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disease

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The Soul No. 01

Flügel... Ich will Flügel haben!
 

Flügel, um den Bildern zu entkommen, dem flüssigen Gift, den starren Blicken, den Schreien, den Klauen und der Dunkelheit.
 

Mein Körper zittert, mein Atem geht schnell.
 

Angst.
 

Ich kann mich vor Angst nicht rühren.
 

Es ist kalt in den Kellergewölben, der Stein um mich herum ist feucht, über mir eine Welt, die ich nicht kenne...nicht mehr.
 

Flügel! Bitte gib mir doch jemand Flügel!
 

Wieder dringt das Geräusch von zerreißender Haut an meine Ohren. Wieder erklingt das gequälte Stöhnen einer sterbenden Kreatur, während Reißzähne in ihre Kehle eindringen. Flüssiges Gift fließt lautlos über den Boden... Blut.

Es folgt den Unebenheiten des Steins, füllt die Rillen zwischen den einzelnen Steinen als erstes, bevor es sich weiter ausbreitet. Still. Schleichend. Heimtückisch.

Ich weiche zurück.
 

Ich weiß, dass ich anders bin. Ich bin...immun. Dennoch habe ich Angst vor diesem Gift. Es schadet meinem Körper nicht, aber es tötet meinen Geist, wenn ich damit in Berührung komme. Simpler Hautkontakt genügt dann bereits, um diese Bilder in mir zu erzeugen. Es weitet grausam meine Sinne, lässt mich intensiver spüren, sehen, hören und leiden…
 

Ein letzter Atemzug und die arme Kreatur regt sich nicht mehr. Ich kann nicht wegsehen, bin vor Angst gelähmt und schaue mit an, wie das arme Ding auseinander gerissen wird.
 

Das hätte auch ich sein können.
 

Kälte schüttelt mich und ich krieche weiter in meine Ecke zurück. Ich darf keinen Laut von mir geben, darf sie nicht auf mich aufmerksam machen, darf ihnen nicht zeigen, dass ich die einzige hier bin, die noch nicht zu ihnen gehört. Ich darf ihnen nicht zeigen, dass ich die einzige bin, die noch nicht komplett den Verstand verloren hat.
 

Ihr schnaubender, stinkender Atem widert mich an. Ihre Mäuler sind blutig, in ihren Augen steht der Wahnsinn. Ich weiß, dass ich die nächsten Stunden nichts zu befürchten habe. Sie haben gefressen. Sie werden mir nichts tun, bis sie wieder Hunger bekommen.
 

Ich flehe darum, dass nicht ich das nächste Opfer sein werde. Ich flehe darum, dass es vielleicht der Junge ist, der mit mir zusammen in dieses Loch gesteckt wurde. Oder vielleicht die Frau, die schon so lange vor Schmerzen stöhnend in einer Ecke liegt.
 

Bitte... Gebt mir doch endlich Flügel, damit ich davon fliegen kann! Erhört doch endlich mein Flehen. Ich brauche nur ein bisschen Hilfe. Nur ein bisschen...ein klein wenig...
 

Meine Augen schließen sich.

Ich bin müde.

Müde des Lebens.

Und doch flehe ich darum, dass nicht ich es bin, die als nächstes auseinander gerissen wird.
 

Ich will nicht!
 

Vielleicht spüren diese Kreaturen das… Vielleicht spüren sie instinktiv, dass ich an meinem Leben festhalte?
 

Ketten klirren und ich zucke zusammen. Panik schnürt mir die Kehle zu und nimmt mir den Atem. Das, was da draußen lauert ist der Tot. Schlimmer noch als der, welcher mir in diesem Loch bevorsteht.
 

Ich will nicht.

Ich will nicht zu einem von ihnen werden.

Ich will leben!
 

Lasst mich doch endlich fliegen! Lasst mich von hier weg fliegen! Gebt mich doch endlich frei!
 

...
 

Schlagstöcke krachen gegen die Gitterstäbe. Instinktiv ziehen die Kreaturen sich in die Dunkelheit zurück. Sie sind mehr Tier als Mensch, aber sie haben Angst. Angst vor den schwarzen Göttern.
 

Wieder klirren Ketten, mehrere Schlösser knirschen, als man eines nach dem anderen öffnet.

Eine vermummte Gestalt im schwarzen Umhang steht am Gitter, den Schlagstock in der Hand. Sie hält genug Abstand um nicht in Gefahr zu geraten, aber selbst über die Distanz hinweg kann ich die Kälte dieses Augenpaares spüren.
 

Ich will weinen, aber ich habe längst keine Tränen mehr.
 

So sehr ich auch hoffe, ich weiß, dass man mich längst entdeckt hat. Wahrscheinlich wundert man sich darüber, dass ich noch immer am Leben bin. Noch immer, nach all der Zeit. All die Zeit in Dunkelheit. All die Zeit zwischen willenlosen Kreaturen, Missgestalten, sich selbst überlassen. Abfall. Entstanden aus dem Versuch, die perfekte Lebensform zu erschaffen...
 

Was für ein Wahnsinn. Ein Wahnsinn, welchen diese schwarzen Götter herauf beschwört hatten in dem Glauben, die Welt verbessern zu können.

Ein Glauben, der die Welt dem Untergang geweiht hat.
 

Ich spüre wie mein tauber Körper sich erhebt, als wäre es nicht mein eigener. Meine Augen sind auf die vermummte Gestalt gerichtet. Sie wartet. Sie weiß, dass ich ihr nicht entkommen kann, dass ich mich in mein Schicksal ergeben werde.
 

Ich wende den Blick nicht von ihr ab, während ich mich lautlos durch das Gewölbe bewege. Meine nackten Füße weichen blind den Blutlachen aus und steigen über verstümmelte Leichname, über lose Körperteile und halb abgenagte Knochen.

Ich rieche den Verwesungsgestank schon längst nicht mehr.
 

Am Gitter bleibe ich stehen. Wieder wird warnend mit den Schlagstöcken gegen die Stäbe geklopft. Das Geräusch hallt im Gewölbe tausendfach verstärkt wieder und jagt mir einen Schauer über den Rücken.
 

Ich höre das unruhige Schnauben der Kreaturen hinter mir.

Wenn sie nur wüssten was für Kräfte sie besaßen. Sie hätten schon längst aus ihrem Gefängnis fliehen können.
 

Ich weiß nicht, ob es da draußen noch Menschen gibt. Aber ich bete jeden Tag darum. Ich bete darum, dass es da draußen Leben gibt. Unbeschwert, nicht bedroht durch diese Kreaturen, welche zusammengepfercht in den Unterwelten lauern.
 

In der Hölle.
 

Das Gitter vor mir öffnete sich, mein Körper bewegt sich automatisch. Er kennt den Weg.

Ich lasse das Verließ hinter mir, meine nackten Füße suchen sich ihren Weg über rauen, scharfkantigen Stein, die grob gemeißelten Stufen hinauf und dem Licht entgegen.
 

Trügerisch du süße Qual...wie trügerisch du doch bist...
 

Das Licht bedeutet noch viel schlimmere Ängste als die stille Dunkelheit dort unten. Ich kann nicht atmen vor Angst.

Ich bleibe stehen, warte ab, als ich das Ende der Stufen erreicht habe. Das Licht blendet meine empfindlichen Augen, ich spüre die Wärme der Sonnenstrahlen schon längst nicht mehr.
 

Demütig beuge ich den Kopf und spüre den bekannten Druck im Nacken. Das Lesegerät piept, als es den Strichcode in meinem Nacken scannt. Ganz so, als wäre ich eine Ware.
 

0800 nennen sie mich...
 

Ich weiß, dass ich einst einen Namen hatte. Aber ich habe ihn vergessen. Es kommt mir vor, als käme er aus einem anderen Leben. Ein Leben, das nicht mehr das meine ist. Einst konnte ich die Sonne auf meiner Haut spüren, konnte tanzen zwischen hohen Gräsern und mich vom Winde tragen lassen, dem Meeresrauschen lauschen und abends mit den Sternen am Himmel sprechen.
 

Es kommt mir vor, wie ein blasser Traum.
 

Ich werde nie meine Flügel bekommen...
 

Stumm trete ich ins Freie. Der Himmel ist bewölkt, der Boden staubig.

Um mich herum noch mehr vermummte Gestalten. Sie weigern sich seit Anbeginn ihre Gesichter zu zeigen. Vielleicht aus Angst vor der Rache der Kreaturen, welche sie selbst geschaffen haben.

Alles was man von ihnen sieht, sind eiskalte Augen. Sie bewegen sich und sprechen wie Menschen. Sie atmen, wandeln umher wie Menschen... Aber in ihren Augen ist nichts menschliches mehr. Nichts.
 

Ein unangenehmer Wind zerrt an den Fetzen die ich am Leibe trage. Einst war es vielleicht eine Art schlichtes Kleid. Der Stoff ist rau und kratzt auf der Haut, er ist zerrissen und die ursprüngliche, schmutzige Farbe lässt sich nur noch erahnen. Jetzt ist der Stoff in Blut getränkt, die Flecken sind getrocknet, aber die Erinnerung bleibt.
 

Es hat ihr gehört… Ihr, die kurz nach mir in diese Hölle kam und noch vor mir den Verstand verlor. Ihre Knochen liegen nun dort unten im Verlies. Vergessen von der Welt. Aber nicht vergessen von mir.
 

Sie hat mich beschützt, hat sich geopfert um mir das Leben zu retten. Sie hatte das ihre schon aufgegeben. Ich das meine noch nicht...
 

Ich kann ihre Schreie noch immer hören. Ihre Schreie, während ihr Körper auseinander gerissen wurde. Ich kann ihre letzten, gurgelnden Atemzüge hören, kann ihre weit aufgerissenen Augen sehen, ehe sie aus ihren Höhlen gerissen wurden. Der Hunger hat diese Kreaturen dort unten dazu getrieben sie als nächstes Opfer zu ernennen. Die Fetzen die ich jetzt am Leibe trage haben ihr gehört. Als ich sie ihr genommen habe, waren sie noch warm gewesen... Und der Stoff nass von ihrem Blut.
 

Bitte! Wenn es noch Menschen dort draußen gibt... Bitte... Gebt mir Flügel!
 

...
 

Ich stolpere weiter durch den Staub und werde in einen Jeep gesetzt. Der Motor heult auf, ich spüre das leichte Vibrieren des Wagens unter mir, als wäre es ein fremder Körper den er durchdringt.
 

In meinem Kopf ist alles leer. Schwarze, schmutzige Haarsträhnen werden mir aus dem Gesicht geweht, während der Jeep davon braust.
 

Ich schließe die Augen und bilde mir ein, ich würde fliegen....
 

Ich spüre wie mein Herz heftig klopft. Ich spüre wie mein Körper Anstalten macht zu neuem Leben zu erwachen, wie eine lang vermisste Wärme in mich zurückkehrt.
 

Dann ist alles vorbei.
 

Der Jeep hält, ich höre die rohe Aufforderung und folge ihr. Ungeschickt steige ich aus dem Wagen und stolpere über den gepflasterten Hof.
 

Grau... Alles hier ist grau. Farblos. Trist... Tot.
 

Es schaudert mich. Ich gehe dumpf die geraden, glatten Stufen hinauf durch einen Seiteneingang, hinein ins Innere des Gebäudes, welches mir vorkommt wie ein gefräßiges Tier.
 

Viele schon sind diesen Weg gegangen.

Wenige sind zurückgekehrt…
 

Die Welt ist im Wandel... Die Menschen haben sich selbst zu Göttern auserkoren. Die Wissenschaft ist zu weit vorangeschritten, hat wahnsinnige Wege eingeschlagen und zerstört mehr, als das sie schafft.
 

Die perfekte Lebensform...

Darum bin ich hier.
 

Ich bin kein Mensch mehr, diesen Status hat man mir aberkannt. Ich bin nichts weiter als 0800...eine Nummer, eine Ware, ein Versuchskaninchen auf dem Weg zur Perfektion.

Ich weiß nicht was sie dieses Mal mit mir anstellen werden.

Es ist mir gleich.
 

Ich schließe meinen Geist davor, will nichts sehen, nichts hören, nichts spüren...
 

Die Menschen haben zu viel Macht erlangt. Macht, welche sie in den Wahnsinn treibt. Anders als diese bedauernswerten Kreaturen in den Verliesen dort unten...aber viel gefährlicher. Sie stellen sich über alles, sie haben sich selbst zu Göttern ernannt, um die Welt neu zu erschaffen, wie sie es sagen.
 

Sie wollen eine neue Rasse Menschen züchten, wie es schon viele Herrscher vor ihnen versucht haben. Jetzt aber ist die Zeit voran geschritten und sie sind so tief in die Wissenschaft eingetaucht, dass ihnen beinahe alle Türen offen stehen.

Sie öffnen eine nach der anderen, reißen sie aus den Angeln, so dass sie sie nicht wieder schließen können, wenn das notwendig sein sollte.
 

Die perfekte Lebensform...
 

Ich weiß nicht, was sie sich darunter vorstellen. Wahrscheinlich wissen sie es nicht einmal selbst. Sie probieren einfach. Wie kleine Kinder mit einem Chemiebaukasten.
 

Sie gehen über Leichen, bringen ein Opfer nach dem anderen und ihre Herzen sind aus Stein, so dass sie nicht sehen was sie da tun, nicht spüren was für einen Schaden sie anrichten.

Ich bemitleide sie, ebenso sehr wie ich sie verabscheue...
 

Ihre Versuche haben schlimmes erschaffen. Schlimmer, als sie es wohl erfassen können. Sie begreifen nicht, was sie da tun.
 

Aus den Abfällen ihrer Versuche heraus, ist tatsächlich eine neue Lebensform entstanden. Ein Schmarotzer, welcher sich anderer Körper bedient. Ein Parasit, der von einem Besitz ergreift, einen von innen heraus um den Verstand bringt, einem das Hirn zerfrisst. Langsam und qualvoll.
 

Als erstes sind da starke Schmerzen, dann kommt langsam die Gewissheit, dass sich etwas in einem befindet...etwas Lebendes, was durch einen hindurch kriecht, sich windet...
 

Die meisten macht es wahnsinnig. Sie reißen sich die eigene Haut auf, um sich von den Parasiten zu befreien. Sie schreien ihre Qualen heraus, während sie sich die eigenen Leiber aufschneiden. Mit stumpfen Steinen, mit bloßen Händen, wenn es sein muss...

Unnütz.

Nichts befreit sie von diesen Schmarotzern. Bis sie zu diesen willenlosen Kreaturen werden, welche nun dort unten hocken.
 

Wenige von ihnen überleben es. Aber die wenigen die es tun, sind schlimm genug.
 

Einst waren sie wie du und ich und nun sind sie zu Monstern geworden... Monstern, die nur noch für ihre Instinkte leben. Nicht mehr als blutrünstige Tiere in Tollwut.
 

...
 

Ach bitte... Lasst es doch endlich ein Ende haben!
 

Diese Welt ist zu grausam, kann einfach nicht wirklich sein. Es fühlt sich an wie ein Traum...ein Alptraum. Zu grausam. Mein Verstand kann es kaum erfassen.
 

Mit schweren Schritten schleppe ich mich durch die Gänge des Gebäudes. Es ist ein Labor. Eine Werkstatt. Eine Fabrik für die perfekte Lebensform...

Eine Lebensform, die man noch nicht gefunden hat und die man wohl auch nie finden wird. Die schwarzen Götter in ihren dunklen Umhängen sehen das nur noch nicht. Und ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass sie es je begreifen werden.
 

Sie gehören alle zu der gleichen Organisation. M-Gene... Sie sind die Wissenschaftler, die Ärzte, die Regierung, das Gesetz... Es gibt niemanden, der ihnen die Hände bindet. Niemanden, der sie dazu bringen könnte aufzuhören.
 

"Es ist so weit."
 

Wie von weit weg dringen diese Worte zu mir durch. Ich blicke auf. Inzwischen stehe ich in einem Raum. Kahle Wände, ein Tisch, ein einzelner Stuhl, Ketten...

Mir gegenüber eine vermummte Gestalt. Es ist ihre Stimme, die da erklungen ist.
 

Es ist so weit...

Für was?
 

Ich weiß es nicht und es interessiert mich nicht. Ich will nicht wissen was ich als nächstes erdulden muss. Ich will nicht wissen was man mir als nächstes antun wird.
 

Lasst mich...

Lasst mich doch einfach nur mein Leben leben...
 

Man geleitet mich durch den Raum, durch eine Tür, die mir vorher nicht aufgefallen war. Ich füge mich in mein Schicksal.
 

Längst habe ich aufgegeben zu kämpfen...
 

Wir erreichen einen zweiten Raum. Ebenso kahl wie der erste. Leer. Leer, bis auf eine Truhe.

Es erinnert mich an eine Kühltruhe und ich erkenne, dass es auch genau das ist.

Es schaudert mich. Ich will nicht wissen, was sich in dieser Truhe befindet und instinktiv will mein Körper zurück weichen.

Und bleibe dennoch stehen wo ich bin.
 

Ich weiß, dass man mir nicht sagen wird, was man mit mir vor hat. Ich spüre, wie die kalten Fänge der Angst mich erneut umschlingen. Ich zittere.
 

Man drängt mich vorwärts, durch den Raum und eine erneute Tür. Ich finde mich in einem Waschraum wieder, wo zwei vermummte Gestalten auf mich warten.
 

Ich bleibe stehen und lasse zu, dass man mir das zerfetzte Kleid über den Kopf zieht. Es ist mir unangenehm, als ich nackt auf den kalten Fliesen stehe. Man versetzt mir einen Schubs, ich stolpere vorwärts und im nächsten Moment prasselt kaltes Wasser über meinen zierlichen Körper.

Es ist so kalt, dass es sich anfühlt wie kleine Nadelstiche auf meiner weichen, blassen Haut.

Ich werde gewaschen. Man schrubbt mir den Dreck von Monaten weg, bis meine Haut schmerzhaft brennt. Das Wasser welches unter mir in einen Abfluss fließt, ist schwarz vom Schmutz. Man wäscht mir nun auch grob die Haare und ich schließe rasch die Augen.
 

Der Schaum wird weggespült und es ist seltsam, dass ich mich noch schmutziger fühle als vorher...schutzlos.
 

Nass, zitternd, nackt stehe ich da. Ängstlich.
 

Es ist lange her, seit man mich das letzte Mal gewaschen hat. Es war, als ich in dieses Labor hier verfrachtet worden bin. Als Bereicherung für die Forschung hier, so hieß es.
 

Ich bin immun gegen die Parasiten...

Deshalb bin ich etwas Besonderes.

Deshalb bin ich noch immer am Leben.
 

Man drängt mich auf einen kalten, harten Stuhl. Ich sinke darauf nieder und verziehe nicht einmal das Gesicht, als man mir grob an den lang gewordenen Haaren reißt.
 

Mein Körper hat sich verändert. Jetzt, wo all der Dreck runter ist spüre ich es umso deutlicher.

Ich schaue auf und mir gegenüber schaut jemand zurück. Ein Mädchen, auf einem Stuhl. Blass, zitternd, mit stumpfen Blick.

Ich brauche einen Moment bis ich begreife, dass mein eigenes Spiegelbild da zurückschaut. Ich hätte mich nicht erkannt...
 

In meiner Erinnerung sehe ich anders aus. Es ist lange her, seit ich das letzte Mal einen Spiegel gesehen habe. Ich erkenne mich nicht wieder...
 

Meine Haut ist blass, meine Haare sind lang geworden und fallen mir dunkel auf die Schultern. Was mich verwirrt ist aber, dass mein gesamter Körperbau sich geändert zu haben scheint...
 

Bin das ich?

Bin das wirklich noch ich?
 

Nein... Ich bin eine erschaffene Lebensform. Umgebaut und abgeändert, so wie man es haben wollte. Der Körper dieses Mädchens - ich kann es einfach nicht meinen eigenen Körper nennen - ist zierlich und wirkt fast zerbrechlich. Große, schöne Augen, fein geschwungene Augenbrauen, eine zierliche, stupsige Nase und volle, sündige Lippen. Weiche Gesichtszüge, ein schlanker, langer Hals, schmale Schultern. Arme, die in kleinen Händen enden, mit langen, schlanken Fingern. Eine schmale Taille, wohlgeformte, kleine Brüste, lange, glatte Beine und zierliche Füße. Auf meinem Kopf sind die Haare lang geworden, dunkel, mit roten Strähnen darin.... Ansonsten scheint mein Körper aber glatt zu sein, weich wie Samt...
 

Perfektion, die einem schlecht werden lässt.
 

Es fühlt sich nicht an wie mein Körper...
 

Erst jetzt sehen meine Augen all die Narben. Vereinzelt auf meinen Armen, an meinen Seiten. Ich drehe den Oberkörper leicht und sehe, dass sie meinen gesamten Rücken entstellen. Ich zittere und man versetzt mir einen groben Stoß, damit ich wieder still sitze.
 

Die Klingen einer Schere blitzen auf und einzelne, weiche Haarsträhnen segeln lautlos zu Boden. Ich schließe die Augen, lange Wimpern kommen auf meinen Wangen zum Ruhen.
 

Es dauert nicht lang, bis man mit mir fertig ist. Aber ich habe Angst... Angst vor dem, was als nächstes kommt.
 

Man zerrt mich auf die Beine und ich spüre einen Schmerz im Nacken. Entsetzt spüre ich, wie Blut über meinen Rücken läuft. Der Strichcode ist zerstört... Jetzt, bin ich nichts mehr. Nicht mal mehr 0800... Nichts.
 

Ein Taubheitsgefühl nimmt von mir Besitz, während man sich an der Wunde in meinem Nacken zu schaffen macht. Sie heilt unnatürlich schnell und ist im nächsten Moment schon fast wieder vernarbt. Von dem Strichcode ist nicht mehr viel zu sehen...
 

Man wickelt mich in ein dunkles Tuch und führt mich zurück in den vorigen Raum, zu der Truhe hin.
 

Es ist tatsächlich eine Kühltruhe, aber sie ist leer.
 

Im nächsten Moment begreife ich...
 

Sie ist für mich bestimmt. Ein gläserner Sarg, ein eisiges Gefängnis, bis man wieder Verwendung für mich hat...
 

Ich habe keine Kraft mehr mich zu wehren, während man mir in die Truhe hilft. Ich spüre wie die Kälte von mir Besitz ergreift, wie sie sich stechend durch meine empfindliche Haut bohrt.
 

Langsam lege ich mich auf den Rücken, man faltet mir die Hände auf der Brust. Es ist ein Sarg... Ein Sarg, der mich lebend einschließen wird.
 

Ich erinnere mich an eine Geschichte aus einem vorigen Leben. Von einer Prinzessin in einem Sarg aus Glas...

Ob sie auch solche Angst gehabt hat?
 

Die schwarzen Götter schieben den gläsernen Deckel über mir zu, das Atmen fällt mir schwer. Ich höre ein Zischen, als ein Gas in die Truhe strömt.
 

Ich weiß jetzt, dass ich meine Flügel nie bekommen werde......
 

Mir wird schwindlig und mein letzter Gedanke gilt der Prinzessin aus der Geschichte. Sie wurde von einem Prinzen gerettet...ein Prinz, welcher sie aus ihren gläsernen Sarg befreite......



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Schattenmosaik
2013-07-22T05:59:28+00:00 22.07.2013 07:59
Hallo Aijou,

Ich bin gestern Abend zufällig auf deine Geschichte gestoßen und hab jetzt direkt nach dem Aufwachen das erste Kapitel gelesen. War ein schönes Erwachen. :)
Resident Evil kenne ich nicht, aber ich bin allgemein sehr angetan von der Idee einer dystopischen Zukunft, in der ein einziger Großkonzern an der Macht ist. Erinnerte mich spontan an das My Chemical Romance-Danger Days-Konzept, oder an 'Repo! The Genetic Opera'.

Also, wie gesagt, die Idee ist toll.
Die Umsetzung gefällt mir bisher auch sehr gut. Stilistisch sehr schön ausgearbeitet – die zum Teil knappen, abgehackten Sätze schaffen eine düstere, sehr dichte Atmosphäre, und die Verzweiflung der ganzen Situation, in der sich die Protagonistin befindet, wird wahnsinnig gut rübergebracht.

Schon jetzt glaube ich, dass die Geschichte im weiteren Verlauf sehr unheimlich auf mich wirken wird – allein deswegen, weil ich das Grundkonzept für nicht abwegig halte, was unsere wirkliche Zukunft betrifft. Irgendwann wird ganz bestimmt versucht werden, Menschen künstlich zu erschaffen oder zu verbessern.

Tja, ja, das war's erst mal. Ich melde mich wieder, wenn ich weiterlese :)

Liebe Grüße
Antwort von:  Aijou
23.07.2013 17:48
vielen lieben dank :)
ich freue mich sehr über deinen kommentar. vor allem darüber, dass dir die abgehackte art gefällt ;) das mögen nicht alle.
ich hoffe auch der rest gefällt dir stilistisch so gut.


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