Freitag, der 05.Dezember
Wie bereits angekündigt, hatte sich die Direktorin höchst persönlich bei ihm angerufen. Zu dem Zeitpunkt hatte er sich gerade an einen freien Tisch in dem kleinen Café gesessen und einen Kaffee bestellt. Eigentlich verstand er die Frau am an der anderen Leitung kaum, da die Soundkulisse in diesem Lokal zu laut war. Allerdings hatte er verstehen können, dass sie ihm gerade seinen offiziellen Stundenplan verkündete und sich zudem zum dreiundzwanzigsten, der Schwarzhaarige glaubte es zu mindestens, Male entschuldigte für das morgendliche Chaos. Danach wurden die letzten verabschiedeten Worte gewechselt und er hatte aufgelegt.
Während er seinen Tee austrank, beobachtete er die Blauhaarige, die Zuvorkommend und immer mit einem Lächeln auf den Lippen, die Bestellungen der Kunden annahm.
Sie schien so schnell nichts aus der Ruhe bringen zu können – dieses Wissen über sie würde ihm vorerst reichen.
Schweigend stand der Schwarzhaarige vor dem Saal, indem er die nächsten zwei Stunden die Mathestunden eines minderbemittelten Lehrers antun musste. Es war gerade einmal viertel vor acht und trotzdem waren seine Klassenkameraden noch nicht ausfindig zu machen.
Erst fünf Minuten vor dem Klingeln sah er die anderen. Oh, wie sie alle pünktlich für Mathe kommen wollen.
Unter der ankommenden Schar befand sich auch der Blondhaarige, wegen dem er sich das alles antat.
Er ließ sich mit der Masse in den Saal treiben und blieb dort an der Tafel stehen. Als ihn die anderen wirklich bemerkten, ging ein aufgeregtes Raunen durch die Reihen.
„Guten Morgen Schüler. Dürfte ich um Ruhe bitten. Wie Sie sehen, haben wir einen neuen Mitschüler.“, bei diesem Worten drehte er sich zu dem Schwarzhaarigen und fuhr fort. „Könnten Sie sich bitte dem Kurs vorstellen.“
„Mein Name ist Tylor Leicester, ich habe ungefähr euer Alter und bin wegen eines Umzugs auf diese Schule gewechselt.“, mit diesen Worten bahnte er sich seinen Weg durch die Stuhlreihen und setzte sich an den einzigen Platz, der frei war – den Tisch vor dem Blondhaarigen auf der Fensterseite. Der Lehrer wirkte etwas überfordert, da er sich einfach, ohne die Bitte zum Hinsetzen des Lehrers erhalten hatte und es trotzdem tat. Aber jeder wusste wie es abläuft, wenn ein neuer Schüler in die Klasse kommt. Vorstellen, Abnicken des Lehrers, Hinsetzen und dann Fortführung des Unterrichts. Er hatte legendlich den Prozess verkürzt, sowie man es auch in Mathe zum Beispiel mit den vorzeitigen Kürzen und Zusammenfassen der Brüche tat, um sich sowohl Arbeit, wie auch Zeit zu sparen.
„Es ist zwar nicht gerecht, wenn ich Ihnen gleich an ihren ersten Schultag nach dem Wechsel eine HÜ aufzwinge, allerdings ist diese nun seit längeren geplant. Versuchen sie einfach mal mitzuschreiben. Vielleicht hatten sie das Thema schon.“, mit diesen Worten teilte er einen kleinen Zettel verdeckt aus. Ein wirklich wundervoller erster Schultag.
Synchron mit den anderen aus der Klasse drehte er seine HÜ um und fing an die gesuchten Werte der Funktionsschar auszurechnen; Symmetrie, Asymptoten, Schnittpunkte mit x/y-Achse, sowie erste und zweite Ableitung befanden sich innerhalb kürzester Zeit auf seinem Blatt. Er berechnete die Ortskurve der Wendepunkte und berechnete die Fläche die Ortskurve und Funktionsschar einschlossen.
Nach einer viertel Stunde war er fertig, lehnte sich entspannt zurück und musterte die angestrengten Gesichter seiner Mitschüler.
Nach weiteren zehn Minuten sammelte der Lehrer die Blätter wieder ein und steckte sie in seine Tasche. Der Rest des Unterrichts bestand darin, den ziemlich kleinen Hirnen mancher Helden innerhalb der Klasse zu erklären, wie sie eine Funktion abzuleiten hatten, wenn diese eine Produkt beinhaltete – nichts besonders schweres.
Als es zur Pause klingelte, schlich er sich gekonnt an seinen neuen Kameraden vorbei und begab sich in seinen nächsten Unterrichtsraum.
Als nächstes stand Geschichte auf seinem Stundenplan. Es verwunderte ihn jedes Mal vom Neuen, wie wenig sich die Schüler heutzutage noch merken konnten. Einerseits war dies verständlich, da wirklich viel Irrelevantes im Unterricht behandelt und über die Nachmittagssendungen ebenfalls keine bedeutenden Nachrichten übermittelt wurden.
Jedoch zog sich durch dieses Unwissen der Unterricht so lange, dass er schneller zum Mars geflogen wäre, als dieses eine Thema zu besprechen. Als der Geschichtslehrer dann zum sechsten Mal die Frage wiederholt hatte, seufzte er entnervt die Antwort und damit waren sämtliche Augenpaare in diesem Raum auf ihn gerichtet.
Der Lehrer, welcher sonst nur halbe Wahrheiten zu hören bekommen schien, blickte ihn an, als hätte er sich verhört.
Bald schon erlöste ihn die Klingel von dem „Unterricht“ und um ihren Tisch versammelten sich drei Leute. Ihrem Auftreten nach vermutete er, dass sie eine Clique bildeten.
„Warum weißt‘n du so viel, bist wohl so’n Streber wie der da. Na dass passt ja.“, bei den Worten blickte er zu den Blondhaarigen. „Wir mögen keine Streber, nicht wahr, Vennyboy.“
Angesprochener, welcher seit dem die Jungen zu ihnen gestoßen waren, sichtlich angespannt war, bedachte die dreien mit einem derart kalten Blick, wie der Schwarzhaarige es den andern nicht zugemutet hatte. „Das ist natürlich tragisch, habt ihr Angst, vor Augen gehalten zu bekommen, dass ihr im Gegensatz zu anderen, keinen wirklichen Wert im Geiste besitzt?“
Bevor der Anführer der kleinen Gruppe auch noch eine neue Beleidigung äußern konnte zückte er ein Messer, welches er immer bei sich trug und rammte es geöffnet in den freien Raum zwischen den Fingern der Hand, welche auf seiner Tischplatte lagen. „Oh, da ist mir wohl ausversehen mein Messer aus der Hand gerutscht.“
„Beruhig dich ma‘, Alter! Das hätte voll schief gehen können.“ Falsch, aber wenn diese sich an seinen Rat hielten, würden sie das vielleicht nie erfahren. Vielleicht.
Die Gruppe beeilte sich von den >Psychoemo<, wie sie ihn nannten, wegzukommen. Psycho an sich stimmte schon. Er hatte ein sehr verkümmertes Empathie-Empfinden, aber er war kein Emo. Weder hörte er Emocore noch gehörte er zu der Art Menschen, die ihr Leben wie ein Klischee-Emo führten. Er schrieb keine Gedichte, die voller Emotionen waren. Zudem empfand er nicht einmal richtig Gefühle. Psychoemo war demnach auch ein kleines Paradoxon. Wie konnte er emotional sein und gleichzeitig eine dissoziative Persönlichkeitsstörung haben.
Der Schwarzhaarige sah zu Ventus(, welcher skeptisch die Augenbraue zusammenzog), indem er den Kopf schief legte, während er sein Messer wieder einklappte und mit einem theatralischen Seufzen in seine Tasche steckte.
Der Rest des Tages lief relativ normal ab. In Sport konnte er zeigen, dass er noch immer im Höchstform war. Nur in Sozialkunde hatte er etwas Schwierigkeiten gehabt.
Sie waren in Gruppen eingeteilt worden; die eine Seite „Pro Einmischung der Menschen in die Natur“ und die andere Seite „Contra der Einmischung der Menschen in die Natur“.
Und wo war er gelandet? Natürlich bei der Pro-Gruppe.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten schlug dann einer der Gruppe vor, dass sie sich erst einmal sämtliche Contra-Punkte aufschrieben und versuchten dann konkret diese zu wiederlegen.
Allgemein, so würde er sagen, war dies ein gelungener erster Schultag.