Chinga
„Ich bin verliebt in dich“, sagte Yuriy.
Sie saßen an Kais Küchentisch, als er das sagte, und Kai trank gerade seine zweite Tasse Kaffee an diesem Morgen. Er war müde, er trug ein nicht mehr besonders taufrisches Shirt, er fragte sich, wieso er nie Nein sagen konnte zu Yuriy, wenn es wirklich darauf ankam.
Er ließ die Tasse sinken. „Hast du getrunken?“
Yuriy hob eine Augenbraue, wirkte aber relativ ungerührt von seiner Reaktion. „Nein.“
„Dann bist du einfach nur bekloppt“, sagte Kai. Sein Herz machte verrückte Dinge, die er gerne auf das Koffein schieben wollte, aber das Koffein war er eigentlich gewohnt. Was er nicht gewohnt war: Dass Yuriy Dinge aus- und ansprach, über die sie seit Jahren schwiegen, auch wenn es immer ein bisschen zwischen ihnen gehangen hatte. „Du bist mit Boris zusammen.“
Yuriy nickte und trank seinen Schwarztee, der so stark war, dass er tote Tanten wieder hätte aufwecken können.
„Du bist glücklich mit Boris.“
„Das steht außer Frage.“
Kai schürzte die Lippen und sah ihn mit Worten schweigend, aber durch seine Augen sprechend an. Yuriy erwiderte seinen Blick lange und wortlos, dann trank er noch einen Schluck.
„Ich wollte es dir sagen“, sagte er schließlich, „weil ich ehrlich mit dir sein will. Nein, ich muss ehrlich mit dir sein, weil ich es satt habe, so zu tun, als wär nichts. Dabei war da immer schon was. Und ich weiß, dass du es auch spürst.“
„Du bist ein Spinner“, sagte Kai kopfschüttelnd und hielt die Kaffeetasse dabei vollkommen darauf vergessend zwischen seinen Händen. „Gott, Yura, warum sagst du mir das?“
„Das habe ich doch gerade gesagt. Was ist dein Problem?“
Kai starrte ihn an. „Was mein Problem ist? Was zum Fick, Yura - du hast von uns beiden hier den festen Freund, statt nur ab und zu mal ein-“ Das Russische verließ ihn einen Moment lang, er haderte mit dem richtigen Ausdruck, dann stieß er hervor: „-ein Fickschnitzel auf der Seite!“ Er schob die Tasse von sich. „Das ist so typisch von dir.“
„Typisch?“, wiederholte Yuriy. Etwas zuckte in seinem Gesicht. Kai konnte nicht sagen, ob es Verwirrung, Ärger oder ein Lächeln war.
Es war ihm auch egal, denn je länger er über die Situation nachdachte, in die Yuriy ihn gebracht hatte, desto mehr stieg ihm die Galle hoch. „Du arroganter, selbstverliebter Bastard. Du willst nicht lügen und tust mir deswegen an, dass ich auch nicht mehr lügen kann. Ehrlichkeit schneidet manchmal tief, Yura, die kann einen bis auf die Knochen schneiden. Ich habe nicht um deine verfickte Ehrlichkeit gebeten, ich habe nicht meinen Konsens dazu gegeben. Man merkt, dass du mit Kuznetsov herumhängst, der erkennt barmherzige Lügen auch nicht mal dann, wenn sie ihm in den stählernen Arsch beißen-“
„Kai“, sagte Yuriy, schob die Tasse beiseite und griff nach seiner Hand, um sie einfach nur zu halten. Yuriys Finger bebten, kaum merklich, aber doch. Kai blickte darauf, aus seiner Tirade gerissen, dann in Yuriys Gesicht, in dem seine Augen sehr hell waren. Es gehörte zur Wahrheit auch sehr viel Mut.
Kai spürte, wie der Kampf ihn verließ. Er biss sich auf die Lippen, dann atmete er tief durch und schloss die Augen. Einen Moment lang war nichts zu hören außer dem stetigen Ticken seiner Küchenuhr. Er wünschte sich eine dritte Tasse Kaffee, er wünschte sich ein sauberes Shirt, er wünschte sich die Kraft, Yuriy mit einem Arschtritt zur Tür hinauszubefördern, wenn es darauf ankam.
„Sag‘ mir, dass ich falsch liege und du nicht so für mich empfindest“, sagte Yuriy leise, „dann ist das Thema abgehakt und wir müssen nicht mehr davon sprechen.“
„Fick dich“, sagte Kai mit viel Gefühl und ohne die Augen zu öffnen, „das kann ich nicht.“
„Wieso nicht?“
„Weil es nicht stimmen würde. Und jetzt können wir auch nicht mehr so tun, als ob.“
„Oh“, sagte Yuriy. Erneut zuckte etwas in seinem Gesicht, diesmal gestattete er sich jedoch, es zu einem Lächeln werden zu lassen. „Na, dann ist doch alles gut.“
„Bist du irgendwo dagegen gerannt?“, fragte Kai ungläubig, „sind dir damals in diesem Koma ein paar Hirnzellen zu viel abgestorben? Was ist gut daran, dass ich genauso dämlich bin wie du? Du hast einen Freund und ich bin vielleicht ein Arschloch, aber kein Beziehungsbrecher!“
Yuriy schüttelte den Kopf. „Ich will meine Beziehung auch nicht brechen. Boris weiß, dass ich Gefühle für dich habe. Ich habe mit ihm darüber gesprochen.“
„Was zum Fick?“, rief Kai aus. „Was ist los mit dir? Du gehst zu deinem Lebensgefährten und sagst ihm, dass du in einen anderen verknallt bist? Kuznetsov ist ein Bastard, aber das ist schon ein ziemlicher Wichs-Move, Yura, meine Fresse. Ich brauche eine Zigarette.“
„Du rauchst doch gar nicht mehr!“
„Du bringst mich dazu, wieder anzufangen!“, fauchte Kai. „Was soll die Scheiße? Was stellst du dir eigentlich vor? Ich werd‘ sicher nicht die andere Frau sein, schon gar nicht neben Kuznetsov! Und wenn du dir vorgestellt hast, den Arsch zu verlassen und hierher zu ziehen, dann hast du dich auch geschnitten, ich bin nicht mal permanent in der Stadt und will es auch nicht so-“
„Kai.“ Yuriy hob Kais Hand, presste die Lippen gegen seine Fingerknöchel und schmiegte seine Wange in Kais Handfläche. Kais Mund war trocken. Die Worte verließen ihn, er atmete tief durch, wünschte Yuriy gleichermaßen zum Teufel wie auf seinen Schoß.
„Ich will dich“, sagte Yuriy leise und sah ihn an, Wange immer noch gegen seine Handfläche geschmiegt, „aber ich will auch Boris. Ich weiß, dass ich viel verlange. Aber ich glaube, dass ich es wert bin.“
„Einbildung ist auch eine Bildung“, murmelte Kai und gab einen tiefen Seufzer von sich. Dann streichelte er mit den Fingerspitzen zärtlich Yuriys scharfen Wangenknochen, bis der wohlig die Augenlider senkte. „Du bist ein gieriger Bastard, Yura. Du willst immer alles und du willst es ganz, ohne Rücksicht auf Verluste.“
„Als wärst du so anders, milij“, sagte Yuriy leise mit funkelnden Augen.
Kai war einen Moment lang ruhig. „Was sagt Kuznetsov dazu?“
„Hat ein paar Waschbecken zertrümmert und mich angeschrien, dann haben wir darüber gesprochen.“
„Und was ist dabei rausgekommen?“
Yuriy summte ein wenig. „Er ist nicht begeistert.“
„Ach was, wo er doch mein größter Fan ist“, sagte Kai sarkastisch.
„Sei still“, erwiderte Yuriy amüsiert, „du wirst dich vielleicht wundern, aber er ist gewillt, sich auf ein Experiment einzulassen.“
„Oh Gott“, sagte Kai augenblicklich alarmiert, „was hast du vor?“
Yuriy schenkte ihm ein wölfisches Grinsen. „Pass auf. Wenn alle an Bord sind, es zumindest mal zu probieren und zu sehen, was wir alle brauchen, wollen und überhaupt nicht wollen, dann wäre es gut, wenn wir dafür ein bisschen rauskommen. Die perfekte Gelegenheit dafür bietet ein Meteor, der unlängst über Sibirien abgestürzt ist.“ Yuriy ließ den Satz einen Moment einwirken, dann fügte er übertrieben dramatisch hinzu: „Wir machen einen Roadtrip.“
„Nur wenn Kuznetsov nicht fährt“, sagte Kai prompt.
„Wenn das das einzige Problem ist“, sagte Yuriy großzügig, „das lässt sich einrichten.“