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Zwischenwelten

Ereri
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich wünsche jedem Leser frohe Weihnachten und einen guten Rutsch!
Viel Spaß bei diesem langen Kapitel:-)

Im letzten Kapitel handelte Levi aus Überzeugung und wurde unfreiwillig zum Mentor, als er mit Eren nach dessen Krankheit trainierte. Der fängt langsam an wieder Vertrauen zu Autoritätspersonen zu fassen. Fraglich ist demgemäß, wie sich die Informationen über Levi auswirken, die Armin in Erfahrung gebracht hat. Wer ist Levi wirklich? Komplett anzeigen

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Horizont

Vom 21. Dezember bis 08. Januar hatten sie frei. Es waren die ersten Ferien, dementsprechend enthusiastisch waren alle gewesen nach all der Zeit den Ausbildungskomplex verlassen zu dürfen und endlich ihre Lieben wieder zu sehen.
 

Eren war Vollwaise, doch seit er Armin vor über 13 Jahren kennengelernt hatte, kümmerte sich dessen Familie ebenfalls um sein Wohlergehen. Er war ihnen sehr dankbar dafür und es erfüllte ihn mit Wärme und Zuneigung, dass sie sich so um ihn sorgten, doch seit Mikasa nicht mehr mit ihm bei den Arlerts sein konnte, fühlte er sich nicht mehr wohl.
 

Er fühlte sich schuldig deswegen, denn nie hatten sie etwas getan, dass dieses Unwohlsein rechtfertigen würde, im Gegenteil. Nichtsdestotrotz empfand er sich als Parasit, der diese heile Familie störte. Deswegen ließ er sich von Armin nur dazu überreden Heiligabend mit ihnen zu bleiben. Die restliche Zeit wollte er in München verbringen und dort in Ruhe etwas trainieren und so gut es ging entspannen.
 

Mithin fuhren Armin und er am 21. nach Berlin, um Mikasa im Krankenhaus zu besuchen. Ihr Zustand war unverändert. Seit fünf Jahren lag sie im Wachkoma, nachdem ihr bei einem GSG9-Einsatz in den Kopf geschossen worden war. Dass sie aufwachte war möglich, denn medizinisch betrachtet, war ihr Gehirn soweit funktionsfähig. Allerdings konnte man bis heute nicht allzu viel tun, um jemandem aus dem Koma zu holen. Das musste noch auf natürlichem Wege geschehen.
 

Die ersten drei Jahre hatte Eren jede freie Minute an Mikasas Bett verbracht und mit ihr geredet. Im vierten Jahr hatte er es nicht mehr ertragen sie jeden Tag in diesem Bett scheinbar schlafend zu sehen. Sein Versagen bei der SEK und sein Unvermögen ihr zu helfen, hatten ihn in ein tiefes Loch gestürzt. Er besuchte sie also nur noch am Wochenende bis er für die ESE-Ausbildung zugelassen worden war und er nur noch mit den Ärzten telefonieren konnte.
 

Am Morgen des 23. fuhren sie nach Hamburg zu Armins Familie und Eren musste sich am ersten Weihnachtstag regelrecht aus ihrem Haus schleichen, um nicht von einem überfürsorglichen Familienmitglied doch noch aufgehalten zu werden, als er die Rückreise nach München antrat.
 

***
 

Es war zwar gespenstisch still in ihren Unterkünften, aber Eren wusste, dass wenigstens Zoë und Zacharias auf dem Gelände waren. Zoë hatte ihnen in der letzten Theoriestunde gesagt, dass sie durchgehend vor Ort sein würden und niemand vom Gelände ausgeschlossen wäre. Aber natürlich kam außer Eren keiner auf die schwachsinnige Idee auch noch den Urlaub im Ausbildungskomplex abzusitzen. Sie hatten besseres zu tun und das war völlig okay für ihn.
 

Nachdem er ausgepackt und eine heiße Dusche genommen hatte, legte er sich mit einem Theoriebuch aufs Bett, doch seine Gedanken kreisten unentwegt um Mikasa. Wie sie regungslos in diesem hellblauen Krankenhauszimmer lag, nur das stetige Summen der Maschinen. Ihre Haut war warm und weich und blass. Sie sah aus wie eine Porzellanpuppe. Eingefroren in der Zeit, wunderschön und ach so fragil.
 

Eren stieß zischend die Luft aus, als er das heiße Brennen in seinen Augen spürte und stand schwungvoll aus dem Bett auf. Ihm wurde kurz schwarz vor Augen wegen der abrupten Bewegung.
 

Er musste an die frische Luft!
 

Gehetzt zog er Schuhe und Winterjacke an und ging die Treppen hinauf ins Dachgeschoss und dort durch eine Tür hinaus aufs Dach. Eisiger Wind blies ihm um die Nase und er rieb sich fröstelnd die Hände, obwohl sie noch warm waren. Die Kälte lenkte ihn etwas ab, als er tief die frische Luft einatmete.
 

„Hast du dich verlaufen, Jäger?“
 

Eren fuhr so stark zusammen, dass er erschrocken herumsprang und mit großen Augen auf den viereckigen Überbau der Dachgeschosstür sah.
 

„Levi, Sir“, keuchte Eren und fasste sich ans rasende Herz. Er war fast zu Tode erschrocken.
 

Levi saß im Schneidersitz und militärischer Winterkleidung da und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.

„Brauchst du neue Windeln? Deine Aufmerksamkeit und Abwehrreaktion ist erbärmlich.“
 

Erens Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, bevor er den General-Leutnant angrinste.

„Da haben Sie recht. Aber ich hätte nie erwartet, dass mir der Tod hier ins Genick springt.“
 

„Der lauert überall“, murrte Levi, während er seine behandschuhten Hände anhauchte und rieb.
 

„Warum sind Sie hier?“, fragte Eren direkt.
 

„Weil ich nicht woanders bin“, kam es ebenso direkt schroff zurück.
 

Eren seufzte, ließ sich jedoch nicht so leicht abwimmeln und starrte den Mann so lange an, bis der den Blick leicht genervt erwiderte.

„Was? Starr' nicht so bescheuert.“
 

„Nichts“, lächelte Eren besänftigend, „Ich bin nur überrascht Sie von allen Orten gerade hier zu treffen.“
 

„Hm“, machte Levi und betrachtete ihn intensiv, „Solltest du die Feiertage nicht an einem reich gedeckten Tisch sitzen und dich wie ein Schwein vollstopfen?“
 

Erens Lächeln verschwand abrupt, doch er antwortete bereitwillig.

„Ich habe niemanden außer Armin und seiner Familie...“
 

„Und warum bist du dann nicht dort?“
 

Eren stockte. Ein Schauer durchfuhr ihn innerlich, nichtsdestotrotz flossen die bisher unausgesprochenen Worte unglaublich leicht über seine Lippen.

„Ich habe mich wie ein Eindringling in ihrer heilen Welt gefühlt“, entgegnete Eren leise und lächelte Levi mit traurigen Augen an.
 

„Tch.“ Levis Blick durchbohrte ihn förmlich. Trotz des abschätzigen Lauts glaubte Eren jedoch einen Hauch Verständnis zu erkennen.
 

„Leeeeviii~“, rief jemand laut und im nächsten Augenblick lag Eren mit dem Bauch auf dem harten Betonboden.
 

„Was zum-??!“
 

„Shhh!“, machte Levi, der plötzlich neben ihm lag und seinen Kopf unzeremoniell runter drückte.
 

Eren sah ihn halb verärgert, halb verwundert an. Wie in aller Welt war Levi von über der Tür so schnell zu ihm gekommen und wann zum Henker hatte er ihn auf den Boden gedrückt?!

Der Kerl war die reinste Naturgewalt.
 

„Leeeviii~! Wo bist du~?“, ertönte es erneut und ließ sich Erens Aufmerksamkeit auf das Gebäude gegenüber wenden. Tatsächlich stand Hanji auf dem Dach und blickte sich suchend um. Es war pures Glück, dass der Rand des Daches sie hier kauernd gerade so verbergen konnte.
 

„Im Schwimmbad ist er auch nicht“, brüllte Mike von unten.
 

„Ich seh' ihn auch nicht“, schrie Hanji vom Dach hinab und machte sich auf den Weg zurück nach unten.
 

Ein Seufzen neben ihm riss Eren aus seinen Beobachtungen und er spürte, wie Levis Griff sich von seinen Haaren löste.
 

„Das war knapp“, sagte er, blieb jedoch noch liegen.
 

„Was zum Teufel war das?!“, beschwerte sich Eren und sah auf seine Seite. Levi lag Schulter an Schulter mit ihm auf dem kalten Boden und bettete nun sein Kinn auf seine gefalteten Hände.
 

„Ein Versuch mich vor der Hölle zu bewahren“, gab Levi trocken zurück.
 

„Ich will ja nicht unhöflich sein, aber warum lieg ich plötzlich mit Ihnen auf dem Bauch? Hätte es nicht gereicht, wenn nur Sie sich hinschmeißen?“ Eren bemühte sich ehrlich, nicht gar zu aufgebracht zu klingen, was ihm jedoch vorn und hinten nicht gelang.
 

Levi sah ihn schief an.

„Stimmt“, meinte er plötzlich und sah wieder geradeaus.
 

„Stimmt?“, Eren war völlig perplex, „Was ist an Zoë so schlimm?“
 

Levi bedachte ihn mit einem Unheil versprechenden Blick, der Eren einen Schauder den Rücken hinab jagte. Dann setzte er sich in eine kniende Position und klopfte sich den Staub von der Militäruniform.
 

Eren sah Levi zum ersten Mal in militärischer Kleidung und es war frappierend wie gut sie ihm stand. Als sei er dafür gemacht.
 

„Ich bin schon seit heute früh vor ihr auf der Flucht und habe das auch noch vor bis sie schläft. Warum, musst du nicht wissen“, erklärte Levi sein Verhalten und mehr würde er anscheinend nicht bekommen.
 

Seufzend erhob sich auch Eren und setzte sich hin.

„Wenn sogar Sie vor ihr fliehen, wage ich mir kaum die Stresstests in der nächsten Einheit vorzustellen.“
 

„Es sind noch 35 Rekruten übrig. Das Sollziel ist 15. Rechne's dir aus wie's wird“, ließ Levi beiläufig durchblicken, was Eren mit großen Augen quittierte.
 

„Die sollen alle durchfallen?“ Das waren miserable Aussichten!
 

„Nicht sollen. Werden.“ Levi rieb sich unbeeindruckt die Hände.
 

„A-Aber-“, stammelte Eren sprachlos, „Es sind so viele gute Leute dabei!“
 

Nun blickte Levi ihn wieder an. Seine sturmgrauen Augen ließen keinerlei Mitgefühl erahnen. Es war ihm vermutlich auch völlig egal, wer durchfiel.
 

„Also fliegt man auch jetzt nur wegen der Psycho-Tests und -Gutachten raus“, stellte Eren schnaufend fest. Er hatte Angst davor.
 

Egal wie sehr er sich bemühte und sich selbst beschwor, er würde Zoës analysierenden Blicken nicht ausweichen können. Beim Gedanken daran erneut zu versagen, biss er sich schmerzhaft in die Unterlippe.
 

„Hör mir zu, Jäger“, durchbrach Levis ernste Stimme die aufgekommene Stille, sodass Eren ihn mit verwunderten Augen ansah, „Du musst einzig und allein die Antwort auf eine Frage finden.“
 

Eren betrachtete ihn abwartend, versuchte fieberhaft einen Eindruck von der Frage zu gewinnen.
 

„Wenn du die Wahl hast entweder das größte, aber insoweit 0815-Drecksschwein vor einem fatalen Ende zu bewahren oder der Kcrizott näher zu kommen, wie würdest du dich entscheiden?“
 

Eren blickte ihm erstaunt direkt in die unbewegten Augen. Es überraschte ihn nicht, dass Levi von der Kcrizott wusste, das stand alles in seiner Akte, es war vielmehr die Frage an sich, die ihn erst jetzt vollends begreifen ließ, warum er mit Argusaugen beobachtet wurde.
 

Seine Aufgabe bestand allein darin Menschen zu schützen. Und es wurde ihm nicht zugetraut das zu beachten.
 

Ernüchterung machte sich in Eren breit und er blickte auf seine kalten, nackten Finger. Gleichzeitig schwoll ein Gefühl in seiner Brust an, das ihn wieder entschlossen aufsehen ließ.

„Ich bin Polizist geworden, um die Menschen zu beschützen und davor zu bewahren, was ich erleben musste. Sympathien sind dabei irrelevant.“
 

Levi begegnete seinem entschlossenen Blick mit einem regelrecht bohrendem. Eren glaubte in diesem Moment, der Mann könne ihm bis in die tiefsten Winkel seiner Seele blicken.
 

Es war zu viel, er sah weg.
 

„Eren“, erregte Levi seine Aufmerksamkeit und ließ ihn wieder in die unnahbaren Augen blicken. Er nannte seinen Vornamen zum ersten Mal.

„In dem Moment deiner Rache wird nichts geschehen. Deine Eltern bleiben tot und deine Schwester im Koma. Es ändert rein gar nichts.“
 

Wut erfüllte Erens Brust bei diesen direkten, emotionslosen Worten. Es war zu persönlich, zu intim, es ging ihm direkt unter die Haut.
 

Doch trotz der offenen Wut in seinem Gesicht, blieb er stumm, was Levi zum Weiterreden veranlasste.

„Je nachdem wie viel Zeit und Energie du in deine Rache investierst, wird es dir beschissener gehen, wenn du dein Ziel erreicht hast und nichts mehr zu tun übrig bleibt.“
 

Eren sah Levi betroffen an. Er erkannte tiefe Trauer versteckt hinter Gleichgültigkeit in den sturmgrauen Augen und begriff in diesem Moment, dass Levi von seiner ermordeten Einheit im Krieg sprach. Seine ganze Wut wurde von aufrichtigem Mitleid verdrängt.
 

„Wie soll man sich aus diesem gedanklichen Teufelskreis denn befreien?“
 

Levi schnaubte humorlos.

„Gib dir eine sinnvolle Aufgabe, umgebe dich mit Freunden, heirate, mach Kinder und den ganzen Scheiß. Dann hängst du zu sehr am Leben, um alles für eine Racheaktion zu riskieren.“
 

Das brachte Eren zum Lächeln.

„Danke, Levi. Ich hoffe, dass auch Sie diesen Weg gehen werden.“
 

Nun war es an Levi verdutzt zu sein.

„Ich denke nicht, dass dich Balg das etwas angeht“, wehrte er ab und bedachte Eren mit einem eisigen Blick, der ihn schaudern ließ.
 

In der Tat, man merkte es, wenn man Levi anpisste.
 

„Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht verärgern“, beschwichtigte Eren schnell. Er meinte es ernst und ehrlich.
 

Levi starrte ihn weiterhin kühl an, doch die Kälte war aus seinen Augen gewichen. Eren war selbst überrascht davon, dass er so versöhnlich sein konnte, normalerweise ritt er sich immer unwiederbringlich in den Schlamassel.
 

Beide fuhren sie zusammen, als die Tür hinter ihnen aufgeschlagen wurde.
 

„Leeeviii! Da bist du ja endlich!!!“, rief Hanji triumphierend und warf sich enthusiastisch auf die Knie, um einen entsetzten Levi überschwänglich zu umarmen.
 

Sie ließ sich nicht von ihm wegdrücken, als sie ihre Wange mit zermalmender Wucht an seine presste.

„A~lles Gute zum Geburtsta~g!“, trällerte Hanji, was Eren blass werden ließ.
 

„Oh, Sie haben heute Geburtstag, Sir?! Dann wünsche ich-“
 

„Lass stecken, Balg“, unterbrach Levi ihn böse und erstickte Erens Versuche ihm die Hand zu schütteln, bevor er sie ganz ausstrecken konnte.
 

„Oooh, Levi! Du alter Giftzwerg“, kicherte Hanji und Eren wunderte sich, dass sie nicht tot umfiel bei dem Blick, mit dem Levi sie durchbohrte, „Ich bin extra um fünf aufgestanden, aber da warst du schon weg. Ich hab dich überall gesucht, selbst durch den Wald bin ich gerannt, aber nichts. Du hast dich echt gut versteckt. Aber jetzt haaab ich dich!“
 

Fröhlich wippte sie mit Levi in den Armen hin und her.
 

„Ah, da ist ja unser verlorener Sohn“, grinste Mike, der nun ebenfalls hergefunden hatte, jedoch sicherheitshalber in der Tür stehen blieb, als er Levis Blick bemerkte.
 

„Jaaa~“, grinste Hanji glückselig und schien nicht daran zu denken, Levi in nächster Zeit loszulassen.
 

Der ließ es vor sich hin brodelnd mit routinierter Resignation über sich ergehen.
 

„Hey, Leute! Hier ist es arschkalt. Lasst uns reingehen und was trinken.“
 

„Jaaaa, ich habe ganz viel Essen und Trinken für dich und es gibt sogar einen Kuchen“, strahlte Hanji und sah Levi direkt in die stechenden Augen.
 

„Fick dich“, sagte er ihr trocken mitten ins Gesicht, was rein gar nichts an ihrem Strahlen änderte. Im Gegenteil, sie grinste nur noch breiter.

„Aber erst nachdem du alles probiert hast.“
 

Schwungvoll stand sie plötzlich auf und zog Levi am Handgelenk mit sich. Er versuchte gar nicht mehr sich loszueisen. Womöglich würde das die ganze Situation nur verschlimmern und das unabwendbare verzögern.
 

Eren kam sich vor wie ein Kind, das mit großen staunenden Augen in ein Zoogehege mit den erdenklich faszinierendsten Tieren guckte.
 

Hanji hatte Levi bereits bis zur Tür geschleift, als die sich nochmal umdrehte und ihn erstmals beachtete.

„Du kannst natürlich auch mitkommen, Jäger. Nicht wahr, Levi?“
 

„Fick dich und mir egal“, knurrte Levi. Das galt jedoch nicht Eren, sondern der eindeutig hyperaktiven Frau neben sich.
 

„Vielen Dank, General-Leutnant!“, lächelte Eren, was ihm kurzzeitig Levis Aufmerksamkeit einbrachte, ehe er wieder von Hanji mitgeschleift wurde.
 

Nachdem die Dachtür zufiel, wurde Eren zweierlei klar.

Die Stille auf dem Dach wog bleiern in ihrer schreienden Einsamkeit.

Und Zoë und Zacharias waren nicht zur Zusammenarbeit mit Levi gezwungen worden.

Sie empfanden echte, ehrliche Freundschaft.
 

***
 

Eren zog sich zügig ein gebügeltes, weißes Hemd und eine schwarze Jeans an, ehe er sich ziemlich nervös auf den Weg zum Appartementgebäude der vier Militärs machte.
 

Es war unüblich für einen Rekruten sich privat mit Vorgesetzten abzugeben. Das gab nur böses Blut unter seinesgleichen. Selbst bei seinem Sondertraining mit Levi hatten viele die Nase gerümpft und Jean hatte ihm vorgeworfen sich mit dem „Feind“ zu verbrüdern, um Vorteile rausschlagen zu können.
 

Das war natürlich lachhaft. Das Training war körperlich die Hölle gewesen. Zwar hatte er die Zeit mit Levi aus vielerlei Gründen genossen und ihr kleiner Wettkampf bereitete ihm ungemein Freude.

Eine Bevorzugung stand jedoch außer Frage, das war Eren mit der Zeit klar geworden. Levi würde ihn ohne zu zögern zum Teufel jagen, wenn er seine Erwartungen nicht erfüllte.
 

Es sei denn, man betrachtete ihre Gespräche über Erens Schwächen als Vorteil... Die hatten ihn tatsächlich weitergebracht.
 

Noch unsicherer als vorher stand Eren vor der Tür. Es wäre vermutlich unhöflich sich jetzt nicht blicken zu lassen, überlegte er sich und beschloss maximal eine halbe Stunde zu bleiben.
 

Mit einem tiefen Atemzug öffnete er die Haustür und trat in den Eingangsbereich. Vor ihm war das Treppenhaus und von rechts drangen Stimmen an sein Ohr. Er schluckte abermals, als er die Tür öffnete.
 

Er wurde von den Blicken Smiths und Zacharias' begrüßt und fühlte sich sehr klein.
 

„Ah, Jäger! Komm nur her“, begrüßte ihn General Smith mit einem freundlichen Lächeln.
 

Er ging etwas steif hin und schüttelte mit einem höflichen Lächeln die dargebotenen Hände.

„Frohe Weihnachten“, wünschte Eren.
 

„Frohe Weihnachten“, lächelte Smith zurück, ebenso Zacharias.
 

„Schön, dass du gekommen bist. Hanji und Levi sind gerade oben. Sie bewacht ihn beim Duschen, damit er nicht wieder abhaut“, grinste Zacharias und warf Smith einen amüsierten Blick zu, der leise lachte.
 

„Vielen Dank, dass ich hier sein darf“, brachte Eren kleinlaut hervor und ärgerte sich gleichzeitig, dass ihm die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben stand. Die Männer sahen ihn weiterhin gutmütig an, sichtlich sein Unwohlsein vermindern wollend.
 

Erst jetzt fiel ihm die Dekoration dieses Aufenthaltsraumes auf. Überall hingen Luftschlangen und Ballons. Auf dem anscheinend hineingetragenen Küchentisch lag Konfetti und gefaltete Papierschwäne thronten auf den schlichten Kasernentellern.
 

„Hanji hat sich mal wieder echt reingehängt“, kommentierte Zacharias Erens Beobachtungen.
 

„Das ist wirklich lieb“, entfuhr es Eren ehrlich.
 

„Ja, das ist es“, lachte Zacharias mit Smith.
 

Ihre Aufmerksamkeit wurde abrupt von der aufschlagenden Tür abgelenkt. Levi kam mit grimmiger Miene in den Raum gestakst, gefolgt von einer dauergrinsenden Hanji.
 

„Levi!“, ging Smith sogleich mit eloquentem Lächeln auf Levi zu und schüttelte seine Hand, „Ich wünsche dir alles erdenklich Gute fürs kommende Lebensjahr!“
 

Levi musste seinen Kopf in den Nacken legen, um dem zwei Köpfe größeren Mann in die Augen sehen zu können.

„Danke, Erwin“, erwiderte Levi sichtlich widerwillig, doch seine Augen verrieten eine gewisse Rührung, was Eren zum Lächeln brachte.
 

„Auch von mir nochmal alles Gute! Schön, dass du da bist“, lächelte Zacharias und klopfte Levi auf die Schulter. Eren hatte den Eindruck, er meinte nicht nur diesen Tag.
 

„Danke“, gab Levi zurück und wurde daraufhin gleich wieder von Hanji von hinten umarmt.
 

„U~nd was sagst du zur Dekoration?“
 

„Grauenhaft“, entgegnete Levi trocken und sah Hanji von der Seite an, die seine Bemerkung komplett ignorierte.
 

Eren nutzte die Gelegenheit für einen zweiten Gratulationsversuch.

„Ich wünsche Ihnen alles Gute zum Geburtstag“, lächelte er verlegen und hielt Levi die Hand hin.
 

Diesmal ergriff er sie. Levis Händedruck war fest und seine Haut angenehm warm.

„Danke, Jäger.“
 

„Hey, Eren! Was hältst du davon mir mit dem Essen zu helfen?“, schlug Hanji vor und ließ endlich von Levi ab. Es war nicht ungewöhnlich, dass Zoë die Rekruten beim Vornamen nannte.
 

„Gerne.“ Es war schließlich eine direkte Aufforderung.
 

„Bitte sag' mir, dass du nicht selbst gekocht hast“, hakte Levi nach.
 

Hanji winkte ab.

„Nein, nein. Ich habe einen Partyservice engagiert.“
 

„Hanji sah diesmal davon ab uns allen Durchfall zu bescheren“, lachte Zacharias und kassierte dafür einen freundschaftlichen Ellbogenhieb von seiner Kameradin.
 

„Aber geschmeckt hatte es“, grinste sie.
 

„Das war ja das Tückische daran“, schmunzelte Smith.
 

„Ja, ja, als wenn ihr das mit den vorhandenen Zutaten besser hingekriegt hättet“, winkte Hanji gutmütig ab und griff nach Erens Handgelenk, um ihn aus dem Raum, über den Flur und in die geräumige Küche zu ziehen.
 

„Sooo, in der Kühltruhe sind die ganzen Snacks“, erklärte Hanji, „Ich mache dann mal die Suppe warm.“
 

Eren öffnete die breite Kühltruhe und staunte nicht schlecht über die vielen Tabletts mit allerlei Köstlichkeiten.

„Was ist mit dem rohen Truthahn, Generaloberstabs-?“
 

„Hanji reicht“, unterbrach sie ihn, „Wir haben keinen Stock im Arsch und der Vogel müsste in die Tiefkühltruhe. Außer Levi ist hier keiner in der Lage etwas halbwegs essbares zu kreieren.“
 

„Ich kann kochen“, entfuhr es Eren unbedacht - wie ihm auffiel, als Hanji ihm einen Unheil versprechenden Blick zuwarf, wobei ihre Brillengläser im kalten Küchenlicht reflektierten.
 

„Ohhh, Eren! Kannst du den Truthahn zubereiten?“
 

Ihr Blick ließ keine Widerworte zu. Er nickte verschüchtert.
 

„Wunderbar!“, trällerte sie, „Bist du dann so lieb und machst ihn? Die Zutaten dafür müssen da sein.“
 

Abermals nickte Eren, was Hanji freudvoll jubeln ließ.
 

***
 

Nachdem er Hanji mit den Tabletts geholfen und den Truthahn in den Backofen geschoben hatte, atmete er erst einmal tief durch.
 

Er war alleine in der Küche und es war mucksmäuschenstill. Das Inventar war beinahe ungebraucht und hochmodern. Der Truthahn würde in einer halben Stunde fertig sein. Bis dahin würde er hier warten und die Ruhe genießen.
 

Er traute sich nicht recht zu den anderen. Er fühlte sich fehl am Platze.
 

Eren hörte die Tür des Gemeinschaftsraums klicken und Schritte. Es war nicht schwer Hanjis Gang zu erkennen. Sie bewegte sich immer schnell und mit selbstbewusstem Rhythmus. Im Gegensatz dazu bewegten sich Smith und Zacharias gemächlich.
 

„Hey, Eren!“, platzte Hanji sogleich in die Küche, „Kommst du nicht rüber was essen?“
 

Eren stieß sich von der Küchentheke ab und stellte sich gerade hin.

„Danke, aber ich warte lieber auf den Truthahn.“
 

„Hast du keinen Hunger?“, Hanji sah ihn prüfend an, was ihn nervös an seinem Hemdsaum spielen ließ.
 

„Noch nicht so wirklich. Ich möchte sichergehen, dass ich's nicht verpfusche mit dem unbekannten Ofen...“ Es war nicht gelogen, auch wenn der Truthahn in den nächsten fünfzehn Minuten sicherlich nicht von ihm bewacht werden musste.
 

Hanji trat mit wildem Blick neben ihn, was ihn zusammenzucken ließ. Bei dieser Frau fühlte er sich stets wie eine Laborratte.

„Sag' mal, Eren“, fing sie mit ruhiger Stimme an und sah ihm womöglich bis in den letzten Winkel seiner Seele, „Du weißt doch, dass wir dich nicht eingeladen hätten, wenn wir deine Anwesenheit für problematisch hielten, nicht wahr?“
 

Eren starrte sie sprachlos an.
 

„Du brauchst dich nicht unwohl zu fühlen. Wir sind Kriegsveteranen. Wir trennen persönliches und berufliches strikt“, erklärte Hanji mit ernster und harter Stimme. Eren schauderte es innerlich.
 

Er nickte mechanisch.

„Ja, Gen-... Ja, Hanji.“
 

„Wunderbar!“, rief sie fröhlich und klopfte ihm auf die Schulter, „Dann komm!“
 

Mit einem tiefen Atemzug folgte er ihr.
 

Die drei Männer saßen an dem aus der Küche herbeigeschafften Esstisch und unterhielten sich. Hanji bedeutete ihm sich neben sie zu setzen, sodass sie zwischen ihm und Levi saß, gegenüber Smith und Zacharias.
 

Eren erwiderte das höfliche Lächeln von den beiden blonden Männern, während Levi ausdruckslos auf seinen Teller starrte und lustlos aß. Der General-Leutnant schien immer noch nicht sehr begeistert von der Aktion zu sein.
 

Es wurde über die aktuelle Politik diskutiert, bevor Hanji das Thema abrupt wechselte.

„Na, Levi? Wie fühlst du dich nun mit 34?“
 

Eren verschluckte sich prompt an seinem Wasser und hustete in eine Serviette.
 

„Da scheint einer ja ganz überrascht von deiner Jugend zu sein, Levi“, grinste Zacharias schelmisch, was Smith und Hanji lachen ließ.
 

Eren, der von allen angestarrt wurde, winkte verlegen ab, als er wieder Luft bekam.

„Nein, nein! Das ist es nicht. Ich hab mich bloß verschluckt“, versuchte er sich rauszureden.
 

„Ja, ja“, grinste Zacharias, wofür Eren ihm einen offen genervten Blick zuwarf.
 

„Wie alt hättest du mich denn geschätzt, Eren?“, ertönte plötzlich Levis Stimme und zog seine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Schon wieder hatte er ihn mit Vornamen angesprochen.
 

Es dauerte ein paar Herzschläge bis ihm die Frage wieder einfiel und der abwartende Blick Levis ihn in der Gegenwart festhielt.

„Ich weiß nicht... Bei Ihnen ist das schwer zu schätzen“, antworte Eren wahrheitsgetreu.
 

„Das ist die typische Ausrede“, scherzte Zacharias und trank einen Schluck Wein.
 

„Nein, es ist bei Levi wirklich nicht einfach mit seinem grimmigen Blick“, feixte Smith.
 

„Wie alt schätzt du uns denn?“, wollte Hanji amüsiert wissen.
 

Eren sah sie mit großen Augen leicht flehentlich an.

„D-Das i-ist... Ich mein, ich bin nicht sonderlich gut das Alter von Leuten einzuschätzen“, stotterte er überfordert und spürte die Hitze in seinen Wangen.
 

„Sag einfach das Erste, was dir in den Sinn kommt“, bekräftigte Smith ihn freundlich lächelnd.
 

„Jupp, ist immer interessant sich von Fremden mal einschätzen zu lassen“, grinste Zacharias und biss in ein belegtes Brötchen.
 

Eren seufzte innerlich.

„Wenn man die berufliche Laufbahn betrachtet, dann müssten Sie alle eigentlich Mitte Vierzig und Fünfzig sein, aber jetzt so aus dem Bauch hätte ich Ende Dreißig, Anfang Vierzig gesagt.“
 

„Was meinst du, wer der Älteste ist?“, hakte Hanji neugierig nach.
 

„General Smith. Allein schon wegen dem Rang“, antwortete Eren wie aus der Pistole geschossen.
 

„Fast, Erwin und Mike sind dieses Jahr 40 geworden, wobei Mike zwei Monate älter ist. Wie alt schätzt du mich?“ Hanji deutete mit dem Finger auf sich und schenkte ihm einen herzzerreißenden Welpenblick.
 

„16“, meinte Eren trocken und bevor er denken konnte, was ihm eine Millisekunde später erneut heiß werden ließ.
 

Doch die anderen brachen in Gelächter aus, sogar Levis Mundwinkel zuckten belustigt.
 

Hanji schlug ihm breit grinsend auf die Schulter.

„Na, geht doch! Du kannst auch locker sein, eh, Eren“, prustete sie gut gelaunt und zwinkerte ihm zu.
 

„Ich will gar nicht wissen, wie du in dem Alter warst“, schnaubte Levi, „Du warst mit 20 schon ein unerträgliches Miststück.“
 

„Heeey“, rief sie empört und gab nun Levi einen Klaps auf den Arm, „Es hat dir doch gefallen, wie ich dich immer gestalkt habe.“
 

Levi verzog nur die Mundwinkel verekelt, aber seine Augen verrieten gutmütiges Amüsement.
 

„Hanji ist 33 und unser Küken“, klärte Zacharias auf, als er sich beruhigt hatte und schob sich ein weiteres Brötchen in den Mund.
 

„Apropos Küken“, entfuhr es Eren erschrocken und stand abrupt auf, „Ich muss den Truthahn rausholen!“
 

Er stob in die Küche - hinter sich heiteres Gelächter - und war gerade noch rechtzeitig da, um den Vogel rauszuholen, ehe er austrocknete. Er stellte sich mit diesen Hightech-Öfen immer etwas an.
 

„Puh.“ Eren seufzte erleichtert und machte sich daran den Truthahn zu zerlegen.
 

Er hörte, wie sich die Türe hinter ihm schloss und drehte sich mit fragendem Gesichtsausdruck herum, nur um überrascht festzustellen, dass Levi hinter ihm an der Tür gelehnt stand. Im Gegensatz zu den anderen bewegte er sich wie ein Panther. Kraftvoll, geschmeidig und verdammt leise.
 

„Und? Hast du's versaut?“
 

„Nein. Aber daran gibt es auch nicht viel zu versauen. Ich habe schließlich im Grunde nur eine Marinade dazu machen müssen wegen den ganzen anderen Beilagen von Hanji“, lächelte Eren und wandte sich wieder dem Truthahn zu.
 

„Tsk. Sie hat es wieder mal übertrieben. Das Weib übertreibt ständig alles“, sinnierte Levi und trat neben Eren, um ihn zu beobachten, „Kannst du wirklich kochen?“
 

„Ja“, schmunzelte Eren und driftete in Erinnerungen ab, „Früher hat mich das nicht interessiert und immer nur genervt, wenn ich meiner Mutter in der Küche helfen musste. Erst als Mikasa dann bei uns gelebt hat, hab ich aus Eifersucht manchmal freiwillig mitgemacht. Allerdings hab ich die meiste Zeit trotzdem nur Unsinn getrieben und mir ständig in die Finger geschnitten. Erst nachdem meine Eltern umkamen und wir den Fraß im Kinderheim nicht mehr ertrugen, haben wir uns heimlich in die Heimküche geschlichen und dort versucht selber zu kochen. Bei zwei Elfjährigen kann man sich das Ergebnis anfangs vorstellen, aber mit der Zeit und dem Segen des Hausmeisters, der uns erwischt hatte, ist es besser geworden. Mittlerweile bin ich recht gut und Armin hat mich immer gezwungen zu kochen, als wir zusammengewohnt haben.“
 

Eren merkte plötzlich verlegen, dass er auf seinen Vorgesetzten gerade mit völlig unerheblichen, privaten Dingen eingeredet hatte und warf einen Blick zur Seite. In den sturmgrauen Augen spiegelte sich leichte Überraschung, aber Levi schien nicht genervt zu sein.
 

„Hm“, Levi lehnte sich mit dem Rücken an die Theke und verfolgte weiterhin sein Tun, „Bei uns bin ich der Einzige, der Nahrungsmittel nicht vergewaltigt und verstümmelt. Die anderen Drei kannst du in der Pfeife rauchen.“
 

„Unsere Gemeinschaftsküche hier ist auch nur Dekoration. Außer Sasha kocht keiner mal etwas und ich hüte mich davor ihnen zu zeigen, dass ich's kann.“
 

„Angst sie abzuweisen?“
 

Eren stockte kurz, dachte nach.

„Ich tue Leuten gerne Gefallen und kann sie schlecht ausschlagen, wenn es keinen triftigen Grund dafür gibt. Ich bin da wohl zu gutmütig.“
 

„Besser jemanden mal vor den Kopf stoßen als etwas gar nicht zu tun.“
 

„Ja, das stimmt schon...“ Eren richtete das Fleisch auf einer großen Platte zurecht und goss die Marinade darüber. Es roch fantastisch und er freute sich darauf nach all der Zeit wieder einen Truthahn essen zu dürfen.
 

„Okay, fertig“, Eren nahm die Platte und freute sich, dass Levi den Soßenspender nahm und ihm die Tür aufhielt, „Danke.“
 

„Wenn das so schmeckt wie es riecht, wird dich das Vierauge allein schon rausfliegen lassen, um dich als Koch anzustellen.“
 

Eren freute sich über das verkappte Kompliment und schöpfte daraus das Vertrauen seine Neugierde in Worte fassen zu dürfen.

„Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?“
 

„Versuch's.“
 

„Sind Sie und Hanji ein Paar?“
 

Levi blieb mitten im Raum stehen und sah ihn an, als hätte er drei Köpfe - und bereit jeden einzelnen davon abzuschlagen. Wenn er sich bei dem Blick nicht fast in die Hose gemacht hätte, hätte er darüber lachen müssen.
 

„Wie war das?“, hakte Levi mit gefährlich leiser Stimme lauernd nach.
 

„Ähm-“ Mehr brachte Eren nicht über die Lippen. Was war so schlimm an der Frage?
 

„Wie kommst du auf so eine schwachsinnige Idee?“
 

„Nur so vom ganzen Verhalten her... Es wirkte sehr vertraut.“ Wer traute sich denn sonst den General-Leutnant ständig zu umarmen und anscheinend hatte sie ja mal ein Auge auf ihn geworfen gehabt...
 

„Wir kennen uns seit vierzehn Jahren“, erklärte Levi und sah ihn befremdet an, „Wir haben den Vierten Weltkrieg zusammen durchgemacht. Und es ist Hanji.“ Der letzte Satz sollte nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen alles erklären.
 

„Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht beleidigen, oder so...“, stammelte Eren mit heißem Kopf.
 

Levi schnaubte, aber seine Körperhaltung entspannte sich deutlich.

„Ich bin nicht beleidigt. Ich bin nur verblüfft, dass jemand auf so eine abwegige Idee kommen könnte.“
 

„Entschuldigung.“
 

„Wenn du dich heute Abend noch einmal für irgendetwas entschuldigst, trete ich dir so hart in den Arsch, dass du an meiner Schuhspitze nuckeln kannst“, verkündete Levi trocken und drehte sich um.
 

Eren nickte und folgte ihm verschreckt.
 

*~*
 

Zufrieden ließ sich Hanji neben Levi auf die Couch fallen. Sie hatte sich überfressen und fühlte sich träge. Das Essen und vor allem der Truthahn waren fantastisch gewesen. Sie hatte kaum mit dem Essen aufhören können.
 

Levi hielt sich an einem Weinglas fest und ignorierte sie geflissentlich.
 

„Glaubst du, ich kann von Eren verlangen, dass er für uns kocht, bis die Ferien vorbei sind?“ Sie starrte so lange auf Levis Profil, bis er so genervt war, dass er ihren Blick erwiderte. Das funktionierte fast immer.
 

„Du kannst dir ja kochen beibringen lassen.“
 

„Das wäre sicherlich lustig“, grinste sie bei dem Gedanken an das vermutliche Chaos dabei.
 

Sie blickte wieder zum Küchentisch. Die Jungs hatten Eren dazu überredet ihm Poker beizubringen und er lernte erstaunlich schnell.
 

„Was hältst du von ihm“, erkundigte sich Hanji wohlwissend, dass sie außer Hörweite waren.
 

„Was soll ich schon von ihm halten? Er ist ein stures Kind mit großem Potenzial, das Angst vor der eigenen Courage hat.“
 

Hanji grinste bei Levis Worten in sich hinein.

„Ja, ja. Mit der falschen Behandlung kann man das beste Rennpferd zum alten Klepper verkommen lassen.“
 

Levi trank einen großen Schluck, Verachtung in den Augen. Er hatte selbst viele Arschlöcher erdulden müssen, die versucht hatten ihn kaputt zu machen.
 

„Wenn er sich in den Stresstests gut schlägt und auch deine Teamwork-Einsätze meistert, können wir aus ihm richtig etwas machen. Er braucht nur die richtige Anleitung beziehungsweise noch mehr von deiner Anleitung.“
 

„Werte mich hier nicht zum Mentor auf.“
 

„So wie er dich anhimmelt, bist du das schon längst.“
 

Levi sah sie auf diese Aussage hin befremdet an und schweifte mit seinem Blick anschließend zu Eren, der am Pokertisch schwitzte.
 

Hanji wusste, dass Levi sich vor emotionalen Bindungen scheute und er sich sowohl unwohl mit Anerkennung fühlte als auch kaum ertrug, wenn jemand ihn durchschaute. Die Aussicht, dass er sich unter Umständen um Eren aus persönlich begründeter Verantwortung kümmern könnte, ließ ihn zurückschrecken.
 

Und das wollte Hanji unter allen Umständen verhindern.

„Du bist der Einzige, der dem Jungen die Gelegenheit gibt sich weiterzuentwickeln. Man erkennt deutlich an seinen manchmal forschen Worten und seinem Einsatzwillen, dass er im Grunde einen starken Charakter hat und ein ehrlicher, mutiger Mensch ist. Ich kann nur erahnen, dass seine vorherigen Ausbilder und Vorgesetzten davon verschüchtert und unfähig waren und ihn deswegen systematisch gedrückt haben. Und nun können wir ihm die Chance geben alles aus sich herauszuholen.“
 

„Und warum soll ich Babysitter spielen? Ich bin kein Seelenklempner. Mach du das halt.“
 

„Weil du ihn verstehen kannst. Ich kann es nur nachvollziehen. Das ist ein großer Unterschied“, erläuterte sie und lächelte dann schelmisch, „Außerdem scheint ihm deine direkte Art und Holzhammer-Methode zu liegen.“
 

„Tch.“ Levi wandte sich von ihr ab als hätte sie ihn beleidigt und füllte sein Glas nach.
 

Sie würde den Teufel tun und ihm sagen, dass sie den Eindruck hatte, dass Eren durch Levis Fassade blicken konnte. Hanji hatte keine Ahnung, wie es ihm gelang, aber er las womöglich mindestens genauso gut in seinen Augen wie sie. Das durfte Levi nicht erfahren, er würde sich sofort zurückziehen.
 

Irgendwie hatte Eren es geschafft Levis Ehrgeiz zu entfachen und dass er sich wohler in seiner Haut fühlte, gleichzeitig konnte Levi ihm beibringen seine Möglichkeiten und Grenzen zu akzeptieren.

Sie taten einander momentan gut und Hanji hoffte, dass es so blieb und Levi sich langsam erholen würde.
 

*~*
 

Es war weit nach Mitternacht, ehe sich Eren von seinen Vorgesetzten verabschiedete.
 

Erwin und Mike - er durfte sie nun auch beim Vornamen nennen - hatten ihn beim Poker ziemlich ausgenommen. Zwar konnte er die eine oder andere Runde für sich entscheiden, aber es stand in keinem Verhältnis, sodass sie ihn pleite machten und Hanji als Ausgleich vorgeschlagen hatte, dass er für sie alle fünf bis zum Ferienende kochte.
 

Eren war das ganz recht. Er brauchte sein Geld und Kochen machte ihm Spaß. Außerdem verbrachte er gerne Zeit mit den anderen und hoffte, noch viel von ihnen und über sie lernen zu können.
 

Eren wollte gerade die restlichen Lebensmittel aufräumen, bevor er schlafen ging und hatte daher mit Hanji abgesprochen, dass er die Haustür zuziehen würde, während die anderen zu Bett gingen. Levi war bereits vor geraumer Zeit plötzlich verschwunden gewesen, doch es schien keinen wirklich zu stören.
 

Seufzend rieb er sich über die müden Augen, während er alle Essensreste in verschließbare Glasschüsseln ordnete, sodass nichts schlecht wurde.
 

Die Tür wurde hinter ihm geöffnet, was ihn sich verwundert umdrehen ließ.
 

Levi stand da. Er trug lediglich schwarze Shorts und ein dunkles Shirt, scheinbar sein Schlafgewand, und blickte ihm mit erhobener Augenbraue entgegen.

„Hast du's so nötig, Schleimer?“, begrüßte er ihn mit leicht rauer Stimme.
 

Eren war zu müde, um sich in irgendeiner Form in Panik versetzen zu lassen.

„Die Anderen waren so erheitert und abgelenkt, dass ich mich lieber selber um das Essen und Geschirr kümmern wollte. Es gab auch keine Einwände.“
 

„Tch. Auch eine Art, um stockbesoffen und faul zu umschreiben. Was schert es dich?“
 

„Eigentlich gar nicht“, erwiderte Eren und beobachtete, wie Levi in die Küche trat und die Tür hinter sich schloss.
 

„Warum lässt du's dann nicht liegen, wenn du dich nicht einschleimen willst?“
 

Eren schnaubte. Ihm war ehrlich gesagt gar nicht der Gedanke gekommen, man könne ihn als Arschkriecher sehen. Das Essen und alles war einfach übrig geblieben und bevor es schlecht wurde, hatte er sich eben dem angenommen. Aus Anstand.
 

Aber eigentlich... hauptsächlich...
 

„Ich wollte noch nicht schlafen gehen.“

Eren wandte sich von Levi ab und verschloss die letzte Schüssel.
 

Er achtete nicht weiter auf den General-Leutnant, als er die ganzen Schüsseln im Kühlschrank ordnete, um auch die Letzte verstauen zu können.
 

Er hörte ein Klicken und Klappern, drehte sich um und sah Levi das Geschirr in die Spülmaschine räumen.
 

„Sie müssen nicht-“
 

„Ich weiß, Rotzlöffel“, unterbrach und ignorierte er ihn.
 

Eren atmete tief durch und begann währenddessen die Ablage zu wischen und ging auch in den Aufenthaltsraum, um die letzten Brösel vom Küchentisch in eine Handschaufel zu kehren.
 

Levi stieß kurze Zeit später zu ihm.
 

„Können Sie mir eventuell mit dem Tisch helfen?“, fragte Eren ihn.
 

Levi sah ihn ausdruckslos an.

„Nein, dass sollen die anderen gefälligst selber machen. Die sind Schuld an dem ganzen Zirkus.“
 

„Warum sind Sie so mies gelaunt? Es war doch lieb von ihnen sich die Mühe zu machen.“ Eren sprach schneller als er dachte, aber obwohl ihm Levis Blick daraufhin schlimme Schmerzen versprach, empfand er Unverständnis und sogar leichte Wut für Levis undankbares Verhalten.
 

„Ich habe nicht darum gebeten“, grollte Levi mit tiefer, bedrohlicher Stimme.
 

„Dennoch war es eine sehr liebe Geste. So etwas machen nur gute Freunde und... argh.“ Eren biss sich auf die Zunge, um sich nicht weiter um Kopf und Kragen zu reden.
 

Er wandte sich von Levi ab und wischte nochmals über die Tischkante. Ein Fehler.
 

Im nächsten Augenblick wurde sein Kopf kraftvoll auf die Tischplatte geschlagen. Er konnte ihn gerade so noch rechtzeitig drehen und sich mit den Händen soweit dagegenstemmen, dass er mit der Wange auf das Holz gedrückt wurde und der einzige Schmerz im Endeffekt von der Hand in seinen Haaren herrührte, die sich fest in ihnen verkrallt hatte.
 

„Du kleines wertloses Stück Dreck glaubst wirklich mich belehren zu müssen“, zürnte Levi mit kalten Augen. Eren wurde deutlich bewusst, wie gefährlich dieser Mann sein konnte. Aber witzigerweise fand er diesmal keine Furcht oder Unsicherheit in sich.
 

Entschlossen und ungebrochen starrte Eren Levi direkt an.

„Ich will Sie nicht belehren. Ich verstehe nur nicht, warum Sie den ganzen Tag versucht haben vor ihnen zu fliehen, obwohl sie Sie wirklich mögen und Ihnen nur Gutes wollen.“
 

Der Griff in Erens Haar verstärkte sich und er wurde etwas fester auf den Tisch gepresst, doch trotz der Schmerzen und Demütigung rührte Eren sich keinen Millimeter. Er würde nicht nachgeben und nicht aufbegehren.
 

Mit einem abfälligen Schnauben riss Levi Eren an den Haaren nach hinten und ließ los, sodass er hart auf den Hintern fiel. Automatisch fasste er sich an den Kopf und rieb sich widerwillig seufzend über seine brennende Kopfhaut.
 

„Du elendiges Balg brauchst nichts zu verstehen. Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß und steck deine Nase nicht in Angelegenheit, die dich 'nen feuchten Scheißdreck angehen.“ Levi stand bedrohlich vor ihm und trotz der Boxershorts strahlte er so etwas angsteinflößendes aus, dass Eren nun doch kurz nach Luft schnappte.
 

„Ich weiß, es stand mir nicht zu, Sir. Aber deswegen müssen Sie nicht gleich körperlich werden.“
 

Eren konnte gar nicht so schnell gucken, wie Levi vor ihm hockte, ihn am Kragen gepackt und vor sein Gesicht gezogen hatte. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast und er spürte Levis gleichmäßigen Atemzüge auf seinem Mund und Kinn. Er bemerkte den Duft frisch gewaschener Wäsche und etwas anderem - Levi roch gut.
 

Eren wusste nicht, ob sein Herz aus aufkommender Panik begann zu rasen oder weil Levi so arg in seinen Intimbereich eingedrungen war, dass er jede Pigmentmaserung in den sturmgrauen, zornigen Augen erkennen konnte.
 

„Warum sind Sie so wütend?“, entfuhr es Eren aufrichtig. Seine Gedanken überschlugen sich, als ihm klar wurde, dass Levi ihn nicht wegen seiner Umgangsart zur Rechenschaft zog, sondern weil es ihm gelungen war in einer offenen Wunde zu bohren.

Doch welche?

Was genau hatte er gesagt?
 

Levi schnaubte und sein Atem roch nach Eukalyptus.

„Du bist mir verdammt ähnlich, Scheißbalg.“
 

Er lockerte seinen Griff und entspannte seine Haltung, auch der Ausdruck seiner Augen beruhigte sich. Er hatte seine Emotionen wieder unter Kontrolle.

„Aber im Gegensatz zu mir laberst du weiter Müll, anstatt zu überlegen, wie du dich aus der Misere befreist.“
 

Levi ließ ihn los und stand ruckartig auf.

„Daran müssen wir noch arbeiten.“
 

Perplex beobachtete Eren, wie Levi ihn hocken ließ und aus dem Raum schritt. Er war zwar irritiert, aber eine Erkenntnis drang in seinen verworrenen Gedanken hervor.
 

„War das ein Angebot zu extra hartem Ferientraining, Sir?“
 

Levi schnaubte abermals. Es klang amüsiert.

„Eine Drohung und ein Versprechen.“
 

Die Worte zogen Erens Lippen zu einem breiten Grinsen auseinander.
 

Das Grinsen sollte ihm in den darauffolgenden Tagen jedoch gründlich vergehen.
 

*~*
 

Er war ein hervorragender Trainer, daran änderte sein immenses Widerstreben eine Leitfigur zu sein herzlich wenig.
 

Natürlich hatte er über die Jahre gelernt Leute anzuführen, Verantwortung zu übernehmen und auch konstruktiv - zumindest eine Zeit lang - auf Idioten einzuwirken und sie zu fördern.
 

Der Krieg hatte ihm alles entrissen und er war zu dem namenlosen Straßenköter verkommen als der er geboren worden war. Doch erneut hatte Erwin ihn aus dem apathischen Sumpf gezogen und ihn mit seiner größten Angst konfrontiert: der Realität.
 

Und wieder war er scheiß fantastisch in seinem Job und drillte diese Gören in die richtige Richtung. Er hatte ein verdammtes Talent dafür das Beste aus den Leuten herauszukitzeln und sah jedes Mal selbst erstaunt auf sein Werk wie ein Kind aufs Töpfchen, das nicht glauben konnte, dass dieser Haufen Kacke aus seinem Arschloch gekommen war.
 

Es entzog sich ihm, warum er so gut sein konnte und die anderen eben nicht. Dass er unwillkürlich besser war als der Durchschnitt. Seine Kameraden sagten, es sei eine Gabe. Und Gaben dürfe man nicht verschwenden, schon gar nicht davor weglaufen.
 

Levi wusste nicht mehr, wohin er laufen sollte. Er war noch nicht alt - obgleich er mehr gesehen und erlebt hatte als so manch alter Knacker - viel Leben lag noch vor ihm. Und da er sich nicht einfach zum Sterben hinlegen konnte, ohne seinen gefallenen Kameraden unrecht zu tun, war er Erwins Ruf gefolgt.
 

Sie hatten sich über die Jahre hinweg angefreundet. Es war keine passionierte Freundschaft, sondern eine stille. Es hatte sich zwischen ihnen ein tiefes Verständnis für den anderen entwickelt, ohne dass sie lange Gespräche führen mussten. Sie hatten gelernt einander zu vertrauen und Erwin war der einzige Mensch, dem Levi blind gehorchte; der Einzige der seine Starrköpfigkeit überwunden hatte.
 

Er hatte es also versucht.
 

Jetzt war er fast ein Jahr im Ausbildungslager und musste feststellen, dass es ihn veränderte. Er begann sich selbst wieder zu spüren, fühlte sich jeden Tag mehr als Mensch und es war erschreckend.
 

Erwin hatte ihm nach anfänglicher Unentschlossenheit die Zügel überlassen und die Ausbilder entlassen, die nicht mit Levi zurecht kamen, und ihm damit großes Vertrauen bewiesen.

Er wollte sich nicht vorstellen, was für Ärger Erwin mit den Ausbildern und den Regierungsfutzis wegen dieser Maßnahme gehabt hatte.
 

Dieses Vertrauen gab ihm Kraft.
 

Hanji um sich zu haben, war für Levi viel schwieriger. Sie war laut, frech, indiskret und penetrant. Sie hatte ihn seit ihrer ersten Begegnung fuchsteufelswild gemacht und geliebt. Er hatte sicherlich alles unternommen, um sie zu verschrecken, außer sie ernsthaft verprügelt. Nichts hatte das enthusiastische, verrückte Weibsbild von ihm abgehalten. Sie war der erste Mensch, bei dem Levi es aufgab sich durchsetzen zu wollen. Kaum hatte sie seine Resignation bemerkt, war Hanji zu einer zwar immer noch heillos aufgeputschten, aber ebenso geerdeten, klugen Kameradin geworden, die Levi mit ihrer Freundschaft so lange erdrückte, bis er sie ebenso sehr mochte.
 

Ihre Art mit ihm umzugehen war heilsam.
 

Auch mit Mike kam Levi zurecht. Er war eine Mischung aus ruhiger Ernsthaftigkeit und schalkhaftem Vergnügen. Er schaffte ein Gleichgewicht zwischen ihnen allen.
 

Nun war Levi so weit sich zu fragen, wo er dabei stand.
 

Er verabscheute den Gedanken, dass seine Kameraden versuchten ihm zu helfen. Er begann wieder sich selbst finden zu wollen.
 

Wer war er vor Kriegsende gewesen?

Wie noch vor der Zeit als Soldat?

Wer war er heute?
 

Nach fast fünf Jahren wollte er die Antwort darauf finden.
 

Er hätte nie gedacht, dass der Auslöser dieser Erkenntnis ein vorlautes Balg sein würde.
 

Eren Jäger war ihm bereits am ersten Tag aufgefallen. Er hatte dieses entschlossene Funkeln in den frappierend grünen Augen, als er durch die Reihen der Rekruten gegangen war. Levi hatte gesehen, dass sich dieser junge Mann anstrengen würde und mit Überzeugung an die Ausbildung ranging.

Anders als so manches karrieregeile oder unsichere Bürschchen.
 

Levi hatte auch die Wut gesehen, als er den blonden Jungen neben ihm angeredet hatte, der sich als sein bester Freund herausstellen sollte. Aber das grünäugige Balg hatte sich nicht eingemischt, sodass Levi ihn ignoriert hatte.
 

Levi bemerkte während der ersten Trainingseinheit, dass Eren Jäger ein sturer Bock, um Gerechtigkeit bemüht und völlig verschreckt von Autoritätspersonen war. Letzteres überraschte Levi, denn normalerweise war er es, der die Leute einschüchterte und nicht sein Rang, doch die expressiven, grünen Augen verrieten ihm, dass Eren ihn zwar respektierte, aber keineswegs fürchtete. Damit hob er sich von nahezu allen anderen Rekruten ab.
 

Er verstand nun, warum Eren sich von Höherrangigen einschüchtern ließ und auch warum Hanji der Meinung war, dass er das Balg am besten fördern konnte. Das war ihm während des Zusatztrainings nach Erens Krankheit selbst aufgefallen.
 

Eren brauchte ihn, wie er Erwin gebraucht hatte. Jemand der ihn richtig förderte.
 

Überraschenderweise empfand er es nicht als lästig so viel Zeit in Erens Training zu investieren und ihre freiwilligen kleinen Schwimmwettkämpfe waren zu etwas geworden, worauf Levi gerne fast jeden Abend zurückkam.
 

Eren war so voller Leben, trotz aller Schicksalsschläge und Widrigkeiten. Er färbte auf Levi ab und erzeugte in ihm ein Bedürfnis ihn zu führen.
 

Er begann Eren zu schätzen.

Und er begann zu akzeptieren, dass auch er geschätzt wurde.

Er erkannte, dass seine Kameraden - nein, Freunde - ihn wertschätzten und er mit ihnen noch etwas besaß, das der Krieg ihm nicht geraubt hatte.
 

In all der Dunkelheit, in die er gestürzt war, hatte er dies nicht erkennen können.
 

Nun war er dankbar, dass Erwin ihn, Hanji und Mike geholt und zusammengeschmissen hatte.
 

All dem zum Trotz mochte Levi es nicht, wenn man in seine Privatsphäre platzte und ihn mit der Nase in die Scheiße drückte.
 

Genau das hatte Eren in der Nacht nach seinem Geburtstag getan. Er verabscheute es, wenn man über ihn urteilte und er hätte bei jedem in diesem Moment barsch reagiert. Im Unterschied zu jedem, hatte dieses Rotzbalg jedoch eine ungeheuer ehrliche Schnauze und zu wenig gesunden Menschenverstand, der ihm sagte, wann er sie zu halten hatte. Deswegen hatte Levi grob reagiert und durfte mit Erstaunen feststellen, wie mutig Eren im Grunde war und wie bekannt ihm der Ausdruck in den grünen Augen vorkam.
 

Nichtsdestotrotz hatte Eren quasi um eine Lektion gebettelt und die bekam er in den folgenden Tagen auch.
 

Levi hatte neben dem üblichen Schwimm- und Lauftraining auch Selbstverteidigung auf den Plan gesetzt, was er noch nie mit Eren allein praktiziert hatte. Es war nicht nötig gewesen, da die Rekruten sich untereinander eher verbessern konnten, als wenn sie von Levi auseinandergenommen wurden.
 

Gegenwärtig verschaffte ihm dies jedoch die Gelegenheit dem vorlauten Balg eine Abreibung nach der anderen zu verpassen, ohne dass es verpönt war.
 

Levi war es egal, dass er sich wie ein Arsch benahm und sich in Schadenfreude suhlte, wenn er Eren flachlegte und der bedauernswerte Junge am Ende des Tages kaum noch für Hanji kochen konnte, weil ihm sämtliche Knochen wehtaten.
 

Es trat genau das ein, was Levi erwartet hatte. Nach den ersten beiden Einheiten hatte Eren so viel Staub gefressen, dass er die Schnauze gestrichen voll hatte und sein Gehirn anwarf. Ganz langsam begann er Levis Vorgehen zu begreifen und ihn zu analysieren.
 

Am fünften Tag gelang es Eren sodann zum ersten Mal erfolgreich ihn zu packen und seitlich gedreht auf dem Boden festzunageln.
 

Schwer atmend saß Eren auf seiner Hüfte, seine Beine fixierend um Levis geschwungen, mit beiden Händen die seinen festhaltend und die Stirn fest auf seine Schläfe pressend. Damit verhinderte er, dass Levi seinen Kopf und seine Extremitäten bewegen konnte, geschweige denn seinen Körper, der durch Erens Gewicht in die Matte gedrückt wurde.
 

„Und jetzt du Genie?“, fragte er abschätzig und völlig ruhig, „Wie willst du mir so Handschellen anlegen, Saftsack?“

Er spürte, wie Eren von der vorangegangenen Anstrengung zitterte, doch sein Griff blieb zu fest, um sich befreien zu können. Noch.
 

„Ich weiß noch nicht“, keuchte Eren ihm atemlos ins Gesicht, was Levi schnauben ließ.
 

Er bemerkte, wie Eren sich bemühte ihn nicht zu sehr anzuschnaufen, aber sie waren sich zu nah, um es gänzlich zu vermeiden und im Augenblick gab es nichts nebensächlicheres, weswegen Levi sich über seine Umsicht wunderte.
 

„Wenn ich jetzt los lasse, werd ich grün und blau geschlagen, nicht?“ Es war eine rhetorische Frage.
 

„Das bist du schon, also was gibt es zu befürchten?“, erwiderte Levi dennoch und spürte Eren amüsiert ausatmen.
 

„Fuck“, fluchte er, ließ jedoch nicht locker.
 

„Auf was warten wir?“ Langsam verlor Levi die Geduld. Er mochte es nicht allzu sehr, verdreht und mit 'nem Sandsack auf sich am Boden zu liegen.
 

„Darauf das jemand kommt?“, erwiderte Eren mit hoffnungsvoller Stimme.
 

Levi seufzte und spannte seinen Körper an, in dem Versuch sich zu befreien, doch mehr als den Kopf konnte er nicht bewegen und auch den fixierte Eren schnell wieder, indem er sich weiter nach vorne beugte und somit mehr Druck mit seiner Stirn auf Levis Schläfe ausüben konnte.
 

Sein Gesicht war nun noch stärker an ihn gepresst und seine Haare und sein Atem kitzelten Levi am Hals, sodass er kurz schauderte.
 

„Oh Gott, verdammt nochmal, du dämliches Balg! Mach schon mal was!“, murrte Levi ungeduldig und atmete tief durch.
 

„Ich häng' hier fest“, jammerte Eren. Es war das erste Mal, dass er sich solch eine Schwäche zu zeigen erlaubte.
 

„Armselig.“
 

„Sagt derjenige, dessen jede einzelne Faser aus purer Kraft besteht.“
 

„Dann mach mehr Krafttraining, wenn du zu schwächlich bist, Jammerlappen.“
 

„Das ist ja das Verwunderliche!“, echauffierte sich Eren, „Ich bin durchtrainiert und größer und trotzdem schaff' ich's einfach nicht!“
 

„Du bist eine lahme Ente“, erwiderte Levi, „Aber wenn es dich tröstet, Prinzessin, mich legt kaum einer flach.“
 

„Das... Hm“, machte Eren amüsiert und ließ für eine Millisekunde ein wenig lockerer.
 

Levi begriff, wohin seine Gedanken abgewandert waren. So ein Idiot.
 

„Wie alt bist du? Muss ich mir auch noch Sorgen machen, dass du einen Ständer kriegst?“
 

„Wa- Was?“, stotterte Eren und zuckte leicht zusammen.
 

Er war nur kurz abgelenkt, doch es reichte Levi, um seinen Kopf zu befreien und ihn gegen Erens Nase zu schlagen. Zwar nicht fest, aber schmerzhaft genug, sodass Eren sich automatisch etwas zurückbeugte.

Gleichzeitig nutzte er die kurzzeitige Lockerung seines Griffs, um ein Handgelenk zu befreien, sich auf dem Boden abzustützen und unter großer Kraftanstrengung zu drehen.
 

Eren rutschte hilflos mit, sodass Levi seine zweite Hand freibekam und sich aus der Umklammerung seiner Beine lösen konnte.
 

Ab da war es ein leichtes den überraschten Jungen unter sich zu bekommen.
 

Levi lag mit dem Oberkörper flach auf Eren, seine Hüfte jedoch gedreht und seine Beine um Erens geschlungen. Den einen Arm hatte er unter seinem Nacken, fixierte diesen mit der Armbeuge, und die andere Hand hielt eine ungeladene P8, deren Lauf er ihm in die Seite drückte.
 

„Fuck! Fuck! Fuck!“, fluchte Eren mit geschlossenen Augen. Er hatte verloren. Zwar hatte er beide Hände frei, aber ausrichten konnte er mit ihnen nichts mehr, wäre die Waffe geladen.
 

So beschränkte er sich darauf die Hände an Levis Seiten abzustützen, als wolle er ihn wegschieben.
 

Levi konnte es nicht lassen und beugte sich ein wenig vor.

„Du bist anscheinend sehr unausgelastet“, flüsterte er in Erens Ohr, „Vielleicht solltest du mal ins Hurenhaus? Oder bist du noch Jungfrau, hm?“
 

Zu Levis Belustigung lief Erens Gesicht puterrot an und er schlug seine großen grünen Augen auf, um ihn verstört anzublicken.
 

„N-Nein,... ich...“, stotterte Eren vor sich hin.
 

Levi konnte nicht umhin sich darüber zu amüsieren und den Spaß höher zu treiben.
 

„Was denn, Eren? Hm? Bring ich dich so aus der Fassung?“, raunte er ihm ins Ohr und wanderte mit dem Lauf der P8 von seiner Taille betont langsam zur Hüfte runter.
 

Diesmal versuchte sich Eren zusammenzureißen. Er atmete bewusst tief durch und fokussierte seinen Blick. Sein Ausdruck hatte sich geändert, war nun klar und selbstbewusst.
 

„Sie wissen schon, dass das unter sexuelle Belästigung fällt?“, erklärte Eren ernst, doch seine Augen blickten ihm gelassen entgegen. Er fühlte sich nicht unwohl. Zumindest nicht auf diese Weise.
 

„Pfft“, machte Levi und richtete sich auf, sodass er auf Erens Hüfte saß, „Stimmt, bei den Polizisten fällt ja alles gleich unter sexuelle Belästigung. Im Militär musst du schon gegen die nächstbeste Wand gefickt werden, um von sowas reden zu können.“
 

„Das ist ja furchtbar!“, entfuhr es Eren ungläubig, „Das muss schrecklich für die Frauen sein.“
 

„Von wegen. Gerade die Frauen waren es, die jede Nacht einen anderen mit in ihre Zelte geschliffen haben. Hanji, das alte Luder, kann dir das bestätigen.“
 

Eren war baff.

„Das muss ja sehr bunt zugegangen sein“, kommentierte er trocken.
 

„Wenn du jahrelang durch die Lande streunst, meist mit denselben Leuten zusammen bist... Wie mir auffiel haben sich hier auch ein paar Pärchen gefunden.“
 

„Schon, aber in der Akademie und auf meinem Revier waren offene Beziehungen unter den Kollegen verboten.“
 

„Wie steif. Beziehungsweise eben nicht“, sinnierte Levi und schob die Waffe ins Halfter.
 

„War es denn erlaubt oder hat man diese... sexuellen Eskapaden lediglich toleriert?“
 

„Solange es von den Frauen ausging wurde darüber hinweggesehen, aber wenn Männer Frauen belästigten, wurde hart durchgegriffen. Bei gleichgeschlechtlichen Affären war es logischerweise unproblematisch.“
 

„Sodom und Gomorrha.“
 

„Tch. Bist du prüde oder nur Jungfrau?“, fragte Levi ungeniert und durfte erneut einen rot anlaufenden Eren beobachten.
 

„Weder noch!“, brachte der hervor, „Ich bin nur etwas konservativ.“
 

„Also prüde oder Jungfrau“, schloss Levi.
 

„Nein! Schon seit ich Zwanzig bin nicht mehr!“, rief Eren. Seinen geröteten Ohren nach zu Urteilen anscheinend bevor er nachgedacht hatte.
 

Levi blickte überrascht auf ihn hinunter.

„Das musste ich jetzt unbedingt so genau wissen“, meinte er sarkastisch und verschämte den Jungen noch mehr, „Und Zwanzig ist alt.“
 

„W-Was? Zwanzig ist nicht alt!“, begehrte Eren empört auf, „Das ist der absolute Durchschnitt! Auch wenn selbst Armin früher dran war...“

Letzteres murmelte er bloß noch, doch Levi verstand jedes Wort.
 

„Okay, das ist jetzt traurig. Selbst dein schüchterner Freund hat seinen Schwanz früher benutzen können.“
 

Levi sah, dass Eren innerlich ruderte. Seine Worte ärgerten und verschämten ihn gleichermaßen, gleichzeitig konnte er sich dagegen nicht so wehren, wie er das bei Gleichgestellten hätte tun können. Levi war neugierig darauf, wie Eren damit fertig wurde.
 

„Er hat halt früher ein passendes Mädchen gefunden“, murrte Eren schließlich.
 

„Und du warst eine kleine wählerische Jungfer, die sich für die große Liebe aufsparte?“ Levi klang abschätzig.
 

„Wenn es so wäre, dann wäre ich tatsächlich noch Jungfrau, aber nein, bei mir hat es eben länger gedauert, bis ich mich auf diese Weise von jemandem angezogen gefühlt habe. Und daran gibt es nichts zu mäkeln“, verdeutlichte ihm Eren mit fester Stimme, der Ärger verflogen.
 

Levi gefiel Erens Reaktion.
 

„Also bist du prüde“, resümierte er ausdruckslos, was Eren resigniert Schnaufen ließ.
 

„Und Sie sind ungehobelt und indiskret“, entgegnete Eren bemüht ruhig.
 

„Friss oder stirb.“
 

Erens Blick schien ihn daraufhin zu durchbohren. Es war in Ordnung. Levi war zufrieden mit Erens Verhalten und hoffte, dass Hanji es bei ihren bevorstehenden Tests auch sein würde.
 

„Dein Benehmen gegenüber Vorgesetzten lässt ganz schön zu wünschen übrig, Balg“, tadelte er ihn mit herablassender Stimme.
 

„Wäre nicht das erste Mal, Sir“, grinste Eren plötzlich frech, sodass seine Augen belustigt blitzten.
 

Ein angenehmes Gefühl wanderte seinen Bauch hinauf in seine Brust, als Levi anfing dieses Spielchen zu genießen. Er beugte sich wieder hinab, diesmal wurde er jedoch von Erens Händen an der Brust auf halber Höhe gebremst.

„Wären wir im Militär würden mir einige Dinge als Maßregelung für dich Grünschnabel einfallen“, raunte er lasziv.
 

Levi wagte es nicht sein Becken gegen Erens zu drücken, das würde tatsächlich den Rahmen der guten Sitten sprengen und er konnte nicht einschätzen, wann bei dem Jungen der Spaß aufhörte.
 

Jedenfalls brannten dessen Wangen und die grünen Augen starrten ihn wieder verunsichert an. Aber immerhin, andere hätten nie den Blickkontakt halten können.
 

Levi zuckte mit der Augenbraue und griff nach Erens Handgelenken. Er leistete keinen Widerstand, als er sie jeweils neben seinem Kopf festhielt und sich abermals zu seinem Ohr runter lehnte.

„Wenn dich dieses Thema so aus der Fassung bringt, sollte ich vielleicht Hanji davon erzählen, damit sie dich bei ihren Psycho-Tests damit triezt, hm?“, hauchte er selbstzufrieden, als er Erens Schaudern spürte.
 

Nicht gerechnet hatte er damit, dass Eren beschloss sich aufzusetzen.
 

Eren erhob seinen Oberkörper und schob Levi somit zurück. Da er jedoch immer noch auf seiner Hüfte saß, schlang Eren instinktiv die Arme um seinen Rücken, um nicht wieder nach hinten zu fallen. Levi musste sich ein wenig stärker mit den Knien abstützen und sich leicht erheben, damit er nicht mitgezogen wurde.
 

Sie waren sich unerhört nah. Ihre Oberkörper lagen flach aufeinander, Erens Kinn lag auf seiner Schulter und die Hände unterhalb seiner Schalterblätter. Er konnte sogar den schnellen Herzschlag des Jungen spüren.
 

Normalerweise verabscheute Levi so engen Körperkontakt, abgesehen davon, dass es ihren Handlungen nun an jeglicher sportlicher Bedeutung mangelte. Im Moment störte es ihn jedoch herzlich wenig, zu neugierig war er darauf, wie sich Eren aus dieser Situation lavieren wollte.
 

Er überraschte Levi erneut.
 

„Wer sagt denn, dass es auch Hanji gelingen könnte, mich so aus der Fassung zu bringen?“ Erens Stimme triefte nur so vor anrüchigen Versprechungen und war tiefer und rauer als gut für ihn war. Simultan fuhr Eren mit den Fingerspitzen hauchzart von seinen Schultern zu seiner Taille hinab, was Levi sämtliche Härchen aufstellen ließ.
 

Das war der Augenblick, an dem es ihm zu viel wurde und er sich schwungvoll und ungehindert von Eren erhob.
 

Ihm lagen bereits allerlei gehässige Kommentare auf den Lippen, als ihn der Ausdruck in Erens Augen die Sprache verschlug.
 

In den grünen Augen spiegelte sich offener Triumph und ein selbstherrliches Grinsen zierte seine Lippen. Dieses elendige Scheißbalg hatte es darauf angelegt und geschafft ihn zum Rückzug zu bringen, wurde Levi schlagartig bewusst.
 

Eren erkannte Levis Verblüffung wohl, denn er grinste, wenn möglich, noch breiter und funkelte ihn verschmitzt an.
 

„Das gefällt dir Gör' jetzt“, stellte Levi trocken fest und empfand keinerlei Verdruss.
 

„Oh ja und wie“, lachte Eren und stand ebenfalls auf, sichtlich mit einigen Schmerzen von den vorangegangen Raufereien.
 

„Erwins tote Mutter bewegt sich eleganter als du“, kommentierte Levi seinen Zustand.
 

„Sie wurde wahrscheinlich auch nicht x-Mal von Ihnen niedergemäht“, seufzte Eren und rieb sich sein bläuliches Handgelenk.
 

„Tch. Dann freu dich, dass du die nächsten neun Tage frei hast.“
 

„Wie frei?“ Eren betrachtete ihn völlig perplex wie ein Welpe, dem man sein Lieblingsspielzeug aus dem Maul genommen hatte.
 

„Hanji ist der Meinung, dass wir zu viel trainieren und du dich ausruhen musst und damit hat sie recht.“ Wenn er Eren so ansah, war es womöglich etwas zu viel des Guten, insbesondere, wenn man die bevorstehenden Ausbildungseinheiten berücksichtigte. Er wollte nicht, dass Eren sich übernahm.
 

Levi ging aus der Turnhalle, hörte jedoch Schritte hinter sich.

„Und Sie sind auch dieser Meinung?“
 

„Ja.“
 

Er hörte, dass Eren ihm hinterherging, doch er schwieg bis sie vor dem Gebäude standen und sich ihre Wege trennten.
 

„Levi“, begann Eren und lächelte ihn spitzbübisch an, „Ich denke, das abendliche Schwimmen tut mir wirklich gut.“
 

Levi erwiderte Erens Blick gleichgültig, doch innerlich schmunzelte er über seine Worte.

„Wenn du's so nötig hast“, schnaubte er und wandte sich um.
 

Eren lachte leise.
 

*~*
 

Bereits am nächsten Tag wusste Eren nichts mit all der Zeit anzufangen. Klar, er lag im Bett und seinem von Hämatomen übersäten Körper tat die Ruhe wirklich gut und er konnte zur Abwechslung mal einen Roman lesen, dennoch hielt bei ihm die Langeweile Einzug.
 

Umso froher war er, dass er ab 12:00 Uhr für Hanji kochen sollte und dann hoffentlich ein wenig Gesellschaft bekam. Heute war Silvester und sie würden sich auch kurz vor Mitternacht noch einmal auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes treffen, da es das höchste Gebäude im Komplex war.
 

Als er das Appartementhaus der vier Soldaten betrat, empfing ihn nur Stille. Er dachte sich nichts dabei und ging einfach in die Küche, um den Pot au feu zuzubereiten.
 

Nach ein paar Minuten hörte er Hanjis enthusiastische Stimme draußen durch das Treppenhaus schallen und schlich neugierig zur Tür, um zu lauschen.
 

„Sei doch nicht so ein Spießer und gönn' einer untervögelten Freundin einen schönen Anblick!“, hallte es glasklar durch die Küchentür und trieb Eren die Schamröte ins Gesicht.
 

„Fick dich, scheiß Vierauge“, grollte es bedrohlich zurück und stachelte Erens Neugier noch mehr an.
 

Er wagte es die Küchentür einen Spalt breit zu öffnen und ins Treppenhaus zu schielen und hielt den Atem an.
 

Levi und Hanji standen auf dem ersten Treppenabsatz, er ein paar Stufen höher und nur mit einem Handtuch um den Hüften, das er vorne festhielt, um zu verhindern, dass Hanji es ihm runterzog.
 

Es war eine alberne Szene, wie man sie aus der Schule kannte - nur vielleicht mit umgekehrten Rollen - und Eren musste seine Vorgesetzten einfach anstarren.
 

Levis Haut glänzte noch feucht und seine Haare waren nass und er konnte verstehen, dass Hanji dieser Anblick gefiel. Er war ein beneidenswert gut gebauter Mann.

Aber der Blick in Levis sturmgrauen Augen war bedrohlich und versprach viel Pein, was Hanji allerdings komplett ignorierte. Eren fand ihren Mut bewundernswert. Sie grinste Levi wie eine Verrückte an und geiferte ihm mit funkelnden Augen hinterher, die eine Hand ins Handtuch gekrallt.
 

„Nur wenn ich dafür eine Vorlage kriege“, grinste sie unverschämt und völlig gelassen unter dem erdolchenden Blick.
 

Levi sagte nichts, sondern ging einen Schritt rückwärts die Treppe hoch, doch Hanji hielt sich weiterhin fest und zog ihm das Handtuch fast runter.
 

„Verdammt nochmal, du blöde Schnalle! Lass sofort los oder ich trete dir in deine dumme Fresse!“, fluchte Levi und nur er konnte so etwas in leisem Tonfall ehrlich erschreckend klingen lassen.
 

Hanji ließ das unbeeindruckt. Sie rührte sich keinen Millimeter und grinste weiterhin bekloppt in Levis Gesicht.
 

„Zier dich doch nicht so! Da gibt es nichts, was ich nicht schon gesehen hätte“, gluckste sie mit einem schalkhaften Glimmen in den haselnussbraunen Augen.
 

„Gut, dann bemüh deine Phantasie“, spukte Levi aus und stemmte nun eine Hand in Hanjis Gesicht, um sie wegzudrücken, doch die Frau war stur und hielt sich nur fester am Handtuch fest, während sie zeterte.
 

Der ganze Lärm schien nicht nur Eren auf den Plan zu rufen, denn weiter oben ging eine weitere Tür auf.

„Was soll das?“
 

Mit großen Augen sah Eren Erwin die Treppe hinunterkommen. Ruhig, erhaben wie immer.

„Hanji. Warum leistest du Levi nicht in der Sauna Gesellschaft, wenn du ihn unbedingt nackt sehen willst?“
 

Diese Worte zerstörten Erens Bild vom General irgendwie.
 

„Das versuche ich ja, aber er macht's immer heimlich“, beschwerte sich Hanji als wäre Levis Benehmen eine Untat.
 

„Warum wohl“, zischte Levi und warf Erwin einen bösen Blick zu.
 

Der erwiderte das mit einem belustigten Lächeln und ging an ihm vorbei.

Dann lagen die stahlblauen Augen plötzlich auf ihm.
 

„Hallo Eren“, begrüßte Erwin ihn freundlich wie immer als würde sich hinter ihm keine peinliche Szene abspielen.
 

Levi und Hanji zuckten beide überrascht zusammen. Sie hatten ihn offensichtlich nicht bemerkt.
 

„Hallo“, brachte Eren kleinlaut und mit hochrotem Kopf heraus. Alle Augen lagen auf ihm, aber er konnte sich nicht rühren, um etwas sinnvolles zu machen, wie zum Beispiel die Küchentür schließen und weiter kochen.
 

„Hey Eren“, strahlte Hanji ihn nach der ersten Schrecksekunde an, was Levi nutzte, um sich von ihr loszureißen.
 

Schnell sprang er einige Stufen hinauf, bevor sich die protestierende Frau wieder in ihn krallen konnte.

„Leeeevi! Traum meiner schlaflosen Nächte!“, rief sie ihm theatralisch mit erhobenen Händen nach und fiel auf die Knie.
 

„Du bist so ein krankes Weib“, moserte Levi auf seinem Weg nach oben, während Hanji noch ein paar Mal sehnsuchtsvoll seinen Namen rief.
 

Eren war so gefangen von diesem Anblick, dass er Erwins Augen auf sich zu spät bemerkte.
 

„Willkommen im Irrenhaus“, sagte er mit einem leichten Grinsen, als sich ihre Blicke kreuzten, „Das ist hier der alltägliche Wahnsinn mit den Zweien.“
 

„O-Okay.“ Eren sah etwas verloren zu Erwin hoch, der ihm aufmunternd zu nickte, ehe er in den Gemeinschaftsraum ging.
 

Eren nahm das zum Anlass sich wieder um seine Angelegenheiten zu kümmern und schnitt einen Salat zurecht.
 

Er war nicht lange allein.
 

„Hey“, begrüßte ihn Hanji ein paar Minuten später grinsend, „Ich hoffe wir haben dich nicht zu sehr verschreckt.“
 

Eren sah sie etwas befremdet an, lächelte dann jedoch.

„Man macht oft Unsinn mit Freunden. Es ist bloß seltsam, wenn man seine Vorgesetzten dabei beobachtet und erkennen muss, dass es auch nur Menschen sind.“
 

Seine Worte brachten Hanji zum Lachen. Sie setzte sich auf die Küchentheke und sah ihn mit dieser ruhigen Gelassenheit an, die Eren wieder daran erinnerte, wie intelligent und ernstzunehmend diese Frau war. Man konnte sie nur nicht in eine Schublade stecken; zumindest scheiterte dieser Versuch offensichtlicher als bei anderen.
 

„Schön, dass du so verständig bist und es richtig einordnest.“
 

„Denken Sie, ich würde nach so einer Szene den Respekt verlieren?“, fragte Eren überrascht.
 

„Es ist schwer Situationen emotional voneinander zu trennen“, erklärte sie und richtete ihre Brille.
 

„Ja, aber Respekt hat man oder nicht. Es ist nur schwer sich an seine eigene Position zu erinnern und nicht aus der Rolle zu fallen“, sinnierte Eren und dachte an die gestrige Selbstverteidigungseinheit mit Levi, die etwas ins Informelle abgerutscht war.
 

„Da hast du Recht. Wenn du dabei an deinen Umgang mit Levi denkst, kann ich dich aber beruhigen“, zwinkerte sie ihm zu, „Levi legt keinen großen Wert auf Förmlichkeiten, ihm ist nur wichtig, dass man ihn respektiert und seinen Befehlen gehorcht.“
 

Eren sah Hanji nachdenklich an. Er wollte mehr davon hören, mehr über Levi erfahren. Er übte eine ungeheure Anziehungskraft auf Eren aus.
 

„Du willst, dass ich aus dem Nähkästchen plaudere, hm?“, durchschaute ihn Hanji problemlos, was Eren peinlich berührt kurz wegsehen ließ.
 

„Ich bin nur neugierig. Er ist anders als alle vorherigen Ausbilder, die ich je kennengelernt habe“, rechtfertigte Eren sich ehrlich.
 

„Das glaub ich“, schmunzelte sie, „Er ist schon eine Marke. In unserer Kompanie war es nicht anders.“
 

Eren hing ihr geradezu an den Lippen, sodass sie grinsend den Kopf schief legte, bevor sie weiter erzählte.
 

„Levi hat sich mit seinem überaus ehrlichen Schandmaul in Windeseile bei all seinen Vorgesetzten beliebt gemacht und ist bloß nicht geflogen, weil er ebenso herausragend in allen militärischen Disziplinen war. Er war zwar schon vier Jahre beim Militär, als wir uns kennen gelernt haben, aber auch mit Zwanzig, Einundzwanzig hatte ihn noch keiner klein gekriegt. Erst als Erwin sich zu seinem Vorgesetzten aufschwingen konnte, wurden Levis Fähigkeiten in die richtige Richtung geleitet und je mehr Freiraum man ihm ließ, desto besser wurde er. Er war der beste Soldat, den wir hatten und der mir bis heute untergekommen ist.“
 

„Warum hat er dann aufgehört?“
 

Das leicht verträumte Lächeln verschwand von Hanjis Lippen und grimmiger Ernst ließ sie die Lippen zusammenpressen.

„Ich weiß, dass viel über Levi geredet wird, aber Eren“, sie sah ihn eindringlich an, „du darfst das alles nicht glauben. Es ist schlimm genug, dass Levi selbst all diesen Bockmist glaubt und es ist falsch.“
 

Verachtung und Trauer spiegelte sich in den haselnussbraunen Augen und ließen ihn mit einem beklommenen Gefühl zurück.
 

„Frag ihn bitte nicht danach, was damals geschehen ist“, verlangte Hanji von ihm.
 

Eren nickte.

„Ja.“
 

„Wunderbar!“, rief sie plötzlich und klatschte in die Hände, „Was kochst du alles feines?“
 

Der abrupte Themen- und vor allem Stimmungswechsel irritierte Eren, aber er ließ sich darauf ein und erklärte Hanji was er tat und ließ sich von ihr mit allen möglichen Fragen bezüglich Soßen, Salate und Gewürze bombardieren.
 

***
 

Sie saßen außer an Levis Geburtstag immer in der Küche zum Essen, sodass erst alle eingetrieben werden mussten. Diesmal hatte Hanji ihn gebeten die Männer zusammenzutreiben, während sie den Tisch deckte, sodass Eren als erstes in den Gemeinschaftsraum ging und Erwin fand.
 

„Sir? Das Essen ist fertig“, rief Eren, um den Fernseher zu übertönen. Erwin sah sich irgendeine Nachrichtensendung an.
 

Er drehte seinen Kopf zu Eren und lächelte ihn an.

„Danke, ich komme gleich.“
 

„Wissen Sie zufällig, wo die anderen sind?“
 

„Mike ist draußen. Warte, ich rufe ihn an.“ Erwin zog sein Mobiltelefon aus der Hosentasche und rief an, doch keiner ging ran. Er seufzte und wählte eine andere Nummer.

„Anscheinend hat er sein Telefon nicht dabei. Ich gehe ihn holen. Er müsste drüben im Büro sein. Levi ist wahrscheinlich noch Zuhause, aber auch er geht nicht ran. Am besten du klopfst bei ihm. Er wohnt ganz oben.“
 

Erwin schaltete den Fernseher aus und stand auf.
 

„In Ordnung.“

Eren fühlte sich nicht gar so wohl Levi persönlich aus der Wohnung zu klopfen, aber er gehorchte. Ein wenig neugierig war er nichtsdestotrotz, vielleicht konnte er einen Blick in das Appartement erhaschen.
 

Er klopfte selbstbewusst an die Wohnungstür im Dachgeschoss, aber nichts rührte sich. Also klopfte er nochmal, diesmal länger.
 

Er erschrak, als sie plötzlich aufgerissen wurde und er auf einen mehr als genervten Levi hinabblickte.
 

Der Ausdruck in den sturmgrauen Augen veränderte sich von mörderisch zu neutral, als er ihn erkannte.

„Ist das Essen fertig?“, hakte er nach, doch drehte er sich um, ehe Eren antworten konnte und ging ins Appartement zurück.
 

„Ja, Sir.“ Erst jetzt fiel ihm auf, dass Levi nur in Shorts und T-Shirt herumlief, ein weißes Tuch um den Hals hatte und einen Staubwedel in der Hand. Anscheinend hatte er geputzt.
 

„Ich zieh mich um“, erklärte er und verschwand mutmaßlich im Schlafzimmer.
 

Da er die Tür offen gelassen hatte, stand Eren im Rahmen und beäugte neugierig das Interieur der Wohnung. Wenn man eintrat, kam man sofort in den geräumigen Wohn- und Essbereich. Die Einrichtung war sehr hochwertig und schick, aber genauso kühl und unpersönlich. Alles lag auf dem rechten Platz und nirgends sah man etwas persönliches herumliegen. Es wirkte wie ein verkaufsbereites Modellzimmer.
 

Levi brauchte nicht lange und kam in Jeans und dunkelblauem Rollkragenpulli zurück. Er kleidete sich immer gut.
 

„Was glotzt du so“, holte Levi ihn aus seinen Gedanken und trat nach draußen.
 

Diesmal verschreckte der schroffe Ton ihn nicht.

„Warum gibt es eine Gemeinschaftsküche, wenn die Appartements eigene Küchen haben?“
 

„Weil jemand gerne Steuergeld verprassen wollte“, bemerkte er desillusioniert und sie stiegen nebeneinander die Stufen hinab.
 

„Kocht ihr dann öfter für euch selbst?“
 

„Nein. Die Anderen können gerade mal 'ne Tütensuppe machen, ohne etwas zu zerstören und ich habe keine Lust für uns alle zu kochen. Ich mag es nicht.“
 

„Also nehmen Sie lieber mit dem Fraß in der Mensa Vorlieb?“, schloss Eren zweifelnd.
 

„Du doch auch.“
 

„Mir macht das nicht viel aus, aber ich habe Sie für jemanden gehalten, der mehr Ansprüche an seine Ernährung stellt“, erläuterte Eren ehrlich.
 

Levi kräuselte leicht verekelt die Nase.

„Deswegen mache ich mir oft irgendwelche Kleinigkeiten selber. Wenn ich eine richtige Mahlzeit kochen würde, säße mir Hanji im Genick und ich müsste für alle ständig etwas machen. Dazu habe ich weder Lust, noch genug Rezepte. Im Gegensatz zu dir kann ich nicht so aufwändige Großkotz- Gerichte.“
 

„Ich mach sonst auch immer einfache Gerichte. Nach dieser Woche habe ich die aufwendigsten, die ich kann, verbraucht“, gab Eren zu.
 

„Wolltest du protzen?“
 

„Ich wollte die Gelegenheit nutzen an teure Lebensmittel zu kommen.“
 

Ein Glucksen ertönte neben ihm, was Eren zu Levi sehen ließ. Er traf auf einen belustigten Blick und selten nach oben gezogenen Lippen. Levi lächelte und das machte Eren froh.
 

Als Levi die Tür zur Gemeinschaftsküche aufzog, verging es diesem bei Hanjis Geschrei jedoch wieder.
 

***
 

Den Abend verbrachte Eren in seinem Zimmer im Bett und las einen Fantasy-Roman. Leise Musik aus seinem Taschenspieler verdrängte die einsame Stille, an die er sich langsam gewöhnte.

Ansonsten herrschte vor seiner Tür immer heilloses Brimborium, wenn ihre Stockwerkgenossen hin und her rannten und in der Küche wüteten.
 

Umso sensibler reagierte Eren, als er draußen ein Geräusch hörte.
 

Verwundert und mit der Vorahnung, dass ihn einer der Militärs sprechen wollte, trat er aus seinem Zimmer.
 

Wer ihm da überrascht ins Gesicht gaffte, ließ ihn irritiert innehalten.

„Jean?“, purer Unglaube schwang in Erens Stimme mit, „Was machst du denn hier?“
 

Jean betrachtete ihn ebenso perplex, fing sich dann jedoch und setzte sein typisch überhebliches Gesicht auf.

„Das könnte ich dich genauso gut fragen, Hohlkopf.“
 

Missmutig und mit einem großen Rucksack auf dem Rücken schob er sich an Eren vorbei in Richtung seines Zimmers.
 

Eren folgte ihm neugierig und zugegebenermaßen voller Unverständnis.

„Heute ist Silvester. Solltest du nicht zu Hause sein und mit Champagner anstoßen?“
 

Jean knallte ihm die Tür vor der Nase zu, was Eren nicht davon abhielt sie langsam leise zu öffnen.
 

Jean teilte sich mit Marco ein Zimmer und es war recht gemütlich. Die Wandregale quollen über vor lauter Büchern wie bei Armin und Poster mit historischen Motiven oder Nachbildungen von berühmten Kunstwerken hingen an der Wand. Man konnte nicht genau sagen, wo bei Marco und Jean die Trennlinie verlief. Sie schienen sich gut zu ergänzen.
 

Eren beobachtete wie Jean den Rucksack absetzte und sich die nassen Winterklamotten auszog. Dabei bemerkte er den trüben Blick in den zuvor überheblich funkelnden Augen.
 

„Was zum Teufel willst du? Das ist mein Zimmer, verpiss dich“, fauchte Jean, als er Eren im Türspalt stehen sah.
 

Die stille Verzweiflung in Jeans Augen traf Eren. Zum ersten Mal erkannte er etwas verletzliches an ihm und empfand plötzlich keinen Groll gegen seinen unfreiwilligen Gegenspieler.

„Bleibst du die restlichen Ferien hier?“
 

„Was geht's dich an, Idiot?“, moserte Jean, doch als Eren nicht wie gewohnt wütend wurde, seufzte er resignierend, „Ja, ich bleibe.“
 

„Gut. Um halb Zwölf treffen wir uns mit den Militärs auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes zum Anstoßen und Feuerwerk gucken“, verlautbarte Eren und schloss die Tür. Er ignorierte Jeans irritierten Ausruf und machte es sich wieder in seinem Bett gemütlich.
 

Von allen Rekruten musste ausgerechnet Jean zurückkommen. Das war für Eren eine mittlere Katastrophe. Sie konnten einfach nicht miteinander und der Gedanke, dass Jean ihn für die anderen kochen sah, gefiel Eren noch weniger. Er konnte sich die Anschuldigungen ausmalen, wobei sich sein Magen umdrehte. Aber er konnte jetzt auch nichts mehr daran ändern und nur hoffen, dass sie sich arrangieren würden ohne dass einer umkam.
 

***
 

Eren fand Jean um elf Uhr nachts in der Küche, wo er sich Dosenravioli warm machte. Der sonst so stolze Mann kam ihm vor wie ein verprügelter Hund. Als er ihn bemerkte, richtete er seine Körperhaltung prompt auf und warf ihm einen herablassenden Blick zu.
 

Alles nur Fassade wurde Eren klar.
 

„Zoë hat mich gezwungen für sie und die anderen zu kochen, das heißt, Morgen gibt es Mittags was richtiges“, legte Eren die Karten gleich auf den Tisch und erntete ein Schnauben.
 

„Warum sollte ich deinen Fraß essen wollen?“, spuckte er, während er die Ravioli mit einem Holzlöffel geruhsam im Topf umrührte.
 

„Weil es auch Erwin Smith, Zacharias und Rivaille schmeckt und ich bis zum Ferienende kochen muss.“
 

„Du bist schon sehr verzweifelt, dass sie dich in die ESE lassen, was?“, provozierte Jean ihn hochnäsig, „Vögelst du sie auch alle?“
 

Normalerweise wäre das der Moment, in dem Eren die Geduld verlor und versuchen würde Jean eine zu Wischen. Überraschenderweise fühlte er sich komplett ruhig. Das Bedauern für Jean überwog seinen Ärger bei Weitem.
 

„Nein. Es war Zufall, dass sie herausgefunden haben, dass ich kochen kann.“
 

Jean starrte ihn an, als sei er von einem anderen Stern. Nun gut, seine Gelassenheit war ein Novum.
 

„Warum bist du hier? Brauchst du was?“

Jean wollte ihn erkennbar loswerden und es faszinierte Eren, dass er ohne sein Kontra selbst ruhig wurde und ihn nicht weiter beleidigte.
 

„Nein, ich wollte nur nachsehen. Wir müssen dann sowieso gehen.“
 

„Ich will nicht mit.“
 

„Es wäre aber besser, wenn du gehst“, versuchte Eren ihm zu verdeutlichen, „Sie sind okay und was machst du schon allein hier.“
 

„Das geht dich nichts an“, knurrte Jean und füllte den Inhalt des Topfes in eine Schüssel.
 

Eren wollte Jean nicht beim Essen beobachten.

„Ich hol dich in zwanzig Minuten.“
 

Jean schwieg.
 

***
 

Wie Eren es erwartet hatte, war Hanji umgehend zu ihnen gestürmt, als sie Jean erblickte. Sie fragte nicht, warum er da war, aber das war auch schon die einzige Frage, die sie ihm nicht stellte.
 

Erwin und Mike leisteten ihr Gesellschaft und er konnte hören, dass sie Jean erlaubten sie mit Vornamen anzusprechen. Eren war froh, dass er nicht nur wegen Jeans Anwesenheit wieder zur formalen Anrede wechseln musste.
 

Er hatte kein Interesse an Jeans Inquisition und tappte zum Rand, wo Levi abseits und unberührt von dem Tumult am anderen Ende des Daches stand.
 

Eren stellte sich neben ihn und schwieg. Vor ihnen lagen die Grenzlichter der Mauern, die den Komplex abschirmten. Daran schloss der leicht wegen Frost glitzernde Wald an und dahinter konnte man die Lichter der ersten Ortschaften Münchens schimmern sehen. Es war ein schöner Anblick.
 

„Magst du die Natur“, durchbrach Levis ruhige Stimme unerwartet die angenehme Ruhe zwischen ihnen.
 

Eren wandte leicht den Kopf, wurde jedoch nicht angesehen.

„Ja, sehr. Ich sehne mich danach einmal meinen ganzen Jahresurlaub in den Wäldern Kanadas zu verbringen.“
 

„Kanada ist eine Reise wert.“
 

„Sind Sie viel gereist? Privat, meine ich...“ Als Soldat im Krieg reiste man schließlich weit, sah jedoch nichts.
 

„Die letzten Jahre habe ich mir die Welt angesehen.“ Levis Stimme war gesenkt und monoton.
 

Erstaunt blinzelte Eren, ehe er wieder die Lichter in der Ferne betrachtete.

„Gibt es einen Ort, der Ihnen besonders gefiel?“
 

„Nein“, war die klare Antwort, was Eren sich ernüchtert den Kragen seines Wintermantels höher ziehen ließ. Es war windstill und kalt.
 

Die Antwort konnte man deuten wie man wollte.
 

„Haben Sie die Reise bereut?“, hakte Eren nach.
 

„Nein.“
 

Vermutlich war es unmöglich einen Ort zu bestimmen, der sich von allen anderen abhob, erklärte sich Eren die Antwort.
 

Die anderen polterten sich heran und kamen neben sie. Hanji stellte sich zwischen Levi und Erwin, während Mike neben dem General und Jean neben Eren stehen blieb.
 

Es war sicherlich das erste Mal in diesen Tagen, dass Eren Hanji still erlebte und genoss den Ausblick mit angenehmen Schweigen.
 

Sie brauchten keine Uhr, um den Sprung ins neue Jahr zu bemerken. In der Weite sah man unzählige Feuerwerkskörper über den Dächern Münchens explodieren. Farbenprächtig und pompös.
 

„Yahoo!“, kreischte Hanji und zog Levi und Erwin mit dem Arm um deren Hals näher zu sich, „Frohes neues Jah~r 2122!“
 

Voll kindlichem Entzücken genoss Eren das farbenfrohe Spektakel. Nur kurz sah er nach links, sah Levi an Hanjis Seite gedrückt und ein wenig zufrieden dreinblickend. Rechts von ihm stand Jean mit verschränkten Armen, scheinbar verfroren.
 

Eren schielte etwas genauer zu ihm und erkannte im Licht des Feuerwerks Tränen über Jeans Wangen rinnen.
 

***
 

Die folgenden Tage beschränkte sich Eren darauf zu versuchen mit Jean zu trainieren. Das Pferdegesicht machte ihm mit seinen Worten jedesmal das Leben schwer und begegnete ihm mit viel Skepsis und Misstrauen.
 

Doch Eren gelang es ruhig zu bleiben und konnte verblüfft feststellen, wie sich solch - laut Armin - vernünftiges Verhalten im Umgang mit Jean auswirkte.
 

Früher oder später kam Jean immer nach, lief oder schwamm mit ihm. Sie schwiegen viel und das war ein Fortschritt.
 

Glücklicherweise musste sich Eren keine weiteren Kommentare mehr wegen seinem Kochauftrag anhören. Die Militärs nahmen Jean problemlos ebenfalls auf, sodass sie jeden Tag miteinander aßen.
 

Es war anders als zuvor. Hanji war ruhiger, eher wie im Unterricht. Sie sprachen viel über Politik mit Jean, gaben wenig bis gar nichts persönliches preis. Levi schwieg meistens oder korrigierte irgendwelche Ausführungen mit dieser trockenen, ungehobelt-ehrlichen Art, womit er Jean ein paar Mal zum Stottern brachte.
 

Sonntags durften sie im Verwaltungsbüro mit ihren Angehörigen telefonieren. Das war ihr einziger Kontakt zur Außenwelt, da sichergestellt werden musste, dass niemand Schindluder mit seinen elektronischen Spielzeugen trieb und anfangs ziemlich hart. Nicht nur der seltene Kontakt zu Angehörigen und Freunden, sondern vor allem auch das Internetverbot. Lediglich Taschenspieler waren erlaubt - daumengroße, flache Musikspieler, die je nach Modell ungefähr zwischen 25.000 und 100.000 Musiktitel oder entsprechend Hörbücher speichern konnten. Nicht einmal E-Books wurden gestattet, da sie zu einfach manipulierbar waren und das Internet freigeschaltet werden konnte.
 

Eren wollte sich bei Armin melden, um ihm und seiner Familie zu versichern, dass es ihm gut ging und ihnen nachträglich frohes neues Jahr zu wünschen. Er freute sich ein wenig wieder Armins Stimme zu hören. Er war für Eren wie ein Bruder. Die Art von Bruder, die ihn zuweilen daran erinnerte, dass er ein Hirn hatte, das benutzt werden wollte...
 

Als Eren jedoch vor dem Büro stand und im Inbegriff war die Klinke runter zu drücken, hörte er Jeans Stimme durch die Tür dringen.
 

„Das könnt ihr doch nicht machen!“, rief Jean verzweifelt und klang dabei verdächtig verschnupft.

„Aber das geht doch nicht!“, sprach er weiter, zunehmend leiser und ungläubiger, „Ich bin doch auch ihr Kind...“

Danach konnte Eren die Worte nicht mehr richtig verstehen, Jean brabbelte zu sehr vor sich hin.

„Leb wohl“, keifte er plötzlich, woraufhin es totenstill in dem Raum wurde. Jean hatte aufgelegt.
 

Eren haderte einen Moment mit sich. Sollte er weggehen, reingehen, vorher klopfen? Zeigen, dass er was mitgekriegt hatte?
 

Kurzentschlossen öffnete er die Tür.
 

Jean saß halb auf dem Tisch, das mit einem Kabel gesicherte Mobiltelefon in beiden Händen und apathisch darauf starrend. Er wirkte in diesem Moment wie ein gebrochener Mann.
 

Er bemerkte Erens Anwesenheit schnell, stand ruckartig auf und wischte sich fahrig über die Augen. Voller Wut starrte er ihn aufgebracht an, aber sein von Tränen und Gram gezeichnetes Gesicht spiegelte auf fast schon komische Weise seine Hilflosigkeit wider.
 

„Was willst du? Noch nie was von Klopfen gehört, du Penner?“, fuhr er ihn zornig und mit heiserer Stimme an.
 

Eren befand sich in einer Art Schockstarre.

„Was hast du denn getan, dass deine Familie dich zum Weinen bringt?“, stürzte Eren buchstäblich mit der Tür ins Haus, was Jean die ersten Sekunden lang noch bleicher werden ließ.
 

„Was zum...?“ Mehr brachte Jean nicht heraus. Er schwieg und starrte Eren an, neue Tränen in den Augen.
 

„Ich weiß, es geht mich einen Scheißdreck an. Ich bin nicht Marco, ich bin nicht dein bester Freund. Aber was zur Hölle hast du falsch gemacht, dass du Silvester und Neujahr nicht bei deiner Familie warst?“, versuchte es Eren mit einem Frontalangriff.
 

Es schien, als würde Jean nie antworten. Die unterschiedlichsten Emotionen kerbten sich in seine Mimik, zurück blieb Resignation.

„Das wüsste ich auch gerne“, gab er leise zu und sah auf seine Hände, die das Telefon immer noch umklammerten.
 

Eren schloss die Tür und lehnte sich geduldig dagegen. Er würde Jean nicht weiter drängen. Wenn er nicht reden wollte, bitte.
 

„Ich bin das verfickte schwarze Schaf“, murmelte Jean in den stillen Raum hinein, „Verglichen mit meinen Brüder war ich immer der unangepasste Loser und jetzt haben sie endgültig die Schnauze voll von mir. Sie haben mich aus ihrem Leben gestrichen.“
 

Eren saugte die Informationen auf wie ein Schwamm. Jeans Zugeständnisse waren unerwartet und es tat ihm leid zu sehen, wie er weitere Tränen fortwischte.
 

„Warum sind deine Eltern so herzlos? Du hast doch nichts falsch gemacht?“, fragte Eren leise und aus purem Unverständnis. Jean mochte zwar zu ihm ein Arschloch sein, aber er war kein schlechter Kerl und ein guter Polizist.
 

Jean lachte freudlos auf. Es klang wie die Schnappatmung eines Mopses.

„Ich bin Polizist geworden. Und jetzt ziehe ich sogar in Erwägung bei der ESE zu bleiben: Einem völlig sinnlosen, selbstmörderischen Verein, wie meine Eltern immer sagen. Sie haben mir das Messer auf die Brust gesetzt und gesagt, dass sie mich enterben, wenn ich nach bestandener Ausbildung nicht ersichtlich höhere Ämter anstrebe.“
 

Eren schnaubte und Wut zog seinen Magen zusammen.

„Du bist ja wohl erwachsen und kannst mit deinem Leben machen, was du willst. Ist ja nicht so, als wäre dein Beruf nicht ehrbar, verdammt noch mal. Was sind deine Eltern für bornierte Leute?“
 

„Mein Vater sitzt im Vorstand des Health+-Pharmakonzerns und meine Mutter ist Abgeordnete im EU-Parlament. Meine Brüder arbeiten natürlich auch bei Health+“, fügte Jean den letzten Satz zunehmend verbittert hinzu.
 

„Wow, na wenn das nicht mal Lobbyismus in seiner reinsten Form vorprogrammiert...“
 

Jean schnaubte abfällig.

„Manchmal wundert es mich, dass es uns so gut geht und wir nicht im Kampf der Einzelinteressen der Konzerne untergehen.“
 

„Deswegen wird Korruption so hart bestraft und intensiv kontrolliert.“
 

„Ein Überwachungsstaat.“
 

„Ziemlich.“

Außer in den eigenen vier Wänden war man ein gläserner Bürger. Mit entsprechendem Antrag konnte man alle Aktivitäten außerhalb der Wohnung, des Büros oder der Umkleiden und Toiletten auf dreidimensionalen Kameraaufnahmen für einen Zeitraum von fünf Jahren nachprüfen; was man mit Mobiltelefon und Computer anstellte, wurde ohnehin für eine Dauer von 15 Jahren zwischengespeichert.
 

Jean schien sich zu beruhigen. Er weinte nicht mehr und als er das Telefon in die vorgesehene Halterung auf den Tisch legte, meinte Eren nochmal bekräftigend:

„Ganz ehrlich Jean, wenn deine Eltern dich bei deinen Entscheidungen nicht unterstützen wollen, dann schaffst du das auch ohne sie. Es ist dein Leben und du bist nicht ihre Puppe, die sie platzieren können, wie es ihnen am besten passt.“
 

Jean sah ihn mit großen Augen an. Endlich kehrte wieder dieses nervige Funkeln in seine Augen zurück - herablassend und selbstbewusst. Nie hätte Eren geglaubt sich einmal bei diesem Anblick erleichtert zu fühlen.
 

„Ich muss schon tief gesunken sein, wenn ich mir von so 'nem Trottel wie dir einen Rat anhören muss“, sagte Jean arrogant, nun ein leichtes Lächeln auf den Lippen, das seinen Worten widersprach.
 

Eren grinste ihn an und stieß sich von der Tür ab, um sein ursprüngliches Vorhaben, Armin anzurufen, verwirklichen zu können.

„Du meinst wohl eher, dass dir die Höhenluft zu Kopf gestiegen ist.“
 

Sie rempelten einander hart, aber freundschaftlich an der Schulter als sie aneinander vorbeigingen.
 

„Viel Spaß beim Telefonieren. Ich hab extra schon mal vorgesabbert, damit es besser rutscht, wenn du dein Liebling vollschleimst“, grinste Jean gehässig, als er im Türspalt stand.
 

Eren warf dem Telefon einen verekelten Blick zu und zeigte Jean den Mittelfinger, bevor der schmunzelnd aus dem Raum trat.
 

„Das war sicherlich eine Begegnung der dritten Art“, murmelte Eren vor sich hin, als er Armins Nummer wählte.
 

***
 

Die restlichen Ferientage vergingen langsamer als die vorherigen. Eren trieb viel Sport mit Jean und obwohl sie sich wieder wie zuvor lauthals stritten, hatte sich ihr Verhältnis grundlegend geändert. Ihre Dispute hatten an Aggression verloren und fanden nunmehr auf mentaler Ebene statt. Ihr Konkurrenzkampf war konstruktiv geworden und von stiller Akzeptanz geprägt, sodass sie sich in ihrer Entwicklung nicht mehr gegenseitig im Weg standen.
 

Erst jetzt wurde Eren klar, wie sehr ihn die Auseinandersetzungen mit Jean im Endeffekt belastet hatten.
 

Glücklich über diesen persönlichen Fortschritt, hatte Eren kaum bedauert, dass er nicht mehr mit Levi hatte trainieren können. Doch als er am späten Abend vor der Ankunft der anderen Rekruten sich spontan entschloss noch mal schwimmen zu gehen und Jean ihm einen Vogel gezeigt hatte, wurde ihm schlagartig bewusst, dass ihm etwas gefehlt hatte.
 

Er hörte das Wasser plätschern, sowie er die Schwimmhalle betrat und als er sich an den Beckenrand stellte, sah er Levis Silhouette unter Wasser zum anderen Ende des Beckens tauchen.
 

Freude kribbelte in seinem Bauch und er sprang energiegeladen ins Wasser, um ebenfalls ein Stück zu tauchen. Ohne zuvor tief genug eingeatmet zu haben, konnte er die 50 Meter nicht durchschwimmen.
 

Kaum tauchte er nach Luft schnappend auf, wurde er auch schon wieder Unterwasser gedrückt. Automatisch griff er mit der einen Hand zu der in seinen Haaren, während er mit dem anderen Arm das einzige umschlang, dass ihn der Oberfläche näher brachte.
 

Als der Druck an seinem Kopf nachließ, stieß er durch die Wasseroberfläche und japste erstmal blind und taub nach Sauerstoff.
 

Eren blinzelte keuchend das Wasser aus seinen Augen und blickte direkt in das bewegungslose Gesicht seines Ausbilders. Immer noch lag Erens Unterarm auf Levis Schulter, die Finger seiner Hand lose in dessen Genick, um sich über Wasser zu halten, während er mit der anderen ruderte, um nicht unterzugehen. Aber wahrscheinlich hätte Levi sie beide problemlos über Wasser gehalten.
 

„Ich habe Sie auch vermisst“, grinste Eren keck nach dieser rabiaten Begrüßung.
 

Levi blieb völlig unbeeindruckt.

„Was hast du während der Nachtruhe hier verloren?“
 

„Da noch offen war, wollte ich offensichtlich noch mal schwimmen gehen“, erwiderte Eren mit neunmalkluger Stimme.
 

Er wurde prompt erneut untergetaucht. Diesmal fasste er auch mit der anderen Hand an Levis Schulter und stemmte sich dagegen, sodass Levi auch fast absoff. Allerdings hatte Eren nie damit gerechnet, dass er so einfach davonkommen würde und war somit wenig überrascht, als er Levis andere Hand an seiner Brust spürte, um ihn wegzudrücken.
 

Sie gingen beide unter.
 

Das war Erens Chance. Er ließ kurz locker, befreite seinen Kopf, drückte so kraftvoll es ihm möglich war Levi nach unten und sich nach oben.
 

Er tauchte mit einem tiefen Atemzug triumphierend auf. Dann wurde er grob an den Haaren rückwärts erneut Unterwasser gezogen.
 

Levi hielt ihn von hinten eisern fest. Sein Hinterkopf wurde gegen Levis Brust gedrückt, während eine Hand Erens Handgelenke schmerzhaft im Rücken fixierte und die andere Hand seine Kehle zusammendrückte. Pure Panik überkam Eren bei diesem tödlichen Griff und er verfiel in eine ergebende Starre.
 

Er wurde sofort losgelassen, als er sich nicht mehr rührte.
 

Keuchend und vor Sauerstoffmangel und Schreck schwach und zitternd versuchte sich Eren über Wasser zu halten und spürte völlig neben sich, wie Levi ihn an der Brust umschlang und gemächlich zum Beckenrand zog, wo sich Eren geistesgegenwärtig festkrallte und mühevoll versuchte genug Sauerstoff in die brennende Lunge zu bekommen.
 

Es dauerte eine gute Minute, ehe Eren soweit klar im Kopf war, um seine Umgebung wahrzunehmen.
 

Levi lag neben ihm mit den Armen am Beckenrand abgestützt und betrachtete ihn. Als sich ihre Blicke trafen, blitzte Amüsement in den sturmgrauen Augen auf.

„Du kleiner Scheißer kannst mich nicht einmal an Land überwältigen und dann versuchst du es ernsthaft im Wasser?“
 

Eren verzog das Gesicht und atmete einige Male durch, ehe er keuchend herausbrachte:

„Ich wusste nicht, ... dass Sie... gleich wieder versuchen würden... mich zu ertränken.“
 

„Dachtest du etwa ich habe Mitleid mit deinen kläglichen Versuchen besser zu sein und lasse dich gewinnen?“
 

„Spielverderber“, brummelte Eren gespielt beleidigt und zog eine Schnute.
 

„Du siehst lächerlich aus“, kommentierte Levi, woraufhin Eren ihm den Kopf zuwandte und ihn mit einem gekonnten Welpenblick ansah, der sogar Mikasa stets zum Einknicken gebracht hatte.
 

„Ich glaub, ich brauch ein Ungezieferspray“, stellte Levi trocken fest und warf ihm einen vergraulten Blick zu.
 

„Ist nicht dein ernst!“, rief Eren ungläubig mit offenem Mund, „Dieser Blick hat noch jeden zumindest ein wenig ins Schludern gebracht!“
 

„Nur weil du mich mit deinen großen grünen Augen wie ein Katzenbaby anschaust, erreichst du bei mir gar nichts.“
 

„Sie sind kein Mensch“, schnaufte Eren übertrieben außer sich und schmollte, was ihm eine nicht gerade sanfte Kopfnuss einbrachte.
 

„Hey!“, echauffierte er sich über die entstehende Beule reibend und seinen Peiniger empört anstarrend.
 

Levi bedachte ihn jedoch mit einem belustigten Schmunzeln und einem bisher ungesehenen Ausdruck in den Augen.
 

Er stemmte sich aus dem Wasser.

„Los raus! Ich muss dann absperren“, forderte Levi ihn auf und schritt geruhsam Richtung Umkleiden.
 

Eren schaute ihm verblüfft hinterher. Erneut spürte er dieses freudige Kribbeln in seinem Bauch.
 

Er war sich sicher, dass Levi ihn zum ersten Mal so zufrieden und ehrlich entspannt angesehen hatte. Ein Blick, den Eren ihn nur ansatzweise mal Hanji oder Erwin zuwerfen gesehen hatte.
 

Ein breites Lächeln zog Erens Lippen auseinander, als er sich ebenfalls aus dem Wasser stemmte und umziehen ging.
 

*~*
 

Fernab schützender Augen wurden fatale Entscheidungen getroffen.
 

+++


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war nun das 3. Kapitel. Es ist ziemlich viel geschehen.
Es hat mir viel Spaß gemacht Hanji zu schreiben. Ich liebe sie und es gibt bisher kein Kapitel, in dem es keine Szene mit ihr gibt:)
Da Sasha auch viele mögen (ich ja auch^^), versuche ich sie zukünftig etwas öfter zu erwähnen. Im Großen und Ganzen bin ich mir noch nicht ganz schlüssig, wie intensiv ich die Sicht anderer Charaktere ins Spiel bringe. Wahrscheinlich wird es keine isolierten Szenen nur mit ihnen geben, da es ansonsten zu unübersichtlich wird. Aber mal sehen, die Musen werfen vorüberlegte Handlungsstränge gerne über den Haufen:D
Anfang/Mitte Januar wird diese FF schon ein Jahr alt. Ich habe im Zug von München nach Stuttgart einfach angefangen zu schreiben (deswegen auch die Zugszene mit Levi) und schaffe bis Silvester wohl das 6. Kapitel zu beenden. Deswegen werde ich den dreimonatigen Veröffentlichungsrhythmus beibehalten. Da ich März 2016 das 1. Juristische Staatsexamen ablegen werde und ein Jahr durchgehend Lernstress herrscht, werde ich garantiert nicht schneller schreiben können als bisher. Aber die nächsten Kapitel werden dafür lang sein;-)

Im 4. Kapitel rückt Hanji den Rekruten zu Leibe und macht ihnen das Leben so richtig schön schwer. Selbst Levi kann sich ihr nicht erwehren;-) Und mit der Zeit scheint es noch jemanden zu geben, dessen Existenz zu aufdringlich wird, um sie zu ignorieren... Komplett anzeigen

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