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Devil's Blood

von

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Yue's defeat

16.10.2006
 

Es war noch sehr früh, als Toya aufwachte. Wie auch die letzten paar Male, wenn er aufwachte, dröhnte ihm auch heute der Schädel. Er konnte nicht mehr genau sagen, was er geträumt hatte. Doch seine Erinnerung an damals war nun schon viel klarer. Yue, Hiro und er hatten oft alles zusammen gemacht. Sie waren unzertrennlich gewesen. Nur wenn es um Sumi ging, war Yue für alles andere blind. "Du hast sie getötet!", hallte plötzlich Yue's Stimme in Toya's Kopf wieder. "Wie kommt er nur darauf?", fragte er sich. "Sein irdischer Nachname... Garasu. Das muss alles ER eingefädelt haben."
 

Das morgendliche Zwitschern der Vögel dran ungewöhnlich laut an Toya's Ohr. Auf dem Boden lagen noch die Scherben des zersplitterten Fensters. Toya bekam eine Gänsehaut. Es war furchtbar kalt im Zimmer. Mitte Oktober wurden die Nächte immer kälter. Man sollte nicht unbedingt mit offenem Fenster schlafen.
 

Toya drehte sich um und zog die Bettdecke noch höher. Er blickte in Hiro's schlafendes Gesicht. Nach allem was geschehen war, erinnerte er sich erst jetzt an die Sache mit Hiro. Als er an diesen Kuss dachte, wurde er rot. Und jetzt lag er da einfach so neben ihm. Sein Atem kitzelte ihn im Gesicht. "Es war doch eigentlich gar nichts weiter", dachte Toya. "Nur eine einfach Berührung, nichts weiter. Nicht einmal ein richtiger Kuss, nur... ein einmaliges Versehen, wahrscheinlich."
 

Hiro gab ein leises Gemurmel von sich. Toya dachte einen Moment lang, er wäre aufgewacht. Doch er murmelte nur leise: "To...ya", und schlief dann ruhig weiter. Toya's Herz schlug mit einem mal noch schneller. "Träumt er etwa... von...?" Er wagte nicht einmal, es in Gedanken auszusprechen. "Masa", dachte er. "Was geht bloß in dir vor? Wie kannst du sagen, Mariko benimmt sich seltsam? Nachdem, wie du dich benimmst..." Wieso musste im Moment aber auch alles drunter und drüber gehen? Erst diese Erinnerungen, und dann noch die Sache mit Yue. Toya versuchte mit allen Mitteln eine Lösung zu finden. Er hatte mit Yue sprechen wollen. Wieso hatte Hiro ihn nicht gelassen? Hatte er solche Angst um ihn? Wie gefährlich war Yue eigentlich? Toya konnte sich kaum an Garasu erinnern. Woher sollte er wissen, welche Macht er besaß und welchen Einfluss er auf Yue hatte?
 

"Und wie soll ich bitte klar denken können, wenn DER hier neben mir liegt?", dachte Toya nachdem Hiro's verschlafenes Gemurmel ihn zum zweiten mal aus den Gedanken gerissen hatte. Er blickte ihn einen Moment wortlos an. Wie lang kannten sie sich schon? "Eigentlich schon immer", dachte Toya. Er erinnerte sich nicht an die Zeit als Dämon, bevor Hiro in seine Familie getreten war. Irgendwie war er einfach immer da gewesen. Und jetzt, wo Toya wusste, dass seine Erinnerungen an das Leben als Mensch, vor seinem zehnten Lebensjahr, nur Illusion gewesen waren... Sein Leben als Mensch hatte also eigentlich auch erst da angefangen, als er in der Schule Hiro kennengelernt hatte.
 

Das alles andere nicht real war, kam ihm so seltsam vor. Dass seine irdischen Eltern ihm gesagt hatten, er wäre vor ihrer Tür ausgesetzt worden. Dass sie, als er zehn war, erst hier hergezogen waren. All das war einfach nie geschehen. Hiro hatte sich ja wirklich eine sehr detaillierte Vergangenheit für ihn ausgedacht. "Aber vielleicht musste es alles genau so detailliert sein, damit es mir real vorkam", überlegte er weiter. Während er so über all das nachdachte, bekam er allmählich Kopfschmerzen. Er wollte es einfach alles aus seinem Kopf streichen. Was real war und was nicht, wen interessierte das schon? Ihm war es allmählich einfach alles egal.
 

"Ob der heute noch mal aufwacht?", fragte er sich mit einem Blick auf den noch immer schlafenden Hiro. Er war froh, dass er wenigstens einen hatte, der immer bei ihm war. "Wenn ich nur... ein Stück näher rutsch", dachte er. "Das wird er sicher nicht mal merken." Vorsichtig rutschte er etwas näher zu Hiro heran. Er legte den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Seine Hand auf Hiro's Arm zitterte. Sein Puls raste. "Er muss ja nicht wissen, dass ich das im Wachzustand gemacht hab", dachte er, als er plötzlich eine Bewegung spürte. Hiro legte den Arm um ihn, so dass Toya auf keinen Fall aufstehen konnte, ohne Hiro dabei zu wecken. Das Gewicht seines Armes drückte Toya noch näher an ihn. "Ach hör schon auf, Toya!", sagte er zu sich selbst. "Es gibt doch so viel Mädchen, die sich alle um dich reißen!"
 

Wieder rührte Hiro sich. Er hob die Arme und streckte sich. "Wie spät ist es?", murmelte er. Toya nutzte die Sekunden, in denen Hiro sich die Augen rieb und drehte sich schnell auf die andere Seite. "Ich muss knallrot sein", dachte er. "Er darf mich auf keinen Fall so sehen." "Hey, Toya", sagte Hiro und beugte sich über ihn. "Bist du wach?" Toya stellte sich schlafend. Er spürte Hiro's Atem nahe seinem Gesicht. "Halt mich bitte nicht für einen Idioten, aber...", flüsterte er. Dann küsste er leicht seine Wange. Toya hielt die Luft an. Erst als er merkte, dass Hiro aufstand, wagte er es, die Augen zu öffnen. "Ein... einmaliges Versehen", dachte er wieder. "So viel dazu..." Okay, einerseits mochte er es, wenn Hiro ihn küsste. Er hatte es gestern schon genossen, wie er sich eingestehen musste. Aber andererseits wünschte er sich, Hiro würde das sein lassen. Es verwirrte ihn nur noch mehr. Aber ihn darauf ansprechen, konnte er unmöglich.
 

Langsam richtete er sich auf. Hiro stand mit dem Rücken zu ihm am Schreibtisch. Er hielt sich die Hand an die Stirn. "Verdammt", murmelte er. Offensichtlich hatte er nicht gemerkt, dass Toya wach war. "Was hab ich mir eigentlich dabei gedacht?", sagte Hiro leise. "Einmal, Hiro. Einmal und NIE WIEDER!" Toya konnte nicht sagen warum, aber irgendwie bereitete ihm dieser Satz ungeheure Schmerzen. Ein seltsames Gefühl. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals so ein Stechen im Herzen gefühlt zu haben. Es war so ähnlich, wie neulich, als er Hiro mit Mariko weg gehen sehen hatte.
 

In diesem Moment drehte Hiro sich um. "Morgen", sagte er lächelnd. "Morgen", murmelte Toya beinahe unhörbar. Er sah Hiro nicht an. Plötzlich klingelte das Telefon. Toya stand wortlos auf und ging aus dem Zimmer. Gerade als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, trat Hiro mit dem Fuß gegen den Schreibtischstuhl, und fluchte erneut: "Verdammt!" In Gedanken fügte er hinzu: "Er sieht nicht gerade happy aus. Wieso hab ich das nur getan? Er hat auch so schon genug Probleme. Ich werd einfach so tun, als hätte ich's nicht ernst gemeint."
 

Toya kam zurück ins Zimmer. "Mariko war am Telefon", sagte er. "Sie hat gesagt, sie hätte schon ein paar mal auf unsere Handys angerufen und weil niemand dran ging, hat sie sich Sorgen gemacht." "Ach ja, ich hab mein Handy gestern daheim liegen gelassen", meinte Hiro. "Und bei meinem ist der Akku leer, aber Sorgen hat sie sich trotzdem nicht umsonst gemacht, was?" Toya seufzte. "Du hast es ihr doch hoffentlich nicht erzählt, oder?", fragte Hiro erschrocken. "Ich mein, dass Yue hier war." Toya schüttelte den Kopf. "Nein", versicherte er Hiro. "Es ist wohl das beste, wenn wir sie da raus halten." "Ja, allerdings", stimmte Hiro ihm zu. Obwohl Toya sicher war, dass Mariko, woher auch immer, etwas wusste. Wie sie sich gestern in der Spielhalle benommen hatte... Sie wusste ganz sicher noch mehr, als nur, dass Yue Toya's Bruder war. Aber woher...?

"Komm, ich mach uns Frühstück", schlug Toya vor. Sein Blick war beinahe dauerhaft ins Leere gerichtet. "Du hast sicher Hunger." Und damit ging er aus dem Zimmer. Hiro seufzte. "Stimmt", sagte er leise. "Ich würd dich am liebsten auf der Stelle vernaschen." Eine Stimme in seinem Inneren redete allerdings ununterbrochen auf ihn ein. "Lass es!", sagte diese vernünftige Seite. "Tu ihm nicht noch mehr weh! Du würdest ihn nur zerbrechen..."
 

~*~*~*~*~*~
 

Aufgeregt lief Mariko in ihrem Zimmer hin und her. Alle paar Sekunden blickte sie auf die Uhr an der Wand. "Schneller!", murmelte sie. "Wenn es doch schon zwölf Uhr wäre!" Wieder ging sie auf und ab. Sie hatte mit Toya am Telefon ausgemacht, dass er, Hiro und sie sich um Punkt zwölf an ihrer Lieblings-Eisdiele in der Stadtmitte treffen würden. "Ich mach mir immer noch solche Sorgen", dachte sie und ließ sich seufzend auf ihr Bett fallen. Sie drückte eines der unzähligen Stofftiere, die da herumlagen, an sich. "Gestern Nacht... das war Yue", dachte sie. "Ich bin ganz sicher." Tränen stiegen ihr in die Augen. "Was soll das alles? Wieso ich? Woher..." Sie drückte den Kopf an das Stoffhäschen. Leise hörte man ihr Schluchzen. "Toya...", wimmerte sie. "Masa..."
 

~*~*~*~*~*~
 

"Wahnsinn", staunte Hiro, als Toya ihn einen ganzen Stapel Pfannkuchen hinstellte. "Das du kochen kannst, hat mich schon immer am meisten an dir fasziniert", meinte er lachend. "Sind doch nur Pfannkuchen. Besonders in Amerika sind die sehr beliebt." "Ich kann noch nicht mal japanisches Essen kochen, geschweige dennoch ausländisch", sagte Hiro und stopfte sich ein riesiges Stück Pfannkuchen in den Mund. Toya spülte betont langsam das gebrauchte Geschirr auf. "Sag mal, willst du nicht auch was essen?", fragte Hiro ihn, verschluckte sich dabei an dem Stück, dass er gerade in den Mund gesteckt hatte und begann zu husten. "Keinen Hunger", sagte Toya leise, ohne sich umzudrehen. Er konnte ihn nicht ansehen. Hiro antwortete nicht. "Da siehst du's!", schimpfte er mit sich selbst. "Da siehst du, was du angerichtet hast, Hiro! Es ist deine Schuld, dass es ihm jetzt noch schlechter geht!" "Du solltest aber trotzdem was essen. Gerade jetzt, wo du wegen deinen Erinnerungen so geschwächt bist."
 

Toya ließ einen Teller fallen. Ein Klirren ertönte. Scherben sprangen in die Luft. Hastig stand Hiro von seinem Stuhl auf. Toya bückte sich um die Scherben aufzuheben. "Lass nur, ich mach das", sagte Hiro und half ihm die Scherben aufzusammeln. Plötzlich sah er einen Schnitt auf Toya's Arm. Es blutete leicht. Er griff nach Toya's Arm. "Hey, du hast dich ja geschnitt..." "Lass!", schrie Toya und zog seinen Arm weg. "Lass... mich", wiederholte er leise und senkte den Blick. "To...ya", wisperte Hiro. Toya stand auf. "Es... ist nichts weiter", flüsterte Toya und verließ die Küche.
 

Hiro blickte ihm wortlos nach. "Fang jetzt bloß nicht an zu jammern", befahl er sich selbst. "Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Dass er dich jetzt SO behandelt... daran bist du selber Schuld!" Er schlug mit der Faust in die Glasscherben am Boden. "Shit", fauchte er. Blut tropfte aus mehreren Wunden an seiner Hand. "Ich verdammter Idiot!"
 

In der Zwischenzeit hatte Toya sich ein Pflaster auf den Schnitt geklebt. "Ich werde einfach nicht darauf reagieren", sagte er sich selbst. "Es ist krank, Toya! Es ist nicht normal! Hör auf, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden!"
 

~*~*~*~*~*~
 

"Yue!" ... "Yue, hörst du mich?" Langsam öffnete Yue die Augen. Er blickte in das blasse Gesicht eines Mädchens. Ihre großen, dunklen Augen blickten ihn erwartungsvoll an. Ihr langes, seidiges Haar fiel ihm ins Gesicht. Sie lächelte. "Guten Morgen, Yue", zwitscherte sie. Yue setzte sich auf. Er war zu Hause. In seiner Wohnung. Wie war er gestern dort hingekommen? Sein Schädel schien zu zerbersten. Er hielt sich die Hand an die Stirn, strich sich die langen, schwarzen, zerzausten Haare aus dem Gesicht. "Hast gestern ein bisschen viel getrunken", sagte dass Mädchen, dass auf seinem Schoß saß. Er blickte an ihr herunter. Sie trug nur Unterwäsche. Was war überhaupt passiert? Das Mädchen schlang die Arme um ihn. Küsste seinen nackten Oberkörper. "Gehen wir in die Stadt?", fragte sie. Sie blickte ihn lächelnd an. Yue's Blick sah gleichgültig aus. Eiskalt, beinahe... tot. "Mach nicht so ein Gesicht", sagte das Mädchen tröstend. Dann küsste sie sanft seine Lippen. Yue spürte keine Wärme bei dieser Berührung. Doch es war nicht wichtig. Er saß wortlos da. Erwiderte den Kuss nicht. "Gefällt... es dir nicht?", hauchte das Mädchen ihm leise ins Ohr. "Du...", begann Yue. Er sah sie nicht an. Blickte an ihr vorbei ins Leere. Machte jedoch keine Versuche, sie von sich zu stoßen. "Du widerst mich an!"
 

~*~*~*~*~*~
 

Wieder musste sich die arme Mariko die Zeit mit auf und ab gehen vertreiben. Diesmal vor der Eisdiele. Ein Blick auf ihre Armbanduhr ließ sie erneut aufstöhnen. "Schon fünf nach!", fiepte sie. Normalerweise waren fünf Minuten gar nichts. Zumal man hier von Hiro sprach. Aber dennoch. Die Situation war zu außergewöhnlich, als dass man sich nicht automatisch Sorgen machte. "Ihr beide treibt ein gefährliches Spiel, Masa... Toya..." Sie blickte geistesabwesend Richtung Himmel. "Denkt ihr wirklich, ihr könnt euch so etwas erlauben? Zu dem was euch sowieso schon bevorsteht?"
 

"Mariko!", rief eine Stimme von weitem. Mariko blickte nach vorn. "Masa!", rief sie und rannte zu ihm und Toya. Sie breitete die Arme aus. Hiro, zwar etwas überrascht, dass sie ihn allem Anschein nach umarmen wollte, tat es ihr nach. Doch Mariko rannte einfach an ihm vorbei und drückte Toya an sich. "Toya-chan!", heulte sie. "Ich hatte solche Angst! Bist du okay? Geht's dir gut?" "Ähm, ja...", keuchte Toya. "Aber wenn du mich nicht gleich los lässt,... geht's mir nicht mehr so... gut. Du zerdrückst... mich!" "Ouh!", sagte Mariko und ließ ihn rasch los. "Tut mir leid!" "Äh, Mariko...", begann Hiro.
 

"Du!", schrie die Angesprochene und fuhr herum. Sie tippte Hiro mit dem Zeigefinger auf die Brust. "Du - bist - schuld!", schrie sie. "Du solltest doch auf ihn aufpassen und statt dessen machst du... machst du..." Sie wurde rot und wandt den Blick ab. "Ach egal, ich will's gar nicht wissen." Hiro wurde ebenfalls rot. Was genau wusste Mariko eigentlich? "Egal, jedenfalls bist du ein miserabler Bodyguard. Wehe du passt mir in Zukunft nicht besser auf!" "Mariko!", sagte Hiro, doch diese war so in Ekstase, dass sie einfach weiter schimpfte. "Das ist schon das zweite mal, dass..." "Mariko!", unterbrach Hiro sie. Endlich verstummte das Gezeter. "Ist ja gut...", seufzte Hiro. Er legte Mariko die Hand auf die Schulter. "Ab jetzt...", begann er. "Lass ich ihn keine Sekunde mehr aus den Augen, okay?" Toya zuckte zusammen. "Ich werde ihn beschützen, das versprech ich dir." Mariko schluchzte. Tränen liefen über ihre Wangen. Sie fiel Hiro um den Hals. Dann schnappte sie sich mit einer Hand Toya und zog ihn zu sich. "Ihr Idioten!", fuhr sie die beiden Jungs an, während sie sie beide umarmte. "Ich dämlichen Idioten! Macht mir nie... NIE wieder solche Sorgen!" "Ist ja gut", sagte Hiro und tätschelte Mariko tröstend über den Kopf. Toya hatte ihn selten, wirklich sehr selten so erlebt. Seit wann war Hiro eigentlich so... nett? Und wieso tröstete er Mariko? "Ich werd dich beschützen, Toya", wisperte er.
 

Toya's Herz machte einen Sprung. Hinter Mariko's Rücken, die die beiden immer noch fest an sich drückte, griff Hiro nach Toya's Hand und drückte sie fest in seine. "Ich werd nicht zulassen, dass dir was passiert, Kumpel!" Toya's Herz schlug wieder schneller. Er konnte es spüren. Doch er war nicht in der Lage, Hiro's Hand wegzustoßen. Und Mariko? Wie sie sich um sie beide gesorgt hatte. Toya wusste nicht, woher, doch er war sich sicher, dass Mariko längst wusste, dass sie von Yue angegriffen worden waren. Es tat ihm leid, dass er ihr solche Sorgen bereitet hatte. Er wollte sie nicht loslassen. Weder sie, noch Hiro. Sie würden immer zusammen bleiben, immer Freunde bleiben. Seine besten Freunde.
 

"Also", sagte Mariko. "Gehen wir ein Eis essen?" Plötzlich lächelte sie wieder. Es war dieses Lächeln, mit dem sie ihre Angst verbergen wollte. Sie war nicht schwer zu durchschauen. "Von mir aus", sagte Hiro. Dann gingen die drei in die kleine Eisdiele. Sie setzten sich an ihren Stammplatz, einen runden Tisch am Fenster. Toya blickte verträumt nach draußen, während Mariko versuchte, Hiro die Karte aus den Händen zu reißen. "Gib schon her!", sagte sie. "Du hast echt noch nie was von Ladys first gehört, was?" "Doch, aber ich hab Hunger!", rechtfertigte Hiro sich. "Blöde Ausrede! Eis macht eh nicht satt" "Gut, aber du bist eh nicht gerade die dünnste, Mariko, also solltest du vielleicht..." "Waaaas?", schrie Mariko. "Was heißt hier nicht die Dünnste? Ich geb dir gleich..." Sie schubste Hiro, so dass er die Karte auf den Tisch fallen ließ. "Pah, dabei wollte ich euch einladen. Das kannst du jetzt aber voll vergessen!", sagte Mariko beleidigt, während sie die Karte durchstöberte. Hiro lachte nur.
 

"Hey, was willst du haben, Toya?", fragte Mariko nach wenigen Minuten, in denen Toya pausenlos aus dem Fenster gestarrt hatte. "Was? Ich? Äh...", stotterte dieser, da Mariko ihn offensichtlich aus den Gedanken gerissen hatte. "Ja du, siehst du hier sonst noch jemanden, der Toya heißt?" Wieder musste Hiro lachen. "Na ja, wer weiß, kann ja sein, dass der da...", er deutete unauffällig auf einen Jungen, der mit einem Mädchen an einem Tisch in der Nähe saß. "...oder der da... oder der", fuhr er fort, mit einem Blick zum Kellner. "Woher willst du wissen, dass nicht zufällig einer von denen auch Toya..." "Aaaarg", schrie Mariko. "Kannst du jetzt endlich mal die Klappe halten, Masa? DU - NERVST!!!" Hiro verdrehte die Augen, ließ ein Seufzen hören und verstummte. Als Mariko sich wieder Toya zugewandt hatte, machte Hiro hinter ihrem Rücken Grimassen, die scheinbar Mariko darstellen sollten. Toya musste lachen. "Was?", fragte Mariko. "Was ist so komisch?" Sie bemerkte Hiro's Scherz und gab ihm prompt einen weiteren Schubs. "Na Hauptsache, euch geht's gut!", maulte sie beleidigt. Toya konnte sich das Lachen noch immer nicht verkneifen. Ach ja, Hiro war immer der Einzige, der ihn selbst in so einer Situation zum Lachen brachte. Und das nachdem er...
 

Toya fuhr erschrocken herum, als er in diesem Moment bemerkte, dass er Hiro unentwegt angestarrt hatte. "Und das nachdem er mich... geküsst hat", dachte er. Bis jetzt hatte er es geschafft, es aus seinen Gedanken zu streichen. Die Sache mit Yue beanspruchte ihn bei weitem genug.
 

"Egal, also was willst du, Toya?", fragte Mariko. "Ich lade euch trotzdem ein, Jungs. Auch wenn ihr's eigentlich nicht verdient habt. Toya?" "Danke", antwortete Toya. "Ich möchte nur ein..." "Was wohl?", unterbrach Hiro ihn. "Erdbeermilchshake. Wie immer!" Toya lächelte. "Ja", murmelte er. "Wie immer..."
 

In diesem Moment kam eine junge Frau an ihren Tisch. "Was darf ich euch bringen?", fragte sie mit zuckersüßer Stimme. "Für mich einen Bananensplitt bitte", sagte Mariko. "Und einen Erdbeermilchshake und..." Sie blickte zu Hiro. "Äh, also ich nehm...", er warf noch einen Blick in die Karte, dann sagte er. "Das da... und das und, ähm das da. Das ist alles, danke." Er klappte die Karte zu. Die Bedienung ging davon. Mariko sah plötzlich blass aus. "Ma...sa", sagte sie zähneknirschend. "Was denn?", meinte Hiro empört. "Wenn du uns schon mal einlädst..." "Irgendwann, glaub mir...", murmelte Mariko in sich hinein. "Irgendwann - bring - ich - dich - um!!!"
 

Eine Weile saßen die drei da und warteten. Mariko und Hiro unterhielten sich. Toya wusste nicht ein mal über was. Er blickte geistesabwesend aus dem Fenster. Wusste nicht einmal, worüber er nachdachte.

"Mariko", sagte er so plötzlich, dass die Angesprochene erschrocken hochfuhr. "Woher weißt du es?" Sie blickte ihn fragend an. "Woher...? Weiß...?" "Dass Yue mein Bruder ist, das mit gestern Abend..." Hiro schlug sich mit der Hand gegen den Kopf. "Ach hör schon auf, Masa!", sagte Toya genervt. "Sie weiß es doch eh längst. Wozu noch ein Geheimnis daraus machen." "Weil es sie nichts angeht, verdammt!", fuhr Hiro ihn an. "Ganz einfach deswegen!" "Sie weiß es ja sowieso!", schrie Toya. "Sag's ihm, Mariko! Sag, dass du weißt, dass er mich angegriffen hat!" Mariko schwieg. Ihr Blick war auf die Tischplatte gerichtet. "Mariko!", drängte Toya sie. "Ja", seufzte sie dann und blickte auf. Ihre Augen sahen glasig aus. "Ja, ich weiß es. Dass ihr Brüder seid, dass er dich gestern angegriffen hat und auch, dass..." Sei verstummte. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, konnte sich ein leises Schluchzen nicht verkneifen. Tränen glitzerten in ihren Augen. "Ihr seid Dämonen", wisperte. Hiro riss die Augen auf.
 

"WAS?!", schrie er. Mariko zuckte zusammen. Die Leute an den Nachbartischen drehten sich nach ihnen um. "Es... tut mir leid", schluchzte Mariko. "Ich hätte es euch sagen sollen, aber... diese Visionen,... ich hätte nie gesagt, dass es wirklich wahr ist. Ich dachte, es wären nur Hirngespinste." "Visionen...?", wiederholte Toya nachdenklich. "Es ist schon eine ganze Weile so. Ich weiß nicht, wieso ich sie habe", erklärte Mariko. "Ich hab doch damit gar nichts zu tun." Sie wischte sich mit der Hand die Tränen ab. "Ich bin nicht so. Ich meine, ich bin kein... Dämon, wie ihr." Ihre Stimme wurde leiser, so dass sie niemand belauschen konnte.
 

"Schön", sagte Hiro und schüttelte ungläubig den Kopf. "Dann kannst du ja gehen!", fuhr er sie an. "Wenn du dich jetzt für was Besseres hälst... ich weiß schon, wir sind unnormal. Dann hau doch ab!" Mariko blickte ihn verstört an. "Masa!", sagte Toya eindringlich. Er blickte sich um. Wieder schauten einige Leute zu ihnen herüber. "Schrei sie nicht so an!" "Wieso nicht?", fragte Hiro und wandt sich dabei Toya zu. "Soll ich lieber DICH anschreien? Weil DU so dämlich warst, es ihr zu erzählen?! Denkst du, ich hatte nicht auch meine Gründe, warum ich IHR NICHTS davon gesagt hab?!" Toya blickte ihn wortlos an.
 

Das war zu viel. So hatte Hiro noch nie mit ihm gesprochen. Und wieso misstraute er ihm? "Du denkst, ICH hätte es ihr erzählt?", meinte er spöttisch lachend. "Ich hab es ihr nur bestätigt. Hörst du eigentlich zu? Sie hat gesagt, sie hätte Visionen! Sie hat wahrscheinlich mehr damit zu tun, als dir lieb ist." Er merkte gar nicht, wie, während er sprach, seine Stimme immer lauter wurde. "Und der einzige Grund, warum du sie da raushalten willst, ist doch nur, weil du in sie verknallt bist, und nicht willst, dass ihr was passiert!" Ein Stechen fuhr durch seine Brust, als er diese Worte aussprach. Seine Wangen glühten. Er musste knallrot sein. "Aber bitte... wenn dir das so lieber ist... Dann halt sie meinetwegen auch für eine Lügnerin und mich für einen Verräter!"
 

Damit stand Toya auf und stürmte aus der Eisdiele. Nun war es perfekt! Nahezu jeder in der Eisdiele hatte diesen Aufstand mitbekommen. "Toya!", rief Hiro ihm nach und stand ebenfalls auf. "Verdammter Idiot! Komm sofort wieder zurück!" Wütend stapfte er aus der Eisdiele. Mariko vergrub den Kopf in den Händen und schluchzte. "Ihr seid Idioten", fiepte sie. "Alle beide. Idioten und dazu Dämonen. Aber es ist mir egal, wer ihr seid. Ihr seid trotz allem meine Freunde!"
 

Toya rannte die Straße entlang. Stieß dauernd mit Passanten zusammen und drängelte sich durch die Menge, als hätte er es furchtbar eilig. Dabei wusste er nicht einmal, wohin er wollte. Sein Gesicht glühte noch immer. Tränen liefen über seine Wangen. "Toll, jetzt hab ich mich auch noch mit Hiro zerstritten", dachte er. Und die arme Mariko hab ich auch einfach sitzen gelassen."
 

Obwohl er vorhin gesagt hatte, dass Hiro in Mariko verknallt wäre, glaubte er es eigentlich nicht. Er wusste nicht warum er es gesagt hatte. Es kam ihm in diesem Moment so logisch vor. Es könnte ja auch durchaus sein. Er dachte daran, als Hiro ihn geküsst hatte. "Einmal und nie wieder", sagte diese Stimme in seinem Kopf. Ouh, wie er ihn dafür hasste. Am liebsten würde er ihm eine reinhauen. Doch das würde nichts bringen. Hiro war sowieso viel stärker als er. Und obwohl ihm dieser Gedanke, dass Hiro vielleicht wirklich in Mariko verliebt sein könnte, klarer als je zuvor, erschien, konnte er Mariko doch nicht dafür hassen. Wieso auch? Hiro und er waren Kumpel. Nichts weiter. "Hör schon auf, Toya. Es wäre naiv, sich auf diesen dämlichen Kuss etwas einzubilden. Würde ich mich etwa freuen, wenn er es ernst gemeint hätte? Das ist doch absurd." Er konnte nicht aufhören zu weinen.
 

Ziellos hastete er durch die Straßen. Doch plötzlich spürte er ein seltsames Gefühl. Irgend jemand beobachtete ihn. Er blieb stehen. Blickt sich um. Nichts. Da war niemand. Aber er bildete sich das nicht nur ein. Sein Blick wanderte durch die Mengen der Passanten. Dann nach oben. Da! Oben auf einem Hochhaus. Da stand jemand auf dem Dach. Eine Schar schwarzer Vögel flog von dort hoch. Die Vögel flogen über Toya's Kopf hinweg. Ein paar schwarze Federn fielen zu Boden. Toya fing eine davon auf. Seine Tränen waren auf seinen Wangen angetrocknet und hinterließen nur dieses spannende Gefühl. Sein Puls raste nun noch mehr. So sehr, dass ihm selbst die Tränen ausblieben. Er ließ die Feder aus der zitternden Hand fallen und wisperte: "Yu...e." Dann rannte er los.
 

Gerade in diesem Moment sah Hiro ihn wieder in der Menge verschwinden. Als Toya kurz inne gehalten hatte, hatte Hiro es geschafft ihn einzuholen. "Toya!", rief er. "Warte doch!" Doch Toya hörte ihn nicht mehr. Hiro sah ihn in ein Gebäude rennen. "Wo will er denn hin?", murmelte er und blickte das Hochhaus an. Plötzlich riss er die Augen auf. Er erblickte die schwarze Gestalt auf dem Dach des Hauses. "Scheiße", fauchte er. Panik stieg in ihm auf. "Verdammt, Toya!", keuchte er. "Nein! Tu's nicht! TOYA!" Er rannte ihm nach in das große Gebäude.
 

Toya war die ganzen Treppen nach oben gerannt. Auf den Fahrstuhl konnte er nicht warten. Er riss die Tür zum Dach auf. "Yue!", schrie er. Sein Bruder drehte sich langsam zu ihm um. Seine Augen, eines weiß schimmernd, dass andere kohlrabenschwarz, blickten direkt in Toya's. Ein Luftsog blies ihm die schwarzen, welligen Haare ins Gesicht. War es sein Anblick, oder der kalte Oktoberwind, der Toya eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. "Wie mutig", hauchte Yue. Seine Stimme klang klar und dunkel. "Dass du alleine hier auftauchst, hätte ich nicht gedacht." "Ich... bin nicht auf Masa angewiesen, falls du das meinst", rechtfertigte sich Toya. "Masa...?", wiederholte Yue. "Sein irdischer Nachname, nehme ich an. Verzeih, ich kenne ihn nur als Hiro. Als dein kleines Spielzeug, dass dir Mami und Papi geschenkt haben, weil du sonst keine Freunde hattest." Er setzte wieder dieses hämische Grinsen auf. "Hör auf!", schrie Toya. "Das ist nicht wahr!" "Ouh, armer, armer Toya-chan", spottete Yue. "Hast schon immer darunter gelitten, dass du anders bist. Der ewige Outsider." Seine Stimme wurde lauter. "Schon damals hast du neidisch zu mir aufgesehen, weil ICH der Thronerbe war, und nicht du! Nur deshalb hast du Sumi getötet!", schrie er. Toya schüttelte den Kopf. "Das...", wisperte er. "...ist nicht wahr."
 

~*~*~*~*~*~
 

Plötzlich schoss ein Bild in seine Gedanken. Ein Stechen in seinem Kopf. "Aaah", stöhnte er, hielt sich die Hände an den Kopf und sank in die Knie. Die Erde bebte. Er sah einen Mann mit langem, silbernem Haar, geschmückt mit Krähenfedern. Eines seiner Augen war weiß, wie Yue's. Er hielt einen kreuzförmigen Stab schützend vor sich. Ihm gegenüber stand ein Junge in einer grauen Kutte. Er versuchte Garasu's Waffe mit seinem Katana weg zudrücken. Toya konnte sein Gesicht nicht sehen, doch er wusste, dass es Hiro sein musste. "Komm schon, O-nii-san!", hörte er sich selbst sagen. Er sah sich, als wäre würde er das Geschehen aus der Ferne beobachten. Er trug ebenfalls ein Gewand. Es war schwarz und verbarg sein Gesicht unter der Kapuze. Er zog Yue, der neben ihm am Boden kniete hoch und rannte mit ihm davon. Aus sicherer Entfernung sahen sie, wie Hiro gegen Garasu kämpfte. Plötzlich fiel Toya's Blick auf eine der Leichen, die dort vorn am Boden lagen. Sie waren von der Decke gefallen, wo sie vorher festgebunden waren. "Sumi!", durchfuhr es ihn. Und in diesem Moment verschwamm das Bild vor seinen Augen.
 

~*~*~*~*~*~
 

Er schlug die Augen auf. Blickte in Yue's Gesicht und spürte, wie dessen Griff um seinen Hals fester wurde. "Yu...e", keuchte er und versuchte sich von seinem Bruder loszureißen. Der Wind wehte eiskalt in seinen Nacken. Er wandt sich um und blickte in einige Meter Tiefe. Sie standen am Rande des Daches. "Entweder wird er mich erwürgen, oder gleich runter werfen", dachte Toya. "Lass... mich... los!", wimmerte er. "Du elende Ratte!", sagte Yue zähneknirschend. "Du wirst dafür bezahlen, dass du sie umgebracht hast. Damit ihre Seele endlich Frieden finden kann!" Toya's Puls raste, der Druck um seinen Hals wurde immer stärker. Es schnürte ihm die Kehle zu. Er konnte kaum noch atmen. "Okay, ich hab nicht viel zu verlieren", dachte er. "Meine Eltern sind nicht wirklich meine Eltern. Den meisten Menschen bin ich egal. Ich hab Mariko im Stich gelassen und..." "Masa", keuchte er und in Gedanken fügte er hinzu: "Nein! Ich will nicht sterben!" Wieder liefen Tränen über sein Gesicht. "Nicht, solange ich mich nicht wieder mit ihm versöhnt habe!" "Du kannst ihn rufen, so lange du willst", sagte Yue siegessicher. "Er wird nicht kommen, und dich retten. Nicht diesmal." Er lächelte. Wenn Toya tot wäre... wäre er dann glücklich?
 

Einen kurzen Moment dachte Toya darüber nach, ob es nicht vielleicht besser so wäre. Wenn es nur Sumi's Tod war, den er rächen wollte. Auch wenn Toya sie nicht getötet hatte, Yue glaubte das. Wenn er dann zufrieden wäre... Vielleicht war es wirklich besser so. "Ich werde dich schön lange leiden lassen, bis zu qualvoll zu Grunde gehst", hauchte Yue. Es hörte sich wirklich so an, als würde es ihm Spaß machen, seinen eigenen Bruder so zu quälen. "Und niemand wird dir helfen, auch nicht dein geliebter Masa. Diesmal wird er dich nicht beschützen kön..."
 

Er zuckte zusammen. Ein erstickender Laut drang über seine Lippen. Blut quoll aus seinem Mundwinkel hervor. Er blickte an sich herunter. Toya ebenfalls. An seiner linken Seite befand sich ein großer Blutfleck. Die Spitze eines Schwertes glänzte zwischen dem Riss in Yue's Hemd hervor. Toya spürte, wie sich der Griff um seinen Hals lockerte. Die Spitze des Schwertes wurde zurück gezogen. Yue's Körper sank vor Toya zu Boden. Vor diesem stand Hiro. Er stand einfach nur da. Starrte Toya mit diesem ausdruckslosem Blick an und sagte kein Wort. In seiner Hand hielt er das Katana mit der blutverschmierten Klinge. Toya wusste nicht, was er sagen sollte. Er konnte nicht klar denken.
 

"Falsch", murmelte Hiro. "W...as?", fiepte Toya. "Er hat gesagt, ich werde dich diesmal nicht beschützen können." Toya schwieg. "Aber egal, was ich dafür tun muss, und egal, wie sehr du mich auch hasst... es wird nichts an meiner Aufgabe ändern." Aufgabe... Für Toya hörte sich das so an, als wäre es für Hiro nur ein Job. Nichts weiter. Doch in Gedanken fügte Hiro hinzu: "...und an meinen Gefühlen für dich." Er zog Yue unsanft hoch und hievte ihn über die Schulter. Dann drehte er sich um und ging wortlos davon. "Masa!", rief Toya ihm nach und folgte ihm. "Keine Sorge, er lebt", murmelte Hiro nur und öffnete die Tür, die vom Dach führte.
 

Was niemand von beiden gesehen hatte, war die Gestalt, die auf dem kleinen Plateau über der Tür gestanden und sie beobachtet hatte. Doch sie folgte ihnen nicht. Als die Tür zum Dach sich hinter Toya und Hiro geschlossen hatte, verschwand sie ihn einem Wall aus Krähenfedern. Sie löste sich einfach spurlos in Luft auf.
 

Plötzlich knallte Hiro auf der Treppe mit jemandem zusammen. "Uah!", schrie Mariko und fügte mit einem Blick auf Yue hinzu: "Oh mein Gott, was ist passiert?" "Später", sagte Hiro knapp und ging an ihr vorbei. "Wir können ihn nicht ins Krankenhaus bringen. Garasu wird ihn sicher suchen. Toya, deine Eltern sind noch nicht wieder da, oder?" "Äh, nein", antwortete Toya und rannte Mariko und Hiro, der selbst mit Yue's Gewicht auf dem Rücken, noch ziemlich schnell laufen konnte, nach.
 

Noch nie war Toya der Weg nach Hause so lang vorgekommen. Es war nicht gerade leicht, jemanden Ohnmächtigen durch die Menschenmengen von Tokio zur Rush Hour zu schleifen. Hiro hatte Yue seine Jacke angezogen, so das niemand das Blut sehen konnte. Und dennoch hatten sich einige Leute umgedreht. Sie mussten gedacht haben, die drei würden einen Betrunkenen mit sich herum schleifen. So wie er da zwischen Hiro's und Toya's Schultern hing. Und das am späten Nachmittag.
 

Den ganzen Weg über hatte niemand etwas gesagt. Erst jetzt, als sie Yue endlich bei Toya aufs Bett gelegt hatten, wurde das Schweigen gebrochen. "Hol Verbandszeug", sagte Hiro. Sein Ton klang so befehlend. So kannte Toya ihn wirklich nicht. "Und am besten alles, was du sonst noch da hast." Er riss Yue das Hemd auf und blickte kritisch auf die Wunde. Der Schnitt war knapp fünf Zentimeter lang. "Am besten auch Nadel und Faden", seufzte er. Toya lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Doch er gehorchte und verließ ohne jeden Widerspruch das Zimmer. "I... ich helfe dir", stotterte Mariko und ging ihm eilig nach. Offensichtlich wollte sich nicht unbedingt mit Hiro alleine sein.
 

"Es tut mir leid", sagte Toya leise, während er aus dem Medizinschrank im Bad einiges heraus wühlte. "Was?", fragte Mariko. "Dass ich einfach weggerannt bin. Ich... hab dich im Stich gelassen. Das tut mir leid." "Ach was", seufzte Mariko. "Weißt du, Masa hat keine Sekunde gezögert, ist aufgestanden und dir nachgerannt." Sie verstummte kurz und nahm Toya die Schere und eine dicke Rolle Verband ab. "Hätte er das getan, wenn er in MICH verknallt wäre?" Sie lächelte. Es war ein trauriges Lächeln. Toya blickte sie fragend an. Was sollte das denn nun wieder heißen? Mariko schnipste ihn mit dem Finger an den Kopf. "Mensch Toyahaa!", stöhnte sie. "Du bist ja wohl so was von verpeilt!" Und damit ging sie zurück in Toya's Zimmer. Toya stand stumm da. "Was meint sie denn nun schon wieder?", überlegte er und folgte ihr dann.
 

"Das muss genäht werden", murmelte Hiro, nachdem er Yue's Wunde mit einem Tuch gereinigt hatte. "Ich hab's mit Magie versucht, aber das reicht noch nicht aus." Mariko drehte sich angewidert auf ihrem Stuhl um, als Hiro, der neben Yue auf dem Bett saß, mit der Nadel in dessen Haut stach. Toya zitterte. Ein Gefühl der Übelkeit kam in ihm hoch. "Eine Frage, Masa", sagte Mariko. "Woher kannst du so was?" "Ach, als Dämon lernt man so einiges", antwortete er. In seiner Stimme lag so ein seltsamer Unterton, als wäre er sauer auf Mariko, weil sie davon wusste. Dabei konnte sie gar nichts dafür. Toya fand Hiro's Verhalten jedenfalls ziemlich gemein. Wieder fiel sein Blick auf die Nadel, die immer und immer wieder in Yue's Haut drang und den dünnen Faden, der die Öffnung, durch die das Fleisch zu sehen war, zusammenzog. Hiro's Hände waren blutverschmiert. Toya stand auf, ging zum Fenster und riss es sperrangelweit auf. Er beugte sich nach draußen und atmete tief ein. Er fühlte sich, als müsse er sich jeden Augenblick übergeben. "Guck weg, sonst wird dir auch noch schlecht", sagte Hiro zu Mariko, die nun einen Blick gewagt hatte. Rasch drehte sie ihm wieder den Rücken zu. "Ich... äh... muss mal kurz... äh... ins Bad", stotterte sie und ging hastig aus dem Zimmer.
 

Toya hörte die Tür hinter ihr zuknallen. Der Durchzug, der durch das geöffnete Fenster entstanden war, hatte sie so hart zuschlagen lassen. Er blickte weiter aus dem Fenster. Sein Gesicht war leichenblass.

"Ich hätte ihn umbringen sollen", hörte er Hiro leise sagen. Er riss die Augen auf. WAS hatte Hiro da eben gesagt? "Ich hab mit Absicht keine wichtigen Organe verletzt. Ich hätte es ihm genauso gut ein bisschen weiter rechts rein rammen können." Toya zuckte zusammen. "Wieso sagt er so etwas?", dachte er. "Das ist immer noch mein Bruder, über den du da sprichst", sagte er leise und nicht halb so aggressiv, wie er es sagen wollte. "Na und?", sagte Hiro laut. "Um ein Haar hätte er dich umgebracht! Und er würde es jeder Zeit wieder probieren! Ich lasse nicht zu, dass..."

"Du lässt es nicht zu, ja?", unterbrach Toya ihn und drehte sich zu ihm um. "Ich lass nicht zu, dass dir jemand was antut. Ich lass es nicht zu!", schrie er. "Immer wieder die gleichen Worte. Verdammt, Masa! Ich verstehe dich nicht! Ich denke, du sollst uns BEIDE beschützen. Yue UND mich! Wie kannst du nur sagen, dass du ihn umbringen willst? Er ist mein Bruder, verdammt!" Leise wisperte er: "Ich... will ihn nicht verlieren!" Diese Worte brachten das Fass zum Überlaufen.
 

"...will ihn nicht verlieren...", wiederholte Hiro in Gedanken und stand vom Bett auf. "Und das obwohl er sich kaum an die Zeit erinnert, wo Yue noch auf unserer Seite stand. Er kennt ihn doch nur als den, der versucht, ihn kalt zu machen." "Du checkst es einfach nicht, was?", fuhr er Toya an, ging zu ihm ans Fenster und packte ihn an den Schultern. "Yue es mir egal! DU bist mein bester Freund, nicht er. Und wenn er dir was antut, dann bring ich ihn um, das schwör ich dir! Ob es dir nun passt oder nicht!" Toya blickte ihn sprachlos an.
 

Wie konnte er es wagen? War er nicht damals sein Untergebener gewesen? Hatte er nicht eigentlich auf Toya's Befehle zu gehorchen? Diese Gedanken waren falsch, dass wusste Toya und er hasste sich dafür, dass er es nun aus dieser Sicht betrachtete. Dabei war Hiro ihm in dieser Welt und in dieser Zeit, keineswegs untergeben. Und dennoch. Er konnte nicht zulassen, dass Hiro Yue etwas antat.
 

"Wenn das so ist", sagte er leise. Er blickte zu Boden. "Dann verschwinde besser." Hiro traute seinen Ohren nicht. "Verschwinde, denn wenn Yue aufwacht und mich angreift... Wenn du mit dem Katana auf ihn losgehst, werde ich mich vor ihn werfen. Du würdest uns schon beide töten müssen. Wenn du damit klar kommst, kannst du's ja gerne versuchen, aber da du gesagt hast, du willst mich beschützen, glaube ich kaum, dass es dir egal wäre, wenn ich auch draufgehen würde." Er konnte selbst nicht fassen, was er gerade gesagt hatte. Aber es war die einzige Möglichkeit. Genau so wie Hiro ihn, so wollte er seinen Bruder schützen. Und damit war Yue in Sicherheit. "Also...", murmelte Toya. "Geh schon! Oder willst du mich auch töten?"
 

Hiro blickte ihn sprachlos an. Er entschied sich also für seinen Bruder? Und damit... gegen ihn? Er schlug mit den Händen gegen die Wand hinter Toya. Toya fühlte sich so überwältigt. Hiro war viel größer und kräftiger als er. Wie er da so über ihn gebeugt da stand. Er fühlte sich wie in einer Falle eingeschlossen. Hiro's Gesicht kam dem seinen näher. Toya's Herz schlug schneller. Er sah Hiro in die Augen. Was war das für ein Blick? Er konnte sich nicht erinnern, ihn jemals bei Hiro gesehen zu haben. Sein Gesicht war ihm so nahe. Nur noch ein paar Zentimeter lagen dazwischen, bis sich ihre Nasenspitzen berührten. Ein paar Sekunden standen sie so da. Es war, als hatte jemand die Zeit angehalten. Dann richtete Hiro sich wortlos auf. Er ließ die Hände sinken und blickte zu Boden.

"Du willst also, dass ich gehe?", fragte er. "Gut, dann gehe ich." Er sah so verzweifelt aus. Der lange Pony hing ihm in die Augen. "Ich... tue immer alles, was ihr wünscht, Toya-sama", meinte er und lachte spöttisch. Toya fühlte sich schuldig, als sein Freund ihn so nannte. "Und wenn ihr meinen Tod wünscht...", schrie Hiro und drückte Toya erneut gegen die Wand. Dann hauchte er ihm ins Ohr: "Dann begeh ich natürlich auf der Stelle Harakiri." Er wandt sich ab, murmelte: "Euere Hoheit" und verließ den Raum. Toya blickte ihm wortlos nach. Die Tür schlug zu. Er war nicht in der Lage, ihn aufzuhalten. Er wollte ihm nachlaufen. Wollte "Nein, geh nicht!", rufen. Aber es ging nicht. Er DURFTE es nicht. Erschöpft sank er in die Knie. "Wieso tust du das?", schluchzte er. "Wieso tust du mir das an... Masa..."
 

In diesem Moment kam Mariko herein. "Hey, ich hab Hiro gerade aus dem Haus rennen sehen. Was ist pa..." Sie sah Toya völlig aufgelöst am Boden knien. "Oh Gott, was ist passiert?", fragte sie und setze sich vor Toya auf den Teppich. "Mariko!", schluchze Toya und fiel ihr in die Arme. Mariko streichelte ihm tröstend über den Kopf. "Hey, ist ja gut", sagte sie. "Hör auf zu weinen. Alles wird wieder gut. Ganz sicher." "Nein!", schrie Toya. "Nein, nichts wird gut. GAR NICHTS! Es hat sich all die Jahre nicht geändert und es wird sich NIE ändern. Im Gegenteil, es wird nur noch schlimmer!" "Was...?", fragte Mariko. "All die Jahre...? Wovon redest du? ...Toya?" "Ich bin krank, Mariko. Ich bin völlig krank. Das ist nicht normal!" Mariko dachte erst, er redete davon, dass er ein Dämon war, doch bevor sie etwas antworten hätte können, schluchzte Toya: "Ich liebe ihn!!!"
 

~tbc~



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2004-09-19T14:22:18+00:00 19.09.2004 16:22
sorry, hab's schon vor längerem gelesen, aber vergessen ein kommi zu schreiben ^^°
ich fand's mal wieder supi ^^
was ich klasse finde ist, dass du es total gut rüberbringen kannst, wie sich die einzellnen charas fühlen *beneid*
sag mir bitte bescheid, wenn's weiter geht ^^
Von: abgemeldet
2004-09-11T19:24:59+00:00 11.09.2004 21:24
o_____o geil


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