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Tokyo Bay

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Kapitel 21
 

Nach dem Sportunterricht wartete Michiru bereits vor der Schwimmhalle auf ihre Freundin. Ein ungutes Gefühl überkam sie, als vier Gestalten mit dunklen Pullovern und Kapuzen über die Köpfe gezogen auf der anderen Seite des Parkplatzes auftauchten und sich auf der dortigen Bank niederließen. Kreischende Musik, die von einem ihrer Handys auszugehen schien, wehte zu ihr herüber. Die Figuren kamen ihr bekannt vor, doch sie traute sich nicht, genauer hinzusehen. Jedes Mal, wenn sie es doch wagte, ihren Blick zu der kleinen Gruppe wandern zu lassen, hatte sie das Gefühl, sie hätte die Gestalten bei irgendetwas gestört. Nachdem sie mehrmals vor ihrer Bank auf- und abgegangen war, wurde ihr die Sache zu unheimlich. Sie begann, in ihrer Tasche zu kramen, fluchte etwas von wegen Schusseligkeit, nahm ihre Sachen und sprintete zurück in die Schwimmhalle. Von hieraus konnte sie nicht gesehen werden und auch ihre eigene Aussicht reichte nur aus, um die Einfahrt des Parkplatzes zu beobachten.

„Bis morgen, Kaioh-san.“ Michiru zuckte zusammen. „Was? Ähm, ja. Bis morgen, Sensei.“ Frau Ogata stutzte kurz, schüttelte dann jedoch den Kopf und bald darauf konnte Michiru beobachten, wie sie vom Parkplatz fuhr.

Nach einigen Minuten erschien endlich der dunkelblaue Ferrari in der Einfahrt. Michiru atmete erleichtert aus. Kurz darauf sprang sie ihrer Geliebten in die Arme, die sie überrascht auffing. „Was ist-“ „Ach nichts.“, unterbrach die Schwimmerin sie. „Lass uns einfach losfahren, okay?“ Haruka stutzte, verstaute jedoch gleich alle Taschen im Kofferraum. Leise fiel die Klappe ins Schloss und die Fahrerin widmete sich wieder Michiru. „Hast du schon eine Idee, was wir noch machen wollen?“ Mit einem Griff in ihre Taille zog sie die Violinistin an sich und in einen Kuss.

„Mir wird gleich übel.“ „Ich fang schon an zu- URG!“ Haruka schnellte herum. „Wir haben euch in der Schule vermisst, Kawashima.“, rief sie ihrem Kontrahenten in Schwarz zu. „Hatte wohl ´ne Magenverstimmung.“, entgegnete dieser. „Ihr alle?“ Haruka schob Michiru hinter sich. Die Geigerin griff nach ihrer Hand und zog sie zu sich herunter. „Haruka, lass uns gehen. Wir sind nicht auf dem Schulhof. Wenn er aus tickt, wird sich niemand einmischen können!“ „Sie hat recht, Tenoh-san. Wir sind nicht auf dem Schulhof.“ Hiro trat langsam dichter an das Paar heran. „Was, wenn ich aus ticke…?“ Haruka kroch ein starker Gestank nach Alkohol unter die Nase. „Ich wusste nicht, dass du schon volljährig bist.“ Hiro starrte sie mit glasigen Augen an. „Bin ich auch nicht. Nicht ganz. Aber Takato-kun.“ Mit einem schiefen Grinsen legte er einem der Jungs seinen Arm über die Schultern. „Aber is auch egal.“ Er setzte einen neutralen Gesichtsausdruck auf und wollte auf Michiru zugehen, doch Haruka versperrte ihm den Weg.

„Tenoh-san, erklär mir das. Woher kommt dein Selbstvertrauen? Ich kenne deine Vergangenheit. Wer schon so oft verprügelt und mehrmals fast krankenhausreif geschlagen wurde, muss doch irgendwann mal die Schnauze vollhaben. Aber du bist immer noch auf Stress aus.“ Haruka schluckte. „Auch in Nagoya habe ich mich nur selten geprügelt. Und normalerweise waren es die anderen, die davonkrochen. Du weißt, wie ich austeilen kann.“ „Ja ja,“, stimmte der Jugendliche zu, „das ist das, was durch die Presse ging. Ich meine das, was hinter den Türen des Hause Touma geschah. Dort gab es doch jemanden, der dir das Grinsen aus dem Gesicht wischen konnte, oder nicht?“ Harukas Muskeln begannen zu zucken. Doch diesmal wandte sie sich an Michiru. „Steig ein. Wir fahren. Ich prügle mich nicht mit Betrunkenen, die wissen nie, wann Schluss mit Lustig ist.“ Die Geigerin nickte erleichtert und ging auf die Beifahrertür zu. Haruka sah ihr kurz nach, bis sie sich selbst in Bewegung setzte.

Doch plötzlich wurde sie gegen ihren eigenen Wagen gestoßen. „Für dich bin ich bei Weitem noch nüchtern genug, Tenoh!“, höhnte Hiro plötzlich lautstark. „Vergiss es, Kawashima. Ich werde mich nicht mit dir schlagen.“ Harukas ruhige Stimme schien ihn anzustacheln. „Hast recht Tenoh. Du wirst zu keinem Schlag kommen.“ Blitzartig griff er nach Harukas Kragen und versuchte, sie von ihrem Auto weg zu schleudern. Doch die Blondine schwankte nur kurz und fing sich mit Leichtigkeit wieder ab.

„Was hast du für ein Problem, Kawashima?!“ Michiru stand mittlerweile vor Hiro und starrte ihn fassungslos an. „Halt´s Maul, Kaioh.“, bellte er zurück. Abfällig ließ er seinen Blick an ihrem Körper auf- und abwandern.

Ruckartig wurde er plötzlich selbst gestoßen, konnte sich allerdings nicht mehr abfangen, und ging zu Boden. „Lass deine Finger von ihr! Und wag es nicht, so mit ihr zu sprechen!“ Haruka hatte sich abermals schützend vor Michiru gestellt. Hiro fletschte die Zähne und stand schnell wieder auf den Beinen, um erneut auf die Athletin zu zustürmen. Die Kontrahenten packten sich gegenseitig am Kragen. Ohne Frage war ihm Haruka überlegen. Wieder schaffte sie es, den Schwarzhaarigen von sich zu schleudern. Diesmal in die Arme einer seiner Begleiter. Wie ein Bumerang kehrte Hiro sofort zu ihr zurück und versuchte, ihr einen Kinnhaken zu verpassen, doch sie fing ihn ab und drehte seinen Arm auf seinen Rücken. „Ich sagte doch, Betrunkene wissen nicht, was sie tun.“Gezielt stieß sie ihn nochmals zu Boden, weg von seinem Anhang.

„Geh nachhause und komm morgen wieder. Wenn du nüchtern bist.“ Ein plötzlicher Ruck ließ Haruka einen Schritt vorwärts machen. Einer von Hiros Jungs, Ryo, hatte nicht länger gewartet und sich von hinten auf sie gestürzt. Mit aller Kraft versuchte sie, den Schmächtigsten der Gruppe abzuschütteln, der sie im Doppelnelson fixierte. „Wie feige seid ihr eigentlich?! Lass mich los!“, brüllte sie. Doch chancenlos wurde sie in Hiros Richtung gedreht, der sich wieder aufgerafft hatte.

Diesmal stellte sich Michiru schützend vor Haruka. „Krieg dich wieder ein, Kawashima! Du hast noch nie eine Frau geschlagen! Was ist mit dir los?!“, schrie sie verzweifelt. Hiro funkelte sie angriffslustig an. Bevor sie ausweichen konnte, hatte er nach ihrem Hals gegriffen. „Du kennst mich, Michi. Hab mich lange zusammengerissen. Aber wenn dann auch noch die große Kohle lockt, kann ich nicht mehr widerstehen.“ Der Gestank aus seinem Mund trieb Michiru fast die Tränen in die Augen. „Komm zu mir zurück. Dann teilen wir.“, flüsterte er nur noch Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt.

Jetzt reichte es Haruka endgültig. Mit ihrem Hacken trat sie auf Ryos Fuß, der daraufhin reflexartig von ihr abließ. Dann drehte sie sich um, schlug ihm mit Links in den Magen, mit Rechts gegen die Schläfe und machte ihn mit einem weiteren Schlag gegen sein Ohr kampfunfähig.

Endlich konnte sie auf Hiro zustürmen. Der stieß Michiru zur Seite und wollte der Rennfahrerin entgegen kommen, doch Michiru sprang ihn von hinten an, legte ihre Hände um seinen Hals und zog ihn am Kinn nach hinten. Hiros übriger Anhang, Yuji und Kosaru, sahen nicht länger still zu. In dem Moment, als Haruka ausgeholt und Hiros Rippen anvisiert hatte, stürzte sich Yuji auf Michiru und riss sie in den Staub. Haruka stockte kurz. Schnell führte sie ihren Schlag aus und wollte Michiru zu Hilfe kommen, doch Kosaru war schneller. Er war der größte und ohne Frage der stärkste in Hiros Gruppe. Um die Läuferin an sich zu ziehen und in den Schwitzkasten zu nehmen, musste er sich nicht großartig anstrengen. „Lass mich los, du Ratte!“, fluchte Haruka und wehrte sich mit allen Gliedern.

„HARUKA!“ Michiru hatte keine Chance. Mit Leichtigkeit hatte sich Yuji auf sie gesetzt und drückte ihre Hände in den rauen Schotter des Parkplatzes. „Na, na!“, zischte er beinahe genüsslich. „Hör auf zu strampeln, sonst tust du dir noch weh.“ Harukas Augen weiteten sich. Wild schlug sie um sich. Plötzlich spürte sie einen durch Hass getriebenen Hieb in ihren Bauch. Sie keuchte. Kosaru ließ von seinem Opfer ab, das japsend auf die Knie fiel. Wieder ein Schlag. Diesmal gegen ihre Schläfe.

Im Nebel erkannte Haruka Hiros hämisches Grinsen und seine schwarzen Augen. „Wieso plötzlich so kleinlaut, Tenoh?“ „HARUKA!“ Sie schüttelte den Kopf. Irgendwie musste sie wieder klarwerden. Sie schwankte, kippte fast von allein um. Aber letzten Endes half Hiro nach. Ein Tritt in ihre Seite ließ sie aufheulen und zusammen brechen. Übelkeit überkam sie, aber der neue Schmerz überdeckte den in ihrem Kopf. Sie kam wieder auf alle Viere und versuchte sich ein Bild über die Lage zu verschaffen.

Kosaru stand einige Schritte neben ihr. Direkt vor ihr lag Michiru. Yuji hatte sich dicht über sie gebeugt und seine Lippen bewegten sich. Was er sprach, konnte Haruka nicht verstehen, dafür drehte sich alles zu schnell. Auf der anderen Seite neben ihr hockte nun Hiro. Auch er schien zu sprechen, doch sie verstand kein Wort.

Ihr Blick wanderte zurück zu Michiru. Plötzlich stand ihr Körper auf Angriff. Blitzartig schnellte sie vorwärts, zu schnell für Hiro und Kosaru, stürzte sich auf Yuji und riss ihn von Michiru weg. Der Raserei verfallen schlug sie auf sein Gesicht ein, bis plötzlich ihre Hände festgehalten wurden. Kosaru zog sie in die Höhe, doch sie schaffte es noch, Yuji einen Tritt zwischen die Beine zu verpassen. Ein Aufschrei. Dann krümmte er sich vor Schmerz zusammen. Haruka grinste fast belustigt, doch gleich darauf stand Hiro wieder vor ihr und drückte sie gegen Kosaru. „Lustig, was?“ knurrte er, bevor er ihr einen erneuten Schlag versetzte, der diesmal ihre Rippen traf. Haruka stöhnte. Wieder stand Michiru hinter Hiro und zog ihn von ihrer Freundin. „Lauf endlich weg!“, rief die Rennsportlerin ihr nach. Mit aller Wucht schlug sie ihren Hinterkopf in Kosarus Gesicht. Der ließ sofort von ihr ab und griff sich jaulend an seine blutende Nase. Haruka setzte nach, schlug ihm mehrmals ins Gesicht, bis der Hüne taumelte und schließlich wimmernd zusammen sackte.

Jetzt stürzte sie sich wieder auf Hiro. Ihr Widersacher hatte sich mit Leichtigkeit aus Michirus Griff befreit. Nun hatte er sie bei den Haaren gepackt und zwang sie in die Knie. „Warum musst du dich immer ein-“, weiter kam er nicht. Haruka hatte ihn im Nacken gegriffen, und schleuderte ihn, als er Michiru wieder freigegeben hatte, gegen die Begrenzungsmauer des Parkplatzes. Nur noch von Instinkten getrieben, fixierte sie ihn mit der linken Hand an seinem Hals und versetzte ihm einen rechten Haken nach dem anderen.

Hiro war kaum noch bei Bewusstsein, als die Sportlerin plötzlich von ihm weggestoßen wurde. „Weicheier! Allesamt! Zu nichts zu gebrauchen, diese eingebildeten Flachzangen!“ Die bekannte Stimme drang noch an sein Ohr, bevor er ohnmächtig wurde.

Haruka fand sich auf dem Boden liegend, gut zwei Meter neben Hiro, wieder. Entsetzt sah sie auf. Ihr Onkel stand vor ihr und spuckte dem jungen Erwachsenen ins Gesicht. „Man sollte sich nie auf andere verlassen, was Haruka?“ Mit wenigen Schritten war er über ihr. Seine mitgenommene Nichte konnte er ohne Anstrengung fixieren, indem er seine Knie in ihre Arme drückte. Viel zu zärtlich strich er über ihr Gesicht. „Ich hab dich unterschätzt. Oder die Jungs überschätzt.“ Mit beiden Händen übereinander, stützte er sich auf Harukas Hals ab. Das Bild vor den Augen der Pianistin verschwamm. „Ich sagte dir, du würdest es bereuen.“, hörte sie stumm, als plötzlich der Druck auf ihren Körper nachließ. Für einen Moment glaubte sie, Hikaru hätte schon genug. Doch dann traf sie ein starker Schlag am Kopf und die Welt um sie herum wurde schwarz.
 

Von den nächsten Minuten bekam Haruka nicht viel mit. Ihr Name wurde gerufen. Viele Male. Geschrien… Andere Rufe. Verschiedene Sirenen. Aufblitzende Lichter. Eine Frau weinte. >Michiru?< Kurz flackerte etwas Türkisfarbenes vor ihren Augen auf. Oder war es nur das Blaulicht? Wieder wurde alles schwarz.

Harukas Lider zitterten vor Anstrengung, als sie gehoben wurden. Helles Licht blendete die Rennfahrerin. Ein fader Geschmack lag auf ihrer Zunge. Einen Moment sah sie an die weiße Decke ihres Krankenhauszimmers. Langsam drehte sie den Kopf zur Seite. Offenbar lag sie in einem Einzelzimmer. Ihr Blick wanderte wieder zur Zimmerdecke. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Haruka sah wieder nach rechts. „Haruka!“ Minako stand kreidebleich vor ihr. Viel zu hastig fiel sie ihrer kleinen Schwester um den Hals, die daraufhin aufstöhnte. „Oh, verdammt! Entschuldige.“ Mit mitleidigem Blick legte sie ihre Hände um Harukas Wangen und sah ihr in die Augen. Sie schien nach den passenden Worten zu suchen, entschied sich jedoch für einen Kuss auf ihre Stirn.

Das Geschwisterpaar sah sich einige Zeit lang schweigend an. Dann begann Minako: „Wieso hast du nichts gesagt?“ Haruka wandte den Blick ab. „Warum bist du nicht zu mir gekommen? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich nie mit ihm allein gelassen! Ich hätte dich von ihm weggeholt!“ Ihre Stimme schwankte. „Du solltest es gar nicht erfahren.“, entgegnete Haruka leise. „Wieso nicht? Hat das dein übergroßes Ego nicht zugelassen? Hattest du geglaubt, du wirst schon irgendwann allein mit ihm fertig?“ Endlich sah ihr Haruka wieder in die Augen. „Ich wollte dich nicht mit reinziehen. Selbst wenn er die Finger von dir gelassen hätte, wäre ich nur eine Last für dich gewesen. Du bist doch selbst kaum älter als ich!“ „Immer noch alt genug, um auf meine kleine Schwester aufzupassen! Haruka, wie kannst du nur glauben, du könntest mir eine Last sein?! Ich habe Mama damals versprochen, auf dich aufzupassen. Und wegen deines sturen Schädels konnte ich das nicht!“ Wieder umarmte sie ihre Schwester, diesmal jedoch vorsichtiger.

Erneut ging die Tür auf. Michiru hatte vom vielen Weinen noch immer ein gerötetes Gesicht. Sie stellte die zwei Becher Tee auf dem Tisch vor dem Fenster ab und setzte sich auf die noch freie Seite von Harukas Bett. Zärtlich strich sie über Harukas Handrücken. „Es ist vorbei, Mina.“, flüsterte Haruka, damit sich die Journalistin wieder von ihr löste. „Und wie es das ist.“, fügte Michiru hinzu. „Die Polizei hat ihn verhaftet. Haben ihn gleich mitgenommen. Ich habe ihnen alles erzählt. Und Takato, Tosei und Han haben gesungen, wie die Spatzen. Dass er sie vor der Schule abgefangen hat. Er hat gefragt, ob sie dich kennen würden und Kawashima hat sich gleich mit ihm angelegt, weil er dachte, ihr würdet einander nahestehen. Touma hat jedem von ihnen Geld geboten. Kawashima hat sofort eingewilligt und die anderen davon überzeugt, mitzumachen. Der liegt übrigens am anderen Ende des Korridors.“ Bei Michirus letzten Worten, begann Haruka zu grinsen. „Findest du das witzig? Haruka, ich habe dich kaum wiedererkannt! Hätte es nicht gereicht, ihm eine blutige Nase zu verpassen?“ Haruka rollte die Augen. „Ach komm! Der verdient nichts anderes! Hätte ich ihm vorher schon mal richtig eine verpasst, wäre es gar nicht so weit gekommen.“ „Und du wärst von der Schule geflogen. Was immer noch passieren kann…“ „Das wird nicht passieren, Michiru. Das war nur Notwehr. Das weißt du.“ Sanft strich Haruka ihrem Engel über die Wange.

„Okay…“ Minako hatte ihren Tee fast ausgetrunken und stand auf. „Wenn ihr nichts dagegen habt, werde ich mal nach einem Arzt suchen.“ Haruka nickte und die ältere Blondine ließ das Paar allein. Haruka rutschte weiter auf die freigewordene Seite des Bettes. Augenblicklich folgte ihr Michiru, um sich neben sie zu legen und an sie zu kuscheln. Bei ihrer ersten Berührung mit Harukas Rippen, zuckte die Athletin. „Tut mir leid, Haruka!“, entschuldigte sich Michiru und wollte von ihr wegrobben. Doch Haruka hielt sie fest und zog sie wieder zurück. Ganz langsam legte die Streicherin ihren Kopf auf ihrer Brust ab. Ihre Tränen hatte sie längst aufgebraucht, also schmiegte sie sich, statt zu weinen, stumm in die Krankendecke.

Als die Tür abermals aufging, sah sie verschlafen auf. Ein Mann in weißem Kittel betrat mit Minako den Raum. „Wie ich bereits Ihrer Schwester berichtete, haben sie weder innere Verletzungen noch Knochenbrüche davongetragen. Lediglich geprellte Rippen und ein paar Blutergüsse. Zudem die Platzwunde an ihrer Schläfe,“, jetzt erst bemerkte Haruka den Verband um ihren Kopf, „, die wir aber mit zwei Stichen nähen konnten. Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt, dass Sie schon wieder wach sind.“ Der Arzt stellte sich neben das Bett, leuchtete ihr mit einer Lampe in die Augen und schien weitere kleine Experimente mit Haruka zu machen, der dabei sichtlich unbehaglich wurde. „Alle Achtung! Es gehört schon ein ordentlicher Dickschädel dazu, so einen Kopftritt halbwegs heil zu überstehen.“ Er schmunzelte, doch Haruka sah ihn schockiert an. „Vielleicht hat er auch nicht mit voller Kraft zugetreten.“, wehrte er ihren Blick ab und richtete sich wieder auf. „Wir werden Sie über Nacht hierbehalten. Nur zur Beobachtung. Morgen dürfen Sie gehen. In den nächsten Wochen kein Sport. Und stellen Sie sich bei Ihrem Hausarzt vor!“ So eilig er mit seiner Rede begonnen hatte, verschwand der Arzt wieder aus dem Zimmer. >Mein Hausarzt? Den sollte ich mir dann mal suchen…<, dachte Haruka. Minako griff nach der eben abgelegten Akte und studierte sie. „Hier steht ein Schmerzmittel drauf. Mehr nicht. Bin beeindruckt. Und das, obwohl du gleich von fünf Männern zusammengeschlagen wurdest.“, murmelte sie vor sich hin. „Von denen zählen höchstens drei! Den ersten hatte ich ganz schnell ausgeknockt und der zweite hatte gar keine Zeit, sich zu wehren.“, prahlte Haruka.

Am späten Abend ließ sich Michiru von Minako nachhause bringen. Sie wurde schon ungeduldig erwartet. Lautlos betrat sie das Wohnzimmer und lehnte sich gegen den Türrahmen. Sofort, als ihr Vater sie entdeckt hatte, sprang er auf. „So langsam reicht es mir mit diesem Rennprofi! Hast du mal auf die Uhr gesehen?! Ich glaube-…“ Jetzt wanderte sein Blick an Michirus dreckiger Schuluniform nach unten und zurück in ihr Gesicht. „Mein Gott, Michiru!?“ Setsuna lief an ihrem Ehemann vorbei und griff besorgt nach Michirus Händen. „Was ist passiert?“, fragte sie knapp. Streng sorgte sie dafür, dass Toshio seine Tochter aussprechen ließ.

„Ich wusste, dass dieser Kawashima nicht ganz dicht ist!“, herrschte er zum Schluss. „Hoffentlich stecken die den gleich mit in den Knast! Vergreift sich an Frauen… Sowas feiges! Und dieser Typ, der sich Onkel schimpft, erst! Wie kann man seinem eigen Fleisch und Blut nur so etwas antun?!“ Setsuna schmunzelte ein wenig über seinen Ausruf und lief dann in die Küche, um Michiru ihr Abendbrot zu holen.
 

So früh wie möglich verließ Haruka das Krankenhaus. Minako hatte darauf bestanden, sie abzuholen. Ihr erstes Ziel war die Schwimmhalle. Immerhin stand Harukas Ferrari seit gestern einsam und verlassen dort ungeschützt herum. Neugierig sahen sich die Blondinen um. Im Schotter waren die Spuren der Schlägerei deutlich zu erkennen. Und auch die Stelle, an der Kosaru mit seiner blutenden Nase gelegen hatte, war noch rot gefärbt.

Als sie genug gesehen hatte, wandte sich Haruka an Minako. Die gab ihr gleich die Visitenkarte ihres Hausarztes, den Haruka aufsuchen wollte, sobald sie sich geduscht und umgezogen hatte.

Vor der Gemeinschaftspraxis seufzte die Läuferin. Voller konnten drei Warteräume gar nicht sein. An der Rezeption stellte sie sich vor und reichte Dokumente aus dem Krankenhaus weiter. „Verzeihen Sie, Tenoh-sama, aber Kido-sensei ist bereits ausgebucht… Wenn Sie nichts dagegen haben, könnten wir Sie bei seiner Kollegin eintragen. Ihr Terminplan ist auch nicht so voll…“ Haruka nickte stumm. Wen sie alle drei Jahre aufsuchen würde, wenn sie dann mal krank werden würde, war ihr vollkommen egal.

Schon nach zwanzig Minuten Wartezeit wurde sie aufgerufen. Das Sprechzimmer ihrer Ärztin lag ganz am Ende des langen Korridors. Eine Schwester begrüßte sie und verließ mit der Bitte, sich noch einen Moment zu gedulden, den Raum. Gleich darauf, öffnete sich eine Tür hinter Haruka. Sie wartete. Nichts war zu hören. Also drehte sie sich um. Haruka schluckte. Vor ihr stand eine wirklich bemerkenswert gutaussehende Ärztin. Sie spielte nachdenklich mit einer langen, dunkelgrünen Haarsträhne und studierte die Krankenhausakte. Plötzlich sah sie auf. Haruka zuckte unweigerlich zusammen. Die granatroten Augen strahlten eine überwältigende Ruhe und Fürsorge aus.

„Freut mich, dass Sie zu mir gefunden haben, Tenoh-san. Mein Name ist Meioh Setsuna.“ Abwesend nahm Haruka den Handschlag an.

„Ist sie wenigstens hübsch?“ Haruka blinzelte. „Was?“ „Erzählen Sie mir nicht, dass es dabei nicht um ein Mädchen ging.“ Setsuna setzte sich ihrer Patientin gegenüber. Haruka legte sich ein leichter Rotschimmer auf die Wangen. „Verdammt hübsch. Der schönste Engel, den man sich nur vorstellen kann…“ Ihr Blick folgte der Hand der Ärztin, die begann, den Kopfverband zu lösen. Als die genähte Platzwunde zum Vorschein kam, zog Setsuna die Augenbrauen zusammen. „Na hoffentlich weiß sie Ihr Opfer zu schätzen. Darf ich fragen, wer Sie so zugerichtet hat?“ „Ein paar Schläger aus unserer Klasse.“ Etwas an der Ärztin schenkte Haruka Sicherheit. „Und mein Onkel.“

Setsuna hörte sich aufmerksam Harukas Geschichte an. Immer, wenn es sich ergab, fragte sie ihre Patientin nach Michiru aus. Ihre Stieftochter hatte so von der Sportlerin geschwärmt, dass sie jetzt unmittelbar aus ihrem Mund hören wollte, wie viel sie ihr bedeutete.
 

In Gedanken vertieft trottete Michiru über den Schulhof. Ohne Haruka machte der Klassenbesten der Unterricht einfach keinen Spaß. Irgendwie hatte sie auch die letzte Stunde ausgehalten. Aber nun stand ihr ein unendlich langes Wochenende bevor, bis sie ihre Haruka am Montag wiedersehen würde.

Plötzlich schrak sie auf. Beinahe wäre sie gegen einen größeren Schüler gelaufen. Ohne aufzusehen entschuldigte sie sich und trottete weiter. Doch der Schüler hielt sie dreist fest. Michiru drehte sich um und wurde augenblicklich in einen Kuss gezogen. Sie musste nicht erst ihre Augen öffnen, um zu wissen, wer sie in die Arme zog. Sofort legte sie ihre Hände in Harukas Nacken und wollte an ihr herauf springen, aber die Blondine stöhnte schmerzerfüllt auf. Reflexartig machte Michiru einen Satz rückwärts. „Gott, entschuldige. Ich hatte nicht mit dir gerechnet…“ Die Pianistin hielt sich die Rippen, begann jedoch zu grinsen. „Hast du nicht? Bespringst du neben mir noch andere gutaussehende Schüler?“ „Du weißt, was ich meine.“ Michiru machte einen Schritt nach vorn und richtete Harukas schwarzes Hemd, das sie halboffen über einem roten Shirt trug. „Du siehst gut aus, in Alltagsklamotten.“, stellte sie fest.

„Und du siehst in allen Klamotten gut aus, mein Engel.“ Michiru schmunzelte. „Da will ich dir mal ein Kompliment machen und bekomme gleich einen Konter.“ „Damit musstest du rechnen.“ Haruka gab ihr einen kurzen Handkuss. „Was machen wir dieses Wochenende?“ Michiru sah ihr verführerisch in die sanften Augen. „Ich würde sagen, du legst dich auf dein Sofa und erholst dich.“ Die Leichtathletin rümpfte die Nase. „Ist das dein Ernst? Meine Ärztin hat gesagt, ich solle mich ruhig ein bisschen bewegen. Und ich hatte gehofft,“, jetzt zog sie die Violinistin wieder eng an sich, „du könntest“, sie gab ihr einen liebevollen Kuss, „mich dabei unterstützen.“ und begann den Hals der Künstlerin zu liebkosen. Michiru gab der Versuchung nur einen Augenblick nach und reckte sich den warmen Lippen entgegen, doch dann kam sie wieder zur Vernunft und drückte die Blondine sanft von sich. „Ich glaube nicht, dass deine Ärztin diese Form der Bewegung gemeint hat. Aber wenn du möchtest, zeige ich dir morgen weiter Tokio. Beim letzten Mal sind wir ja nicht sehr weit gekommen…“ Haruka verdrehte die Augen. „Ach, und Shoppen wäre nicht zu anstrengend?“ „Ich will doch nicht shoppen.“ Zärtlich strich Michiru über Harukas Hemd. „Ich zeig dir den Shinjuku-Gyoen-Park.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Darkdragon83
2016-01-04T22:26:23+00:00 04.01.2016 23:26
Zuuuuuu weeeenig, viel zu kurz ;)

Antwort von:  Ruka_S_Orion
05.01.2016 08:01
:D Schrittchen für Schrittchen ;P
Von:  xXxMephistoxXx
2016-01-04T12:20:40+00:00 04.01.2016 13:20
Spitzen Kapi Weiter so
Lg Mephi
Von:  fahnm
2016-01-03T23:54:03+00:00 04.01.2016 00:54
Tolles Kapitel
Von:  Sei512
2016-01-03T20:29:33+00:00 03.01.2016 21:29
Endlich ein neues Kapitel :)
Ich hätte den Krankenhaus Aufenthalt und den Hausarzt Termin etwas ausgebaut , ... Aber ansonsten Top. Ich freue mich auf nächste Kapitel :)
Antwort von:  Ruka_S_Orion
04.01.2016 21:15
Ich will nicht spoylern... Also sage ich nur, bleib dran };P
LG Orion
Von: Tidus17
2016-01-03T12:19:19+00:00 03.01.2016 13:19
Ein sehr aufschlussreiches Kapitel :) Die Schlägerei war etwas verwirrend doch man konnte es sich nach mehrmaligen lesen doch ganz gut vorstellen. Der Schluss war gut, endlich ist der Onkel erstmal weg, fragt sich wie lange.....und ich bin gespannt was die zwei so alles am Wochenende machen.


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