H-albe Sachen
Der Samstag zog sich nur schleppend voran. Andererseits verstrich er gleichzeig viel zu schnell.
Sakura war früh aufgestanden, hatte begonnen das Wohnzimmer, das Bad und ihr eigenes Zimmer wieder auf Vordermann zu bringen und deckte um kurz vor elf den Frühstückstisch.
Das Wochenende war die einzige Zeit, in der alle vier WG-Mitbewohner morgens gemeinsam aßen. Unter der Woche war es selten sie zusammen anzutreffen, zumal Naruto immer sehr lange schlief. So lange, dass er jeden Tag erst auf den letzten Drücker aufstand, sich notdürftig duschte und danach sofort weiter zur Universität brauste.
Nach dem Frühstück waren Kakashi und Naruto in die Stadt aufgebrochen, um unter anderem den nötigen Wocheneinkauf zu erledigen. Sasuke und Sakura wiederum waren damit beauftragt, in der Fünfzimmerwohnung weiterhin für Ordnung zu sorgen. Aufräumen konnte gefühlte Stunden dauern – oder die Zeit verflog plötzlich wie im Flug und man wusste hinterher nicht mehr, wofür man so lange gebraucht hatte.
Gegen frühen Abend lag Sakura wieder auf ihrem Bett und starrte die Zimmerdecke an. Das Telefon lag auf ihrem nackten Bauch, ihr Shirt war hochgerutscht. Sie glaubte, Inos Stimme noch immer in ihrem Ohr zu hören. Auch wenn sie sich gestern erst gesehen hatten, ihre Freundin hielt noch immer Gesprächsstoff für die nächsten dreißig Jahre parat.
Sakura fischte sich einen Kugelschreiber aus ihrem Nachttisch und verwandelte ihren Bauchnabel unüberlegt zu einer Blume. Sie war keine gute Zeichnerin und dementsprechend sahen die Blütenblätter auch aus. Allgemein sah ihr Bauch nun aus wie von einem Kind angemalt.
Sakura seufzte und war grade dabei, einen einfachen Strich als Blütenstiel zu zeichnen, als es leise an der Tür klopfte und Sasuke gleich darauf eintrat. Er setzte an, um etwas zu sagen, stutzte dann aber.
"Was tust du da?", fragte er und deutete auf ihren nackten, verzierten Bauch.
Beschämt zog Sakura ihren Kopf ein. Aber nicht etwa wegen dem was sie tat, sondern wegen dem, was in den letzten Tagen geschehen war. Heute war sie ihm aus dem Weg gegangen, auch wenn sie sich immer und immer wieder gesagt hatte, dass sie sich einfach normal verhalten sollte.
Nicht an irgendwelche Peinlichkeiten und schon gar nicht an eine noch dümmere Verliebtheit denken. Sollte sie den gestrigen Tag noch einmal ansprechen? Aber was war, wenn stattdessen wieder etwas Peinliches passieren würde?
"Das siehst du doch", antwortete sie und hätte sich im nächsten Moment für diese leicht patzige Antwort ohrfeigen können. "Ich bemale meinen Bauch."
"Was übrigens nicht sehr gut aussieht", ergänzte Sasuke und kratzte sich kurz am Hinterkopf. "Eigentlich wollte ich nur …"
"Was gestern passiert ist, tut mir wirklich, wirklich leid!", platzte es aus Sakura heraus. Ihr Kopf musste regelrecht glühen und ihre Blicke huschten an jede Stelle ihres Zimmers, nur nicht zu Sasuke. "Und in der Küche … das war nicht meine Absicht! Ich wollte dich nicht vor Kakashi bloßstellen."
Nun war es Sasuke, der kurz beschämt zur Seite schaute, sich aber schnell wieder fing.
"Ist schon okay. Die Sache in der Küche meine ich. Schließlich bin ich ja selber daran schuld."
Er schloss die Tür hinter sich und setzte sich zu Sakura auf das Bett. Sie allerdings richtete sich auf und rutschte sofort von ihm weg. Wenn sie ihn ansah, hatte sie augenblicklich das Bild eines Nackten vor sich. Sakura fühlte sich wie ein kleines Mädchen, das grade in das Alter kam, in dem Jungs allgemein (und angeblich) blöd waren.
Ein Teil in ihr wollte, dass Sasuke wieder ging. Immerhin war sie mehrmals in eine sehr unangenehme Situation mit ihm geraten. Andererseits wollte sie, dass er bei ihr blieb. Hätte sie sich gestern bloß nicht so viel von Ino einreden lassen! Nie wieder würde sie ihn nur als einen Freund sehen können.
"Warum schämst du dich immer gleich für all das, was du getan hast?"
Abwartend schaute Sasuke sie an. Natürlich war auch ihm nicht entgangen, dass ihr sehr vieles peinlich war. Nur, dass er Sakura bis jetzt nie darauf angesprochen hatte.
"Das tue ich doch gar nicht", stotterte sie und knetete nervös ihre Hände.
"Natürlich. Sogar dieser Zitronenspritzer von vor ein paar Tagen war dir zu viel. Dabei war das allenfalls lustig … und für dich ein brennendes Auge. Mehr nicht." Er versuchte ihren Blick einzufangen, was Sasuke erst nicht recht gelingen wollte. Doch sobald Sakura ihn einmal angeschaut hatte, schienen ihre Augen geradezu auf seinem Gesicht zu kleben. Ob sie wollte oder nicht, sie war wie magisch von ihm angezogen.
"Dass du mich im Bad gesehen hast, das ist peinlich. Alles andere nicht", erklärte Sasuke weiter.
"Können wir das bitte einfach vergessen?" Sakuras Stimme klang flehentlich und hatte einen merkwürdigen Unterton bei sich, der nicht richtig zu deuten war. "Ich möchte nicht, dass diese Sache nun immer zwischen uns stehen bleiben wird. Lass uns so tun, als sei nie etwas passiert, okay? Wir sind Freunde, die sich wie andere auch, nie nackt gesehen haben."
Sasuke zog die Stirn kraus und schüttelte dann seinen Kopf. Das geht nicht – Sakura wusste genau, dass er es sagen würde.
"Ich werde immer wissen, dass du mich nackt gesehen hast", sagte er, nahm den Kugelschreiber, beugte sich über sie und legte ihn zurück auf ihren Nachttisch. Sakura hielt die Luft an.
Je mehr sie den Geruch seines Duschgels riechen und die feinen Härchen auf seinem Nacken sehen konnte, desto schlimmer würde es. Sie versuchte doch nur wie eine einfache Freundin zu sein. Keine feste, keine, die Gefühle für ihn hatte und auch keine, die sich in Grund und Boden schämte.
"Und das ist etwas, was mir nicht passt. Nur Freunde sehen sich nicht nackt." Er richtete sich wieder ein kleines Stückchen auf – und war ihrem Gesicht viel zu nah.
"Und nur Freunde starren sich auch nicht auf den Nacken …" Sakura riss ihre Augen auf.
Nein, sie war nur eine einfache Freundin.
Nein, sie durfte ihn nicht auf diese Art mögen.
Ja, sie lief rot an.
"Was tust du?", stotterte Sakura und versuchte sein Gesicht von ihrem wegzudrücken, doch Sasuke hielt stand. Vorsichtig und sehr untypisch für ihn, legte er seine Hände auf ihre und atmete einmal tief ein.
"Das siehst du doch", erwiderte er und Sakura glaubte zu sehen, wie sein Blick kurz auf ihren Bauch und zurück huschte. "Ich versuche dich zu küssen."
Das war nicht der Sasuke auf Sakuras Bett, den sie kannte. Es musste ein anderer sein, der seinen Kopf nun leicht schieflegte und noch näher zu ihr kam, sodass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten.
"Du kannst mich nicht küssen", stotterte Sakura. "Immer wenn wir uns sehen werden, wird uns das super peinlich sein. Unsere Freundschaft wäre zerstört!"
In seinen Augen funkelte es auf. "Ist sie das nicht jetzt schon? Unsere Freundschaft", er nahm ihr Gesicht in seine Hände, "ist schon seit einigen Stunden nicht mehr das, was sie einmal war. Da kann es doch egal sein, was ich tue."
Er überbrückte den letzten Abstand zwischen ihnen und küsste sie. Sakura war viel zu überrascht, um zu reagieren. Eine Welle von entsetzten, überströmt von beflügelten Gefühlen kribbelte durch ihren gesamten Körper. War es nicht das gewesen, was sie sich insgeheim gewünscht hatte? Sasuke zu küssen, sich von ihm küssen zu lassen …
Sie schloss ihre Augen und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Noch nie war es jemanden gelungen, ein solches Empfinden in ihr auszulösen. Langsam ließ sie sich nach hinten fallen und genoss diesen Augenblick.