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Kinder der Freiheit

von

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(Nicht) mein Tag


 

Heute war ihr Tag.
 

Heute würde sich all das Leid und die Tränen bezahlt machen. Es war Zeit für einen Neuanfang. Nun hielt sie sowieso nichts mehr hier. Schon viel zu lange saß sie in diesem dunklen und dreckigen Loch fest. Ein Zuhause war es nie für sie gewesen, würde es auch niemals sein, und doch war es ihr Geburtsort. Der Platz, an dem sie schon viele Jahre lebte, an dem sie zum Leben dazu gelernt und ihre Träume gebildet hatte. Jetzt war es soweit diesen Abschnitt ihres Lebens hinter sich zu lassen und einen Schritt nach vorne zu gehen. Einen sehr großen Schritt.
 

Summend säuberte sie das große Schneidemesser, ehe sie es in den dafür vorhergesehenen Platz im Messerblock steckte.

Die Nacht nahte, also musste sie sich beeilen, bevor die Büttel auf den Straßen patrouillierten.
 

Sie blickte zu der Öllampe, die gefährlich nahe an der Tischkante stand. Für einen kurzen Moment überlegte sie, wägte Pro und Kontra ab, bevor sie der Schale einen Schubs gab. "Hoppla."

Scheppernd landete diese auf dem Holzfußboden, wo sie zerbarst. Das Öl breitete sich zu einer großen Lache aus und vermischte sich dort mit einer anderen, gerinnenden Flüssigkeit.

Die nächste Lampe, die sie zu Boden befördern wollte, sorgte für warmes Licht in der Küchenecke. Mit den langen schmalen Fingern umschloss sie die Schale, hob sie an und betrachtete die kleine Flamme. Erneut überdachte sie ihr Handeln, kam allerdings zu dem Schluss, dass ein Feuer ein gutes Ablenkungsmanöver sei und ihre Chance womöglich steigern könnte. Langsam öffnete sie ihre Hände und ließ sie zu Boden fallen.
 

Die anfangs kleine Feuerzunge breitete sich über das Öl aus und wuchs stetig an, bis der Boden vor ihr in Flammen stand. Für einen Moment beobachtete sie mit ungerührter Miene, wie das Feuer sich in die Kleidung des Mannes auf dem Boden fraßen. Der Mann zuckte nicht mal mit der Wimper, als die Hitze seine Haut verbrannte.
 

Sie wandte sich von dem Anblick ab, ging einige Schritte in den spärlich eingerichteten Wohnbereich, wo sie einen grauen Kapuzenumhang vom Kleiderständer nahm. Danach schnappte sie sich die kleine Umhängetasche, welche sie sich sogleich umhängte.
 

Bevor sie das Haus endgültig verließ, warf sie sich den Umhang über und zog die Kapuze tief ins Gesicht. Eine Strähne ihres roten Haares baumelte vor ihren Augen. Mit geschickten Handbewegungen steckte sie sie zurück, wo sie hingehörte. Das Letzte was sie wollte war aufzufallen und das tat sie mit ihren Haaren.
 

Ein letztes Mal schaute sie zurück. Mittlerweile nagte das Feuer an den Tischbeinen und den Stühlen. Der Mann war nun vollends mit Flammen bedeckt.

Sie kontrollierte abermals, ob die Kapuze ihr Antlitz verdeckte, ehe sie hinaus auf die wenig belebte Straße trat.
 


 


 

Heute war definitiv nicht sein Tag.
 

Abgesehen von dem Auftrag, der absolut in die Hose gegangen war und der Verletzung, die er sich dabei zugezogen hatte, meinte auch noch eine kleine simple Tasse ihn verarschen zu müssen.

Er hatte sich von seinem hart erspartem Geld ein elegantes Teeservice gegönnt. Schon beim ersten Gebrauch war der Henkel abgebrochen und die Tasse landete samt Inhalt auf seinem Schoss. Er spürte wieder diese unsagbare Wut in sich aufkeimen, jedoch holte ihn der Schmerz in seinem Bein auf den Erdboden zurück. Es kostete ihn alle Willenskraft, um normal zu gehen und nicht zu hinken.
 

"Du schmollst doch nicht etwa immer noch?", fragte sein wahrscheinlich einziger Freund belustigt.

Er knurrte, um die Aussage seines Freundes zu widerlegen, doch dieser verstand es völlig falsch und grinste wissend vor sich hin. Auch durch einen giftigen Seitenblick seinerseits verschwand das dämliche Grinsen nicht von den Lippen seines Begleiters.
 

"Denk doch was du willst", sagte er noch, ehe ein heftiger Zusammenstoß ihn von den Beinen riss.

Erneut stieg Wut in ihm auf. Welcher Wurm wagte es ihn nieder zu rennen?
 

Als er aufblickte sah er vor sich eine Kapuzengestalt, die er Aufprall anscheinend auch auf den Hintern befördert hatte, sitzen. Ihre stahlgrauen Augen hatten sich vor Schreck geweitet und ihr Mund stand offen.

"Verdammt, pass doch auf wo du hinrennst", keifte er die junge Frau an, was sie aus ihrer Schreckstarre zu holen schien.
 

Sie zupfte die Kapuze zurecht und senkte den Kopf, sodass ihr Antlitz nicht weiter erkennbar war. "Entschuldige", sagte sie mit leiser, dennoch klarer Stimme, während sie sich erhob und davoneilte.
 

"Alles in Ordnung, Levi?", wollte sein Freund wissen.

"Ja", bestätigte er, während er beobachtete, wie sie mit der Menschenmasse verschmolz und schließlich nicht mehr zu sehen war.
 


 


 

Was für ein Tag.
 

Heute wurde er zum Hauptmann ernannt und der Kommandant hatte ihm prognostiziert, dass er sehr gute Aussichten darauf hätte, seinen Posten in ferner Zukunft zu übernehmen. Eigentlich eine gute Nachricht, doch hielt sich seine Freude in Grenzen.

Die Frau, die er liebte und mit der er alt werden wollte, hatte ihn heute verlassen.
 

Er wusste nicht welche der zwei Tatsachen nun der eigentliche Grund war, weshalb er doch zugestimmt hatte, mit Kollegen eine Schenke zu besuchen. Wahrscheinlich war es die Lust auf ein kühles Bier. Er war schließlich auch nur ein Mann.
 

Allerdings war es nicht bei nur einem Bier geblieben.

Die Stimmung wurde zunehmend heiterer, die Gespräche niveauloser und das Bier wärmer. Der Zeitpunkt sich auszuklinken.
 

Nun stakste er durch den strömenden Regen. Erst als er den Eingang zum Untergrund nicht weit von sich erkannte, wurde ihm bewusst, dass er nicht auf direktem Weg nach Hause war, sondern ziellos umherstreifte.

Es graute ihm davor zurück in sein Haus zu gehen. Als er es das letzte Mal am frühen Nachmittag betreten hatte, war es verlassen gewesen.

Seine Freundin, die sonst in dem Schaukelstuhl saß und häkelte oder vor einem der großen Fenstern las, war verschwunden. Einzig und allein der Brief mit der bitteren Botschaft hatte auf ihn gewartet.
 

Er wollte umdrehen und die gegebenen Umstände nicht weiter ignorieren, da sah er eine Gestalt, die die Treppen vom Untergrund empor stieg. Er erkannte eine junge Frau, die hastig eine Stufe nach der anderen nahm. An der letzten blieb sie mit der Schuhspitze hängen, was sie der Länge nach hart auf den gepflasterten Boden aufschlagen ließ.
 

Für einen Moment, in dem er sich umblickte und feststellte, dass er bei dem Sauwetter der Einzige auf der Straße war, blieb sie regungslos liegen. Ihre roten Haare tränkten sich mit dem Regenwasser, wodurch die sich verdunkelten, sodass es auf dem steingrauen Boden beinahe aussah, als würde Blut ihn bedecken.

Vorsichtig näherte er sich ihr, unsicher, was er nun tun sollte. Vielleicht war es besser einfach weiter zu gehen?
 

In diesem Augenblick rührte sich die Person zu seinen Füßen. Mühsam richtete sie sich auf, bis sie im Vierfüßlerstand schwankend hustete und spuckte. Langsam setzte sie sich auf ihre Unterbeine und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Urplötzlich hielt sie in der Bewegung inne, da sie ihn nun bemerkte. Erschrocken starrte sie auf seine Schuhe, ehe sie den Blick hob und ihn direkt ansah.
 

Sofort entdeckte er die aufgeplatzte Lippe und die Schrammen an ihrer linken Wange. Ihre mitternachtsblaue Tunika war zerfetzt, so dass ihre knochige Schulter unbedeckt war. Der Stoff, der ihr Dekolleté verhüllen sollte, war bis zur Mitte ihres Bauches aufgerissen. Mit den Händen versuchte sie das Gewand an Ort und Stelle zu halten, damit sie ihre Blöße nicht zur Schau stellte. Peinlich berührt über ihr Auftreten senkte sie den Kopf.
 

Stimmen ertönten von der Treppe, bis zwei Männer zu erkennen waren. Sie blickten zu der Frau, dann zu ihm. Als sie anhand seiner Uniform feststellten, dass er zu einer militärischen Einheit gehörte, grummelten sie unverständliche Worte, ehe sie sich zurückzogen.
 

Er blickte zu ihr. Sie saß zitternd da und hatte sich nicht mal nach den Kerlen umgedreht.

Seufzend entledigte er sich seiner Jacke, die er ihr über die Schultern legte. Überrascht schaute sie wieder zu ihm auf.

„Kannst du aufstehen?“, fragte er, wobei er ihr eine Hand entgegen hielt.
 

Sie nickte und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen.
 


 

• Shiganshina, 836
 



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