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Ein ungewöhnlicher Mitbewohner

von
Koautor:  Caracola

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6. Kapitel

Sie hatten bereits mehrere GinTonics intus, als sie sich vor dem Club anstellten. Es war die Hölle los. Frauen in weniger als wenig Stoff gehüllt stellten sich an, um noch einen Platz in dem berstend vollen Club zu erhaschen.

„Komm schon!“ Julie winkte ihr von der Tür her zu. Luke war Barkeeper und kannte fast jeden Türsteher der Stadt. So würden sie schnell reinkommen.

Sie wurden einfach durchgewinkt und der Türsteher sah sich in aller Ruhe Julies Hintern an. Was kein Wunder war. Der steckte in einer derart engen, tief geschnittenen schwarzen Jeans, dass er jedem mehr oder weniger direkt ins Gesicht sprang. Von ihren anderen Vorzügen, die unter einem pinken Glitzeroberteil nicht wirklich versteckt waren ganz zu schweigen.

Emily selbst trug ein hellblaues Oberteil mit Neckholder und einen dunklen Rock. Dazu schwarze Stiefel und eine kurze Lederjacke. Bloß weil sie nicht oft ausging, hieß das nicht, dass sie nicht wusste, wie man sich ein wenig dafür chick machte.

Allerdings war sie noch nie in einem Club wie dem Shadow gewesen. Das Licht war schummrig bis auf die Scheinwerfer, die auf die beiden Käfige gerichtet waren, in denen sich zwei Männer zur Musik bewegten. Emily traute sich zuerst gar nicht richtig hinzusehen.

Sie empfand es als seltsam, sich die nackte Haut dieser Männer anzusehen, die ihre Muskeln zur Schau stellten und mehr als eindeutige Bewegungen in ihre Show einbauten. Wäre es nur Tanzen gewesen, hätte es ihr vielleicht gefallen. Aber diese sexuellen Anspielungen waren einfach ein wenig zu viel. Warum musste das immer dazu gehören?

„Willst du was trinken?“ Julie fühlte sich sichtlich wohl zwischen den anderen Frauen, sie sich um die Käfige drängten und versuchten kurz über die Haut der Tanzenden zu fahren. Oder noch schlimmer, ihnen das letzte Stückchen Stoff vom Leib zu reißen.

Bei dem Anblick schüttelte Emily kurz den Kopf, sah dann aber Julie an und antwortete wahrheitsgemäß. „Verdammt, ja!“

Sie kämpften sich zur Bar durch und bestellten weitere Gin Tonics. Allerdings fügte Julie noch eine Bestellung hinzu.

„Es ist halb zwölf. Wir sollten auf einen ordentlichen Pegel kommen.“ Damit drückte sie Emily zwei Gläser Tequila in die Hand und hob selbst eines ihrer eigenen beiden.

„Auf die Ladysnight!“

Darauf trank Emily den ersten Tequilashot und den nächsten widmete sie dem Singledasein. Als sie ihre aufkommende Traurigkeit auch noch mit dem GinTonic hinunter spülte, fingen ihre Füße bereits an zu kribbeln. Sie wurde langsam aber sicher betrunken genug, um das Ganze ein wenig zu genießen.

„Wir gehen da rüber, da können wir alles gut sehen!“ Julie zeigte auf einen einigermaßen freien Platz neben dem linken Käfig, in dem sich ein Latino gerade gekonnt an den Stangen räkelte. Natürlich nicht Emilys Geschmack, aber der Platz war gut. Sie konnte sowohl den Käfig, als auch die Hauptbühne sehen.

„Meinst du, er ist heute hier?“

Julie hatte schon die ganze Zeit im Auto davon gesprochen. Nach ihrer Vermutung arbeitete Adrian tatsächlich hier. Emily glaubte ihr aber nicht. Und wenn, dann vielleicht als Barkeeper. Aber hinter dem Tresen hatte sie ihn nicht entdecken können. Dass er nicht in einem der Käfige stand und sich den Augen der Frauen zum Fraß vorwarf, war allerdings eine große Erleichterung.
 

Über einen Seitenzugang machte Adrian sich ein Bild über die heutige Auslastung des Clubs. Als er überall nur zuckende Leiber und aufgeregtes Gekreische erkennen konnte, als wäre die Menge zu einem brüllenden Monster verschmolzen, schoss ihm Adrenalin durch die Venen und sein Herzschlag schaltete in den nächsten Gang. Draußen im Club ging es so heftig zu wie bei D&G im Ausverkauf. Bestimmt konnte man ein Blatt in der Menge fallen lassen, ohne dass es jemals auf dem Boden aufschlug. Dazu war einfach kein Platz. Was sich vorrangig dicht an der Hauptbühne abspielte, die den Clubraum zu einem Viertel in der Mitte mit drei Metern Breite teilte. Weiter hinten in der Nähe des Ausgangs konnte man wenigstens noch einmal kurz durchatmen, ehe man von der Masse einfach verschluckt wurde.

Die Bude war schlichtweg gerammelt voll, was sicherlich nicht nur am freien Eintritt lag. Da war sich Adrian sicher, als er den Kopf wieder einzog und sich für seinen Auftritt fertig machte. Das würde heute ein absoluter Höhenflug der Sinne werden!
 

Das Licht im ganzen Zuschauerraum fiel um Punkt Mitternacht aus, so dass nur noch eine schemenhafte Beleuchtung durch die rötliche Umrandung der kleineren Tanzflächen auf den Seiten des Clubs für Stimmung sorgte. Mit gespannter Erwartung begann die Menge zu verstummen. Nur noch das leise Rauschen der Lautsprecher und fragendes Gemurmel wisperte durch den Raum. Als wisse die Menge nicht, was jetzt los war oder gleich passieren würde.

Die Spannung wurde zu einem fast greifbarem Gefühl.

Leise Geigenmusik wagte den Versuch die angespannte Menge zu beruhigen, begleitet von leisem Schlagzeug schien sie sich dennoch mit ihren steigernden Tönen eher auf etwas Großes zu zubewegen, bis mit einem Mal diffuses Licht über die Hauptbühne flutete und an einer großgewachsenen Gestalt in einem langen, schwarzen Ledermantel hängen blieb, die mit dem Rücken zu der Menge in einem roten Lichtkegel da stand und breitbeinig leicht zu Boden blickte.
 

Sein Herz hämmerte Adrian aufgeregt bis zum Hals und er meinte, man müsste es in der aufkommenden Stille der Dunkelheit im Club schlagen hören können, doch er hörte nur das gespannte Warten der Menge.

Das leise Einsetzen der Musik war sein Stichwort, an dem er bereits an Ort und Stelle auf seinem Platz in Position stehen sollte. Noch einmal atmete er tief durch, solange ihm die Dunkelheit Schutz bot, dann setzte mit einem Schlag das Licht ein, während der Effekt noch mit lauter werdender Musik begleitet wurde, doch die Bässe blieben noch aus. Also begann er mit seiner Choreographie.

Langsam hob er im Einklang mit der Musik seinen Kopf mit den roten Haaren und den schwarzen Strähnen darin, die ihm bis zu den Schultern fielen. Mit fast schon arrogant verachtender Geste begann er über seine Schulter auf die Menge zu blicken, die er nur schemenhaft wahrnahm, da nur die Bühne beleuchtet war. Der weite Kragen des langen Ledermantels verdeckte Mund und Nase, zog die Blicke aber zugleich auf seine schwarz geschminkten Augen, was mit Hilfe des passenden Lichts seine hellblaue Iris beinahe zum Fluoreszieren brachte.

Leiser Takt setzte ein, zu dem er seinen linken Fuß in den hoch geschlossenen Lederstiefeln mit der Riemenverschnürung zu bewegen begann. Im gleichen Moment, als die Musik zu einem volltönenden, beinahe schon aggressiven Bass los donnerte, wirbelte sein Körper herum, worauf die Menge zu kreischen anfing.

Seine schweren Stiefel knallten regelrecht wie Donnerschläge mit dem Rhythmus des Basses über den schwarzen und auf Hochglanz polierten Boden der Bühne. Kurz kam er sich dabei wie ein Model auf dem Laufsteg vor, nur mit dem Unterschied, dass er kein zartes Knochengerüst darstellte, sondern eher wie ein gnadenloser Kämpfer auf Kriegszug aussah. Dementsprechend kalt und ausdruckslos wirkte sein Gesichtsausdruck.

Kurz vor Ende des langen Stegs beschleunigte er noch einmal seine Schritte, ehe er sich auf die Knie fallen ließ, und mit durchgebogenen Rücken die restlichen Meter beinahe bis zur Kante dahin schlitterte, dabei die Vorderseiten seines dünnen Ledermantels weit geöffnet von sich streckte. Adrian spürte, wie seine Haarspitzen den Boden entlang glitten, da er sein Kreuz so weit durchbog, dass er mit dem Kopf fast die Tanzfläche berührte. Seine Augen waren geschlossen, um das Spannungsmoment zu erhöhen, während er einen Moment in dieser Pose verharrte.

Danach begann er zuerst seine Hüften zu bewegen, das deutlich erkennbare Sixpack seines Bauchs folgte dem Rhythmus bis dieser zu seinen Schultern vordrang und er sich mit geschmeidiger Bewegung wieder aufrichtete und sich dabei den Mantel abstreifte. Kaum dass er wieder gekonnt auf den Beinen war, kickte er das ausgezogene Kleidungsstück genau so über die Menge hinweg, wie er es geprobt hatte.

Eine Aufeinanderreihung von komplizierten Bewegungen seines ganzen Körpers folgte, die ihn wieder zurück zum Anfang des Stegs brachte. Alles was er tat, war zugleich geschmeidig aber auch deutlich aggressiv, die schmetternden Beats verschärften diesen Eindruck noch zusätzlich.

Einen Moment der Ruhe löste seine kämpferischen Bewegungen ab, in dem er seine Hände beinahe liebkosend über seinen Oberkörper wandern ließ, als würde er sich vor dem gesamten Publikum gerade selbst verführen. Mit einer überraschenden Geste riss er sich das Muskelshirt vom Leib, wodurch seine weißschimmernde Haut zum Vorschein kam, was definitiv am Wechsel des Lichtes lag.

Die Stofffetzen ließ er einfach liegen, während er dem nächsten Punkt seiner Darbietung zustrebte. Genau am Ende des Stegs, dort wo er als erstes seinen Mantel ausgezogen hatte, war inzwischen eine massive Metallstange aus dem Boden gefahren, die bis zur Decke reichte. Genau das war sein Ziel, als er sich mit gekonnt aufreizenden Bewegungen dort hin bewegte.

Kaum dass er die Stange erreicht hatte, glitten seine Hände in obszöner Geste die Stange entlang nach oben, als wäre das hier keine Metall sondern eine heißpochende Erektion.

Er ließ eine Hand hoch an der Stange, während er in schwingenden Bewegungen einen Kreis darum herum ging und seine andere Hand zum ersten Mal in das Publikum hinaus streckte, welches ihn jedoch nicht erreichen konnte, denn im nächsten Moment schwang er sich wie ein Akrobat mit den Füßen voran nach oben die Stange hinauf. So dass er am Ende fast eineinhalb Meter hoch mit dem Rücken an dem Metall lehnte, während seine Beine sich darum verhakt hatten und ihn so an Ort und Stelle hielten. Was für ein unglaublicher Kräfteakt das war, wusste vermutlich niemand, aber sein Gesicht zeigte keine Regung der Anstrengung, als er seine freien Hände wieder über seinen nackten Oberkörper hinab oder sollte er besser sagen hinauf gleiten ließ, um seine silberne Gürtelschnalle zu öffnen und das Accessoire dann mit einen Ruck auszuziehen.

Auch in dem Wissen, dass der Gürtel nie wieder auftauchen würde, warf er ihn in die kreischende Menge und begab sich wieder auf seine Beine. Inzwischen hatten seine Oberschenkel schon heftig zu brennen begonnen; um sein Gewicht halten zu können, bedurfte es sehr viel Kraft.

Nun umtänzelte er das Metall wie eine heiße Geliebte, an der er seinen Körper mit dominanten Bewegungen und erotischen Andeutungen rieb, ehe er seine schwere Lederhose los wurde, die kurz darauf in der wogenden Masse aus Schatten verschwand. Bestimmt würde die Glückliche seine Hose als Andenken an die Wand pinnen, der es gelungen war, das Kleidungsstück zu ergattern. Ihm sollte es recht sein, das Kostüm bezahlte ohnehin der Club.

Nur noch mit einem schwarzen Tanga bekleidet, kniete er am Boden, rekelte sich, stellte noch einmal zur Schau, wonach viele der anwesenden Frauen schreiend lechzten, ehe die Musik ausklang und er mit dem Rücken an der Stange gelehnt auf dem Boden kniend inne hielt. Seine Hände nach oben gestreckt, als müsse er sich am Metall festhalten, um sich aufrecht halten zu können. Sein Herz hämmerte so hart gegen seine Brust, wie es die Beats gerade eben noch getan hatten und sein gesamter Oberkörper dehnte sich immer wieder unter seiner schnellen Atmung.

Mit diesem Bild im Kopf erlosch das Licht auf der Bühne. Die Menge jubelte weiterhin, erst recht, als kurze Zeit später nun die kleinen Tanzflächen erstrahlt wurden und jeweils einen geübten Tänzer zur Schau stellten. Schnell richtete sich die Aufmerksamkeit dort hin, während Adrian sich verborgen im Schatten auf den Weg in den Umkleideraum machte, wo er sich erst einmal seinen Morgenmantel überwarf und sich schwer auf einen Sesseln nieder ließ, um heftig durchzuatmen. Was für eine Show!
 

Als der Club sich verdunkelte war Emily und auch allen anderen Frauen bald klar, dass etwas Besonderes vor sich ging. Weil Julie schon öfter hier gewesen war, sah Emily zu ihr hinüber. „Weißt du, was jetzt kommt?“

Julie hörte ihr gar nicht zu, sondern deutete nur auf die Bühne, wo gerade rotes Licht angegangen war. Ein Tänzer im schwarzen Ledermantel wurde beleuchtet. Emily wollte sich schon ihrem Glas zuwenden, als Julie ihr etwas zuschrie. Sie konnte die Worte nicht verstehen, aber ihre Freundin schien sehr aufgeregt zu sein.

Der Tänzer hatte sich umgedreht und lief in aggressiver Manier zum vorderen Rand der Bühne. Als sie ihn erkannte, fiel Emily beinahe ihr Glas aus der Hand. Ihre erste Reaktion war wegzusehen. Sie schämte sich hier zu sein. Zwar hatte sie Adrian – ihren neuen Mitbewohner – schon in Shorts gesehen, aber das hier war etwas ganz Anderes.

„Ich hab’s dir doch gesagt!“ Julie hatte sich zu Emily gekämpft und zog sie gegen ihren Willen noch weiter an die Bühne heran. Gerade flog der lederne Mantel über die Menge hinweg.

Emily hielt sich fast panisch an ihrem Glas mit Alkohol fest und schlug die freie Hand vor den Mund. Am liebsten hätte sie sich die Augen halb zugehalten. Wie bei einer gruseligen Szene im Kino, die sie nicht ansehen wollte, aber trotzdem immer wieder durch die Lücken zwischen ihren Fingern beobachtete.

Adrian bewegte sich so, als würde er jede einzelne Frau im Publikum zuerst anheizen wollen, um sie dann nacheinander oder auch gleichzeitig von ihrem Druck zu befreien. Immer wieder sah Emily hin und dann wieder weg.

Sie konnte nicht glauben, dass sie diesen Mann kannte. Nein, sie kannte ihn gar nicht. Sie wohnte mit ihm zusammen! „Scheiße.“

Julie verstand ihren Kommentar total falsch und bemühte sich noch näher an die Bühne zu kommen. Emily wäre beinahe vor Scham im Boden versunken, als die Blonde auch noch die Gürtelschnalle auffing, die Adrian wie den Mantel in die Menge geworfen hatte.

Sein Auftritt an der Stange gab Emily den Rest. Sie schlängelte sich durch die kreischenden und aufgeregt herumhüpfenden Frauen zur Bar und bestellte sich zwei weitere Tequila, die sie schnell hintereinander hinunter schüttete. Und das blieben nicht die Einzigen.
 

Adrian duschte lange und ausgiebig im Club, nachdem er sich von seinem Auftritt einigermaßen erholt hatte. Außerdem wollte er die schwarzen Strähnen wieder heraus waschen und sich von der Schminke befreien. Das war definitiv nicht sein Stil, aber was er auf der Bühne vorführte, war auch nicht seine Persönlichkeit, sondern lediglich ein Bild oder eine fiktive Vorstellung, der er Leben einhauchte.

Nachdem er sich seine Alltagskleidung wieder angezogen hatte und sein Boss ihm zu der hervorragenden Show gratuliert hatte, machte er sich auf den Weg nach Hause. Er war verdammt müde und würde heute nur noch eines tun. Nämlich schlafen.

Als er in der Wohnung ankam, war es still, aber bestimmt schlief Emily schon, also zog er sich selbst nur noch aus und warf sich ins Bett.
 

***
 

Julie hatte neben Emily auf der neuen Couch geschlafen. Vielleicht war das ganz gut gewesen. Immerhin hatte es Emily gerade so allein ins Bad geschafft, um sich zu übergeben und sich damit ein wenig von den vielen Tequilas zu befreien. Unter die Dusche schaffte sie es nicht mehr, sondern schminkte sich grob ab und schmiss die Klamotten nur in ihr Zimmer, bevor sie sich den Schlafanzug überzog. Julie schlief in Unterwäsche.

Sie hatte nicht geplant zu bleiben und würde am nächsten Morgen verschwinden. Auf den Couchtisch hatte sie triumphierend die Gürtelschnalle gelegt, die sie bei Adrians Auftritt ergattert hatte.
 

Am nächsten Morgen wachte er wieder einmal sehr früh auf, schlurfte noch im Halbschlaf in die Küche, um sich frischen Kaffee zu machen. Heute würde er den Tag genießen, ohne diese anstrengende Nervosität von gestern. Also nahm er sich die Tasse mit ins Wohnzimmer.

Schon bei der Tür blieb er wie vom Blitz getroffen stehen. Er konnte nur den Couchtisch sehen und das, was darauf lag.

Heftig blinzelnd versuchte er sich einzureden, dass er noch immer im Bett lag und träumte, denn das konnte einfach nicht sein. Das war doch nicht der Gürtel, den er gestern in die Menge geworden hatte? Das musste er sich einfach näher ansehen.

Als er schließlich auch noch Emily im Pyjama und Julie in Unterwäsche auf der Couch schlafen sah, fiel ihm endgültig die Tasse runter und zerschellte lautstark am Boden.

„Scheiße.“ , war alles, was er großartig darauf erwidern konnte, während er sich die Fakten zu einem vollständigen Bild zusammen reimte. Die beiden waren gestern im Club gewesen, der Gürtel war Beweis genug dafür.

Er wusste doch, wieso er Emilys Freundin hasste und jetzt mehr denn je. Aber dazu war er im Moment viel zu erstarrt.
 

Emily schreckte hoch, als die Tasse auf den Boden knallte und scheppernd zerbrach. Das bereute sie aber sofort, weil ihr schwindlig wurde und sich ein flaues Gefühl in ihrem Magen ausbreitete. Sie hielt sich nur die Hand vor den Mund und stürmte an Adrian vorbei ins Bad. Dabei würdigte sie ihn keines Blickes und war auch noch in eine der Scherben getreten, die auf den Dielen verstreut lagen. Aber das kümmerte sie gerade nicht, als sie die Kloschüssel umarmte und sich noch ein paar Tequilas und GinTonics wieder durch den Kopf gehen ließ.
 

Julie hielt Alkohol sehr viel besser aus. Außerdem hatte sie sich in der letzten Nacht weniger zugeschüttet als Emily. Sie sah Adrian in der Wohnzimmertür stehen und schlang sich die Decke um den Körper.

„Guten Morgen.“, sagte sie mit einem zweideutigen Lächeln auf dem Gesicht.

„Cooler Auftritt gestern.“ Mit diesen Worten sah sie auf die Gürtelschnalle und dann wieder ihn an. Dass sich seine Augen nicht sonderlich freundlich auf sie legten war ihr anscheinend egal.

„Emily ist bloß ein bisschen prüde. Keine Sorge, sie wird’s verkraften.“

Julie stand auf und zog sich ihre knappen Sachen wieder an, bevor sie zu Emily ins Bad ging und ihr wenig hilfreich auf den Rücken klopfte.

Irgendwann, als sich Emily ein wenig beruhigt hatte und sich die Welt nicht mehr um sie drehte, rief Julie Luke an und war im nächsten Moment aus der Tür.

Emily setzte sich auf den Badewannenrand und zog sich die Scherbe aus der Fußsohle. Es tat weh, aber das lenkte sie wenigstens von ihren schrecklichen Kopfschmerzen ab. Sie hatte schon lange nicht mehr so viel getrunken. Sie würde in der Arbeit anrufen und sagen, sie sei krank. In diesem Zustand würde sie nicht arbeiten können.
 

Am liebsten hätte er dieses Miststück hochkant rausgeschmissen, als Emily aus dem Raum stürmte, um sich vermutlich zu übergeben. Dabei hatte sie ihn ja noch nicht einmal angesehen, was für ihn schlimmer war, als jeder verachtende Blick. Umso finsterer starrte er Julie an, die das alles sehr locker nahm.

Angewidert von ihrer Art, drehte er sich um und ging in die Küche um einen Lappen und Schaufel und Besen zu holen. Wenigstens rettete ihn diese kleine Tätigkeit ein paar Minuten lang vor dem, was ihm bestimmt bald blühen würde. Er war absolut nicht scharf darauf, dabei konnte er nicht leugnen, dass er sich trotz allem nicht schämte, für das was er in diesem Club tat. Er verachtete sich im Augenblick zwar selbst, was aber nur daran lag, dass er Emily anlog und sie gestern eines seiner wohlgehüteten Geheimnisse entdeckt hatte. Dabei war das noch nicht einmal das Schlimmste.

Seufzend machte er den Dreck weg, zog sich dann an und sah noch, wie Julie die Wohnung verließ, als er sich auf den Weg zum Bad machte. Im Türrahmen blieb er mit verschränkten Armen stehen und bemerkte erst jetzt, dass Emily in eine der Scherben getreten war.

Geknickt ließ er den Kopf samt Arme hängen. „Tut mir leid, wegen der Scherben und dass du rein getreten bist.“
 

Emily sah von ihrer Fußsohle auf und Adrian ins Gesicht. Er sah ein wenig genervt aus. Aber Emily zweifelte keine Sekunde daran, dass er es ernst meinte, als er sagte, dass es ihm leid tat.

„Nicht so schlimm. Ich lebe.“

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Nach dem, was sie letzte Nacht gesehen hatte, wusste sie nicht einmal, was sie von ihm denken sollte. Natürlich konnte jeder einem Beruf nachgehen, den er mochte. Aber Emily brachte so viel mit diesem Beruf in Zusammenhang, dass es ihr schwer fiel, Adrian immer noch nur als netten Kerl zu sehen.

Sie hatte Angst, dass er Drogen nahm. Sie hatte Angst, dass er nach seinem Auftritt noch irgendwo hin ging, um sich vollzudröhnen oder sich abschleppen zu lassen. Letzteres konnte er getrost tun, aber mit Drogen hatte sie einfach überhaupt nichts am Hut. Das hätte bedeutet, dass sie Angst haben musste, dass Adrian sie beklaute. Oder irgendwann aggressiv wurde, wenn er nicht das bekam, was er ‚brauchte’.

Mit einem Seufzer sah sie zu ihm hoch. Ihr Blick war ein wenig traurig. Sie mochte ihn wirklich und wollte ihn nicht aus der Wohnung werfen. Der Möbeleinkauf und der DVD-Abend waren so nett gewesen. Außerdem hatte er sich um sie gekümmert. Noch gestern Morgen. Und trotzdem. Es war nun einmal so, sie würde mit ihm darüber reden müssen. Sonst konnte sie nicht ruhig schlafen.

Ohne sich im Spiegel anzusehen, wahrscheinlich sah sie aus wie eine wandelnde Leiche, ging sie an ihm vorbei und zum Telefon. Als sie wählte, sah sie wieder zu ihm hinüber und fragte ihn nach einer Tasse Kaffee.

Sie sagte bei der Arbeit Bescheid, dass sie nicht erscheinen würde und ging dann in die Küche, wo sie Brötchen zum Aufbacken in den Ofen schob.

Dann setzte sie sich mit einem großen Glas Wasser an den Tisch. „Ich nehme an, dass du weißt, dass wir gestern im Shadow waren?“
 

Der Schnitt sah wirklich nicht so schlimm aus, auch wenn es sicher wehtat. Aber wie sie schon sagte, sie lebte und schien offenbar mehr von der enthüllten Wahrheit mitgenommen zu sein, als von der Verletzung. Vielleicht lag es aber auch an dem ganzen Alkohol, den er an ihr hatte riechen können. Sie musste sich gestern ziemlich betrunken haben, so wie sie aussah. Der Kater stand ihr wirklich nicht gut und eigentlich hätte er sie auch nicht für jemanden gehalten, der es mit dem Alkohol so übertrieb. Aber das war ja nicht seine Sache.

Während sie bei ihrer Arbeit anrief, machte er noch einmal Kaffee und setzte sich dann mit zwei Tassen an den Tisch zu Emily, während die Brötchen langsam einen angenehmen Duft im Raum verbreiteten.

Auf ihre Frage hin, musste er sofort wieder an diesen verfluchten Gürtel auf dem Couchtisch denken, während er unnötigerweise in seinem Kaffee rührte, da er bisher weder Milch noch Zucker hinein getan hatte. Beides stand zwar am Tisch, aber er dachte im Augenblick nun wirklich nicht daran.

„Ja, dessen bin ich mir inzwischen ziemlich bewusst.“ Er schwieg wegen des Gürtels. So bald er konnte, würde er das Ding in den Müll werfen. „Und ich liege sicher nicht falsch in der Annahme, dass du mich bei der Arbeit gesehen hast und wir deshalb dieses Gespräch führen.“ Eigentlich sollte es gar nicht nötig sein. Gut, er hatte ihr verschwiegen, womit er genau sein Geld verdiente, aber das war doch nicht schlimm. Er war Stripper, na und? Wüsste sie, dass er ab und zu auch noch als Callboy tätig war, wobei sich ausgerechnet heute Abend wieder eine Kundin mit ihm traf, wäre sie das ebenso wenig etwas angegangen. Es waren zwar keine Berufe, die man als nobel oder angesehen betrachten konnte, aber es war ehrliche Arbeit.

„Emily, ich bin Stripper. Das ist mein Beruf, aber dafür brauche ich mich nicht zu rechtfertigen. Darum verstehe ich nicht, wieso du offensichtlich so ein großes Problem damit hast. Ich meine, es ist völlig in Ordnung, wenn dir dieses Schauspiel nicht gefällt und ich respektiere so etwas auch, aber mir kommt es so vor, als würdest du jetzt in mir etwas total …“ Er fuchtelte mit einer Hand in der Luft herum, weil er nicht wusste, wie er das am besten ausdrücken sollte. „… ich weiß auch nicht. Als hätte ich mich plötzlich in deinen Augen in Satan oder was weiß ich was, verwandelt. Meine Kolleginnen und Kollegen sind genauso normale Menschen wie Bauarbeiter, Sekräterinnen oder Aktensortierer…“ Er verstand es wirklich nicht.
 

Ihr Blick durch die fast schwarzen Augen konnte durchaus stechend sein. Aber heute war er wahrscheinlich eher getrübt und unkonzentriert, als sie ihn ansah. Sofort wurde Emily in die Offensive gedrängt, was ihr noch mehr Kopfschmerzen bereitete, als sie sowieso schon hatte. Warum hatte sie sich bloß so betrinken müssen? Ah, richtig. Sie hatte mit ihrem Freund Schluss gemacht und in derselben Nacht erfahren, dass ihr neuer Mitbewohner sich für Geld vor geifernden Weibern auszog.

Augenblicklich wurde ihr wieder schwindelig und sie massierte sich vorsichtig die Schläfen mit Zeige- und Mittelfinger. Trotzdem nahm sie ihre Augen nicht von seinem Gesicht. Adrian war mehr als offensichtlich verdammt sauer. Und zwar auf sie. Damit konnte sie schon im Allgemeinen nicht umgehen. Jetzt nur noch weniger.

Sie hatte ihn nicht verletzen wollen. Wahrscheinlich hatte er Recht und es war einfach nur ein Job. Ein Job, der einen verdammt schlechten Ruf hatte. Emily wollte doch bloß keinen Ärger haben. Sie wollte hier still wohnen und es gemütlich haben. Keine Partys mit halbnackten Beteiligten oder welchen, die völlig betrunken in der Ecke hingen.

Dabei sollte sie diesbezüglich heute sicher den Mund halten. Sie konnte ihm wirklich nichts vorwerfen. Der Schock war ihrer gewesen. Es hatte nicht an Adrian gelegen. Er hatte ihr nichts getan.

Emily wollte das hier nicht. In der Küche sitzen und ein schlechtes Gewissen haben, weil sie sich dafür schämte, seinen sexy Auftritt gesehen zu haben. Es war vielleicht obszön, aber unter Umständen nur in Emilys Augen.

„Du hast Recht.“ Sie sah ihn weiter an und stand bei ihrem nächsten Satz auf, um die Brötchen aus dem Ofen zu holen. „Es geht mich nichts an.“

Und genau das war wohl das, was Emily am meisten störte. Sie hatte Adrian schon einiges anvertraut. Sie hatten sich nett unterhalten. Und er hatte ihr etwas verschwiegen. Wer wusste schon, was er ihr noch verschwieg.

Mit einem fast erschrockenen Seitenblick sah sie ihn prüfend an, als könnte sie auch nur ansatzweise feststellen, was sie zu sehen versuchte. Es aber auch nie sehen konnte. Am Ende war er vielleicht noch nicht einmal schwul.
 

Kaum das sie aufgestanden war, senkte er den Blick. Sie klang nicht nur fertig, sie sah auch so aus und dann kam er daher und fuhr gnadenlos über sie hinweg. Das war nicht er. Das war das kleine, befleckte und am Boden zerstörte Bruchstück seiner Persönlichkeit, das sich unbedingt für das rechtfertigen musste, was er tat. Es war wie ein kleiner Splitter, der tief unter der Haut saß und sich nicht heraus ziehen ließ. Für gewöhnlich bemerkte man ihn nicht, aber kaum fuhr man leicht darüber, schmerzte es.

Nachdem sich Emily zusammen mit den Brötchen wieder gesetzt hatte und er noch immer nichts auf ihre Worte hin erwiderte, stand nun er auf, ging zu dem Hängeschrank über der Spüle und holte ein Päckchen Aspirin hervor. Danach warf er eine Tablette in ein Glas Wasser und stellte seiner Mitbewohnerin das sprudelnde Gebräu hin, ehe er die Schachtel wieder wegräumte und sich an der Obstschüssel vergriff.

Er holte ein scharfes Messer aus dem Holzblock und begann damit eine Orange zu schälen und zu zerteilen, während er mit ruhiger, beinahe schon sanfter Stimme zu erzählen begann, ohne dabei von seiner Arbeit hoch zu blicken. „Eigentlich mag ich es nicht, wenn man meinen Körper anstarrt.“, teilte er ihr unverhohlen mit. „Wenn mich fremde Frauen berühren und mich zugleich mit einem Blick ansehen, als würde sich gleich ihr Höschen in Flammen auflösen, widert mich das an.“

Er befreite die Orangenteile von allen weißen Fasern, ehe er sie in eine kleine Schüssel legte und sich einen Apfel schnappte und ihn zu schälen begann. „Dennoch kann ich nicht leugnen, dass mir meine Arbeit großen Spaß macht.“

Er hielt kurz inne, während sein Blick leer in die Luft starrte, als würde er gerade an etwas denken. Dann begann er den Apfel zu spalten. „Ich lasse mich dabei von der Musik führen, folge dem Rhythmus des Basses, ohne weiter darüber nachzudenken. Mein Körper reagier inzwischen beinahe automatisch darauf und sendet wohl eine ganze Menge Endorphine frei – Glücksgefühle.“ Ein Grund, wieso er sich meistens wie aufgepusht fühlte, wenn er von der Arbeit heim kam. Seine heimliche Sucht nach Schokolade sozusagen. „Außerdem fällt es mir nach all den Jahren nicht mehr schwer, das Publikum auszublenden, solange ich nicht ernsthaft bedrängt werde. Es ist so, als würde ich dort ganz alleine tanzen. Nur für mich und für niemanden sonst.“ Natürlich musste er auch immer wieder eine Show bieten, wo er mit seinen Gedanken vollkommen anwesend sein musste, aber die vielen Frauen und Männer ließen ihn schon längst kalt, solange er nicht so einen Auftritt wie gestern hinlegen musste.

Auch die Apfelschnitze landeten in der kleinen Schüssel, ehe er nach einer Banane griff, sie schälte und dann in kleine einzentimeterdicke Blättchen schnitt.

Schließlich wusch er das Messer ab, trocknete es und steckte es in den Messerblock zurück. Mit der Schüssel zusammen, kam er zum Tisch zurück und stellte sie ebenfalls vor Emily ab. „Iss das. Die Vitamine werden dem Kater den Kampf ansagen. Versprochen.“ Er lächelte zum ersten Mal am heutigen Tage.
 

Aufmerksam hörte sie ihm zu. Er hatte den Job also nur, weil er das Tanzen mochte. Das war schwer zu glauben. Emily wollte nicht zu skeptisch sein, aber Tanzen hätte er auch anders professionell tun können. Ohne sich vor einem Publikum auszuziehen. Sie verstand es nicht.

Sich vor den Augen von jemandem zu entblößen, war so, als würde man sich völlig schutzlos machen. Man war angreifbar und verletzlich. Beim besten Willen konnte sie sich nicht vorstellen, dass das auch noch Spaß machte. Noch dazu, wenn man sich in solche Kostüme zwängen und dann wieder heraus schälen musste, wie Adrian es gestern getan hatte.

Aber als er davon sprach, dass er es nicht mochte, bedrängt zu werden, lagen ihre Augen fast mitleidig auf ihm. Es hörte sich so an, als hätte er diesbezüglich schon schlechte Erfahrungen gemacht. Wahrscheinlich waren Frauen da sogar schlimmer als Männer. Vor allem wenn sie in Gruppen auftraten, wie bei dieser Ladysnight, konnte sich Emily vorstellen, dass sie kein Haar an dem Tänzer ließen, wenn sie ihn zu packen bekamen. Widerlich.

Als er die Schüssel mit Obst vor ihr abstellte, sah sie ihn lächeln. Es wirkte ehrlich und freundlich. Aber aus irgendeinem Grund konnte Emily nur sehr schwach zurück lächeln. Sie hatte sich mal wieder zu weit vorgewagt. Warum hatte sie sich ihm denn gleich so weit geöffnet? Ihm von ihrer Beziehung erzählt… Purer Schwachsinn. Das würde sie in Zukunft unterlassen, bis sie sich besser kannten.

„Danke. Möchtest du auch was?“ Es war ein Friedensangebot. Nicht nur von seiner Seite. Emily kippte das Aspirin-geschwängerte Wasser hinunter und holte zwei Gabeln aus der Schublade, von denen sie eine Adrian reichte. Außerdem holte sie noch die Butter und zwei Messer. Ein angemessenes Katerfrühstück. Auch wenn Adrian gar nicht an so einem litt.

Kauend überlegte sie, wie sie nun weitermachen sollte. Rein unterhaltungstechnisch. Smalltalk war wohl immer gut.

„Hast du dann heute frei?“ Das gestern Nacht hatte ziemlich anstrengend ausgesehen. Gott, hoffentlich bekam sie diese Bilder je wieder aus ihrem Kopf raus…

Als sie den Kopf schütteln wollte, bereute sie das sofort. Die Aspirin hatten noch nicht zu wirken begonnen und ihr Kopf dröhnte wie eine Kesselpauke.

„Nie wieder Alkohol auf eine Trennung.“, sagte sie leise.
 

Adrian nahm die Gabel entgegen und spießte sogleich ein Stück Orange auf, ehe er es sich zwischen die Lippen hindurch in den Mund schob. Langsam und den Geschmack kostend, kaute er. Sie war süß und saftig. Offenbar eine gute Sorte.

„Heute Abend gehe ich aus.“, kündigte er an, um sie nicht schon wieder zu belügen. Zwar hatte er heute vom Club aus frei, aber von sich aus ging er in Wahrheit wieder arbeiten. Nach all seinen Erlebnisse in seiner Jugend, hätte er sich eigentlich schon längst von dieser Arbeit trennen müssen. Doch sie war, so selten sie auch vorkam, sehr gut bezahlt und er wollte das Geld, um es anzusparen. Inzwischen hatte er schon eine Summe im mehrstelligen Bereich auf seinem Geheimkonto liegen, aber es genügte noch nicht für sein Vorhaben, sich ein vollkommen neues und schönes Leben aufzubauen. Ein Grund, wieso er auch im „Shadow“ arbeitete. Das Tanzen wurde dort sehr gut bezahlt.

Die Frau die er heute Abend um acht Uhr traf, kannte er bereits. Nach mehr als drei dieser Arrangements, konnte er sie bereits als eine seiner Stammkundinnen bezeichnen. Auch wenn oft viele Wochen verstrichen, ehe man seine Dienste wieder in Anspruch nahm. Wofür er dankbar war.

Zwar mochte es der Traum einiger Männer sein, Callboy zu werden, weil man da immer wieder mit Frauen Sex haben konnte, die auch noch dafür bezahlten. Aber es war kein leichter Job und sicherlich kein Genuss für Adrian. Er hatte lange an seinen Manieren, seinen Umgangsformen und seinem Auftreten arbeiten müssen, bis er es in die Oberliga der Luxus-Callboys geschafft hatte. Umso härter könnte er eines Tages aufschlagen.

Wie dem auch sei, der Abend mit Rose würde sicher angenehm werden. Sie war eine ruhige, stilvolle Frau, die mehr wert auf einen schönen Abend in einem Restaurant legte und den damit verbundenen Eindrücken, als auf sein Können im Bett. Auch wenn der Abend unweigerlich so enden würde.

Adrian nahm sich eines der Brötchen, schnitt es sich auf und strich Butter darauf, ehe er einen kleinen Bissen davon nahm und weiterhin leicht nachdenklich kaute. Beinahe hätte er Emily dabei ganz vergessen. Als er sich ihrer Gegenwart dann doch wieder bewusst wurde, blickte er sie leicht schuldig an. „Was ich mich schon die ganze Zeit frage, restaurierst du eigentlich auch Mumien? Ich stelle mir das ziemlich gruslig vor.“ Ein Themenwechsel, ganz klar, aber er war auch wirklich neugierig auf ihre Antwort.
 

Er ging aus? Emily wollte gar nicht daran denken, was es für eine Anstrengung sein würde, heute wieder so einen Abend durch machen zu müssen wie gestern. Sie würde heute zu Hause bleiben, sich schlecht fühlen und sich Vorwürfe dafür machen. Sehr guter Plan.

Sie steckte sich ein Stück Apfel in den Mund und sah Adrian dabei zu, wie er anscheinend konzentriert über etwas nachdachte. Er schien völlig abwesend, bevor er bemerkte, dass er nicht allein am Tisch saß und sie mit seinen blauen Augen fixierte.

Der Themenwechsel überraschte sie ein wenig. Aber immerhin mussten sie so nicht mehr über diesen peinlichen Vorfall sprechen.

„Nein, an einer Mumie habe ich noch nicht gearbeitet.“ Sie kaute das Apfelstück herunter und sprach dann mit aufkommender Begeisterung weiter. „Aber ich hätte vielleicht die Möglichkeit das bald zu ändern. Mein Vorgesetzter interessiert sich sehr für Mumien und Moorleichen. Unser Museum will jeweils eine kaufen. Allerdings sind sie nicht in besonders gutem Zustand und müssten von Norwegen hierher transportiert werden. Ein langer Weg und ein großes Risiko, dass sie ganz zerstört werden. Wir versuchen sie trotz allem zu bekommen.“

Noch besser war, dass Emily darauf hoffte, nach Norwegen fliegen zu können, um sich die Mumie vor dem Transport anzusehen. Zwar war das eigentlich Sache des Kurators, aber Emily kam gut mit ihm aus und er hatte sie darauf angesprochen, ob sie Interesse hätte, dabei zu sein. Natürlich hatte sie sofort zugesagt. Jetzt kam es nur noch darauf an, ob die Sache auch klappte.
 

„Das muss ganz schönen Stress bedeuten, wenn man etwas so vorsichtig behandeln muss. Aber wenn sie erst einmal ausgestellt sind, hat sich das ganze sicher gelohnt. Schließlich gibt es viele Leute, die tote Menschen ganz schön faszinierend finden.“ Er war ein alter Ägypten-Anhänger. Darum interessierten ihn Mumien und diese ekligen Einbalsamierungszeremonien, wo sie dem Leichnam das Gehirn durch die Nase zogen und die Innereien in Urnen legten. Spannend waren auch jene menschliche Überreste, die es durch irgendeine Art der Konservierung geschafft hatten, sogar mit Haut und Haaren erhalten zu bleiben, selbst nach tausenden von Jahren. Wie mochten die Menschen wohl damals gelebt haben? Man hörte ja allerlei Geschichten, doch wirklich genau wissen, würde man es wohl nie.

Plötzlich hallte Linking Park durch sein Zimmer und Adrian stöhnte leicht genervt.

„Entschuldige mich bitte kurz.“ Er stand auf und ging in sein Zimmer, wo er sein Handy hatte liegen lassen und hob einfach ab, ohne etwas zu sagen. Da ging es auch schon los: „Hey, Alter. Wahnsinns Auftritt gestern. Die Bräute haben nur so gesabbert, als du diese Nummer mit deiner Stange abgezogen hast! Vor allem die-“

Adrian ging mit dem Handy in der Hand zurück zur Küche und setzte sich wieder zu Emily. Er Biss seelenruhig von seinem Brötchen ab, ehe er sich das Handy wieder ans Ohr legte.

„-voll die geilen Titten. Die war schon total besoffen und hat dann bei mir-“ Adrian drückte das Handy so an seine Hose, dass Tyson nichts hören konnte, obwohl der sich sowieso erst aussprechen musste. „Tut mir leid. Das ist mein bester Kumpel. Bei ihm dauert es immer etwas, bis er einmal zum Punkt kommt.“ Er lächelte und aß sein Brot auf, ehe er den Stand der Dinge checkte. „-dann bin ich völlig ausgepowert eingepennt und heute morgen waren die drei schon weg, als ich aufwachte. … Was läuft bei dir so? Bist du schon umgezogen? Gib mir die Adresse, ich komm vorbei. Soll ich ein paar Weiber mitbringen? Obwohl, nach der Nummer gestern, müssen die dir sowieso schon die Bude eingerannt haben. Wieso bist du so still? Hast du etwa grade was am Laufen? Hey, erzähl, wie is die so?“

Adrian schloss für einen Moment kopfschüttelnd die Augen und fragte sich vermutlich schon zum tausendsten Mal, wie er den Kerl überhaupt ertragen konnte. Tyson war so ganz anders, als er selbst.

„Hör mal.“ Unterbrach er den Redefluss jetzt einmal und bekam schließlich auch endlich ein Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Ich frühstücke gerade, nein, du bekommst meine Adresse nicht, ja, danke dass du gestern da warst. Nein ich hab heute Abend keine Zeit. Morgen auch nicht, vielleicht nächste Woche Mal. Bleib sauber und ich meld‘ mich dann bei dir.“ Er legte auf, ohne auf eine Antwort zu warten und rieb sich übers Gesicht. Der Kerl war echt eine Plage. Nichts weiter als Titten, Ärsche und Alk im Kopf. Trotzdem hätte Adrian ihn vermisst, wenn es Tyson nicht gäbe.

Allerdings tat sich da ein neues Problem auf. Er konnte seinem Freund nicht lange die neue Adresse verheimlichen und vor allem, musste er zusehen, wie er ihn dazu brachte, dass er Adrians Lüge über seine sexuelle Ausrichtung nicht aufdeckte.
 

Emily wollte gerade antworten und ihm ihre Einstellung zu toten Menschen, Mumien und solchen Dingen erzählen, als sie von dem Anruf unterbrochen wurde. Adrian lief aus dem Zimmer, kam aber kurze Zeit später völlig unbeeindruckt mit dem Telefon in der Hand zurück. Er verhielt sich mehr als seltsam. Wenn das sein bester Freund war, wollte Emily nicht wissen, wie er sich Leuten gegenüber verhielt, die er als bloße Bekannte bezeichnete. Immerhin sprühte das Gespräch nicht vor Freundschaftlichkeit. Adrian blockte den Anrufer total ab und legte sogar auf, ohne sich zu verabschieden.

„Du hättest ruhig mit ihm sprechen können. Ich…“ Sie hatte selbst keine Ahnung, was sie sagen wollte. Dass es sie nicht gestört hätte? Natürlich nicht. Davon ging er doch sicherlich aus. Warum er allerdings nicht wollte, dass ihn sein bester Freund besuchte, verstand Emily nicht. Innerlich zuckte sie mit den Schultern.

Nachdem sie die Gabel auf den Tisch gelegt und sich auf dem Stuhl zurück gelehnt hatte, nahm sie ihre Unterhaltung wieder auf.

„Es ist nicht so, dass ich gern mit toten Menschen umgehe. Mich faszinieren die Mysterien dahinter. Warum die Ägypter ihre Toten so beerdigt haben, wie sie es getan haben. Das finde ich total spannend. Ihre Vorstellung von der Totenwelt und dass sie ihren Pharaonen etwas mitgeben mussten, damit es ihnen im Leben nach dem Tode gut ginge.“

Sie sah ihn an und dachte an den Sarkophag, der nun im Keller des Museums stand und wegen ihres Ausfalls in der letzten Nacht nicht weiter bearbeitet wurde.

„Außerdem kann man viel über den verstorbenen Menschen lernen, wenn man sich damit beschäftigt, wie ihn seine Anhänger behandelt haben, als er bereits tot war.“
 

„Hätte ich tun können, wenn ich mal zu Wort gekommen wäre. Am Telefon ist er leider nicht mehr zu stoppen.“, meinte Adrian leichthin und aß zu Ende, während er sich Emilys Meinung zu den Mumien und den Begräbnisrieten anhörte.

Eigentlich wollte er ihr beim Abwasch helfen, aber es war so wenig Geschirr, dass sie sich nur im Weg gestanden hätten, also blieb er einfach sitzen und leistete ihr Gesellschaft, bis sie fertig war.
 

Emily stand nach einer Weile auf, nahm die leere Schüssel und das Besteck und wusch alles zusammen in der Spüle an und stellte es zum Trocknen hin. Nachdem Adrian das Frühstück gemacht hatte, wollte sie zumindest auch etwas Nützliches tun.

Und dann wollte sie in die Badewanne. „Musst du noch ins Bad? Ich würde mich gern in einem Schaumbad ertränken, wenn das ok für dich ist.“
 

„Nur zu, verwöhn dich, ich kann auch später ins Badezimmer. Hat keine Eile.“ Er stand auf und verließ etwas unschlüssig die Küche, was er nun tun sollte. Dabei fiel sein Blick wieder auf den Gürtel auf dem Couchtisch. Sofort schnappte er sich das Teil und warf es mit fast schon eisigem Blick in den Müll, danach verzog er sich in sein Zimmer, um die Pflanzen zu gießen. Er legte leise Musik ein und warf sich aufs Bett.

Während er die Decke anstarrte, gingen seine Gedanken wieder auf Reisen.

Er würde Tyson morgen anrufen, vielleicht sollte er sich doch noch diese Woche mit ihm treffen. Bei der Gelegenheit konnte er seinem Freund ins Gewissen reden, dass er ja die Klappe zu halten hatte, wenn er in Adrians neue Wohnung gelassen werden wollte. Immerhin war das letzte, worauf Adrian scharf war, ein Tyson der lautstark Emily anmachte und sie tausendprozentig mit seiner Art völlig verstören würde. Leider hatte er es in all den Jahren nicht geschafft, dem Älteren bessere Manieren bei zu bringen. Zum Glück sah Tyson sehr gut aus, sonst würde er nie so einen Haufen Frauen ins Bett bekommen. Immerhin behandelte dieser das andere Geschlecht wie Kondome. Einmal benutzt und danach weg damit.

Apropos Kondome. Er durfte nicht vergessen, dass er heute welche mitnahm. Immerhin benutzte er nur seine eigene Sorte, mit der er schon seit Jahren gute Erfahrungen gemacht hatte. Zwar sehr teuer, aber dafür äußerst zuverlässig. Und im Preis war das natürlich locker inbegriffen.

Da er gerade ohnehin nichts Besseres zu tun hat, legte er sich schon einmal seine Sachen zurecht, die er heute Abend benötigen würde. Außerdem sollte er noch in die Stadt fahren, um ein paar Kleinigkeiten zu besorgen.
 

Emily schüttete so viel Badezusatz in die Wanne, dass sie das leicht blau gefärbte Wasser durch den Schaum gar nicht mehr sehen konnte, als sie sich schließlich auszog und zuerst ihre Füße hinein steckte. Kurz zuckte sie zurück. Es war verdammt heiß.

Aber ihr Körper gewöhnte sich schnell an die Hitze und Emily ließ sich bis zum Hals ins Wasser gleiten. Sie konnte nicht viel mehr sehen als den Schaum um sie herum. Außerdem machte die Wärme und der wenige Schlaf der letzten Nacht sie müde. Sie schloss die Augen und entspannte sich. Aus Adrians Zimmer konnte sie durch die dünne Wand Musik hören. Aber da er sie sehr leise gestellt hatte, konnte sie nicht erkennen, um was es sich handelte.

Da ihre letzten Gedanken ihm gegolten hatten, kam er wohl auch in ihrem Halbschlaf-Traum vor. Emily war gar nicht klar, dass sie ein wenig weg gedöst war. Aber aus dem Traum schreckte sie hoch, als fühlte sie sich ertappt. Sie sah sich ein wenig verstört im Badezimmer um und erwartete, dass Adrian neben ihr stand. Oder etwas Anderes tat. Allein der Gedanke war ihr unsäglich peinlich. Was einem das Gehirn manchmal doch für Streiche spielte…

Wieder ließ sie sich zurück sinken und sich von dem heißen Wasser umfangen. Die Füße streckte sie über den Rand der Wanne, was zwar eine kleine Überschwemmung verursachte, ihr aber egal war. Sie hatte sowieso das Bad putzen wollen.

Nach einer Weile passierte das, mit dem sie schon die ganze Zeit mehr oder weniger gerechnet hatte. Sie fühlte sich einsam. Sobald Adrian aus der Tür sein würde, musste sie wahrscheinlich ihr Handy irgendwo vor sich selbst verstecken, um Zach nicht anzurufen. Ob das mit dem ‚verstecken’ funktionierte, wusste sie nicht. Aber sie war sich sicher, dass sie einbrechen würde, wenn niemand bei ihr war. Vielleicht hatte Mona Zeit zu telefonieren. Ihre große Schwester war ihr wesentlich lieber als Julie. Sie hatten schon immer ein sehr gutes Verhältnis zu einander gehabt. Allerdings war Mona meistens sehr mit ihrem eigenen, gut geplanten Leben beschäftigt. Genauso wie Emily. Folglich sahen sie sich sehr selten. Sogar telefonieren stand nicht oft auf der Tagesordnung. Wahrscheinlich ein Grund dafür, warum Emily sich immer noch an die Freundschaft mit Julie klammerte.

Als das Wasser zu kühl wurde, stieg Emily aus der Wanne, schlang sich ein großes Handtuch um den Körper und föhnte sich die Haare. Sie sah immer noch fertig aus, aber zumindest nicht mehr völlig zerstört. Sie ließ das Wasser aus der Wanne und cremte sich ein. Dann schlich sie auf leisen Sohlen über den Gang in ihr Schlafzimmer. Sie fürchtete sich nicht vor Adrian, aber er musste sie ja auch nicht zwingend nur im Handtuch sehen.
 

Adrian war bereits vollständig angezogen und fummelte gerade noch ein letztes Mal an seiner Frisur herum, als er die Badezimmertür aufgehen hörte. Leise Schritte tapsten über den Boden Richtung Emilys Zimmer, bis sich die Tür dahinter verschloss.

Eigentlich brauchte Adrian nichts dringendes mehr aus dem Badezimmer, ging dann aber doch hinein, um sich rasch frisch zu rasieren, sich Aftershave drauf zu geben und Gebrauch von seinem Deo zu machen. Während er beschäftigt war, sog er immer wieder den angenehmen Duft ein, der schwer im Raum hing und seine Haut umschmeichelte. Oh ja, er war auch ein großer Fan von Badezusätzen, vor allem wenn sie so ein herrliches Aroma verströmten.

Nachdem er ausgehfertig war, schnappte er sich die Grundausstattung: Handy, Portmonee und Schlüssel und verschwand dann für den Rest des Tages aus der Wohnung.

Er bummelte etwas durch die Stadt, besuchte immer wieder verschiedene Läden, ohne etwas zu kaufen, bis er das passende Geschenk für Rose fand. Ein kleines Silberkettchen mit glitzernden Anhängern. Ein passendes Accessoire für sie, da sie alles liebte, was glitzerte und glänzte. Für ihn war es jedoch nicht mehr als ein Präsent, an eine seiner wertvollsten Kundinnen. Immerhin konnte er nicht nur gut tanzen, sondern beherrschte auch die Regeln der Verführung und des Charmes, wenn er es darauf anlegte.

So gut gerüstet, konnte er dem Abend eher gelassen entgegen sehen.

Als er an einem Blumenhändler vorbei kam, blieb er überlegend stehen. Schließlich kaufte er sich einen Strauß frischer Schwertlilien in Weiß und Lila. Er würde sie auf den Wohnzimmertisch stellen, wo sie farblich gut zur Couch passten. Eigentlich wollte er sie Emily als Entschuldigung für die ganzen Unannehmlichkeiten schenken, doch das ließ er schließlich bleiben. Vielleicht erfreute sie sich auch einfach so an dem Strauß.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  thundergirl
2012-12-20T11:57:59+00:00 20.12.2012 12:57
Hey :)

hab jetzt mit dieser FF angefangen, die sich sehr interessant anhört.
Hoffe du lädst bald noch ein paar Kapitel hoch.

Liebe Grüße :)


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