Zum Inhalt der Seite

Neue (und alte) Abenteuer

Szenen, die es nicht in die Hauptfic geschafft haben
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallihallö,

heute geht es dann weiter mit einer tatsächlich schon sehr alten Szene mit der ich bis heute nicht so ganz zufrieden bin, aber was für kommende Teile nicht ganz unwichtig ist^^' (Du meine Güte, es ist erschreckend, wie viel Kram ich noch zu den zweien habe... sie lassen mich einfach nicht in Ruhe).

Nun ja, ich wünsche euch ein wunderschönes Wochenende ;-) Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Extrakapitel 25 - Bettgeschichten

Bettgeschichten

 

-Mihawk-

Er öffnete die Augen und ließ seinen Blick zur Seite gleiten. Lorenor neben ihm drückte mit gequältem Gesicht seinen Kopf ins Kissen, seine Lider flatterten, seine Hände krallten sich in die Decke. Er hatte offensichtlich einen Albtraum. Schon wieder ein Albtraum.

„Lorenor“, murmelte Dulacre und streckte eine Hand nach ihm aus, „wach auf.“

Bevor er Lorenor überhaupt berührt hatte, wurde er ins Kopfkissen gepresst, zwei Hände drückten seine Kehle zu, während der andere auf ihm kniete und wilde Augen ihn anstarrten. Dann ließ Lorenor ihn los, zuckte zurück und rieb seine linke Hand über Auge und Schläfe.

„Schlecht geträumt?“, fragte Dulacre in die Dunkelheit hinein und beobachtete, wie Lorenor sich weiterhin die Schläfe rieb, nun sein vernarbtes Lid wieder geschlossen.

„Tut mir leid“, murmelte er.

„Nicht doch, nicht doch. Es gehört vielleicht nicht zu meinen Vorlieben, aber wenn du dich im Bett etwas ausprobieren möchtest, nur zu.“

Nun schenkte Lorenor ihm einen offensichtlich überraschten Blick und trotz der warmen Wangen musste Dulacre darüber schmunzeln.

„Hast du gerade einen Witz gemacht? Und dann noch über Sex?“

„Sei doch nicht so überrascht. Ich kann lustig sein.“

Dies entlockte ihnen beiden ein Grinsen und es schien, als würde der Jüngere sich endlich etwas entspannen. Dulacre legte eine Hand an Lorenors Hals und strich mit dem Daumen über seine Wange, während der andere immer noch auf ihm hockte.

„Gestern Nacht hattest du auch Albträume. Was beschäftigt dich?“

Lorenor quälte sich äußerst selten im Schlaf, eher schlief er ruhig wie ein Stein oder schnarchte so laut, dass Dulacre nicht einschlafen konnte.

„Nichts Wichtiges“, entgegnete er und ließ sich wieder neben Dulacre ins Bett fallen. „Nur schlecht geschlafen.“

Er neigte seinen Kopf in Dulacres Richtung, gähnte unverhohlen und schloss dann auch sein unversehrtes Auge, ehe er die Decke wieder mehr über sie zog.

„Es ist mitten in der Nacht, lass uns schlafen.“

„Nein, so schläfst du mir nicht wieder ein“, entgegnete er sanft, woraufhin Lorenor sein Auge wieder halb öffnete.

„Wenn du nicht willst, dass ich nach eben…“

„Lorenor, glaub mir, ich bin schon zu deutlich schlimmeren Anblicken wach geworden als dir auf mir, deine Hände an meinen Hals, deutlich schlimmeres. Es hatte fast schon etwas Erotisches.“ Erwartungsgemäß rollte der andere darüber sein Auge. „Aber mir gefällt es gar nicht, dich so unruhig zu sehen mit dem Wissen, dass ihr morgen weiterreisen werdet.“

Erneut gähnte Lorenor unverhohlen, ehe er schließlich die Arme unterm Hinterkopf verschränkte und sich Dulacre zuwandte, die kleine Goldkette und die drei Ohrringe glitzerten im fahlen Mondlicht, welches durch das Bullauge am Kopfende fiel.

„Es ist nichts, worüber du dir groß Gedanken machen müsstest“, murmelte er mit noch einem Gähnen. „Ich schlafe halt manchmal nachts schlecht. Ist doch nichts dabei, kann doch tagsüber noch genug pennen.“

Das erklärte zumindest etwas, schließlich schlief Lorenor nachts selten bis gar nicht, zumindest nicht an Bord seiner Crew, wo er meist erst in den frühen Morgenstunden zu Bett ging und den fehlenden Schlaf durch über den Tag verteilte Nickerchen nachholte.

Dulacre legte sich auf die Seite, um Lorenor besser beobachten zu können, welcher nun wieder zur Decke hinauf sah. Doch aus dem Augenwinkel begegnete er immer wieder Dulacres Blick.

„Es sind seine Erinnerungen“, sprach er nach einigen langen Sekunden schließlich leise und Dulacre wusste, von wem er sprach. „Manchmal vergesse ich, dass ich es wieder geträumt habe, manchmal nicht.“

„Und es sind schlimme Erinnerungen?“

„Es sind nicht meine, das ist schlimm genug“, entgegnete Lorenor mit einem sachten Schulterzucken. „Ich bin nicht unbedingt ein Fan davon, immer wieder seine Erinnerungen zu sehen, aber es ist eher wie ein nerviges Buch, welches ich nicht zuschlagen kann; es interessiert mich nicht besonders, aber es ist nichts Dramatisches, eher langweilig oder pathetisch.“

„Und heute?“

Nun sah Lorenor ihn einfach nur an, sagte nichts und das war auch nicht notwendig. Nachdenklich begutachtete Dulacre ihn, während Lorenor sich ebenfalls auf die Seite rollte, um ihn besser ansehen zu können.

„Vielleicht will er dir sagen, dass es an der Zeit ist, sich deiner Vergangenheit zu stellen. Hast du mit deiner Crew über diese Erinnerungen gesprochen?“

Lorenor schüttelte den Kopf.

„Nein, darum geht es…“

„Lorenor, du kannst nicht einfach ignorieren, was du…“

„Hör mir doch zu.“ Für einen Moment schwiegen sie beide, selbst im sanften Flüsterton der Nacht konnten sie einander ganz herrlich unterbrechen. „Das hier hat nichts mit Ornos zu tun, also müssen wir uns darum auch noch keine Gedanken machen.“

Das sah Dulacre eindeutig nicht so, allerdings war er gewillt, Ornos für einen Moment zu vernachlässigen, denn mit irgendetwas mussten diese Träume ja zu tun haben und wenn er dies näher ergründen wollte, war es am sinnvollsten, Lorenor nicht unnötig zu reizen, insbesondere, wenn er unausgeschlafen war.

„Gut, meinetwegen, aber was ist mit deiner Crew? Was ist mit diesen Erinnerungen? Du kannst sie doch nicht einfach ignorieren.“

„Das mache ich auch nicht“, murmelte Lorenor abwehrend. „Keine Sorge, ich ignoriere sie nicht.“

„Dennoch wäre es vielleicht sinnvoll, zumindest deine Crew einzuweihen“, hakte er zweifelnd nach.

„Nein, wäre es nicht“, widersprach Lorenor mit einer gelassenen Entschiedenheit, die Dulacre nur noch wachsamer werden ließ. „Du machst dir einen viel zu großen Kopf um diesen Kram. Ich weiß schon, was ich tue, und den anderen von diesen Träumen zu erzählen, würde niemandem was bringen.“

„Glaubst du nicht, dass die Vergangenheit euch irgendwann einholen wird?“

Leise stöhnte Lorenor auf, offensichtlich entnervt, dass Dulacre das Thema nicht einfach auf sich beruhen lassen wollte.

„Ganz ehrlich? Nein. Irgendwann – wenn es an der Zeit ist - werden wir uns um Ornos und den ganzen Mist kümmern, wenn es sein muss. Aber ganz bestimmt nicht heute Nacht und auch nicht morgen, also hör auf, dir so viele Gedanken über ungelegte Eier zu machen und lass uns endlich pennen.“

Diese Antwort stellte Dulacre alles andere als zufrieden.

„Lorenor, wie du weißt, mache ich mir um alles, was auch nur von Relevanz sein könnte, Gedanken. Und dass du von den Erinnerungen eines Fremden Nacht für Nacht gequält wirst, besorgt mich durchaus.“ Der andere wollte wohl etwas entgegnen, aber Dulacre sprach weiter: „Außerdem bist du jemand, der Probleme gerne ignoriert, bis du ihnen nicht mehr aus dem Weg gehen kannst. Daher ist meine Sorge vermutlich sogar berechtigt. Du sagst, es bestehe kein Handlungsbedarf und dass es unnötig wäre, deine Crewmitglieder einzuweihen. Aber damals dachtest du auch, du könntest Eizen ignorieren und du hattest lange Zeit beabsichtigt, deine Crew außen vor zulassen, selbst wenn es dein Leben kosten würde. Also bitte verstehe meine Beweggründe.“

Lange sah Lorenor ihn an, schien ernsthaft über seine Worte nachzudenken, dann seufzte er erneut.

„Du bist echt nervig“, grummelte er leise, zeigte jedoch zum ersten Mal sein kleines Grinsen. „Ich bin doch nicht mehr der Vollidiot von damals. Wenn ich ein Problem habe, werde ich es ansprechen, keine Sorge, ich werde mit dir, Ruffy oder den anderen darüber sprechen, versprochen.“

Er klang so ehrlich, meinte er diese Worte wirklich ernst? Würde er wirklich so handeln? Dulacre entschied, seine Zweifel zu Lorenors Gunsten auszulegen und es für diese Nacht gut sein zu lassen, ihm einen Vertrauensvorschuss zu geben.

„Nun gut, meinetwegen, ich gebe mich geschlagen. Wenn du sagst, dass ich mir keine Sorgen machen brauche und du dir Hilfe suchst, sobald du einem Problem gegenüber stehst, dann glaube ich dir. Ich vertraue deinem Urteil, Lorenor.“ Er erlaubte sich durch Lorenors Haar zu fahren und ihm über die Wange zu streichen, was dieser ausnahmsweise geschehen ließ. „Also gut, mein kleiner Wildfang, lass uns etwas schlafen.“ Er zog seine Hand zurück und schloss seine Augen, spürte wie Lorenor sich bewegte und dann war es ruhig, so angenehm ruhig, nur ihrer beider Atem, das angenehme Flüstern der Schwerter und das Gewisper der Wellen.

„Sag mal?“

„Hmm?“

„Was weißt du eigentlich über die Vergangenheit?“

Er öffnete die Augen. Lorenor hatte die Arme wieder hinterm Kopf verschränkt und sah zur Decke hinauf, auf der sich das im Meer spiegelnde Mondlicht brach, offensichtlich noch nicht bereit einzuschlafen, was doch ungewöhnlich für ihn war. Was auch immer er geträumt hatte, in dieser Nacht war er ganz ungewöhnlich kopflastig. Ob es doch ein Zeichen für Sorge war? Augenblicklich bröckelte sein Vertrauensvorschuss.

„Mehr als es mich eigentlich interessiert - denn das vergessene Jahrhundert fand ich von jeher eher langweilig – und dennoch wohl weniger als ich sollte, insbesondere in Anbetracht dessen, wer du bist.“

Nun fiel Lorenors Blick auf ihn, ohne dass der andere seine Haltung veränderte.

„Wer ich bin?“, wiederholte er. „Oder wer wir sind?“

Einen langen Moment dachte Dulacre über diese Worte nach, nicht, weil er sie nicht verstand, sondern weil er wusste, dass es nun von seiner Wortwahl abhängen würde, ob Lorenor ihm zumindest ein kleines bisschen mehr verraten würde.

„Dann bist du also doch mein Schicksal.“

„Ich glaube nicht an das Schicksal.“

„Und dennoch hast du mich in seinen Erinnerungen gesehen“, schlussfolgerte er aus den Worten des anderen.

„Ich habe nur jemanden mit Falkenaugen gesehen, nicht dich. Ich habe gesehen, wie jemand mit Augen wie deinen den Wächter umgebracht hat, auf dessen Wunsch hin.“

„Ist das also, wie unsere gemeinsame Zeit enden wird? Du wirst mich irgendwann darum bitten, dich zu töten?“

Nun rollte Lorenor sein Auge.

„Warum denkst du das?“, murrte er ablehnend. „Warum denkst du, wir müssten wiederholen, was sie getan haben?“

„Warum sonst strebte die Familie Mihawk danach, den perfekten Schwertkämpfer zu erzeugen? Warum sonst hätte mein Vater Nataku auf dich ansetzten sollen? Warum sonst hätte er mich davor warnen sollen, mich mit einem Lorenor einzulassen? Es ist uns vorherbestimmt, eines Tages werden wir…“

„East Blue.“

„Wie bitte?“

Lorenor sah wieder zum Himmel aus Holz hinauf.

„Du hast mich verschont – etwas, was laut allen, die dich irgendwie kennen, echt untypisch für dich war – obwohl ich dich nicht mal drum gebeten habe, ja, für diesen Kampf sogar mein Leben dargeboten hatte. Die Handlungen der Vergangenheit binden nicht unsere Entscheidungen in der Gegenwart, hast du mir das nicht mal gesagt?“

Oh, diesen argumentativen Lorenor war er nicht wirklich gewöhnt, zumindest nicht, wenn er Dulacres eigene Worte gegen ihn einsetzen wollte.

„Das war in einem komplett anderen Zusammenhang, mein lieber Sozius, und ich…“

„Dulacre.“ Der andere drehte sich zu ihm herum. „Töte mich!“

Er vergaß für einen Moment zu atmen.

Es war kein blöder Scherz, kein dreistes Spiel. Lorenor klang kühl und sachlich, es war keine Bitte, es war ein Befehl. Er befahl Dulacre gerade, ihn zu töten.

Hier, in ihrem Bett.

„Wa… Was soll das?!“

„Wenn ich es dir befehle, wenn ich dich drum bitte, wenn ich dich anflehe, wirst du mich dann töten?“ Er klang immer noch so sachlich, so absolut unerschrocken. „Wenn mein Monster mich überwältigen sollte, ich alles gefährden würde, was mir wichtig ist, wirst du mich aufhalten, wissend, dass ich lieber sterben würde, als nur einen von ihnen zu töten? Dulacre, sollte es je so sein, kann ich mich darauf verlassen, dass du mich tötest, wenn es sein muss? Dass du deine eigenen Emotionen hinter meinen zurückstellst? Auch wenn du dich dafür hassen solltest? Dass du mich aufhältst, selbst wenn es dich zerstört? Kannst du mich töten?“

Solche Situationen waren selten, denn Dulacre verschlag es die Sprache, während Lorenor keine Schwierigkeiten zu haben schien, die Worte zu finden.

„Du kannst es nicht“, gab Lorenor ihm die Antwort. „Du konntest es nie. Schon damals im East Blue nicht, aber auch nicht, als du betrunken über mir hocktest und ich es dir anbot. Du konntest es nicht auf Mary Joa, als ich deine Blutgier weckte und du konntest es nicht mal, als wir richtig miteinander gekämpft haben und ich dich an deine Grenzen brachte. Du hast Angst davor, dass die Taten irgendwelcher Toten vor Jahrhunderten deine Entscheidungen in der Gegenwart bestimmen, dabei hattest du so oft die Gelegenheit und hast es nicht ein einziges Mal getan.“

Immer noch fand Dulacre die Worte nicht. Er hatte es noch nie leiden können, wenn jemand ihn analysierte, aber deutlich mehr missfiel ihm, wenn andere meinten, Dinge über ihn erkennen zu müssen, denen er sich selbst nicht bewusst war. Sein Sozius stellte diesbezüglich keine Ausnahme dar.

„Deine Argumentation ist lückenhaft. Dir ist schon bewusst, dass ich dich umgebracht hätte, wenn Jiroushin nicht dagewesen wäre?“

Lorenor zuckte mit den Schultern.

„Vielleicht oder vielleicht auch nicht. Über was wäre, wenn zu philosophieren ist doch unsinnig. Jiroushin hat dich aufgehalten und du hast mich nicht getötet, das sind die Fakten; Fakten, die dein dummes Schicksal widerlegen.“

„Glaubst du wirklich, ich hätte meine eigenen Fähigkeiten so schlecht eingeschätzt, dass ich…?“

„Ich glaube, es ist einfacher für dich, Angst vorm Kontrollverlust zu haben und jemanden ungewollt zu töten, als die Vorstellung, jemanden nicht töten zu können, selbst wenn du es willst, selbst wenn du dafür sogar die Kontrolle aufgeben würdest."

Lorenor grinste nicht, sprach absolut ruhig und ernst, versuchte nicht Dulacre zu triezen oder aufzuziehen. Dennoch merkte Dulacre eine unterschwellige Wut, die er so eigentlich nur sehr selten spürte, wenn er mit Lorenor sprach.

„Du bist ziemlich dreist. Du bist der Mann, der kaum seine eigenen Gedanken und Gefühle in Worte fassen kann, und nun willst du mir…“

„Ich will nicht streiten“, unterbrach er Dulacre direkt, ohne überhaupt hart zu werden. „Aber wenn du mir nicht zustimmst, dann beantworte mir doch einfach meine Frage. Gibt es auch nur eine einzige Situation, so unwahrscheinlich und unrealistisch sie auch sein mag, in der du gewillt wärest, mir den Gnadenstoß zu geben?“

Es war ruhig zwischen ihnen, während er Lorenor ansah, der so ruhig zurück sah. Bilder und Worte der vergangenen Jahre hallte in ihm wider, während er den Mann ansah, der mehr als sein Schüler, mehr als sein Nachfolger, mehr als sein Rivale geworden war. Auch wenn er nie gedacht hatte, solch kitschige Gedanken je denken zu müssen – und gewiss würde er sie nicht aussprechen – so gab Lorenor doch erst seinem Leben Sinn. Es mochte sein, dass Dulacre schon beinahe krankhaft besitzergreifend war und dennoch war er für Lorenor immer wieder bereit gewesen, selbstlos zu werden, uneigennützig, sogar gütig. Für Lorenor hatte Dulacre seine Menschlichkeit wiedergefunden, seinen Egoismus abgelegt.

„Nein“, antwortete er ruhig. „Egal was passiert, und wenn es mich zerreißt, und wenn es dich zerreißt, und wenn es alles zerreißt, das dir lieb und teuer ist. Selbst, wenn es vergebens oder dir gnädiger wäre, selbst, wenn der Tod nur hinausgezögert und es dir nur Minuten voller Qualen bereiten würde, ich werde dich nicht töten, Lorenor; so selbstlos kann ich nicht werden. Ich bin der eine Mensch, für den du überleben würdest, und du bist der eine Mensch, den ich nicht töten würde. Aber nicht, weil ich es nicht könnte, sondern weil ich es nicht will. Ich bin viel zu egoistisch, als dass ich das tun würde.“

Nun glitt ein gefährliches Grinsen über Lorenors Züge.

„Aber dir ist bewusst, dass du dann dein heiliges Schicksal hintergehen musst? Schließlich war es genau das, was in diesen Erinnerungen passiert ist.“

„Dann muss ich wohl mein eigenes Schicksal hintergehen.“ Er zog den anderen zu sich heran, hielt ihn nahe bei sich. „Aber sag mir, Lorenor, würdest du mich töten?“

„Ja“, antwortete er ohne Zögern. „Bevor du etwas wirst, was du nicht sein willst, bevor du etwas tust, was du nie tun wolltest, ich werde dich aufhalten, komme was wolle. Und weil ich dir versprochen habe, zu überleben, dich zu überleben, und weil du mich nicht töten wirst, werde ich dich töten, wenn es sein muss.“

Dulacre konnte ein Lächeln nicht verhindern.

„Das ist wohl die schönste Liebeserklärung, die ich je erhalten habe“, flüsterte er, eine Hand immer noch an Lorenors Wange, der daraufhin aufschnaubte und ihm nun auch wieder ein Grinsen zeigte, überspielte seine Scham, wie so oft, wenn Dulacre ihre Gefühle in Worte fasste

„Du meine Güte, was muss deine Messlatte niedrig sein“, feixte er leise, obwohl er im fahlen Mondlicht errötete.

„Mach dich nur lustig, aber für mich ist die Gewissheit, ein erfülltes Leben zu haben und entweder an Altersschwäche oder deinem Schwert zu sterben tatsächlich sehr befreiend“, gestand er ehrlich ein. „Nach Sharak… ich könnte nicht in einer Welt leben, in der du gestorben bist, mein naiver, kleiner Wildfang. Vielleicht war diese Person aus der Vergangenheit stärker als ich, vielleicht bist du da so viel stärker als ich, aber ich…“

Er unterbrach sich, als Lorenor leicht den Kopf anhob.

„Entschuldige, das war etwas sehr morbid und theatralisch, selbst für meine Verhältnisse, nicht wahr?“

Noch einen Moment sah Lorenor ihn einfach nur an, dann neigte er seinen Kopf zurück, mehr gegen Dulacres Hand, und schloss sein Auge.

„Ich bin stark, Dulacre. Ich bin stark genug, dass du schwach sein kannst.“ Dann sah er Dulacre wieder drohend an. „Aber ich erwarte von dir eine Herausforderung. Mache es mir nicht zu leicht, dich zu überleben, verstanden? Ich will, dass es ist, wie wenn wir kämpfen, bis der Erste fällt, hätte jeder siegen können.“

Nun lachte Dulacre leise auf.

„Wie du weißt, mag ich interessante Wettkämpfe, mein lieber Sozius. Also meinetwegen, lass uns eine Wette abschließen.“ Lorenors Auge wurde groß, aber dann wuchs sein Grinsen in Neugierde. „Was siegt, mein Schicksal oder deine Entscheidung, meine Bestimmung oder dein Glück? Solltest du dich irren, wirst du dein Versprechen brechen und ich werde dir das ewig vorhalten. Solltest du jedoch Recht behalten…“

Was auch immer er sagen wollte, unterbrach Lorenor, indem er ihm nahe kam und, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, seine Stirn gegen Dulacres drückte, eine Geste, die er nicht einordnen konnte, denn zärtlich war sie bestimmt nicht gemeint, vielleicht eher aufmüpfig, kampfeslustig.

„Die Wette gilt“, flüsterte Lorenor mit einem spielerischen Unterton, „aber keine Sorge, ich gewinne immer.“

„Unterschätze mich nicht“, bemerkte Dulacre mit einem gespielten Augenrollen, „wie du weißt, hasse ich es zu verlieren.“

„Aber oh, wie sehr liebst du den Gewinner“, lachte Lorenor auf und ließ sich zurück auf sein Kissen fallen.

„Mach dich nur über mich lustig.“

„Mache ich auch“, aber er klang nicht mehr so schalkhaft, während er fast schon nachdenklich zur Decke starrte, immer noch ein sanftes Lächeln auf den Lippen. „Eine Wette auf Leben und Tod also. Hätte damals nie gedacht, dass eine Beziehung so spannend sein würde.“

„Tze, du bist wirklich ein eigenartiger Mann, Lorenor. Glaub mir, dieses Gespräch ist vermutlich alles andere als die Norm.“

Nun sah Lorenor beinahe überrascht zu ihm hinüber.

„Du vergisst, wer wir sind. Du bist schon ein bisschen wahnsinnig, mein Lieber, und ich war immer schon grausam gegenüber denjenigen, die mir wichtig sind. Ich denke nicht, dass du in den Schnulzen des Smutjes ein solches Gespräch finden würdest.“

„Mhm“, nickte Lorenor zustimmend, als hätte er dies tatsächlich in Betracht gezogen. Dann seufzte er laut auf. „Verdammt, obwohl ich echt müde bin, hab ich gerade richtig Lust zu kämpfen. Was sagst du? Lass uns bei Sonnenaufgang loslegen?“

„Ich begrüße deinen Enthusiasmus, aber das wird schwerlich möglich sein. Wir befinden uns auf offener See und in der Umgebung gibt es keine geeignete Insel.“ Erneut seufzte der andere auf und seine kindische Reaktion nach all diesen weisen und ernsten Themen entlockte Dulacre ein weiteres Schmunzeln. „Aber wir könnten etwas anderes sehr Intimes tun, um deine Gier zu befriedigen.“

Lorenor hob nur unbeeindruckt eine Augenbraue an.

„Keine Lust“, murrte er eiskalt.

„Du bist so grausam.“

„Nein, du bist grausam, ich bin ein bisschen wahnsinnig.“ Nun sah Lorenor aus dem Augenwinkel zu ihm hinüber und sein Lächeln verblasste. Es waren Momente wie dieser, wenn Dulacre überhaupt nicht einschätzen konnte, was der andere dachte, und dennoch spannte sich seine Nackenmuskulatur ganz von alleine an.

„Was ist denn, Lorenor? Du wirkst plötzlich so ernst.“

Einen deutlich zu langen Moment schwieg der Jüngere.

„Du kannst dich also nicht erinnern?“, fragte er dann doch.

„An die Erinnerungen eines anderen?“, hakte Dulacre nach und stützte sich auf seinen Unterarm ab, um sich etwas aufrichten zu können, und sah Lorenor an. „Nein, gewiss nicht.“

„Das ist gut.“

Er beobachtete, wie Lorenor sein Auge schloss, nun deutlich zufriedener als zuvor und diese unbekannte Anspannung schien sich zu lösen, allerdings nicht bei Dulacre.

„Weshalb?“

„Mhmh“, schüttelte er nur den Kopf.

„Lorenor“, murrte er, „du kannst nicht einfach diese Thematik wieder ansprechen und mir dann keine Antwort geben. Einmal mag ich mich geschlagen gegeben haben, aber ein zweites Mal werde ich es nicht auf sich beruhen lassen, und wie du weißt, kann ich sehr hartnäckig sein.“

Offensichtlich über sich selbst genervt, da er das Thema nochmal aufgegriffen hatte, stöhnte Lorenor mit einem leisen Knurren auf. Doch Dulacre hielt ihm im Blick, erlaubte Lorenor nicht, sich ihm erneut zu entziehen, und er konnte sehen, dass Lorenor seine Niederlage eingestand.

„Diese Person in diesen Erinnerungen hat den Wächter getötet“, sprach er in die Stille. „sie wollte es nicht; ich konnte in den Augen sehen, wie sehr sie es nicht tun wollte. Hat gefleht, geweint, aber hat es getan und danach weitergelebt, bis zum eigenen Tod irgendwann weitergelebt.“

Lange war es ruhig zwischen ihnen.

„Ich wünschte, ich könnte dir die Last dieser Erinnerungen nehmen, Lorenor. Manche sind es gewiss nicht wert, beachtet zu werden.“

„Soll ich dir die Wahrheit sagen?“ Lorenor bewegte sich nicht, immer noch lang er dort, die Augen geschlossen, während Dulacre ihn beobachtete. „Diese Erinnerung macht mir nichts, sie nervt – weil ich sie mittlerweile echt auswendig kann – aber ich bekomme keine Albträume von ihr.“

Dulacre entgegnete nichts, hörte einfach nur zu.

„Aber manchmal… da ist es nicht diese Erinnerung. Es… es ist ein Traum, ich höre dich reden, diese Worte. Du stehst vor mir, wie dieser Wanderer damals vorm Wächter, und du siehst mich an, mit diesen Augen. Es ist dieser Blick, fast wie damals auf Mary Joa, nur…“ Er zögerte. „Und ich habe mir geschworen, dass ich diesen Traum nie Realität werden lasse. Ich werde nicht zulassen, dass du mich je so ansehen wirst, auch wenn das bedeutet, dass ich dich mit bloßen Händen erwürgen muss.“

Langsam ließ Dulacre sich zurück auf sein Kissen sinken und betrachtete die dunkle Holzdecke über ihnen. Er erinnerte sich an jenen Moment, als er zu Lorenor hinab gesehen hatte, seine Gier so viel stärker als seine Vernunft. Er erinnerte sich an diesen Schmerz, als seine Gier keinen anderen Weg gesehen hatte, als Lorenor zu töten, bevor Jiroushin ihn aufgehalten hatte.

„Du hast diese Träume nicht, weil es Nacht ist“, schlussfolgerte er, „sondern, weil du nur, wenn ich da bin, nachts schläfst. Du hast diese Träume, wenn ich dir nahe bin.“

„Kann sein“, stimmte Lorenor ihm zu, ohne Vorwurf, ohne Scham.

„Dann sollte ich besser heute als morgen abreisen“, stellte er nüchtern fest. „Vielleicht ist es ja ganz gut, dass ich so oder so heute Mittag abreisen wollte. Dann wirst du endlich wieder besser schlafen können.“

Für eine Weile war es still zwischen ihnen, als Dulacre bewusst wurde, dass Lorenor wieder einmal eine Last mit sich herumgetragen hatte, die sie hätten vermeiden können, wenn er es nur früher gesagt hätte. Gleichzeitig schmerzte es. Das Wissen, dass seine Anwesenheit seinem Wildfang solche Träume bescherte, schmerzte ihn. Das Wissen, dass die simple Lösung bedeutete, dass er den anderen noch seltener sehen würde, schmerzte ihn.

„Bleib noch eine weitere Nacht.“ Diese Worte waren sanft, klar, ohne jegliche Bedenken.

„Aber Lorenor…“ Er sah zum anderen hinüber, der erneut laut gähnte, völlig entspannt.

„Ich bin mir sicher, dass ich morgen Abend gut schlafen kann, also begleite uns noch etwas.“

Zweifelnd sah Dulacre ihn an. „Bist du dir sicher?“

„Nein“, entgegnete Lorenor mit einem saloppen Schulterzucken. „Aber so oder so will ich, dass du noch eine Nacht bleibst. Du könntest mir morgen Abend nochmal zeigen, wie du Josei pflegst; hab das Gefühl, dass da etwas immer noch nicht ganz passt.“

Dann stützte er sich unter einem schwerfälligen Grunzen auf seinen Unterarm und ließ sich einfach auf Dulacres Brust plumpsen, in einem ungelenken Versuch der Zuneigung, den Dulacre über die Zeit liebgewonnen hatte.

Einen Moment sah er Lorenor noch mit einem leisen Seufzen an, fragte sich, wie dieser einen weiteren Tag mit einer Aufgabe von wenigen Minuten rechtfertigen konnte, gedankenverloren glitten seine Finger beinahe automatisch durch Lorenors Haar, dies der einzige Ort und die einzige Zeit, wenn er es ihm erlaubte, und schloss dann schließlich mit einem sanften Lächeln die Augen.

„Na gut, mein verwöhnter Wildfang. Ich werde noch eine weitere Nacht bleiben.“

 



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück