Zum Inhalt der Seite

Zwischenwelten

Ereri
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Willkommen beim zweiten Kapitel von Zwischenwelten!
Der Titel „Regen“ passt momentan leider auch gut zu unserem Wetter und im Moment schüttet es regelrecht. Der Wettergott scheint August mit April verwechselt zu haben(-。-;

Im letzten Kapitel wurde Levi auf Erwins Geheiß hin zum Ausbilder von einem Haufen Polizisten aus verschiedenen Zweigen verdonnert. Dabei muss er sich nicht nur mit selbstverliebten Arschlöchern und leicht verschreckten Bälgern rumärgern, sondern auch mit seinen ehemaligen Kameraden. Wirklich problematisch ist jedoch die Einstellung der Polizeikollegen Levi gegenüber, die mit seinem Training nicht einverstanden sind.
Auf der anderen Seite sehen sich Eren und die anderen Rekruten mit einem nach ihren Maßstäben unkonventionellen Ausbilder konfrontiert, der jede Übung mitmacht und sie mit erbarmungslosen Argusaugen bewertet.

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Regen

Nach der ersten Woche gingen zwei Leute. Markus Nehring - welch Überraschung - und eine Frau, die sich am Mittwoch die Grippe beim ersten Training mit Rivaille eingefangen hatte. Sie war nicht die Einzige, die seitdem kränkelte. Darum schmissen zwei weitere Kameraden die ESE-Ausbildung in der zweiten Woche und nach einem Monat waren sie noch 49 - 38 Männer und elf Frauen.
 

Der Trainingsplan war hart und Rivaille kümmerte sich nach wie vor persönlich um sie, aber er schikanierte niemanden und im Grunde hatten sie sich nach einer guten Woche an das frühe Aufstehen und die Anstrengungen gewöhnt. Umso weniger verstand Eren, dass bereits so viele freiwillig gegangen waren.
 

„Freiwillig?“, hakte Reiner, ein großer blonder Mann aus Nordeuropa, ungläubig nach, als Eren seine Frage in die Runde warf, „Die sind doch nicht freiwillig gegangen.“
 

Sie saßen am Samstag zusammen in der Mensa und genossen ihren Feierabend in großer Runde mit ein paar raren Bier. Alkohol durften sie nur heute und nur ein Mass Bier pro Person trinken. Internet und Telefone waren wie alle technischen Gerätschaften gänzlich verboten und nur einmal in der Woche war es erlaubt ein Spezialtelefon zu benutzen, um Verwandte oder Freunde anzurufen.
 

„Hätten wir das nicht mitbekommen, wenn sie rausgeschmissen worden wären?“, mischte sich Connie ins Gespräch ein, „Ich mein, keiner wurde je zurechtgewiesen.“
 

„Das wird auch gar nicht mehr notwendig gewesen sein. Einige meinten, sie könnten im Bett liegen bleiben, ohne dass ihre Abwesenheit in der Früh bemerkt wird“, erklärte Reiner, „Aber auch ohne Appell ist Rivaille nicht zu dumm zum Zählen und anscheinend hat er ein gutes Personengedächtnis.“
 

„Sie sind also wegen Ungehorsam geflogen“, fasste Eren zusammen, „So viele?“
 

„Also ich weiß von insgesamt sieben Leuten, die gegangen sind, weil sie genug hatten“, meinte Berthold, ebenfalls Nordeuropäer und Reiners Zimmergenosse und Kumpel.
 

„Ich verstehe nicht, dass hier überhaupt jemand mitmacht, der nicht ernsthaft gewillt ist etwas zu leisten. Wir sind hier nicht aus Spaß.“ Verärgert zog Eren die Augenbrauen zusammen.
 

Sie hatten eine wichtige Aufgabe vor sich. Die Europäische Sondereinheit, kurz ESE, würde gegen terroristische beziehungsweise kriminelle Vereinigungen vorgehen und Attentate bereits im Keim ersticken. Dafür mussten sie mindestens auf GSG9-Level ausgebildet werden, eigentlich besser. Da war kein Raum für Waschlappen.
 

„Na ja, viele wollen ihrer Karriere nachhelfen oder wurden von ihren Vorgesetzten geschickt“, erklärte Jean nach einem Schluck Bier.
 

„Du meinst so wie du?“, ging Eren sofort darauf ein. Dieser Kerl reizte ihn mit seiner bloßen Anwesenheit und es war fast wie ein Zwang sich mit ihm anzulegen.
 

„Im Gegensatz zu dir will ich nicht als Fischfutter enden, sondern etwas mit meinem Leben anfangen“, konterte Jean säuerlich.
 

„Was hast du gesagt?“
 

Eren und Jean standen prompt beide wie auf ein stilles Kommando auf und starrten sich wütend an. Sie hatten bereits Übung und schon ein paar Mal kam es zu Raufereien, die von ihren Kameraden aufgelöst werden mussten. Wohl auch darum blieben die anderen sitzen und tranken augenverdrehend ihr Bier weiter.
 

Nur Reiner schien genug von der Situation genervt, um etwas zu sagen.

„Leute, ihr seid kindisch. Außerdem will hier keiner als Fischfutter enden.“
 

„Tch, sag' das dem lebensmüden Trottel hier, der sogar durch die Psycho-Tests bei der SEK gefallen ist.“ Jean verschränkte geringschätzig die Arme vor der Brust und ein siegessicherer Glanz spiegelte sich in seinen Augen wider.
 

Eren war einen Moment lang fassungslos und sein Magen knotete sich schmerzhaft zusammen, sackte ihm geradezu wie auf Höhenflug ab. Mit geweiteten Augen sah er in Jeans arrogantes Pferdegesicht, aus dem er am liebsten das gehässige Grinsen wischen würde. Er dachte nicht nach, als er Jean plötzlich am Kragen festhielt, doch die freie, zum Schlag erhobene Faust bohrte sich nicht in das hässliche Kiefer.
 

Nun hatten seine Kameraden reagiert und hielten seinen rechten Arm zurück.

„Eren!“, flüsterte Armin neben ihm beschwörend, während Reiner seinen Arm eisern zurückhielt und Berthold bereit neben ihm stand, „Das hat doch keinen Sinn und wir sind in der Mensa. Jeden Augenblick könnte ein Ausbilder reinkommen und wenn der das sieht...“
 

„Tse. Ich sag ja, Psycho“, grinste Jean triumphierend, sodass Erens festgehaltene Faust zuckte.

Aber Armin hatte recht. Wenn sie jemand in dieser Situation sah, konnte er nur verlieren. Darauf hatte es dieses Mistschwein wohl abgesehen, denn sonst verteidigte er sich und stand nicht nur abwartend rum.
 

Wutschnaubend schubste er Jean von sich weg und riss sich aus Reiners Griff, der ihn beinahe wieder packen wollte, aber Eren machte auf dem Absatz kehrt.
 

„Auch keine Eier in der Hose, was?“, rief Jean ihm schadenfroh hinterher, was ihm eine leise Mahnung von Marco einbrachte.
 

Es fiel Eren unglaublich schwer nicht zurück zu gehen und dem Mistkerl die Fresse zu polieren, aber er wrang sich dennoch durch. Nicht zuletzt wegen der Schritte, die ihm kurz darauf nach Hause folgten.
 

Armin war ein treuer und langjähriger Freund. Sie waren sich nah wie Brüder und egal was Eren tat, er wurde nie von ihm im Stich gelassen oder verurteilt. So jemanden fand man vielleicht ein-, zweimal im Leben. Er war eine Kostbarkeit und im Stillen dankte er jeden Tag dafür, dass sie sich vor diesen vielen Jahren kennengelernt hatten.
 

„Woher weiß das Arschloch davon?!“, fluchte er laut, als er in ihrem Zimmer war und kickte gegen die Wand. Der Schmerz klärte seine Gedanken ein wenig.
 

„Jean ist bei der SEK und hat sich wahrscheinlich nach dir erkundigt. Die Möglichkeiten an Informationen zu kommen sind immerhin begrenzt.“ Armin schloss die Tür und beobachtete ihn beim Auf- und Abgehen.
 

„Es ist mir ein Rätsel wie so einer zur Polizei kommt! Hätte er doch Politik und Recht studiert oder so einen Scheiß.“ Frustriert strich sich Eren durch seine braunen Haare.
 

„Marco hat mal angedeutet, dass er zwei Adoptivbrüder hat und nicht alle Kinder direkt studieren konnten.“
 

Eren sah Armin an. Es war beiden klar, dass er keine Antworten wollte, sondern nur Schimpfen und Toben - dieser Jean ging ihm einfach unter die Haut - aber Armin würde das nicht zulassen.
 

Seufzend ließ sich Eren aufs Bett fallen.

„Ich muss diese Ausbildung unbedingt erfolgreich abschließen“, flüsterte er niedergeschlagen ins Kissen, weit fort mit den Gedanken.
 

„Das wirst du. Lass dich einfach nicht von den anderen ablenken und konzentriere dich auf das Wesentliche“, bestärkte Armin ihn mit sanfter Stimme. Es lag eine besondere innere Stärke in seinen Worten, die Eren Selbstvertrauen und Sicherheit gaben. Sein einziger Halt.
 

***
 

Nach den ersten drei Monaten änderte sich der Ausbildungsplan. Mehr Krafttraining, mehr Parcours und mehr Feldtraining. Sie waren noch 36. 30 Männer und sechs Frauen.
 

Es war Samstagnachmittag und sie liefen seit gut fünf Stunden im Eiltempo durch das Unterholz des Waldes, in dem sie ihr Feldtraining absolvierten. Es regnete in Strömen, sodass sie trotz der schützenden Baumkronen bis auf die Unterwäsche durchnässt waren.
 

Eren hatte sich die ganze Woche über nicht sonderlich fit gefühlt, doch nun wurde es kritisch. Alle Gelenke schmerzten, ihm war schlecht vor Anstrengung und er japste nach Luft, sodass ihm Sasha hin und wieder einen besorgten Blick zuwarf.
 

Normalerweise lief Eren immer vorne, doch mittlerweile war er in die letzte Reihe neben Armin zurückgefallen.
 

Sein bester Freund war kein herausragender Sportler und musste sich stets durch alle Aufgaben quälen. Armins Stärken waren seine Intelligenz, strategisches Geschick und technischen Fähigkeiten. Dass ihm das Defizit im sportlichen Bereich noch nicht zum Verhängnis geworden war, verdankte er seinem unermesslichem Ehrgeiz mit ihm mitzuhalten.
 

„Eren“, keuchte Armin nach einer Weile, „Ist alles in Ordnung?“
 

Eren schnaufte freudlos und schüttelte bloß den Kopf aus Angst, sich am eigenen Atem zu verschlucken. Es ging ihm mittlerweile richtig schlecht.
 

„Wenn es zu schlimm wird, musst du abbrechen!“, beschwor Armin ihn besorgt, was er nachdrücklich mit einem Kopfschütteln abtat und ihm einen erschrocken-scharfen Blick zuwarf.

Diese Blöße würde er sich nicht vor Rivaille und den anderen geben.
 

Er würde durchhalten. Koste es, was es wolle!
 

*~*
 

Erwin rieb sich müde über die Augen, während er an dem Abschlussbericht bezüglich der 1. Einheit der ESE-Ausbildung saß. Es war kein sehr erfreulicher Bericht.
 

Von den sechs polizeilichen Ausbildern hatten drei noch im ersten Monat aus Protest gegen Levis Person und Methoden den Dienst in dieser Einrichtung quittiert.

Zwar musste er Mike und Hanji in dem Punkt zustimmen, dass es um den Verlust nicht schade war, doch politisch betrachtet vermittelte es ein äußerst ungünstiges Bild.
 

Die restlichen drei Ausbilder ließen sich immerhin von Levi dirigieren, nachdem dieser glücklicherweise ein wenig eingelenkt und ihnen seine Vorstellungen einer erfolgreichen Ausbildung erklärt hatte. Es funktionierte seitdem einigermaßen.
 

Erwin hatte genau gewusst, dass Levi polarisieren würde. Das hatte er immer getan. Doch nie hatte er es bereuen müssen, dass er Levi vor fast 18 Jahren von der Straße weg rekrutiert hatte. Er war der beste Soldat, dem Erwin je begegnet ist und er hatte unzählige Leben durch seine Fähigkeiten bewahren können. Das war jeglichen Ärger wegen Levis Verhalten immer wert gewesen.
 

Auch diesmal würde es sich lohnen, redete er sich ein. Levi war immer noch gut und gerecht in seiner unorthodoxen Art und Weise. Das hatte sich trotz aller vergangenen Geschehnisse nicht geändert. Erwin würde am Ende der Ausbildung fähige Leute für die ESE bekommen und danach würde die Zeit zeigen, wie sinnvoll und notwendig dieses politische Projekt wirklich sein würde.
 

Es braute sich ein dunkler Sturm über Europa zusammen.
 

*~*
 

„General-Leutnant!“
 

Innerlich murrend blickte Levi über die Schulter, nur um festzustellen, dass die Rekruten ihm nur noch zögerlich oder gar nicht mehr folgten. Sie blickten sich irritiert um, was Levi selbst anhalten ließ.
 

„General-Leutnant! Bitte kommen Sie!“, rief einer erneut nach ihm, was Levi alarmiert zurück joggen ließ.
 

Als er am hinteren Ende der Einheit ankam, erkannte er Arlert, der einen benebelten Jäger mühevoll stützte.
 

„Was ist los, Jäger?“, erkundigte er sich kalt. Er ließ seine Augen auf dem blassen Gesicht Jägers ruhen. Der Junge war definitiv krank.
 

„Entschuldigen Sie, Sir. Mir war nur kurz komisch, jetzt geht's wieder“, brachte Jäger bemüht mit fester Stimme heraus und versuchte wieder auf den eigenen Beinen zu stehen, doch Arlert hielt ihn fest.
 

„Hör auf Eren, du musst dich ausruhen!“, flehte Arlert, doch Jäger riss sich trotzdem los.
 

„Entschuldigen Sie die Umstände, Sir“, sagte Jäger mit atemloser Stimme und blickte ihm direkt in die Augen. Die sonst feurigen Augen waren dumpf und fiebrig.
 

Levi sah es, bevor es passierte. Jäger knickte beim ersten demonstrativen Schritt ein und fiel haltlos nach vorne, als sein Kreislauf endgültig zusammensackte.
 

„Eren!“, rief Alert und versuchte ihn erneut aufzufangen, doch Levi war schneller.
 

Er packte Jäger unter den Achseln und drehte ihn auf den Rücken, ehe er auf den Boden aufschlug und legte ihn dort ab.
 

Mittlerweile hatte sich eine Traube um sie gebildet und viele blickten besorgt auf ihren Kameraden hinab. Und hier hätte Levi mehr Teilnahmslosigkeit erwartet.
 

Levi kniete sich neben seinen halbbewusstlosen Mann und legte die Hand prüfend auf seine Stirn.

Jäger glühte und nach einem Handgriff an den rasenden Puls, war für Levi klar, dass dieser sture Idiot keinen Meter mehr gehen durfte.
 

Levi wusste, dass Jäger zu Übertreibungen neigte und schalt sich dafür nicht früher bemerkt zu haben, dass sein Schutzbefohlener ins Krankenbett gehörte.
 

Ohne ein einziges Wort zu verlieren oder auch nur den Mund zu verziehen, griff er nach Jägers Armen und zog ihn sich auf den Rücken.
 

„General-Leutnant!“, riefen einige überrascht.
 

„Ich kann Eren tragen, Sir“, bot sich Braun sofort an und unter anderen Umständen hätte Levi dem großen Nordeuropäer liebend gerne diesen Mehlsack auf den Rücken geladen, aber er fühlte sich diesmal zu verantwortlich, zudem waren alle Rekruten bereits am Ende ihrer Kräfte.
 

Daher warf Levi nur einen kühlen Blick auf Braun, während er Jägers Beine mit einem elastischen Band um seine Hüfte fixierte und stakste zurück an die Spitze der Einheit.

„Es sind nur noch ein paar Kilometer“, verlautbarte er grimmig und lief los.
 

***
 

„Du hast ihn echt neun Kilometer getragen“, staunte Hanji und pfiff anerkennend, als er seine Last auf einem Krankenbett ablud. Alert und die anderen hatte er in ihre Unterkunft gescheucht.
 

„Ich bin anderes gewohnt“, entgegnete Levi gleichgültig und warf sich eine ungebrauchte Bettdecke aus dem Nebenbett um. Er war völlig durchnässt und verschwitzt. Es war widerlich.
 

Hanji machte sich sofort über Jäger her, der sich im fiebrigen Delirium zu befinden schien.

Es war jedes Mal interessant zu sehen, wie sich Hanjis Ausdruck veränderte, wenn sie an einem Patienten arbeitete. Ernst, aufmerksam und professionell untersuchte sie den jungen Mann.
 

„Es ist ein Wunder, dass er überhaupt solange laufen konnte, er hat eine Lungenentzündung.“
 

„Es ist meine Schuld. Ich hätte bemerken müssen, dass er krank ist.“
 

„Ahhh“, machte Hanji und begann Jäger auszuziehen, „Das ist doch Eren Jäger, nicht? Der ist gut darin seine Schwächen zu vertuschen. Sogar so gut, dass er es selber nicht mehr merkt.“
 

Levi setzte sich auf das gegenüberliegende Bett und beobachtete Hanji bei ihrem Tun.

„Er ist einer der besten Rekruten.“
 

„Hast du seine Akte gelesen?“
 

„Nur den Lebenslauf. Ich wollte mir einen eigenen Eindruck verschaffen.“ Nachdenklich stützte Levi seine Ellenbogen auf den Knien ab und stützte sein Kinn auf seine gefalteten Hände.
 

„Hnnn“, summte Hanji und zog Jäger das letzte Kleidungsstück vom Leib, ehe sie ihn abtrocknete, in ein Nachthemd wickelte und zudeckte, „Wenn dein positives Urteil nicht gewesen wäre, hätte ich ihn rausgeschmissen.“
 

Diese Aussage überraschte Levi.

„Aus welchem Grund?“
 

„Aus demselben Grund, warum ihn die SEK abgelehnt hat: Er ist zu versessen darauf den Job zu kriegen. Sein Motiv ist die Vergeltung an der terroristischen Vereinigung Kcrizott. Sie haben seine Eltern bei einem Bombenattentat in Ägypten getötet und seine Adoptivschwester ins Koma geschossen“, erklärte Hanji bedauernd, während sie einen Zugang legte, um ihm Infusionen verabreichen zu können.
 

Levi hob eine Augenbraue an, ob der neuen Informationen und musterte den jungen Mann. Er empfand Sympathie.

„Was schert mich sein Antrieb, wenn die Ergebnisse stimmen.“
 

„Er ist ein Sicherheitsrisiko“, brachte es Hanji mit tonloser Stimme auf den Punkt.
 

„Dann ist es ja gut, dass ich für ihn verantwortlich bin. Ich werde ihm schon beibringen, wie er sich zu verhalten hat.“
 

„Ist er deine Mühe wirklich wert?“, bohrte Hanji selten ernst nach.
 

„Ich glaube schon. Sicher, sein Temperament braucht einen Dämpfer, aber er ist klug und willensstark“, Levi überschlug seine Beine und stütze seine Hände hinter sich auf der Matratze ab, „Wie gesagt, von dem Schrott vor meinen Füßen, ist er noch einer der brauchbarsten.“
 

Das wrang Hanji ein Lächeln ab.

„Na, dann bin ich mal gespannt, was du aus ihm machst.“
 

***
 

Es dauerte zwei Stunden bis Eren aus seinem fiebrigen Schlaf erwachte. Blinzelnd schlug er seine grünen Augen auf, die von Fieber und Traum glasig schimmerten.
 

„Wieder bei Sinnen?“, holte Levi ihn in die Realität, die ganz langsam in Erens Wahrnehmung sickerte.
 

Träge wandte er seinen Kopf in die Richtung der Stimme. Es dauerte kurz, bis sein Gehirn das Bild vor sich verarbeitet hatte.

„General...Leutnant?“, krächzte Eren erbärmlich und Levi erkannte ein unterschwelliges Aufblitzen in den sonst wachen Augen.
 

„Du liegst im Krankenflügel. Erkläre mir, warum du das Training nicht rechtzeitig abgebrochen hast“, befahl Levi und schlug das Buch in seiner Hand zu.

Er saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf einem Stuhl neben dem Krankenbett.
 

„Ich“, krächzte Eren, „Ich dachte, ich könnte es ignorieren.“
 

„Hast du nicht bemerkt, dass du zu krank bist, um das gesamte Training erfolgreich zu absolvieren?“, hakte Levi scharf nach.
 

„Am Anfang... nicht... Dann war es zu spät“, brachte Eren hervor, ehe seine Stimme dringlich wurde, „Ich muss... diese Ausbildung bestehen.“
 

Levi verschränkte innerlich seufzend die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück.

„Hör mir zu, Jäger. Du bist nur noch hier, weil ich das so will. Hanji und Mike hätten dich bereits herausgeschmissen.“
 

Entsetzen spiegelte sich in Erens Zügen wider, doch Levi überging dies.
 

„Sie sind der Meinung, dass du das falsche Motiv hast und kein verlässlicher Polizist bist. Bis heute hätte ich dies verneint.“
 

Erens Gesicht wurde noch eine Nuance blasser, obwohl er bereits kalkweiß war. Seine großen, grünen Augen waren weit aufgerissen, angstvoll und doch blitzte etwas unbeugsames in ihnen. Diese Augen waren ihm bereits am ersten Tag aufgefallen.
 

Levi erklärte darum ausführlich seinen Standpunkt.

„In einer Einheit muss jeder wissen, was der andere kann und was nicht. Das kann für jeden Einzelnen überlebenswichtig sein. Dazu gehört natürlich, dass jeder sich selbst einschätzen kann und weiß, wie lang er seinen status quo beibehalten kann. Das hast du heute nicht getan. Keiner konnte mit deinem Versagen rechnen - das hat man deutlich an ihren Reaktionen gesehen. Fatal ist, wenn selbst du das nicht kannst. Du musst dich realistisch einschätzen, ansonsten bist du ein untragbares Sicherheitsrisiko.“
 

Eren starrte ihn überrascht an, riss sich jedoch kurz darauf zusammen.

„Ich bin auch dieser Meinung, Sir. Aber ich dachte, ... ich fliege..., wenn ich krank werde... So wie die anderen.“
 

Levi wechselte seine übereinander geschlagenen Beine und zuckte mit der rechten Augenbraue.

„Kein Einziger flog wegen Krankheit.“
 

„A-aber...“, stockte Eren verwirrt und starrte Levi ungläubig direkt in die Augen.
 

„Sie sind alle freiwillig gegangen oder wegen psychischen Macken von Hanji und Mike entlassen worden“, betonte Levi genervt, „Aber das waren auch nur vier, soweit ich weiß.“
 

Eren sah nun sprachlos an die Decke. Man konnte deutlich die Rädchen in seinem Kopf drehen sehen.
 

Levi fand es recht interessant, dass die Bälger davon ausgingen, er wäre für den Rekrutenschwund verantwortlich. Er hatte keinen Gedanken daran verschwendet, aber es war einleuchtend, dass sie demjenigen, der sie am meisten triezte, auch ein solches Verhalten zutrauten.

Hanji und Mike wirkten vergleichsweise wie Unschuldslämmer, die nie rigorose Entscheidungen fällen würden.
 

Wenn die wüssten.
 

„Wegen mir ist noch keiner geflogen. Aber du wirst es, wenn du nicht unter Beweis stellst, dass du für die ESE geeignet bist“, führte Levi nach einer Weile aus, was ihm Erens ungeteilte Aufmerksamkeit einbrachte.
 

„Du wirst mindestens drei Wochen nicht am aktiven Training teilnehmen können, daher wirst du stattdessen die Theorie lernen und vorarbeiten, damit du das Training nachholen kannst, sobald du völlig genesen bist.“ Mit diesen Worten stand Levi auf und ging.
 

Er hörte noch ein krächzendes, aber entschlossenes „Jawohl, Sir“ und hoffte, dass er sich mit dem Jungen nicht vergaloppierte.
 

*~*
 

Eren hatte sich überproportional schnell erholt und stand nach drei Wochen wieder trainingsbereit auf den Beinen. Natürlich konnte er nach den Wochen im Bett nicht sofort ins reguläre Training einsteigen und bekam von Rivaille einen Sondertrainingsplan, um sich aufzubauen.
 

Für ihn gab es keine Theoriestunden mehr, nur viele kurze Pausen. Einer der Ausbilder überwachte sein Training und bewertete seine Fortschritte, während die anderen mit Rivaille weitertrainierten.

Nach drei Wochen war er laut dem Ausbilder wieder fit, sodass er sich eines Sonntagabends nach dem „freiwilligen“ Schwimmtraining den kritischen Augen des General-Leutnants ausgesetzt sah.
 

Die Schwimmhalle stand ihnen ganztägig zur Verfügung, aber alle gingen gleich nach dem Aufstehen schwimmen, um sich den Rest des Tages freinehmen zu können. Sie wurden nur sporadisch von verschiedenen Ausbildern überprüft und nie von Rivaille.
 

Umso erschrockener war Eren, als er eine Zusatzrunde am Abend schwamm - in dem Vorhaben seine Ruhe zu haben - und dann auftauchte und direkt in die ausdruckslosen, sturmgrauen Augen eines nur in Badehosen dastehenden Rivailles zu blicken.
 

Er ging fast unter, als er seine Hände vom Beckenrand löste, um zu salutieren, sodass sein Gruß in einem uneleganten Gurgeln unterging.
 

Hastig krallte er sich wieder an den Beckenrand, sein Kopf heiß und schnappte nach Luft.
 

„Wie alt bist du, Jäger? Zwölf?“, verlangte Rivaille kühl von ihm zu wissen, doch als Eren ihn wieder anblickte, hatte er das Gefühl, dass es nicht böse gemeint war.
 

„25, Sir.“
 

„Warum kackst du dich dann jedes Mal an, wenn du mich siehst?“ Es war sicherlich eine rhetorische Frage, aber Eren antwortete dennoch.
 

„Ich wollte nur respektvoll sein“, gab Eren kleinlaut zurück, was Rivailles Augenbraue zum Zucken brachte.
 

„Du drehst Extrarunden? Unterfordert dich mein Aufbauplan?“
 

Warum hatte Eren das Gefühl, dass es sich um eine Fangfrage handelte?

„Heinrich Mayer sagte am Freitag, dass ich wieder auf dem vorherigen Trainingsstand bin...“
 

Ohne zu antworten sprang Rivaille ins Schwimmbecken. Man konnte sagen, was man wollte. Seine Körpergröße war Rivailles einziger Makel.
 

„Gut, Jäger. Da Hanji sagte, dass du den Stoff für die nächsten drei Wochen Theorie bereits gelernt hast, wirst du bis dahin von mir höchst persönlich trainiert.“
 

Das war der Beginn der Hölle.
 

***
 

Eren nahm am Training der anderen wieder Teil und während die in der Theorie saßen, musste er mit Rivaille weitermachen. Zwar begann er das Training langsam zu steigern, das merkte Eren, das änderte jedoch nichts daran, dass es körperlich die härteste Zeit seines Lebens wurde.
 

Und trotzdem stand er jeden Morgen aus dem Bett auf. Egal wie sehr jede Faser seines Körpers schmerzte. Egal wie schräg er, ob seines Humpelns angesehen wurde und gleich was Armin sagte.

Er würde nicht hinter Levi Rivaille zurückstehen, der gottverdammt nochmal alle Übungen mit ihm zusammen ausführte und scheinbar unberührt davon war. Er war zu stur dazu.
 

Tatsächlich schaffte er es auch alle Erwartungen zu erfüllen. Bis heute. Es war ein heißer Frühsommertag und sie waren bereits viele Kilometer durch den Übungswald gerannt, als Eren spürte, dass er langsam ernsthaft schwächelte und spätestens zu Hause zusammenbrechen würde.
 

Er war sich nicht sicher, ob er es darauf ankommen lassen sollte, erinnerte sich jedoch zu gut an Rivailles Worte. Er hoffte, dass er die richtige Entscheidung traf.
 

„General-Leutnant“, rief Eren atemlos zu dem vor ihm laufenden Mann.
 

Obwohl er keine Reaktion zeigte, wusste er, dass Levi ihm zuhörte.
 

„Können wir eine Pause machen?“, presste Eren zwischen den Zähnen hervor. Es kränkte seinen Stolz, aber es war vernünftig, redete er sich ein.
 

Schwungvoll drehte sich Rivaille um und lief rückwärts weiter. Eine unterschwellige Überraschung blitzte in den kritischen Augen, was Eren peinlich berührt über sich ergehen ließ.
 

„Komm mit“, befahl Rivaille und bog einen unbekannten, schmalen Pfad ab und führte Eren wohl zur Schlachtbank.
 

Doch sie betraten alsbald eine kleine Lichtung mit einem idyllischen Bächlein. Rivaille wurde langsamer und stoppte schließlich vor dem Bachlauf.

„Hier können wir pausieren.“
 

„Wow“, staunte Eren über den schönen Platz und setzte sich erleichtert ins Gras, nachdem Rivaille es ihm vorgemacht hatte.
 

Er atmete tief durch und versuchte sich zu erholen. Sich mit Willenskraft zu entspannen funktionierte jedoch nur bedingt, sodass er sich mit einem resignierten Seufzen nach hinten fallen ließ und seine Arme hinterm Kopf verschränkte. Es tat so gut im Gras zu liegen, dass er automatisch die Augen schloss, die Sonne und den Duft der Wiesenblumen genoss. Das Plätschern des Baches hatte eine hypnotisierende Wirkung auf ihn und ließ ihn sich vollends entspannen.
 

Eren wusste nicht, wie lange sie schweigend auf der Lichtung zugebracht hatten, als Rivaille die Ruhe schließlich brach.

„Ich habe schon darauf gewartet, dass du versagst.“
 

Das holte Eren ruckartig aus seinen Tagträumen. Entsetzt riss er die Augen auf und blickte direkt in Sturmgraue, die auf ihn herabblickten. Doch trotz Panik erkannte Eren ein amüsiertes Funkeln in Rivailles Augen, was ihn sich unwillkürlich beruhigen ließ.
 

Irgendwie hatte Eren das Gefühl, dass es nicht negativ gemeint war.
 

Rivaille erkannte seinen Stimmungswechsel scheinbar, denn er wandte ihm den Kopf ganz zu.
 

„Sie haben mich echt fertig gemacht, General-Leutnant“, grinste Eren plötzlich. Irgendetwas in ihm erheiterte sich über diese Situation.
 

„Hör' mit dem ewigen General-Leutnant auf. Sir oder Levi reicht“, meinte Rivaille entnervt.
 

„Ich darf Sie duzen?“, entfuhr es Eren ungläubig.
 

„Das habe ich nicht gesagt, Balg, nur, dass Levi reicht. Davon bricht mir kein Zacken aus der Krone“, erwiderte Rivaille, weiterhin mit dem Blick auf ihn gerichtet.
 

„Vielen Dank, Sir!“, rief Eren geradezu enthusiastisch, was Levi die Augen rollen ließ.
 

„Du bist so ein Kind“, stellte Levi fest und wandte sich ab.
 

„Ich bin bloß temperamentvoll und ehrlich“, verteidigte Eren sein Verhalten.
 

„Ich dachte schon mehrmals, ich müsste dir Pisser eine Windel holen.“
 

„Das liegt nur an Ihrem Auftreten“, sprudelte es aus Eren, was er eine Sekunde später bereute und sich erschrocken die Hand auf den vorlauten Mund schlug.
 

„Du machst es gerade wieder“, stellte Levi fest und betrachtete ihn nun mit verhältnismäßig deutlichem Amüsement.
 

„Entschuldigen Sie“, sagte Eren, ehe er ehrlich erklärte, „Ich bin schon oft wegen meiner großen Klappe in die Bredouille geraten...“
 

„Du musst nur wissen, bei wem du es dir leisten kannst und bei wem sich der Ärger nicht lohnt.“
 

Eren blickte stirnrunzelnd in den Himmel.

„Ich habe schon während meiner Polizeiausbildung versucht unter vier Augen mit den Ausbildern zu reden, die meiner Meinung nach etwas nicht gerecht beurteilt haben. Meistens gegenüber Dritten. Die haben mich jedoch immer nur verwarnt und sind in ihrer Vollkommenheit aufgegangen. Nachdem sie dann anfingen mich zu schikanieren, habe ich es mir die meiste Zeit dann verkniffen, aber völlig konnte ich die Schnauze nie halten. Ich bin einfach unverbesserlich.“

Den letzten Satz sprach Eren mit verbittertem Unterton aus. Zu oft war er sich durch seine Art selbst im Weg gestanden.
 

„Ganz so unverbesserlich nicht, sonst würden wir nicht hier sitzen.“
 

Als Eren ihn wortlos fragend anstarrte, führte er ungeduldig weiter aus.

„Du hast deine Grenzen erkannt und deinen Stolz heruntergeschluckt. Also ist bei dir noch nicht Hopfen und Malz verloren.“
 

Diese Worte brachten Eren zum Strahlen. Das war das größte Lob, das er sich hätte vorstellen können. Froh kicherte er und fuhr sich über die Stirn.
 

Levi schnaubte.

„Du bist nicht nur ein Balg, sondern auch ein Mädchen.“
 

Statt Eren zu empören, begann er darüber zu lachen. Er fühlte sich gerade einfach gut.
 

„Sagen Sie“, begann Eren, „War Ihr militärisches Training körperlich anspruchsvoller als unseres?“
 

„Nein, wir wurden nur mehr schikaniert.“
 

„Ach so? Ich finde es nämlich erstaunlich, dass Sie das alles mit uns mitmachen und völlig unbeeindruckt davon bleiben können“, erläuterte Eren.
 

„Warum? Weil ich klein und alt bin?“, hakte Levi lauernd nach, was Eren einen Schauer über den Rücken jagte.
 

Er konnte sich nur reinreiten.

„Nein, einfach nur so. Kein anderer Ausbilder hat das je mit uns gemacht...“
 

„Aber klein und alt bin ich?“
 

Eren wurde panisch.

„Ich weiß nicht wie alt Sie sind, aber Sie sehen nicht so alt aus wie Sie wahrscheinlich sind“, und nach kurzer Pause, „I-Ich meine,... also, das war...“
 

„Ach, sei schon still, Rotznase!“, unterbrach ihn Levi harsch, was Eren völlig die Contenance verlieren ließ und er sich beide Arme vors brennende Gesicht schlug.
 

Ein leises Glucksen, ließ ihn aus seinen gedanklichen Verwünschungen schrecken und er schielte zwischen seinen Armen zu Levi empor, der ihn schmunzelnd betrachtete.
 

„Sie...“, begann Eren fassungslos und setzte sich wieder auf, „Sie haben mich verarscht!“
 

In sitzender Position war Eren wieder ein wenig größer, sodass Levi nun zu ihm hochblicken musste. Weiterhin spiegelte sich klares Amüsement in den sonst bewegungslosen Augen.

Erens Herz machte einen Satz, als er das sah.
 

„Mach dir nicht gleich in die Hose, Jäger. Wenn ich angepisst bin, wirst du das schon merken.“
 

„Wenn mich das beruhigen sollte, dann war das gerade nicht sehr effektiv“, entgegnete Eren trocken und schneller als er denken konnte. Mal wieder...
 

Mit einem belustigten Schnauben stand Levi auf, was Eren ihm umgehend gleichtat.

„Es heißt, wer's nicht im Kopf hat, hat's in den Beinen. Mal sehen, was du zu bieten hast.“
 

Sie sprinteten die restlichen elf Kilometer Heim.
 

*~*
 

„Hey, Levi“, rief Hanji die Treppe hoch, was ihr einen äußerst grimmigen Gesichtsausdruck einbrachte, „Was hat dich denn überfahren? Du siehst ja völlig fertig aus!“
 

„Wer sieht fertig aus?“, wollte Mike wissen, der wegen dem Geschrei den Hals aus dem Gemeinschaftsraum reckte.
 

„Levi!“, gestikulierte Hanji nach oben, musste jedoch feststellen, dass das Objekt ihrer Unterhaltung weitergegangen war, und erklärte Mike darum, „Er sieht ganz blass und müde aus. Ich mein, schlimmer als sonst.“
 

„Fick dich!“, fauchte Levi nach unten, was Hanji umso mehr wie ein Honigkuchenpferd grinsen ließ.
 

Mike blickte demgegenüber eher irritiert drein und kratzte sich am Kopf.

„Kann es sein, dass er endlich mal ausgelastet wurde?“
 

„Anscheinend“, schmunzelte Hanji und sagte dann extra laut in der Hoffnung, dass Levi es noch hörte, „Es sieht so aus, als hätte sich unser Giftzwerg von seinem Jäger-Liebling abschießen lassen!“
 

Das Türknallen war Hanji Genugtuung genug, Mike jedoch starrte sie an, als sei sie einer psychiatrischen Klinik entlaufen.

„Was zur Hölle?!“
 

Hanji winkte lachend ab.
 

Der Tumult lockte auch Erwin aus seiner Wohnung und ließ ihn zwischen den Geländern hinabsehen.

„Ich hab euch bis ins Wohnzimmer gehört. Was ist los?“
 

Mike deutete nachdrücklich auf Hanji, die Erwin anlächelte.
 

„Nix, Levi ist nur nach Hause gekommen", erklärte sie belustigt.
 

„Und warum war das so interessant, dass ich dafür aus meinem Roman gerissen wurde?“
 

„Weil Levi völlig erschöpft angekommen ist und ich ihn seit dem Krieg nicht mehr körperlich fertig gesehen habe“, erläuterte Hanji bereitwillig.
 

„Und warum ist das ein Grund zur Freude?“, zweifelnd warf Erwin Mike einen Blick zu, der daraufhin achselzuckend den Kopf schüttelte.
 

„Nur so, weil ich glaube, dass er endlich gefordert ist“, zwinkerte Hanji und drehte sich schwungvoll um und scheuchte Mike von der Tür weg, um in den Gemeinschaftsraum gehen zu können.
 

Erwin gab Mike ein Zeichen, dass er verhindern möge, dass Hanji - noch mehr - Alkohol trank und wandte sich mit einem Lächeln auf den Lippen ab.
 

Hanji war es jedoch egal, ob sie für bescheuert gehalten wurde. Sie freute sich ungemein, dass in Levi endlich wieder etwas Leben kam und er eine Herausforderung für sich gefunden hatte.
 

Es wurde Zeit.
 

*~*
 

Bis Eren wieder mit den anderen an den Theoriestunden teilnehmen musste - das war der reinste Urlaub - hatte er mit Levi noch intensiver trainiert als je zuvor. Falls man das noch als Training hatte bezeichnen können, denn ohne Absicht hatte sich zwischen ihnen ein Wettkampf entwickelt, der zu Erens Freude selbst Levi schlauchte. Zwar mussten sie dementsprechend öfter außerplanmäßige Pausen einlegen, doch wie sehr sich Eren verbessert hatte, merkte er vor allem, als er wieder nur noch mit den anderen trainierte.
 

Ihm fehlten die quasi privaten Trainingseinheiten.
 

Vielleicht war das auch der Grund, warum er diesen Sonntag abends schwimmen ging und hoffte, dass er Levi dabei antraf.
 

Etwas mürrisch stellte er fest, dass die Halle dunkel und leer war. Nichtsdestotrotz zog er sich um und stieg ins Wasser. Es fühlte sich kalt auf seiner vom Tag erhitzten Haut an. Er beschloss es langsam angehen zu lassen und die Ruhe zu genießen. Seine Freunde hatten auf dem Grasstreifen vor ihrer Unterkunft grillen dürfen, was natürlich in einem heillosen Durcheinander und einigem Gekeife geendet hatte. Eren gab ja zu, dass er einer der Hauptakteure dabei gewesen war, aber Jean hatte ihn auch provozieren müssen.
 

Die Pferdefresse hatte sein saftiges Steak absichtlich in den Dreck fallen lassen und das war erst der Anfang.
 

Tief seufzend drehte sich Eren auf den Rücken und ließ sich auf der Wasseroberfläche treiben.
 

Es war bereits August und die Pferdefresse war immer noch nicht geflogen. Dazu war der Drecksack auch zu gut. Er stach zwar nicht sonderlich hervor, aber er bewältigte alle Aufgaben einwandfrei. Wenn sie sich nicht ständig in die Haare kriegen würden, wäre es echt nett mit allen.
 

Aber egal wie sehr sich Eren anstrengte, nach seinem Aufbau- und Sondertraining hatte Jean ihn erst recht verspottet. Er suchte regelrecht nach Streit und Eren verstand einfach nicht warum. Er würde ihm lieber aus dem Weg gehen.
 

„Du sollst schwimmen, nicht pennen wie ein fauler Saftsack.“
 

Eren schreckte arg zusammen, sodass er aufrecht im tiefen Wasser trieb und sich gehetzt umsah.
 

Levi stand in Schwimmershorts am Beckenrand, eine Hand in die Hüfte gestemmt und betrachtete ihn ausdruckslos. Eren hatte ihn überhaupt nicht kommen hören.
 

„Ich war in Gedanken“, erklärte Eren mit einem Lächeln. Er hatte gelernt sich nicht mehr ständig bei ihm zu entschuldigen, nachdem Levi ihn des öfteren darauf hingewiesen hatte.
 

„Du kannst im Bett denken. Ich will schwimmen, also mach“, befahl Levi.
 

Eren ließ sich nicht irritieren und grinste schelmisch.

„Was halten Sie davon, wenn wir um die Wette schwimmen?“
 

Etwas in Levis Augen blitze und er begann ins Wasser zu steigen.

„Erst nachdem ich mich eingeschwommen habe.“
 

Ein triumphierendes Lächeln zierte Erens Lippen und er fing ebenfalls an sich aufzuwärmen.
 

***
 

Wenn sie anfangs noch zivilisiert alle Schwimmarten auf Zeit und Runden geschwommen waren, so waren sie zum Ende hin nur noch gekrault bis sie nicht mehr konnten.
 

Atemlos und vor Erschöpfung zittrig stützte sich Eren mit den Armen am Beckenrand ab. Das Blut rauschte in seinen Ohren und es war ihm etwas übel. Er wollte gar nicht wissen, wie viel Chlorwasser er verschluckt hatte. Aber er fühlte sich gut. Sogar mehr als gut. Er fühlte sich fantastisch!
 

Levi neben ihm ächzte ebenfalls nach Luft. Nun, so viel wie ein Levi Rivaille ächzen konnte jedenfalls... Er atmete tief und schnell ein und aus.

Eren war beim Tauchen und Brustschwimmen schneller gewesen, doch nun beim Kraulen hatte er mit einer halben Runde Abstand verloren. Dennoch war er stolz auf sich und freute sich darüber, dass er Levis Leistungen näher kam.
 

Es machte Spaß sich mit ihm zu messen.
 

„Danke“, sagte Eren drum und lächelte Levi erschöpft, aber strahlend an.
 

Dieser begegnete seinem Blick skeptisch.

„Wofür? Das war reiner Selbstzweck.“
 

„Es hat mir trotzdem große Freude bereitet“, erwiderte Eren mit ungebrochenem Lächeln. So schnell ließ er sich nicht ins Boxhorn jagen.
 

„Hm“, murrte Levi und hievte sich aus dem Schwimmbecken.
 

„Nächsten Sonntag um dieselbe Zeit?“, fragte Eren bemüht sachlich, doch der hoffnungsvolle Unterton hatte sich trotzdem eingeschlichen.
 

Levi sah über seine Schulter. Seine sturmgrauen Augen schienen ihn zu durchlöchern.

„Vielleicht.“
 

Das reichte Eren. Zufrieden nickte er und grinste vor sich hin, ehe auch er sich aufraffte und zur Umkleide ging. Levi war bereits fort.
 

***
 

„Eren! Ich habe mit Ben telefoniert - du weißt schon, der aus der IT-Abteilung. Er hat seit unserem letzten Telefonat vor gut einem Monat Informationen über General-Leutnant Rivaille beschafft“, sprudelte es aus Armin heraus, als er ihr gemeinsames Zimmer betrat.
 

„Häh? Was für Infos?“ Eren war nach dem anstrengenden Schwimmtraining zu müde, um alles sofort zu verstehen. Sein Gehirn befand sich schon im Halbschlaf.
 

„Warum er beim Militär aufgehört hat zum Beispiel“, erklärte Armin, was Erens Neugierde erweckte.
 

„Und?“ Er setzte sich gegenüber Armin auf sein Bett und sah den Blonden erwartungsvoll an.
 

Der wurde plötzlich ernst und faltete die Hände.

„Es ist eine ziemlich schlimme Geschichte und ich hab auch wenig Details...“
 

„Armin“, drängte Eren ihn genervt. Jetzt hatte er ihm schon den Mund wässrig gemacht.
 

Armin seufzte und sah ihn an.

„Von Anfang an: Rivaille wurde in Bangkok geboren und dort mit 17 eingezogen. Er kam damals sofort mit Smith, Zoë und Zacharias in eine Kompanie. Sie waren in der Artillerie, genauer gesagt bei den Jägern. Rivaille ist überdurchschnittlich schnell in den Rängen aufgestiegen. Noch vor dem 4. Weltkrieg war er General-Leutnant und das mit gerade mal 26 Jahren.“
 

„Das ist seltsam“, unterbrach Eren seinen Freund, „Er hätte nach dem Krieg im Rang zum General aufsteigen müssen und überhaupt, wie ist es möglich als Ausländer ins Europäische Heer aufgenommen zu werden?“
 

„Seine Eltern waren Franzosen“, meinte Armin mit einem Schulterzucken, „Und na ja, warum er nicht geehrt wurde...“
 

Eren wartete diesmal geduldig bis Armin weitersprach.

„Seine Jägertruppe wurde in viele vier bis fünf Soldaten starke Einheiten aufgeteilt, um die Dörfer vor Beijing von feindlichen Truppen zu befreien. Dabei kam seine Einheit komplett um, nur er überlebte. Er kam nach Ende des Krieges vor Gericht und wurde unter Berücksichtigung seiner ansonsten herausragenden Leistungen nur freigestellt...“
 

„War es denn seine Schuld, dass seine Einheit umkam?“, wollte Eren betreten wissen.
 

„Ich weiß leider nicht mehr, aber Ben meinte, dass er sich soweit es ging unauffällig umgehört hat und er nie wirklich positive Reaktionen Rivaille bezüglich bekommen hat. Er meinte, es wirke, als habe man ihn aufgrund vergangener Taten nicht unehrenhaft entlassen wollen.“
 

Nachdenklich sah Eren auf seine Hände. Wenn Levi wirklich wegen Mauschelei nicht entlassen wurde, war das natürlich eine große Schweinerei - nicht nur aufgrund Gesetzwidrigkeit.
 

Aber Armins Informationen waren mau und ein Gerichtsverfahren komplex.

General Smith hatte einen ausgezeichneten Ruf. Genauso Generaloberstabsärztin Zoë und Generalstabsarzt Zacharias. Warum sollten sie jemanden in ihre Mitte holen, der für den Tod von Kameraden verantwortlich ist und ungestraft davonkam?
 

Es sei denn, sie sind dazu gezwungen worden, schoss es Eren durch den Kopf. Dieser Gedanke war nicht unmöglich, doch er gefiel ihm ganz und gar nicht.
 

Levi war sicherlich ein unkonventioneller Ausbilder. Ungewöhnlich klein für einen Soldaten oder auch Polizisten. Seine Art war zwar harsch wie seine Worte, wodurch er bis jetzt sicherlich jedem bereits mehrmals auf den Schwanz getreten war, nichtsdestotrotz machte er seinen Job verdammt gut. Eren hatte, während seinen Sondertrainingsstunden mit ihm, angefangen Levi zu bewundern und er konnte sich nicht vorstellen, dass er sich einem gesetzmäßigem Urteil entziehen würde.
 

„Auf jeden Fall“, riss Armin Eren aus seinen Gedanken, „denke ich, dass wir nicht vorschnell über Rivaille urteilen dürfen. Diese allseitige Antipathie könnte auch wegen seinem Verhalten herrühren. Er scheint ja bei niemandem ein Blatt vor den Mund zu nehmen.“
 

Eren verzog die Mundwinkel zu einem freudlosen Lächeln. Er nahm sich vor, eines Tages die Wahrheit herauszufinden.
 

*~*
 

An einem ganz anderen Ort, weit fernab von jeglicher Kontrolle, traf ein Mann auf eine Gruppe anderer Männer.
 

+++


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war also das zweite Kapitel. Es ist das bisher kürzeste, selbst das unfertige Fünfte ist bereits länger. Obwohl nichts besonders ereignisreich war, hoffe ich, dass es trotzdem Anklang findet(((o(*゚▽゚*)o))) Es ist mehr zwischen den Zeilen geschehen.

Im dritten Kapitel wird Eren mit den vier Militärs auf eine Weise konfrontiert, von der er nie
zu träumen gewagt hätte. Ob das gut oder schlecht ist?
Jedenfalls kommt er seinem Ziel, mehr über Levi zu erfahren, ein klitzekleines Stück näher;-)

FRAGE an meine lieben Leser: Im nächsten Kapitel ist es Weihnachten und Silvester. Soll ich das Kapitel dann lieber erst zu Weihnachten hochladen oder meinem dreimonatigen Rhythmus folgend Ende November?

An alle, die sich die Mühe machen zu kommentieren, möchte ich ein ganz großes Danke richten! Ihr seid die Besten! (*_*)
Ich weiß, wie nervig und zeitaufwendig es sein kann. Ich hoffe, dass diese Geschichte auch denjenigen, die ohne zu kommentieren mitlesen, gefällt.
Dennoch würde ich mich auch über den noch so kleinsten Kommentar freuen^_^ Es ist die einzige Resonanz, die ich bekommen kann und ich möchte mich gerne verbessern. Also immer her mit Kritik!

Ich wünsche allen einen schönen Spätsommer und viel Erfolg in Schule/Uni/Job!
(Ich schreibe gerade zwei Hausarbeiten, hatte zwei Praktika und am 9.9. geht die Examensvorbereitung los, also hoffe ich, dass es bei euch weniger turbulent zugeht:-3)

Bye

Minerva Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Lin_Uchiha
2014-11-16T21:32:17+00:00 16.11.2014 22:32
Hey erstmal :)
Also, viel viel viel Lob an deine Fanfiction! ICH LIEBE SIE!
Dazu muss man sagen, dass ich eine Schwäche für richtig lange Kapitel habe. Darum freu ich mich schon rießig darauf, dass die nächsten noch länger werden.
Ich mag deine Story und wie du die Charaktere schreibst. Also mach auf jeden fall weiter so :D

Also, ich glaube ich würde mich sehr über das nächste Kapitel als "Weihnachtsspecial" freuen, wenn es also um Weihnachten rum kommt. :) Allerdings... muss ich dann ja noch länger warten Q.Q
>.<

Lg Lin~
Antwort von:  Minerva_Noctua
17.11.2014 19:22
Hey!

Vielen lieben Dank dafür, dass du dir die Zeit genommen hast mir einen Kommentar zu schreiben:)
Ich freu mich sehr darüber!
Schön, dass du die Charaktere magst. Ich bin gespannt, was du dann zum nächsten Kapitel sagst;)
Ich werde das nächste Kapitel dann zwischen dem 20. und 24. Dezember hochladen. Das wird so auch besser passen.
Danke nochmal und schöne Woche!

Liebe Grüße,

Minerva


Zurück