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Nichts als Reichtum

~*~
von

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~Liebe~

Regungslos stehe ich dort.

Sanfte Brisen umstreichen mich, umspielen mein Haar. Ich blinzle, als eine Strähne in meine Stirn gleitet und senke die Lider. Ich betrachte mir den Sand, der sich unter den Sohlen meiner Wajaris erstreckt. Seine Hitze lässt sich spüren, seine Reinheit sehen. Hinter mir rauschen die Blätter der Palmen, vor mir das kristallklare Wasser, das in kleinen, unauffälligen Wellen über den Sand streicht und ich hebe die Hand und betaste vorsichtig meine Brust. Mein Herz… wie rast es nur unter meinen Fingern. Wie aufgeregt schlägt es in meiner Brust.

Das Telefonat raubte mir etwaige Fähigkeit, Ruhe zu bewahren. Selbst eine geziemte Selbstbelügung will mir nun nicht gelingen... vielmehr stürzen bestialische Fakten über mich herein, an deren Tatsächlichkeit nicht zu rütteln ist. Tragisch.

Ich stehe nur ein weiteres Mal vor meiner eigenen, klaffenden Wunde und so, wie ich es nicht wage, den Blick von ihr abzuwenden, so ist es auch ein zu großes Wagnis, sich umzudrehen. Ein innerer, von selbst ausgelöster Drang bringt mich in die Zwangslage, mich mit einer Problematik auseinanderzusetzen und so führte mich mein Weg durchwegs abwesend und entrückt hinaus aus dem Gebäude und hierher an diesen Strand. Ich weiß nicht, was ich hier zu finden erhoffe. Einsichten sind schwer zu erreichen, wenn man sich nicht ihrer Art bewusst ist. Antwort folgt nur auf eine Frage und diese weiß ich nicht zu stellen. Meine Gedanken hängen zurück. Sie befinden sich nicht hier an diesem friedlichen, stillen Ort… sie driften noch immer um die Begebenheit mit Mokuba und meine schier unendliche Ohnmacht.

Zu keiner Zeit hätte ich mir einreden lassen, dass ein schlichtes Telefonat von einem solchen Schwierigkeitsgrad sein kann. Dass es so viele leblose Dinge in mir bewegt und mich in die Lage treibt, in welcher ich mich nun wiederfinde.

Wie drückt man Liebe aus, wenn man sich selbst nicht liebt, frage ich mich und schließe die Augen. Ich kam nie mit Derartigem in Berührung. Liebe war niemals zu mir geströmt und ich frage mich, ob ich diesen Fakt für meine Situation verantwortlich machen kann. Mir steht der Sinn danach, woanders nach der Verschuldung zu suchen und mich selbst von diesem schieren Ballast zu befreien.

Wer machte mich zu dem, den ich nun im Spiegel erblicke?

Traf ich auf einen Widerstand, der mich so derartig verformte?

An welchem ich wohl annäherungsweise zerbrach?

Das Fehlen der Eltern… Gousaburos kalte Herrschaft… soviel liegt hinter mir. Soviel machte meinen Lebensweg aus und ich möchte so viele Menschen verfluchen. Möchte sie bagatellisieren und bezichtigen. Es können nicht meine Fehler sein. Niemals hätte ich Mokuba bewusst den Schaden zugefügt, unter welchem er nun leidet.

Ich öffne die Augen.

Noch immer mit gesenktem Kopf erblicke ich wiederholt den Sand, der mich allseits umgibt. Ich stehe nicht weit vom Wasser entfernt. Vermutlich trennen uns nur wenige Meter und während ich mir diese hellen Körner betrachte, sendet mir mein Verstand seltsame Erinnerungen.

Dieses Gras…

Ich hielt es in der Hand und hatte währenddessen so viele Eindrücke wahrgenommen. Es handelte sich um ein neues, nicht zu beschreibendes Gefühl. Wenn ich mich selbst schon nicht lebendig fühlte, so tat ich es doch durch diese frische, fruchtbringende Erde. Ich bin nicht eins mit der Natur. Selbst jetzt trennen mich die Sohlen der Wajaris von ihr. Sie schützen mich vor dem Dreck der Umgebung. Ich möchte mich nicht beschmutzen, doch unweigerlich denke ich an das Gespräch mit Mokuba.

Hatte er mir nicht diese Fragen gestellt?

Ob ich schon hier gewesen bin?

Ob mir dieser mir fremde Genuss bereits zuteil wurde?

Verbirgt sich etwas hinter diesen Worten?

Ich möchte es herausfinden und blicke um mich wie ein Schurke, der einen versteckten Frevel plant. Aufmerksam, argwöhnisch… doch niemand ist hier. Ein weiteres Mal bin ich alleine und ich zögere lange. Ich betrachte mir die Palmen, betrachte mir das Blattwerk und tue es so, als würde sich dort jemand verbergen. Ich habe Seltsames vor. Augenblicklich lässt mich mein Verstand der erneuten Sinnlosigkeit gedenken, doch ist mir diese Schranke unterdessen nur zu gut bekannt. Ich kann sie inzwischen umgehen. Ich kann es wirklich, indem ich nicht grüble, indem ich nicht hinterfrage. Tief atme ich durch und kehre all den Pflanzen den Rücken. Ich wende mich dem Meer zu und steige vorsichtig aus meinen Wajaris. Ich mag unbehände wirken, ungeschickt und viel zu misstrauisch ob dieser Situation. Doch gleichsam kann ich meine Neugierde nicht verleugnen. Sie ist zu groß, zu immens, um sie ungeschehen zu machen und so setze ich den rechten, nackten Fuß in den Sand.

Hitze…

Er gibt unter meinem Gewicht nach, ich sinke ein wenig ein und lasse den zweiten Fuß folgen. So stehen meine Wajaris kurz darauf unbenutzt neben mir und ich inmitten des feinen Sandes.

Wie fühlt es sich an?

Ich runzle die Stirn, rege die Zehen und spüre das leichte Kitzeln vereinzelter Steinchen. Es ist seltsam und es erscheint mir so sinnlos. Ein weggeworfener Moment, ausgenutzt von Torheit und sinnloser Wissbegier. Es kann mir nicht soviel bedeuten, rede ich mir selbst ein und presse die Lippen aufeinander. Dieser Moment ist kein Heiliger. Es ist ein Moment wie jeder andere auch. Langsam greife ich nach dem Yukata. Leicht beuge ich mich hinab, bekomme ihn zu fassen und hebe ihn an. Ich entblöße meine Beine, lege keinen Wert darauf, den Stoff zu beschmutzen und bleibe nicht lange stehen. Fast ist dieser Sand zu heiß, um zu lange auszuharren. Die Sonne prasselt auf meinen Kopf nieder. Ich spüre ihre Intensität, als wolle mir die Natur ein weiteres Zeichen senden. Um meine Wahrnehmung zu schulen, um mich heimlich zu locken und letztendlich für eine Sache zu begeistern. Ich mache den ersten Schritt, gehe auf das Wasser zu und bemerke, wie umständlich es ist. Die Schritte werden anstrengender, wenn der Fuß einsinkt. Der Sand ergibt sich mir, unterwirft sich und ich ziehe über ihn hinweg wie über glühende Kohlen. Langsam, ungelenk und unsicher. Ich bin festen Boden gewöhnt. Festes Schuhwerk. In diesem Sand bin ich meinem aufrechten, zielstrebigen Gang fern. Ich komme nur langsam voran, achte stets darauf, den Stoff oben zu halten und verfolge jeden meiner Schritte mit den Augen.

Ich tauche ein in ein völlig neues Gebiet und so nähere ich mich dem Wasser. Zögerlich setze ich den Fuß auf den glattgestrichenen, feuchten Sand. Dort, wo die Wellen über ihn hinweg streichen ist er härter, ist wohliger.

Sogleich legt sich die Nässe auf meinen Fuß. Es ist angenehm, nachdem ich die Hitze des Sandes spürte und kaum stehe ich dort, umspielt das Wasser meine Knöchel. Ich nehme auch dieses Gefühl in mir auf, spüre es mit offenem, sprachlosem Mund und verharre gerne an dieser Stelle. Es kitzelt, leicht sinke ich ein, als sich die zierliche Welle zurückzieht und es dauert nicht lange, bis die Nächste folgt. Immerfort, unendlich. Diese Wellen kennen keine Pause. Sie sind stetig und niemals anders.

Das Wasser ist warm, ist angenehm und rasch spüre ich, wie es mich tiefer lockt. Mein Körper ist aufgeregt ob dieses neuen Empfindens. All meine Sinne treffen hier auf einen fremden Genuss und ich könnte es nicht in Worte fassen, hätte ich es darauf abgesehen. Ich kenne keine Worte, die all das umschreiben könnten.

Mein umfassender Wortschatz trifft hier an seine Grenze. Ich erinnere mich an eine ähnliche Begebenheit. Die Sprachlosigkeit, mit der ich Mokuba begegnete. Ich erreichte einen Punkt, der mich wehrlos machte.

Die einzige Möglichkeit besteht darin, diese Besonderheit totzureden mit der mir eigenen kühlen Sprache. Sie würde an Flair verlieren, an Reinheit und so schweige ich auch weiterhin, als ich in langsamen Schritten in das Wasser steige. Mein Kopf bleibt gesenkt, mit stockendem Atem verfolge ich, wie sich das Bild meiner Füße auf dem Grund bricht. Es wiegt sich wie das Wasser selbst und unweigerlich spüre ich einen kleinen Stein unter meinem linken Fuß. Mein Körper scheint sensibilisiert. Jeden Fakt gibt er umso deutlicher an mich weiter, jede noch so kleine Begebenheit und ich raffe den Stoff noch höher, lasse mich noch weiter in das Meer ziehen, bis das warme, klare Wasser bis zu meinen Knien reicht. Zärtlich nimmt es die trockene Haut für sich ein und gedankenlos beginne ich den linken Fuß im Wasser zu bewegen. Ich durchrühre es, hebe ihn ins Freie und bin so gefangen in diesem Moment. Mein stets so kompliziertes Denken erliegt, etwaige Kritik an mir selbst schwächt ab.

Ich tue das Richtige.

Noch nie war etwas Sinnloses so interessant.

Mit einem abwesenden Griff lockere ich meinen Gürtel und klemme den Stoff des Yukata darunter. Ich möchte meinen Händen Freiheit gewähren. Sie sollen teilhaben an diesem Geschenk und so betaste ich bald darauf die Oberfläche des Wassers. Vorsichtig streiche ich mit den Fingern darüber hinweg, tauche ein und atme tief durch. Es ist erfrischend. Meine heißen, angespannten Gedanken scheinen Abkühlung zu finden. Ihr Rumoren in meinem Kopf endet und so ziehe ich weiter, ohne zu grübeln. Es gibt nichts anzuzweifeln, nichts zu hinterfragen. Dieser Moment ist ein Ehrlicher, ist ein Wahrhaftiger.

Ich bewege mich, wate tiefer hinein in diesen blauen, ruhigen Frieden. Wasserpflanzen kitzeln meine Waden, als sie dort über meine Haut streichen. Die Bewegungen kleiner Fische sind auszumachen. Sie bewegen sich in Schwärmen, flüchten vor mir. Sie nehmen mich als genau so fehl am Platze wahr, wie ich es wohl auch selbst empfinde. Mein Kopf bleibt gesenkt, lautlos treibt eine Alge zu mir und ohne zu zögern hebe ich sie von der Wasseroberfläche. Kleine Muscheln haften an ihren verdunkelten, feuchten Blättern. Selbst dieses kleine Ding ist voller Leben und so bleibe ich stehen, um sie mir genauer zu betrachten, sie zwischen den Händen zu bewegen… sie zu spüren.

Das, was in mir zum Leben erwachte, lässt sich nicht betiteln. Wie würde man ihm schaden, wenn man es mit einem Namen beschwert. Es ist der falsche Weg, sich diesem Empfinden zu nähern und so nehme ich es einfach wahr, reibe die nassen Blätter zwischen den Fingern. Sie sind kühl und glitschig. Ein leichter Wind kommt auf. Kitzelnd bewegen sich die Strähnen meines Haares in meiner Stirn und ich säume es mit der Nässe meiner Finger, als ich es zurückstreife. Die kalte Frische legt sich auf meine Stirn, als ich auch diese flüchtig berühre und tief durchatmend lasse ich den Arm sinken und blicke auf.

Ich bin ein Teil dieses Meeres. Es umgibt mich wie eine weite, lebendige Flur. Erfüllt von Leben, von Frieden und Stille. Ein Teil dieser Faktoren scheint geradewegs auf mich überzugehen. Ich spüre, wie sich mein Atem verflacht. Soeben fiel er noch voller Aufregung ob dieser neuen Erfahrung. Ob dieser neuen Umgebung und des ungewohnten Zustandes. Nun legt er sich, bis er annähernd still in meiner Brust rauscht. Leicht gleiten meine Fingerkuppen abermals über die Wasseroberfläche und ich zögere nicht lange, bevor ich den gesamten Arm in dem kühlen Nass versenke, mich hinab beuge und den Grund des Meeres betaste. Meine Finger sinken leicht ein, bevor sie einen kleinen Stein zu fassen bekommen. So richte ich mich auf und betrachte mir dieses Fundstück. Der Stein ist rund. Keine Ecken lassen sich spüren. Keine Kanten. Die Bewegung des Meeres hat zu dieser Gestalt geführt. Es ist angenehm, ihn in der Hand einzuschließen und während ich dies tue, blicke ich auf und mich um. In weiter Ferne glaube ich eine schneeweiße Yacht zu erkennen, doch etwaige Betrachtung erfährt einen Abbruch, als ich ein leichtes Kitzeln an meinen Waden spüre. Sofort senke ich den Blick und erkenne vereinzelte, furchtlose Fische, die meine Haut mit ihren runden Mündern erforschen. Es ist interessant, sie dabei zu betrachten und ich tue es lange und ausgiebig.

Also gibt es doch Lebewesen, die ohne Furcht an mich herantreten und dabei sind sie so klein. Es wäre mir ein Leichtes, sie in der Hand zu zerdrücken, ihnen Schmerz zuzufügen, so wie ich es bei einem anderen Lebewesen tat, das mir stets ohne Furcht begegnete.

Schmerzlich erinnere ich mich an Mokuba und atme tief durch. Die Fische verlieren mein Interesse. Auch, wenn meine Augen auf sie gerichtet bleiben, ich sehe sie nicht mehr. Vielmehr entspringt meiner zaghaften Vorstellung das leidvolle Antlitz eines kleinen Jungen. Eine drückende Schwere senkt sich auf mein Herz. Ich versuche mich wach zu blinzeln und wende mich um.

Es ist ein innerer Antrieb, der mich meine Umgebung prüfen lässt und wirklich… ich erkenne den nächsten Besucher, den es an den Strand verschlug. Es handelt sich um keinen geringeren als um den Mafiosi, der zwei Angestellte des Hauses hinter sich her traben lässt und es scheinbar auf eine der Liegen abgesehen hat. Sein Erscheinen löst eine gewisse Nervosität in mir aus. Vergessen wird die Kühle des Meeres, vergessen dieser Frieden. Er entreißt ihn mir mit seiner Präsenz und gleichsam verspüre ich die Furcht, einen lächerlichen Anblick zu bieten. Hier stehe ich mit hochgestrüffeltem Yukata und bewege mich nicht.

Was für ein Erscheinungsbild muss dies sein?

Ich bin Seto Kaiba… nicht dafür geschaffen, lächerlich zu wirken.

So beginne ich mich zu bewegen. Es treibt mich aus dem Wasser, während sich der korpulente Mann auf eine der Liegen sinken und sich eines der mitgebrachten Getränke reichen lässt. Ich wate zurück zum Strand und erreiche ihn recht rasch. Dennoch will ich es nicht wie eine Flucht erscheinen lassen. Ich fürchte mich nicht vor diesem Mann. Vielmehr fürchte ich mich vor mir selbst und bin wie so oft auch vor niemand anderem auf der Flucht.

Das Wasser perlt von meinen Beinen, als ich zurück an den Strand trete. Mein zielstrebiger Weg führt mich zu meinem Wajaris und ich versuche mein Handeln in eine unwillkürliche Beiläufigkeit zu kleiden, als ich hineinsteige und den Stoff des Yukata von dem Gürtel löse. Sogleich fällt er hinab und verbirgt meine Beine unter sich.

Ein letzter, von Missfallen geprägter Blick trifft den korpulenten Mann, der sich wohlfühlt, bevor ich mich wieder in Bewegung setze und mich daran mache, den Strand zu verlassen. Ich entscheide mich dazu, zum Gebäude zurückzukehren. Was ich dort zu tun gedenke, kann ich auch später entscheiden und wenn ich das Ziel erreiche. Ich verlasse diesen Ort, doch nehme die wertvolle Erinnerung mit mir. Ganz zaghaft halte ich sie umfasst, stetig in der Angst, sie könnte zerbrechen. So fragil ist sie… so edel und verletzlich. Ich lasse mir Zeit, setze mich keiner Hast aus und dann sehe ich jenes Gebäude vor mir und bleibe stehen. Erst jetzt können sich meine Grübeleien anderen Gebieten widmen. Viel zu gefangen waren sie in diesem noch nie erlebten Moment, doch nun scheinen sie sich zu befreien und kehren graduell in die Gegenwart zurück. Dorthin, wo sie hingehören. Von den beiden Portiers lösen sich meine Augen, kaum, dass sie auf sie trafen. Ich blickte hinauf, betrachte mir die Fassade des Gebäudes. Die Sonne spiegelt sich in dem sauberen Glas wider. Die Reflexion blendet mich und so beschatte ich meine Augen mit der Hand und blinzle unter dieser Helligkeit. Zufällig richten sie sich anschließend auf einen hochliegenden Balkon. Dort nahm ich eine Bewegung wahr und auch, wenn mich eine weite Entfernung von diesem Balkon trennt, so erkenne ich doch den blonden jungen Mann, der sich dort oben an die gläserne Absperrung lehnt. Die Hand zum Ohr erhoben… er scheint ein Handy in der Hand zu halten und kaum habe ich ihn erspäht, da richtet er sich auf, wendet sich ab und verschwindet. Seine Bewegung verrät eine gewisse Hektik. Er scheint aufgebracht und nachdenklich wende ich den Blick von dem Balkon ab.

Es existieren neue Fragen in mir… neue Mysterien machen mir das Leben schwer, doch ich kenne jenen Menschen, der Antworten besitzt. Soeben sah ich ihn noch. Nun entzieht er sich meinen Augen und ich zeige kein Zögern, als ich weitergehe, zielstrebig auf den Eingang des Gebäudes zu. Und wie ernüchternd ist dabei die Erkenntnis, welch eine Abhängigkeit zu diesem Menschen besteht. Er selbst brachte mich in diese Lage durch seine flehenden Worte, all seine Verzweiflung brachte mich zu dem Punkt, auf welchem ich nun verharre, den ich nicht mehr verlassen zu können glaube. Er drückt mich ebenso nieder, wie es mich aufbaut. Ein tiefer, gähnender Zwiespalt verdunkelt mein Gesicht, als ich den Eingang erreiche und abrupt inne halte.

Reglos stehen die beiden Portiers vor mir. Starr driften ihre Blicke an mir vorbei und nachdenklich spähe ich von einem zum anderen. Jonnouchis Worte erwachen in mir zum alten Leben. Ja, er tat es und genoss einen Erfolg, indem er mit einem von ihnen sprach. Mit welcher Leichtigkeit er mir davon berichtete… mit was für einer Selbstverständlichkeit und konzentriert arbeite ich daran, meine Mimik zu entspannen. Zu drohend muss ich wirken, zu verbittert… gerade so, als gäbe es keine freundlichen Worte in mir. Meine verzerrten Lippen machen nicht den Eindruck, zu etwas derartigem imstande zu sein und dennoch will ich es versuchen. Wie verfluche ich diese neu entdeckte Neugierde, die mich bewegt. Wie verabscheue ich sie in all ihrer Kraft, in all ihrer Stärke. Sie scheint allmächtig und ich bleibe der Unterworfene.

Zielstrebig richten sich meine Augen auf den einen von ihnen. Jener mit den Töchtern, der weitaus gesprächiger zu sein scheint, als er tut. Ich atme tief durch. Wie seltsam muss mein anhaltendes Innehalten wirken. Wie nichts Ganzes und nichts Halbes, doch ich suche bereits nach Worten, die diesem Moment angemessen sind.

Doch was soll ich sagen?

Wie ein Gespräch beginnen?

Es war doch stets meine Aufgabe, wenn ich meinen Geschäftspartnern gegenübersaß, doch der Inhalt spielt die größte Rolle. Es stellt kein Problem für mich dar, über das Business zu sprechen. Nie fehlten mir die Worte, nie die Bereitwilligkeit, an der es nun mangelt. Kurz glaube ich, zu Worten fähig zu sein, doch ebenso rasch verebbt diese Willigkeit und ich bleibe stumm und unentschlossen. Ich habe gegen die Verachtung zu kämpfen, mit der ich diese beiden Menschen früh belegte. Ebenso wenig sehe ich den wahren Grund, ihnen kulant zu begegnen. Was bringt es mir für Erfolge, derartiges zu tun und weshalb treibt mich mein Inneres dennoch?

Ich spreize die Finger, balle die Hand zur Faust und atme kontrolliert aus.

Schieres Versagen… schiere Unfähigkeit.

Und mein Gesicht verfinstert sich zusehends, als ich mich wieder in Bewegung setze, den Weg wähle, der zwischen ihnen hindurchführt und das Gebäude betrete. Und sie bleiben schweigsam, während ich mich ihren Blicken entziehe, während ich vor Begebenheiten flüchte, die jedes Kind besser beherrscht. Mein Gesicht ist finster genug, um den Mann von der Rezeption abzuschrecken. Regelrecht spüre ich, wie er den Mund öffnet und ihn ebenso rasch wieder schließt. Fast flüchtend verlieren sich seine Augen von ihrer zielstrebigen Suche und so erreiche ich den Fahrstuhl ungestört und betätige jenen Knopf. Ich will zu diesem Balkon, ich will zu Jonnouchi und wirklich… ich finde mein Ziel problemlos. Ich biege um eine Ecke und schon sehe ich jenen Balkon vor mir und der aufgebrachte Verhalten des jungen Mannes. Verkrampft hält er das Handy am Ohr, reibt sich das Gesicht und kehrt mir kopfschüttelnd den Rücken. Wie muss ihn dieses Telefonat aufwühlen… wie schwer muss es ihm fallen und ich verliere mich in keinem Zögern. Ich gehe weiter. Ein scheinbar privates Gespräch hält mich nicht von meiner Planung ab und ich höre ihn zischen, als ich die gläserne Tür öffne und zu ihm hinaustrete.

„Oudrey!“, faucht er und beginnt einen nervösen Spaziergang. „Listen to me!“

Ein Stöhnen zeugt davon, dass man seiner Bitte nicht nachkommt. Erneut schüttelt er den Kopf, während ich die Tür hinter mir schließe und um mich blicke. Vereinzelte Liegen laden dazu ein, sich niederzulassen und doch wähle ich einen der weitaus weniger bequemen Stühle. Beinahe meine ich die Stimme seines Vaters zu vernehmen. Von der Leitung scheint sie direkt bis zu mir zu dringen… erhebt sich aufgebracht und laut. Er scheint sich einiges anhören zu müssen und auch, wenn ich über recht wenig Geduld verfüge, ich lehne mich zurück und strecke die Beine von mir. Nur flüchtig blickte Jonnouchi in meine Richtung, bevor er die Lippen aufeinander presst und sich erneut abwendet. Er fährt sich aufgebracht durch das blonde Haar, senkt den Kopf und bettet die Hand im Nacken. Sein folgendes Nicken zeugt von einer verzweifelten Unterjochung. Er scheint nicht gegen seinen Vater anzukommen und wieder beginnt er sich zu bewegen. Sein Weg führt ihn wenige Schritte zur Seite, führt ihn zurück zum Geländer, auf welches er sich schnaufend stemmt.

„Don’t bother me with that! Mark my words and stop saying something in a roundabout way! I’m old enough to bear the brunt!“ Er stemmt die Hand in die Hüfte, zischend atmet er ein und doch bleibt ihm letztendlich nur jenes Schweigen, das man von ihm gewöhnt ist, wenn er seinem Vater gegenübersteht. Ich falte die Hände auf dem Bauch, spähe an ihm vorbei und betrachte mir die Wolken, die friedlich über uns hinweg ziehen. So atme ich tief durch.

„What did you say?! Oudrey, what the hell…!“, stöhnt er wieder.

Nicht das Wort ‚Dad‘ in den Mund zu nehmen, ist eine Begebenheit, mit der auch ich mich verbunden fühle. Ich treffe hier auf eine Kluft, die ich nur zu gut kenne. Ich könnte es genauso gut sein, der darum bittet, Gehör geschenkt zu bekommen. Nur wäre dies lange her.

„I will not bear your egoistic plans. You have to…“ Erneut wird er unterbrochen und stößt ein lautes Ächzen aus. Sein Gesicht ist zu einer Grimasse verzogen, als er sich um einen Schritt vom Geländer entfernt und es vergehen nur wenige Momente, bis sich seine Stimme umso lauter und aufgebrachter erhebt. Er schreit. „Don't interrupt m…!“

Es handelt sich um ein Gespräch, das wenig Sinn enthält und schweigend verfolge ich, wie er nach wenigen Augenblicken weit mit dem Handy ausholt und es über die Absperrung schleudert. Er wirft es hinab in den Wald und stemmt sich keuchend auf das Geländer. Erneut schüttelt sich sein Kopf, er sinkt tiefer und lange verharrt er so, bis er sich aufrichtet, tief durchatmet und sich das Haar zurückstreift. Er ringt augenscheinlich um Fassung und ich betrachte mir meine Fingernägel und gönne ihm noch wenige Momente, um wieder zu sich zu finden.

„Fertig?“, frage ich dann süffisant und lege größten Wert auf meine Fassade.

Ihm gegenüber Schwäche zu zeigen, ist ein Ding, das ich allmählich Leid bin. Ich kenne seine erschreckende Fähigkeit, meine Fassade zu umgehen, doch kampflos werde ich nimmer kapitulieren. Versuche sind es durchaus wert und so falte ich die Hände auf dem Bauch und mustere ihn mit indolenter Überheblichkeit. Ich tue es, obgleich ich mir der Tatsache bewusst bin, mich mit der folgenden Frage zu demütigen. Ich werde ihm einen weiteren Teil meiner korrupten Seele offen vor die Füße legen, doch diesen Schmerz werde ich ertragen, denn ich handle zur Gunst eines anderen Menschen. Des einzigen Menschen, an dem mir wirklich etwas liegt. Ich bin mir nicht sicher, ob Jonnouchi mir die nötigen Antworten geben wird… ob er es will, ob er es kann, doch ich lege es auf diesen einen Versuch an und wende den Blick ab, während er sich mit der Hand über den Mund fährt. Noch immer ringt er mit der inneren Aufregung, stemmt die andere Hand in die Hüfte und wendet sich der gläsernen Absperrung zu.

Noch schenkt er mir keine Beachtung und ich nutze die Gelegenheit und hole meine Zigaretten hervor. Eine ziehe ich hervor, werfe die Schachtel auf den kleinen Tisch und suche nach dem Feuerzeug. Stille herrscht zwischen uns. Schweigen. Eine Ruhe, in der mein Feuerzeug laut klickt. Ich ziehe den Rauch in meine Lunge, lehne mich zurück und ich spüre, dass mir sein Schweigen missfällt. Er hat zu ahnen, dass mich mein Weg nur zu ihm führt, wenn ich etwas auf dem Herzen habe. So hat er aufmerksam und mir eine Hilfe zu sein, ohne, dass ich eine Aufforderung auszusprechen habe. Mehr verlange ich nicht, doch noch immer kehrt er mir den Rücken und stemmt sich auf diese Absperrung. Er scheint wenig gesprächig. Das Telefonat muss große Auswirkungen annehmen, es muss ihn getroffen haben, doch ich bin nicht der Meinung, diese Problematik zu meiner zu machen.

„Hey“, erhebe ich bald darauf die Stimme und bewege die Zigarette nahe den Lippen. Ich erwarte eine Reaktion. Und wirklich. Er dreht sich, wendet das Gesicht zu mir und schickt mir einen Blick, der an Verachtung grenzt. Nichts, das mich erreicht, nichts, das mich trifft. Vielmehr noch wende ich die Augen ab, entgehe dem Frust, der sich gegen mich richtet. „Ich habe eine Frage.“

Er bot es mir an und nun handle ich lediglich in dem Rahmen, den er mir vorgab. Ich besitze das Recht dazu und mache mir nichts aus seinem Betragen. Ich vernehme ein leises Stöhnen, Kopfschüttelnd wendet er sich wieder der Tiefe zu und reibt sich die Stirn.

„Selbstverständlich, Mr. Kaiba“, höre ich ihn dann leise murren. „Was ist schon mein Leben, wenn es um das Ihre geht?“

Ich verschließe meine Ohren vor seinem Hohn, vor seinem giftigen Sarkasmus. Die Frustration, die er erfuhr, hat nichts mit mir zu tun und so gebe ich mich unbeteiligt.

Spricht er von einem Tausch?

Habe auch ich zu geben, bevor ich nehmen kann?

Aus den Augenwinkeln finden meine Augen zu ihm zurück. Verstohlen und scharf mustere ich ihn, mustere seinen Rücken, da er ihn mir noch immer entgegenstreckt. Ich höre ihn stöhnen. Seine Gedanken scheinen zurückzuhängen, er ist nicht im Hier und Jetzt und ich beginne zu grübeln. Im Grunde sehe ich keine Möglichkeit, ihm eine Hilfe zu sein. Ich sehe es nicht einmal darauf ab, Interesse zu heucheln, gar Anteilnahme. All das liegt mir fern. Mir fehlt ebenso die Lust, mich mit seinen Problematiken auseinanderzusetzen, doch erwarte dennoch, dass er es bei den meinen tut. Es entspricht nur dem Angebot, das er mich erteilte. Das Angebot, dessen Akzeptanz ich mit viel Schmerz erkaufte.

Plötzlich beginnt er sich zu bewegen. Er richtet sich auf, wendet sich mir zu und als sich seine Augen auf meine Zigaretten richten, reiche ich ihm die Schachtel. Er nimmt sie entgegen und kurz darauf rauchen wir gemeinsam. Er scheint es dringend nötig zu haben, mit Drogen sein Gemüt zu beruhigen und so raucht er in tiefen, großen Zügen. Er hustet nicht. Es kann nicht seine erste Zigarette sein und durchaus abwesend starre ich auf das saubere Glas der Absperrung. Mein Denken driftet zurück zu Mokuba, driftet zurück zu seinen Worten und sogleich entspannt sich mein Gesicht.

Jonnouchi lässt sich auf dem Nebenstuhl nieder und streckt die Beine von sich. Rauch dringt aus seiner Nase, während er sich meiner absenten Betrachtung anschließt. Er kreuzt die Beine, lehnt sich zurück und kurz darauf höre ich ihn zum erneuten Mal stöhnen.

„Was hast du auf dem Herzen?“

Kapitulation.

Er unterwirft sich meiner Problematik. Gerade so, als wüsste er, dass ich ihm keine Hilfe sein kann und es ebenso wenig will. Sogleich werde ich wach, sehe ihn an und flüchte ebenso rasch vor seinem Blick.

Wo soll ich beginnen?

Wo aufhören?

Ich schweige und er raucht gemächlich und drückt den Zigarettenstummel in den edlen Aschenbecher.

Wie kann ich die Frage formulieren, ohne Hilflosigkeit zum Ausdruck zu bringen? Wie den Rest meiner Ehre schützen? Wie meinen Stolz?

Das Nachdenken fällt mir schwer, doch dann erhebt sich meine Stimme, als würde sie durch Geisterhand geführt.

„Kann man Liebe erlernen?“, flüstere ich leise und sogleich blickt er mich an.

Ist er überrascht?

Unwissend der Antwort gegenüber?

Doch wen soll ich sonst fragen? An wen mich richten?

Er ist der einzige, mit dem ich einen Pakt schloss. Der einzige, mit dem mich etwas verbindet und wenn es auch nur die Not ist.

„Mm-mm.“

Und er schüttelt den Kopf.

Ein Stich erfasst mein Herz. Ein reger Schmerz, den ich sofort hinunterschlucke.

Ich bin verloren, geht es mir durch den Kopf. Und nicht nur ich. Auch Mokuba reiße ich mit in mein Verderben, ohne, dass er die geringste Schuld daran trägt.

Werde ich ihn niemals lieben können?

Mein Herz wird mir schwer. Schmerzhafte Schläge treffen die einzige Stelle, die imstande, Pein zu empfinden, doch kurz darauf spüre ich Jonnouchis Blick.

„Liebe kann man nicht erlernen“, fährt er leise fort. „Denn Liebe steckt in jedem von uns. Wir müssen sie nur finden.“

Eine Datei, geht es mir durch den Kopf.

Eine winzige Datei, in der die Liebe abgespeichert ist.

Sie habe ich zu entdecken?

Innerhalb von tausend anderen?

Ich senke die Lider, atme tief durch, doch ich sehe ihn: Den Hoffnungsschimmer.

Sie steckt also in mir?

„Liebe ist wie eine hohe Kunst“, höre ich Jonnouchi leise sagen. „Man verlernt sie, sollte man sie nicht regelmäßig praktizieren, sollte man sie nicht regelmäßig nutzen.“

„Meine Liebe ist verschollen“, antworte ich nachdenklich.

Materialismus…

Eigennutz…

Narzissmus…

All diese Dinge vergruben die zarte Liebe unter sich und wie bete ich, dass sie nicht zu Bruch ging unter jenem schweren Gewicht. So zerbrechlich wie sie ist, so fragil.

„Unterschätze die Liebe nicht“, meint Jonnouchi dazu. „Sie ist vielleicht zerbrechlich, doch das ist der Mensch auch. Und wir wissen es alle, wie stark der Mensch dennoch sein kann, unter seiner sterblichen Hülle.“

„Wie zeigt sich die Liebe denn?“, möchte ich wissen und Jonnouchi juckt sich an der Wange, grübelt.

„Wahre Liebe“, hebt er an, „zeigt sich, ohne, dass man nach ihr befiehlt. Sie stellt sich keinen Aufforderungen, sondern lenkt unser Handeln ganz von allein. Du wirst niemanden mit ehrlicher, wahrer Zuneigung umarmen, wenn du es dir selbst verordnest. Wirst niemandem über die Wange streicheln, weil es deine Pflicht ist. Tust du es dennoch, so sind es nichtige, belanglose und kalte Berührungen, deren Leere der andere durchaus zu spüren in der Lage ist.“ Wieder lehnt er sich zurück und ich höre ihm aufmerksam zu, starre auf meine Hände und auf die Zigarette, deren Hitze allmählich den Filter verschmort.

Nichtige…

Belanglose…

Kalte…

Ist es das, worunter Mokuba leidet?

Ist es das, was dein zartes Gemüt deutlich spürt?

Sah er die Lüge hinter den Taten, die ich als aufrichtig und ehrlich empfand?

Wie schwer das Leben doch ist…!

Verzweiflung greift nach mir. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese hohe Kunst jemals beherrschen werde.

Wird sie mir zuteil?

Werde ich Mokuba jemals umarmen, jemals streicheln, weil ich ihn aus tiefstem Herzen liebe?

Jonnouchi scheint es zu spüren, wahrzunehmen. Wie ich mich selbst gräme. Er sieht mein Leid, meine Zerrissenheit und mustert mich lange, ohne, dass ich seine Aufmerksamkeit erwidere. Ich möchte ihn nicht ansehen, will nicht, dass er diese Schwäche in meinen Augen liest, so offensichtlich wie sie ist.

„Du solltest dich selbst mit mehr Feingefühl behandeln“, höre ich ihn dann sagen. Er wendet sich mir zu, stemmt die Ellbogen auf die Knie. „Für mich bestehst du aus groben Klötzen, die keine Feinheiten zulassen. Deine Bewegungen sind zu zielstrebig, zu durchdacht, deine Berührungen zu überlegt, als dass sie zärtlich sein könnten. Versuche diese groben Klötze zu splitten. Teile sie auf in mehrere kleinere Teile und erkenne, was zwischen ihnen liegt. Unauffällig und verborgen in den innersten Tiefen deines Wesens, deines Bewusstseins.“

„Wie schaffe ich es?“, möchte ich wissen und Jonnouchi überlegt erneut. Dieses Problem scheint nur mich zu betreffen. Er selbst hat es wohl perfektioniert.

Er lebte und er liebte.

In Domino.

Liebte seine Freunde, liebte früher auch seinen Bruder auf eine Art und Weise, die mir fern ist.

Liebte seine Mutter…

Einen Menschen, den ich niemals hatte.

Ich benötigte wohl jene groben Klötze, um neben Gousaburo zu bestehen, um neben ihm und seinem granitfesten Wesen existieren zu können. Wie wäre ich zerbrochen, hätte ich aus fragilen, kleinen Teilen bestanden. Ich habe mich angepasst, ohne Mokuba zu berücksichtigen. Die Not spricht aus diesem Handeln, die gesamte Dramatik der Vergangenheit, die eine andere hätte sein sollen. Dinge kamen, wie sie nun einmal kamen. Ich hatte mich anzupassen, mir eine Zukunft aufzubauen und wie schwer war dieses Schaffen, wie oberflächlich und grob.

Mokuba ging unter.

Ich überlebte und zerrte seine leere Hülle durch meine Existenz.

Wo blieb seine?

Ich presse die Lippen aufeinander.

Es erscheint so schwierig, so unerreichbar, wie ich es nicht gewöhnt bin. Stets setzte ich mir hohe Ziele. Nicht hoch und kompliziert genug konnten sie sein und dennoch erreichte ich sie und sonnte mich in dem Licht, das sie auf mich warfen.

Wo ist diese Zielstrebigkeit?

Wo die Entschlossenheit, auch dieses Ziel zu erreichen?

Ich fühle mich machtlos.

„Ich war am Strand“, hebe ich leise an, „im Wasser.“

Jonnouchi schweigt und ich atme tief durch.

„Mokuba fragte mich, ob ich es bereits spürte… ob ich in diesen Genuss kam und ich ließ mein nur auf zweckmäßige Angelegenheiten gerichtetes Denken zurück und stieg in dieses Wasser und fühlte die Frische, dieses Leben. Es schien wie eine parallele Existenz, die mit einem Mal in meine hineinreicht.“

„Wie fühlte es sich an?“, möchte Jonnouchi wissen und ich suche nach Worten.

Darf ich es betiteln?

Geht es nicht zu Bruch, wenn ich es in den Mund nehme?

Wenn ich es einteile in Wortarten und Beschreibungen?

„Wie die Erde“, sage ich irgendwann und nicke in mich hinein. „Fremd und doch erfrischend.“

„Deine Augen richten sich auf neue Dinge, lassen Altes zurück und stufen es in Nichtigkeiten und Werte ein. Du hast Platz zu schaffen für diese neuen Gefühle, also streife Unzweckmäßiges von dir und betrete die neuen Gebiete, ohne voreingenommen zu sein.“

Noch immer bin ich aufmerksam, so voller Neugierde.

„Abstreifen“, murmle ich leise und Jonnouchi nickt.

„Was ist Perfektionismus, wenn man ihn mit der Macht der Natur vergleicht? Selbst die Natur ist fehlerhaft, doch gerade dadurch so wundervoll. Wir würden sie nicht lieben, bestünde sie aus akkuraten Formen und zurechtgeschnittenen Grenzen.“

Bestehe auch ich aus jenen akkuraten Formen?

Aus zurechtgeschnittenen Grenzen?

„Du hast einen Anfang gemacht“, sagte Jonnouchi da. „Etwas, das ich dir nicht zutraute.“

Ich traute es mir selbst auch nicht zu und dennoch tat ich es.

Es zeigt doch, dass ich bereit bin, Grenzen zu überschreiten. Auch bereit dazu, Neues zu erfahren und zu suchen, was mir fehlt. Kann mich diese Bereitschaft nicht auch zur verschollenen Liebe führen, die tief in mir schlummert und nur darauf wartet, entdeckt und genutzt zu werden?

„Versuche auf Dinge zu achten, die für dich noch nie von Bedeutung waren. Finde ihre Feinheiten und sei auch offen für andere Menschen. Behandle sie so, wie du behandelt werden willst und stelle dich über niemanden, sollte es auch ein Bettler sein, der vor dir steht. Die Liebe zu finden, wäre ein zu großer Schritt für dich, so lerne und praktiziere erst einmal Akzeptanz. Das ist Anfang genug.“
 

~*tbc*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2011-01-23T09:45:27+00:00 23.01.2011 10:45
Ui,das lässt ja alles hoffen. Kaiba kriegt das schon gebacken,halt nur in kleinen schitten.^^
Von: abgemeldet
2010-12-10T13:53:20+00:00 10.12.2010 14:53
Was für ein wunderwunderwunderschönes Kapitel!!;_;
es war so toll als Kaiba in das Wasser gegangen ist und wie er mit Jonnouch i spricht finde ich eh jedes Mal so toll. Das ist immer voller weisheit!
Von:  Umi
2010-10-19T14:02:21+00:00 19.10.2010 16:02
So, dann wollen wir mal :D ... in der Hoffnung, dass ich nicht irgendwie davon beeinflusst wurde, dass ich beim Lesen die ganze Zeit das hier gehört hab ^^' Aber irgendwie passen die Lyrics ziemlich gut zu dem, was ich in der Story sehe und... nun ja, genug, nun erst mal zur Story selbst :)

Awww, er ist also wirklich Mokubas Empfehlung gefolgt und an den Strand gegangen... und emo-t, ich meine, hängt dort jetzt seinen Gedanken und, so ungewohnt das für ihn auch ist, Gefühlen nach.
>>Meine Gedanken hängen zurück. Sie befinden sich nicht hier an diesem friedlichen, stillen Ort… sie driften noch immer um die Begebenheit mit Mokuba und meine schier unendliche Ohnmacht.<<
~~> Ich liebe dieses immer wiederkehrende Aufgreifen seiner Unfähigkeit, sich in der Welt, in der die meisten anderen sich bewegen - also alles, was außerhalb seines Büros und diverser Duellarenen liegt und mit zwischenmenschlichen Interaktionen zu tun hat - zurechtzufinden und seine Unsicherheit, nun wo er so langsam begreift, dass da draußen wohl wirklich etwas zu liegen scheint, was er braucht (und wo er gebraucht wird), was er vorher nie in Erwägung gezogen hat :) Das ist diese Art von Unsicherheit, die ich immer schon in Seto gesehen und die mich immer schon fasziniert hat (und bei der ich es schade finde, dass ich damals, als ich noch in dem Fandom unterwegs war, noch nicht so ganz die richtigen Worte hatte, um das genau so zu formulieren).

>>Ob mir dieser mir fremde Genuss bereits zuteil wurde?
Verbirgt sich etwas hinter diesen Worten?
Ich möchte es herausfinden und blicke um mich wie ein Schurke, der einen versteckten Frevel plant.<<
~~> ... Gott, er ist so süß *das dann doch mal einfach loswerden muss* ... nein, ehrlich, er ist einfach nur... nun ja, eben süß... so ungeschickt und unsicher und verkrampft, wie er erst misstrauisch einen Fuß auf den Sand setzt und abwartet, wie das ist, bevor er den zweiten auch nur auszieht und... ach, Gottchen... Ich find es herrlich, wie sehr du diesen Moment in all seinen Einzelheiten beschreibst und wie viel Zeit/wie viele Zeilen du ihm widmest :) Und eben auch, dass Seto ihn ganz allein erlebt, unbeobachtet, heimlich, eben einfach genau so, wie es bei ihm die einzige Möglichkeit zu sein scheint, sich wenigstens ein bisschen gehen zu lassen.

Und auch alles weitere ist einfach nur schön, interessant und vor allem realistisch rübergebracht - wie jeder Schritt in Richtung Hotel in wieder näher zu dem, was er als Realität gewohnt ist, zurückbringt und eben auch, wie er noch längst nicht an dem Punkt ist, so etwas wie ein belangloses Gespräch anfangen zu können.

Und da haben wir dann auch schon wieder den Jou :) Wie immer sehr interessant und - trotz der wahrgenommenen Gemeinsamkeiten - distanziert aus Setos Sicht beschrieben, wobei ich es wirklich einfach nur herrlich finde, wie er es sich da bequem macht, die Hände verschränkt, Jou mustert und dann einfach seelenruhig die Wolken beobachtet XD
>>Er ringt augenscheinlich um Fassung und ich betrachte mir meine Fingernägel und gönne ihm noch wenige Momente, um wieder zu sich zu finden.<<
~~> einfach nur *lol* XD

>>So hat er aufmerksam und mir eine Hilfe zu sein, ohne, dass ich eine Aufforderung auszusprechen habe. Mehr verlange ich nicht<<
~~> ... *lol* hatte ich schon erwähnt? XD Typisch Seto

>>Selbstverständlich, Mr. Kaiba“, höre ich ihn dann leise murren. „Was ist schon mein Leben, wenn es um das Ihre geht?“<<
~~> Und typisch Jou :)

>>„Was hast du auf dem Herzen.“<<
~~> ... Fragezeichen statt Punkt? o.o

>>„Kann man Lieb erlernen?“<<
~~> LiebE ;)

>>„Liebe kann man nicht erlernen“, fährt er leise fort. „Denn Liebe steckt in jedem von uns. Wir müssen sie nur finden.“
Eine Datei, geht es mir durch den Kopf.
Eine winzige Datei, in der die Liebe abgespeichert ist.<<
~~> ... uhm, ja, so ähnlich, du musst nur Start -> Suchen... anwählen und da dann "Liebe" eingeben und dabei nicht vergessen, auch "Dateiinhalte durchsuchen" oder wie der Spaß noch mal heißt anzuklicken... Moment, uhm... nein *lol* Spaß beiseite, ich find es niedlich und eben auch sehr typisch für ihn, dass er sofort nach Parallelen zu den Dingen, mit denen er sich auskennt, sucht um sich an diesen zu orientieren <3

Jounouchi sollte Guru werden. Eine eigene Life-Coaching Agentur aufmachen oder so. Zumindest wäre das mein Tip, wenn er nicht finanziell schon so gut gepolstert wäre, denn dann könnten verstockte, steife Typen von Setos Art, die es vermutlich/garantiert zu Tausenden da draußen gibt, ihn für seine Weisheiten immerhin bezahlen. An dem Punkt finde ich es fast ein wenig schade, aufgrund der POV dieser Story nicht mehr über Jous Gedanken erfahren zu können, aber vielleicht ergibt sich da auf anderem Wege ja später noch mal was :)

Tja, ich bin durch, also... zum Kapitel allgemein... ich glaube, bisher ist es tatsächlich eines meiner Lieblinge (wobei ich das wihl wirklich erst genau sagen können werd, wenn ich alle noch mal durchgelesen und nicht nur zur Erinnerung überflogen hab), weil es, wie auch Seto selbst, im Vergleich zu den vorherigen, speziell den ersten paar, so lebendig wirkt - Setos Sichtweise und wie er sich immer mehr dem "Leben" bzw eben "lebendig sein" öffnet schlägt sich deutlich in der ganzen Atmosphäre der Story nieder :) Wirklich schön. Bin gespannt, wie es weitergeht.
Und auch wenn es vermutlich noch eine ziemliche Weile dauern wird, ich freu mich wirklich wirklich wirklich schon darauf, wenn die Story vollständig ist, weil ich sie dann endlich am Stück von Anfang bis Ende lesen kann *____*''' *und ja, da auch gerne noch mal fünf Jahre wartet, es das auf jeden Fall wert ist*

...
Ach ja, uhm... "Toll, weita!!1eins!!elf! *Käkse dalas*" :D


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