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Nichts als Reichtum

~*~
von

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~Abhängigkeit~

~*Kapitel 7 – Abhängigkeit*~
 

Lahm trete ich in den Flur hinaus, taste hinter mir nach der Klinke und schließe die Tür. Nach einer einstündigen Dusche, der Einnahme verschiedener Medikamente und einem ausgewogenen Frühstück, fühle ich mich besser. Müdigkeit plagt mich prinzipiell nicht, wenn ich eine Nacht nicht mit Schlaf verbringe, mein Körper ist es gewohnt, hat sich bereits darauf eingestellt. Ebenfalls gelang es mir, meine Gedanken zu ordnen und nun ist es mir wichtig, einen ungestörten Ort aufzusuchen, ich sah den Strand dafür vor. Ich will nachdenken, denn tief in meinem Inneren machte sich während der einsamen Stunden ein drückendes Gefühl breit, steigt direkt aus meinem Unterbewusstsein empor und irritiert mich. Ich vermag meinen Zustand nur schlecht zu beschreiben, noch nie fühlte ich derartiges.

Neben der Aggression, die der Mann zu spüren bekam, der mir das Frühstück servierte, existiert ein anderes Befinden, das ich nicht zu definieren weiß. Ich möchte nicht sprechen oder mich mit jeglichen Dingen beschäftigen. Ich möchte niemanden sehen und alleine sein. Mit trägen Schritten gehe ich durch den Flur, bin auf dem Weg zum Fahrstuhl. Ich erreiche ihn schnell, meine Suite ist nicht weit von ihm entfernt.

Bald biege ich langsam um eine Ecke und erblicke zwei Frauen, der extravaganten Art, die ebenfalls auf den Fahrstuhl zu warten scheinen. Lästig schlägt mir das hysterische Kichern entgegen, die Diamanten und der weitere Goldschmuck blenden mich. Ich gehe weiter, steuere auf sie zu, ohne das ich vorhabe, gemeinsam mit ihnen, die Kabine zu betreten. Nein, ich werde wohl die Treppen nutzen. Die Anstrengung nehme ich gern in Kauf, um meine Ohren und die geschwächten Nerven zu schonen.

Sie beachten mich nicht, schütteln ihr Haar und krächzen wie Krähen. Gemächlich verstaue ich die Zigarettenschachtel im Umschlag meines Yukatas, während ich mit gesenktem Kopf an ihnen vorbeiziehe. Kurz darauf ertönt hinter mir die leise Glocke und die Frauen betreten den Fahrstuhl. Ich selbst erreiche einen luxuriösen Aufenthaltsraum. Die Deutschen scheinen sich nicht nach Erholung zu sehnen. Wie jeden Tag auch, sitzen sie lachend in einer Ecke und rauchen. Im Gegensatz zu den beiden Frauen, werden sie auf mich aufmerksam und sie verstummen, bis ich die kunstvolle Treppe erreiche und gemächlich auf ihr verschwinde.

Kurz darauf nehme ich das Gelächter wieder wahr. In meinem Kopf breitet sich ein stechender Schmerz aus und also taste ich nach dem Geländer, um sicherer hinabsteigen zu können. So erreiche ich den Aufenthaltsraum der zweiten Etage, der dem oberen in jedem kleinsten Punkt ähnelt. Ihn muss ich wieder durchqueren, um die Treppe zu erreichen, die mich in die erste Etage führt. Ich steige von der letzten Stufe, meine Augen richten sich auf den Boden und ich mache mich auf den Weg. Dieser Aufenthaltsraum ist leer, nur ein Angestellter huscht von einer Tür zur anderen. Kurz darauf erreiche ich die Treppe, fasse nach dem Geländer und steige sie hinab.

Ich sehne mich nach dem Fahrstuhl, unter den Folgen des übertriebenen Alkohols leidend, lässt sich der Weg schwerer bewältigen. Ich betrachte mir die kunstvollen Stufen, betrachte mir auch meine Füße, wie sie sich auf ihnen absetzen. Meine Schultern heben sich unter einem tiefen Atemzug und mit jedem Schritt sehne ich mich mehr nach der Stille. Ich will dieses Haus verlassen, mein Befinden ängstigt mich. Ich nähere mich dem Ende der Treppe, neben deren Geländer erscheint bereits der Aufenthaltsraum der ersten Etage. Ich komme meinem Ziel näher und blicke auf, als ich plötzlich eine leise Stimme wahrnehme. Der erste Eindruck dieser Stimme missfällt mir. Sie klingt scharf und streng, wirkt gnadenlos und eiskalt.

Sie dringt aus der Ferne zu mir und ich drehe mich zur Seite, um von der Treppe in den Raum blicken zu können. Meine Augen beginnen zu suchen und kurz darauf erblicke ich jenen Mann, der, stolz aufgerichtet, in einem der wegführenden Gänge steht. Seine Haltung wirkt unumstößlich, steinern... eisern! Ebenso strahlt sie pure Verzogenheit und Arroganz aus. Meine Hand verbleibt auf dem Geländer, ich trete näher an dieses heran, lege auch die zweite darauf ab. Ich erkannte ihn sofort.

Es ist kein anderer als Oudrey Brown, der Inhaber der XanexxBrown-Corporation. Ich starre ihn an, vernehme seine Stimme weiterhin. Er spricht schnell, die einzelnen Worte vermag ich nicht zu verstehen. Er spricht schnell und streng, beinahe schon drohend zu dem blonden jungen Mann, der vor ihm steht. Jonouchi! Er hält die Arme vor dem Leib verschränkt, starrt zu Boden und schüttelt langsam den Kopf, während er den Worten seines Vaters gnadenlos ausgeliefert ist. Und im Gegensatz zu diesem gibt er eine wahre Witzfigur ab, scheint hinzukommend außerdem an Größe zu verlieren. Ja, er wird kleiner und kleiner, seine Schultern senken sich und als sein Vater die Stimme hebt und seine vermutliche Wut zum Ausdruck bringt, bettet er das Kinn auf dem Schlüsselbein und schließt die Augen.

Unausweichlich erinnert mich dieser Anblick an meine Vergangenheit. Seto, der kleine Junge, der sich unter den Beschimpfungen Gousaburos duckt, sich wünscht, taub zu sein und diesen Ort zu verlassen, der unter jenen kalten Worten leidet und doch nicht entfliehen kann. Seto, der einer alles dirigierenden Macht untersteht und sich beugen muss. Seto Kaiba, der darunter leidet und doch dazu gezwungen ist, weiterzumachen. Diese Geschehnisse ähneln sich, hinzukommend finde ich keinerlei Unterschiede zwischen Gousaburo und Oudrey Brown. Nur Unterschiede zwischen Jonouchi und mir.

Ich ließ all dies hinter mir, er jedoch, hat es vor sich...

Plötzlich wandelt sich das drohende Zischen zu einem zornigen Schreien und ich kehre schlagartig in die Realität zurück. Oudrey Brown tritt an seinen Sohn heran und gestikuliert mit den Händen, worauf Jonouchi zur Seite tritt, um sich Freiraum zu verschaffen. Er weicht zurück und Oudrey Brown schleicht ihm nach, wie eine Hyäne, die ein verletztes Kalb erspähte. Und er schreit weiter, nun ist es deutlich zu hören.

Er konfrontiert seinen Sohn mit schweren Schuldzuweisungen und Vorwürfen, beleidigt und demütigt ihn auf eine Art und Weise, die mir bisher fremd war. Namen fallen, die ich nicht einordnen kann, gleichermaßen erinnert er Jonouchi an Vorfälle und Geschehnisse, in denen er höchstwahrscheinlich regelwidrig gehandelt hat. Jonouchi erreicht eine Wand, mürbe und kraftlos lehnt er sich gegen sie. Ich erkenne es, sein Leiden, denn vor langer Zeit war es auch meines. Oudrey Brown fährt dennoch fort.

"You'd be a nobody without me!!", höre ich ihn schreien. "I'm your father. You have to take orders and..."

"You're not my father", fällt Jonouchi ihm leise ins Wort. Ich vernehme seine Stimme lediglich gedämpft, dennoch erkenne ich das Zittern in ihr und den Respekt, der beinahe mit einer Angst gleichzusetzen ist. "You're an absolute ruler, not more."

"You have to obey without contradiction!!" Oudrey Brown fährt fort, ohne auf die Worte seines Sohnes einzugehen. Oh, auch das kenne ich zur genüge. "I’ve nourished you! Because of me you've a home, because of me you are intelligent, because of me you visited the best schools! I gave you everything, always! I insinst on obedience!!"

Dazu verpflichtet, gehorsam zu sein...?

Ich wende den Blick ab, schließe die Augen und hole Atem.

Geben, was nötig... mehr bieten, als das, was normal ist.

Aus Selbstverständlichkeit heraus handeln und anschließend Gegenleistungen erwarten, nein, fordern? All dies erscheint mir wie ein schlechter Film. Langsam hebe ich die Lider, meine Pupillen driften zur Seite und erneut verfolge ich das Spektakel.

Nun, Oudrey Brown verstummt. Jonouchi löste sich währenddessen von der Wand, steht nun aufrecht und sicher vor seinem Vater. Noch immer ist sein Kopf gesenkt und für wenige Sekunden scheint er gebrochen, verletzt und gern dazu bereit, aufzugeben. Stille kehrt ein, beide schweigen, doch dann ballt Jonouchi die Hände zu Fäusten und seine Schultern heben und senken sich unter einem schwerfälligen Atemzug. Er zögert kurz, bevor sich seine Lippen bewegen und er leise Antwort gibt. Er murmelt, ich verstehe seine Worte nicht. Es sind nicht viele, die er ausspricht und er ist nicht dazu imstande, sie zu beenden, denn plötzlich jagt die große Faust seines Vaters hervor und schmettert ihn zurück. Ein schmerzhaftes Zucken durchfährt meinen Körper, als Jonouchi seitlich gegen die Wand schlägt, sich kurz auf den Beinen hält und anschließend kraftlos an ihr hinabrutscht. Er bricht zusammen, bleibt zusammengesunken auf dem Boden kauern und regt sich nicht.

"You’ll obey me!!" Oudrey baut sich vor ihm auf wie der Herrscher vor einem unwürdigen Sklaven, erweckt den Anschein, als verlange es ihm danach, einmal nachzutreten. "I’ll teach you obedience!!"

Mit diesen Worten schlägt er seinen Mantel zurück, wendet sich ab und tritt in Schritten, als sei nichts geschehen, in den Aufenthaltsraum hinaus. Er bewegt sich stolz und entschlossen, lässt sich auf seinem Weg Zeit und zückt eine Zigarre, bevor er die Treppe erreicht, die ich mir zum Ziel nahm. Er bemerkte mich nicht und auch ich schenkte ihm keine Aufmerksamkeit, denn ich starre auf Jonouchi, der sich allmählich zu regen beginnt.

Ich sehe, wie er sich stockend dreht, sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnt und die Hand hebt. Mit ihr betastet er seinen Mund. Vermutlich bluten seine Lippen, denn er benutzt den Ärmel seines dünnen Mantels. Ich weiß nicht, was ich von diesem Spektakel halten soll, vermag es nicht, mich zu bewegen und beobachte ihn, wie er sich durch den Schopf fährt, den Hinterkopf gegen den teuren Marmor lehnt und ein erschöpftes Keuchen ausstößt. Zusammengekrochen verharrt er dort auf dem Boden, winkelt langsam die Beine an und starrt geradeaus.

Ich denke, ich kann seine Emotionen nachempfinden, weiß, wie er sich in diesen Sekunden fühlt, auch wenn Gousaburo mich nie schlug. Zögernd beginne ich die Hände auf dem Geländer zu bewegen und als hätte er dies bemerkt, dreht Jonouchi plötzlich das Gesicht zu mir.

Die Tatsache, dass er mich entdeckt, ändert nichts. Ich bleibe stehen und spüre deutlich, wie sich seine Augen auf mich richten. Ja, er sieht mich an und ich erwidere seinen Blick ausdruckslos. Unerwartet schnell wendet er sich jedoch ab und befasst sich mit einem nicht existenten Punkt an der gegenüberliegenden Wand. Nur kurz verbleibt er reglos, dann richtete er sich langsam auf, stützt sich ab und kommt auf die Beine. Und ohne sich weiterhin um mich zu kümmern, dreht er mir den Rücken zu und geht. In schlendernden, beinahe schon zu lockeren Schritten geht er davon und verschwindet kurz darauf hinter einer Ecke jenen Ganges. Fast gleichzeitig löse ich die Hände von dem Geländer, lasse sie in den Taschen meines Mantels verschwinden und mache mich daran, die letzten Stufen hinter mir zu lassen.

Ich will mich strikt davor bewahren, dieses Erlebnis in meine Grübeleien einzubeziehen, die ich mir vornahm. Es wird zu nichts führen, es bedarf keiner Erklärung. Um mich selbst muss ich mich nun kümmern, dies hat höchste Priorität, die Probleme anderer sind für mich nicht von Bedeutung. Ohne auch nur einen Gedanken zu verschwenden, durchquere ich den Aufenthaltsraum, erreiche die letzte Treppe und gelange so in den Empfangssaal. Als ich den Fuß auf den marmornen Boden setze, setzt sich eine schwarze Limousine vor der Tür in Bewegung fährt davon. Ich sehe sie verschwinden und bleibe kurz stehen, um meine Umwelt zu mustern. Jener Mann, der seinen Platz hinter dem Rezeptionstisch fand, ist wieder anwesend, lässt mir jedoch nur ein begrüßendes Nicken zukommen, das ich in keiner Art und Weise erwidere.

In schnellen Schritten eilt eine Angestellte an mir vorbei und ich setze mich in Bewegung, steuere auf den Ausgang zu. Ich will an den Strand, nichts wird mich davon abhalten. Als ich die kunstvolle Tür erreiche, beginnt jener Mann ein Telefongespräch und um seiner Stimme zu entkommen, gehe ich schneller. Automatisch schwingt die Tür vor mir auf und ich trete in das Licht des Tages hinaus.

Eine warme Temperatur herrscht auch heute und das Zwitschern der Vögel ertönt sogleich allseitig. Bunte Gefieder erblicke ich zwischen den grünen Blättern der Palmen, die hellen Strahlen der Sonne lassen mich blinzeln. Neben mir stehen die Portiers in strammer Haltung, ich werfe ihnen prüfende Seitenblicke zu, bevor ich die Straße betrete, erneut inne halte und eine Hand aus den Taschen löse, um meine Zigarettenschachtel hervorzuziehen. Gemächlich klappe ich sie auf, ziehe mir eine Zigarette und betrachte mir den Himmel, der in einem strahlenden Blau über mir liegt. Solch ein Anblick bietet sich mir selten, Dominos Himmel erscheint mir zumeist düster und trist. Langsam findet die Zigarette ihren Weg zu meinem Mund, ich klemme sie zwischen die Lippen und beginne in den Taschen nach dem Feuerzeug zu suchen. Nebenbei werde ich auf das vergoldete Logo der Kurfirma aufmerksam, das groß und auffällig an der Außenwand des majestätischen Gebäudes prangt.

Abwesend besehe ich mir die geschwungenen Striche und die Schrift, doch all dies interessiert mich weniger und so schaue ich höher, hebe den Kopf und taste weiterhin. Beinahe erreicht dieses Gebäude die Höhe meiner Firma, hebt sich im Baustil jedoch von dieser ab. Am heutigen Tage werden die Balkone scheinbar vermehrt genutzt. Ich erspähe sie bunten Schirme der Sonnenliegen, hinter manchen Fenstern sind Bewegungen auszumachen und die Portiers stehen stramm. Ich blicke höher, muss meinen Kopf allmählich in den Nacken legen. An manchen Stellen der Außenfassade wird das Licht der Sonne in meine Richtung reflektiert und so blinzle ich öfter und beschatte meine Augen kurz darauf mit der Hand. Als ich letzten Endes bis zum Dach des Gebäudes aufschaue, wird meine andere Hand fündig. Ich ertaste das Feuerzeug, ziehe es hervor und halte doch in der Bewegung inne. Noch immer fixiere ich mich auf das Dach, fixiere mich dort auf einen bestimmten Punkt und lasse das Feuerzeug sinken, langsam, ganz allmählich, denn dort oben habe ich etwas erspäht. Nach einer kurzen Zeit der Beobachtung verziehe ich die Augenbrauen, löse die Hand von meiner Stirn und nehme die Zigarette aus meinem Mund. Ich lasse mir mit meinen Bewegungen Zeit und klemme die Zigarette gemächlich hinter mein Ohr, auch das Feuerzeug kehrt in die Tasche zurück und dann verschränke ich langsam die Arme vor dem Bauch und betrachte mir den sauberen Asphalt.

Lange gebe ich mich ruhigen Grübeleien hin, dann blicke ich erneut auf, hole tief Atem und kehre in gemächlichen Schritten in das Gebäude zurück. Ich durchquere den Empfangssaal, bleibe vor der Tür des Fahrstuhles stehen, rufe ihn und warte geduldig. Die Arme halte ich nun vor dem Bauch verschränkt, abwesend bearbeite ich die Unterlippe mit den Zähnen. Heute lässt sich der Fahrstuhl Zeit. Letzten Endes trifft er doch ein, die Türen öffnen sich und ich betrete die Kabine. Beiläufig wähle ich die oberste Etage des Hauses und während sich die Türen schließen, lehne ich mich gegen die Wand und betrachte mir meinen Yukata. Beinahe perfekt passt er sich meinem Körper an, der Stoff ist angenehm auf der blanken Haut, ordentlich ist er geschnitten. Es ist eine neue Erfahrung, so ein Kleiderstück zu tragen; es ist komfortabel, wärmend und für vielerlei Beschäftigung geeignet.

Ich beschäftige mich gern mit diesem Thema, bis ich die oberste Etage erreiche, die Kabine stoppt und sich die Türen erneut unter jenem leisen Klingen öffnen. Ich trete in ein schmales Treppenhaus, steure gemächlich auf die Treppe zu und steige hinauf, bis ich eine Tür erreiche. Bedächtig ziehe ich den Yukata enger um meinen Körper, fahre mir durch den Schopf und hebe die Hand, um die Tür aufzuschieben.

Sie war nicht verschlossen. Grelles Sonnenlicht blendet mich sogleich, eine warme Brise zieht mir entgegen und der Stoff des Yukatas flattert um meine Beine, als ich auf den Marmor des Daches hinaustrete und nach wenigen Schritten stehen bleibe. Das Dach macht einen kahlen Anschein, nichts gibt es hier, das zu einem längeren Aufenthalt einlädt. Und doch ist jemand hier.

Desinteressiert, beinahe unbeteiligt richten sich meine Augen auf den jungen Mann, der entspannt auf der Brüstung des Daches steht und mit gesenktem Kopf in die unheimliche Tiefe starrt, die sich vor ihm erstreckt. Die Hände hält er entspannt in den Taschen des schwarzen Mantels verborgen, die blonden Strähnen bewegen sich im Wind. Ich betrachte ihn mir nur kurz, wende den Blick ab und taste über meinem Ohr nach der Zigarette.

Ruhig klemme ich sie zwischen meine Lippen, ziehe das Feuerzeug hervor und schütze die kleine Flamme mit beiden Händen vor dem Wind. Ich entzünde den Tabak, nehme einen Zug und atme den Rauch durch die Nase aus, während ich das Feuerzeug wieder verschwinden lasse. Die Hand verbleibt in der Tasche, die andere greift nach der Zigarette und ich lasse sie sinken. Den Grund meines Aufenthaltes auf diesem Dach ist mir unbekannt.

Ich ging einfach hinauf, ohne zu überlegen, ohne mir etwas bei meinen Schritten zu denken. Ich sauge an meinen Zähnen, rümpfe die Nase und blicke mich um. Das beruhigende Blau des Himmels umgibt mich zu allen Seiten, zieht sich bis zum Horizont, ohne das sich eine Landschaft erkennen lässt. Nicht einmal die bunten Vögel fliegen so hoch.

Langsam dreht sich Jonouchi zu mir um, ich bemerke es nur aus den Augenwinkeln, ohne den Blick zu erwidern, der sich flüchtig auf mich richtet. Ich beschäftige mich mit dem Himmel und nach wenigen Sekunden wendet er mir wieder den Rücken zu, scheint an meiner Beobachtung teilzunehmen, denn er legt den Hinterkopf in den Nacken und schaut nach oben.

Wieder hebe ich die Zigarette zum Mund, schließe die Lippen um den Filter und ziehe den Rauch in meine Lungen. Dann setze ich mich in Bewegung. Mir den Marmor des Bodens betrachtend, nähere ich mich ihm langsam, erreiche nach kurzer Zeit die Brüstung und steige schwerfällig hinauf. Er lässt den Kopf sinken, blickt nach unten und ich lehne mich etwas nach vorn, um es ihm gleichzutun.

Ich meine, eine Spielzeuglandschaft zu sehen. Eine Straße, die nicht breiter ist als drei Finger, Palmen, die die Rolle des Grases zu übernehmen scheinen und zwei Punkte, die zu beiden Seiten des Einganges postiert sind. Ich drehe das Gesicht zur Seite und in kurzer Entfernung erspähe ich den Strand, an dem ich mich in diesen Sekunden gern befände. Neben mir stößt Jonouchi ein dumpfes Seufzen aus und ich richte mich auf, hebe die Zigarette und beschaue mir das Meer, das uns scheinbar zu allen Seiten umgibt.

"Was, denkst du, geschieht mit den Menschen nach dem Tod?", meldet sich Jonouchi leise zu Wort. Seine Stimme erreicht mich deutlich, obgleich der Wind in meinen Ohren summt. "Gelangen sie zum Nirwana, wie es die Buddhisten versprechen? Werden sie zu Tieren, was einer weiteren ihrer Thesen entspricht? Oder steigen sie auf zum Himmel? Finden sie zu Gott, wie christliche Bücher es lehren?"

"Es gibt keinen Gott", murmle ich leise, ohne mich weiterhin von meinen Beobachtungen ablenken zu lassen.

"Mm." Er hebt die Schultern, lässt sie sinken und fährt erst nach einem scheinbar durchdachten Schweigen fort, leiser als zuvor, als würde eine Furcht ihn beherrschen. "Verschwinden sie im Nichts?"

Solche Fragen haben mich nie beschäftigt, sie wecken nicht mein Interesse und so ist mir die Antwort auf diese Fragen gleichgültig. Wieder verfängt sich Jonouchi in Schweigen und ich schließe mich ihm an, bedächtig rauchend und den sanften Wind genießend.

Kurz schließe ich die Augen, atme tief ein und blinzle herausfordernd zur Seite. Wieder starrt er in die tödliche Tiefe, wieder regt er sich nicht, nur sein Haar wiegt sich. Eine auffällige Wunde ziert seinen Mund, in seinen Augen scheinen keine Erinnerungen oder gar Freuden zu leben. Ich mustere ihn abwägend.

"Finde es heraus", sage ich und sogleich fährt er in die Höhe und starrt mich an. Es scheint, als habe ich ihn auf etwas aufmerksam gemacht, dass er vergaß. Seine Augen sind geweitet auf mich gerichtet, sie glänzen matt, lassen mich ein Gefühl der verzweifelten Angst erkennen. Seine Lippen beginnen sich stumm zu bewegen, zu Worten ist er nicht imstande. Lediglich ein verworrenes Räuspern kommt über seine Lippen, bevor er sich wieder nach vorn wendet.

"Dein Leben kannst du auch beenden, ohne solch ein Aufsehen zu erregen."

"Ich habe dich nicht gebeten, zu kommen", antwortet er mir verbissen.

Ich zucke mit den Schultern, drehe mich langsam zur Seite und beginne über die Brüstung zu spazieren. Und er sieht mir nach.

Schlendernd setze ich einen Fuß vor den anderen, entferne mich jedoch nicht zu weit, bevor ich mich umdrehe, Rauch ausblase und die Zigarette in die Tiefe fallen lasse, die sich nur wenige Zentimeter neben meinen Füßen erstreckt. Auch ihr sieht er nach. Sie fällt, fällt... und bald ist sie nicht mehr zu sehen.

"Weshalb bist du gekommen, Kaiba?"

Auch die zweite Hand lasse ich in den Taschen des Yukatas verschwinden. Dann blinzle ich in der Sonne, werfe mit einer knappen Bewegung das Haar aus meiner Stirn und kehre zu ihm zurück. Erwartungsvoll, beinahe schon lauernd und misstrauisch sieht er mich näher kommen.

"Versuch nicht, mich aufzuhalten."

Ich muss grinsen, dieser Satz belustigt mich außerordentlich.

"Behalte deine Wünsche für dich", erwidere ich amüsiert, mich einem düstren Sarkasmus bedienend. "Ich habe nichts dergleichen vor, kann jedoch nicht fernbleiben, wenn ein solches Spektakel ruft. Andererseits bezweifle ich, dass ich Augenzeuge eines Selbstmordes werde. Denn, Tatsache ist…", in sicherer Entfernung bleibe ich stehen, das Grinsen zerrt gehässig an meinen Lippen, "… du bist zu schwach... zu feige, um dich fallen zu lassen."

Er sieht mich an, als durchdenke er meine Worte konzentriert. Und bald darauf verleiht ein Grinsen seiner Mimik Ausdruck, das meinem recht ähnlich ist.

"Ja", nickt er. "Ich bin feige. Und dabei ist es doch nicht schwer, sich abzustoßen."

Ich betrachte mir abwägend die Kante der Brüstung, neben mir glaube ich ein leises Lachen zu hören.

"Berechnen wir doch die Dauer meines Sturzes physikalisch. Höhe des Gebäudes, Gewicht des armen Irren. Ach, was gehörte noch dazu?"

"Schwerkraft", helfe ich gelangweilt aus.

"Natürlich, die Schwerkraft. Sie macht all dies erst möglich." Wieder nickt er beinahe vergnügt, seine Hände verlassen die Manteltaschen und er verschränkt die Arme vor dem Bauch. "Fünf Sekunden und anschließend habe ich die Wahl zwischen zwei Todesursachen."

"Schlägst du auf dem Asphalt auf, so berstet dein Schädel, Gehirnverbindungen reißen, Venen platzen." Ich fahre mir durch den Schopf, der Wind nimmt zu. "Der Tod tritt binnen weniger Sekunden durch innere Blutungen ein, ebenso ist es möglich, durch das Aussetzen des Herzens. Ausschlaggebend ist die Art, wie du aufprallst. Muskeln reißen, Knochen brechen, Gedärme werden zerfetzt, ebenso werden die Verbindungen zum Herzen gekappt. Bete, dass dein Genick bricht, bevor du die abgöttischen Schmerzen des schwindenden Lebens ertragen musst."

"Schlage ich jedoch auf dem Rasen auf", erwidert er, ohne meinen Worten Beachtung zu schenken. "So komme ich in den Genuss eines längeren Leidens. Ich werde mir das Becken brechen, mir die Arme aus den Gelenken reißen, meinen Schädel werden Risse durchziehen und mein Gehirn wird nicht mehr als ein solches zu identifizieren sein. Doch vielleicht sind manche Verbindungen und Nerven noch intakt? So werde ich erleben, wie sich mein Körper verkrampft und mir Blut aus den Augen quillt. Offene Trümmerfrakturen überziehen meine Arme und Beine. Das alles hat mich nicht zu stören, vorausgesetzt mir wird nicht das Glück zuteil, gebrochene Rippen davonzutragen, die sich geradewegs in mein Herz bohren."

Gelangweilt hebe ich die Augenbrauen.

"Ich würde den Asphalt bevorzugen."

"Ja." Er lacht leise und nickt.

Er nickt lange, blinzelt zur Seite und allmählich verliert sein Grinsen an Kraft. Binnen weniger Sekunden wird seine Miene von Ernsthaftigkeit und anschließend von Verbitterung befallen. Er atmet tief ein, presst die Lippen aufeinander und wendet das Gesicht ab. Somit bricht wieder die Stille über uns herein und bald verliere ich die Lust zum Stehen.

Also lasse ich mich auf der Brüstung nieder, strecke die Beine aus und stütze mich hinterrücks ab. Nun sitze ich dem Dach zugewendet, die Tiefe im Rücken, Jonouchi neben mir. Und lange Zeit schweigen wir. Er blickt zum Horizont und ich betrachte mir die Tür, obgleich sie mir nichts zu bedeuten hat. Ich weiß nicht, wie es nun weitergehen soll, weshalb ich mich nicht erhebe, das Dach verlasse und Jonouchi seinem Schicksal übergebe.

Seine Sorgen sind nicht meine Sorgen, sie haben mich nicht zu kümmern und doch hält mich etwas hier. Der Wind verstärkt sich, ganz anders als auf dem Erdboden. Er pfeift in meinen Ohren, lange Strähnen fallen in mein Gesicht und doch verharre ich reglos. Es muss einen Grund geben, etwas, das mein jetziges Handeln begründet und erklärt. Ich kenne ihn nicht, begebe mich jedoch auf die Suche, darauf aus, ihn zu finden und mich selbst zu verstehen.

Mein Herz schlägt im gewohnten Takt, ich verspüre keinerlei Aufregung, mein Atem fällt ruhig.

"Weißt du, Kaiba", erhebt Jonouchi unerwartet die Stimme. Sie schwelgt, erweckt den Anschein, als befände er sich in Erinnerungen und Träumen, nicht hier an diesem Ort, an dem er allem ein Ende setzen will. "Mein Leben ist ein einziges Dilemma, es war nie anders und wird nie anders sein. Aufgewachsen in einem goldenen Käfig, werde ich auch in einem goldenen Käfig enden, gefesselt mit diamantenen Ketten. Unter dem Neid und dem Wissen leidend, dass es anderen Menschen besser geht. Menschen, die weniger besitzen und doch des Lebens froh sind. Vielleicht auch genau aus diesem Grund?" Ich bewege mich nicht, starre auf einen nicht existenten Punkt. "Ich wollte immer sein, wie sie, sehne mich danach, mein Geld mit harter Arbeit zu verdienen. Ich will mir Erfolge erkämpfen, mir meinen Weg zum Ziel selbst bahnen, ohne dass mir das Ziel auf dem goldenen Tablett gereicht wird, ohne dass ich Taten sprechen ließ. Das ist nicht das Wahre. Das macht nicht stolz." Ich höre einen schweren Atemzug. "Diese Menschen, Kaiba, die Reichtum nicht bereits in der Wiege neben sich liegen hatten, genießen solche Vorteile. Sie haben Zeit, sie werden nicht gepeitscht und übertriebenen Forderungen unterstellt. Mit vier Jahren verbrachten sie ihre Zeit im Sandkasten oder mit Spielen, die ihres Alters würdig sind. Ich jedoch, begann zu lernen, lernte lesen und schreiben... mit vier Jahren. Ich lernte, was es zu lernen gibt, ohne dass ich es aus eigenem Willen tat. Ich habe diese Menschen immer beneidet. Menschen, die keinem strikten Plan Folge leisten müssen, sich ihr Leben selbst aufbauen. Es gelang mir, für kurze Zeit dem goldenen Käfig zu entfliehen. Und nun stürzen all diese Pflichten, all diese Regeln und Forderungen über mich herein gleich einer monströsen Welle, die alles mit sich reißt. Ich weiß nicht damit umzugehen, soll die größte Tochterfirma übernehmen und mich behaupten, bevor ich Inhaber der Xanexx werde." Er verstummt und gibt sich erneut einem kurzen Schweigen hin. Wieder höre ich ihn seufzen. "Doch was ist, wenn ich mir ein anderes Ziel setzte? Ist es das Recht anderer Menschen, mein Leben zu steuern? Es ist mein Leben, nur ich darf darüber verfügen und das ist die einzige Gerechtigkeit! Ich scheue mich vor der Routine, ja, es graut mir regelrecht davor, dazu gezwungen zu sein, mich nach einem Plan zu richten. Tag für Tag. In solch einem Leben findet die menschliche Individualität keinen Platz. Alles geht mechanisch vonstatten, nichts steigt aus der eigenen Freude und Lust empor. Ich möchte, nein, ich will nicht zu einem Werkzeug werden. Zu einem Werkzeug der Wirtschaft, gefangen in mir selbst!"

"Wie kannst du behaupten, dass ich der Mensch sei, zu dem du nicht werden willst!" Ich erhebe die Stimme, ohne dass ich es will. In einer gewissen Art und Weise fühle ich mich angegriffen und so spreche ich drohend zu Jonouchi, ohne ihn anzublicken. "Du kennst mich nicht, maße dir also nicht an, über mich zu urteilen und glaube nicht, das Richtige zu erfahren, nur durch Sinnieren und Einschätzen!"

"Es braucht kein Sinnieren und Einschätzen", antwortet er scheinbar ohne seine Worte zu überdenken. "Ich kenne dich lange, Kaiba, wurde Zeuge deiner seelischen Verkümmerung und der Verzweiflung, die du auszudrücken nur durch Aggressionen imstande bist. Und je mehr ich deine Qualen spürte, desto mehr graute mir vor meinem eigenen Leben."

"Wage es nicht, Vergleiche aufzustellen!" Ich richte mich auf und mein Körper stellt sich auf die pure Verteidigung ein. Kurz halte ich den Atem an und meine Miene versteinert in einem finsteren Ausdruck. "Wir ähneln uns in keinerlei Hinsicht und werden es nie tun! Kümmere dich um dein Leben, beende es hier und jetzt, wenn dir danach ist, doch spiele nicht den Allwissenden, der meint, sich in andere Menschen hineinversetzen zu können!" Schwungvoll komme ich auf die Beine, stehe Rücken zu Rücken mit Jonouchi und starre verbissen auf das friedliche Blau des Himmels, das in solch einer Situation scharfe Ironie ausstrahlt.

"Dir... ist die Routine, von der ich sprach, doch bekannt...?", vernehme ich seine Stimme hinter mir. "Lebst du frei in den Tag hinein, freust du dich auf jede Stunde, die dich erwartet?"

"Um erfolgreich zu sein", erwidere ich scharf, "ist man auf dergleichen nicht angewiesen!"

"Erfolg bestimmt das Leben mancher Menschen, wohl wahr." Durch den drohenden Ton lässt er sich in keinerlei Hinsicht stören. "Das ist dramatisch."

"Beiße dich nicht in meinem Leben fest!" Ich balle die Hände zu Fäusten, spüre die zurückkehrende Wut, tief in meinem Inneren. "Hast du kein Eigenes, auf das du deine hirngespinstigen Philosophien jagen kannst?!"

Eine scharfe Böe erfasst uns, pfeift in meinen Ohren und trägt eine Stimme mit sich, die leise murmelt: "Ich habe ebenso kein Leben wie du."

Ich bewege mich nicht, lasse diese Worte in meinem Kopf ausklingen und sehe mich dazu gezwungen, schwer zu schlucken, als sie verstummen. Für wenige Sekunden spüre ich wieder das merkwürdige Gefühl in mir, das, welches ich nicht zu definieren weiß. Niemand zuvor sagte so etwas zu mir!

Ich halte den Atem an, doch es gelingt mir, mich zu fangen.

Ist er darauf aus, mich aus der Reserve zu locken?

"Du bist bemitleidenswert." Auch ich spreche leise, mein Körper entspannt sich von der kurzen Verkrampfung. "Ich lebe mein Leben. Bedauerlich, wenn du nicht dazu imstande bist."

Er schweigt und ich trete nach vorn, entferne mich von ihm und baue einen gewissen Abstand auf. Dies erscheint mir angenehmer.

"Es ist deine Hölle. Versuch nicht, auch mich hineinzuziehen. Ist deine Verzweiflung so stark, dass du sie mit anderen teilen willst? Nein, nein." Wieder gelingt mir jenes verächtliche Grinsen und ich drehe mich gemächlich zu ihm um, lauernd und drohend. "Viele Dinge halten mich hier, viele Dinge geben meinem Leben Sinn."

"Pass bloß auf, dass deine Nase nicht wächst, Kaiba!", antwortet er mir ebenso verächtlich, beinahe schon wütend.

"Was?!"

"Vergiss es." Er dreht sich zum mir um, verschränkt die Arme vor der Brust und mustert mich unausweichlich, ernst. "Ist es dein Bruder, der dich hier hält? Gibt er deinem Leben einen Sinn? Ist es Mokuba?"

Ich lege den Kopf schief und schweige. Weshalb sollte ich sprechen, ist ihm die Antwort doch schon bekannt! Ein verbissenes Grinsen bringt die Bestätigung.

"Glaube nicht, dass ich die Beziehung, die zwischen euch herrscht, nicht einzuschätzen imstande bin. Auch ich hatte einmal einen kleinen Bruder!"

Einen Bruder? Ich muss sagen, dies überrascht mich und ich kann nicht verhindern, dass ich es zum Ausdruck bringe. Stockend lasse ich die Arme sinken und er nickt. Seine Stimme verändert sich, nimmt eine düstere Verbitterung an und steigert sich auch in der Lautstärke, als sei er nicht dazu imstande, anders über diese Tatsache zu sprechen, als hindere ihn etwas daran, ruhig zu bleiben.

"Er starb während des Lebensjahres, indem Mokuba sich nun befindet! Vor vier Jahren, um genau zu sein! Ich habe ihn geliebt, verstehst du?!" Er schlägt sich gegen die Brust und entfernt sich einen Schritt von der Brüstungskante. "Ich habe ihn geliebt, und das nicht weniger als du Mokuba liebst! Was denkst du, wie verteufelt ich darunter litt!!" Er schreit und seine Stimme zittert. "Ich besitze jedes Recht, verzweifelt zu sein, ebenso darf ich behaupten, dass das, was ich durchmache, nicht als Leben zu bezeichnen ist!! Und meine Mutter...", er verschluckt sich an seinem eigenen Atem, keucht und gestikuliert mit den Händen. Hysterisch und aufgelöst wirkt sein Verhalten, als würde etwas Begrabenes hervorbrechen, "… sie war eine herrliche Frau, auf deren Schultern der größte Teil des Leidens durch die Schreckensherrschaft meines Vaters lastete!! Warum das Wort "war"?!" Ein verkrampftes Grinsen zerrt an seinen Lippen, sein Körper bebt. "Weil sie ihrem leidenden Leben fünf Tage später ein Ende setzte!! Sie folgte Katsuya und ließ mich allein!! Wie kann sie nur gehen, wenn der einzige Weg, der mich zu ihr bringt, so grausam ist?!"

"Katsuya...?" Langsam beuge ich mich nach vorn und er verharrt in jeglicher Bewegung, starrt mich an und scheint sich zu beruhigen.

"Mein Bruder... Katsuya", haucht er dann und reibt sich den Oberarm, sein Blick haftet auf dem Boden, als verabscheue er es, ihn auf meine Augen zu richten. "Unsere Mutter war Japanerin. Auch Katsuya war Japaner. Nur ich... ich war gemeinsam mit meinem Vater stets der Amerikaner. Ohne dass ich es bemerkte, teilte sich unsere Familie. Weshalb nicht? Glücklich war sie noch nie."

Somit gibt er sich jenem erdrückenden Schweigen hin, hält den Kopf gesenkt und beruhigt seinen Atem. Ich lauschte jedem seiner Worte konzentriert und beginne in diesen Sekunden all das Gehörte zu verarbeiten. Den Namen seines verstorbenen Bruders nahm er also an...? Langsam wende auch ich den Blick ab, gedankenverloren betrachte ich mir den sauberen Boden zu meinen Füßen und schaue erst auf, als sich Katsuya regt. Als stecke in seinen Knien marternde Schwäche, steigt er von der Brüstung, reibt sich abwesend die Brust und lässt sich stockend auf der Stufe nieder. Erschöpft sinkt er in sich zusammen, legt die Ellbogen auf den Knien ab und faltet die Hände ineinander.

"Weniger dramatisch wäre es gewesen, hätte ein Unfall die Schuld an seinem Tod getragen, doch dem war nicht so." Er blinzelt, seine Pupillen schweifen matt über den glänzenden Marmor. "Er war krank, seit seiner Geburt. Und was...", er lässt den Kopf sinken, ich sehe sein Gesicht nicht mehr, "… ist schlimmer, als das Leiden durch eine Krankheit? Mm... die Vertuschung der Krankheit. Die Familienehre hinderte meinen Vater daran, Maßnahmen zu ergreifen, ihm womöglich das Leben zu retten. Die Ehre... welche Ehre! Familie Brown ist erfolgreich, in ihrem Inneren und im Privaten jedoch zerrüttet und jämmerlich. Hast du... schon einmal gesehen, wie ein Mensch dahinsiecht, gleich eines verletzen Tieres verendet?" Die letzten Worte nehme ich kaum wahr, so sehr zittert seine Stimme und die Hand hebt sich flink zum Gesicht, verdeckt es.

Ich starre ihn an, atme tief aus und weite nach einem langen Zwinkern die Augen. Ich möchte nichts sagen... doch um ehrlich zu sein, bezweifle ich, dass meine Suche nach gleichkommenden Worten erfolgreich enden würde.

So schweige ich und Jonouchi stößt ein gedrungenes Stöhnen aus, bevor sich die Hand Gen Boden senkt und sich das Gesicht hebt. Ich besehe es mir, suche nach einem Ausdruck, der mir in einer Verwirrung weiterhilft. Doch...

Kein Ausdruck - nichts.

"Natürlich wurde dieser Tod als tragischer Unfall an die Öffentlichkeit verkauft. Oh, wie Mr. Brown doch unter diesem schicksalsschweren Verlust leidet! In Wahrheit traten durch dieses Geschehnis keinerlei Veränderungen für ihn ein. Weshalb auch! Er verlor lediglich den Zweitgeborenen, dieser ist von minderem Wert auf der Wichtigkeitsskala. Nun denn, er lebte weiter, und das mit einer Miene, als wäre sein fleißigster Diener verunglückt. Und auch wir lebten weiter, meine Mutter und ich. Wie lange sie nach diesem Vorfall noch lebte, das kann ich nicht sagen, denn sie zog sich auf ihr Zimmer zurück und vor ihrem Tod traten wir uns nicht mehr unter die Augen, geschweige denn wechselten wir Worte, tauschten uns aus oder sprachen über unsere Gefühle. Nichts dergleichen. Nach fünf Tagen fand man sie. Ihre kalten Finger hielten das kunstvolle Portrait eines kleinen Jungen, ihre Augen betrachteten sich die Dunkelheit. Wer weiß, vielleicht brachte sie sich am selben Tag um, folgte Katsuya lediglich mit einer Verzögerung von wenigen Stunden? Gott weiß, ob sie fünf Tage in ihrem Zimmer lag." Er zuckt mit den Schultern, seine Lider sind gesenkt. "Nun verlor mein Vater einen weiteren Diener, was es ihm natürlich erlaubte, sich dem Letzten besonders zu widmen. Er nahm mir alles." Seine Finger legen sich verkrampft um die Kante der Brüstung, seine Miene zuckt. "Die Freiheit, selbst die Hoffnung auf einen erfolgreichen Selbstmord! Ich wurde zu einem streng erzogenen Schoßhund, den man an der kurzen Leine hält und zurückzerrt, sollte er sich aus seinem Kreis hinauswagen. Ich war immer der Köter. Wie schön, dass auch du der Meinung bist." Ein finsterer Blick trifft mich. "Wenn mein Vater sagt: ‚Wünsch dir, was immer du willst.’, so ist dieses Versprechen im Besitz eines ungeheuren Wertes. Wünsche, die in der Familie Brown erfüllt werden, sind selten, jedoch recht beeindruckend. Und zu meinem siebzehnten Geburtstag…", er erhebt sich aus der zusammengesunkenen Haltung, stützt sich ab und streckt die Beine aus. Ich glaube einen nassen Schimmer in seinen Augen zu erkennen und er sieht mich an, scheinbar nicht darauf bedacht, die Tatsache zu verbergen, "… zu meinem siebzehnten Geburtstag wünschte ich mir, mich unter das "niedere Volk", wie mein Vater so gern zu sagen pflegt, zu mischen. Ich verfolgte lediglich das Ziel, mich von all dem, das mir solche Schmerzen zufügt, zu trennen, war nicht darauf bedacht, diese Menschen zu erforschen, mich gar auf sie einzulassen. Ich kannte den Reichtum, nichts anderes. Nun, mein Vater erteilte mir die Erlaubnis, vermutlich mit dem Hintergedanken, mich abzuschrecken, mir den Reichtum noch angenehmer zu machen und zu zeigen, dass wir etwas Besseres sind. Ich wählte Japan. Die Entfernung zu meiner Heimat konnte nicht groß genug sein. Binnen weniger Tage leitete man all das Nötige in die Wege. Man besorgte mir eine Wohnung, erledigte Anmeldungen und richtete ein Konto ein, auf das ich jederzeit Zugriff hatte. Eine Million, Kaiba! Und ich nahm nur das Nötigste. Ich erreichte Japan und mit jedem Tag wandelte ich mich zu einem anderen Menschen. Ich fand den Gefallen am Alkohol und Prügeleien, die Schmerzen halfen mir, über das Schlimmste hinwegzukommen, durch sie vergaß ich. Ich tobte mich aus und lernte ein Leben kennen, in dem keinerlei Pflichten existieren, in dem man nichts von mir erwartet und mir die Freiheit ließ, all das zu tun, was ich wollte. Ich trat einer Straßengang bei, die aus Jugendlichen bestand, die geradewegs aus der Gosse krochen. Primitive Gespräche, noch geistlosere Tätigkeiten und Besäufnisse, die in ihrer Sinnlosigkeit nicht zu überbieten waren. Herrlich, im wahrsten Sinne des Wortes. Bald erfuhr ich von der Domino-High. Und aus purer Langeweile schrieb ich mich ein... durch reinen Überdruss kam ich dazu, was man wohl eine positive Veränderung nennt, denn dort lernte ich Yugi kennen, einen Jungen, der sich für andere einsetzt, ohne den geringsten Gegenwert zu erwarten." Ein kraftloses Lächeln zeichnet sich auf seinen blassen Lippen ab und er seufzt leise. "Etwas Neues, ja, das war es. Noch nie zuvor hatte ich so etwas erlebt und es versetzte mich in Staunen, obgleich dieses Benehmen doch so hintergrundlos schien. Ich ließ mich auf ihn ein. Nicht etwa aus Langeweile, nein, aus Neugierde und Sympathie. So riss ich mich von der Gang los, löste mich auch von all dem Alkohol und begann ein scheinbar neues Leben. Ich lernte Menschen kennen, Honda, Mazaki, Otogi, Bakura... sie alle übernahmen unwissend die Rolle der Therapeuten. Es war…", er hebt die Hand, gestikuliert mit ihr, "… schier unbegreiflich und binnen kürzester Zeit lernte ich das Gefühl kennen, in einen wahren Kreis einbezogen zu sein, von Menschen geliebt zu werden, die nehmen, ohne zu verändern, verstehen, ohne zu fragen, die sich freuen, ohne zu erwarten. Erst in Domino begann ich zu leben." Tief holt er Atem und während er sprach, begann Tränen in seinen Augen zu glänzen, denen er keine Beachtung schenkt. "Du Kaiba, warst immer nur der bittere Beigeschmack. Ein kleiner Störfaktor, der in jedes Leben gehört, so bedauerlich es auch ist. Du warst mir nie ein Mysterium und ich wurde zugegeben nicht von überschwänglichen Liebesgefühlen ergriffen, wenn ich dich sah. Doch Tatsache ist, dass wir im selben Boot sitzen, unter gleichen Tatsachen leiden... und keinen Ausweg kennen."

"Wer nicht leidet, benötigt keinen Ausweg!", antworte ich verbissen und stemme die Hände in die Hüften. "Weshalb spieltest du den Primitiven?! Weshalb täuschtest du bei jeglicher Arbeit jämmerliches Versagen vor?! Weshalb nahmst du all die Diskriminierungen der Lehrer auf dich, hättest du es doch ändern können!"

"Weil es etwas Unbekanntes war, zu versagen!", erwidert er mir enttäuscht, als hätte er Fragen dieser Art nicht erwartet. "Perfekt zu sein, wird auf die Dauer anstrengend!"

"Als ob du je perfekt warst!", falle ich ihm scharf ins Wort. "Ich..."

"Noch immer verwirrt?" Nun unterbricht er mich. "Vergiss nicht, du hast nicht Katsuya Jonouchi vor dir! Du sprichst mit Josem Brown!"

"Tse." Ich kann nicht anders, plötzlich spüre ich, wie ich herablassend grinse. Ich drehe mich zur Seite und reibe mir kopfschüttelnd das Kinn. "Ich entscheide, mit wem ich spreche!"

"Ja." Er weitet gespenstisch die Augen. "Ja, tu das! Weißt du, was es für ein Gefühl war, Katsuya genannt zu werden?" Er spricht leiser und verengt die Augen, als wolle er mir die Worte in die Seele brennen. "Er lebte auf. Während dieser Jahre erwachte er erneut zum Leben." Seine Hand tastet sich krampfhaft über die Brust. "In mir! Nun jedoch kehrte er in das Reich der Toten zurück. Erneut ist er gestorben, so empfinde ich es. Erneut gestorben..."

"Du bist krank!", fauche ich, ihm einen verächtlichen Seitenblick zuwerfend.

Ich sehe, wie ein kaltes Zucken durch seinen Körper fährt, sehe, wie sein Gesicht auch an dem letzten Hauch Farbe verliert und spüre deutlich, wie das blanke Entsetzen von ihm Besitz ergreift. Seine Augen weiten sich ungläubig, sein Mund öffnet sich, ohne dass er sogleich spricht.

"Ich bin krank...?", wiederholt er meine Worte heiser und richtet sich stockend auf. "Ich bin krank?"

Ich nagle meinen scharfen Blick an ihn, lasse ihn unerbittlich und kalt wirken, auf dass er durch ihn zu Grunde geht! Langsam hebt er die Hand, zaghaft tastet sie nach dem dünnen Stoff des Mantels und klammert sich in ihn, als er sie zu einer Faust ballt.

"Du nennst mich krank?! Bin ich krank, weil ich durch den Tod meines Bruders Höllenqualen leide?! Bezeichnest du dieses Empfinden als unnatürlich und jämmerlich?! Du bist ein Monster!" Wieder verengt er die Augen, diesmal jedoch erfüllt von Hass und Verachtung. "Du nennst mich krank und bist selbst nichts anderes als das! Krank durch die Vergangenheit, die geprägt war von Ängsten und Nöten! Krank durch das tagtägliche Leiden, das du über dich ergehen lassen musst, ohne dich wehren zu können! Krank durch die Verzweiflung, dem Teufelskreis nicht entfliehen zu können! Krank durch die Selbstverachtung, mit der du dich nach jeglichem Fehler belastest! Krank durch deine gottverdammte Sucht nach Perfektion!! Und während du nach ihr strebtest, während du alles tatest, um dich ihr zu nähern, entferntest du dich in Wahrheit von ihr, bis sie dir letzten Endes unerreichbar war!! Du lässt dich selbst verkümmern, Kaiba!! Weshalb springen wir nicht gleich gemeinsam?!"

"Pass auf!", zische ich nach Luft schnappend und steche mit dem Zeigefinger nach ihm. "Pass auf, was du sagst!"

"Was ich sage?!" Er kommt auf die Beine, ohne sich mir zu nähern. "Ist dir die Wahrheit so unangenehm?! Genügt deine überdurchschnittliche Intelligenz etwa nicht, um selbstehrlich zu sein?!"

"Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters!!" Ich sehne mich danach, die Hände um seinen Hals zu legen und zuzudrücken, auf dass er kläglich erstickt! Er entflammt eine unbeschreibliche Wut in mir, ich verliere an Selbstbeherrschung, ohne dass ich es bemerke, ganz gleich dem Vorfall in der Schule, bei dem ich ein anderer Mensch zu sein schien.

"Oh nein", antwortet er mir ohne zu zögern. "Diese Einstellung ist lediglich ein Traum, entstanden durch deine Hirngespinste!" Er hebt die Arme und streckt sie von sich, als spreche er nicht nur für sich selbst. "Was hindert dich daran, deine grässliche Situation zuzugeben? Weshalb stehst du nicht zu deiner Verzweiflung, obgleich du solch ein unbeschreibliches Leiden wegen ihr durchmachst? Soll ich dir etwas sagen, Kaiba?" Er lässt die Arme sinken, beugt sich nach vorn und erwidert meinen eisigen Blick hinterhältig. "DAS ist Stärke, das und nichts anderes. Und du? Du bist schwach."

"Was geht dich mein Leben an?!" Ich balle beide Hände zu Fäusten und nähere mich ihm um einen Schritt. Blanke Wut bringt die nächsten Worte hervor. "Was geht dich mein Leiden an?! Meine Verzweiflung?! Meine Vergangenheit hat dich nicht zu interessieren, noch weniger meine Empfindungen!! Und sollte ich auch verkümmern, sollte ich zerbrechen und vor Qual schreien, was hat es dich zu sorgen?!"

Jonouchis Miene entspannt sich, weicht einem entsetzten Staunen. Nur kurz bemerke ich dies, bevor mich der Zorn erneut mit sich reißt und ich erneut zu schreien beginne.

"Vielleicht bin ich schwach, ja!! Vielleicht bin ich am Ende, erschöpft und krank!! Krank durch diese widerliche Welt, erschöpft durch das Gift meiner Verbitterung!! Vielleicht belog ich mich selbst während all dieser Jahre und wollte mir mein Versagen nicht eingestehen!!"

"Es ist kein Versagen, Kaiba!", fällt er mir hastig ins Wort. "Es ist die menschliche Natur, unter dramatischen Zuständen zu leiden und zu..."

"Du hast nicht das Recht, mir dies vorzuwerfen!!", unterbreche ich ihn und mein Atem rast. "Denn du kennst mich nicht, du kennst nicht meine Vergangenheit, kennst nicht meine Gedanken!!"

"Ich werfe dir nichts vor!", stößt er atemlos aus und hebt schuldunbewusst die Hände. "Bin ich denn besser als du?! Besaß ich die Stärke, zu bestehen?! Weshalb litt ich immens unter dem Tod meiner Mutter, zerbrach an dem meines Bruders?! Wir sind Menschen, verdammt noch mal!! Gesteh dir diese Tatsache ein und stelle dich nicht vor Gericht, weil du keine Wunder vollbringen kannst!!"

"Ich...", plötzlich fehlt es mir an Worten und meine Lippen bewegen sich stumm. Gehetzt und fahrig suche ich nach einer gleichkommenden Antwort. Eine Antwort, die es mir erlaubt, weiterhin auf meinem Standpunkt zu verharren. Ich gestikuliere mit den Händen, meine Miene verzerrt sich und Jonouchi schweigt. Erschöpft schließe ich die Augen, balle die Hände und halte in jeglicher Bewegung inne. Nur meine Schultern heben und senken sich unter hastigen Atemzügen. Ich fühle mich an diesem Ort nicht wohl, nicht in der Gesellschaft des blonden Amerikaners! Ich möchte nicht fortfahren, nichts mehr sagen, komme allmählich zur Besinnung, ohne mir meines Fehlers und meinen verräterischen Worten bewusst zu werden. Nur einer Tatsache bin ich mir sicher: Ich will weg!

Weg von Jonouchi, weg von diesem Dach! Weg!!

Ich schnappe nach Luft, schlucke schwer und drehe mich um, so schnell, als wolle ich fliehen. Ohne Worte. Mein Mantel flattert auf, ich schlage ihn zurück und steuere in eiligen Schritten auf die Tür zu.

Ich bin verwirrt, nicht dazu imstande, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Mir geht es abscheulich und dieses undefinierbare Gefühl in mir, scheint an Kraft zu gewinnen, sobald ich den Zorn unterdrücke.

"Kaiba!", höre ich Jonouchis Stimme hinter mir, auch Schritte, er folgt mir. "Wir haben uns nie Sympathie entgegengebracht und so wird es immer bleiben, ohne dass ich etwas daran ändern will! Es ist mir nicht wichtig, doch wichtig ist mir etwas anderes, das wir uns entgegenbringen können!" Er spricht schnell, wirkt verzweifelt und angespannt. "Verständnis, das können wir uns geben! Wir verstehen einander, da sich unser Leiden ähnelt!!"

Ich will seine Worte nicht hören!!

Verbissen gehe ich weiter und er fährt fort.

"Du bist der Einzige, dem ich mich öffnen will! Du sollst meine Empfindungen, meine Gefühle erfahren, denn andere würden ihnen nicht mit Verständnis begegnen! Verlachen würden sie mich gehässig, ebenso dich! Wenn wir uns selbst nicht helfen können, müssen wir versuchen, einander zu helfen! Andere Auswege gibt es nicht!!"

"Du irrst!", fauche ich. "Es existiert überhaupt kein Ausweg!"

"Auswege existieren, wenn du ihre Existent zulässt!", antwortet er mir keuchend, beinahe habe ich die Tür des Daches erreicht. "Ich bitte dich, entreiße mir nicht diese einzige Möglichkeit. Tu mir das nicht an, tu dir das nicht an, nun, da du den ersten Schritt zugelassen und deine Gedanken zum ersten Mal offen in die Welt hinausgetragen hast!!"

Ich erreiche mein Ziel, flink hebt sich meine Hand um nach der Klinke zu greifen und die Tür aufzudrücken.

"Kaiba!!", vernehme ich da den Ruf hinter mir, der solch eine Verzweiflung zum Ausdruck bringt, dass ich mich in einem unerklärlichen Zögern verheddere. Langsam öffne ich die Tür, trete in den Türrahmen und halte dort inne. Hinter mir bleibt auch Jonouchi stehen, deutlich höre ich das Keuchen seiner Aufregung. Meine Hand verbleibt auf der Klinke, ich senke den Kopf, zwinkere und starre auf den Boden zu meinen Füßen. Mein Handeln entsetzt mich, wirkt so konfus und schier unbegreiflich, aus irgendeinem Grund jedoch nicht sinnlos. Langsam presse ich die Lippen aufeinander, senke die Lider und hole tief Atem.

Meine Worte lassen sich nicht rückgängig machen, lassen sich nicht löschen wie die Datei eines Computers. Ich sprach sie aus, wenn ich auch nicht bei Sinnen war. Vielleicht machte sie diese Tatsache jedoch auch zu besonderen Worten? Nie wären sie zustande gekommen, hätte ich zuvor gegrübelt und mich beherrscht. Jonouchi hält den Atem an, hinter mir herrscht Stille und ich öffne langsam die Augen, mich langsam und stockend zu ihm umdrehend. Tastend richtet sich mein Blick auf seine Augen und er erwidert ihn erwartungsvoll. Lange sehen wir uns an, bevor ich zu weiteren Worten imstande bin.

"Würde ich gehen", sage ich leise, "würdest du springen?"

Seine blonden Brauen heben sich, die Lippen formen stumme Worte und er dreht sich flüchtig um, um zur Kante der Brüstung zurückzuschauen. Flink wendet er sich mir wieder zu und allmählich nimmt seine blasse Miene einen Ausdruck an, der jegliche Antwort erspart.

"Ja."

Eine rege Angst spricht aus seiner Stimme, jedoch auch eine aufgezwungene Entschlossenheit, die diese Angst bei Weitem übertrifft. Dennoch beginne ich ihn durchdringlich zu mustern, hoffe darauf, ein unauffälliges Zucken seines Gesichtes zu erkennen, das diese Antwort widerlegt. Er starrt mich an und meine Suche endet erfolglos.

"Dir sind Worte wichtiger als der Sprung, der all das Grauen beendet?"

"Unterschätze Worte nicht", antwortet er mir sogleich. "Und schätze sie nicht ein, wenn du dich noch nie an ihnen bedient hast."

Ich entfliehe seinen Augen, betrachte mir erneut das Blau des Himmels, welches mir in den diesen Sekunden äußerst widerlich erscheint, hinzukommend dunkler als zuvor. Wieder zwinkere ich, meine Hand schließt sich um die Klinke und die Entscheidung trifft sich in meinem Kopf, lange bevor ich mir dessen bewusst bin. Ich starre schweigend zur Seite und auch Jonouchi schweigt.

Wie fühlt er sich wohl, nun, da ich sein Schicksal in meinen Händen halte?

Drehe ich mich um und gehe, so wird er das gleiche tun, nur in die andere Richtung. Anschließend werden wir uns nicht wieder sehen, niemals.

Zögerlich baue ich den Blickkontakt wieder auf.

Dieser Schritt könnte eine entscheidende Veränderung meines Lebens darstellen. Will ich das wirklich? Will ich nun stark sein? Nun, da der Zeitpunkt gekommen ist, da ich einen Beweis anderer Art erbringen muss?

Ich beginne mich zu bewegen, ohne dass ich es meinem Körper befehle. Langsam nicke ich ihn zu mir in das Treppenhaus und wende mein Gesicht ab, bevor ich seine Reaktion sehe. Ich drehe mich um, trete durch den Türrahmen und lasse die Hand von der kunstvollen Klinke gleiten, bevor ich stockend die Treppe hinabsteige und somit endgültig das Dach verlasse.
 

~*to be continued*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2010-10-17T11:30:12+00:00 17.10.2010 13:30
Was für eine fortsetzung!
Die Dramatik war fassbar und ich war total aufgeregt!!
Jetzt nimmt die Geschichte iene große wende!
Von: abgemeldet
2010-04-20T09:50:34+00:00 20.04.2010 11:50
Ich hab so geheult bei der Szene!!! Ich hatte echt pipi ind den Augen als Joey angefangen hat mit heulen und schreien. Er war so verzweifelt und du hast das ´sooooo toll dargestellt! Echt Wahnsinn!
Von: abgemeldet
2010-04-13T12:09:15+00:00 13.04.2010 14:09
Die Szene auf dem Dach war der WAHNSINN!! Ich kann dich für diese Art zu schreiben und das alles darzustellen, echt nur loben!!
Von: abgemeldet
2010-04-07T10:23:50+00:00 07.04.2010 12:23
Katsuyas Dad is ja mal nen ordentlich Psycho. -_- Da versteht ja jeder,dass er von da abhauen will und nix mehr damit zu zun haben will.
Boha! Und dann die Szenerie aufm Dach. Die find ich so heftig und genial. Du bringst die Gefühle immer so deutlöich zum Ausdruck. Man fiebert richtig mit. Ich zumindest. Fettes Lob fürs Werk!


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