu zwang, ihn zu nehmen. Wenn andere sich nach ihm verzehrten, dann war er in seinem Element, wenn sie ihn begehrten, nicht, wenn sie unter seiner Kraft zerbrachen. Aber genau das hatte dieser Dämon mit dem Kind gemacht und Az fand es erbärmlich sich der Aufmerksamkeit anderer auf diese Art und Weise zu versichern. Sich einzugestehen, dass man anders nicht zum Zuge kommen würde. Sicherlich sahen es die Dämonen anders, für sie war es Spaß Schwächere zu zerbrechen und so ihre Kraft und ihren Herrschaftsanspruch geltend zu machen. Wahrscheinlich ging es seinem Vater damals nicht anders. Revier markieren, Kind anhängen, Mensch zerbrechen. Und genau das war auch mit Kassandra geschehen, man hatte versucht sie zu zerbrechen. Das Kind starrte ihn seltsam an. Er grinste dreckig und sie guckte schnell weg, als sie bemerkte, dass er ihren Blick gefangen hatte.

Sie will mich, dachte Az bei sich, und Feuer entfachte in seinen Augen. Vielleicht will sie mich nicht auf die eine Art, dafür hat sie zuviel durchgemacht und ist noch zu jung, aber irgendwie will sie mich. Genau genommen, hat mir der Scheißdämon die Tour versaut. Wer weiß, ob sie mich gewollt hätte. Wäre bestimmt ganz niedlich gewesen. So jung ist sie auch nicht mehr, in ihrem Alter hatte ich solche Erfahrungen schon längst gemacht. Aber jeder ist halt anders und Mädchen sind meistens später dran. Ich frage mich nur, was sie von mir will. Was soll mir dieser Blick sagen, Kleine? Willst du etwa spielen?

Er stand auf und tigerte wie ein Raubtier auf das Bett zu. Kassandra versank wieder in den Kissen und warf Slizer einen hilfesuchenden Blick zu, der aber laut schnarchend auf der Couch pennte. Az legte die Sonnenbrille auf dem Tisch ab und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Er legte den Kopf schief und sah sie an. Es war ein entwaffnender, aber kritischer Blick. Eigentlich bemühte er sich gerade freundlich zu schauen, aber es gelang ihm nicht so richtig. Er ging aufs Bett zu und setzte sich darauf. Kassandra blieb sitzen, schien sich zu bemühen, nicht allzu viel Angst zu zeigen. Az streckte den Kopf vor und sah sie an, dann lächelte er plötzlich und ließ sich zur Seite umfallen, so dass er zu ihrer Rechten lag. Er streckte sich wieder und gab ein seltsames Geräusch von sich. Etwas zwischen dem Schnurren eines Panthers und dem Grollen aus der Kehle eines Dämons. Es war eines dieser Geräusche, die Menschen nicht von sich geben konnten. Kassandra sah ihn mit großen Augen an.

"Sag mal," begann Az und knötterte weiter, während er sprach, "was ist eigentlich los mit dir?"

Kassandra sah ihn hilflos an und blickte dann wieder in ihren Schoss. Az drehte sich elegant um, so dass er auf dem Bauch lag und stützte sein Kinn in seine Hand. Sein Blick war wie der eines faszinierten Kindes, dass einen Käfer in einem Glas beobachtet.

"Du sagst kein Wort und so weiter....das kann so nicht gehen, verstehst du?" Er rollte sich auf dem Bett und Kassandra nickte. "Weißt du, wir haben dich eingesammelt, aber wir können dich nicht einfach durchfüttern. Du musst für uns eine Hilfe sein, nicht nur eine Last, das können wir uns nicht leisten." Sie nickte wieder, aber schien sehr eingeschüchtert. Er rollte sich wieder auf den Bauch und sah sie an. "Hey, alles okay. Du lebst und du wirst gesund. Zähes Ding. Aber du musst auch irgendetwas dazu beitragen, dass wir jetzt zusammen unser Leben bestreiten, kapiert? Sieh mal, wir sind Söldner. Unser Leben ist nicht nett. Im Moment haben wir Glück, aber ich trau dem Ganzen nicht, wer weiß, ob die uns nicht irgendwann los werden wollen. Im Augenblick genieße ich es, ein wenig Ruhe zu haben, aber das wird nicht immer möglich sein." Er sah sie ernst an und sie blickte zum ersten mal fest zurück. Sie hatte einfach bemerkenswert blaue Augen.

"Hör zu, wir werden bald wieder draußen sein und umher ziehen. Wir suchen Arbeit und kämpfen um unser Leben und für unseren Lebensunterhalt. Das wird kein netter Sonntagsausflug, das sag ich dir, aber ich verspreche dir, das ist noch mit das Beste, was dir passieren konnte. Ein kleines Mädchen ganz allein, so wie du, hat schlechte Karten in dieser Welt."

Wieder nickte Kassandra zur Antwort, aber dieses mal senkte sie nicht den Blick. Az fuhr fort: "Also, zuerst einmal, musst du lernen, zu sagen was du willst. Du musst lernen stark zu sein, und dich zu behaupten. Wie soll ich wissen, was du willst und was nicht, wenn du es mir nicht sagst. Ich werde nicht fragen, niemand wird das, und wenn du nicht lernst, deinen Standpunkt zu vertreten, dann wirst du untergehen. Also, sag mir doch einfach, was du willst."

Kassandra sah ihn hilflos an, sie öffnete den Mund, machte ihn aber dann wieder zu und zuckte mit den Schultern. Az verdrehte die Augen.

"So wird das nichts." sagte er hart und sie sah erschreckt wieder zu ihm auf. "Sag mir was du willst." Er starrte ihr in die Augen und sie versuchte krampfhaft, seinem Blick nicht auszuweichen. "SAG MIR WAS DU WILLST!" bellte er plötzlich harsch und sie zuckte leicht zusammen. Das Schnurren endete in einem grollenden Knurren. Eingeschüchtert und ängstlich blickte sich das Mädchen um. Dann aber, öffnete es den Mund und schaute wieder in seinen Schoss, als es sprach: "Ich will nicht, das jemand etwas in mich rein steckt."

Az nickte. "Gut! Das ist ein Anfang.", sagte er scharf, aber ein wenig aufmunternder. "Siehst du, und ich kann dir versprechen, wir sind nicht so, wie dieser Dämon." Er wies auf den schnarchenden Slizer während er sprach und sah sie dann wieder an. "Keiner von uns Beiden wird etwas in dich reinstecken, wenn du das nicht willst. Und solange du bei uns bist, werden wir auch noch dafür sorgen, dass niemand sonst etwas in dich rein steckt. Du gehörst jetzt zu uns, und wenn du dich einigermaßen gut machst, dann schwöre ich dir, wird dir so etwas nicht wieder passieren." Sie sah ihn mit großen Augen an.

"M...Mich gut machen?" fragte sie zaghaft.

"Hm." Az rollte sich wieder auf dem Bett hin und her. "Gibt es etwas was du kannst? Was hast du gelernt in deinem Dorf?"

"Ich kann nähen." sagte sie immer noch verschüchtert.

"Das ist doch gut. Du kannst für uns Sachen Flicken."

"Aber ich kann nicht kämpfen." fügte sie matt hinzu.

"Du kannst nicht mit Pfeil und Bogen umgehen, oder mit einem Messer, nichts?" fragte Az skeptisch.

"Nein." gab sie schwach zurück.

"Na egal," begann Az wieder etwas enthusiastischer, "wir werden dir schon beibringen, wie du dich selbst verteidigst, kämpfen tun in erster Linie wir. Aber dass du nähen kannst ist gut, und wir werden dir beibringen, wie man Wunden versorgt. Ich sage dir gleich, du wirst viele Wunden sehen und noch weitaus schlimmere Verletzungen, als die, die wir im Moment haben. Und du musst uns helfen, wenn wir verwundet werden, in Ordnung?"

Kassandra nickte wieder, diesmal ein wenig fester.

"Kannst du mit Tieren umgehen?"

"Nicht wirklich..." sagte sie wieder etwas entmutigt.

"Das macht nichts," gab Az zurück, "ich werde dir schon beibringen, wie man mit dem Pferd umgeht. Du kannst mir helfen es zu versorgen, ich werde nicht immer Zeit haben mich zu kümmern."

"In Ordnung." flüsterte sie ein wenig ängstlich. "Ich will mich nützlich machen.", fügte sie hinzu.

"Das wirst du schon.", grinste Az breit und rollte sich vom Bett. Er stapfte zu seinem Rucksack herüber und holte die Sachen heraus, die er und Slizer gekauft hatten. Er legte sie ihr aufs Bett und sie machte große Augen. Az öffnete seine Haare und steckte sich das Band in die Tasche.

"Die sind für dich, zieh sie an, dann können wir runter gehen und nach Phaeton sehen. Geht's dir einigermaßen?" Sie nickte überrascht. "Gut, dann lass uns gehen."

Er stand auf und stapfte zu Slizer herüber. Jede seiner Bewegungen war geschmeidig wie die einer Raubkatze, sein Leben war ein Tanz, er präsentierte sich mit jedem Atemzug. Er beugte sich zu dem schlafenden Blüter runter und stahl ihm eine Zigarette aus der Tasche an seinem Hintern. Er zündete sie sich an, während Kassandra sich daran machte, in die Sachen zu kommen. Az drehte sich zu ihr um, wobei ihm einige Haarsträhnen ins Gesicht vielen. Sie sah erschreckt hoch, schien aber fertig angezogen zu sein.

"Lass mal sehen." Az stapfte zu ihr rüber. Die Sachen waren wirklich etwas zu groß, aber sie konnte sie gut tragen, und sie sah darin wirklich ein bisschen wie ein Junge aus. "Perfekt, komm, wir gehen.", kommandierte Az. Kassandra schnürte sich hastig ihre alten Turnschuhe wieder an, die das Letzte waren, was von ihrem früheren Outfit heilgeblieben war und hoppelte Az hinterher, der seinen Rucksack schulterte und mit der Zigarette im Mund nach draußen stapfte.
 

Sie liefen den langen dunklen Gang entlang, vorbei an einigen weiteren Türen, aber Az interessierte nicht, was dahinter steckte. Der Rest des Schlosses sollte für sie tabu sein und damit hatte der Blüter überhaupt kein Problem. Er spürte das Tor hier irgendwo im Schloss und es schüttelte ihn immer mehr bei dem Gedanken an das seltsame Gefühl in den Eingeweiden der Stadt. Er wollte mit den Machenschaften von diesen Vampiren nichts zu tun haben. Die meisten Schläfer wahren ihm unsympathisch. Er wusste nicht viel über die verschiedenen Schläferrassen, aber vor jemandem, der vielleicht mehrere Hundert Jahre alt war, hatte er definitiv Respekt. Fürs Erste schnappte er sich einen der Bediensteten auf dem Gang und fragte ihn nach den Stallungen, entschied sich aber, dabei möglichst höflich zu bleiben. Gastfreundschaft. Er hatte mal gehört Vampire standen auf Höflichkeiten. Die Antwort, die er erhielt war ebenfalls distanziert, aber freundlich, so wie sich alle Bediensteten ihnen gegenüber verhielten. Az bedankte sich für die Information, schnappte sich Kassandra am Arm und stapfte los.

Die Beiden gingen die große hölzerne Treppe hinunter in den ausladenden Eingangsraum des Gebäudes und Az bog links ab, um zu den Stallungen zu kommen, wie man es ihm erklärt hatte. Eine große zweiflügelige Tür aus Ebenholz führte in einen Gang, der mit steinernen Fliesen ausgelegt war, die sicherlich schon mehrere Hundert Jahre erlebt hatten. Eine ebenfalls zweiflügelige Tür führte nach links, schien aber verschlossen und weiter den Gang entlang, der einige mit hölzernen Läden verschlossene Fenster hatte, sah Az schon ein offenes Tor, welches in einen weiteren Gang zu führen schien aus dem Wiehern zu hören war. Az grinste und tigerte durch das Tor. Mehrere Boxen waren zur Rechten und der Linken zu sehen, er zählte sechs zu jeder Seite, jedoch schienen zur Zeit keine Pferde in dem niedrigen Trakt zu stehen, bis auf eines. In der zweiten Box auf der linken Seite lugte ein misstrauischer Phaeton in den Gang und wieherte Az entgegen.

"Na, Partner?" Az lächelte als er die Hand nach seinem Pferd ausstreckte, doch der Braunschimmel wich zurück. Der Blüter zog eine Augenbraue hoch und schritt fest auf die Box zu. "Komm schon, stell dich nicht so an. Ist doch ein schönes, sicheres Fleckchen Erde hier."

Die Boxen waren relativ groß und satt mit Stroh ausgelegt. Sie waren sauber und stabil, obwohl dieser Gang aussah als wäre er ebenfalls schon mehrere Hundert Jahre alt. Az wurde das Gefühl nicht los, dass dieses Schloss zu unwirklich war, um den Krieg von sich aus überstanden zu haben. Wahrscheinlich war es vor langer Zeit durch finstere Mächte in einer Scherbenwelt versiegelt worden und erst nach der Apokalypse wieder hierher gebannt worden.

Es war Wasser, Heu und Futter vorhanden, jedoch war die Decke hier sehr niedrig. Anscheinend war dieser Stall absichtlich im Inneren des Gebäudes errichtet worden, um Belagerungen widerstehen zu können. Es brannten Öllampen, aber Fenster nach draußen waren nicht zu sehen. Az fragte sich wo genau dieser Ort wohl in den Eingeweiden dieses Schlosses verborgen war, aber seine Vorstellungskraft ließ diesbezüglich zu wünschen übrig. Am Ende war es auch egal, jedenfalls war sich Az sicher, dass sein Partner, ein wildes Pferd, das gewöhnt war unter freiem Himmel zu schlafen, berechtigte Bedenken unter der niedrigen Decke haben musste.

"Lass dich mal ansehen." Az öffnete die Boxentür, stellte seinen Rucksack daneben ab und stapfte in die Box hinein. Phaeton wieherte nervös und legte die Ohren an, Az jedoch blieb ruhig und klopfte dem Hengst die Schulter, während er sich zu der Schusswunde an der Flanke hinunterbeugte.

"Das hat so keinen Zweck", murmelte Az. Er nahm den Hengst beim Halfter und führte ihn aus der Box. Die Tritte des Pferdes waren unsicher und Kassandra wich vor den Drohgebärden des verängstigten Tieres zurück. Az witterte andere Hengste hier. Er schüttelte sich und klopfte Phaeton um ihn zu beruhigen.

Az Sinne waren nicht unbedingt besser als die eines Menschen, nur anders. Sein Geruchsinn war etwas empfindsamer, weil er ihm mehr Bedeutung schenkte, Dämonen an sich verließen sich nicht nur auf ihre Augen, so wie Menschen es gern taten. Sie hatten viele Sinne, mit denen sie Dinge spürten, die Menschen auf ewig verborgen bleiben würden. Az schenkte sexueller Erregung und Dominanz sehr viel Bedeutung, egal ob bei Mensch oder Tier. Er konnte sie buchstäblich riechen. Diese seltsamen Pferde, die die Kutsche gezogen hatten, hatten ihn sehr interessiert. Er war sich noch nicht im Klaren darüber, ob sie Dämonenblut in sich trugen, aber wenn, so waren sie eine wunderschöne und seltene Züchtung. Ihr Geruch war interessant, er erinnerte ihn an seinen eigenen. Natürlich roch er für Menschen nicht wie ein Pferd, aber auf eine Art, wie sie gar nicht wahrnehmen konnten, hatten sie er einfach etwas mit diesen geschmeidigen Tieren gemeinsam, die sich ihrer Dominanz und Überlegenheit gegenüber normalen Pferden bewusst zu sein schienen. Er würde einiges dafür geben sich diese Brut einmal genauer anzusehen. Phaeton jedoch schien die Anwesenheit dieser Tiere nicht zu gefallen, ein Anhaltspunkt mehr für ihre Dämonenblütigkeit.

Aber im Moment waren die hohen Rösser ja nicht einmal in der Nähe und Az band Phaeton seelenruhig im Gang an. Kassandra stand einige Meter entfernt in der engen Boxengasse und beäugte das Pferd neugierig. Az kniete sich an der rechten Flanke des Tieres hin und untersuchte die Schusswunde. Er nahm das Pflaster ab und verzog das Gesicht. Die Wunde war leicht vereitert. Er tastete das entzündete Fleisch ab und drückte auf die Wundränder. Phaeton wieherte unruhig, als ein wenig Wundwasser aus dem Fleisch trat. Az öffnete seinen Rucksack und nahm den Verbandskasten heraus.

"Sieht schlecht aus, das wird ihm weh tun." Kassandra sah Az aufmerksam, fast erwartungsvoll an. "Kannst du ihn mal bitte kurz ruhig halten? Nimm ihn am Halfter und halt ihn fest." Az tastete die Wunde vorsichtig ab und Kassandra ging langsam auf den Hengst zu und griff nach dem Halfter. "Zieh seinen Kopf zu dir rüber. Er muss nicht unbedingt sehen, was ich hier mache. Er muss mir nur vertrauen." Kassandra nickte und zog den Kopf des Hengstes ohne große Scheu an ihre Brust. Sie begann ganz leise mit ihm zu reden und streichelte ihn vorsichtig, mit dem Blick auf Az gerichtet.

Az säuberte die Wunde mit Alkohol und tupfte den Eiter ab, der aus der gebrochenen Kruste lief. Phaeton zuckte unruhig und stampfte mit dem Huf auf, doch Kassandra ließ sich nicht mehr einschüchtern. "Ich werd jetzt die Fäden ziehen. Die Wunde ist genäht, siehst du? Aber die eigentliche Verletzung ist schon nicht mehr so groß, dass die Fäden sie zusammenhalten müssten. In diesem Stadium wird der Fremdkörper die Wunde nur beim heilen behindern. Wahrscheinlich waren die Fäden auch nicht ganz sauber." Az nahm etwas angewidert eine Pinzette und ein kleines Skalpell aus dem Verbandskasten und wandte sich wieder der Wunde zu. "Ich zeig dir jetzt, wie man Fäden zieht. Sieh genau hin, könnte sein, dass du das auch mal tun musst." Kassandra sah aufmerksam zu, wie Az die Nähte durchtrennte und langsam damit begann, die restlichen Fäden mit der Pinzette zu ziehen. Während sie zusah lies sie Phaeton nicht los und streichelte ihn weiter. Az löste die Fäden und legte sie auf dem alten Pflaster ab, dann desinfizierte er die Wunde noch mal und klebte ein neues auf. "So, das hätten wir." Er klopfte den Hengst. "Ich hasse es, wenn man auf mein Pferd schießt."

Kassandra sah Az an und lächelte. Er blickte zurück, doch seine Miene blieb ausdruckslos wie immer. Er wusste ihr Lächeln nicht so recht einzuordnen und so erstarb es auch wieder.

"Ich zeig dir jetzt, wie man ihn putzt." sagte Az und stapfte zum Ende des Ganges, wo er die Sattelkammer vermutete. Er öffnete eine Tür und fand dort tatsächlich seine Satteltaschen und seinen Sattel, sowie das Zaumzeug. Er fischte nach den Taschen und ging zurück zu Phaeton. Dort nahm er den metallenen, armeegrünen Putzkasten heraus, der schon einige Beulen und Macken hatte und an zwei Ecken schon rostete und öffnete ihn, um die lange zusammen getragene Sammlung von Bürsten und Striegeln zu zeigen. Az wusste nicht woher er den Kasten hatte. Er war wie das Pferd einfach da und wie an so vieles in seinem Leben erinnerte er sich auch an dieses Ereignis nicht mehr. Er begann Kassandra die Abläufe des Putzens zu erklären und lies sie mithelfen Phaeton zu striegeln. Sie kratzten gemeinsam die Hufe aus und Az ließ Kassandra in Maul, Augen und Ohren sehen und erklärte ihr, woran man sehen konnte, ob das Tier krank war und was ihm fehlen könnte. Kassandra folgte den Erklärungen mit einigem Eifer und verlor einiges an Zurückhaltung. Doch als Az Phaeton wieder in die Box führte und die Beiden wieder aufs Zimmer gingen, war sie wieder sehr ruhig geworden.
 

Als die zwei durch den Flur stapften, bemerkte Az als erstes seltsame, platschende Geräusche und den Geruch von nassem...Hund? Er stapfte ins Zimmer und ließ die Tür offen. Slizer lag in Dämonengestalt in der Kupferbadewanne und war über und über mit Schaum bedeckt. Az nahm die Sonnenbrille ab und stemmte die Hände in die Hüften.

"Was zum Teufel machst du da?!"

"Ich nehm ein Bad, wonach siehts denn aus?" bellten die Wolfskiefer und die blaue Zunge hing aus dem Maul. Slizer genoss das warme Wasser.

"Hast du sie noch alle?" Az ging festen Schrittes auf seinen Partner zu und senkte drohend den Kopf. Kassandra war erstarrt in der Tür stehen geblieben, doch beide bemerkten es nicht.

"Was dagegen, Gräte?" knurrte der Hund zurück und fletschte die Zähne.

"Vollidiot!" Az fasste sich an die Stirn. Slizers Klamotten lagen in einem wirren Haufen neben der Badewanne und waren von dem überlaufenden Wasser getränkt.

"Ey, du Spinner, was willst du...AAAAAAAUU!" Slizer kam nicht dazu den Satz zu vollenden und schrie stattdessen knurrend auf. Mit wenigen schnellen, grazilen Schritten war Az an ihn heran und hatte mit ganzer Kraft in die aufgeplatzte Wunde gegriffen.

"Scheiße, Mann, ich..." Slizer schnappte ungelenk und mit wehender Zunge nach Az Arm, aber der hatte schon losgelassen und versetzte dem enormen Ungeheuer, welches kaum in die Kupferwanne passte einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf, der ein dumpfes Geräusch verursachte.

"Vollidiot!" zischte Az gefährlich und erstickte damit das Knurren Slizers, der sich von dem Schlag schüttelte und dann verdutzt zuerst seinen Arm und dann Az ansah. Der Blick, den dieser erwiderte brannte förmlich.

"Du hast dich verwandelt du Arsch? Und wofür?"

Slizer sah hilflos an sich herunter, fasste sich dann mit der linken Klaue an den rechten Arm, und bemerkte anscheinend erst jetzt, dass massig Blut daran heruntertropfte. Durch die Verwadnlung waren die Fäden gerissen und das sich ausdehnende Fleisch war wieder aufgeplatzt. Slizer sah Az beinahe verschreckt an, wie ein Kind, das etwas ausgefressen hat. "Ich...wollte Baden!" schnaubte der riesige Hund gekränkt, doch er schien sich nicht mehr so sicher zu sein ob das immer noch ein gutes Argument war.

"Ach ja? Baden." Az schritt mit verschränkten Armen vor Slizer auf und ab, sah ihn dann fest an und hob demonstrativ seine Hand, so dass auch sein Partner sehen konnte, dass sie voller Blut war. Slizer wich Az' wütenden Blicken aus und stand auf. Eine Menge Wasser schwappte dabei über den Badewannenrand und der Rest tropfte von seinem Fell auf den Boden. Der zweibeinige Schäferhund mit der Schulterhöhe von 2,90 m sah zu Az herunter wie ein kleines, ungezogenes Kind und hielt sich den Arm.

"Ich...ähm. Hm." Slizer wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Az stand vor ihm wie eine Mauer und er wusste genau, dass er Mist gebaut hatte. Was sollte er jetzt tun? Az sah verdammt sauer aus. Er machte ihm irgendwie Angst wenn er so war, aber das wollte er nicht zugeben.

"Hör zu du Kindskopf, es interessiert mich einen Scheiß, was du wolltest, du bist ein Vollidiot! Sieh dir den Scheißdreck doch mal an!!" Az holte mit der Hand aus, um auf den Arm zu weisen und Slizer zuckte zusammen und hob ruckartig ein Bein, um einen möglichen Schlag abzuwehren.

"Ja, ich...ich wollte eben Baden."

"Du wiederholst dich. Verwandel dich zurück." Az' Blick duldete keinen Widerstand und Slizer wurde langsam wieder kleiner. Die Haare auf seinem Körper zogen sich zurück, seine Schnauze, Klauen und Beine und auch sein Schwanz veränderten sich knackend und knirschend wieder, bis er wieder in menschlicher Gestalt vor ihm stand. Der Vorgang dauerte nur wenige Sekunden, doch war ein furchterregendes Schauspiel. Beide bemerkten nicht, wie Kassandra angewidert und verängstigt die Decke über den Kopf zog.

"Gut so und jetzt zeig mir deinen Arm." Slizer grummelte und hielt Az die Schulter hin. Dieser inspizierte die Wunde und drückte an ihr herum, doch Slizer wagte nicht sich zu beschweren und biss die Zähne zusammen. "Okay du Held. Die Nähte sind astrein gerissen. Und nun?"

"Ich...ich werd wohl nach nem Arzt suchen..." stammelte Slizer.

"Ja, tu das. Und dieses mal bezahlst du ihn von deinem eigenen Geld, klar? Wir sollten für die Herrschaften noch was tun, schon vergessen?! Willst du, dass die uns noch vor Ablauf der Frist wegen Dämlichkeit abknallen?"

"Ich...hm. Gib mir mein Geld und ich gehe." Slizer schnappte sich ein Handtuch um sich hastig abzutrocknen und fischte dann nach seinen Klamotten.

"Ich gebe dir 20." sagte Az gereizt und kramte in seiner Tasche. "Das sollte reichen, du lässt dich eh nur wieder übers Ohr hauen." Er warf Slizer das Geld rüber und wandte sich ab. "Ich glaub's nicht. Und immer dran denken, für 250 Euro kann man ein Pferd kaufen! Vollidiot." Slizer zog sich hastig an und stopfte die Scheine in seine Tasche.

"Ist okay. Ich mach das schon, ich geh in die Stadt und such mir `nen Arzt."

"Stehst du immer noch hier?!", brüllte Az und ein tiefes, vibrierendes Dämonenknurren entwich seiner Kehle. Slizer machte sich hastig auf, aus der Tür zu kommen.

Az war wütend. Ohne einen Ton zu sagen setzte er sich in den großen violetten Samtsessel, hinter dem einige der dicken Kerzen in dem gigantisch verzweigten Leuchter brannten. Kassandra lag im Bett und sagte keinen Ton. Az warf seinen Rucksack in die Ecke, faltete die Hände und begann nachzudenken. In seinem Kopf liefen die Gedanken Amok und er bemerkte, dass er zitterte.

Warum? Warum nur dieses...Gefühl? Beruhig dich. Versuch zu schlafen, dein Körper ist immer noch krank. Reg dich nicht so auf wegen diesem Vollidioten.

Er nahm die Sonnenbrille ab und schloss die Augen.

Verschwörung

Az lag auf dem kalten Erdboden in dem dunklen Keller. Er realisierte nur langsam, dass er wach wurde. Sein Körper fühlte sich heiß und taub an, angeschwollen, und er bekam schlecht Luft. Er öffnete die Augen, sie waren ganz verklebt. Der kleine Junge war furchtbar durstig. Langsam kehrte sein Bewusstsein zurück, aber das Fieber sorgte dafür, dass er nicht vollständig zu sich kam.

Die kühle Stahlkette lag fest um seinen Hals, die scharfen Kanten des Würgehalsbands schnitten in seine Kehle. Als er es bemerkte, musste er husten, was sehr schmerzhaft war. Seine Zunge fühlte sich trocken an. Er zwang sich, die Augen zu öffnen und nach der Wasserschale Ausschau zu halten.

Sie war umgestoßen. Er erinnerte sich. Gestern hatte er sich wieder gewehrt, als sein Vater zu ihm kam. Dabei hatte er die Schale umgestoßen. Obwohl ... war es wirklich gestern gewesen?

Az kroch zu der Schale hinüber. Jede Bewegung verursachte ihm höllische Schmerzen, aber sein Durst war größer; die Hoffnung noch etwas Wasser zu finden. Er erreichte die Blechschale und streckte seine Zunge heraus so weit er konnte, die Schmerzen waren ihm egal. Sein Stiefvater sagte immer, er habe eine Zunge, wie ein Hund, er solle sie benutzen, wie ein Hund. Doch in der Schale war kein einziger Tropfen mehr. Der lehmige Boden hatte alles aufgesogen.

Erschöpft viel Az zurück und hob seine kleinen Hände um sich verzweifelt die Augen zu reiben, die brannten. Es war keine Tränenflüssigkeit mehr da, aber sein Körper wollte weinen. Mit diesem Kind stimmte etwas nicht, es ist nicht in Ordnung, Mutter, Vater, helft mir! Bei mir ist etwas nicht in Ordnung!

Plötzlich schwang die Tür auf. Das helle Licht blendete Az, und erschreckte ihn und er stürzte zurück in seine Ecke, mit der alten modrigen Pferdedecke. Die große schwarze Silhouette seines Stiefvaters warf sich bedrohlich über die Szenerie und er verkroch sich zitternd in den Schatten des alten Holztisches unter dem sein Lager war.

"Wo bist du, du Missgeburt?", hörte er den Mann brüllen. Die Tür viel knarzend wieder ins Schloss und schwere Schritte kamen die Treppe herunter. Az zitterte. Sein Vater kam näher und sah unter den Tisch. "Da bist du!"

Er griff nach der Kette, die einen Meter weiter mit schweren Scharnieren in die Wand gedreht war und zog heftig daran. Az würgte, sein kleiner Hals wurde eingedrückt, als er mit einem Ruck unter dem Tisch hervorkam. Er rappelte sich auf und sah seinen Stiefvater an, doch er konnte sein Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen.. "Da!" Er stellte angewidert irgendetwas auf dem Boden ab. Az sah, hörte und roch, dass es sich um Wasser handeln musste. Seine Augen leuchteten und er stürzte sich auf den Hundenapf aus rotem Plastik. Gierig leckte er das kühle Wasser aus der Schale, während die große Silhouette angewidert zusah. Als Az die Schale leer getrunken hatte, sah er mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen zu seinem Vater auf. Unbarmherzig fiel der Schatten auf ihn herab, aber die Emotion, die in dem Kind aufkam, war vollkommen eigenartig und verdreht.

"Was willst du eigentlich?" donnerte die Stimme von oben herab und ließ das eigenartige Gefühl verschwinden und in Angst umschlagen. Az zuckte zusammen.

"WAS WILLST DU EIGENTLICH?" Az verstand nicht, er kauerte sich zusammen und wollte weglaufen, aber er wusste, dass er seinem Vater nicht entkommen konnte. Und schon rupfte die riesige Hand an der Kette. Dann traf ein heftiger Schlag den kleinen Kopf und das Kind knallte unsanft auf den Boden.

"Sag mir...was du willst." Az schüttelte den Kopf und sah mit seinen großen, roten Augen verwirrt zu seinem Stiefvater auf. Da hob sich die riesige Hand wieder. "WAS willst du?!"

"Das es aufhört!" entwich aus der Kehle des jungen Blüters. Er traute sich nicht die Augen zu öffnen, doch als der erwartete Schlag nicht kam, wagte er sich, nachzusehen, was geschehen war. Sein Stiefvater hatte sich von ihm abgewandt und fasste sich an den Kopf. "Gut. Das ist gut." flüsterte er und Az sah ein geradezu verzerrtes, weißes Grinsen in dem schwarzen Gesicht. Dann wandte sich das unkenntliche Antlitz wieder zu dem kleinen Jungen. "Du musst lernen, zu sagen, was du willst."
 

Az wachte auf. Er schreckte hoch und fasste sich an die schmerzenden Augen. Er bemerkte wie seine Schwingen leicht zitterten, fasste sich jedoch augenblicklich. Es wollte nicht so recht funktionieren, zu viele Bilder in seinem Kopf, ein Schrei, der Schrei eines Kindes... Az packte an die Kette und zog heftig, mit aller Kraft an dem Würgehalsband. Er riss seinen Kopf nach unten und hustete heftig, die Stimmen verschwanden und er wurde ruhiger. Er atmete ein und aus, wurde sich bewusst, wo er war und dass er stark war. Er war stark, er war kräftig, er war... Kassandra blickte zu ihm herüber. Az ergriff ihren Blick und starrte ihr kalt in die Augen, direkt in die Augen, als wolle er ihre Gedanken zerstören, und sie sah hastig in ihren Schoß. Er hustete.

Der Schmerz war gut, er zeigte ihm, dass er lebte. Er beugte sich nach vorne, streckte seinen Körper und schlug klackernd mit den Flügeln. Dann sprang er auf. Er hatte seine Schuhe noch an und hatte immer noch auf dem Sessel gesessen. Keine Worte verklangen in seinem Geist und als er den Raum wieder wahrnahm sah er, dass Slizer auf der Couch saß.

"Gut geschlafen, Gräte?"

"Geht so." gab Az ohne jede Betonung zurück. "Warst du beim Arzt?"

"Yep. Hats wieder geflickt, aber... Die nächste Woche is nix mit Verwandeln."

"Dann lass es auch." Wieder dieser emotionslose Ton. Man konnte es nicht interpretieren. Slizer hasste es, wenn Az so redete und das tat er oft.

"Man weiß hier drinnen nicht einmal ob Tag oder Nacht is! Ich werd noch bekloppt hier!", grummelte Slizer um das Thema zu wechseln.

"Schau doch ob Vampire rumlaufen. Dann wird's schon Nacht sein," gab Az zurück und schüttelte sich, wobei das Halsband klingelte. Er zog die Stiefel aus und dehnte sich. Er ignorierte Slizers drohenden Blick und begann Liegestütze zu machen. Die Flügel faltete er dafür ganz straff auf den Rücken. Seine Wunde schmerzte, aber er wollte sich trotzdem ein wenig trainieren. Er belastete seine Bauchmuskeln nicht so stark und hoffte, die Nähte würden halten.

Als er bei 52 angekommen war schwang die Tür auf und ein Bediensteter brachte das Essen. Az fragte sich, ob sie es immer zur gleichen Zeit brachten, oder vielleicht gerade nicht, um sie zu verwirren. Slizer machte sich weniger Gedanken und inspizierte das Menu mit der gleichen Freude wie am ersten Tag. Az stand auf und setzte sich auf die Couch gegenüber um ebenfalls zu essen. Kassandra wirkte verträumt und drehte irgendetwas in ihren Händen. Az schaute neugierig zu ihr hinüber um zu sehen, was sie vom Essen ablenkte.

Es war ein kleines Plüschtier, ein Hund mit weißer Brust und dunkelbraunem bis grauem Fell. Das Tierchen schien ein altes zu sein, von vor dem Krieg. Aber es war nicht besonders schmutzig und gut verarbeitet. Es hatte kaum offene Nähte und immer noch schauten beide braunen Glasaugen in das Kindergesicht.

"Woher ist das denn?" fragte Az, während er das Essen in sich hineinschaufelte. Er hatte erstaunlich großen Hunger.

"Hab ich ihr mitgebracht," stammelte Slizer zwischen zwei gehäuften Gabeln.

Az hielt überrascht inne und zog eine Augenbraue hoch. "Wieso das?"

"Keine Ahnung wollte ihr einfach was mitbringen."

Az grinste dreckig. "Na da hast du ihr ja was Süßes ausgesucht. Sieht dir sogar `n bisschen ähnlich." Slizer grummelte.

"Sehr witzig, Gräte. Hätt ihr auch nen abgenagten Fisch mitbringen können, oder wie? Dann hätte sie dich knuddeln können."

"Ganz ruhig, Köter." Az bedachte ihn mit einem Blick der aussagte genug jetzt. Slizer grinste nochmals dreckig und mampfte weiter. Dann hob er plötzlich den Kopf und nahm einen weiteren Teller, auf dem er verschiedene Nahrungsmittel aufhäufte. Er stand auf und brachte den Teller Kassandra, die verdutzt zu ihm aufschaute. "Für dich, Kleine."

Az schüttelte den Kopf und aß zuende, setzte sich dann wieder in den Sessel mit den Kerzen im Rücken und streckte sich. Seine Jeans spannte und er wurde sich bewusst, dass sie nicht mehr richtig saß, weil die Werwolfsklauen ein großes Stück an der Hüfte herausgerissen hatten. Zum Glück war der Gürtel noch in Ordnung. Az beugte sich zu seinem Rucksack und holte eine neue Bluejeans heraus, die er in der Stadt gekauft hatte. Er stapfte durch die kleine Tür hinter dem Sessel und sah etwas Seltsames. Er ging zurück und deutete mit dem Daumen über die Schulter.

"Ey, Köter, hast du das gesehen?"

"Was denn?" fragte Slizer mit vollem Mund.

"Die ham hier `n komisches Klo. Aus so weißem Keramikzeugs. Und ein seltsames Becken mit nem Hahn und nem Spiegel drüber."

"Watt?" Essen flog. "Ich dachte aus Keramik macht man Rüstung und Waffen."

"Ich auch." Az kratzte sich am Kopf und inspizierte die neu entdeckten Objekte. Er fand ziemlich schnell heraus, dass der Hahn genauso funktionierte, wie auch der über der Badewanne. Nur war das Wasser hier kalt. Az holte sein Pillendöschen und nahm einen Schluck Wasser um seine Tagesdosis einzunehmen. Das Wasser schien sehr sauber zu sein. Es hatte keinerlei Eigengeschmack.

Er nahm beide Handflächen zusammen und spritzte sich das kühle Nass ins Gesicht, danach drehte er den Hahn wieder zu und sah sein Gesicht im Spiegel an. Die großen, ausdruckslosen, kalten, roten Augen blickten zurück. Az grinste und seine messerscharfen Fänge grinsten zurück. Er streckte seinem Spiegelbild die Zunge heraus und das lange rosablasse Ding wand sich vulgär und anzüglich um den Spiegel zu berühren. Er leckte über sein Spiegelbild und genoss es das kühle Glas zu spüren und zu schmecken. Seine Zunge war sehr empfindsam und ein Kribbeln durchfuhr seinen Körper.

Dann zog er die Hose aus und faltete sie zusammen. Er ging und holte sich frische Shorts aus seinem Rucksack, Slizer schien wieder bei Cassandra zu sitzen, schaute aber kurz skeptisch zu Az herüber, als er dessen vulgäres Grinsen sah.

"Ich mag Spiegel," meinte dieser nur und ging wieder in das kleine Badezimmer. Er zog sich die neuen Shorts an, ebenfalls die Jeans und zog den Gürtel wieder fest. Er drehte sich geschickt und betrachtete dabei sein Spiegelbild, dann besah er sich seine Wunde. Ein Verband war nicht mehr nötig und er nahm ihn ab. Aber die Fäden sollten noch an Ort und Stelle bleiben. Er drückte ein bisschen an dem rosafarbenen Wundrand herum, kein Eiter, Az war zufrieden. Dann erregte die Toilette plötzlich seine Aufmerksamkeit.
 

Slizer drehte sich verdutzt um, als er das plötzliche Rauschen von Wasser aus dem kleinen Nebenraum hörte. "Was machst du da?" nölte er gereizt. Das Geräusch hatte ihn ein bisschen erschreckt. Az kam kichernd aus der Toilette.

"Das glaubst du nicht, das ist so geil! Aber ich verrat's dir nicht!" Der Blüter warf sich auf die gegenüberliegende Couch und kicherte. Der Wagen mit den Essensresten war schon entsorgt worden.

"Dann eben nicht," grummelte Slizer beleidigt und wandte sich wieder Kassandra zu, der er anscheinend gerade irgendetwas erzählte. Az schlug die Beine übereinander und grinste.

Wenige Minuten später klopfte es an der Tür. Az sprang auf und nahm Haltung an. Er hatte heute gute Laune. Während Slizer noch verdutzt guckte, sagte er schon fest: "Ja bitte?"

Die Tür schwang auf, ohne ein Geräusch zu machen und Arthur schritt herein. Er trug einen altmodischen Anzug, der aus Samt zu sein schien und dessen Schnitt Az irritierte. Die langen dunkelbraunen Haare lagen offen über seinen schmalen, kräftigen Schultern. Seine stechenden, ausdruckslosen Augen ruhten erst auf Az, dann auf Slizer und er nickte zur Begrüßung.

"Wie ich sehe, scheint es euch bereits besser zu ergehen, das freut mich. Ich hätte einen Auftrag für euch. Wie sieht es mit der Kondition aus? Seid ihr bereits in der Verfassung? Die Wunden sind verheilt?"

Az sah in Slizer die Panik aufsteigen, weil er Mist gebaut hatte. Schnell antwortete er mit fester Stimme: "Ich bin einsatzbereit, aber Slizers Verletzung war erheblich schlimmer, als wir dachten. Ich denke er ist nicht in der Lage einen Auftrag anzunehmen. Ich mache es alleine." Militärisch strammstehend sah Az seinem momentanen Vorgesetzten nicht in die Augen sondern stierte stur geradeaus. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie Slizer zusammensank und Arthur ihm neugierig die Augenbraue hebend, seine vollste Aufmerksamkeit schenkte.

"Nun gut. Ich denke einer von euch wird mir ausreichen. Wir erledigen das sofort, wenn es recht ist?" Der Vampir sah Az mit seinen toten, schneegrauen Augen herausfordernd an und ein bisschen Spot lag Az Meinung nach in dem Eiswind, der seine Tonlage ausmachte.

"Natürlich. Wird für den Auftrag besondere Kleidung von Nöten sein? Meine Lederjacke wird noch repariert."

"Nein, ich denke nicht, komm einfach mit, ich gebe dir deine Instruktionen auf dem Weg in die Stadt."

Az nickte knapp und der Vampir drehte sich geschmeidig in der Tür, um in den Flur zu treten. Der Blüter schenkte Slizer noch einen vorwurfsvollen Blick, den der Köter leidend und entschuldigend erwiderte, dann schnappte er seine BlackFox im Hüfthalfter und das Bastardschwert und stapfte hinter Arthur her, wie ein scharfer Wachhund.
 

In den Ställen hielt der seltsame, stolze Dienerjunge ein pechschwarzes, drahtiges Kutschpferd bereit. Eines jener kräftigen Tiere, die Az schon bei der Ankunft hier gesehen hatte, die mit den roten Augen und dem Behang an den Fesseln. Er fragte sich wirklich was das für eine seltsame Züchtung war. Vampirpferde vielleicht? Er musste innerlich lachen. Soweit, dass Tiere ihr Karma versauen können kommt es noch, vielleicht hat er sie mit seinem Blut gefüttert. Er kam nicht umhin diese Pferde als unglaublich schön zu betrachten. Er war neidisch, denn sie schienen genau die richtige Mischung aus Kraft und Eleganz zu besitzen, die er auch in sich trug. Solch ein Pferd wäre sicherlich der perfekte Partner für ihn.

Az stapfte zielstrebig zu Phaetons Box rüber und zog das Tier hinter sich her in den Gang. Er sattelte ihn und legte die Gamaschen und den Zaum an, den Stirnpanzer ließ er weg. Anscheinend sollte er seinen neuen ,Herren' irgendwohin begleiten, vielleicht als Personenschutz. Auf jeden Fall schien es ihm unangebracht, mit dem Outfit zu übertreiben. Arthur schien es schlicht zu mögen und Az sollte von dessen Stil nicht zu weiten Abstand nehmen.

Zu seinem Erstaunen sattelte und zäumte Arthur das Tier selbst. Der Junge schien es einfach nur fein rausgeputzt zu haben und hielt es fest, während der Untote es fast liebevoll streichelnd reisebereit machte. Die Detailverliebtheit der Vampire war sprichwörtlich, wie Az bemerkte. Sie konnten anscheinend wirklich nicht anders, als bestimmte Abläufe in ihrer Existenz mit pathologischer Akribie einzuhalten, wie man es ihnen nachsagte. In dieser Einteilung des Seins in Strukturen und festgelegte Abläufe lag bei jedem Vampir seine individuelle Schwäche. Wer ewig lebt und eigentlich ein Mensch ist, der muss ja über die Zeit bekloppt werden, dachte Az.

Karkas hatte einmal davon erzählt, dass er in seiner Zeit als Headhunter mal einen Blutsauger zur Strecke gebracht hatte, indem er ihm einen Beutel Reis vor die Brust geworfen hatte, während er selbst verletzt am Boden lag. Der Vampir hatte dem Zwang die versprengten Reißkörner wieder aufzusammeln nicht widerstehen können, obwohl sein Feind noch nicht besiegt war. Der einfachste Kopfschuss seines Lebens, hatte Karkas erzählt und laut gelacht. Az empfand das als etwas unwahrscheinlich. Die Untoten Karmasünder wären nicht so gefürchtet, wenn man sie mit solch einfachen Tricks besiegen könnte. Jeder Vampir war ein Individuum und hatte seinen ganz eigenen Tick, der ihm zur tödlichen Schwäche wurde. Was es bei Arthur war wusste er nicht zu sagen, aber die Besessenheit und Liebe zum Detail, die man seiner Büßerrasse nachsagte, zeigte sich trotz seiner allgemeinen Zurückhaltung in seinen Handlungen.

Az grummelte tonlos in sich hinein. Er stellte sich Vampire als sehr schwierige Kunden vor, ähnlich wie adelige Dämonen konnten sie sich eine Menge erlauben und erwarteten wahrscheinlich neben absolutem Gehorsam auch, dass man ihnen jeden Wunsch von den Augen ablas. Jede in ihren Augen ,unnötige Frage' wurde wahrscheinlich als Respektlosigkeit gewertet. Er beschloss sich bedeckt zu halten.

"Der Auftrag wird leicht", begann Arthur ohne von seiner Tätigkeit aufzusehen. "Hast du schon einmal mit Feen zu tun gehabt?" Er sah Az kurz an, der den Kopf schüttelte.

"Wir werden in die Stadt reiten. Wie du weißt, ist Nürnberg eine freie Stadt, das heißt, sie steht unter der Herrschaft meines Meisters, und dieser bestimmt, dass hier alle Rassen freien Handel betreiben dürfen, solange sie Steuern zahlen. Keine Feindseligkeiten unter den verschiedenen Parteien, alles läuft nach den Gesetzen der Stadt und niemand macht Ärger, sonst fliegt er raus. Die Personen, die wir aufsuchen werden, hielten sich nicht an einige unserer Gesetze, deswegen werden wir sie nun verwarnen."

Az nickte und führte Phaeton hinter Arthur her aus der Boxengasse heraus in die Vorhalle. Der Junge verblieb stumm im Stall und schloss das Tor. Der Vampir stieg auf, Az folgte und das große, gotische Tor wurde von zwei weiteren jungen Dienern geöffnet. Draußen war es dunkel. Sie ritten schweigend den Pfad entlang, der über das Gelände des eingezäunten Anwesens führte und passierten das zweite, schmiedeeiserne Tor, dass sie auf die gepflasterte Straße führte. Arthur hieb dem Tier in die Seiten und galoppierte los, Az hinterher. Das Kopfsteinpflaster war nass und rutschig, aber beide Tiere waren trittsicher. Es nieselte leicht, aber die Sonne schien noch nicht lange untergegangen zu sein, so dass immer noch drückende Schwüle über der Stadt lag.

In den engen Gassen der alten Innenstadt wurde Arthur langsamer und stapfte gemäßigten Schrittes auf dem Rücken des Pferdes am staunenden Volk vorbei. Die Leute schienen ihn zu kennen und genau zu wissen, wer er war. Az ritt links versetzt an seiner Seite und hatte eine eiskalte Miene aufgesetzt.

"Ich werde die Feen einschüchtern, dass sie ihre Spielchen demnächst unterlassen. Dich habe ich als Unterstützung dabei. Du musst nichts weiter tun, als an meiner Seite zu stehen, und sie ein bisschen mit deiner Erscheinung zu erschrecken. Sei ein bisschen grob. Sie werden keinen ernsthaften Ärger machen, aber Feen sind widerlich anstrengende Geschöpfe. Sie spielen gerne Streiche und machen sich lustig, können schwer Dinge ernst nehmen und sie haben Kräfte, die den Geist verwirren. Das wiederum kann gefährlich werden, nimm das hier als Schutz."

Arthur reichte Az eine Schatulle, in der eine kleine verspiegelte Sonnenbrille lag und ein grinsen huschte über sein Gesicht. Eine Sonnenbrille war schwer zu bekommen, und dann auch noch eine verspiegelte. Solch stylische Arbeitsausrüstung konnte Az gefallen. Seine eigene Brille hatte er gar nicht mitgenommen. Sie hatte rote Gläser, etwas, dass er noch nie zuvor gesehen hatte. Sie stammte von seinem ersten Killshot, den er damals bei den Glücksrittern gelandet hatte, einem Typen, der ebenfalls Söldner war und das Pech gehabt hatte, auf der Verliererseite zu stehen. Die Brille war Az' Trophäe gewesen und Karkas hatte sie ihn behalten lassen. Aber diese hier war ebenfalls ziemlich cool. Er fragte sich nur wirklich wozu er die jetzt brauchte. Nun gut, Gegnern nicht in die Augen sehen zu können hatte einen einschüchternen Effekt, weil man ihre nächste Reaktion nicht erahnen konnte. Az liebte gerade seine Brille so sehr, weil das rote Glas dafür sorgte, dass man seine rote Iris durch die Brille nicht mehr ausmachen konnte - sie hob sich nicht mehr von dem Weißen in seinen Augen ab. Aber Arthur, die sich auch eine Sonnebrille aufsetzte, würde ihm schon sagen, wozu genau jetzt die Dinger gut sein sollten.

"Die Feenmagie wirkt nur, wenn sie dir in die Augen sehen können. Nur dann können sie dafür sorgen, dass du Halluzinationen bekommst. Trag die hier, und es ist relativ sicher." Arthur deutet auf Az' Brille, grinste ihn dann kurz an. "Du bist ein eigenartiger Blüter. Deine Flügel sind etwas ganz besonderes, so etwas kennt man nicht. Es wird reichen, dass ich dich dabei habe, und die Feen werden sich nicht lange wehren. Ihr Verstand ist ein bisschen so wie der eines trotzigen Kindes. Du bist ein harter Kerl, du siehst gewalttätig aus, das verkraften sie nicht lange. Ich werde ihren Widerstand brechen."

Az nickte und konzentrierte sich, um die Hautpanzerung aufzulegen. Knirschend zogen sich Adern über seinen freien Oberkörper und seine Haut wurde dunkelbraun, dick und zäh wie Leder. Seine Haare färbten sich schwarz und er wirkte nun noch ein wenig kräftiger. Arthur lächelte zufrieden.

"Brutal", sagte er, "und dennoch elegant. Das gefällt mir. Und das wichtigste ist dein ernster Blick. Feen können mit Ernst nicht umgehen."

Az nickte und Arthur trabte an, um nun etwas schneller durch die Gassen zu kommen. Az folgte in Wachhundmanier. Sie strichen um die finsteren Häuserecken und wurden ehrfürchtig beäugt. Im Hinterhof eines großen Wohnhauses aus rotem Backstein hielt Arthur sein Tier auf dem Ascheplatz vor dem Eingang zu einer kleinen Kneipe. Sie hatte einen Holztreppenaufgang und ein hölzernes, bunt bemaltes, geschnitztes Schild, auf dem "Danaan" stand, hing über der Tür. Vor der Tür standen ein paar Fahrräder und einige bunte Gestalten - höchstwahrscheinlich Feen, wie Az sich dachte - lungerten herum. Auf den ersten Blick waren es alles Teenager in abgefahrenen Klamotten, die in bunten Farben regelrecht zu leuchten schienen.

Als Az und Arthur vor der Tür abstiegen und die Tiere anbanden, guckten die Feen argwöhnisch herüber. Ihre Frisuren waren wild und ihre Haare bunt, ebenso wie ihre Augen, die hatten spitze lange Ohren und auch ihre Haut schimmerte seltsam wie ein bunter Sternenhimmel. Arthur beachtete sie nicht, sondern Schritt an ihnen vorbei. Ein paar bunte, leuchtende Kugeln schwebten in der Luft und Az fragte sich, was das war, hielt sich jedoch nicht damit auf, das Phänomen genauer zu untersuchen.

In der Kneipe gab es eine Theke und mehrere Tische, alles war bunt geschmückt mit viel Kunststoffdreck und Resten von Irgendetwas, sowie mit tausenden von Spiegelscherben Und bunten Plastiksplittern bespickt. Alles war auffällig, leuchtend, grell und knallig. Die Inneneinrichter dieses Etablissements hatten mehr bunten Schrott zusammengesammelt, als man in einer Technomantenbrug finden konnte! Arthur steuerte auf einen Tisch in einer düsteren Ecke zu, an dem mehrere Gestalten saßen.

Leuchtende, bunte Glühbirnen machten die Szenerie nicht heller, sondern psychodelischer. Az hatte den Eindruck, dass sich einige der bunten Lichter selbstständig bewegten. Er wollte sich gerade als durchgetickt einstufen, oder an der Wirkung der Brille zweifeln, da sah er, dass einige dieser ,Glühbirnen' tatsächlich winzige, lebendige Wesen zu sein schienen. Sie sahen aus wie kleine Menschen, nur mir Spitzen Ohren und durchsichtig schimmernden Schmetterlingsflügeln auf dem Rücken, komplett nackt und ihre Körper gaben Licht in je einer bunten Farbe ab. Irrlichter! Sie guckten neckisch und kicherten, als sie den Vampir und den Blüter näherkommen sahen und rotteten sich zusammen, um zu tuscheln. Az konnte ein Grünes und ein Violettes ausmachen und weiter hinten noch ein Dunkelblaues. Sie schienen farblich auf die Feen am Tisch abgestimmt zu sein. Zwei männliche und eine weibliche trugen genau dieselbe Farbe in verschiedensten, glitzernden Nuancen am Körper, sowohl in Haar, Haut, Augen und Kleidung. Noch weitere vier Feen saßen an dem Tisch und ein Flackerlicht wie in einer Diskothek ergoss sich auf den Zuschauer, als sich Pailletten und synthetische Leuchtreflexe zu bewegen begannen. Das Bunte Volk grinste den offensichtlichen Aggressoren entgegen. Die Cocktails und Getränke, sowie die Gläser waren alle in verdrehten Formen und mit bunten Farben versehen. Az kniff gereizt die Augen zusammen und knurrte leise. Er sah Arthur grinsen.

"Meine Damen und Herren, darf ich um Ihre viel geschätzte Aufmerksamkeit bitten?" Arthur klatschte enerviert in die Hände und stellte sich direkt an den Tisch mit dem schnatternden Feenhaufen. Az trat stapfend neben ihn und senkte den Kopf wie ein scharfer Dobermann, die Hände bereit zum Angriff rechts und links neben dem Körper gespreizt, die Schwingen hatte er bislang noch auf dem Rücken zusammengefaltet.

"Natürlich, Euer Hochwohlbegraben, oder sollte ich besser sagen, Euer Unsterblichkeit?" Der dunkelblaue Typ mit den smaragdgrünblauen Augen feixte zu Arthur herüber. In seinem Arm lag ein jüngerer Kerl, der höchstens dreizehn war und eine violette Plüschjacke im Frauenschnitt anhatte. Alle Feen waren unglaublich schön und Az musste sich eingestehen, dass er nicht ungern mit ihnen gespielt hätte. Der kleinere Junge hatte Magentahaar, das wie Flammen nach oben gestachelt war und leckte dem älteren in Dunkelblau am Hals herum.

"Eure Späße sind hier nicht erwünscht. Ihr wisst warum ich hier bin, und mein Herr ist nicht erfreut. Ihr habt sein großzügiges Angebot ausgeschlagen und euch so einiges erlaubt. Ich bin hier um eure Entscheidung zu erfahren. Steht ihr hinter Ceran, ja oder nein?"

Die Feen kicherten und machten sich anscheinend lustig. Der Dunkelblaue schien eine Art Anführer zu sein, an dem bis auf den violetten Jungen, noch ein dunkelgrünes Mädchen herumknabberte. Az kümmerte sich augenscheinlich kaum um das, was Arthur sagte. Aber in Wirklichkeit entging ihm nichts. Anscheinend war Arthur doch nicht unbedingt hier, um das zu tun, was er Az erzählt hatte. Hier ging es um mehr. Aber als Söldner stellt man keine Fragen, wie Az schon zuvor vermutet hatte, waren Vampire mindestens so eingebildete Kunden, wie Dämonen. Wenn Arthur ihm nicht erzählen wollte, worum es ging, sollte ihm das egal sein. Hauptsache, er bekam genug gesagt, so dass er seine Aufgabe richtig machen konnte, und sein Geld bekam.

Der Anführer nahm einen Schluck aus seinem Glas und die anderen Feen sahen sich glucksend und kichernd um. Ein Mädchen in strahlendem Pink versuchte anscheinend Az Blick zu erhaschen, sie starrte ihm direkt vor die Sonnenbrille. Das schien sie zu ärgern, denn nichts geschah. In ihren Augen loderte ein Wirbel von Farben hoch und Az blickte finster drein, doch die Sonnenbrille schien zu halten, was Arthur versprochen hatte.

"Dein Alter kann mich mal", grinste der Blauhaarige und lehnte sich nach vorne, um einen Schluck aus seinem Cocktail zu nehmen, während ihm das grüne Mädchen in das weit auseinanderfallende Hemd griff. "Was erzählst du da überhaupt? Wenn Ceran glaubt er könnte sich mit Faith anlegen, dann..."

Az Faust donnerte auf den Tisch, als der Anführer der Feen mit der Hand gestikulierend näherkommen wollte. Seine Flügel spreitzten sich und er begann sie zu schütteln, wobei die aneinanderreibenden Gelenke ein Geräusch wie von einer zischenden Klapperschlange von sich gaben. Ausnahmslos alle Feen waren zusammengerückt und schauten ziemlich erschreckt drein. Der Anführer fasste sich als erstes wieder und starrte wütend zu Az herüber, der langsam die Hand wieder vom Tisch nahm.

Arthur grinste unendlich zufrieden. "Anlegen, Faith? Du siehst das falsch, wir müssen uns mit euch nicht ,anlegen'. Es ist vielmehr so; du kannst auf der Seite der Gewinner, oder auf der Seite der Verlierer stehen." Arthur beugte sich ganz nah zu den Feen runter, was bei allen Gesten der Abwehr hervorrief, woraufhin Az seine Drohgebärde verstärkte und unmenschlich tief zu knurren begann. "Und wenn ihr euch für die Verlierer entscheidet, werden wir euch ausradieren, denn bald schon," er sah sich verschwörerisch um und grinste mit seinen langen Eckzähnen, "wird Ceran hier das Sagen haben! Und es wird finster für euch aussehen, wenn sein alter Herr nicht mehr da ist, um seine Gesetze aufrecht zu erhalten."

Die Feen folgten Arthur mit zornigen Blicken, als er den Kopf wieder aus ihrer Höhe nahm und sich aufrecht hinstellte. Az stand nun in Schrittstellung und hatte jeden Muskel angespannt. Sein Gesichtsausdruck war wie aus Stein, aber er sah wütend aus und knurrte die ganze Zeit unterschwellig. Das grüne Mädchen sah verschüchtert drein und der Junge mit den Magentahaaren zornig, auch wenn er sich hinter dem blauhaarigen Faith versteckte, der immer noch großkotzig mit gespreizten Beinen am Tisch saß und sehr wütend, aber auch verängstigt aussah.

"Ich wünsche euch noch eine schöne Nacht, meine Lieben. Und teilt uns eure Entscheidung möglichst bald mit, wäre doch schade um so einen schönen bunten Unterschlupf, oder?" Arthur ging leise lachend hinaus und Az spreizte noch einmal drohend die Flügel, wie eine Kobra, die bereit zum Angriff ist. Dann wandte er sich um, um seiner'Schutzperson' hinterher zu gehen, faltete die knöchernen Flügel blitzschnell, mit einem lauten Knall, wie von einem Schuss zusammen und verließ mit Arthur das Lokal.
 

Draußen auf der Straße, als sie den Weg zurückritten, den sie gekommen waren, nahm Az die Sonnenbrille ab, und verstaute sie in der Schatulle. Arthur grinste zufrieden und sah den Blüter dann mit verschlagenem Blick an.

"Das ist gut gelaufen, sehr gut. Du hast dich gut gemacht, ihr Wiederstand wird brechen. Und weil du deinen Job so hervorragend gemacht hast, will ich dir ein Geheimnis verraten." Er schaute verschwörerisch drein und kam näher zu Az, um direkt neben ihm zu reiten. Blickte ihn aber nicht an, und sprach leise weiter. "Mein Erzeuger, Ceran, hat vor die Stadt zu übernehmen. Er will seinen Erzeuger, den Herren dieser Stadt, stürzen. Wir sammeln im Moment Verbündete und ihr beide wärt uns sehr recht. Der Herrscher dieser Stadt hat einige Kinder, mächtige Vampire, die stärker sind, als Alexandra und ich. Aber die Stimmung in der Stadt ist gut. Wir werden es schaffen. Habt ihr zwei Interesse daran, uns zu unterstützen? Wir würden euch natürlich äußerst gut dafür bezahlen. Und ich verspreche euch einen gut bezahlten Job in der Stadt, wenn die Übernahme erst einmal über die Bühne ist."

Az hatte aufmerksam zugehört und seine Miene hatte sich nicht verändert. Innerlich sah das anders aus. In was für eine gottverdammte Scheiße wurde er hier gerade hineinmanövriert? Einen tausend Jahre alten Vampir zu stürzen war nicht die Art von ,Job', die er sich wünschte. Aber was sollte es schon? Die Bezahlung für Kleinigkeiten war gut, wie würde dann erst die Bezahlung für richtige Arbeit sein?

"Ich muss das erst einmal mit meinem Partner besprechen", sagte er ruhig. "Es ist nicht so, als wenn es uns nur im Doppelpack gäbe, aber ich will wissen ob er mitzieht. Ich denke mit mir könnt ihr rechnen. Ich mache fast alles, wenn die Bezahlung stimmt."

Arthur lächelte zufrieden und ritt weiter geradeaus. "Gut. Rede nicht darüber. Der Alte hat seine Augen und Ohren überall, er ist sehr verschlagen und sehr mächtig. Aber es ist Zeit für einen Wechsel. Ceran ist ebenfalls äußerst mächtig. Er wird ihn zerquetschen."

Az nickte nur. Er wusste nicht, was das alles sollte, aber solange das Geld stimmte konnte das hier vielleicht sogar interessant werden. Er verstand nur nicht, wie Arthur zwei völlig Fremde in so eine lang geplante Sache mit einbringen konnte. So gut schien es für diesen Ceran nicht zu stehen, der Werwölfe mit einem Schlag teilte. Vielleicht war das ganze auch nur eine Falle, um die zwei loszuwerden, Az traute hier niemandem, also hielt er sich bedeckt.

Sie ritten an einem kleinen Hotel vorbei, das wie viele andere Häuser schief und charmant in einer der vielen engen Seitengassen stand. Die Dachschindeln waren auffällig hellblau bemalt. Es hatte mehrere Etagen, und sah aus, als habe man ein Haus von normaler Größe zusammengequetscht worauf es Sonnenschirme und Plastikstühle ausgespuckt haben musste, die nun vor der Tür standen. Der beleuchtete Eingang sah aus wie ein warmer Rachen und einige der wenigen Zimmer schienen Balkons mit verspielten, schmiedeeisernen Gittern zu haben. Über der Tür hing ein Schild, mit auffälliger, silberner Farbe bemalt, auf dem ,Pale Moon' stand und im Erdgeschoss befand sich allem Anschein nach eine Kneipe.

Glühwürmchen hingen in der Nacht und der Mond beleuchtete eine Gestalt, die auf dem höchsten der Balkone stand und sich weit über das Geländer gebeugt hatte. Sie war äußerst schlank und hatte sich lasziv und akrobatisch mit dem Oberkörper in die Waagerechte begeben, um anscheinend die Straße unter dem Balkon kopfüber im Blick zu behalten, während sie aus einer Flasche eine klare Flüssigkeit trank. Sie war klein und zierlich, bewegte sich übertrieben geschmeidig und ihre Silhouette hatte keine auffälligen Merkmale, wie Flügel, Hörner oder Schwanz. Anscheinend trug sie eine helle, kurze Frauenlederjacke und enge dunkle Hosen. Az verengte die Augen zu Schlitzen, als sie näher kamen und hatte ein komisches Gefühl. Das Gefühl, diesen Jemand zu kennen, seine Aura schon einmal geschmeckt zu haben.

Die Gestalt drehte sich plötzlich um, sah mit schiefgelegtem Kopf zu Az herüber und grinste plötzlich Schneeweiß, als die beiden vorbeiritten. Ungelenk wie ein Kind und doch geschmeidig wie eine Raubkatze hangelte sich die Gestalt auf das Geländer und hob die Flasche in Az Richtung, während sie mit der anderen Hand hysterisch winkte. Az senkte den Kopf und knurrte leise fluchend. Arthur sah amüsiert zwischen ihm und der Person hin und her.

"Ein Freund von dir?", fragte der Vampir interessiert.

"Nein. Nicht direkt", knirschte Az und sein Dämonenblut geriet in Wallung, als er direkt neben dem Hotel vorbeikam und der kleinen Gestalt keinen Blick schenkte.

"Geht mich ja nichts an", flüsterte Arthur amüsiert und sah sich den winkenden, silberhaarigen Jungen interessiert an.

Az knurrte und preschte einfach los. Phaeton wieherte und Arthur gab seinem Pferd ebenfalls amüsiert die Sporen.
 

Auf dem obersten Balkon des ,Pale Moon' stand ein verdutzt dreinblickender Dämon, der nicht zu verstehen schien, warum er ignoriert wurde. Doch dann wurde sein Blick gerissen und schwarz wie seine Seele und er nahm einen weiteren Schluck Wodka.

"Interessant, dich hier zu sehen, Sohn des Ashmodai", flüsterte Ays der Nacht zu. "Mal sehen wie lange es dauert, bis sich unsere Wege wieder kreuzen."

Von dinnen wurde er gerufen und er verschluckte sich gekünstelt an dem Wodka und hustete. Seine Miene wurde wieder die eines sechzehnjährigen, naiven Jungen und er stolperte ungelenk hinein.



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Kommentare zu dieser Fanfic (31)
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Von: abgemeldet
2007-05-12T00:06:45+00:00 12.05.2007 02:06
Nun, dann will ich doch auch mal zumindest ein paar Worte an dieser Stelle von mir geben, nachdem ich alle Kapitel schon vor einiger Zeit goutiert habe ...

Ich bin kein Fachmann in Dystopien - hab da kaum was gelesen, außer Bouille, Matheson und Wells - und ich habe nicht den blassesten Schimmer, inwieweit es eine vergleichbare Szenerie schon gibt. Die Vorstellung einer verrohten Zukunft (abgesehen von der Gegenwart des Übernatürlichen) erscheint mir jedenfalls nicht abwegig - das haben wir ja tendenziell schon in der Gegenwart.
Meine Güte, so recht weiß ich eigentlich nicht, was ich schreiben soll. Deine Detailverliebtheit ist m. E. eines der wichtigen Elemente, die zur Atmosphäre der Handlung beitragen, also bitte schön beibehalten ;). Ich mochte die Farbigkeit, den gelegentlich heftig mitspielenden Zynismus, fand die Action nicht überzeichnet und Humor und Lakonie im richtigen Verhältnis eingebracht (mit mithin beinahe extremen ironischen Brechungen, die mir auch sehr gefielen). Dein Stil hat es mir echt angetan, die Handlung ist gut durchdacht und (ganz offenbar *g*) geeignet, die Leser bei der Stange zu halten, die Charakterzeichnung ist geglückt - so geglückt, daß ich zwischendurch dasitze und mir Gedanken über den Protagonisten mache, ganz abseits vom geschriebenen Wort. Und ja, ich rede da natürlich von Az. Eigentlich würde ich ihn gelegentlich ganz gerne in den Arm nehmen, aber das würde ihm sicherlich nicht gefallen. Ich mag auch Slizer, aber der ist freilich von ... nun ja, schlichterem Gemüt *g*. Das Hündische in ihm hast Du echt gut eingefangen.

Mit Vampiren widerum kenne ich mich ganz gut aus und war deshalb zusätzlich angenehm überrascht, in Deinem Roman über welche zu stolpern. Intrigantes Pack. Deswegen spiel ich die so gerne. *fg*

So, das war jetzt meine "rationale" Betrachtung von "Our Darkness". Auf irrationaler Ebene gesagt: sie hat mich heftigst mitgerissen und ziemlich sprachlos gemacht, ich konnte mit dem Lesen nicht aufhören, und eigentlich bin ich ja Einiges gewöhnt. Wird nicht Jedermanns Sache sein, mutmaße ich, aber was mich betrifft: ich ziehe mit Hochachtung und Vergnügen meinen Hut vor einem Talent, das näherer Betrachtung fraglos wert ist.

/bows deeply

P.S.: Tut mir leid, mein Schreibstil. Direkt nach dem Lesen war ich irgendwie zur Lautäußerung nicht fähig, und nachdem es sich gesetzt hat - nun, da fasele ich wieder. *g*

P.P.S.: Aaaalso ... zumindest zum Teil kann ich mir denken, was es mit dem Knaben so auf sich hat ... *kicher*

P.P.S.2: Und wann geht's endlich weiter? *fg*
Von: abgemeldet
2006-08-02T15:34:07+00:00 02.08.2006 17:34
echt schade! nun ja kann man auch nichts machen (ich ergebe mich dem warten) :-)
Von: abgemeldet
2006-08-02T15:28:06+00:00 02.08.2006 17:28
ok... dann werde ich mal den nächstem kapitel
entgengefiebern. *g*
Von:  Alexej_Axis
2006-08-02T15:17:53+00:00 02.08.2006 17:17
Jaja, das nächste Kapitel ist in Arbeit, wie gesagt. °_^; dummerweise hat mein Rechner einen großteil davon gefressen, was mich sehr hart getroffen hat. Es steckt nunmal sehr viel Arbeit in der Schreiberei... der Junge mit dem silberhaar wird im nächsten Kapitel genauer beleuchtet werden. ;)
Az kennt ihn... sonst hätte er mit gleichgültigkeit reagiert... oh ja er kennt ihn, *fg* ihr werdet schon sehen, warum er so reagiert hat.
Von:  Alexej_Axis
2006-08-02T15:15:37+00:00 02.08.2006 17:15
hast's erfasst. *g* wo bliebe denn da die Spannung? Der nächste Teil von Our Darkness ist übrigens in Arbeit... aber vor September komme ich leider nicht zum korrekturlesen. =_0
Von: abgemeldet
2006-08-02T15:08:17+00:00 02.08.2006 17:08
echt schade, dass du im moment keine zeit hast, weiterzuschreiben! Hoffe du kommst bald mal wieder dazu!!!
Wer is der 16jährige Typ?
Hat Az ihn erkannt, oder hat einfach so wie immer reagiert und ihn ignoriert?
diese feen... kann ich mir so richtig vorstellen... so bunt und schräg... wenn ich die echt sehen würde, würde ich mir denken: Oh mein Gott, oder etwas in die richtung... besonders bei pinken personnen *lol*
Von: abgemeldet
2006-08-02T15:03:37+00:00 02.08.2006 17:03
okay... so jetz bin ich auch "aufgeklärt" *lol*
Amonshi hab ich mit Ashmodai vertauscht, weiß auch nicht wie ich darauf gekommen bin ... (bin manchmal "etwas" durch den wind) :-)
Schade das du nicht verraten willst ob Slizer ne Verräterrolle hat! Naja wird wohl irgendwann in deinen drei teilen vorkommen...
Von: abgemeldet
2006-08-01T08:43:07+00:00 01.08.2006 10:43
das war mein favo-kapitel!!
Az ist irgendwie schräg *lol* (is jetz aber nicht negativ gemeint)
Ich mag ihn, find ich witzig wie er mit kassandra umgeht!
Von:  Alexej_Axis
2006-07-31T13:34:52+00:00 31.07.2006 15:34
Also das Slizer eine Verräterrolle hat, darauf ist noch keiner gekommen. *g* Aber ich sage da nichts zu. ;)

Wo hast du das Wort 'amonshi' gelesen? *grübelt* Ich habe den Namen Ashmodai verwendet, und dieser Name hat in verschiedenen Geschichten und Mythen verschiedene Bedeutungen. Ich habe sie verknüpft und selber noch was dazuerfunden, aber viele Dämonen heißen Ashmodai. Der Name hat im hebräischen auch eine Bedeutung, die mir gerade entfallen ist. >_>; Aber ich schlage es nochmal nach, denn es war eigentlich recht wichtig für meine Story. Hab echt lange keine Zeit mehr gehabt, daran weiterzuschreiben.

Und engel können Kinder zeugen. In dieser Welt, meiner Geschichte ist es auch so, dass Marias unbefleckte Empfängnis von einem Engel 'überbracht' wurde. Sie können so etwas also prinzipiell jederzeit machen, wenn sie genügend astrale Energie zur Verfügung haben und somit ein Kind von sich zeugen. Ist aber sehr Energieaufwendig und kostet den Engel viel Kraft, da er einen Teil seiner Erinnerung aufgeben muss, um das Kind damit zu erschaffen. Aber du siehst, dAss du virelleicht gar nicht mal so falsch gelegen hast. *g
Gefallene Engel bevorzugen den energiesparenden Weg der 'befleckten' Empfängnis. *hüstel*
Von: abgemeldet
2006-07-28T13:12:06+00:00 28.07.2006 15:12
Also alles noch mal:

könnte es sein, das slizer irgendwie eine verräterrolle hat? so das er az ausspionieren soll, oder so?
Bei Amonshi klingelts bei mir, nur mir fällt beim besten willen nicht ein bei was...
Az fängt langsam an die kleine zu mögen, oder :-)
Kassandra.... hmm... könnte es sein, das sie mit engelsblut in berührung gekommen ist, oder ein wiedergeborener engel ist? Engel zeugen doch keine kinder, oder?
der doc war ziemlich ... komisch, der war wohl ziemlich wissbegierig...

Habe mich nur ein bisschen kreativ betätigt und meine fantasie spielen lassen... ich denke das ich zwar total daneben liege, mit meinen erfindungen, aber egal...


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