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Drachenseele

Das Herz einer Priesterin
von

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*~Brottför~*

"Jede Reise, jede Wanderschaft ist ein Aufbruch zu neuen Ufern, ein Sprengen der Ketten, die uns an den Felsen des Alltäglichen und Gewohnten schmieden." – Dr. Carl Peter Fröhling
 

Kapitel 5 - Brottför

-Aufbruch-
 

*Versuchen wir nicht alle auf gewisse Weise der Einsamkeit zu entkommen? Und sei dies nur durch einen Partner, der uns eine kleine Etappe unseres Lebens lang begleitet?

Zieht es nicht jedes Wesen vor, zumindest irgend jemanden bei sich zu haben - auch, wenn dieser nicht gerade dessen Idealbild entspricht? Ist Gesellschaft, gleich welcher Art, nicht etwas, das wir alle mögen und wertschätzen?*
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

Ich überwand mich und betrat den bewussten Gang, setzte meine mit seiner Augenhöhe gleich indem ich mich auf den Boden kniete. Eine Weile geschah nichts, ich sammelte mich, suchte nach treffenden Worten.

"Was bezweckst du mit deinen Spielchen? Ich glaube nicht, dass dir das in irgendeiner Weise weiterhilft."

Er starrte noch immer auf den Brunnen, auf die Stelle, an der ich mich vor einigen Momenten noch aufgehalten hatte.

"Es ist kein Spiel."

Das überraschte mich aber jetzt wirklich, seit wann sprach er mit mir?

Und ich hatte Recht, er verstand mich sehr wohl und gab sich selber auch klar und deutlich zu verstehen.

Seine Stimme war vergleichsweise tief und gleichmäßig, sein Ton kalt und bestimmend, dieser eine Satz hatte vollkommen ausgereicht, um jene Begebenheiten zu erkennen; allerdings meinte ich einen leichten Akzent herausgehört zu haben, vielleicht täuschte ich mich.

Den Augenblick, den ich zum Nachdenken gebraucht hatte, hatte er genutzt um aufzustehen, mit gemächlichen Schritten entfernte er sich langsam von mir, von Anstand oder Höflichkeit hatte er wohl noch nicht viel gehört. Wenigstens eine Sache wollte ich noch wissen.

"Meinen Namen kennst du, verrätst du mir wenigstens noch deinen?"

Er drehte sich nicht um, blieb auch nicht stehen, war halbwegs hinter der Ecke verschwunden.

"Flúgar."

Damit war er gänzlich verschwunden, ließ mich hier einfach sitzen. Was bildete er sich denn ein? Dass er etwas Besseres war, weil er sich zu den Dämonen zählte?

Sein respektloses Verhalten wäre ihm bei einem strengen Vater längst vergangen, in diesem Fall hätte er nämlich Prügel bezogen und zwar zu Recht. Ich verbot es mir ihn auch nur in meinen Gedanken zu verfluchen, das gehörte sich nicht. Zudem fehlte mir ehrlich gesagt der Mut um es ihm offen zu sagen, für wen und was ich ihn hielt. Das war keine gute Idee.

,Flúgar'... ein seltsamer Name, das kam definitiv nicht aus der vorherrschenden Sprache in diesen Regionen. Möglicherweise hatten die Dämonen seiner Art auch einen eigenen Dialekt, so weit hergeholt klang das nicht. Das würde auch den angedeuteten Akzent erklären. Andererseits könnte es natürlich auch nur eine willkürliche Anordnung von Buchstaben sein, die er mir an den Kopf geworfen hatte, damit ich ihn zufrieden ließ. Auch eine Möglichkeit, die ich ihm zutraute. Aber wenn er es mir so sagte, würde ich ihn auch so nennen. Ich nahm seine Antwort einfach ernst.
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

Gegen ihren eigenen Entschluss war sie dann doch eingeschlafen, lehnte an einem der großen Pfeiler des Torii.

Halbwach blinzelte sie in die durch das dichte Blätterkleid des Asebi, welcher im vorderen Teil der weiträumig angelegten, den Tempel umgebenden Anlage stand, abgeschwächten, jungen Sonnenstrahlen, setzte sich langsam auf. Noch immer benebelt, gähnte sie, wanderte mit ihren Augen ruhig die nächste Umgebung ab. Außer ein paar harmlosen Insekten die sich im kurzen Gras zwischen den Dokudami neben ihr tummelten, entdeckte sie nichts.

Mit einem Mal war sie hellwach, schaute sich erneut um. Sie hatte sich umsonst erschreckt, von ihm gab es weit und breit kein Anzeichen von einer Spur. Es bestand die Möglichkeit, dass er einfach gegangen war - was sie inständig hoffte. Sicher konnte sie nur gehen, wenn sie nachsah. In hoffnungsvoller Erwartung auf die Bestätigung ihrer Vermutungen tat sie das auch.

Sich alle Zeit und Ruhe vorwegnehmend ging sie erst den Tempel ab, dort war er nicht, auch auf dem Dorfplatz und vor dem Tempel hielt er sich nicht auf. Ihre Spekulation schien sich langsam aber sicher zu bewahrheiten. Momentan spürte sie seine Aura nicht, dennoch wollte sie ganz sicher gehen.

"Flúgar?"

Ihrem Ruf folgte keine Antwort, also wiederholte sie es, lief währenddessen in Richtung des Brunnens. Immer noch blieb es still, außer dem penetranten Zwitschern einiger Vögel hörte man auch nur den Wind in den Baumkronen rascheln. Mittlerweile rief sie ziemlich laut, wenn er noch in der Nähe war, musste er es hören.

Was tat sie hier eigentlich?

Fakt war, sie lief durch das Dämonenjäger-Dorf, dessen Bewohner er alle um die Ecke gebracht hatte und rief nach dieser unverschämten, undankbaren Person... das war eine makabere Situation. Und wieder war alles nur seine Schuld! In diesem Augenblick wusste sie nicht recht, ob sie ihre Tat wirklich bereuen sollte, immerhin war ihr nichts geschehen. Seufzend folgte sie der leichten Kurve um das nächste Haus. Einmal würde sie noch rufen, ohne Antwort würde sie die Sache als erledigt ansehen.

"Flúgar?"

Das Geräusch von plätscherndem Wasser ließ sie aufschauen und der Anblick, der sich ihr bot, zwang sie augenblicklich dazu, dem Szenario ruckartig den Rücken zuzukehren. Woher sollte sie denn bitte wissen, dass er sich ausgerechnet hier am Brunnen aufhielt?

"Falls dir an deinem Leben etwas liegen sollte, hör auf meinen Namen durch die Gegend zu plärren."

Als ob das jetzt das Problem gewesen wäre. Hätte er nicht zu einem anderen Zeitpunkt seinen speziellen Waschritualen nachkommen können? Zum Beispiel dann, wenn sie sich nicht gerade in seiner Nähe aufhielt?

Gut, nötig hatte er es wohl, aber... kannten Dämonen denn überhaupt keine Scham?

Es schien ihn nicht zu kümmern, dass sie ihn gesehen hatte. Ihr hingegen war es peinlich. Sie hielt es für nötig sich zu entschuldigen.

"Gomen, ich wollte nicht..."

Sie bekam ihren Satz nicht einmal zuende gesprochen, als er ein verärgertes Schnauben von sich gab.

"Verklemmtes Menschenweib."

Bitte?

Fast hätte sie sich umgedreht um ihm einen scharfen Blick zuzuwerfen, hatte es glücklicherweise aber doch unterlassen. Sie war eben nicht so freizügig wie er, na und? Vor anderer Leute Augen musste man sich ja auch nicht völlig entkleiden, allein aus Höflichkeit nicht und vor einer Frau schon gar nicht! Er besaß kein Fünkchen Anstand. Außerdem fehlte ihr das Verständnis dafür, wie man sich freiwillig mit so kaltem Wasser in Berührung bringen konnte. Schon allein die Vorstellung ließ sie frösteln.
 

Warum tat sie sich das an?

Wenn er nicht ging, würde sie es einfach angehen und von hier verschwinden, er schien soweit genesen, dass er fähig war alleine klarzukommen. Hier hielt sie - realistisch betrachtet - nichts mehr. Zugegeben, die Sache wirkte ziemlich überstürzt, aber es hatte weder Sinn noch Grund weiterhin zu bleiben. Und warum warten?

Sie konnte genauso gut jetzt wie morgen früh oder Abend gehen, das blieb sich letztlich gleich. Entschlossen entfernte sie sich von dem Dorfbrunnen, brachte den Tempel in den Zustand, in dem sie ihn vorgefunden hatte und trug ihr beinahe spärlich erscheinendes Reisegepäck zusammen. Dann sprach sie ein letztes Gebet für die von ihr beigesetzten, getöteten Dorfbewohner und lief eiligen Schrittes in Richtung des Haupteinganges um das Dorf zu verlassen.

Sie durchschritt das Tor, bereitete sich auf den schwierigen Abstieg vor. Herunter zu kommen bewies sich eindeutig schwerer als hinauf. Die Lage des Dorfes war nicht unbedingt vorteilhaft, wenn man vorhatte es oft zu verlassen. Diese steile Anhöhe war unpraktisch, einen Wagen brachte man wohl nicht sicher nach oben, geschweige denn nach unten.

Aus ihren Gedanken gerissen, hielt sie plötzlich inne, stand mit einem Mal vollkommen still.

"Gibt es einen plausiblen Grund dafür, dass du mir nachläufst?"

Sie bemühte sich nicht den genervten Klang ihrer Stimme zu unterdrücken, er konnte ruhig wissen, wie sehr er sie störte. Sie hatte sich nicht einmal umgedreht.

"Sicher gibt es den."

Mit dieser Antwort konnte sie nicht viel anfangen, sein Verhalten war eine Wissenschaft für sich. Er hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass er sie überhaupt nicht ausstehen konnte, also was bitte sollte das jetzt werden?

"Der da wäre?"

Es klang nicht wie eine Frage, sie wunderte sich über ihren eigenen Ton. Allerdings gab er ihr doch allen Anlass dazu, jetzt nahm sie es schon in die Hand zu gehen und dann das! Was ging in seinem - wohl eher beschränkt funktionalen - Gehirn vor sich?

Sie warf einen leichten Blick über die Schulter, musterte ihn schweigend. Selbst seine Kleidung war sauber, was bedeutete das denn jetzt? Etwa ein männlicher Dämon, der seine Klamotten wusch? Alleine? Freiwillig?

Mit ihm konnte irgendwas einfach nicht stimmen, das passte schlichtweg nicht zusammen.

"Warum du mich nicht getötet hast, interessiert mich nicht, Fakt ist, du hast es nicht. Ein Leben hat seinen Wert, und der steht nun aus."

Er sah sie nicht einmal ansatzweise an, starrte auf die riesige Waldlandschaft, die sich vor ihnen über den gesamten Horizont ausdehnte. In seiner tiefen, gleichmäßig gehaltenen Stimme hörte sie eines glasklar heraus. Was er gesagt hatte, gefiel ihm nicht und was er damit meinte wusste sie nicht. Sie würde wohl nachfragen müssen, auch wenn ihm das noch um einiges weniger gefallen würde.

"Was bedeutet das?"

Behende drehte sie sich halbwegs zu ihm um, versuchte ihm in die Augen zu sehen, in der Hoffnung, er würde die Gestik erwidern, aber das blieb aus. Mit etwas Anderem war nicht zu rechnen gewesen.

"Schulden."

Jetzt schien alles klar. Aber...

Sie sah ihn an, deshalb verhielt er sich so unhöflich... seit er wusste, dass er sein Leben wahrscheinlich ihr verdankte, musste er sich... wie fühlte man sich als Dämon, wenn man einem Menschen etwas schuldete...?

Erniedrigt... das war der Grund für seine Misslaunen. Irgendwo hatte sie Verständnis dafür; wenn er tatsächlich zu den hochrangigen Mitgliedern seiner Rasse zählte und das hier bekannt wurde, war die Schande groß. Natürlich, das konnte ihn wohl alles kosten; seinen Rang, seine Ehre, den Platz in seiner Sippschaft, sein Leben und seinen Stolz, was ihm bestimmt am Härtesten treffen würde.

Und sie war Schuld, aufgrund ihres Handelns würde er in diese Situation geraten. Aber was hätte sie sonst tun sollen? Ihn töten?

Was die größere Schande war, blieb schlussendlich egal. Wie es auch gekommen wäre, keine Möglichkeit hätte ihn aus dieser Sache unschändlich befreit. Er sollte froh sein, dass er noch lebte, ein verschwendetes Leben hätte auch einiges an Unheil mitgebracht. In jedem Falle wäre es zu einer miserablen Situation gekommen - für sie beide. Außerdem machte er ihr keine Vorwürfe, seiner direkten Art nach, hätte er sich deswegen längst beschwert. Wie er seine Schulden genau begleichen wollte, wusste sie nicht und danach zu fragen war wohl eine äußerst schlechte Idee.

Wortlos drehte sie sich zurück in Laufrichtung, achtete weniger auf den Weg als zuvor, diese Begebenheit mit den Schulden beschäftigte sie mehr als das. Mit einem Dämon zu reisen, würde garantiert Schwierigkeiten mit sich bringen, bei gastfreundlichen Leuten war sie allemal willkommen, aber sobald sie wussten, was er war, würde es Probleme geben.

Sie seufzte, hielt am Fuße des Anstiegs wieder inne.

"Bist du sicher, dass du mitkommen willst? Du weißt ja selber, dass der allergrößte Teil der Menschen einen ziemlichen Hass auf Dämonen hegt."

Er hielt sichtbar Abstand von ihr, den Blick noch immer in die Ferne gerichtet.

"Mit ,wollen' hat das nichts zu tun."

"Das heißt, du musst ..."

Stumm nickend lief sie weiter, an den großzügig angelegten Reisfeldern des Dorfes vorbei, betrat schließlich wieder den Wald. Wohin sie ging, wusste sie auch nicht so genau, es würde sich irgendwie etwas ergeben; er sollte nur nicht merken, dass sie keine bestimmten Pfade nahm und sich von ihrem Gefühl leiten ließ.

Sie war noch nie wirklich gerne alleine unterwegs gewesen, es war durchaus gefährlich als Frau alleine durch die Provinzen des Reiches zu reisen. Aber ob sie sich über diese Begleitung freuen konnte, war noch unklar. Wenn er schon sagte, er hätte Schulden bei ihr, dann würde er sie mit Sicherheit nicht irgendwelchen Fremden - seien es Menschen oder Dämonen - überlassen. Das galt zumindest zu hoffen. Einzig beunruhigend empfand sie, dass sie ihn momentan weder hören noch seine Aura spüren konnte. Es fühlte sich eigenartig an zu wissen, dass jemand da war, ihn aber nicht wahrzunehmen. Allzu gesprächig war er ja auch nicht; ihr wäre wohler bei einem Gespräch gewesen, aber darauf würde er sich nicht einlassen.
 

Im weiteren Verlauf des Tages ereignete sich streng genommen nichts. Wir schwiegen uns gegenseitig an. Nur die typischen Geräusche des Waldes unterbrachen diese Stille, die nicht daher rührte, dass wir uns nichts zu sagen hatten. Mir wären hunderte von Fragen eingefallen, die ich ihm hätte stellen können, deren Antworten mich wirklich neugierig machten. Aber ich traute mich nicht, sie einfach so zu äußern; es erschien mir irgendwie unhöflich einen Fremden mit Fragen über seine Rasse und sich zu löchern, wenn man ihn nicht einmal dabei ansah. Da er mir folgte und sich nicht neben mir aufhielt, blieb es mir vehement verwehrt.

Der Abend kam rascher als ich es erwartete hatte, die Dämmerung brach bald herein, kündigte die kommende Nacht an. Es war kälter als die Abende zuvor, um ein Feuer würde ich nicht herum kommen, ob ich schlafen konnte würde sich herausstellen. Eine geeignete Stelle fand sich auch schnell, ich entschied mich am Ufer des kleinen Flusses, dessen Lauf ich wohl unbewusst den ganzen Tag lang gefolgt war, auf einer kleinen Lichtung, die von Lärchen und riesigen Kusunoki - die für diese Gegend absolut untypisch waren - umringt war, zu bleiben. Es war am Praktischsten.

Zufrieden sah ich mich um. Erst in diesem Augenblick fiel mir auf, dass er im Vergleich zu den letzten Stunden ziemlich zurückgefallen war. Als er dann in einigen Metern Abstand mein Blickfeld kreuzte und an mir vorbeilief, hörte ich seinen schwerer liegenden Atem. Er machte nicht den Eindruck als würde es ihm gut gehen. Woran das lag erkannte ich erst, als er sich setzte, einen der großen Bäume zum Anlehnen benutzte. Er vermied jede Bewegung mit dem linken Arm und lagerte ihn mit höchster Vorsicht in seinem Schoß; er schloss die Augen, legte den Kopf gegen die glatte Rinde des Stamms. Ob sich der Zustand der Wunden verschlimmert hatte?

Auf jeden Fall konnte ich mir das nicht weiter ansehen, wenn er wirklich Schmerzen hatte würde er auch keine allzu heftige Gegenwehr leisten. Nur wusste ich nicht genau, wie ich es am besten anging. Improvisation war wohl die beste Lösung, sich etwas vorzunehmen, das ohnehin nicht funktionierte, hatte wenig Sinn.

Ich hielt mich zunächst auf Distanz, musterte ihn weiterhin. Schon das alleine passte ihm nicht, aber diesmal würde ich nicht auf seine lautstarke Drohung eingehen. Ich wusste auch nicht so recht, wo ich ansetzen sollte, es war unsinnig zu fragen, wie er sich fühlte, die Antwort darauf kannte ich bereits. Langsam kniete ich in geringerer Entfernung vor ihm ab, hielt meine Stimme leise.

"Flúgar?"

Wenigstens reagierte er noch, auch wenn er die Augen nur einen Spalt öffnete, sah mich diesmal an. Deren glasiger Schimmer verriet mir Weiteres über seinen Zustand. Er tat mir leid, aber das gefiel ihm sicherlich auch nicht. Warum ich mir Sorgen um ihn machte, fragte ich mich auch noch.

Als ich die Hand nach ihm ausstreckte, sah ich wieder umso deutlicher wie dankbar und kooperativ er sich mir gegenüber verhielt; mit meiner Annäherung wandte er den Kopf zur Seite ab, verspannte die Muskeln und drückte seinen Körper gegen den Baum, intensivierte den dunklen Laut merklich. Mich behielt er im Augenwinkel, ihm entging nicht die kleinste Bewegung. Ich verstand, dass er meine Hilfe geflissentlich ablehnte, aber es kümmerte mich nicht, es ging nun mal nicht immer nach dem eigenen Willen.

"Wenn du mich es nicht wenigstens einmal anschauen lässt, ist es morgen noch schlimmer. Stell dich doch nicht so an!"

Oberflächlich betrachtet gab er kein Stück nach, aber es interessierte mich wenig, zumindest machte er keine Anstalten sich anderweitig zu widersetzen und das würde ich nutzen. Ich ignorierte es, wendete mich seiner Verletzung zu, brachte wahrscheinlich ebenso viel Mut wie Behutsamkeit auf - was passierte wenn ich ihm - aus Versehen - wirklich wehtat, wollte ich nicht am eigenen Leib erfahren.

Trotz seiner miserablen Verfassung ließ er mich nicht frei gewähren, er beobachtete mich, er traute mir kein bisschen über den Weg; Letzteres beruhte auf Gegenseitigkeit. Vielleicht sollte ich ihm das nicht verübeln, was sollte man denn sonst von Menschen denken wenn man auf ihrer Abschussliste ganz oben stand?

Es war verständlich, aber so beschränkt war er auch wieder nicht, dass er nicht erkannte, dass ich nicht zu dieser Sorte zählte. Vielleicht hatte er auch einfach keine Vorstellung was eine Priesterin tat, möglich war es immerhin. Andererseits war mir ebenfalls nicht wirklich bewusst, was ich von ihm halten sollte... eigentlich entsprach er ziemlich genau dem, was man sich erzählte: brutal, menschenverachtend, eiskalt, emotionslos, aggressiv und blutgierig. Manches davon konnte ich bis jetzt noch nicht bestätigen, aber es würde zu ihm passen.

Ich schob ihm den Ärmel hoch bis über den Ellbogen, rätselte derweil, aus welchem Stoff nun seine Kleidung wahrhaftig bestand, lenkte letztendlich meine volle Aufmerksamkeit auf den Verband und die darunter befindliche Wunde. Und es verwunderte mich doch, dass er mich - streng genommen - so gewähren ließ wie ich wollte. Entweder hatte er es verstanden oder er konnte nichts dagegen tun. Er hielt still, selbst als der Verband gelöst war und ich einigermaßen vorsichtig die kaum verheilten Wundmale abtastete. Es hatte sich nicht viel getan, dabei hieß es doch, Dämonen regenerierten sich so überaus schnell. Wie kam das?

"Weißt du, warum es nicht heilt?"

Für einen Moment stellte er den Ausdruck seines Missfallens ein, holte mehr Luft als mit den vorangegangenen Atemzügen.

"Drachengift."

Seine Stimme klang gepresst, es schmerzte anscheinend doch ziemlich.

Moment. Drachengift? Bei diesem mir fremden Toxin handelte es sich tatsächlich um Drachengift?

Was man dagegen unternahm, war ich nie gelehrt worden, richtig helfen konnte ich ihm nicht. Die Kräuter-Mixtur war nur eine Übergangslösung, ein noch stärkeres und vor allem wirksames Anti-Toxin kannte ich nicht... wie bekam ich nur das Gift aus ihm heraus? Und wie kam er eigentlich zu so einer Vergiftung? Hatte er sich vielleicht mit dem grünen Drachen angelegt?

Dieser süßliche Duft war in dessen Umgebung besonders intensiv wahrzunehmen gewesen. Irgendwo würde das doch einen Sinn ergeben. Angenommen Flúgar hatte den anderen Drachen besiegt und die Dämonenjäger waren kurz darauf erschienen, er hatte einen Teil getötet und dann das Dorf ausfindig gemacht... das klang doch ganz plausibel. Aber für diesen Drachen waren die Bissmale an seinem Körper zu klein, das Gebiss des Drachen konnte unmöglich so wenig ausmachen, gegen diese Tatsache verhielten sich die Fakten hier beinahe mickrig; wohl aber nicht ungefährlich.

"Wie man so eine Vergiftung heilt, entzieht sich meines Wissens, als Priesterin lernt man nichts über Drachengifte..."

Es tat mir leid, dass ich in diesem Punkt nichts vorzuzeigen hatte. Und was weiter?

Ehrlich gesagt, hatte ich keine Ahnung.

"Damit komme ich alleine klar. Verschwinde."

Irgendwie glaubte ich das nicht... er klang zwar ziemlich sicher, aber mehr auch nicht.

Unzufrieden mit der präsenten Lage, erneuerte ich den Verband, ließ von ihm ab, seiner äußerst abfälligen, barschen Anordnung mehr oder weniger nachkommend, und verschwand im nächstgelegenen Teil des Waldes, um Feuerholz zu suchen. Oder ich versuchte mich dadurch abzulenken - das war auch gut möglich.
 

Vielleicht war ihm seine derzeitige, offensichtliche Schwäche unangenehm, nein, eher peinlich. Er versuchte jetzt noch es zu verbergen, obwohl ich es längst wusste. Auf die Idee, dass ich diese Begebenheiten für mich behalten würde und dass er sich vor mir nun wirklich nicht dafür schämen musste, dass er verletzt war, kam er nicht einmal. Mit ihm reden verhalf mir nicht wesentlich weiter.

Er meinte, er würde alleine damit klarkommen... und warum war er dann der festen Überzeugung, ich hätte ihm vorher sein Leben bewahrt?

Hochgradig wirksam war meine Mixtur nicht, diese Rückfälle bestätigten das. Wenn er schon halbwegs im Delirium gelegen hätte, wäre es mir aufgefallen. Und immerhin kannte er seinen Körper um Einiges besser als ich, er sollte schon wissen mit was er zurechtkam und mit was nicht. Selbst wenn nicht, hätte er nicht nach Hilfe gefragt, würde wohl lieber daran zu Grunde gehen als sich von einem Menschen helfen zu lassen; selbst schuld!

Ich sollte meine Gedanken etwas mehr im Zaum halten oder zumindest das ausführen, was ich ehrlich über ihn dachte. Fakt war, er würde von sich aus diese erworbene Schande durch mich nicht noch weiter ausdehnen. Zudem schuldete er mir noch etwas, einfach abtreten konnte er nicht. Es brachte doch ohnehin nichts, sich weiter damit zu beschäftigen! Wenn er meinte klarzukommen, dann würde das schon seine Richtigkeit haben.

Als ich zurückkehrte und auf die freie Fläche trat, war es bereits dunkel geworden. Der voller werdende Halbmond sandte ein silbriges Licht auf die kleine Lichtung am unmittelbaren Ufer des leise vor sich hinmurmelnden Flusses, spiegelte sich auf seiner ruhigen Oberfläche und brachte sie an einigen Stellen, wo sich das Wasser kurz darunter kräuselte, zum Glitzern, tauchte die Umgebung in ein sanftes, angenehmes Grau, warf halbdunkle Schatten über das weiche, nachgiebige Gras. Flúgar schlief. Der kalte Wind schien ihn nicht zu stören, es zeigten sich nicht einmal annähernd Anzeichen davon, dass er womöglich fror. Im Gegensatz zu vorhin war seine Atmung ruhig, seine Züge entspannt, vielleicht erholte er sich wirklich wieder von alleine. Für einen Mörder würde man ihn nicht halten, wenn man ihn so sah, er wirkte unschuldig auf den Betrachter und vermittelte eigentlich den Eindruck, als gäbe es auch ein paar weichere Züge in seinem Gesicht - von denen er keinen Gebrauch machte.

Seltsamerweise stimmte mich das wirklich ein wenig heiterer und ich machte mich daran, das Holz anzuordnen und ein Feuer zu entzünden. Schlafen würde ich nicht können, es war einfach zu kalt und auch ein Feuer würde mich nicht gänzlich aufwärmen.

Ich schmunzelte; wenn Flúgar wüsste, wie er aussah wenn er schlief, würde er es garantiert nie wieder tun; einem Dämon ähnelte er nämlich am wenigsten...
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

***>>> Kapitel 6:

>"Im blassen Licht der Morgensonne geben sich die rastlosen Seelen zu erkennen, die auf ewig darauf verdammt sind ziellos umherzuirren. Die Begegnung mit den Windgeistern hinterlässt bei manchem spürbaren Nachdruck, während sich der Geruch von Menschen mit dem des Waldes vermischt..."

Henge



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  shippi
2005-09-22T13:02:12+00:00 22.09.2005 15:02
Sorry das ich so lange kein Kommi geschrieben hab!
Danke das du trotzdem bescheid sagst!
Ich kann mich den anderen nur anschließen, die FF ist suuuuper!^^ Dein Schreibstil haut einen echt um! Also fleißig weiter schreiben.^^
Bye shippi
Von: abgemeldet
2005-09-21T11:28:08+00:00 21.09.2005 13:28
Das war ja excht erste Sahne.^^ gg**Ich finde dein schreibstil echt gut, du beschreibst auch die Charaktern
sehr gut.
Bitte hinterlass mir wieder ne Ens wenns weitergeht.^^

24
Von:  Lizard
2005-09-21T10:32:05+00:00 21.09.2005 12:32
Oh, nun wird es zunehmend spannend, würde ich sagen... Nicht, dass nicht eh schon spannend gewesen wäre bisher. Aber ich denke mal, diese Allianz zwischen Mensch und Dämon wird wohl noch so einiges nach sich ziehen.
Wieder klasse geschrieben. Der Dialog (sofern die beiden miteinander geredet haben ;)) gefiel mir sehr gut. Und die Stimmung oder auch Spannung zwischen den beiden kam ebenfalls gut rüber.
Mein liebster Satz sonst in diesem Kapitel:
>Der voller werdende Halbmond sandte ein silbriges Licht auf die kleine Lichtung am unmittelbaren Ufer des leise vor sich hinmurmelnden Flusses, spiegelte sich auf seiner ruhigen Oberfläche und brachte sie an einigen Stellen, wo sich das Wasser kurz darunter kräuselte, zum Glitzern, tauchte die Umgebung in ein sanftes, angenehmes Grau, warf halbdunkle Schatten über das weiche, nachgiebige Gras.<
Dieser Satz war zwar etwas lang, aber WUNDERSCHÖN... so malerisch...
Ansonsten, kannst du mir vielleicht noch sagen was ein ,Asebi' und was die ,Dokudami' sind. (kenn mich da nicht so aus, *jaul*)? Das wäre sehr nett. Wenigstens weiß ich, was unter dem Torii zu verstehen ist ;))
Von:  Mondvogel
2005-09-20T17:10:44+00:00 20.09.2005 19:10
Es ist immer wieder schön wie du die Landschaften beschreibst.
Der Name "Flúgar" gefällt mir auch besonders gut. Ist ja klar, dass er bei Midoriko seine Schuld abgleichen will. So sind eben Dämonen.
Dei beiden fangen jetzt außerdem an sich anzunähern. Mal sehen wohin das noch führt! ^^
Von:  Tigerin
2005-09-20T15:41:26+00:00 20.09.2005 17:41
Super wieder mal!^^
Sie haben sich angenähert...
Ich fand deine Erklärungen zu Gefühlen ziehmlich gut.

Schreib schnell weiter und schick ne ENS!^^

Bye Tigerin
Von:  Hotepneith
2005-09-20T05:56:09+00:00 20.09.2005 07:56
Annäherungen, hättest du das auch nennen können....*g*
Er scheitn ja von weit her zu kommen.
Deine ausführlichen Beschreibungen der gefühle und der Landschaften, die ganzen Bilder gefallen mir nach wie vor unheinmlich gut. Ich fidne es auch schön, wie langsam du diese Annäherungen erfolgen lässt.
( Könntest du die Überschriften auch übersetzen, damit Leute ohne Isländisch oder Japanich-Wörterbuch, wie ich zum, Beispiel, eine Ahnung von bekommen?)


danke
bye

hotep


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