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Drachenseele

Das Herz einer Priesterin
von

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*~Vorkunn~*

"Wenn man Mitleid fühlt, so fragt man nicht erst andere Leute, ob man es fühlen soll." – Georg Christoph Lichtenberg
 

Kapitel 3 - Vorkunn

-Mitleid-
 

*Sind Barmherzigkeit, Gnade und Mitleid wahrhaft die nobelsten Eigenschaften, die ein denkendes Wesen zu zeigen weiß?

Liegt nicht der Verdacht näher, dass man dies vorschützt, um sich sein eigenes Seelenheil zu bewahren? Aus welchem anderen Grund als dem eigenen Wohl sollte man um andere besorgt sein?

Aber sieht man tatsächlich nur den puren Eigennutz, wenn man sich für jemand anderen aufopfert?*
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

Ich beobachtete ihn.

Schon seit geraumer Zeit weilte mein Blick einzig auf ihm.

Er litt immer noch, aber jetzt sichtbar für jedes Auge. Doch die Ursache seines quälenden Leides war mir unbekannt, ich wusste es nicht, ich konnte ihm nicht helfen. Seine Wunden hatte ich versorgt, zugegeben, sie sahen ernst aus, einem Menschen hätten sie sicherlich den Tod bedeutet, aber ich glaubte nicht, dass das reichte um einen Dämon zu töten; und noch weniger einen seines Ranges.

Bei der näheren Betrachtung seiner Verletzungen war ich schnell zu dem Schluss gekommen, dass kaum eine - wenn überhaupt - davon von Menschenhand, sprich einer menschlichen Waffe, stammen konnte. Besonders die tiefen Wundmale an seinem Hals waren auffällig, es waren eindeutig Bisswunden, aber welches Tier war so stupide einen Dämon anzugreifen?

Und selbst wenn es ein solches Tier geben sollte, wie hätte es das jemals schaffen sollen?

Ein Dämon ließ sich doch nicht von einem einfachen Wolf - oder Ähnlichem - angreifen oder gar verletzen. Das passte nicht.

Ich kniete neben seinem Lager, das ich im Tempel zusammengetragen hatte, bemerkte mit Besorgnis die Veränderungen seines Zustandes. Die ersten ein, zwei Stunden hatte er vollkommen still gelegen und regungslos hinter sich gebracht, seine Atemgeräusche hatten sich allmählich beruhigt und versucht, wieder ein gleichmäßiges Muster einzubringen. Diese Entwicklung hatte mich ungemein beruhigt, und desto mehr verunsicherte mich der vermeintliche Rückschlag. Die Frequenz seiner Atmung hatte sich rasch wieder in seinem alten Tempo wiedergefunden, es artete in ein röchelndes Ringen nach Luft aus, er hustete, kämpfte um jeden Atemzug. Unruhe ergriff ihn, er wälzte sich unter Schmerzen auf die Seiten, krampfte die Finger in den dünnen Stoff des Futons.

Dieses böse Spiel kannte keine Pause und keine Gnade mit ihm, trieb es weiter voran, auch jetzt noch.

Mittlerweile bedeckte der Schweiß seinen gesamten Körper, auch wenn mir seine Temperatur an sich zu niedrig vorkam, immerhin war er kein Mensch, ich wusste nicht, wie sich das mit der Körpertemperatur bei Dämonen verhielt. Woher auch?

Ich fühlte mich miserabel, einfach hier zu sitzen, nichts tun zu können, rat- und hilflos zu sein. Er tat mir schrecklich leid. Am Ende starb er mir noch unter den Augen weg. Mir fiel partout nichts ein, gar nichts , mit dem ich ihn auch nur vielleicht ein bisschen hätte entlasten können. Auch Magie würde hier nicht helfen, weder kannte ich den Verursacher der Wunden noch eine Art von Heilzauber, die auf einen Dämon ansprach.

Ich atmete tief ein, schloss die Augen, versuchte mich zu erinnern, ob ich nicht doch irgendwann einmal etwas mitgekriegt hatte, was mich in meiner derzeitigen Situation weiterbrachte. Jäh wurden meine Gedankengänge unterbrochen, verwundert hob ich den Kopf. Dieser Geruch...

Ich war mir ganz sicher, ich kannte ihn. Nur woher...?

Diese beißende Süße war mir vertraut.

Mit einem Mal fiel der Groschen: der gleiche Duft schwebte über dem Schlachtfeld, auf dem der mattgrünschimmernde Drache gefallen war, wo ich unter anderem auch den toten Dämonenjäger entdeckt hatte.

Genau, ich erinnerte mich gut. Er war nicht nur aufdringlich, sondern auch äußerst unangenehm, reizte den Hals und brannte in den Augen.

Aber wie kam er hierher?

Draußen war es seit einer ganzen Zeit schon windstill, zudem wirkte er nicht verteilt oder auseinandergestoben, eher wie ein Verbund, der einer kleinen Wolke ähnlich, in der Luft waberte, unscheinbar umherzog.

Unschlüssig sah ich mich um, was mich aber auch zu keiner näheren Erkenntnis führte.

Ich kam in meine Ausgangsposition zurück, seufzte leise, musterte ihn weiterhin mit Besorgnis, aber auch Interesse. Ich streckte zögerlich die Hand nach ihm aus, meine Fingerkuppen streiften wage seine Stirn, die unverletzte Wange, bevor sie behutsam eine Strähne seines Haares hervorzogen; wie feine Seide floss es förmlich durch meine Finger. Seine Züge erschienen mir noch sehr jung, trotz dessen wagte ich mich kaum, sein Alter zu schätzen. Was bedeutete denn schon jung wenn man von einem Dämon sprach?

Die Begebenheiten lagen dort wohl auch um Einiges anders als bei Menschen.

Für einen Dämon war er mehr als ansehnlich, das musste man zugeben.

Ein Schatten legte sich über diesen weiteren erkannten Fakt, als ich mir seinen jetzigen Zustand in Erinnerung rief, mein Blick sich an die verletzten Stellen seines Körpers heftete.

Es war eigenartig, aber die Blutungen kamen nur sehr schwerfällig zum Stillstand - versiegt waren sie bis jetzt nicht. Das bereitete mir ein ziemliches Unbehagen, ich verstand es nicht.

Bedacht darauf keinen Druck auszuüben, führte ich meine Fingerspitzen nun über die raue Oberfläche des Verbandes an seinem linken Arm, dessen Verletzungen denen an seiner Kehle überaus ähnlich sahen. Sofort benetzte das Blut meine Haut, jagte mir durch seine Kühle einen Schauer über den Rücken.

Dabei konnte ich es nicht belassen, zog meine Hand zu mir, wollte aufstehen, als es mich plötzlichen, in jenem Augenblick wie ein Blitz durchzuckte. Ungläubig hob ich meine Hand auf Höhe meines Gesichtes, atmete mit geschlossenen Augen tief durch...

Und ich hatte Recht. Der ursprünglich metallische Geruch seines Blutes wurde fast gänzlich von diesem süßlichen Duft übertüncht, dessen Aggressivität ich in Form von einem leichten Brennen an den sensiblen Fingerkuppen spürte. Jetzt fügte es sich zu einem klaren Bild, ein paar wenige meiner Fragen fanden damit eine Antwort. Und diese hielt sich simpel: Gift .

Erschrocken darüber stand ich hastig auf, eilte in die Hütte zurück, in der ich vorhin schon die Verbände gefunden hatte. Hoffentlich war es noch nicht zu spät, ansonsten würde ich mir meine anfängliche Unwissenheit nicht so schnell wieder verzeihen. Warum war mir das nicht gleich aufgefallen?

Man hatte mich gelehrt, mit höchster Konzentration zu agieren, egal, was ich tat; es wäre wichtig. Den Sinn der Worte begriff ich nun umso mehr; meine Müdigkeit und die Ausgelaugtheit aufgrund meiner Anstrengungen hatten mich geblendet. Aber ich sah es nicht verloren, noch nicht - möglich, dass ich es nicht realistisch sehen wollte.
 

Ich konnte von großem Glück sprechen, dass dieses Dorf hinsichtlich Verbandsmaterial und vor allem Heilkräutern bestens sortiert war, ich brauchte nicht loszuziehen um geeignete zu sammeln; ein klarer Vorteil, der mir in meiner Eile nur zugute kam. Rasch suchte ich mir alles Nötige zusammen, beeilte mich auf dem - vergleichsweise - kurzem Weg zum Brunnen, kehrte schließlich, rasch das rote Torii passierend, zum Tempel zurück.

Schon vom Fuße der Treppen war er zu hören, wie er sich abmühte, zeitweise erfolglos nach Luft rang. Mittlerweile fühlte ich mich schuldiger als zuvor, absichtlich hätte ich niemandem so etwas angetan. Obwohl er nicht bei Bewusstsein war, würde er sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit in den Tod quälen und erst dann eine Erlösung finden. Kopfschüttelnd verdrängte ich diese Gedanken, erklomm die steinernen Treppenstufen. Es mochte unangebracht sein, aber ich verhielt mich so leise wie möglich, kniete mich geräuschlos wieder neben ihn.

Ohne weitere Zeit zu verlieren oder zu verschwenden machte ich mich an das sorgfältige Reinigen seiner Wunden - ich fragte mich, ob es jetzt noch etwas half, letztendlich blieb es mir aber nebensächlich; zumindest konnte ich etwas tun, was ihm möglicherweise half.

Die Verbände waren bereits blutdurchtränkt, die Matratze fleckte sich mit dunkelroten Punkten, es war unvermeidbar. Behende hielt ich an meinem Tun fest, legte neue Druckverbände an, hoffte dadurch auf eine baldige Besserung der Gesamtsituation.

Ein weiteres Mal fiel mir auf, dass sich die Verletzungen weitestgehend auf seinen Oberkörper beschränkten, insbesondere auf Arme, Schultern und Hals, der übrige Teil hatte nichts Gravierendes davongetragen, höchstens blaue Flecken oder nicht nennenswerte Schrammen. Ihr Aussehen war ähnlich, passte aber genaugenommen zu keiner geläufigen Waffe; Bissspuren kamen dem am nächsten. Es musste ein großes Tier mit dolchartigen Zähnen gewesen sein, kräftig im Bau... oder vielleicht ein anderer Dämon?

Während ich mich weiterhin meinen Überlegungen widmete, begann ich ein starkes Anti-Toxin zu mischen. An sich gesehen würde es den Konsumenten mit bestimmter Sicherheit töten, aber in diesem Fall schien es mir angebracht, viel schlimmer konnte es nicht mehr werden. Es war immerhin eine Chance, wie hoch sich die Wahrscheinlichkeiten behielten, wollte ich gar nicht so genau wissen.

Das flüssige Gemisch roch stark, war von bitterem Geschmack - nicht, dass ich es probiert hätte, aber die enthaltenen Kräuter waren wirklich - in dieser Beziehung - von übelster Sorte. Mit einer deutlichen Verweigerung seinerseits hätte ich gerechnet, wäre er bei Bewusstsein gewesen. Aber dem war nicht so, glücklicherweise. Jetzt musste ich nur Acht geben, dass er es auch schluckte und sich nicht selbst damit erstickte.

Ein wenig unsicher blickte ich ihm ins Gesicht, rückte näher. Wenn ich es nicht wenigstens versuchte, hieß es für ihn bald nichts mehr...

Er war mir absolut ausgeliefert, ich war in der fähigen Position mit ihm tun und lassen zu können, was ich wollte. Nur behagte mir dieses Machtgefühl nicht. Und wenn er davon mitbekam wohl noch weniger. Freiwillig ordnete sich ein Dämon nicht unter, und einem Menschen schon gar nicht; noch weniger einer Menschenfrau . Es war nicht meine Absicht ihn auf irgendeine Weise zu erniedrigen, aber er würde das nicht glauben oder nicht verstehen. Oder beides.

Ich kam geflissentlich vom präsenten Thema ab, vergeudete Zeit, wichtige Zeit. Tief einatmend wandte ich mich wieder ihm zu. Mit verhaltener Vorsicht strich ich durch sein klammes Haar, hob seinen Kopf soweit an, dass ich ihn auf meinen Schoß betten konnte. Meinen linken Unterarm ließ ich an seinem Hinterkopf verweilen, setzte mit der rechten Hand die Tonschale an seine Lippen. Für die herrschenden Verhältnisse war er sehr ruhig, lag beinahe still, was eine seltsame Entspannung über mich brachte. Ich hoffte auf mehr als nur eine kurze Phase.

Ich wartete ab, bis er seinen nächsten Atemzug abschloss - er atmete eigentlich schon die ganze Zeit durch den Mund, andererseits wäre er wohl längst aufgrund von Luftmangel erstickt - kippte die Schale in seine Richtung. Meine linke Hand erreichte gerade so seine Kehle, bedeutete ihm mit sanftem Druck auf eine unverletzte Stelle zu schlucken - was er auch tat. Es erleichterte mich ungemein, dass das so problemlos ablief, einen unbewussten Protest brauchte ich definitiv nicht.

Die Hälfte genügte für den Anfang, ich setzte ab, woraufhin er seine kurzzeitig verschobene Atmung durch den Mund wieder aufnahm.

Wie ich ihn so ansah, kam er mir äußerst blass vor, auch das graue Symbol auf seiner Stirn wirkte fahl, war halbwegs unter einigen kürzeren, schweißnassen Haarsträhnen verdeckt.

Dann ließ ich von ihm ab, gönnte ihm seine Ruhe.

Nach einer Weile legte sich seine eher mittelmäßig wieder aufgenommene Unruhe, er wand sich nicht mehr hin und her, sein aufgebrachter, erstickungsnaher Atem klang ab, verschmolz kaum hörbar mit den zwischenzeitlich aufgekommenen Geräuschen der Nacht.

Ich seufzte auf, erleichtert. Ich war zufrieden, vielleicht bestand ja doch die Möglichkeit noch ein wenig schlafen zu können. Von der Müdigkeit sofort wieder eingeholt, gähnte ich, streckte meiner erschöpften Glieder. Ein Blick an mir herunter belegte, dass ich die letzten Stunden für ihn allein genutzt hatte; ich trug selbst mein Schwert noch.

Missmutig entledigte ich mich meiner Rüstung, legte das Schwert beiseite, genoss die mir entgegenkommende Entspannung. Für heute sollte es genug sein. Ich freute mich, endlich ausruhen zu können, begab mich auf das bereits provisorisch vorbereitete, zweite Lager. Sobald ich lag, entzog sich mein Geist geschwind der Realität, ließ mich fast augenblicklich in einen tiefen Schlaf fallen...
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

»Kirschblüten...

Zarte, blassrosafarbene Blütenblätter...

Willenlos treiben sie mit dem Wind, ändern mit ihm die Richtung, stehen mit ihm still, vollführen schier willenlos ihren liebreizenden Tanz...

Kirschblütenregen fällt hernieder, bewegt sich im Einklang mit den sanften Brisen des Windes, das zwanglose Spiel trägt sich in der Luft aus, unaufhörlich...

Ein Wirrwarr aus feinen, weichen Flocken, ein Chaos mit absoluter Ordnung bei genauer Betrachtung...

Im Wohlklang rauscht der Bach, die Oberfläche mit Blüten bedeckt, nimmt sie mit sich hinfort, die Strömung wiegt das empfindsame Rosa...

Der Böen treiben die Kirschblüten umher, über die kleine Holzbrücke hinweg, unter der leise das Wasser fließt...

Mit Weiß bedeckte, dürre Sakura säumen den Uferrand, werfen ihre mittäglichen Silhouetten auf das klare Nass, über ihre eigenen Spiegelbilder hinweg...

Nackte Füße spüren das trockene Holz, die kleine Hand umschließt den hellen Schaft des dunkelroten Windrades, welches sich dem Takt der Blüten anpasst, sich unbekümmert immer weiter dreht...

Kirschblüten...

Angenehm fährt der Wind durch Haare und Kleidung, verfängt sich dort für wenige Sekunden, bringt die Blüten mit sich, lässt einige dort zurück, verschwindet in die vorherbestimmte Richtung...

Weiße Wolken ziehen über den blauen Himmel, geben zeitweise die wärmenden Strahlen der Sonne preis, verjagen den kühlen Schatten. Vom Sonnenlicht beschienen, glänzen die zierlichen Blättchen matt weißlich, setzen ihren Weg schließlich fort ohne zu verharren...

Der Regen, vom Wind bestimmt, schmiegt sich an, die rosanen Tropfen streifen kalt schimmernde Menschenhaut, kitzeln diese für einen Augenblick, bevor sie die neue Brise mit sich fortführt...

Neutralität liegt in den jungen, kindlichen Zügen, verleiht deren Ausdruck eine gewisse Kälte sowie eine rätselhafte Undurchsichtigkeit. In den hellen, fixiert erscheinenden Augen spiegelt sich das Treiben des Kirschblütenregens... es rührt sich nicht, seine Umgebung, die reale Situation scheint es nicht zu beeinflussen, nicht zu existieren; egal, wie präsent sie auch in jenem Moment ist...

Unverkannt dreht sich das rote Windrad, immer weiter, ohne Pause, kommt nicht zum Stillstand...

Keine Reaktion findet sich, bewegungslos verharrt das Kind auf der Holzbrücke im Kirschblütenregen, umfasst mit den Fingern sicher den Schaft des Windrades, starrt schier gebannt auf den nicht-existenten Punkt...

Kirschblüten...

Zarte, blassrosafarbene Blütenblätter...

Schweigend spielt der Wind mit ihnen, nimmt sie mit sich hinfort, in die unbekannte Ferne seiner Vorherbestimmung...«
 

Er sprach vor sich hin, sprach Worte, die ihr mehr als fremd vorkamen, Worte, zu denen sie nicht einmal ansatzweise eine Sprache zuordnen konnte. Er klang ziemlich heiser, obwohl er seine Stimme leise hielt, genaugenommen nur flüsterte. Dennoch hörte sie keine besondere Betonung einzelner Silben heraus; es klang so monoton, emotionslos, als würde er einen sachlichen Vortrag halten oder etwas Ähnliches in dieser Richtung.

Sie setzte sich auf, rieb sich verschlafen über die Augen. Es war nicht sein Gemurmel gewesen, das sie aufgeweckt hatte. Die Sonne hatte sie angefangen zu blenden und es war gut so. Sie schätzte die Zeit auf kurz nach Mittag, für ihre Verhältnisse eigentlich zu spät.

Mit einem letzten Blick auf das andere Lager erhob sie sich - wenn man ihn so sah, würde man nicht im Entferntesten darauf kommen, wie schlimm sein Zustand in der vergangenen Nacht gewesen war. Die junge Frau seufzte leise, erleichtert, verließ ohne Eile den Tempel; wenn sie ihren Hunger gestillt hatte, würde sie mit der Beisetzung der getöteten Dorfbewohner beginnen. Keiner von ihnen hatte es verdient - ganz egal, wie er sein Leben unterhalten hatte - im Staub des eigenen Dorfplatzes langsam unter der Sonne zu verrotten. Sie bezweifelte, auch wenn sich der Schuldige vergleichsweise rasch wieder erholen würde, dass er auch nur im Geringsten daran denken würde, ihr zu helfen, ganz zu schweigen von dem Gedanken es selber zu tun. Das konnte sie getrost vergessen. Irgendwo empfand sie das als unverschämt; aber was dachte sie denn, wer er war? Ein Dämon, der seine Opfer beerdigte?

Niemals. Das war bedenkenlos über Bord zu werfen, zu vergessen.

Also blieb es an ihr und sie würde es tun, diesen Respekt war man eigentlich jeder Kreatur schuldig, nicht nur Menschen.

Hieß das damit, dass man das auch einem Dämon schuldig war? Oder fielen die aus der Reihe?

Wenn ja, was am Wahrscheinlichsten klang, dann war es wieder ungerecht... obwohl, Dämonen - zumindest der Großteil von ihnen - waren mehr als nur ungerecht und die Menschen genauso...

Seit ewigen Zeiten herrschte dieser extreme Konflikt zwischen Menschen und Dämonen; keine Fraktion gab nach. Und ein Ende war nicht in Sicht, nicht mal ansatzweise. Die Menschen hassten die Dämonen und die Dämonen hassten die Menschen. Warum?

Das wussten sie wohl selbst nicht. Wahrscheinlich resultierte dieser Hass aus ihrer großen Ähnlichkeit zueinander, und dann wieder doch nicht. Viele Züge hatten sie eben gemein, natürlich gab das beiderseits niemand zu, aber es verhielt sich so; dennoch unterschieden sie sich in anderen, ebenso zahlreichen Hinsichten. Vielleicht Neid? Warum sollte ein Dämon neidisch auf einen Menschen sein?

Unbewusst zuckte sie die Schultern, dazu fiel ihr nichts ein. Zumindest nicht auf Anhieb. Aber es bestand die Möglichkeit zu fragen, die Chancen, darauf überhaupt eine Antwort zu bekommen hielten sich überaus niedrig, es war wohl wahrscheinlicher dass er sie zum Dank genauso schnell erledigte wie die Dämonenjäger.

Daran dachte sie besser nicht mehr, ob sich Optimismus allerdings lohnen würde, war mal so dahin gestellt. Eher nicht. Es war keine gute Idee gewesen ihm zu helfen, jetzt, mit einem Mal, kamen die Zweifel, überschütteten sie erbarmungslos. Sie war selbst Schuld, sie hatte es selber so entschieden, folglich musste sie es auch gänzlich auf sich nehmen - egal, wie es sich gestalten würde.
 

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***>>> Kapitel 4:

>"Nach einem eigenartigen Fund bricht ein neuer Morgen an, und der Verletzte erlangt schließlich das Bewusstsein wieder. Die Wirkung des Giftes hält an, und jeder Versuch von Kontakt scheitert an ihm kläglich, obgleich er sein Gegenüber nicht mehr aus den Augen lässt..."

Ishiki



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Lizard
2005-09-10T06:19:07+00:00 10.09.2005 08:19
Irgendwie hat sich die Szene, bei der Midoriko dem Dämon die Schale an die Lippen setzt, enorm bei mir eingeprägt. Komisch, ich weiß auch nicht, irgendwie war die sehr intensiv (was jetzt nicht negativ gemeint ist ;))
Grandios war natürlich auch die Traumsequenz (zumindest habe ich es als Traum von Midoriko verstanden, ist doch richtig, oder *kicher*) mit den Kirschblüten, dem Wind, den Wolken... traf genau den richtigen Ton für einen Traum und war sehr atmosphärisch.
Der Sprache ist nach wie vor sehr schön und schwelgt wunderbar in herrlichsten Beschreibungen ohne merkwürdig zu werden (würde ich so was versuchen, würde das sehr gekünstelt oder holprig klingen).
Tja, da bin ich mal gespannt wie es weitergeht... das nächste Kaptitel muss ich erst noch lesen, Kommi kommt dann noch etwas später ;))
Von: abgemeldet
2005-09-08T08:28:28+00:00 08.09.2005 10:28
Recht flüssig geschrieben, aber an einigen Stellen bist du zu sehr darauf bedacht möglichst formschön zu schreiben, was die Stimmung ein wenig mindert. Zum Beispiel ´"Atemgeräusche", puh, dass passt einfach net zu deinem vorherigen Stil.

Ansonsten mag ich es allerdings sehr.

MFG

Allix
Von:  Mondvogel
2005-09-05T06:55:43+00:00 05.09.2005 08:55
Am besten hat mir die Stelle mit den Kirschblüten gefallen. Wunderbar, wie du beschrieben hast wie sie mit dem Wind fliegen. Das muss man einfach mehr als nur einmal durchlesen!
Die Gefühle und Handlungen hast du wieder einmal so lebhaft dargestellt. Wie machst du das nur? Woher bekommst du bloß diese schönen Worte und Ausdrücke?
Da kann man dich einfach nur mit Lob überschütten und zwar haufenweise. ^^
Mach weiter so!
Von:  Hotepneith
2005-09-04T19:21:06+00:00 04.09.2005 21:21
Deine Beschreibungen..ich kenn nur eine einzige Autorin, die auch so drin schwelgt..einfach toll.

Allein diese Ausdauer, die Verletzungen zu beschreiben...


Und dazu immer noch ihre Hin-und Hergerissenheit....


Du kannst einfach toller Umschreibungen machen, Metaphern..
Ich bin immer so sachlich.. Ich beneid dich.

bye

hotep
Von:  InaBau
2005-09-04T18:17:31+00:00 04.09.2005 20:17
Das ist ein gutes Kapitel! Bitte schreib schnell weiter! Ich freue mich schon sehr auf das nächste Kapitel.


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