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Under your wings

von

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Kapitel 2

Sein Handy klingelte um drei am Samstag. Das Gerät unter all den Unterlagen hervorkramend, die auf seinem Schreibtisch verbreitet lagen, da er versuchte sich vorzubereiten, nahm er den Anruf von Mikasa entgegen.

„Hm?“ Eren klemmte sich den Bleistift hinter das rechte Ohr und stützte sein Kinn auf die Handfläche, als er hinaussah. Es regnete in Strömen und sicherlich wollte eine Schwester, dass er sie abholte…

Kannst du mich abholen?“

Er hatte es gewusst.

„Ja. Sofort?“

„Bin noch in der Umkleide. Gleich also.“

„Fahre jetzt“, gab er zurück und beendete das Telefonat. Die Brille und den Stift zurück auf den Schreibtisch legend knipste er die Lampe auf dem Tisch aus und verließ das Zimmer. Er eilte in die Garage, öffnete das Tor per Kopfdruck und ließ sich auf den Fahrersitz fallen. Er brauchte nicht lange bis in die Stadt. Der Verkehr hielt sich bei einem solchen Wetter stets in Grenzen, denn die, die nicht raus mussten, blieben zu Hause. Die Scheibenwischer kamen gegen den vielen Regen gar nicht an und Eren war froh, den Wagen am Straßenrand abstellen zu können. Ein Blick kurzer Blick auf die Uhr am Armaturenbrett verriet ihm, dass es kurz nach sechs war. Die Beifahrertür wurde nur wenig später aufgezogen und Mikasa ließ sich ins Auto fallen, legte den Regenschirm im Fußraum ab und schenkte ihm einen kurzen Blick.

„Yo, Eren.“ Levi lehnte sich in den Wagen, sah über Mikasa hinweg zu ihm. Die Haare trieften bereits vor Nässe und auch die andere Kleidung die er trug, schien durchnässt zu sein.

„Er fragte, ob wir ihn mitnehmen können.“

„Und?“ Eren war nicht so unbedingt erpicht darauf, einen Dämon durch die Stadt zu fahren.

„Ich meinte, es läge an dir… Du fährst und das Wetter ist echt…“, erklärte Mikasa.

„Für’n Arsch, ich weiß. Aber bis hier ein Taxi hinkommt.“

„Hast du keinen eigenen Wagen?“ Eren blickte in Levis stahlgraue Augen.

„Hätte ich. Wäre der Scheißkarren nicht am laufen Band im Arsch.“

„Herzallerliebst. Steig ein.“ Er war ja nun auch kein Unmensch. Vor allem wunderte es ihn, dass Mikasa überhaupt auch nur in Erwägung gezogen hatte, Levi eine Mitfahrgelegenheit zu ermöglichen. Die hintere Tür auf Mikasas Seite wurde geöffnet und Levi ließ sich auf den Rücksitz fallen. „Lederausstattung. Reichen Daddy, was?“

„Gleich kannst du doch laufen“, murrte Eren nach hinten. Ihm gefiel der Tonfall des anderen nicht. Er setzte jedoch den Blinker. „Wo wohnst du?“

„Maria Avenue, Ecke Sina-Street. Neben dem Wing-Sec-Hauptgebäude“, kam die knappe Antwort auf seine Frage.

„Workaholic, hm?“ Eren warf einen Blick durch den Rückspiegel und erkannte Levis unbewegten Gesichtsausdruck. Irgendwas an diesem Mann war definitiv unheimlich. Und eine Antwort blieb aus. Sie brachten den Rest des Weges schweigend hinter sich. Mikasa schien allein aus dem Grund zu schweigen, weil sie einen Gast im Wagen hatten. Eren hielt am Seitenrand und ließ Levi aussteigen. Auf ein Danke wartete er jedoch vergeblich. Es schien nicht in Levis Natur zu liegen, freundlich zu sein… Zumindest wuchs dieser Eindruck jedes Mal mehr, wenn er Levi sah. Der Morgen im Hörsaal war auch nicht von freundschaftlicher Wärme gefüllt gewesen. Eher war Levi ein wandelnder Eisklotz, hinter dessen Fassade man kaum oder gar nicht blicken konnte.

„Warum hast du es ihm angeboten?“ Allein an Mikasas Körpersprache konnte er ablesen, wie ungern sie ihn im Auto gehabt hatte. Zwar waren ihm die Umstände noch immer nicht klar, unter welchen dieses verzerrte Verhältnis der beiden zustande gekommen war, doch wollte er wenigstens diese Frage von ihr beantwortet haben. Sie ging ihm die ganze Zeit schon aus dem Weg. Immer wenn er wissen wollte, wie ihr Tag war, wich sie aus. Wenn er wissen wollen, wie es ihr denn ging, blockte sie ihn ab. Und wenn er sich einfach nur abends zu ihr setzte, ohne auch nur die Intention einer weiteren Runde zu haben, stand sie auf und ging. Es war, als habe sie Geheimnisse vor ihm. Aber wehe er sagte ihr nicht alles oder wollte nicht über seinen Tag reden. Da brach für Mikasa dann beinahe eine Welt zusammen. Sie war einfach so ‚overprotective’, wenn es um ihn ging. Dabei war er erwachsen und konnte inzwischen sehr gut auf sich selbst aufpassen. Da brauchte er ihre schützende Hand nicht immer über ihm. Abgesehen davon wusste sie auch nicht alle von ihm. Vieles hatte er ihr verschwiegen. Gerade im Bezug auf Jean. Sie hatte ihn immer als nervig und schrecklich abgestempelt und es nicht gerade gern gesehen, dass Eren mit ihm zusammen war. Und wenn er ihr mehr gesagt hätte, als das, was sie nun einmal jetzt weiß, würde Jeans bereits unter der Erde weilen.

Das war das Problem wenn man eine Adoptivschwester hatte, die sich mehr als eine Mutter als eine Schwester aufführte. Er wusste ihre Aufmerksamkeit zu schätzen, natürlich. Aber auf der anderen Seite war er manchmal einfach nur angenervt von ihrer Behandlung. Er war verdammt noch mal kein Kind mehr. Und deswegen sollte sie auch langsam ehrlich zu ihr sein.

„Er hat mich gefragt.“

„Und du hast gesagt, ich solle entscheiden?“

„Du bist der Fahrer und es regnet wie aus Eimern.“

„Und genau deswegen hätte ich auch nie gesagt, er solle laufen“, meinte er mit einem Seufzen. Eren hatte die Angewohnheit, zu hilfsbereit zu sein. Selbst bei Menschen, die er eigentlich nicht mochte, konnte er ein Auge zudrücken und einen Gefallen erledigen. Selbst wenn er wusste, er hätte von der anderen Person niemals etwas im Gegenzug zu erwarten, würde er nicht einfach Nein sagen, wenn es um etwas gehen würde, bei dem er helfen könnte. Es war einfach ein Teil seiner Persönlichkeit.

„Was ist zwischen euch? Warum diese Ablehnung?“

„Frag ihn.“

„Was ist los? Weich mir nicht immer aus!“ Er fuhr auf einen verlassenen Parkplatz und stellte den Motor des Wagens ab. Das Gute an dem Umweg zum Wing-Sec-Gebäude war der Fakt, dass sie noch eine Strecke zu fahren hatten. Und im Auto konnte Mikasa nicht aufstehen und gehen. Sie konnte ihm keine Tür vor der Nase zu schlagen.

Eren betätigte die Zentralverrieglung des Autos, verhinderte so, dass Mikasa vielleicht doch in den strömenden Regen fliehen würde.

„Eren. Fahr weiter.“

„Nein. Ich will wissen, was mit dir los ist!“

Ihr Blick war eiskalt, als sie ihn ansah. Was er ihr getan hatte, wusste er zwar nicht, doch erwiderte er diesbezüglich nicht mit Worten. Er war nicht bereit, ihren Launen immer nachzugeben. Sie hatten nur einander und da war es unmöglich, eine derart dunkle Stimmung von ihr immer zu ertragen.

Doch dann sah sie zur Seite. „Er ist besser als ich.“

„Ach?“, hakte er beinahe lachend nach. „Das ist alles?“

„Du verstehst das nicht, Eren!“, zischte sie nun. „Es ist so viel mehr als nur das. Wenn du dich immer zur Höchstleistung antreibst und doch immer wieder runtergemacht wirst…“

„Deswegen bist du sooft im Dojo.“

„Ja. Ich will nicht immer einen drauf bekommen, weil ich eventuell einen Fehler machen…“

„Mikasa.“

„Nein! Ich bin es leid, immer unterschätzt und stets berichtigt zu werden. Es kommt nicht einmal ein Lob.“

„Du brauchst Bestätigung? Seit wann denn das?“, wollte Eren wissen und lehnte sich im Sitz zurück, während sein Blick auf ihr ruhte. „Vielleicht will er nur, dass du die Beste aus dem Dojo wirst?“

„Keine Ahnung“, gab Mikasa dann kühl von sich und rieb sich über die Arme.

„Er ist ein Ex-Militär, daher wird der Hang zur Perfektion kommen. Abgesehen davon … was weißt du schon groß über ihn? Außer eben das?“

„Nichts… Aber er kotzt mich allein mit seiner Anwesenheit inzwischen an.“

„Dann verlass das Dojo.“

„Kommt gar nicht Frage!“ Scheinbar war ihr Kampfgeist mehr erwacht, als jemals zuvor. Scheinbar wollte sie Levi beweisen, was alles in ihr steckte. „Aufgeben ist keine Option. Und es war noch nie eine Option für dich gewesen“, erklärte Mikasa sich und Eren nickte leicht. Das lag dann wohl in der ‚Familie’. Es gab kein Aufgeben, denn wer aufgab gestand sich ein, seine eigenen Grenzen nicht überschreiten zu können. Und dazu waren sie beide in der Lage. Sie waren beide in der Lage, über sich hinauszuwachsen und er glaubte daran, dass irgendwann ein Lob fallen würde. Sie war einfach großartig in dem, was sie tat.
 

Genetik …

Eren zog die Augenbrauen leicht zusammen, als er die Seite des Buchs noch einmal las. Er hatte Hausaufgaben zu erledigen, aber im Moment schienen all die Buchstaben, Zahlen und Abbildungen dieser Seiten keinen Sinn zu ergeben. Er hatte zwar schon sein eigenes Zimmer verlassen, hatte versucht einen klaren Kopf zu bekommen und saß nun erneut hier auf dieser Besucherbank im Dojo. Die Atmosphäre war zwar angespannt, aber nicht so stark, wie das letzte Mal, als er hier zum Ende des Trainings gesessen hatte. Heute war es irgendwie … angenehm hier zu sitzen. Zwar war es vielleicht nicht der perfekte Ort für Biologiehausaufgaben, aber es war besser als zu Hause zu sitzen und Löcher in die Fenster zu starren.

„Eren.“ Levis kalte Stimme schnitt durch den ruhig gewordenen Raum und er sah über den Buchrand hinweg. Es hatte sich ein Kreis in der Mitte der Halle gebildet. „Hm?“

„Komm her.“

„Was?“

„Komm her“, forderte Levi ihn erneut, jedoch strenger als das erste Mal, auf. Eren legte daraufhin zwar das Buch beiseite und nahm die Brille von der Nase, jedoch erhob er sich noch nicht. Vor allem weil er Mikasas skeptischen Blick bemerkte.

„Warum?“

„Ich brauche jemanden der größer ist, als der Durchschnitt hier.“ Eren ließ seinen Blick über die Anwesenden gleiten. Sie alle hatten etwa Mikasas Größe, also durchschnittlich eins siebzig. „Und jemanden von deiner Statur.“

Was war denn nun mit seiner Statur? Er war ja nicht einmal im Training! Dennoch stand er lieber auf, als er sah, dass Levi die Augenbrauen hob und die Arme vor der Brust verschränkte. Wenn jetzt noch ein ungeduldiges Tippen mit dem Fuß folgen würde, würde Eren zu laufen beginnen. Er wagte es jedoch auch nicht, Levi noch länger warten zu lassen. Also zog er noch schnell die Sweatjacke aus und trat auf den Kreis zu. Ihm wurde etwas Platz gemacht und er blieb vor Levi stehen. „Und jetzt?“

„Standardausweichschritt.“

Eren antwortete nicht. Ausweichschritt? Er wusste was das war, nur konnte er nicht abschätzen, was auf ihn zukommen würde, würde er jetzt tun, was von ihm verlangt werden würde. Mikasas Blick bohrte sich derweil in seinen Rücken und er hoffte, sie würde Levi nicht töten, nach was auch immer gleich passieren würde.

„Bist du taub, wandelndes Vakuum? Sieh zu!“ Er schluckte trocken und kam der Aufforderung nach. Levi tat daraufhin einen Schritt zur Seite, trat ihm leicht in die Kniekehle des vorn stehenden Beines.

„Das ist die Ausgangsstellung eines jeden, wenn er nicht der Verteidigende ist“, erhob Levi das Wort erneut und umrundete Eren dabei einmal. Seine Tonlage veränderte sich bei der Erklärung jedoch nicht ein bisschen. Nüchtern und emotionslos führte Levi seine Erklärung weiter aus. „Es ist wichtig, dass ihr einen festen Stand habt.“ Eren bekam daraufhin einen Stoß gegen die Schulter und kam etwas ins Wanken. Ein leichter Tritt gegen seinen Unterschenkel des hinteren Beins folgte und er setzte den Fuß etwas weiter nach außen. Erneut ein Stoß gegen die Schulter und er stand fester.

„Achtet drauf, sonst funktioniert es nicht. Später im Ring habt ihr dazu nicht die Zeit. Aber zu Übungszwecken ist es unumgänglich, dass ihr drauf achtet.“ Gar gelangweilt klang Levi in seinen Ohren und sah auch genauso aus. Eren sah ihm dabei zu, wie die Hose etwas höher gezogen und die Beinsäume noch einmal umgeschlagen wurden. Levi ging einige Schritte zurück, nahm für irgendwas Anlauf. Und dann ging alles ganz schnell. Eren spürte gerade noch, dass Levi einen Fuß auf seinen Oberschenkel setzte, da lag er schon auf dem Boden. „Fuck!“, zischte er leise, als er den Schmerz in seiner Schulter bemerkte und aus dem Augenwinkel sah, dass sein Angreifer sich wieder auf die Beine brachte. „Was war das?“ Noch immer auf dem Boden liegend hoffte er, dass man ihm wenigstens die Hand anbieten würde. Gott! Das würde er morgen noch spüren!

„Ihr seid alle zueinander gleich groß und bekommt es nicht geschissen? Er ist ein beschissener Riese im Gegensatz zu mir.“ Levi deutete mit dem Finger auf ihn, während Eren noch immer auf dem Boden lag und zu verstehen versuche, wie Levi ihn so schnell von den Beinen hat holen können. „Steh auf.“

Mit einem leisen Knurren richtete sich Eren wieder auf. Er war verdammt noch mal kein Mitglied dieses Vereins! Warum sollte er leiden, während die anderen einfach nur zusahen? „Ausgangsstellung.“

„Noch mal?“, fragte er verzweifelt nach.

„Ausgangsstellung.“ Levis kühler Blick allein ließ ihn tun, was man von ihm wollte.

„Ihr nehmt den Schwung mit, der euch zur Verfügung steht. Ackermann.“

„Levi?“

„Komm her.“ Sein Ton war befehlend und Eren sah über die Schulter hinweg zu seiner Schwester, die sich aus dem Kreis löste. Zwar tat sie das überaus widerwillig, aber sie tat es. „Er ist dein Bruder. Wenn du Kontaktprobleme bei anderen hast, dann vielleicht nicht bei ihm.“

„Ich will ihn aber nicht verletzen.“

„Der Kleine ist robuster als du vielleicht meinst“, kam es jedoch trocken von dem Trainer zurück und er bekam einen entschuldigenden Blick von Mikasa. Er wusste, dass sie ihm nicht wehtun würde und abgesehen davon wusste er auch, dass es nicht in Frage für sie kam, abzulehnen. Also trat auch sie ein oder zwei Schritte zurück und tat exakt dasselbe, was Levi zuvor getan hatte. Er spürte, wie sich ihr Fuß auf seinem Bein absetzte und ebenso spürte er, dass sich ihr Bein über seine Schulter bewegte. Aber mehr konnte er nicht erfassen, da er bereits erneut auf dem Boden lag und ein leises Keuchen nicht vermeiden konnte. Ohne eine eventuell gelernte Technik zum Abfangen eines Falls tat der Stürzt verdammt weh. „Geht doch.“

Das kam wohl einem Lob am nächsten. Mikasa hielt ihm im nächsten Moment die Hand hin und half ihm auf.

„Ich bin aber jetzt nicht hier der Punshingball für all deine Mitglieder!“, meinte Eren und richtete sich das T-Shirt.

„Das hat keiner gesagt, Kleiner.“
 

„Er ist wahnsinnig schnell.“ Mikasa stand hinter ihm im Bad und besah sich die Schulter, auf die er gefallen war.

„Und zu grob. Du hast einen blauen Fleck“, kam es nur von ihr und ihre kühlen Finger trugen eine schwellungslinderde Salbe auf die Stelle auf.

„Ich versterbe nicht an einem blauen Fleck.“

„Es war dennoch unnötig. Jeder andere hätte es auch getan. Warum du?“

„Ich bin größer und ich wiege mehr, als du oder die anderen.“

„Lernt man so etwas bei der Armee?“

„Warum?“

„Ich denke nur öfters darüber nach.“ Ihr Blick begegnete dem seinen durch den Spiegel hinweg. „Und bin dankbar dafür, dass sie dich ausgemustert haben…“

„Mikasa.“

„Ich will nur nicht, dass dir etwas passiert, Eren.“

„Mir kann sogar auf der Uni etwas passieren.“

„Sag so etwas nicht.“

Er antwortete daraufhin nicht. Eine Diskussion darüber loszubrechen war bestimmt das Letzte, was er nun wollte.

„Hanji ist eine absolut tolle Dozentin“, meinte er stattdessen und wechselte das Thema. „Ich mag ihren Unterricht total gern.“

„Die mit der Brille, deren Bild du mir gezeigt hast?“

„Ja. Sie ist total nah an den Studenten, nicht so abgehoben wie all die anderen Dozenten und sie bringt einem den Stoff einfach total gut bei.“ In ihren Vorlesungen saß er am liebsten. Selbst in ihren Übungen schlief er nicht ein. Während der Informatikvorlesungen tat er das regelmäßig. Der Stoff dieses Fachs war einfach für ihn. Technik war etwas, mit dem er umgehen konnte. Wahrscheinlich war das genauso sein Gebiet, wie der Kampfsport es für Mikasa war.

„Und Informatik?“

„Läuft“, sagte er daraufhin nur und zuckte leicht die Schultern, ehe er das Shirt wieder überzog. „Ist einfacher als ich dachte“, gab Eren dann zu und fuhr sich durchs Haar. „Du weißt wie mir das von der Hand geht.“

„Besser als Bio?“

„Viel besser. Aber Bio ist interessant.“

„Wegen Hanji?“

„Auch. Ich finde die Themen interessant. Abgesehen davon ist es eine Herausforderung.“

„Hmm…“ Mikasa begann in einer der Kisten zu kramen und zog ein Haargummi hervor, band sich das Haar zusammen und setzte sich dann auf den Wannenrand. „Du solltest auch in den Verein kommen.“

Überrascht von der Aussage, wandte er sich zu ihr um und lehnte sich an das Waschbecken. „Warum?“, wollte er wissen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe keine Ahnung davon. Ich kann gut fallen, aber das scheint das einzige zu sein, was ich beherrsche“, lachte er und versuchte die Spannung im Raum zu lösen. Sie hatten ihre merkwürdigsten Gespräche immer auf dem großen Bad des Hauses. Andere Familien klärten Probleme am Küchentisch oder auf der Couch. Aber er und Mikasa – sie klärten Wichtiges auf dem Bad. Wie es dazu kam, wusste er nicht. Aber sie taten es einfach.

„Einfach nur … weil …“

„Warum?“

„Du hast im Moment so etwas wie eine soziale Durststrecke, Eren. Du hängst nur in deinem Zimmer rum oder in Gesellschaft mit zueinander anonymen Studenten, die sich zwar sehen und einen Hörsaal teilen aber nicht miteinander sprechen. Mit wem isst du in den Mittagspausen zu Mittag?“

„Mit …“

„Mit?“, hakte sie nach und schenkte ihm ihren besten, mit Sorgen getränkten Blick.

„Allein.“

„Warum? Du hast doch sonst keine Probleme, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Erinnere dich nur an Connie und Sascha, die in der Neunten zu uns kamen. Oder Christa. Du kamst sogar mit ihrer Freundin Ymir auf einen grünen Zweig, während andere einen Bogen um sie gemacht haben. Oder Annie und ihre beiden Kumpel. Eren… Was ist los?“

„Das war die Oberschule, Mikasa. Diese Leute in den Studiengängen sind Einzelgänger… Es ist nun einmal so. Sie wollen keine Freunde, sind mit ihrem Schreibtisch verlobt und haben eine Affäre mit ihren Büchern.“

„Fühlst du dich wohl? So?“

„Ich gehe nicht zur Uni, um Freunde zu finden. Ich gehe zur Uni, um einen Abschluss zu machen“, meinte er und überspielte damit geschickt das Gefühl, dort noch immer fehl am Platz zu sein. Und das nach inzwischen einem Monat, den er dort verbracht hatte. Aber es war ok so. Er hatte immerhin einen straffen Stundenplan und war selbst kaum in der Mensa. Viel eher verbrachte er seine Mittagspause in der Bibliothek. Aber auch das sagte er ihr nicht. Noch mehr Sorge wollte er in ihren Augen nicht sehen müssen Es reichte bereits jetzt schon…
 

Levi

Er saß auf einem der beiden neuen, nach Kunstleder riechenden Sesseln in dem großen Büro mit Blick auf die Parkanlage hinter dem Gebäude. Die Beine überschlagend blickte er auf die Uhr und seufzte.

„Entschuldige, dass ich dich habe warten lassen.“

Eine angenehm ruhige Stimme dran an seine Ohren, nur machte er sich nicht die Mühe, sich zu bewegen. Seine Finger tippten viel eher einen imaginären Rhythmus auf die Armlehne des Sessels, als eine groß gewachsene, blonde Person in sein Blickfeld trat. Breitschuldig und mit unglaublich buschigen Augenbrauen. Doch gerade das passte so sehr in dieses markante Gesicht seines Vorgesetzten.

Levi nahm das grüne Barett vom Kopf, legte es auf sein Knie und fuhr sich durch das schwarze Haar. „Du wolltest mich sprechen, Erwin.“

Erwin Smith war der Eigentümer der Sicherheitsfirma und hatte inzwischen in zwei anderen Städten einen Standpunkt aufgebaut. Sie waren für ihr schnelles und präzises Handeln bekannt. Man konnte sich auf sie verlassen. Vor allem da ihr Angebot von der Kindergeburtstagsparty bis zum Präsidentenempfang reichte. Levi konnte nicht sagen, dass er gern hier arbeitete, aber es war besser, als an der Front in einem aufgewühlten Land zu stehen und Kameraden und Freunde sterben zu sehen. Als er das letzte Mal von einem Auslandseinsatz zurückkam, war er verdammt froh, dass er seine Zeit bei der Armee erfüllt hatte. Er hatte zwar nie geglaubt, dass er einer der Soldaten werden würde, die unter der Last der Ereignisse und Erinnerungen fast zusammenbrechen würde, aber es wäre beinahe so weit gewesen. Daher kam das Angebot Erwins damals zum perfekten Zeitpunkt. Zwar hatte er seine sandfarbene Uniform gegen eine schwarze eingetauscht, aber die Bedingungen waren bessere.

„Wann beginnst du mit dem Umzug?“

„Wenn ich umziehe“, gab er zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich werde dafür keinen Urlaub beantragen.“

„Solltest du aber.“

„Was? Willst du mir etwa helfen?“

Er vertraute seinem Vorgesetzten – vielleicht vertraute er ihm sogar blind. Aber sie waren keine Freunde. Nicht mehr. Sie waren nur noch Kollegen, die zusammen arbeiteten und mehr war da nicht. Daher sollte Erwin es langsam verstehen, dass diese Art der Annährung sinnlos war.

„Ich habe tatsächlich daran gedacht.“

„Vergiss es. Nicht bei deinem Alter“, gab er nüchtern zurück und bekam einen undefinierbaren Blick als Antwort, während sich der Hauch eines Lächelns auf Erwins Lippen legte.

„Du hast mir von diesem Mädchen erzählt…“

„Mikasa Ackermann.“

„Ja. Richtig. Rekrutieren wir sie?“

„Sie ist Frisörin.“

„Sie verdient hier besser“, lautete Erwins Antwort und Levi erlaubte es sich, die Augenbraue minimal als Ausdruck seiner Meinung zu heben. Er hatte Erwin nicht von ihr erzählt, weil er ihn dazu bewegen wollte, ihr eine Vorladung zu schreiben. Sie war nichts für diese Firma und erst recht nicht mit diesen Kollegen.

„Sie würde nicht ohne ihren Bruder gehen“

„Den hat sie auch?“

„Bringt nichts. Mehr Probleme als Lösungen. Der Typ ist ein wandelndes Chaos, schwer von Begriff – ausgemustert worden. Was willst du mit einem Kind?“

„Viele Worte, Levi.“

„Du kapierst es sonst nicht, Erwin. Meine Worte gehen zwar auch jetzt nicht in deinen dämlichen Brägen rein, aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgeben.“

Und wäre er jeder andere nur nicht er selbst, hätte Erwin ihn spätestens jetzt nach Strich und Faden zusammengefaltet und aus dem Büro geworfen. Ihm war klar, dass Erwin begabt war. Vor allem taktisch begabt. Einer der schlausten Männer, denen er jemals begegnet war. Aber dennoch wollte er nicht, dass Erwin über seinen Kopf hinweg entschied und am besten noch Vorladungen in seinem Namen verschickte. Die Beziehung zwischen ihm und Mikasa war ohnehin wacklig. Ihm lag nicht viel an zwischenmenschlichen Beziehungen, aber Erwin sollte keinen Ärger zwischen seinen Schülern schüren und darauf würde es hinauslaufen. Mikasa war der Ruhepol, die Boje im Dojo geworden und er konnte sich auf sie verlassen.

„Ach, Levi. So elegant wie ein Elefant im Porzellanladen.“

„Ich nehme das als Kompliment. Sonst noch was?“, gab er bissiger zurück als er es vielleicht wirklich gewollt hätte.

„Ja. Allerdings.“

„Was denn?“ Eine dunkelgrüne Akte flog auf den Tisch und Levi lehnte sich vor, nahm sie vom Tisch und schlug sie auf.

„Eren Jäger. Im dritten Monat des ersten Semesters an der Trost Univerity of Science. Der Junge ist ein Genie. Ich will ihn als Teilzeitkraft für die IT-Abteilung.“

Levi jedoch sagte nichts, starrte nur auf das Bild das der Akte beigefügt war. Biologie und Informatik Student.

„Rekrutier ihn.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2015-02-15T17:40:27+00:00 15.02.2015 18:40
Ein geniales Kapitel. Armer Eren.Bin gespannt wie es weiter geht.


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