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Abraxas

Die Sehnsucht in mir
von

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Aufbruch

Aufbruch
 

Es war Yuuryons Geschrei, welches Abraxas aus den Tiefen seines Geistes zurück in die Wirklichkeit holte. Noch halb im Schlaf richtete er sich auf und sah sich um. Er war wieder zurück. Über seinem Kopf entspannte sich das weite Säulengewirr der riesigen Tempelkuppel. Vor ihm stand der punkvoll verzierte Altar, doch der rote Stein, dessen Berührung die Lawine erst zum Rollen gebracht hatte, war verschwunden. Irritiert bemerkte er nicht nur, dass er in einer Lache aus Blut, wahrscheinlich dem eigenen, sass, sondern auch, dass sein Mantel von selbigen fürchterlich nass war und er stank, als hätte er sich in einer Kloake gesielt. Neben ihm lag der leblose Körper Karins. Verwirrt runzelte Abraxas die Stirn. Die Leiche war doch verschwunden gewesen? Warum war sie wieder hier? *Ich nehme an, wir waren in einer astralen Zwischenwelt. Einer Welt, die nur in unserem Kopf existiert*, mutmaßte Kain. * Es wird nur ihr Geist getötet worden sein, der Körper blieb unversehrt.* Abraxas schüttelte missbilligend den Kopf. Ehrlich gesagt konnte er den blutigen Körper der Tempeldienerin, der mittig fast gespalten war, nicht als unversehrt bezeichnen. Aber er war da. Insofern hatte Kain wohl Recht.

Mühsam versuchte er nun vollständig auf die Beine zu kommen, aber noch schienen ihn die trägen Krallen der Ohnmacht fest im Griff zu haben. Der Versuch endete in einem unkoordinierten Taumeln, welches Abraxas sofort wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte. Frustriert blieb er einen Moment sitzen, versuchte Klarheit in das wirbelnde Chaos hinter seiner Stirn zu bringen und wagte es dann erneut aufzustehen. Sofort, nachdem er wieder auf den Beinen stand, drohte ihm der Boden unter den Füßen wegzurutschen und Übelkeit stürmte auf ihn ein. Die Farben der Umgebung erschienen ihm zu grell und unwirklich - krank und falsch. Verwirrt schüttelte Abraxas den Kopf verschlimmerte das wirbelnde Farbeninferno aber nur. Mühsam zwang er sich den Kopf still zu halten und seine Augen auf einen festen Punkt zu konzentrieren. Der Eindruck der verschobenen Realität verschob sich zunehmend, als er Velcon gewahr wurde. Der Magier stand mit dem Rücken zu ihm gewand und schien mit gebannten Interesse etwas zu beobachten, dass sich zu seinen Füßen abspielte. Sofort fiel jegliche Übelkeit von ihm ab. Der Vampir war wieder vollends klar und bahnte sich seinen Weg auf Velcon zu. Wut begann in ihm zu brodeln. Der Kerl sollte gefälligst aufhören Shantel anzustarren! Denn niemand anders kniete dort zu seinen Füßen und hantierte mit irgendetwas herum. Mit einem Satz war er heran, packte Velcon an der Schulter und zerrte ihn grob zu sich herum. Der Magier zischte bedrohlich, öffnete den Mund und schien etwas scharfes sagen zu wollen, aber Shantel schnitt ihm das Wort ab, indem sie aufsprang und sich zwischen ihn und Abraxas drängte. “Beruhigt euch!”, forderte sie zornig. Im nächsten Moment wurde ihr Blick aber bereits wieder sanft und sie lächelte Abraxas erleichtert an “Gut, dass du wieder da bist.”

Der Vampir nickte nur halbherzig. Sein Blick war noch immer auf Velcons Gesicht geheftet und der Magier erwidert ihn nicht weniger grimmig. Dann aber schlug Velcon die Augen nieder und deutete nach unten. “Kannst dich ja gleich nützlich machen”, knurrte er säuerlich. Abraxas folgte seinem Blick und bemerkte erst jetzt Yuuryon, der zitternd auf dem Boden kniete und ängstlich zu ihnen aufsah.

Der Flussmensch bot einen entsetzlichen Anblick. Er war über und über mit Blut beschmiert und der offene Bruch hatte zu nässen und eitern begonnen. Shantel beugte sich zu ihm herab und versuchte ihn sanft an der Schulter zu berühren, aber Yuuryon wich sofort vor ihr zurück, rutschte auf dem Hintern ein Stück über die nackten Fließen und blieb bebend vor Angst hocken. Hilflos hob Shantel die Schulter und ließ sie wieder sinken. “So geht das schon die ganze Zeit. Er lässt uns einfach nicht an sich heran. Dabei will ich ihm nur helfen.”

Abraxas runzelte nachdenklich die Stirn. “Kannst du ihn nicht einfach bewegungsunfähig machen, wie du’s mit Kain getan hast?”, fragte er bissig in Velcons Richtung. Der Magier lächelte bösartig. “Könnte ich. Nur fürchte ich, dass er sich danach nie wieder bewegt.”

Shantel seufzte entnervt. “Halte ihn bitte einfach fest”, bat sie Abraxas und trat aus dem Weg. Der Vampir knurrte unwillig und Yuuryons Gesicht verließ auch das letzte bisschen Farbe. Grob griff er nach dem sich sträubenden Dieb, erreicht damit aber nur, dass dieser noch stärker zu zappeln begann. Abraxas sah sich das nicht lange an. Kurzentschlossen verpasste er Yuuryon eine schallende Ohrfeige, die ihn zur Besinnung bringen sollte, aber auch das half nicht im Geringsten. Der Flussmensch begann nur noch stärker zu weinen.

“Wunderbar”, kommentierte Velcon. “Traktiere ihn nur noch ein wenig mehr, dann haben wir neben diesem läppischen Bruch wenigsten wirklich etwas zu tun.” Bevor Abraxas aber herumfahren und sich auf Velcon stürzen konnte, wurde sein Geist nach unten gerissen und Kain übernahm das Kommando.

“Kein Talent, überhaupt nicht”, brummte er in seinen nicht vorhandenen Bart und hockte sich vor Yuuryon. “Schau mich mal an, Yuu”,lächelte er ihm zu. Ängstlich sah der Dieb auf und stutzte. Irgendetwas in Abraxas Blick hatte sich verändert. Der Vampir schien gar nicht mehr der selbe, wie noch einen Moment zuvor, zu sein. Der kurze Augenblick der Verwirrung genügte Kain. Entschlossen griff er zu, zog Yuuryon zu sich, drückte seinen Rücken an den eigenen Oberkörper und hielt ihn fest. Der Flussmensch schrie gequält auf und versuchte sich zu befreien, aber Kain ließ ihn nicht gehen. Ruhig hielt er ihm den Mund zu und zugleich die unverletzte Hand fest. “Beruhige dich Yuu”, sagte Kain leise, in einem Ton, als würde er mit einem kleinen Kind sprechen, dem man die Angst vor dem, Dunkeln nehmen wollte. “Ich weiß, dass das weh tut. Aber nachher wird es dir besser gehen.”

Es war ungewiss ob Yuuryon den Vampir überhaupt verstanden hatte, selbst wenn wehrte er sich immer noch nach Kräften, an deren Ende er aber schon fast angekommen war. Die Anstrengungen der letzten Stunden waren nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Aber Kain hielt ihn fest, ließ ihn nicht gehen und langsam erloschen die hilflosen Versuche Yuuryons.

Sofort waren Velcon und Shantel an den beiden am Boden sitzen Gestalten heran. Grob griff der Magier nach Yuuryons Arm und sofort wehrte sich der Flussmensch wieder heftiger, sodass Kain alle Mühe hatte ihn zu bändigen. “Geht das nicht ein wenig sanfter?”, zischte er aufgebracht.

“Nein”, sagte Velcon und zog Yuuryons Hand im nächsten Moment wieder in die ursprünglich richtige Richtung. Kain blieb keine Zeit mehr sich weiter über Velcons brutale Methodik aufzuregen, denn er hatte sprichwörtlich alle Hände damit zu tun Yuuryon festzuhalten. Der Flussmensch weinte hemmungslos, der zierlich Körper, von Krämpfen geschüttelt, bebte in Kains Armen. Aber er hielt ihn fest, ließ ihn nicht los. “Shht, es wird alles gut”, wisperte Kain leise, sodass ihn nur Yuuryon verstehen konnte. “Es wird alles gut.”
 

Abraxas lehnte verstimmt an einer der Tempelsäulen und beobachtete argwöhnisch wie Shantel und Velcon die letzten Handgriffe an Yuuryons Verletzung tätigten. Der Flussmensch hatte sich endlich beruhigt, nachdem er das Schlimmste überstanden und Velcon einen Eiszauber gewirkt hatte, der die größten Schmerzen linderte.

In sich drin hörte er Kain leise rumoren, aber trotzig wehrte er sich dagegen dessen Entschuldigungen zu hören. Er würde ihn noch ein wenig länger auf der untersten Geistesebene gefangen halten, was fiel Kain auch ein, ihn einfach zu verdrängen? Das hatte er sich selbst eingebrockt, jetzt durfte er es auch ausbaden. Plötzlich bemerkte er, wie Velcon aufstand und sich von Shantel entfernte. Er lief auf den blutigen Leichnam Karins zu, hob ihn auf seine Arme und verlies die Kathedrale durch einen der Seitengänge. Abraxas sah ihm misstrauisch hinterher.

“Abraxas?”

Der Vampir schrie erschrocken auf und fuhr herum. Das Herz schlug ihm bis zum Hals als er Shantel erkannte. “Du”, ächzte er atemlos. Der Engel lächelte entschuldigend. “Habe ich dich erschreckt?”, wollte sie wissen, wisperte aber bereits eine Entschuldigung. Der Vampir beruhigte sich nur langsam wieder. Er selbst war erschrocken darüber, wie leicht es Shantel gelungen war ihn aus der Fassung zu bringen. Das zeigte nur, dass auch an ihm die Anstrengungen nicht unbemerkt vorübergegangen waren. Abraxas gestand es sich ungern ein, aber er war müde, erschöpft und seine Nerven lagen blank. Jedes weitere Problem hätte ihn jetzt wahrscheinlich an den Rand des Abgrund treiben können und dann war da noch...

“Wo ist dieser Velcon hingegangen?”, wollte er plötzlich wissen und fügte misstrauisch hinzu: “Was ist hier überhaupt los? Was machst du hier?”

Shantel lächelte müde. “Er wird sich von dem Mädchen verabschieden. Ihr Tod muss ihn schwer getroffen haben.” Abraxas lupfte skeptisch eine Augenbraue.

“Schau nicht so. Wie würdest du dich fühlen, wenn dir das Liebste genommen würde?” Seine Miene erstarrte zu Eis und Shantel schollt sich in Gedanken, wie sie ausgerechnet so etwas hatte sagen können. Sie wusste doch nur zu gut, dass er auch nach drei Jahren immer noch unter dem Verlust Ensyis’ litt. Der Geist seines Bruders war wie ein allgegenwärtiger Schatten der Vergangenheit, ein Albtraum und Mahnmahl zugleich, welches den Vampir vorantrieb, aber wohl niemals wieder verlassen würde. Wahrscheinlich würde er ewig mit seinen Schuldgefühlen leben müssen.

Im nächsten Moment hatte sich der Vampir wieder gefangen. Shantel sah, wie er tief schluckte, dann klärte sich sein Blick und die Augen begannen ihr wieder auf eine warme Art zuzulächeln, die nur ihr allein gehörte. Nur sie allein wusste um dieses Lächeln, denn sie war die einzige, der er es schenkte. Sie lächelte ebenfalls, griff nach seiner Hand und zog ihn mit sich. “Komm mit nach draußen. Ich will dir erklären, was geschehen ist.”

Im Vorübergehen erhaschte Abraxas einen Blick auf Yuuryon, der sich am Ende, einer der zahlreichen Säule, auf dem Boden, erschöpft zum Schlafen zusammengerollt hatte.
 

Vor dem Tempel war die Nacht bereits angebrochen. Trotzdem war die Welt in blankes Mondlicht getaucht, umrahmt vom schimmernden Glanz tausender Sterne, die sich im Wettstreit um das schönste und strahlenste Leuchten gegenseitig zu überbieten suchten, als wollten sie vergessen machen, welch trauriges Schicksal sich erst vor kurzem an diesem unheiligen Ort vollzogen hatte. Glühwürmchen tanzten über den kargen, abgeernteten Feldern, anmutig und vergänglich zugleich, ein letztes Zeichen des im Ausklingen ergriffenen Herbstes. Shantel seufzte ergriffen und atmete tief die reine Nachtluft ein und auch Abraxas vermochte es nicht vollends den stummen Zauber der nächtigen Stille abzuwehren. Anderentags hätte er sicher versucht die Gelegenheit zu nutzen und sich Shantel zu nähern, war es doch immer äußerst ungewiss, wie der wankelmütige Engel auf seine schüchternen Zärtlichkeiten reagierte, doch jetzt war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort um diese zu erproben. Zuviel war in den letzten Stunden geschehen und noch immer brannte diese kleine schwarze Flamme in ihm - jene, welche Menschen Eifersucht nannten und welche nur darauf wartete neue Nahrung zu bekommen, damit die gierigen Flammenzungen höher schlagen und sich fester in Abraxas’ Herz graben konnten.

“Nun erzähle!”, forderte er. “Was hat dich hierhergetrieben und vor allem was hast du mit diesem Velcon zu schaffen?” Die letzten Worte waren ihm in einen schärferen Ton entwichen, als er vorgehabt hatte, so dass Shantel erschrocken zusammen fuhr, doch er sah keine Notwendigkeit dafür seine Stimme zu senken. Sollte sie nur hören, wie sehr ihm ihr Handeln misshagte.

Shantel musterte ihn nachdenklich, schien verschiedene Gedanken hinter ihrer Stirn abzuwägen, dann sagte sie: “Ich kam hierher, weil ich nach dir suchte. Im Tempel traf ich aber nur auf Velcon. Du und Yuuryon lagt wie tot am Boden. Mir war sofort klar, dass Velcon etwas mit eurem Zustand zu tun haben musste, also bedrängte ich ihn so lange bis er mir die Wahrheit erzählte.”

“Und die wäre?”, fragte Abraxas patzig.

“Velcon handelte im Auftrag Lelis’. Sie und Karin sind Zwillinge und entstammen Liliths verruchten Lenden. Velcon ist der Vater. Aber das weißt du ja bereits. Karin scheint ohne jegliche Macht, als völlig normaler Mensch, geboren zu sein, weswegen sie wohl von Lilith verstoßen wurde. Velcon allerdings nahm sich ihrer an, zog sie aber nicht als seine Tochter, sondern als eine der Tempelnovizen auf. Er hoffte so ihr nahe zu sein, ohne sie jedoch dem Zorn Liliths auszusetzen.”

Man konnte es förmlich hören, wie es hinter Abraxas’ Stirn Klick machte. “Natürlich!”, rief er aus. “Ich habe die ganze Zeit überlegt, warum mir der Name des Tempels so bekannt vorkam. Nosch ist in der alten Sprache das Wort für Nacht. Lilith wird als die Nächtige verehrt! Also ein Tempel der Lilith, dann ist Velcon...”

“...der oberste Tempelpriester, genau. Du hast es erfasst”, ergänzte Shantel gelassen.

“Warum es Lelis’ allerdings auf dich abgesehen hat, kann ich dir nicht sagen. Velcons Aussagen waren da sehr undurchsichtig, sowieso versuchte er so viel als möglich vor mir zu verbergen - aber du weißt, wie sinnlos dieses Unterfangen ist.”

Abraxas nickte zustimmend. Oh ja, er wusste. Wenn Shantel etwas erfahren wollte, erfuhr sie es auch und lügen war absolut zwecklos.

“Der Plan war deinen Körper und Geist von einander zu trennen - denn Lelis ist ebenso, wie Lilith ein ätherisches Wesen, welches ihre ganze Kraft erst in einer übergeordneten Zwischenwelt entfalten kann. Du hingegen besitzt in erster Linie physische Macht, weswegen es ihnen hätte leicht fallen sollen, dich zu beseitigen.”

Abraxas murrte verstimmt: “Beinahe wäre ihnen das auch gelungen.”

“Ja”, nickte Shantel zustimmend. “Aber glücklicherweise wurden auch Yuuryon und Karin versehentlich durch den Körperkontakt zu dir, im Moment als du den Stein berührtest, mit auf die Geistesebene gezogen. Vor allem durch letztere ließ sich Velcon dazu bewegen mich ebenfalls dorthin zu bringen. Die Sorge um seine Tochter trieb ihn voran und dann wollte er wohl auch nicht, dass mir etwas geschieht.”

“Woran das wohl lag”, lachte der Vampir abfällig. Shantel verzog verstimmt das hübsche Gesicht. “Hör auf damit”, forderte sie. “Velcon ist ein guter Mensch, er steht nur zu sehr unter Liliths Einfluss. Und da ist er bei weitem nicht der Erste, der ihrem süßem Gift erliegt.”

Abraxas fuhr auf. “Willst du jetzt auch noch Verständnis für ihn haben? Er hätte mich beinahe umbringen lassen!”

“Ja”, antworte sie knapp. Der Vampir verstummte augenblicklich und sie seufzte tief, wand sich ab und sagte leise: “Liebe ist ein viel zu mächtiger Zauber, als dass man jemanden, der in ihrem Auftrag handelt verurteilen dürfte.” Und Shantel wusste genau wovon sie sprach - zu genau.

“Hör zu, was ich dir jetzt sage ist sehr wichtig.” Sie verstummte einen kurzen Moment und sah Abraxas an. Der Vampir starrte beleidigt in den Nachthimmel. “Sehr wichtig, hörst du?”, schimpfte sie, griff nach oben und drehte sein Gesicht grober als notwendig in ihre Richtung. “Wichtig! Verstanden?”

Nur widerwillig nickte der Vampir. In seinem Inneren tobte ein feuriger Sturm der Eifersucht und wenn es nicht Shantel gewesen wäre, die ihn mit so eindringlichen Blicken bedachte, hätte ihn wohl nichts auf der Welt davon abhalten zu können, nach dem Magier zu suchen und ihn in seiner ganz eigenen abraxas-typische Freundlichkeit danach zu fragen, was dieser denn mit seiner Shantel angestellt hatte, dass sie so gar keinen Schmutz auf das blütenweise Hemd des Scharlatans kommen lassen wollte.

Da es aber Shantel war, die vor ihm stand und nun bereits zum wiederholten Male etwas von “Wichtig” faselte, unterdrückte er bedauernd den Wunsch seinem Innersten nachzugehen.

Als sich der Engel sicher sein konnte, wenn auch nicht die ungeteilte, wohl aber den größten Teil, Abraxas’ Aufmerksamkeit auf sich ruhen zu haben, sagte sie: ” Velcon wird dich zu Meantoris’ Burg führen.”

Es gab keinen wirklich Ausdruck um das Zusammenspiel verschiedener Mienen, von Fassungslosigkeit über Unverständnis bis hin zu Entsetzen und Abscheu, welches sich in Abraxas’ Gesicht abspielten, treffend zu beschreiben. Eines war aber nur all zu offensichtlich, sonderlich viel schien der Vampir von dieser neuen Nachricht nicht zu halten. “Er wird WAS?”, fragte Abraxas schockiert.

“Dich zu Meantoris Burg führen”, antworte Shantel trocken. “Nach der du die ganze Zeit gesucht hast, deswegen bist du überhaupt hier. Wegen Yenath, schon vergessen?”

“Nein, aber...” Abraxas verstand die Welt nicht mehr. “Wieso? - Warum...? Ich meine... du...”

Shantel winkte ab, doch es schien als müsste sie sich zwingen zu lächeln. “Natürlich bin ich dagegen. Aber Velcon hätte es dir so und so erzählt, aber da ich nicht wollte, dass du ihm am Ende den Kopf abschlägst, hielt ich es für besser, wenn ich dir selbst diese Mitteilung überbringe.”

“Als ob ich ihm dem Kopf abgeschlagen hätte”, murrte der Vampir “Ich hätte...”

“Und ich will es nicht wissen”, schnitt ihm Shantel das Wort ab. “Fakt ist. Velcon wird dich zu der Burg bringen, wenn du es wünscht. Er erhielt von Lilith diesen Auftrag. Scheinbar liegt es auch in ihrem Interesse, dass du ihm endlich gegenüber trittst und alles ein Ende findet. Natürlich würde ich es vorziehen, wenn du Velcons Hilfe in den Wind schlägst und alleine weitersuchst. Dann könnte es bei deiner Orientierung nämlich noch ein wenig dauern...”

Der Vampir brummte verstimmt, aber Shantel grinste nur und stieß ihn sanft in die Seite, was er mit einem Lächeln quittierte.

“Aber ich denke, dass du diese Gelegenheit ergreifen wirst und vielleicht sogar musst, wenn du endlich mit der Vergangenheit abschließen willst. Und es mag blasphemisch anmuten, doch vertraue ich in diesem Fall Liliths Urteilsvermögen. Wenn sie meint, dass du bereit bist Meantoris gegenüber zu treten, dann wird es wohl stimmen, denn ich glaube nicht, dass sie dich einfach ins offene Messer laufen lassen würde.”

Abraxas nickte nachdenklich. Liliths Obsession für sich hatte ihm Lelis’ ja auch bestätigt. Trotzdem passte es nicht - fürchtete sie denn nicht mehr, dass es Meantoris gelingen könnte Kains Seele an sich zu reißen und wieder zu erstarken?

“Natürlich besteht immer ein Restrisiko, aber das ist meine Herrin bereit einzugehen.”

Abraxas und Shantel fuhren herum und wenigstens letztere beruhigte sich schnell wieder, als sie in das müde Gesicht des erschöpften Magiers sah. Abraxas hingegen schien Velcons Anblick erst wieder neuen Zunder zu geben. “Ließt du meine Gedanken, oder was?”, fauchte er aufgebracht. Velcon schüttelte beschwichtigend den Kopf: ”Nein, aber es war abzusehen, was dir im Kopf herum spucken musste. Glaub mir - ich kenne dich besser, als du meinst, oder dir lieb wäre.”

“Du hast gelauscht”, stellte Shantel schmunzelnd fest. “Nein.” Shantel hob eine Augenbraue. “Ja...”, gab Velcon zerknirscht zu. “Egal, so weiß ich wenigstens, dass du Bescheid weißt.” Er sah Abraxas an, versuchte etwas in dessen Augen zu erkennen, aber die roten Lichter leuchteten nur abweisend und kalt. “Wenn du willst, können wir morgen früh bereits aufbrechen.” Der Vampir schwieg.

Da nach einiger Zeit immer noch keine Antwort erfolgt war, hob Velcon die Schultern und wand sich zum Gehen. “Tu was du willst. Ich werde morgen früh warten, ob du kommst oder nicht ist dir überlassen. Ich biedere mich nicht an.”

Abraxas spuckte aus, als der Magier wieder im Inneren des Tempels verschwand. “Ich traue ihm nicht”, murrte er und Shantel schmiegte sich an ihn. “Ich weiß”, sagte sie leise. “Aber deine Zweifel sind unberechtigt. Velcon wird dir nichts mehr tun. Wenn du ihm schon nicht trauen kannst, dann doch wenigstens mir und meinem Urteilsvermögen.”

Das gab Abraxas zu denken - denn auf die Menschenkenntnis Shantels war tatsächlich bestens Verlass. Trotzdem... “Lass mich noch eine Nacht darüber schlafen. Ich bin zu müde um sowas jetzt zu entscheiden.”

Shantel nickte zustimmend - “Dann komm” - und zog ihn zurück in den Tempel.

Leider hatte sich im Innersten noch immer nichts an der Einrichtung geändert. Die Halle war bis auf vereinzelte Säulen und Kerzenständer leer, wie eh und je. Nicht einmal ein Teppich auf dem man sich hätte ausstrecken können. Abraxas scherte es wenig. Er hatte bereits in ungastlicheren Gefilden genächtigt und die Aussicht von einem Dach über dem Kopf machte die ganze Sache doch schon recht angenehm. Kommentarlos ließ er sich am Fuße einer der Säulen nieder, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und verschränkte die Hände vor dem Körper - ausreichend. Neben ihm raschelte Shantel, die das Schlafen auf kargem Erdboden nicht gewöhnt war, missmutig auf der Suche nach einer geeigneten Schlafstellung hin und her, gab dieses Unterfangen in Einsicht der Hoffnungslosigkeit dessen, aber bald auf. “Mir ist kalt”, murrte sie und schreckte Abraxas, der schon fast in den Schlaf hinüber geschippert war, wieder auf. Müde zog der seinen Mantel aus, bettete diesen um Shantel und zog sie an sich. “Und jetzt Ruhe, meine Liebe”, scherzte er leise.
 

Der Morgen hielt für Yuuryon eine Überraschung bereit. Zwar schmerzte sein versorgtes Handgelenk noch immer heftig, doch ging es ihm ansonsten gut - ja, man konnte sagen, dass sich der Flussmensch zum ersten Mal seit einiger Zeit, wieder sicher und geborgen gefühlte, als wäre eine Last von seinen Schultern genommen wurden. Trotzdem konnte dieser Zustand des allgemeinen Wohlbefindens nicht darüber hinwegtäuschen, dass etwas zu fehlen schien und damit meinte Yuuryon nicht die leere Stelle, die begonnen hatte sich in seinem Magen bemerkbar zu machen - allgemein auch als Hunger bekannt.

Nein, etwas anderes fehlte, etwas was man nicht unbedingt vermisste, wenn es denn nicht da war. Demzufolge musste das Fehlende etwas weniger Angenehmes sein, schlussfolgerte Yuuryon und im gleichen Moment fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Abraxas war nicht da! Die erdrückende Präsenz des Vampirs fehlte.

Suchend sah sich der Dieb um, konnte aber bis auf den Tempelaltar und viele einzelne Säulen und Kerzenständer nichts weiter erkennen. Abraxas war nicht da - niemand war da. Yuuryon war allein. Und mit diesem Verstehen ergriff den Flussmenschen Panik. Das durfte nicht sein!

Hastig eilte Yuuryon den langen Tempelflur entlang, ignorierte die bebenden Schmerzen, die sich bei jedem Schritt durch seinen bandagierten Arm bohrten und stieß die Tempelpforten auf. Gleissendes Sonnenlicht brannte sich in seine Augen, blendete ihn, so dass er Shantel, welche direkt vor den Pforten gestanden hatte, nicht sah und prompt mit ihr zusammen prallte. “Pass doch auf!”, schimpfte sie, half Yuuryon aber lachend auf, als sie in sein verdattertes Gesicht sah. Der beachtete sie schon gar nicht weiter. Sein Blick heftete sich auf die beiden hochgewachsenen, dunklen Gestalten, die emsig damit beschäftigt waren, zwei Pferde aufzuzäumen und sich dabei allergrößte Mühe gaben sich gegenseitig zu ignorieren. Yuuryon ließ Shantel stehen und lief auf die beiden zu. Der Magier schien ihn als Erster zu bemerken und begrüßte ihn mit einem freundlichen: “Guten Morgen, Yuuryon. Es scheint dir wieder besser zu gehen.” Der Dieb nickte geistesabwesend. Sein gesamtes Augenmerk konzentrierte sich auf Abraxas, der soeben mit dem Aufzäumen fertig geworden war und nun zufrieden zurücktrat.

“Du willst aufbrechen?”, fragte Yuuryon erleichtert - Abraxas war noch da. Der schien ihn tatsächlich erst wahrzunehmen, als er von Yuuryon direkt angesprochen. Der Vampir blinzelte und nickte dann. “Ja, aber ohne dich.”

Die Erleichterung verschwand.

“Du bleibst hier...”

Entsetzten breitete sich aus.

“...oder gehst. Mach was du willst. Deine Aufgabe ist erfüllt. Ich brauche dich nicht mehr.”

Yuuryon schluckte. Nein, so einfach konnte er es sich doch nicht machen?! “Das ist nicht dein Ernst!”, lachte Yuuryon verzweifelt, aber das Lächeln erstarb prompt, als er in Abraxas Gesicht sah. “Das ist mein purer Ernst”, hörte er den Vampir sagen.

Yuuryon schüttelte den Kopf. “Nein, das geht nicht!”, stellte er endlich fest. “Ich will mitkommen.” Abraxas lachte nur und ließ ihn stehen, lief auf Shantel zu. “Lach nicht! Ich meine das Ernst.”

Kopfschüttelnd blieb der Vampir stehen. “Blödsinn. Du wolltest die ganze Zeit von mir weg. Jetzt kannst du gehen und willst nicht. Das ergibt doch keinen Sinn. Es gibt überhaupt keinen Grund dafür dich mit zunehmen.”

“Doch den gibt es”, beharrte Yuuryon verärgert. “Ach?” Abraxas drehte sich um, musterte Yuuryon kurz und stieß ihn an den verletzen Arm. Der Dieb gab einen zischenden Schmerzenslaut von sich. “Siehst du?”, fragte Abraxas. “Als wenn du vorher eine große Hilfe gewesen wärst, aber so bist du mir doch nur noch ein Klotz am Bein.” Plötzlich wurde Abraxas’ Blick sanfter, ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er sagte: “Ich meine es doch ausnahmsweise gut mit dir, wenn ich dich gehen lassen. Wer weiß was beim nächsten Mal passieren könnte. Da bricht dir nicht nur der Arm, sondern vielleicht das Genick. Bleib hier.”

Aber Yuuryon schüttelte nur beharrlich den Kopf. “Nein!”

“Aber warum? Hast du nicht genug durchgestanden?”

Der Flussmenschen zögerte kurz, aber dann hob er den Kopf und sah Abraxas direkt in die Augen. Die hellblauen Augen glänzten, wie im Fluss glatt geschliffene Steine, funkelnd, klar und hart - es war Yuuryon absolut ernst. “Eben deswegen. Ich habe das nicht alles durchgemacht - für nichts. Ich will wissen wofür das alles gewesen ist. Ich will wissen, wie es zu Ende geht.” Sein Blick wurde flehend. “Schick mich jetzt nicht weg.”

Abraxas zögerte, seine Vernunft auch im Interesse des Flussmenschen, riet ihm Yuuryons Bitte einfach abzuschlagen. Es war für ihn viel zu gefährlich und auch Abraxas selbst konnte gefährdet werden, wenn er sich zusätzlich noch um den Dieb kümmern musste. Aber Abraxas war noch nie jemand gewesen, der sonderlich viel von Vernunft hielt. Alleine, die Tatsache, dass er sich befand wo er war, sprach gegen die sonderlich gute Ausprägung dieser geistigen Vorkehrung. Auch erinnerte er sich noch gut an das letzte Mal, als er den Flussmenschen so ernst bei der Sache erlebt hatte. Erst am vergangenen Tag hatte er ihn warnen wollen den Tempel zu betreten und damit hatte er letztendlich Recht behalten. Der Tag war beinahe in einer völligen Katastrophe geendet.

Auch ein fragender Blick in Shantels Richtung brachte ihm keine Hilfe. Der Engel hob nur ebenso ratlos die Schultern. Velcon um einen Rat zu fragen, schloss sich natürlich von vorne herein aus. Letztendlich war es aber eben dieser und eine kleine Anmerkung Kains, die den Ausschlag gaben. *Wenn wir ihn mitnehmen, sind wir mit dem popligen Magier wenigstens nicht allein unterwegs.*

Der Vampir seufzte ergeben: “Dann komm eben mit, aber wehe du stehst mir im Weg herum.”

Yuuryons strahlte: “Bestimmt nicht!”



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2006-09-08T09:57:02+00:00 08.09.2006 11:57
Boah, ich hab jetz innerhalb von zwei Nächten alles durchgelesen. echt spitze, die Story, ich hoffe du schreibst noch weiter, aber sieht so aus =)
Also auf jeden Fall riiiiiiiiießenlob, du solltest glatt mal an nen Verlag gehn :-)
Ich werd hundertpro m,al öfter reinschaun, und hoffen das ein neues chap da ist =)
weiter so! *winkz*
Von:  Duke_Poem
2006-07-31T14:40:29+00:00 31.07.2006 16:40
Ojaaa, endlich wieder neue Kapitel da! *froi*
Tja, der Schreibstil ist immer noch genial und hat sich nicht verschlechtert und nach dem Lesen bekommt man so eine Aufbruchsstimmung. Ich fands niedlich, als Kain Yuu 'umarmt' hat und dieser am Ende dann doch mitkommen konnte.
Um Karin hab ich irgendwie nicht getrauert... *ich böses Mädchen*
Aber diese Eifersuchtsgeschichte zwischen Abraxas, Shantel und Velcon find ich ganz lustig, nur kommt mir Velcon wie ein alter Opa vor.
Jedenfalls warte ich schon mal geduldig auf das nächste Kapitel. ^^

MfG, das kleine Mädchen
Von: abgemeldet
2006-07-29T09:43:24+00:00 29.07.2006 11:43
Halloooooo
ich bins mal wieder !!^^
hey ich war total erstaunt, dass das neue Kapitel so schnell oben war, hab mich richtig arg gefreut!!
Also...ich finds süß das Yuu doch mit will...hät ihn bestimmt vermisst wenn er nicht mehr da gewesen wär...
Außerdem ists mit ihm viel lustiger!!^^
Ich finde diesen Velcon ein bisschen merkwürdig....man weiß nicht genau was er will oder was er mit diesen ganzen Geschehnissen zu tun hat...
Ach ja ich fand süß das Abraxas eifersüchtig war....^^
naja ich hoffe du schreibst schnell wieder weiter... freu mich schon aufs nächste Kapitel
Lg Kleines


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