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Ein ungewöhnlicher Mitbewohner

von
Koautor:  Caracola

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7. Kapitel

Gähnend hatte sie sich zunächst immer noch nur mit dem Handtuch bekleidet auf ihr Bett gesetzt und vor sich hin gestarrt. Sie dachte an nichts weiter, aber ihr Körper war immer noch sehr unzufrieden mit seiner Besitzerin, dass sie sich derartig hatte gehen lassen. Ihr kam in den Sinn, dass sie sich eigentlich mehr für ihr Verhalten gestern schämen sollte als Adrian.

Gerade wollte sie sich nach hinten auf die Matratze plumpsen lassen, als ihr gerade noch rechtzeitig durch den Kopf schoss, dass das sicher keine gute Idee war. Immerhin konnte sie schon froh sein, dass ihr Magen das Obst angenommen hatte, ohne Zicken zu machen.

Da sie sich völlig schlapp fühlte, zog sie nur die Vorhänge zu und suchte sich dann Unterwäsche heraus, in der sie sich anschließend vor ihren Laptop an den Schreibtisch setzte. Aber auch bei ihrem bisschen Internetsurfen kam nicht viel heraus.

Als sie zum gefühlten hundertsten Mal gähnte, gab sie es auf und legte sich aufs Bett. Es dauerte keine drei Minuten, bis sie eingeschlafen war.

Allerdings wachte sie erst geraume Zeit später wieder auf. Es mussten Stunden vergangen sein, aber das war Emily auch egal. Immerhin war sie heute offiziell sowieso krank. Damit sie ihr schlechtes Gewissen aber ansatzweise zügeln konnte, wandte sie sich, nachdem sie sich angezogen hatte, dem Badezimmer zu. Sie schrubbte die Wanne, die Toilette und räumte ihre Hälfte des Spiegelschrankes aus, um darin Staub zu wischen. Außerdem hängte sie die Karten mit den Gummienten in einer schrägen Linie an die Innenseite der Tür. Sie trat einen Schritt zurück und besah sich ihr Werk von der Toilettenaussicht. Der Anflug von Dekoration gefiel ihr. Vielleicht konnte sie noch eine echte Gummiente für die Badewanne kaufen, dann wäre der Eindruck abgerundet. Wenn man so einen hochtrabenden Ausdruck verwenden konnte, wenn man über etwas so Banales wie Gummienten sprach. Über den Gedanken musste Emily selbst lachen.

Sie mochte es über sich selbst und ihre manchmal seltsamen Vorstellungen und Angewohnheiten zu lachen. Das machte es einfacher, sich selbst zu mögen. Sie mochte Fehler haben. Aber wenn sie sich selbst nicht bitter ernstnahm, dann war das ihrer Meinung nach nicht so schlimm.

Als sie ins Wohnzimmer kam, war sie erleichtert die Gürtelschnalle nicht mehr auf dem Couchtisch liegen zu sehen.

Was hatte sich Julie eigentlich dabei gedacht, sie mit hierher zu bringen. Das Blondchen hatte wahrscheinlich angenommen, dass das furchtbar witzig wäre. Da hatte sie sich aber mehr als nur geirrt. Wieder tat es Emily leid, was passiert war und vor allem, dass sie Ärger mit Adrian gehabt hatte.

Allerdings schien er, den Blumen auf dem Tisch nach zu urteilen, versöhnlich gestimmt zu sein. Emily schmunzelte in sich hinein und setzte sich auf die Couch. Hatte Adrian nicht vielleicht die dritte DVD von Terminator im Wohnzimmer liegen lassen?
 

In der Wohnung angekommen, stellte Adrian die Blumen schnell in eine passende Vase, ehe er auch schon in sein Zimmer ging, um sich für seine Verabredung fertig zu machen. Er zog seinen schwarzen Nadelstreifanzug an, mit einem strahlendweißen Hemd und einer Blutroten Seidenkrawatte. Dazu seine teuren Lackschuhe, eine goldene Armbanduhr und edle Manschettenknöpfe. Sein Haar band er zu einem anständigen Zopf im Nacken mit einem schwarzen Seidenband zusammen. Danach legte er noch seinen Lieblingsduft auf. Er steckte sich zwei Kondome in die Innentasche seines Jacketts und das feinsäuberlich eingepackte Geschenk in seine Hosentasche.

Danach betrachtete er sich noch ein letztes Mal im Spiegel.

Adrian war mit seinem Spiegelbild zufrieden. Er sah gut aus, aber im Grunde genommen, hielt er sich für durchschnittlich. Er war sich selbst auch nicht zu wichtig, worüber er ziemlich froh war, denn er wollte nicht für einen Narzissten gehalten werden. Zwar mochte er seinen Körper verkaufen und somit vermarkten, aber das hieß noch lange nicht, dass er arrogant war. Ganz im Gegenteil.

Mit einem Seufzen legte er seine Hand auf sein Spiegelbild, genau dort wo seine rechte Wange war. Würde er nicht so gut für seinen Körper sorgen und sich mit seinen Gedanken strickt im hier und jetzt oder vielleicht auch noch in der Zukunft halten, er würde sich miserabel und schmutzig fühlen. Es glich einem Wunder, dass die Menschen es ihm nicht ansahen, wie er noch vor so vielen Jahren ausgesehen hatte.

Würde er sich jetzt mit damals vergleichen, er könnte keine Ähnlichkeit entdecken. Keine blutunterlaufenen Augen, keine wächserne Haut, kein vor Nahrungsmangel eingefallener Oberkörper wo die Rippen heraus standen und vor allem keine unzähligen Nadelstiche mehr in seinen Armbeugen. Es war vorbei.

Noch ein letztes Mal prüfte er den Sitz seiner Krawatte, ehe er sein Zimmer verließ und wie üblich die Tür nicht ganz schloss. Diese Angewohnheit hatte er schon immer.

Als er Emily im Wohnzimmer sitzen sah, blieb er stehen und trat ein.

„Schönen guten Abend.“ Sofort erschien ein Lächeln auf seinen Lippen, auch wenn er sich immer noch unbehaglich wegen dem fühlte, was heute morgen vorgefallen war.

„Ich komme sehr spät nach Hause.“

Er arrangierte die Blumen in der Vase noch einmal neu, bis er zufrieden war, ehe er wieder Emily anblickte und sich Abmarsch bereitmachte.
 

„Hey, ich dachte, du wärst schon weg.“ Sie hatte ihn den ganzen Tag über weder gehört noch gesehen. Daher hatte sie angenommen er wäre schon unterwegs zu seiner Verabredung. Noch nicht ganz, wie sie sah, aber er hatte sich schon fertig gemacht.

„Gut siehst du aus.“ Das stimmte ausnehmend. Zwar hätte Emily eine andere Farbe für die Krawatte gewählt, da sie sich nur gerade so nicht mit seiner Haarfarbe stach und ihn ein wenig blass erscheinen ließ, aber ansonsten sah er aus, wie aus dem Ei gepellt.

„Jemand Besonderes, hm?“ Würde er sich sonst so heraus putzen? Vielleicht war er mit jemandem zum Essen verabredet, der das Glück haben sollte, bald sein neuer Freund zu werden. Noch dazu wusste er jetzt schon, dass er spät nach Hause kommen würde. Wenn sich da mal nichts anbahnte.

Emily war in diesem Punkt mehr als neugierig. Es würde sie brennend interessieren, wie ein Date zwischen Männern ablief. Aber wenn der Abend positiv verlaufen sollte, konnte sie ja vielleicht bald in ihrer Wohnung sehen, wie sich Adrian mit einem Geliebten verhielt. Die Vorstellung gefiel ihr irgendwie. Dass sie nach Hause kam und Adrian an einen anderen, gut aussehenden Mann gekuschelt auf dem Sofa vorfand. Sie würde es ihm gönnen. Er war ihrer Meinung nach wirklich ein netter Kerl.
 

Sofort bekam er wieder ein schlechtes Gewissen, weil sie sicher gerade überlegte, mit wem er sich traf. Ihm wurde vor allem etwas heiß, als sie annahm, es könnte jemand Besonderes sein. Bei seiner Aufmachung sicher kein Wunder, aber er wollte ihr keine falschen Illusionen geben. Zumindest nicht noch mehr. Also meinte er leichthin lächelnd: „Nein, nur jemand Bekanntes. Auf Beziehungen bin ich im Augenblick nicht scharf. Ich genieße mein Solodasein lieber noch etwas.“ Hoffentlich reichte ihr das als Antwort. „Tja, dann werde ich mal, sonst komme ich zu spät. Also wenn du willst, vergreif dich ruhig an meiner DVD-Sammlung. Die fühlt sich bei mir ohnehin immer so einsam.“ Er kam ja selten dazu, sich einen Film anzusehen. „Schönen Abend noch.“ Er schenkte ihr noch ein strahlendes Lächeln, dass auch seine Augen erfüllte und ging dann.
 

Nachdem Adrian die Wohnung verlassen hatte, eine angenehme Aftershavespur hinter sich her ziehend, wusste Emily nicht, was sie tun sollte. Sie war niemand, der in fremde Zimmer ging, wenn der Besitzer nicht anwesend war. Adrian hatte es ihr zwar angeboten, aber das änderte nichts daran, dass sie sich unwohl fühlte, als sie zu seinem Zimmer hinüber ging und die Hand auf die Türklinke legte.

Er hatte dem Zimmer sehr schnell Leben eingehaucht. Soweit Emily sehen konnte, gab es für Adrian keinen Zwischenzustand, den sein Raum einnahm, bevor er gemütlich wurde. Es sah so aus, als wäre augenblicklich, in der Zeit eines Augenzwinkerns von leer auf bewohnt geschaltet worden.

Seine Einrichtung gefiel ihr. Sie war simpel und alles wirkte so, als wäre es an seinem Platz. Mit den Pflanzen sah es sogar gemütlicher aus, als ihr gemeinsames Wohnzimmer. Das würden sie demnächst ändern. Vor allem, wenn Adrian seinen Plan mit dem Aquarium in die Tat umsetzen sollte. Darauf freute sich Emily richtig.

Sie hatte als Kind nie ein Haustier gehabt, weil Mona gegen jede Art von Tierhaaren allergisch reagierte und Fisch oder Reptilien ihrer Mutter gegen den Strich gegangen waren. Außerdem konnten zwei kleine Mädchen auch nicht besonders viel mit einem Aquarium anfangen. Das war etwas, das man sich ansah, aber Kinder wollten mit dem Haustier spielen. Also hatten sie eben gar keins gehabt, sondern nur eine unglaublich riesige Battalion an Kuscheltieren in allen Größen und Farben. Das war vielleicht auch der Grund dafür, warum Emily sich immer noch mit einer Unmenge von Kissen eindeckte. Es hatte für sie die gleiche gemütliche, fast beschützende Atmosphäre wie die kuscheligen Gesellen ihrer Kindheit.

So kurz wie möglich hielt sie sich in Adrians Zimmer auf, suchte sich eine weitere DVD – Kill Bill – heraus und sah sich zuerst den dritten Teil von Terminator und dann die zweite DVD an. Um nicht hungrig ins Bett gehen zu müssen, aß sie noch etwas Brot und Gemüsestreifen, bevor sie gegen elf total erledigt und mit blutigen Bildern im Kopf in ihr Bett fiel und sich die Decke über den Kopf zog. Nicht, ohne vorher noch einmal ihr Handy kontrolliert zu haben. Nichts.
 

***
 

Rose saß bereits an dem reservierten Tisch, den sie bisher für ihre Treffen immer verwendet hatten. Sie stand nicht auf, als er an sie heran trat und ihr die Hand küsste, doch ihr Lächeln war strahlend und er konnte an ihren Augen sehen, dass sie sich vermutlich schon lange auf diesen Abend gefreut haben musste. Kein Wunder, sie war nur dann in dieser Stadt, wenn ihre geschäftlichen Beziehungen sie hier her führten. Da sie auf der ganzen Welt tätig war, konnte es lange dauern, bis sie diesen Hafen ansteuerte.

Aber gerade das machte es für Adrian leichter. Denn so konnten sie sich später in ihr Hotelzimmer begeben, ohne extra eines mieten zu müssen. Er nahm niemals Kundinnen mit nach Hause.

Bis der Kellner mit den Speisekarten kam, unterhielten sie sich nett über ihre Geschäfte, was sie bisher so alles während ihrer langen Abwesenheit gemacht hatte und wie lange sie noch in dieser Stadt zu tun hatte. Dabei lächelte Adrian immer, schenkte ihr seine größte Aufmerksamkeit und beteiligte sich intensiv an dem Gespräch, als gebe es nur sie allein.

Nachdem er in perfektem Französisch bestellt hatte, dinierten sie mit der Sorgfalt, wie sie eigentlich der Highsociety zugeschrieben werden konnte. Allerdings lag das wohl eher daran, dass sie eine noble Frau war und er im Hause seiner Eltern zu diesen Umgangsformen regelrecht geprügelt wurde. Damals hatte er es verflucht, heute war er dankbar dafür. Es war immer gut, wenn man etwas Negatives zum eigenen Vorteil herum drehen konnte. Zumindest hatte Adrian das auf die harte Tour lernen müssen.

Während des Desserts überreichte er Rose mit einem charmanten Lächeln das Geschenk, woraufhin sie völlig überrascht reagierte, die Freude dann aber umso größer war, als sie die kleine Schachtel ausgepackt hatte. Er half ihr dabei das Armkettchen umzulegen und für den Rest der Zeit im Restaurant konnte sie auch kaum noch den Blick von dem funkelnden Schmuckstück abwenden.
 

Nachdem sich die Zimmertür des Penthouses hinter ihnen geschlossen hatte, fuhr Adrian seinen mentalen Schutzschild hoch. Alles was jetzt kam, zwang er augenblicklich in die Abteilung für unverbindliche Gefühle und hinter eine professionelle Maske. Die liebkosenden Lippen auf ihrem Nacken, waren nicht mehr die seinen. Die streichelnden Hände auf ihrer Taille waren nicht mehr länger ein Teil von ihm. Selbst der Körper, den Rose mit ihren Händen ungeniert erkundete und der daraufhin den Anforderungen seiner Arbeit nachkam, war nichts weiter als ein sich mechanisch bewegendes Werkzeug. Nun, da er hier mit ihr im Zimmer stand und ihre Haut küsste, hatte er sich selbst zu einem Sexspielzeug degradiert. Adrian dachte grundsätzlich nicht darüber nach, sondern folgte einfach nur den Bedürfnissen von Rose.
 

Nachdem er sie einmal mit seiner Zunge und kurze Zeit später dann ein zweites Mal mit seiner routinemäßigen Erektion zum Orgasmus gebracht hatte, zog er sich wieder an, während sie ermattet im Bett liegen blieb. Wie immer war er selbst nicht zum Ende gekommen, aber um ehrlich zu sein, das tat er nie bei seinen geschäftlichen Arrangements. Er war bereits so darauf gedrillt, dass er zwar zu Diensten stand, aber keinen Wert auf einen eigenen Orgasmus legte. Was durchaus den Vorteil hatte, dass er wesentlich länger durchhielt, als es einige Frauen gewohnt waren. Außerdem hätte er es gar nicht anders gewollt. So etwas Intensives wie einen Höhepunkt wollte er nur mit der Frau erleben, die er liebte, oder in seinem Fall reichte es schon, wenn er sie sehr gerne hatte. Die Liebe fand ihn nicht, zumindest hatte er keine Ahnung, wie sich sowas wirklich anfühlte. Sowas wie wahre Liebe schien es ohnehin nur in Filmen und Romanen zu geben. Nichts hielt ewig, soviel stand schon einmal fest.

Rose schob ihm noch einen Umschlag zu und wollte ihn morgen Abend noch einmal sehen, bevor sie am Donnerstag wieder abreiste.

Adrian überprüfte kurz den Umschlag – mehrere Hunderter – ehe er ihr zusagte, sich dann von ihr verabschiedete und ging. Er wollte unbedingt nach Hause zu Emilys Wohnung zurück, um sich so rasch wie möglich den Geruch von Rose vom Körper zu waschen und sich dann in seinen Wohlfühlklamotten sprich Shorts zurück zu ziehen.
 

Kaum daheim, war sein nächster Gang ins Badezimmer, wo er sich rasch entkleidete, dabei den Anzug jedoch ordentlich hin legte, und unter die Dusche ging. Erst stand er einfach nur so unter dem Strahl da, bis sich jeder seiner verspannten Muskeln etwas gelockert hatte. Danach begann er sich gründlich abzuschrubben, bis seine Haut schon leicht gerötet war. Erst als er nur noch nach seinem Lieblingsduschbad roch, stieg er heraus, trocknete sich ab und hing sich ein Handtuch um die Hüften. Lange blickte er seinem Spiegelbild ins Gesicht und fragte sich, wie jedes Mal danach, ob er in dieser Nacht den Punkt überschritten hatte, an dem er das nicht mehr konnte...

Wie es aussah, war er noch im Rennen.

Nachdem er seinen Anzug wieder sicher verstaut hatte, legte Adrian sich nur mit dem Handtuch bekleidet ins Bett und starrte mal wieder die Decke an. Es war jedes Mal der gleiche Ablauf. Er erledigte seinen Job, fuhr heim, duschte, legte sich aufs Bett und konnte trotz der Erschöpfung nicht schlafen. Als er es dann doch endlich tat, begannen die Träume.
 

Sein Magen quälte ihn. Das Ziehen war verdammt schmerzhaft und dennoch war sein Hunger nichts im Vergleich zu den Entzugserscheinungen. Verdammt, wann war sein letzter Schuss gewesen? Vor ein paar Stunden? Einem Tag?

Zulange entschied er schließlich, während er sich die klammen Hände rieb und sich noch etwas enger in seinen viel zu dünnen Pullover kuschelte. Der Boden zu seinen Füßen, war von einer dünnen Frostschicht überzogen, bestimmt würde es bald schneien. Er fluchte leise, als er daran dachte, wieder eine Nacht in Zeitungen eingewickelt auf dem Boden unter freiem Himmel verbringen zu müssen. Aber noch heftiger schauderte er, bei dem Gedanken, nicht bald eine Dröhnung zu bekommen. Bereits jetzt zitterte sein Körper unkontrolliert und sicherlich nicht nur vor Kälte. Die Übelkeit war noch im erträglichen Rahmen, aber seine Haut kribbelte bereits so schlimm, dass er sie sich am liebsten mit Schleifpapier abgerieben hätte.

Ein Schatten fiel auf sein blasses Gesicht mit den strähnigen Haaren.

„Wie viel?“, fragte der grobschlächtige Typ vor ihm. Seine Kleidung sah ordentlich und sauber aus. Außerdem hatte er ein 08/15 Gesicht, doch die grauen Augen waren so kalt, wie Adrians Finger sich anfühlten.

„Fünfzig und keinen Cent weniger.“ Das würde gerade mal für zwei Schuss reichen. An Essen verschwendete er gar keinen Gedanken.

„Wenn du’s auch noch mit dem Mund machst, bin ich dabei.“

Alles zog sich in seinem Inneren zusammen. Ihm wurde noch übler, als ohnehin schon. Scheiße, die meisten Freier, die das von ihm forderten, verlangten von ihm, dass er das Zeug auch noch runter schluckte. Hoffentlich würde er sich dieses Mal nicht übergeben müssen.

Da der Typ langsam ungeduldig wurde, nickte er nur und wurde dann auch schon am Handgelenk gepackt und mitgenommen. Wenigstens würde es in der Wohnung etwas warm sein.
 

Adrian schlug mit rasendem Herzen die Augen auf und hielt sich die Hand vor dem Mund, um nicht los zu schreien. Als er sich aufsetzte, zitterte er am ganzen Körper und obwohl inzwischen sogar das Handtuch weggerutscht war und er nackt im Bett saß, war er von Schweiß überzogen. Angstschweiß.

Mit geübter Routine, schloss er die Augen. Einatmen... Ausatmen... Einatmen... Ausatmen...

Während er sich darauf konzentrierte, seinen Puls wieder zu beruhigen, versuchte er sich in seinen Körper hinein zu fühlen. Da war kein Schmerz, der sein Rückgrat hoch kroch. Keine Hände, die brutal seine Hüften packten, so dass er blaue Flecken bekam und vor allem war da kein Typ, der ihm abartige Worte ins Ohr stöhnte und sich zugleich mit der anderen Hand schmerzhaft in sein Haar krallte.

Es war alles in Ordnung.

Dieses methodische Vorgehen funktionierte wie schon so oft, so dass er schließlich aufstehen und unter die Dusche steigen konnte. Da Emily ohnehin nicht da war, zumindest hatte er sich vorher vergewissert, marschierte er nackt ins Bad, um sich den Schweiß abzuwaschen.
 

***
 

Am nächsten Morgen war sie fit und freute sich auf die Arbeit. Der Sarkophag sollte Ende der Woche so weit fertig sein, dass sie mit dem Blattgold beginnen konnte, sobald die Lieferung am Montag eingetroffen war. Das hieß wahrscheinlich noch ein paar Überstunden, weil sie gestern blau gemacht hatte, aber das geschah ihr nur recht.

Sie zog sich wieder gedeckt professionell an und machte so wenig Krach wie möglich, als sie sich nur ein Müsli zum Frühstück zu Gemüte führte. In der letzten Nacht hatte sie Adrian nicht nach Hause kommen hören. Es musste wirklich spät gewesen sein. Wohl ein schöner Abend mit seinem Bekannten.

Ohne weiter darüber nachzudenken sprintete sie, wie immer etwas knapp, zum Bus und fuhr zu Arbeit.
 

Sie lief den klimatisierten, steril wirkenden Gang im Keller entlang, der zu ihrem winzigen Umkleideraum führte. Eigentlich war die Bezeichnung Umkleide völlig übertrieben. Immerhin warf sie sich nur einen weißen Kittel über.

Danach ging sie in den Präparationsraum, wo ihr Sarkophag auf sie wartete. Gestern hatte sich niemand mit ihm beschäftigt. Er hatte geruht und geduldig auf Emilys Rückkehr gewartet. „Schön dich wieder zu sehen. Ich hoffe es geht dir gut.“, sagte sie sanft, als sie sich auf den Drehstuhl setzte, das grelle Licht anschaltete und sich die Maske überzog.
 

Es waren bereits drei Stunden vergangen, bevor sie unterbrochen wurde. Das Telefon klingelte auf der internen Leitung und als Emily abhob, meldete sich Richard.

„Hallo Emily, wie geht’s dir?“

Nach den üblichen Floskeln fragte Emily, was ihr Abteilungsleiter wollte.

„Es geht um die Sache mit der Moorleiche und der Mumie.“ Sofort wurde Emily aufgeregt und begann mit einem Pinsel zu spielen, der auf dem Tisch lag. Sie ließ ihn in ihrer Hand hin und her kreisen, während sie gespannt zuhörte.

„Du könntest mitkommen, wenn du möchtest.“ Bevor sie ihre Begeisterung aussprechen konnte, wurde sie von Richard auch schon unterbrochen. „Allerdings würde ich dich vorher gern etwas fragen.“

„Aber natürlich. Was gibt’s denn?“

Das Schweigen machte sie noch nervöser, als sie ohnehin schon war. Der Pinsel drehte sich wie ein kleiner Brummkreisel zwischen ihren schlanken Fingern, während sie es immer weniger ertragen konnte, dass Richard nicht mit der Sprache heraus rückte.

„Darf ich dich zum Essen einladen?“

Der Pinsel landete scheppernd auf der anderen Seite des Tisches, wo er ein kleines Döschen Farbe mit sich auf den Boden riss. „Sch-“ Gerade noch so konnte sie den Fluch unterdrücken, bei dem sie aufgesprungen war und sich auch noch die Hüfte am Tisch gestoßen hatte. Eine kleine Lache Königsblau breitete sich auf dem grauen Boden aus.

„Richard, ich…“

„Es ist nur eine Einladung zum Essen. Nichts Aufdringliches. Ich möchte nur…“

Ja, was möchtest du Richard? Ihr war nie auch nur in den Sinn gekommen, dass ihr Abteilungsleiter Gefühle für sie haben könnte oder auch nur im Entferntesten an ihr interessiert war. Sollte sie zusagen? Nur, weil sie auf diese Reise mitwollte?

Als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte Richard in entschuldigendem Ton: „Davon hängt nichts ab. Du kannst jederzeit mit nachfahren. Ich wollte dich nur fragen… Was meinst du?“



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