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Levitation

von

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Akte 4b/ Das Studium

So, nach unendlich langer Zeit und nachdem ich fast ein Jahr lang ausschließlich an Equinox oder juristischen Hausarbeiten gesessen bin, hier endlich die Fortsetzung von Levitation. Erinnert sich noch jemand an diese Geschichte? Also, es geht um eine junge Wissenschaftlerin namens Aya, die...

Nein, im Ernst, ich weiß, es ist ewig her, auch wenn es mir vorkommt, als ob ich Akte 4a erst gestern geschrieben hätte. Es war schön, mal wieder ein bisschen schreiben zu können, und ich bin mit dem Ergebnis viel zufriedener, als ich zunächst befürchtet hatte. Ich finde das Kapitel jetzt wirklich toll, ich liebe die Atmosphäre und die Dialoge und das Ende und überhaupt. Ich wünsche jedem viel Spaß beim Weiterlesen und Mitraten. ^_^
 

„Und du hast… ich meine… du hast wirklich…“

„Ja, D, ich habe wirklich…“

„Ganz ehrlich?“

„Ganz ehrlich!“

„Mit… mit eXinfernis… also… ich meine… mit dem eXinfernis?“

„Ich weiß ja nicht, wie viele von der Sorte es noch gibt, aber… ja, mit dem eXinfernis.“

„Und er hat wirklich mit dir… also… so richtig und am Telefon?“

„D…“ Aya sah ihrem schwarzhaarigen Mitarbeiter tief in die dunkelbraunen Augen. „Das hast du bereits gefragt. Sogar mehrmals. Genau genommen fragst du überhaupt nichts anderes mehr, seit unser Raumgleiter Illythia verlassen hat und ich dir davon erzählt habe.“

„Ja, aber… aber Aya… ich meine… der eXinfernis!“

„Ja, D, der eXinfernis!“, schnaubte die junge Wissenschaftlerin und kratzte nervös mit ihren langen Fingernägeln über das Hochsicherheitsglas des Fensters zu ihrer Rechten. Hinter dem unzerstörbaren Kunststoff breitete sich ein perfekter Sommerhimmel aus, ein atemberaubendes Bildnis von strahlendem Azurblau und dem idyllischsten Fleckchen Erde, das wohl überhaupt von Menschenhand geschaffen werden konnte. Tief unter ihrem komfortablen Gefährt erstreckte sich ein bunter Flickenteppich in leuchtendem Weiß und saftigem Grün, und selbst die hellgrauen Linien dazwischen wirkten keineswegs kühl und trostlos, sondern einfach nur angenehm hell und freundlich und wie mit dem Lineal gezogen, was dem gut gelaunten Gesamtkunstwerk klare Konturen und eine gewisse geometrische Eleganz verlieh.

Trotzdem war Aya nicht annähernd so zufrieden, wie sie das ganz ohne jeden Zweifel hätte sein können. Dies lag zum einen daran, dass ihr Magen unwillig knurrte (sie hatte sich für Raumgleiterfood noch nie sonderlich begeistern können), und zum anderen an der Tatsache, dass sie zur Sekunde bereits den ersten, aber ganz bestimmt nicht den letzten Streit ihrer noch so jungen Ehe durchleben musste. Und das fand sie weder amüsant noch unterhaltsam, obwohl sie sich doch im Allgemeinen sehr für Streit und Diskussionen jeder Art begeistern konnte. Das Problem war nur, dass sich eine der beiden Parteien dieser unliebsamen Meinungsverschiedenheit gar nicht so recht bewusst zu sein schien.

Besagte Partei saß nämlich gut gelaunt auf dem grau und blau gemusterten Samt des leidlich bequemen Gleitersitzes, kaute zufrieden auf einem der kaugummiartigen Sandwichbrötchen der im Preis mit inbegriffenen Boardverpflegung herum und frönte pausenlos und auf die denkbar schwachsinnigste Art und Weise einer Begeisterung, die Aya beim besten Willen nicht teilen konnte. Schlimmer noch – die sie nicht einmal mehr verstand, und wenn die junge Wissenschaftlerin eines auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann war es bei einem Thema nicht mitreden oder bei einem Insiderwitz nicht ins allgemeine Gröhlen und Lachen einstimmen zu können.

In Ayas Augen war das nämlich nichts anderes als Freiheitsberaubung der gemeinsten Sorte, denn sie fühlte sich zwar nicht ein-, aber sehr wohl ausgesperrt, und laut ihrem Verständnis von subjektiver Wahrnehmung kam das mehr oder weniger aufs Gleiche heraus. Da saß sie nun also mit knurrendem Magen und zwei schmerzlich unprofessionell gepackten Koffern im Gepäckraum wenige Meter unter ihren Füßen, und anstatt für diese unermesslichen Qualen oder auch für die drei, vier Traumata des vergangenen Morgens bemitleidet zu werden, strahlte ihr Nebensitzer wie ein angetrunkenes Honigkuchenpferd und entblödete sich auch noch permanent, mit seinem unzusammenhängendem Herumgestammel auf ihren ohnehin schon überstrapazierten Nerven Tango zu tanzen.

„Mann“, grinste er ihr in unnachahmlich fassungslos debiler Weise entgegen, „du bist echt der glücklichste Mensch auf dem ganzen Planeten.“

„Und du bist die größte Nervensäge im gesamten Universum!“ Aya nahm dem Schwarzhaarigen sein Plastiksandwich aus den Händen, mehr aus Trotz und Verzweiflung als aus wirklichem Appetit, und zwang sich einen demonstrativ großen Bissen in den Mund hinein. Ohne auf den lauten Protest ihrer Geschmacksnerven und Kaumuskeln zu achten, würgte sie das durch und durch künstlich schmeckende Stück Brot in Rekordtempo herunter und bedachte D mit einem vorwurfsvollen Blick. „Aber jetzt hör mir mal gut zu, ich habe nämlich einen Vorschlag für dich, verstanden?“

„Aya, das ist mein Brot“, protestierte der junge Hacker, aber da er auch bei diesen Worten nach wie vor grinste, beschloss Aya kurzerhand, ihn zu ignorieren.

„Das freut mich, D, also hör gut zu: Wie wäre es denn zum Beispiel, wenn du mir erst einmal erklären würdest, warum du dich über den merkwürdigen Drohanruf eines auf Kumpel machenden Psycho-Stalkers plötzlich genauso freust wie über einen Millionengewinn bei der staatlichen Lotterie? Ich meine… wer um alles in der Welt ist dieser ominöse… eXinfernis, der ja scheinbar jedem außer mir ein Begriff zu sein scheint?!“

D machte große Augen und hätte wohl tatsächlich sein Mittagessen fallen gelassen, wenn er es denn noch in der Hand gehalten hätte.

„Bitte was? Aya… Aya… du willst mir nicht ernsthaft sagen, dass du… ich meine… dass du…“

„Doch“, entgegnete sie nun ernstlich verstimmt und schob sich trotzig den letzten Bissen des scheußlichen Pappbrötchens in den Mund. „Will ich. Bitte entschuldige, dass ich ob meiner grenzenlosen Ignoranz nicht gleich noch vor dir auf die Knie falle, aber der Platz hier ist mir entschieden zu beschränkt dafür. Und mein Stolz hat auch keine große Lust darauf, verzeih.“

„Ja, aber… eXinfernis, also… der eXinfernis!“

Welcher eXinfernis, verdammt noch mal?!“

„In Hackerkreisen ist der Mann eine Legende! Ach, was sage ich?! Ein Gott! Er ist der Erste und Einzige, der es jemals geschafft hat, die Todeszone zu durchqueren!“

„Das klingt mir eher nach einem Survivalexperten als nach einem Hacker“, grummelte Aya missmutig und hob dann hastig ihre Hand, bevor D zu einer Antwort ansetzen konnte. „Nein – sag nichts. Selbst ich als verlorene Heidin kann mir mittlerweile denken, dass es sich da wieder mal um euren tollen Hackerslang handeln muss, habe ich Recht?“

„Du hast doch immer Recht, Boss!“, zwinkerte D der Dunkelhaarigen zu und bewies so wieder einmal überaus anschaulich, dass selbst ein Elefant im Porzellanladen neben ihm wie die feinfühligste Kreatur der gesamten Schöpfung aussehen musste. „ Die Todeszone ist ein äußerst treffender Spitzname für die Firewall des Aijou-Konzerns. Wenn du einmal versucht hast, die zu knacken, dann wirst du verdammt noch mal wissen, was es heißt, zu versagen!“

„Das muss ich unbedingt einmal ausprobieren“, entgegnete die junge Wissenschaftlerin so desinteressiert wie nur irgendwie möglich, was D aber nicht weiter zu bekümmern schien.

„Oh, glaub mir, das haben viele!“, fuhr er in unverändert euphorisch belehrendem Tonfall fort. „Aber nur er hat’s überlebt, und das ist von der Jesus-Nummer damals wirklich gar nicht mehr so weit entfernt.“

„Der hat mir ins Ohr geatmet!“, empörte sich Aya, jedoch ohne dabei auf Gehör zu stoßen. „Wie einer dieser peinlichen Abschlachter aus den Teenie-Splattern, die man tausendmal überfahren kann und die einen trotzdem noch mitten in der Nacht anrufen und beobachten und dann abstechen, genau so hat er mir ins Ohr geatmet! Und du machst hier einen auf Gott und Jesus und überhaupt… er hat uns bedroht! Er hat uns ganz eindeutig bedroht, D, verstehst du das eigentlich?!“

„Ach komm… jetzt sieh doch nicht immer alles so negativ!“

„Stimmt. Vielleicht ist es ja gar nicht mal so übel, abgestochen zu werden.“

„Aya!“ D legte seinen treusten, in dieser Situation nur leider ganz und gar nicht angebrachten Hundeblick auf. „Er ist mein Held! Begreif es doch – jemand, der lebendig durch die Todeszone gegangen ist, der schneidet keinen anderen Menschen den Kopf auf. Der hat das auch gar nicht nötig. Der ist… wie so ein weiser Mönch, der in sich ruht, so von wegen Harmonie und Gleichgewicht und Yin und Yang, sonst schafft er so was ja auch überhaupt nicht. Das wär wie ein Drogenjunkie beim Iron Man-Marathon! Das geht nicht!“

„Ach? Und würdest du mir dann bitte mal erklären, was der ganze Spaß zu bedeuten hatte? Er wird sich ja wohl nicht zufällig verwählt und mich dann aus Jux an der Freude ein wenig veralbert haben!“

„Schon mal daran gedacht, dass er uns ja vielleicht echt nur warnen wollte? Der Mann lebt anscheinend auf dem Trabanten und ich nehme an, dass er sich die Informationen über den Fall bei den Sicherheitskräften und vor allem bei der guten Misses de la Stada geholt hat. Bei INFERIA kommt selbst der nicht rein, das ist nämlich wirklich unmöglich. Vielleicht weiß er ja, wer der Mörder ist? Vielleicht will er einfach nicht, dass wir bei der ganzen Sache draufgehen, wie wär’s denn damit?“

„Hm“, machte Aya wenig überzeugt und wandte ihren Blick lieber wieder dem kleinen Fenster zu. „Wenn er den Mörder tatsächlich kennt, dann kann er uns ja gerne auch ein wenig bei der ganzen Sache hier zur Hand gehen…“

D antwortete nicht mehr, da im gleichen Augenblick der Gleiter zum Landeanflug ansetzte und mit einem penetrant blinkenden und piepsenden Display seine spärliche Insassenschaft zum pflichtgemäßen Anlegen der Sicherheitsgurte aufforderte. Eine süßlich liebreizende Frauenstimme schallte durch den Passagierraum und hieß die Reisenden in Merrywood Ville herzlichst willkommen, während draußen hinter der Scheibe ein wolkenloser Sommerhimmel mit dem makellosen Weiß eines kleinen Flughafengebäudes um die Wette strahlte.

Im nächsten Moment öffneten sich die Türen und die Reise war zuende.
 

Der Empfang in der durch und durch idyllischen Stadt war zwar reichlich merkwürdig, aber doch in gewissem Sinne mehr als einfach nur warm und herzlich gewesen. Die Straßen war wie leergefegt, es fuhren keine Gleiter und es hetzten keine Menschen zwischen den einladenden Geschäften und Wohnhäusern umher. Die Ampeln leuchteten nicht, selbst die von fröhlich bunten Werbebannern geschmückten Türen des vorstädtisch kleinen Supermarktes schlummerten reglos in ihren Scharnieren.

Absurderweise war gerade diese allgemeine Leere so freundlich, so offen und so wohltuend harmonisch, dass sie sich beinahe augenblicklich wie ein lindernder Balsam auf Ayas Sinne legte und diese zumindest ein kleines bisschen für die pausenlose Reizüberflutung der Großstadt entschädigte. Natürlich gab es auch hier zahlreiche Nebengeräusche, aber die waren keineswegs störend, sondern unbeschreiblich entspannend. Vogelgezwitscher zum Beispiel. Die junge Wissenschaftlerin wusste nicht, wann sie das letzte Mal wirklich Vogelgezwitscher wahrgenommen hatte, und zwar ganz ohne den gewohnten Klangteppich von Gleitersurren und Menschenstimmen und Werbejingles und Hupkonzerten im Hintergrund. Außerdem sang der Wind, nur ganz leise, und das Gras und die Bäume in den Gärten raschelten sanft dazu.

Aya wusste nicht, ob sie sich das vielleicht nur einbildete, aber sogar das Sonnenlicht erschien ihr sehr viel wärmer als auf Attraya, und es ließ die weißen Fassaden der Häuser besonders hell, aber doch nicht zu hell strahlen. Alle Farben waren klar – der Himmel herrlich türkisblau, der Rasen grün und die Blumen leuchtend bunt. Bei näherer Betrachtung glichen sich die Häuser auch gar nicht mehr so sehr oder wenigstens nicht vollkommen, denn überall gab es verspielte Details und liebevolle Dekorationen zu entdecken, die auf einem Foto freilich nicht auffallen konnten.

Die Gardinen, beispielsweise. Mal waren sie blau, mal rot, mal weiß, mal mit oder ohne Spitze, mal mit Blümchen und mal mit kleinen Vögeln verziert. Auch die Eingangsschilder waren fantasievoll gestaltet, ebenso die Hausmatten und natürlich die stets gut gepflegten Blumenbeete, die lebendige Farbenspiele in die verschlafene Vorstadtidylle brachten. Als Aya dann endlich vor ihren – wenigstens vorläufig – eigenen vier Wänden zum stehen kam, da lag ein Lächeln auf ihren Lippen.

Die Eingangstüre war eine gelungene Verbindung von weißem Holz und goldenen Akzenten, zu deren Füßen eine indigoblaue Matte mit der leuchtend roten Aufschrift „Home sweet home“ ruhte. Obwohl es seit Tagen nicht mehr geregnet haben konnte und die Straßen somit vollkommen trocken waren, wischte sich Aya doch pflichtbewusst die Schuhsohlen ab und drehte dann mit vorfreudig bebenden Fingern den goldenen Schlüssel im Schloss herum. Ein freundlich heller Flur empfing sie, dessen niedriges Schuhregal und Garderobe ebenfalls in Weiß gehalten, allerdings mit üppig blühenden Blumen geschmückt waren. Die Tür am Ende des Eingangsraumes stand offen, und dahinter lag das Paradies.

Oder, anders ausgedrückt: Ein riesiger Wohnraum, wie ihn Aya bislang nur aus Katalogen und IV-Serien kannte. Es gab eine Sofagarnitur aus naturweißem Leder, einen Kamin, dessen Sims über und über mit Familienfotos vollgestellt war, es gab weiße, luftige Vorhänge, Blumenkästen und einen Tisch aus sehr hellem Holz. Außerdem gab es eine Glastüre, die ebenfalls offen stand und die in einen Garten hinausführte, wie ihn die junge Wissenschaftlerin sich nicht schöner hätte erträumen können. Wie in Trance durchquerte sie das unbeschreiblich heimelige Wohnzimmer und trat auf die rötlichen Steinplatten hinaus, die etwa zwei Meter weit in die grüne Oase hinausführten.

Rechts von ihr stand eine weiße Garnitur von Gartenmöbeln mit bunt gemusterten Kissen, daneben ein mannshoher Feuerofen aus mattem Gusseisen. An der Wand dahinter stapelten sich Holzscheite, auf denen muntere braune Vögelchen umhersprangen und emsig nach Futter suchten. Hinter der Gartenterrasse leuchtete eine kurz geschnittene, hellgrüne Rasenfläche, in der sich eine Holzschaukel dicht neben einen großen viereckigen Sandkasten drängte. Eine dichte, tiefgrüne Hecke umrahmte schützend den kleinen Garten, und davor waren niedrige Beete angelegt, in denen vielfarbige Blumen in ihre filigranen Hütchen und Krönchen und Köpfchen der Nachmittagssonne entgegenreckten.

„Mein Gott… D, das ist ja fantastisch!“, lachte die Dunkelhaarige und drehte sich schwungvoll herum – blickte jedoch statt in das ebenso überwältigte Gesicht ihres Mitarbeiters und Teilzeitehemanns lediglich in einen großen, hellen, unbeschreiblich schönen aber leider auch vollkommen menschenleeren Raum. Aya zog die Augenbrauen hoch und machte einige Schritte zurück in das Innere ihres gemeinsamen Traumhauses. „D? D, sag mal was! Bist du hier irgendwo?“

Niemand antwortete, aber stattdessen ertönte ein leises Rauschen hinter einer unauffällig weißen Türe, die unmittelbar neben der Garderobe lag und ihr vor lauter Begeisterung über das ja auch viel, viel interessantere Wohnzimmer bislang noch nicht einmal aufgefallen war. Die junge Wissenschaftlerin lächelte wissend und nahm mit einem leisen, zufriedenen Seufzer auf der Rückenlehne des Sofas platz. Die Eingangstüre stand immer noch offen, aber eigentlich konnte ihr das auch nur ganz recht sein, denn ein angenehm warmer Luftzug drang von draußen zu ihr hinein und wiegte die zarten Vorhangsbahnen sanft hin und her.

Ein dezenter, wunderbar süßer Blumenduft erfüllte das Wohnzimmer. Aya beugte sich ein bisschen herunter, um einen Blick aus der Türe hinaus erhaschen zu können. Ihr gegenüber lag ein Haus, das aus der Ferne betrachtet ihrem eigenen durchaus nicht unähnlich war (genau genommen sah es sogar exakt und vollkommen gleich aus), aber diese oberflächliche Gleichheit beunruhigte sie nun nicht einmal mehr im Geringsten. Im Gegenteil – sie hätte viel darum gegeben, hinter mehr dieser freundlich weißen Fassaden blicken zu dürfen und mehr dieser auf eine vollkommen unaufgeregte Art und Weise wundersamen Dinge zu entdecken, von denen sie zuvor nicht einmal geahnt hatte, dass sie sich nach ihnen sehnte.

Aya musste schmunzeln, als sie die kleine Silhouette eines Gartenzwerges zwischen den saftig grünen Grashalmen entdeckte. Ein bleicher, zierlicher Arm baumelte ins Bild, und die Dunkelhaarige hätte eigentlich gar nicht erst zur Seite rutschen und nachsehen brauchen, um zu wissen, dass dieses Körperteil ja eigentlich nur zu Ronin gehören konnte. Wider Erwarten unterhielt sich dieser allerdings nicht nur mit seinem frisch angetrauten Ehegatten, sondern mit einem gewissen schwarzhaarigen Mann, den sie bis vor kurzen noch so nah an ihrer Seite vermutet hatte. Sie wusste zwar nicht, was D schon wieder auf der anderen Straßenseite bei ihrer zukünftigen Nachbarin verloren hatte (vielleicht konnte er ja einfach nicht treu sein?), aber wenigstens war nun endlich auch das Rätsel um sein Verschwinden gelöst und sie konnte sich beruhigt zurücklehnen und auf ein warmes Schaumbad in der zweifellos auch irgendwo vorhandenen Keramikwanne freuen.

Die weiße Tür im Flur öffnete sich.

Im ersten Moment war Aya so perplex, dass sie weder denken noch handeln noch atmen konnte. Sie begriff nicht ganz, was da eigentlich geschah – bestenfalls noch, dass es nicht wirklich hätte geschehen sollen – und dann plötzlich sprang sie auf und hechtete mit zwei oder drei Schritten zum Fuß der hölzernen Treppe hin, die ins bislang noch wenig beachtete Obergeschoss des Hauses führte. Das Blut in ihren Adern schien gefroren, jedenfalls war es eisig kalt und ließ ihren Körper mehr als nur einmal heftig erschaudern, während sie so leise wie möglich und auf allen Vieren geduckt die blank polierten Stufen hinaufeilte.

Ihr Herzschlag dröhnte derart heftig durch ihren Kopf, dass sie kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Irgendjemand war in ihrem Haus – jemand, der definitiv nicht dort hätte sein dürfen und auch überhaupt nicht hätte sein können, denn immerhin war die Türe bei ihrer Ankunft ja fest verschlossen gewesen. Sicher, sie hatte den Eingang danach noch etwa zwei oder drei Minuten lang unbeaufsichtigt offen stehen gelassen, aber sie traute doch wenigstens Ravin zu, von einem unliebsamen Eindringling auf der anderen Straßenseite Notiz zu nehmen. Also wie um alles in der Welt war dann wer auch immer in dieses Haus gelangt?

Auf Händen und Füßen schob sich Aya mit angehaltenem Atem über die hellen Holzdielen hinweg und spähte durch die Geländerstreben in den Wohnraum hinab. Unweit des Kamins stand eine verhältnismäßig kleine Gestalt – ein Junge mit pechschwarzen Haaren und einer großen runden Brille von jener Sorte, die eigentlich noch niemals so recht in Mode gewesen war. Er trug dunkelblaue Jeans und ein einfaches rotes T-Shirt und die Art, wie er sich nach allen Seiten umsah, verriet der jungen Wissenschaftlerin ganz unmissverständlich, dass er von ihrer Präsenz ebenso Notiz genommen haben musste wie sie von der seinen. Eigentlich sah er nicht aus wie ein Einbrecher, er machte auch keinen sonderlich kräftigen, geschweige denn einen irgendwie gefährlichen Eindruck, und trotzdem…

Der Anblick dieses etwa Vierzehnjährigen ließ Aya frieren, und sie rutschte instinktiv wieder vom Geländer zurück, um sich aus seinem Sichtfeld zu begeben. Der Gang, in dem sie nun saß, war schattiger als das Wohnzimmer und der Eingangsbereich, und die Wände waren weiß wie Schnee, da die zukünftigen Inhaber des Traumhauses offenbar noch keine Zeit dazu gehabt hatten, auch das Obergeschoss mit Bildern und Fotografien zu schmücken. Vielleicht gefiel ihnen ja auch einfach nur dieses puristisch schöne Design, Aya wusste es nicht, und sie dachte auch nicht länger als eine halbe Minute darüber nach. Dann nämlich spürte sie, wie ihr Rücken gegen etwas Dünnes und Warmes stieß, das sie aus irgendeinem Grund sofort als ein menschliches Bein erkannte.

Jemand stand hinter ihr und starrte sie an.

Aya stieß ein ersticktes Keuchen aus und wirbelte herum, und noch in derselben hektischen Bewegung kam sie auch wieder auf die Beine. Wenigstens vorerst einmal, denn der Anblick, der sich ihr bot, ließ sie um ein Haar postwendend wieder zu Boden gehen. Sie wich zurück, und das Holz unter ihren Füßen war plötzlich ganz merkwürdig glatt, mehr wie Eis, aber vielleicht lag das ja auch nur an der Taubheit in ihren Knien. Die Dunkelhaarige blinzelte, rieb sich vorsichtig die Augen hinter ihren Brillengläsern und blinzelte wieder, aber das Bild, das sich ihr bot, veränderte sich nicht.

Sie sah nach wie vor einen schmächtigen Jungen mit schwarzen Haaren und dunkelblauer Jeans, mit einem rotem T-Shirt und mit viel zu großen Brillengläsern, der sie mit seinen dunklen Augen unverwandt und misstrauisch fixierte. Einen Jungen, der doch eben noch unten im Wohnzimmer gestanden war und der sowieso eigentlich überhaupt nicht in dieses Haus gekommen sein konnte. Einen Jungen, der sein grässlich bleiches und ausdrucksloses Gesicht nun langsam wieder von ihr abwandte, der dann seinen Mund öffnete und mit einer unangenehm schrillen Kinderstimme zu schreien begann:

„Len, da ist irgendwer im Haus!“

„Ja, aber…“ Aya stockte und fühlte trotz ihres immer noch heftig pochenden Herzens doch einen Anflug von Erleichterung in sich aufsteigen, als die kleine Gestalt ihr endlich das Profil zuwandte und sie einen kurzen Pferdeschwanz an ihrem Hinterkopf erkennen konnte. Offensichtlich, verbesserte sie sich in Gedanken, hatte sie es hier überhaupt nicht mit einem Jungen, sondern vielmehr mit einem Mädchen zu tun. Und als sie dann auch noch Schritte auf der Treppe hörte und schon bald einen zweiten brillenbewehrten Kopf hinter der Wand zu ihrer linken auftauchen sah, da wandelte sich auch noch das letzte bisschen Schrecken in ihrer Brust sogar überaus rasch zu einer nicht viel angenehmeren Mischung aus Scham und Wut, die ihr ein tiefes Rot auf die Wangen trieb.

„Was ist passiert, Len?“, erkundigte sich Rothemd Nummer Zwei und trat dann mit seltsam unbewegter Miene neben seine Schwester – seine Zwillings schwester, die Aya immer noch mit eisigen Blicken durchbohrte, als ob sie sie auf diese Weise in Schach halten könnte, was übrigens auch ganz gut funktionierte. „Die Tür ist offen. Das hab ich unten grad gesehen.“

„Da ist eine Frau“, antwortete das Mädchen spitz. „Eine aus der Stadt. Mit einem kurzen Rock. Mit einem großen Ausschnitt. Und mit hohen Schuhen.“

„Eine Frau aus der Stadt“, echote der Junge ungläubig und musterte Aya wie die brandneue Hauptattraktion einer ganz besonders grauenvollen Freakshow.

„Ja, eine Frau aus der Stadt“, grummelte diese und verschränkte die Arme auf eine vielfach erprobte Weise vor der Brust, dass selbige nur ein wenig nach oben gepresst wurde und dadurch sogar noch ein bisschen größer und schöner wirkte. „Und würdet ihr mir bitte auch mal verraten, was zum Teufel ihr hier in meinem Haus zu suchen habt?!“

„In… ihrem Haus?“ Beide, Junge und Mädchen, tauschten zunächst einen raschen Blick und starrten Aya dann wieder synchron mit diesen schwarzen Löchern an, die sie selbst wohl Augen nannten. Dann räusperte sich das Mädchen, trat einen Schritt nach vorne und strich sich mit einer leicht fahrigen Bewegung das Haar aus ihrer bleichen Stirn. Sie wirkte dabei weder verlegen noch schuldbewusst, aber trotz ihres Zornes ahnte Aya, dass man ihr dafür keinen Vorwurf machen konnte. Ihr gesamtes Erscheinungsbild machte jede menschliche Regung gekonnt zunichte, doch gerade dieses Problem war der jungen Wissenschaftlerin viel zu vertraut, als dass sie es hätte verurteilen können. Vielleicht war es ja doch so, dass man eine Vergangenheit als Streberkind trotz filmreifer Metamorphose vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan niemals völlig loswurde.

„Ja, in meinem Haus“, bestätigte sie in etwas weniger vernichtendem, aber nach wie vor strengem Tonfall. Die Schwarzhaarige unterzog Aya einer kurzen, kritischen Musterung, wodurch sie sich beinahe schon wieder sämtliche Sympathien verspielte, dann atmete sie tief durch, rang sich ein etwas steifes Lächeln ab und streckte der Dunkelhaarigen ihr bleiches Händchen entgegen.

„Es tut mir leid, wenn wir sie erschreckt haben“, erklärte sie auf ihre seltsam emotionsarme Weise. „Mein Name ist Ellen und das ist mein Bruder Lennart. Wir sind von der Nachbarschaftshilfe und gießen die Blumen, weil doch alle verreist sind.“

„Nachbarschaftshilfe, ja?“ Aya zögerte noch einen kurzen Moment, dann nahm sie die kleine Hand des Mädchens und schüttelte sie. Sie war immer noch verwirrt, merkwürdig alarmiert, und plötzlich ging ihr durch den Kopf, wie wenig dieser Name, Ellen, doch zu einem Mädchen wie diesem passte. Ellen klang nach einer Frau, nach einer schönen, selbstbewussten Frau, die ihren Platz im Leben gefunden hatte. Aya zweifelte daran, dass aus diesem seltsamen Kind jemals eine solche Frau werden würde. „Und da spaziert ihr einfach so in alle Häuser hinein?“

„Wir… haben einen Generalschlüssel“, kam der Junge seiner Schwester zu Hilfe. Jetzt, wo er sprach, bemerkte Aya, dass sich die Geschwister doch nicht so vollkommen ähnlich waren, wie sie zunächst vermutet hatte. Der kleine Schwarzhaarige hatte etwas Verschüchtertes, fast schon Gehetztes in seiner Stimme, das seiner Schwester fehlte, eine Unsicherheit, die ihn verletzlich wirken ließ. Er sah der Wissenschaftlerin auch nicht genau in die Augen, und ganz kurz zweifelte sie daran, ob er auch tatsächlich mit ihr und nicht einfach nur zu sich selbst sprach. „Damit kommen wir in alle Häuser. Wir wollen nichts klauen. Hier klaut niemand etwas, Misses.“

„Aya“, verbesserte sie rasch. „Aya Mitsuyuki. Und da draußen auf der Straße, das ist mein Mann, D. Scheint, als hätten wir uns genau die richtige Wohngegend ausgesucht.“

„Dee?“, hakte der Junge nach, und ganz kurz lief ein Leuchten durch das Dunkel seiner Augen. „So wie der Popstar?“

„Ähm… ja, genau“, erwiderte Aya und lächelte. Lennart lächelte noch einmal, und auch im Blick seiner Schwester lag ein unerwarteter Anflug von Begeisterung, obwohl sie nichts sagte.

Also doch nur Kinder, stellte die Dunkelhaarige fest, während ihr Herzschlag sich langsam wieder beruhigte. Kinder, denen man bedenkenlos einen Generalschlüssel für sämtliche Häuser dieses Refugiums der Reichen und wenigstens noch Wohlhabenden überlassen hatte. Die zu jeder schneeweißen Tür in jedes schneeweiße Haus spazieren konnten, wie es ihnen beliebte, und zwar nicht, um hier und dort ein bisschen Geld oder das eine oder andere RE-Game mitgehen zu lassen. Nein – sie gossen Blumen. Fütterten Tiere. Machten vielleicht hier oder dort ein wenig sauber.

Aya spürte einen leisen Stich in ihrer Brust.

Verdammt, dachte sie, was war eigentlich aus der Menschheit fernab von Merrywood Ville geworden? Und wieso um alles in der Welt war ihr das zuvor noch niemals störend aufgefallen?
 

Das Erste, was Aya bemerkte, war der Geruch.

Es war die Sehnsucht nach der Sonne, die sie hinaus ins Freie getrieben hatte, die Sehnsucht nach wohliger Wärme, die sie einhüllte, ihr die letzten Fetzen klammen Schreckens aus den Knochen jagte und ihr versicherte, dass alles gut war in ihrem Leben. Oder wenigstens nicht wert, ihre Gedanken daran zu verschwenden, schon gar nicht an solch einem wunderschönen Nachmittag. Die weißen Häuser waren in ein goldenes Licht getaucht und der Himmel hatte die Farbe von Karamell und Honig. Der Anblick war so beruhigend, dass der jungen Wissenschaftlerin stetig wohlige Seufzer entwichen, während sie so durch die Straßen schlenderte. Die Häuserreihen schienen kein Ende zu nehmen, und der gleichmäßige Takt ihrer Schritte brachte sie in einen wunderbaren Einklang mit sich selbst.

Dann plötzlich nahm der Takt ein jähes Ende, und als Aya aufblickte, stellte sie fest, dass sie stehen geblieben war.

Die Garageneinfahrt, vor der sie stand, sah im Grunde genommen nicht anders aus als jede andere, die sie seit ihrer Ankunft und zuvor auf den Fotographien gesehen hatte. Die Auffahrt war sauber, das Tor so weiß wie frisch gestrichen, der anschließende Rasen perfekt gestutzt und leuchtend grün, und Aya wollte sich gerade wieder ans Seufzen und weiterschlendern machen, als ihr auffiel, dass irgendetwas anders war. Sie trat näher an die hellen Streben des Gartenzaunes heran, ließ ihren Blick über die zarten Blütenreihen schweifen, zwischen denen kleine Hündchen und Kätzchen mit blitzenden Kunstharzaugen hervorlugten.

In diesem Augenblick begriff die junge Wissenschaftlerin, dass es der süße Duft der Blumen war, den sie vermisste. Sie nahm ihn durchaus wahr, aber nur ganz schwach, verborgen unter dem Teppich eines strengen, fremdartigen Geruches, wie ihn Aya noch nie zuvor gerochen hatte. Je länger sie sich darauf konzentrierte, desto mehr fiel ihr eine unangenehm süßliche Note auf, die sie gleichsam abstieß und beunruhigte und die absolut allem widersprach, was sie mit diesem paradiesischen kleinen Trabanten verband.

Aya blickte verstohlen nach rechts und links, dann öffnete sie die Gartentür und bewegte sich so schleichend wie nur möglich über den hellen Kieselsteinweg, der zur Eingangstür hinführte. Sie wollte gerade diesen vorgeschriebenen Pfad verlassen, um durch die Fenster ins Innere des Hauses zu spähen, als sie eine Bewegung an einer der Gardinen sah. Die Dunkelhaarige kniff die Augen zusammen und versuchte, etwas hinter der weißen Spitze zu erkennen, doch die Sonne hatte die Fensterscheiben in Spiegel verwandelt, und so besann sich Aya kurzerhand zur Flucht nach vorne, schlenderte weiter auf die Türe zu und klingelte.

Aus irgendeinem Grund rechnete sie nicht mit einer Reaktion. Da gab es höchstens sieben Häuser auf diesem zugegebenermaßen kuschelig kleinen, aber eben doch noch nicht so kleinen Trabanten, und sie sollte ausgerechnet jetzt rein zufällig von einem dieser bewohnten Traumhäuser quasi… gerufen worden sein? Da schlenderte sie weltvergessen durch die warmen Goldfluten der Abendsonne, bis urplötzlich ihre Schritte stockten, um sie Auge in Auge mit einem kaltblütigen Mörder zurückzulassen. Ein Mörder, verborgen hinter dem Spiegel eines weißen Fensters, das statt seinem eigenen leeren Antlitz die freundlich lächelnde Fassade des gegenüberliegenden Hauses zeigte. Ein Mörder, der einem Krebsgeschwür gleich inmitten eines perfekten Körpers wucherte, umringt von verstümmelten Leichen, die mit dem Todeshauch ihrer verwesenden Körper die Sinfonie von Blumendüften verpestete. Die Vorstellung war so kitschig, dass sie Aya bestenfalls noch in den Kreis des Lächerlichen, in keinem Fall aber in den Kreis des Möglichen aufgenommen hätte!

Dann jedoch öffnete sich die Türe, und Aya musste sich beherrschen, nicht die Hände vor den Mund zu schlagen, um den Schrei zu unterdrücken, der ihr in der Kehle brannte.

Wobei sich die Türe natürlich in Wahrheit gar nicht öffnete, sondern geöffnet wurde, und zwar von einer kleinen Frau, die aber vielleicht auch nur deshalb so klein war, weil ihr Körper eine seltsam gekrümmte Haltung einnahm. Dies und die zahlreichen weißen Strähnen in ihrem strohigen, wie ein zerrupftes Vogelnest auf ihrem Kopf festgesteckten Haar ließen sie älter wirken, als sie vermutlich war, und ihre Kleidung tat ihr Übriges. Das verwaschene Dunkelblau ihrer Kittelschürze war von kleinen Blumen verunziert, ihre Füße steckten in graubraunen Pantoffeln, ihre Haut war von ungesunder Farbe und der Blick ihrer wasserblauen Augen stechend, misstrauisch, aber auch von einer eigentümlich ursprünglichen Art von Intelligenz erfüllt. Sie war die Karikatur einer Hausfrau, und sie starrte Aya lange, beunruhigend lange an, bevor sie endlich mit rauer, herrischer Stimme zu sprechen begann:

„Ja?“

„Ich… ich bin neu hier“, antwortete Aya zugegebenermaßen auch nicht viel wortgewandter als ihr Gegenüber und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, das ihr ebenso falsch wie sinnlos erschien. Was sollte so ein krampfhaftes Verziehen der Mundwinkel schon ausrichten, wenn demgegenüber ihre Schuhe, ihr Rock, ihr Dekolletee, ja sogar noch die Farbe ihres Lippenstiftes und das teure Gestell ihrer Brille und erst recht die noch sehr viel teureren Ohrringe sie wie eine leuchtend grelle Neonreklame als das, aber auch wirklich genau das auswiesen, was dieses geduckte Hausmütterchen doch einfach hassen musste?

„Hätt ich mir ja denken können“, brummelte die scheinbare Alte vor sich hin, und ihr Blick wurde noch ein bisschen verächtlicher. „Sie kennen sich noch nicht aus, Kindchen. Das wird man Ihnen verzeihen.“

„Was wird man mir verzeihen?“, hakte Aya nach, wobei ihr das Lächeln nun, da ihre unermüdliche Neugier sich ein weiteres Mal in ihrer Brust regte, doch schlagartig deutlich leichter fiel. „Ich glaube, ich verstehe nicht ganz…“

„Aber nein, wie sollten Sie auch?“ Die Frau verzog ihre farblosen Lippen zu einer höhnischen Grimasse, die Aya nicht einmal im Geiste als Lächeln bezeichnen wollte. „Sie sind ja gerade erst eingezogen. Sie kennen die Regeln noch nicht.“

„Regeln?“, entgegnete die junge Wissenschaftlerin in möglichst beiläufigem Tonfall, obwohl ihr noch so kurzer Wortwechsel bereits eine seltsame… Schwere, eine Ernsthaftigkeit gewonnen hatte, die nicht zu der schläfrigen Wärme der letzten und wohl auch schönsten Sonnenstrahlen des Tages passen wollte. „Ich hatte mich hier eigentlich auf ein ruhiges Leben eingestellt. Ich komme nämlich aus der Großstadt, wissen Sie?“

„Ach nein, tatsächlich?“, bemerkte die Alte spöttisch und hob in gespieltem Erstaunen die Augenbrauen, wofür sie in Ayas Achtung übrigens spontan um mehrere Grade stieg. „Aber wissen Sie, Kindchen, das werden Sie sich schnell abgewöhnen. Die Großstadt. Die Hölle. Auch meiner Meinung nach, aber aus anderen Gründen. Es ist schon alles ganz ruhig, wenn Sie sich an die Regeln halten. Und den Regeln nach dürften Sie jetzt nicht hier sein. Schon gar nicht… so. Sie sind doch hoffentlich wenigstens verheiratet?“

„Ja, natürlich“, versicherte Aya überzeugend naiv, ohne dem beißenden Sarkasmus in der Stimme der Frau Beachtung zu schenken. Diese verwitterte Person legte bei aller offensichtlichen Verbitterung eine Art an den Tag, die der Wissenschaftlerin ganz unbestreitbar sympathisch war, eine resignierte, aber doch irgendwo stilvolle Rebellion gegen was auch immer, begleitet von einem Zynismus, den Aya diesem vermeintlichen Hausmütterchen um nichts in der Welt zugetraut hätte. Dennoch beließ sie es dabei, freilich nicht ohne eine Spur von Bedauern, ganz in der Rolle des naiven Dummchens aus dem Sodom und Gomorrha der Großstadt, das es nicht einmal mehr zur Blondine geschafft hatte, aufzugehen. Es eröffnete ihr Möglichkeiten, die schwerer wogen als ihr Stolz, und wenn dieser frustrierte Mittfünfzigerin ihre Aura des Intellektes ob langer Beine und tiefem Ausschnitt verborgen blieb, bitte, warum sollte sie dann nicht davon profitieren?

„Kinder?“, hakte die Alte nach.

„Nein, leider nicht – noch nicht. Aber es ist doch eine sehr nette Nachbarschaft, nicht wahr? Neben uns ist auch ein ganz reizendes Paar eingezogen. Wir möchten eine kleine Willkommensfeier geben, mit Kaffee und Kuchen und Tee, aber es sind ja so wenig Menschen hier, ich bin schon ganz erschrocken. Deshalb habe ich auch bei Ihnen geklingelt. Haben Sie nicht Lust, zu kommen?“

„Hah!“, machte die Frau und wollte offensichtlich gerade zu einer Antwort ansetzen, als plötzlich ein Bellen aus dem Raum neben der Eingangstüre erklang. Diesem einen Bellen folgte ein weiteres und dann noch eines, wobei das letzte deutlich hysterischer, heller klang als die anderen.

„Oh, Sie haben Hunde?“, fragte Aya süßlich, was die Verachtung im Blick der Alten zu etwas werden ließ, das einer boshaften Art von Mitleid doch wenigstens sehr nahe kam.

„Wissen Sie, Kindchen, ich bin lieber von ehrlichen Geschöpfen umgeben. Bleiben Sie ruhig unter Ihresgleichen, sie werden es schon noch lernen. Und bleiben Sie mir fern, um ihrer selbst Willen.“

„Also wollen Sie nicht zu meiner Willkommensfeier kommen?“

„Haben Sie mir nicht zugehört, Kindchen?“, erwiderte die Alte scharf, und in ihren Augen blitzte eine Wut auf, die Aya aus irgendeinem Grund nicht eigentlich gegen sie selbst gerichtet zu sein schien. „Wenn Ihnen wirklich was an mir liegt und an dem, was ich will, dann hören Sie mir jetzt mal ein bisschen besser zu, was ich Ihnen zu sagen habe: Laufen Sie, laufen Sie so schnell Sie können! Weg mit den Schühchen und ab durch die Mitte, bevor die mit Ihrer Gehirnwäsche auch noch Sie bekommen!“

Und mit diesen Worten wandte sie sich ab, bevor Aya noch etwas erwidern konnte, und ließ geräuschvoll die schneeweiße Tür ins Schloss fallen.
 

Auf dem Heimweg machte Aya eine seltsame Entdeckung. Die Sonne war immer noch herrlich warm, aber trotzdem fröstelte es sie dann und wann, und so schritt sie deutlich schneller aus als zuvor. Und achtete weniger auf ihre Umgebung. Und war sowieso in Gedanken versunken. Und… ach, ihr wären sicherlich noch etwa fünfundachzig weitere Entschuldigen eingefallen, die letztlich zu dem führten, was nun einmal geschah, und mindestens die Hälfte davon hätten sogar sie selbst auch wirklich überzeugt, was schon etwas heißen wollte. Was aber eben leider Gottes nichts daran änderte, dass sie am Ende mit knurrendem Magen und schmerzenden Fußsohlen durch die Dämmerung stapfte, bis sie sich letztlich frustriert eingestehen musste, dass sie sich verlaufen hatte.

Don’t get lost in heaven, kreiste es wieder und wieder durch ihren Kopf, und sie versuchte vergeblich, sich daran zu erinnern, woher dieser Satz stammte. Sie verstand auch nicht, wie es möglich war, dass hier eine Straße der nächsten glich, fast so, als ob sie gar nicht wirklich vom Fleck kommen würde. Wo waren denn nur die Schulen, die Geschäfte, das Altenheim und all diese anderen Bastionen des wirklichen Lebens, die ein bisschen Alltag in das Paradies brachten, wie Leuchttürme in einem Meer perfekter Schönheit und Harmonie? Don’t get lost in heaven, , ja, aber dazu war es schon zu spät, sie hatte jegliche Orientierung verloren und ein Haus war so bezaubernd und so still wie das Nächste, hell und weiß, aber mit schwarzen Löchern hintern den blitzsauberen Fensterscheiben, und plötzlich musste die junge Wissenschaftlerin wieder an geöffnete Schädeldecken denken, die den Worten menschliche Abgründe eine völlig neue Bedeutung verliehen.

Aya ging noch ein bisschen schneller.

Das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden, kroch mit klammen Fingern in ihr hoch. Jedes einzelne schwarze Fenster in jedem einzelnen perfekten Einfamilienhaus schrie nach vollkommener Einsamkeit, aber Aya fühlte Blicke, die ihren Rücken durchbohrten, fast so, als ob es eigentlich Messer wären. Die junge Wissenschaftlerin seufzte leise und entschuldigte sich stumm bei ihrem rationalen Verstand. Sie war Kummer gewohnt, natürlich, sie hatte schon viel erlebt, viel gesehen… viel gerochen und gespürt, aber Gehirnraub, Zwangshochzeiten und infantile Masochisten waren doch entschieden zuviel Unterhaltung für einen einzigen Tag. War es noch verwunderlich, wenn sie langsam aber sicher Gespenster sah?

Sie hatte diesen Satz kaum zuende gedacht, da fiel ihr Blick auf einen der Vorgärten, die das helle, saubere Betonband der Straße einrahmten, und sie sah genau das: Ein Gespenst. Es war der Geist eines Mädchens, der im Dunkeln förmlich zu leuchten schien. Die Haut des zierlichen Geschöpfes war schneeweiß, das Haar lang und silbrig blond, der Körper in ein flatterndes weißes Kleidchen gehüllt, und sie flog. Sie flog auf und ab, und manchmal lachte sie dabei ein glockenhelles Lachen, das die ganze Szenerie nur noch ungleich unwirklicher erscheinen ließ.

Aya näherte sich langsam der geisterhaften Gestalt, unfähig, ihre Augen von dem spielerischen Lufttanz abzuwenden. Ihre Umgebung hatte etwas Traumhaftes gewonnen, das über die harmonisch paradiesische Atmosphäre dieser perfekten kleinen Vorstadtsiedlung hinausging, das mehr war als die an sich schon bezaubernde Schönheit der kleinen Gärten und weißen Zäune. Sie wusste nicht mehr, ob sie wachte oder träumte, aber dann sah sie einen Baum neben und über dem Geistermädchen, sie sah die Schaukel, die an ebendiesem Baum hing und sie sah eine dunkel gekleidete Gestalt, die hinter der jungen Frau stand und sie anschubste.

In einem Zustand merkwürdiger Erstarrung wartete Aya darauf, dass die Entzauberung des Spukphänomens ein wenig Realität in die Abendstimmung zurückbringen würde, doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Sie wandelte weiterhin wie im Schlaf, und als der Gefährte des Mädchens den Kopf in ihre Richtung wandte und sie anlächelte, erschien ihr das so selbstverständlich, dass sie sich nicht einmal mehr dafür schämte, ihm unverwandt ins Gesicht zu starren.

„Hallo“, begrüßte sie der Mann, und Aya antwortete mit einem Nicken. Trotz seiner schwarzen Kleidung, die in einem zugegebenermaßen klischeehaften, aber trotzdem ungemein wirkungsvollen Kontrast zu dem flatternden Weiß des Mädchens stand, wirkte er nicht im Geringsten bedrohlich. Sein Lächeln war offen und sympathisch, sein Gesicht durchaus attraktiv, und hinter seinen Brillengläsern blickten Aya zwei warme grüne Augen entgegen. Sein Haar war ebenso schwarz wie seine Kleidung und fiel ihm bis auf die Schultern hinab. Er war groß, ungewöhnlich groß, was die junge Wissenschaftlerin insbesondere aufgrund seiner asiatischen Gesichtszüge verwunderte. Ein bisschen wirkte er auf sie wie ein Ritter, der einer schönen Prinzessin zur Seite stand – einer Geisterprinzessin, um genau zu sein.

Diese bemaß Aya nur mit einem kurzen Blick und hüllte sich Schweigen.

„Um diese Uhrzeit ist normalerweise niemand mehr auf den Straßen“, lächelte der Schwarzhaarige, ohne von seiner eigentlichen Beschäftigung, nämlich dem Geistermädchen Flügel zu verleihen, abzulassen. „Schon gar nicht zu dieser Jahreszeit. Aber das werden Sie ja schon selber gemerkt haben.“

„Wer… wer sind Sie?“, fragte Aya und bekräftigte die These des Fremden gleichzeitig mit einem bedächtigen Nicken. „Ich bin neu hier, wissen Sie, und ich habe bislang…“

„Ja, ich weiß“, fiel ihr der schwarze Ritter ins Wort, ohne dabei auch nur im Geringsten unverschämt zu wirken. „Sie sind heute erst angekommen, mit dem Flug um 16.39 Uhr am Madison Airport. Nein, es war 16.47 Uhr, der Flug hatte ja Verspätung. Sie müssen entschuldigen, ich… ich bin ab und an etwas vergesslich, gerade wenn es um Details geht. Und bevor ich auch das noch vergesse: Mein Name ist Isamiya, Shiro Isamiya.“

„Er ist mein Lehrer“, fügte das Mädchen hinzu, und ihre Stimme war so hell und so klar, wie Aya das erwartet hatte, auch wenn eine Art von Provokation in ihren Worten mitschwang, die der ganzen Szene eine vollkommen neue Bedeutung verlieh. Sie konnte noch keine achtzehn Jahre alt sein, während ihr Gefährte – Isamiya – Anfang dreißig sein musste und vielleicht auch nur jünger wirkte, als er tatsächlich war. Ihr Lehrer. Aya wiederholte dieses Wort in Gedanken, während sie feststellte, wie locker der dünne weiße Stoff des kurzen Kleidchens die Schultern des Mädchens umspielte, und wie wenig er dabei verhüllte.

„In Chemie, Informatik und Mathematik, um genau zu sein. Ist doch schön, so haben meine Schüler in all ihren Lieblingsfächern denselben Lehrer.“

„Ich habe diese Fächer gemocht“, erwiderte Aya, um wenigstens irgendetwas zu sagen, und bemerkte erst dann, dass sie angesichts der unterschwellig lasziven Worte des Mädchens die vorangegangenen Worte des Lehrers beinahe vollkommen vergessen hatte. Sie zog die Augenbrauen hoch und bemühte sich um einen misstrauischen Tonfall, was ihr aber nicht so recht gelingen wollte. „Woher wissen Sie eigentlich, wann ich hier angekommen bin?“

„Es kommen selten Menschen hierher, wenn es Sommer ist, das fällt nun einmal auf“, erwiderte er, ohne sich das Lächeln nehmen zu lassen.

„Warum?“, erwiderte Aya und konnte nicht umhin, ein wenig trotzig zu klingen. „Weil es gegen die Regeln ist?“

Isamiya hielt inne, schien dabei sogar seine Geisterprinzessin einen Augenblick lang zu vergessen, und sah Aya auf eine beunruhigend… wissende Art und Weise an, die sie trotz der Wärme auf seinem Gesicht beunruhigte, sogar fast ein wenig erschreckte.

„Sie sollten nicht so abfällig über die Regeln sprechen, Dr. Mitsuyuki“, sagte er ganz ruhig, deshalb aber nicht weniger eindringlich. „Eine Frau wie Sie, die selbst Metall zum Leben erwecken kann, ist an Grenzen und Schranken natürlich nicht gewohnt. Aber hier gelten andere Gesetze, wissen Sie? Sie hätten Merrywood Ville niemals betreten sollen.“

„Wo-woher kennen Sie…“

„Das tut nichts zur Sache“, lächelte der schwarze Ritter, der ihr mit einem Mal nicht mehr nur edel und tapfer erschien, und strich sich eine Strähne seines dunkel schimmernden Haares aus dem Gesicht. „Ich bin Ihr Freund, vergessen Sie das nicht. Gehen Sie einfach davon aus, dass ich alles weiß, dann kann ich Sie wenigstens nicht mehr erschüttern. Wenn Sie jetzt eines brauchen, dann ist es ein klarer Kopf.“

„Das sagen ausgerechnet Sie, Isamiya-sensei“, flötete das Mädchen in einem zuckersüßen Tonfall, der zugleich etwas unbeschreiblich Abgründiges an sich hatte, und absurderweise sah sie bei diesen Worten nicht ihren Lehrer, sondern Aya an. Ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre feinen, blassen Lippen, als sie auf deren Gesicht scheinbar irgendetwas entdeckte, das sie dort hatte entdecken wollen, und sie legte den Kopf in den Nacken und lachte leise, beinahe lautlos.

„Sie werden mir jetzt sofort sagen, woher Sie meinen Namen kennen!“, wiederholte die junge Wissenschaftlerin so resolut wie nur irgendwie möglich, während sich ein beklemmender Ring um ihre Brust legte. Wieder war ihr, als ob irgendjemand sie anstarren würde, aber als sie einen flüchtigen Blick über die Schulter warf, sah sie nur die leeren schwarzen Augenhöhlen eines weißen Traumhauses, von ein paar feisten Gartenzwergen einmal abgesehen, die durch die Gitterstäbe des Gartenzaunes blicklos die trügerische Freiheit beobachteten.

„Ich bin immerhin Ihr Freund, haben Sie das schon vergessen?“ Aya zuckte unweigerlich zusammen, als sie erneut die Stimme des Mannes hörte. Sie war sich nicht ganz sicher, ob sich sein Lächeln tatsächlich verändert hatte oder ob es nur wieder ihre nervösen Sinne waren, die ihr einen Streich nach dem anderen spielten. Sie schluckte und wollte irgendetwas sagen, aber Isamiya kam ihr zuvor. „Und als Ihr Freund fühle ich mich auch dazu verpflichtet, Ihnen einen guten Rat zu geben: Laufen Sie, Dr. Mitsuyuki, laufen Sie so schnell und so weit sie können, bevor es dazu zu spät ist.“

In einem kurzen Moment überwältigender Erstarrung war der schwarze Ritter an den Zaun getreten, ohne dass Aya es bemerkt hatte, und erst jetzt begriff sie, wie groß er wirklich war. Dies war übrigens auch ihre letzte Erkenntnis, bevor irgendetwas in ihrem Kopf einfach aussetzte. Später erinnerte sie sich düster daran, durch das blaugraue Zwielicht der perfekt symmetrischen Straßen zu irren, sie erinnerte sich an das helle Lachen des Geistermädchens, das eigentlich gar keines war, und sie erinnerte sich daran, dass sie irgendwann im Flur ihres Traumhauses gestanden hatte, aber alles andere war mehr weniger verschwommen. Sie konnte nicht mehr sagen, ob sie gerannt, gegangen, geschlichen oder gekrochen war, obwohl ihr Atem doch deutlich beschleunigt ging, sie konnte vor allem nicht mehr sagen, ob sie noch einziges weiteres Wort mit Isamiya gewechselt hatte oder nicht, und sie war sich auch nicht sicher, ob sie irgendetwas davon wirklich wissen wollte.

Laufen Sie, schoss es ihr durch den Kopf, wieder und wieder bis ihr schwindlig wurde, laufen Sie, so schnell Sie können.

Ayas Füße schmerzten in den hochhackigen Schuhen und so wollte sie erschöpft und verwirrt zu dem einladenden Sofa humpeln, doch dieser eine merkwürdige Satz ließ sie nicht los und vor allem nicht zur Ruhe kommen. Die Luft in dem Wohnzimmer kam ihr unangenehm stickig vor, und so taumelte sie hinaus in den Garten, wo sie sich mit einem erstickten Seufzer auf die niedrige Schaukel sinken ließ. Warmes Plastik presste sich an ihre nur dürftig von Stoff verhüllten Beine, und Aya wusste nicht, ob sie es angenehm oder furchtbar finden sollte. Sie quälte sich aus ihren Stilettos und vergrub ihre Zehen in dem Sand zu ihren Füßen, um wenigstens ein bisschen Kontakt zum Boden wiederzugewinnen. Das Gefühl, beobachtet zu werden, ließ sie nicht mehr los. Verschlagene blaue und wissende grüne Augen schienen sie von allen Seiten her anzustarren, und wieder jagte dieser Satz durch ihren Kopf und ihren ganzen Körper.

Laufen Sie, so schnell Sie nur können.

Was zum Henker wurde hier eigentlich gespielt?
 

Es verstrichen zahlreichen Minuten, in denen Aya da auf ihrer Schaukel saß und nichts begriff, außer vielleicht… dass sie eben auf einer Schaukel saß und nichts begriff, bis sich irgendwann die gläserne Tür zum Inneren des Hauses öffnete (hatte sie die Tür wirklich hinter sich geschlossen?) und ihr Name gerufen wurde. Aya blickte auf und war erstens überrascht, dass während ihrer uferlosen Grübelei nicht schon längst der nächste Morgen angebrochen war, und zweitens, dass es nicht ihr treusorgender Ehemann D, sondern Ronin war, der auf den steinernen Platten stand und neben dem gusseisernen Ofen noch ein bisschen kleiner und zerbrechlicher wirkte, als er das sowieso schon tat.

„Hey, Chefin“, grinste er und winkte ihr ganz ungerührt zu. „Deine drei Engel für Aya warten auf Anweisungen von oben. Ravin und D sitzen drinnen auf der Couch und Kuchen gibt es übrigens auch.“

„Es gibt Kuchen?“, fragte Aya zweifelnd und stellte erst im nächsten Augenblick fest, dass das nicht unbedingt der Punkt war, auf den sie eigentlich hinauswollte. „Eine Besprechung?“, fügte sie deshalb rasch hinzu, ohne auf Antwort zu warten. „Heute noch? Warum das denn?“

„Was ist denn das für eine Arbeitsmoral?“, fragte Ronin tadelnd. „Du bist immerhin unser Vorbild, Aya-sama, und du solltest dich was schämen.“

„Ich geh ja schon in die Ecke“, grummelte Aya und erhob sich von dem mittlerweile irgendwie lieb gewonnenen Plastik, dass zwar warm und schwitzig an ihrer Haut klebte, das aber gerade dadurch eine Art von Realität vermittelte, die nicht schonungslos genug war, um sie noch weiter zu überfordern. Sie angelte nach ihrem Schuhwerk und stapfte dann barfuß durch das angenehm kühle Gras, an Ronin vorbei und hinein in den weiten Wohnraum.

Eine warme, honigfarbene Helligkeit empfing sie, die sie augenblicklich mit einer tiefen, einer unnatürlich tiefen Ruhe erfüllte. Ihre Schritte kamen ihr viel zu leicht vor, und als sie sich auf das Sofa sinken ließ, sank sie auch prompt ein wenig tiefer ein, als sie sich das gewünscht hatte. Prinzipiell war daran nichts auszusetzen – sie saß wie auf Wolken, aber gerade danach sehnte sie sich jetzt nicht mehr. Sie wollte nicht schweben, sie wollte Kontakt zum Erdboden, doch die betäubende Tranquilizerwirkung ihres Traumhauses ließ die Realität einmal mehr gute zwei, drei Schritte vor ihr zurückweichen.

„Also… was ist?“, begann Aya, doch ihr gewollt autoritärer Tonfall wurde noch im nächsten Augenblick durch einen wohligen Seufzer ad absurdum geführt, der ganz eigenmächtig ihren Lippen entschlüpfte.

„Lagebesprechung“, grinste D und nahm einen kräftigen Schluck aus einer schneeweißen Kaffeetasse, auf der in großen roten Lettern der Schriftzug Dad is King prangte.

„Das sagte mir Ronin bereits“, entgegnete Aya, klang dabei aber nur halb so vorwurfsvoll wie geplant – wenn überhaupt.

„Na, dann sag doch mal, was du dazu zu sagen hast“, erwiderte D ungerührt, ohne seinen Blick von dem dampfenden und dabei noch wunderbar duftenden Getränk zu nehmen.

„Was soll ich sagen?“, erwiderte Aya und stellte fest, dass sie tatsächlich Probleme hatte, sich auf das eigentliche Thema zu konzentrieren. Es war nicht so, dass sie den Grund ihrer Reise vergessen hatte, aber der Anblick des Kamins, ja dieses ganzen weitläufigen Raumes weckte in ihr eine solche Behaglichkeit, dass es ihr schwer fiel, an gehirnamputierte Leichen zu denken. „Jedenfalls… habe ich heute schon mal… fünf unserer sieben Verdächtigen kennen gelernt. Und ich glaube, dass dieser eXinfernis dabei war.“

„Dass…“ D fuhr so ruckartig hoch, dass eine gefährliche Sturmwelle durch seinen Kaffee schwappte, und in seine Augen trat ein Glitzern wie das eines Kindes zu Weihnachten. „Du hast eXinfernis getroffen? Also… den… den echten eXinfernis? So richtig lebendig und in Farbe?“

„Nein, D, tot und in Schwarz-Weiß. Und ob es wirklich ein… er ist, kann ich jetzt nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Aber der Reihe nach. Zuerst habe ich…“

„Wie jetzt, kein er?“ D zog kritisch seine Augenbrauen hoch. „Ich meine… klar hätte ich nichts dagegen, wenn du mir jetzt sagen würdest, dass eXinfernis tatsächlich eine willige Single-Blondine ist und du sie getroffen hast, während sie oben ohne ihr Auto geputzt hat, aber… war da nicht eben noch von einem Psycho-Stalker die Rede?!“

„Ja, verdammt, und jetzt lass mich endlich ausreden!“ Aya strich sich unwillig durch ihr schwarzes Haar und machte eine längere Pause, als das nötig gewesen wäre, bevor sie endlich weitersprach: „Ich sagte doch, immer schön der Reihe nach. Zu den Blondinen kommen wir später. Die ersten Beiden, die ich getroffen habe, standen nämlich urplötzlich hier im Haus und haben mich halb zu Tode erschreckt!“

„Hier im Haus?“, fragte Ravin mit ungerührter Stimme und nur einem leisen Funken des Zweifels in den eisblauen Augen. „Wie sind sie hier hereingekommen? Ich hätte es bemerkt, wenn sich ein Fremder der Tür genähert hätte.“

„Sie waren schon vorher hier. Von der Nachbarschaftshilfe, daher der Schlüssel. Es waren ein Junge und ein Mädchen, Zwillinge… Kinder.“

„Kinder, die Menschen das Gehirn aussaugen? Klingt nicht sehr überzeugend. Eher wie aus einem schlechten Horrorfilm. In einem schlechten Horrorfilm wären’s bestimmt die Kinder.“

„Vielen Dank für diesen konstruktiven Beitrag, D. Na, wie auch immer, danach war ich ein bisschen draußen und… bin an diesem Haus vorbeigekommen, das so seltsam gerochen hat.“

„Seltsam gerochen?“

„Ja, Ronin, irgendwie… streng. Sprechen wir’s doch aus: Da drin hätte gut was verwesen können. Und dort habe ich den ersten potentiellen eXinfernis getroffen. Schau nicht so strafend, D, ich will deinen Schatz ja nicht verdächtigen. Jedenfalls bin ich nähergekommen und hab gesehn, dass da jemand ist, habe geklingelt und man hat mir tatsächlich aufgemacht. Und dann war da diese komische ältliche Hausfrau mit ihren Hunden und einer dieser… dieser geschmacklosen Schürzen, und sie…“

„Mo-Moment mal, Aya“, fiel ihr D ins Wort, bevor sie ihre Ausführungen beenden konnte. „Was willst du damit sagen, eine komische ältliche Hausfrau? Ich dachte, du hättest eXinfernis getroffen!“

„Lass mich doch mal ausreden! Glaubst du, ich würde sie grundlos verdächtigen?“

„Du hast von einem Anrufer gesprochen, von einem Mann, die ganze Zeit! Also warum dieser plötzliche Sinneswandel?“

„Sie hatte eine tiefe Stimme!“

„Aya!“

„Was?!“

„Das kann nicht dein Ernst sein! eXinfernis in der Kittelschürze!“

„Na und?“ Die junge Wissenschaftlerin verschränkte trotzig ihre Arme vor der Brust. „Sie sah recht intelligent aus… für eine Hausfrau. Und ich bin deshalb überhaupt erst auf den Gedanken gekommen, weil… weil sie mir sagte, ich solle weglaufen, bevor es zu spät ist. Oder so ähnlich. Das passte eben irgendwie ins Gesamtbild. Und außerdem ist sie ja auch nur mein erster möglicher eXinfernis.“

„Da bin ich aber mal gespannt, wer der zweite ist. Ihr Hund vielleicht?“

„Nein, nicht ihr Hund, und unterbrich mich nicht immer.“ Aya bemühte sich um einen strafenden Blick, konnte sich aber beim Anblick von Ds gekränkter Miene ein leises Schmunzeln nicht länger verkneifen. „Die Geschichte geht nämlich noch weiter, und jetzt bekommst du auch deine Blondine, D. Auf dem Heimweg bin ich nämlich an einem Garten vorbeigekommen, in dem ein Mann ein junges Mädchen auf einer Schaukel angeschubst hat. Er war ihr Lehrer.

„Ach, ihr Lehrer?“, wiederholte D und blickte spontan noch ein wenig feindseliger drein. „Also doch kein Hund, sondern nur ein Pädophiler. Wie schön. Warum gehst du nicht gleich ins Kinderfernsehen und erzählst da, dass der Weihnachtsmann am liebsten kleine Jungen vergewaltigt?!“

„Weil du völligen Blödsinn redest, D. Ich sagte auch gar nichts von pädophil, ganz im Gegenteil. Er sah unheimlich gut aus, groß, dunkelhaarig – genau so ein Lehrer, wie ich ihn mir in meiner Schulzeit immer gewünscht hätte. Und ich bin mir auch relativ sicher, dass er unser eXinfernis ist, er kannte nämlich meinen Namen, den Zeitpunkt unserer Ankunft und so weiter. Na, zufrieden?“

„Das mit der Hausfrau hast du nur gesagt, um mich zu ärgern“, grummelte D, und nun musste Aya endgültig lächeln.

„Nein, gar nicht“, versicherte sie und nahm sich mit einem Gefühl wachsender Zufriedenheit ein Stück von dem weiß glasierten Kuchen. „Ich fand es nur seltsam, dass er genau dasselbe gesagt hat wie diese Hausfrau, aber wirklich… fast schon Wort für Wort. Dass ich laufen soll, so weit ich kann.“

„Und du bist sicher, dass du das nicht nur geträumt hast?“

„Oh halt, jetzt wo du’s sagst, D… ich glaube, ich bin hier auf dem Sofa eingeschlafen und habe mir das alles nur eingebildet. Daher kommt auch diese ekelhafte aufgeplatzte Blase an meiner rechten Ferse, weil ich ja keinen Schritt mit meinen neuen Schuhen gelaufen bin. Willst du die mal sehen?!“

„Nein, danke, ich verzichte und glaub dir auch so!“

„Zu gütig“, flötete Aya und bleckte die Zähne, während sie sich eingestehen musste, dass es ihr selbst weitaus schwerer fiel, sich von der Echtheit der merkwürdigen Ereignisse der zurückliegenden Stunden zu überzeugen. „Aber sagt mal, woher habt ihr den hier eigentlich?“

„Den Kuchen?“, fragte Ronin, und Strahlen glitt über sein Gesicht. „Den hat ein Mädchen vorbeigebracht, eine kleine Schwarzhaarige mit sooo einer großen Brille. Hat D zumindest erzählt. Als sie gesehen hat, dass gegenüber auch jemand einzieht, hat sie wohl ein richtig schlechtes Gewissen bekommen, dass sie nur einen Kuchen mitgebracht hat. Und jetzt rate mal, was sie uns morgen als Entschädigung vorbeibringen möchte?“

„Nein, ich spar’s mir, einverstanden?“ Aya nahm einen Bissen von dem hellen Teig, der angenehm nach Zitrone duftete und übrigens auch genauso gut schmeckte, wie er roch. „Aber sagt mal, hat die Kleine vielleicht ihren Namen genannt?“

„Yo, hat sie“, nickte D, blickte aber immer noch ein wenig säuerlich drein. „Sie hieß Ellen Ridgefort.“

„Ellen? Dann war das die vom Nachbarschaftsdienst. Ihr Bruder hieß übrigens Lennart, und dein geheiligter eXinfernis heißt mit bürgerlichem Namen Shiro Isamiya.“

„Und die kleine Blonde?“

„Keine Ahnung, die hat nicht viel mit mir gesprochen. Seht mal zu, dass ihr das herausbekommt und dass ihr morgen auch noch die restlichen Urlaubsverweigerer findet. Zwei einsame Seelen auf einem großen Trabanten… gar nicht so einfach, was?“

„Für mich schon“, gab D zurück und sah spontan noch beleidigter aus als zuvor. Ronin lachte nur und ließ seinen Kopf gegen Ravins Schulter sinken, was diesen nicht weiter zu interessieren schien.

„Übrigens… ich hab da während des Fluges ein bisschen Brainstorming betrieben, also immerhin war der Flug ja lang genug und mir wird auf Flügen sowieso immer schnell ein wenig langweilig, von diesem ganzen Sitzen und so, und da habe ich mir eben mal notiert, was mir zu dieser Sache mit den fehlenden Gehirnen eingefallen ist, und wenn ihr wollt, kann ich das ja mal erzählen.“

„Klingt nach einer hübschen Gutenachtgeschichte“, seufzte Aya und tröstete sich mit einem weiteren Bissen von ihrem nostalgisch süßen Zitronenkuchen über den unliebsamen Themenwechsel hinweg. „Ich frage mich zwar, was einem zu fehlenden Gehirnen so einfallen kann, aber gut, Interessen sind ja bekanntlich verschieden. Lass hören.“

„Wieso Interesse? Das gehört zur Allgemeinbildung!“, grinste Ronin und legte eine seiner kleinen blassen Hände auf Ravins durchtrainierten Oberarm. Dieser warf nur einen kurzen, kritischen Blick zur Seite, schien aber nicht so recht zu wissen, was er von der ganzen Sache zu halten hatte, und blieb somit weiterhin regungslos und mit ungerührter Miene an seinem Platz auf dem wolkenweichen Sofa sitzen. „Ihr müsst wissen, es hat lange Tradition, das Gehirn eines Menschen zu entfernen, in grauer Vorzeit lebte zum Beispiel eine Menschenart namens homo neanderthalensis, oder homo sapiens neanderthalensis, es gibt nämlich auch Forscher, die den Neandertaler für eine Unterart des homo sapiens und damit als engeren Verwandten des modernen Menschen homo sapiens sapiens betrachten, jedenfalls haben die Neandertaler die Gehirne der Toten entfernt, da sie diese so furchtbar ekelhaft fanden, und auch die alten Ägypter, die haben wie die Neandertaler vor langer Zeit auf der Erde gelebt, aber sehr viel später, obwohl sie ein alt vorm Namen stehen haben, entfernten die Gehirne der Toten vor der so genannten Mumifizierung, die…“

„Halt!“ Aya hob abwehrend beide Hände – ihren Kuchen hatte sie mittlerweile verspeist und den mit hellen Krümeln gesprenkelten Teller zur Seite gestellt – und sah Ronin beschwörend an, bevor er mit seinem atemlosen Redeschwall fortfahren konnte. „Ich habe zwar kaum die Hälfte von dem verstanden, was du da eben gesagt hast, aber… meintest du nicht selbst, die Opfer waren noch am Leben, als man ihnen das Gehirn entfernte?“

„Ich war ja auch noch gar nicht fertig!“

„Ich weiß. Aber vielleicht kannst du ja… etwas langsamer sprechen, nur so ein ganz, ganz kleines bisschen. Ich… bin ein wenig müde, weißt du, und deshalb… komme ich wohl nicht mehr so gut mit.“

„Oh… ja, natürlich, das verstehe ich, das geht mir manchmal genauso.“ Ronin grinste, wobei er Ayas zweifelnde Miene entweder nicht bemerkte oder einfach ignorierte. „Also“, fuhr er dann betont langsam fort, wobei er ein bisschen wie ein Sprecher aus einer dieser lustigen IV-Sendungen klang, in denen Kindern auf spielerische Weise die Welt erklärt wurde, „es gibt natürlich noch andere Gründe, einem Menschen das Gehirn zu entfernen, die nicht so direkt was mit dessen Tod zu tun haben, wenigstens nicht unmittelbar. Aya, hast du jemals etwas von Kuru gehört?“

„Kuru?“, wiederholte sie und sah Ronin sogar noch ein kleines bisschen zweifelnder an. „Nein. Warum, sollte ich?“

„Ach… nein, eher nicht. Aber Creutzfeldt-Jakob sagt dir etwas, oder?“

„Ja… ja, natürlich. Das ist eine Krankheit, die zur Degeneration des Gehirnes führt, keine schöne Angelegenheit übrigens. Aber was hat das mit unserem Mörder zu tun?“

„Mit unserem Mörder? Überhaupt nichts!“ Ronin grinste, winkte dann aber beschwichtigend ab, als er die leise Zornesfalte bemerkte, die sich zwischen Ayas Augen gelegt hatte. „Aber mit Kuru, und Kuru hat wiederum mit Creutzfeldt-Jakob zu tun, es ist nämlich eine ganz ähnliche Krankheit. Bekannter ist sie vielleicht unter ihrem Spitznamen, der lachende Tod. Kuru ist wie CJD eine Prionenkrankheit, die in ihrem Verlauf unter anderem zu einem unnatürlichen Lachen führt, daher der Spitzname. Es ist aber keine Schande, Kuru nicht mehr zu kennen. Die Krankheit kam eh nur bei einem Eingeborenenstamm in Papua-Neuguinea auf der guten alten Mutter Erde vor, und sie ist schon seit Jahrtausenden ausgerottet, nämlich seit man diesem Stamm verboten hat, die Gehirne anderer Menschen zu essen.“

„Sie haben sie… gegessen?! Warum das? Und warum weißt du so etwas?!“

„Ich hab mich nur ein bisschen schlau gemacht, das ist alles. Und warum sie die Gehirne gegessen haben? Keine Ahnung, vielleicht haben sie ihnen geschmeckt? Es… manche Stämme hatten auch den Brauch, das Gehirn eines besiegten Feindes zu essen, um sich seine Fähigkeiten anzueignen.“

„So macht lernen Spaß“, grinste D ganz unpassend breit. „Vielleicht hätte ich in der High School auch mal das Gehirn meines Lehrers verspeisen sollen, da hätte ich mir eine Menge Lernen ersparen können.“

„Erstens: Sehr witzig. Zweitens: Als ob du jemals gelernt hättest. Drittens: Sprich mir heute bitte nicht mehr von Lehrern!“

„Sorry, Aya“, fuhr D in nicht weniger amüsiertem Tonfall fort. „Aber wisst ihr, was ich mir überlegt habe? Vielleicht ist das ja so ein kranker Sammler, der sich gerne die Gehirne berühmter Persönlichkeiten in eine Vitrine stellt. Oder vielleicht will er die ja klonen.“

„Also einfach nur ein Wahnsinniger, der sich eine Armee perfekter Wissenschaftler erschaffen möchte. Wirklich eine tolle Idee, D. Ich glaube, jetzt haben wir den Fall gelöst.“

„Was denn?!“

„Ich… finde es eigentlich gar nicht so unwahrscheinlich, dass die Taten wissenschaftliche Hintergründe haben“, mischte sich Ravin ein. „Es gibt viele Experimente, bei denen menschliche Gehirne benötigt werden, auch im lebend entfernten Zustand.“

„Ja, aber dann würde man die doch in irgendein… Labor locken, und nicht auf offener Straße abschlachten!“ Aya seufzte resigniert und schloss einige Momente lang die Augen. „Lasst mich also zusammenfassen, dass wir nichts, aber auch gar nichts wissen.“

„Wir kennen das Motiv nicht“, bestätigte Ronin, aber ohne jeden Anflug von Verzagtheit in der Stimme, „aber mal ehrlich, bei so wenigen Verdächtigen wird sich das doch wohl irgendwann von selbst ergeben. Wir sollten sehen, wer außer deinen neuen Freunden noch hier zurückgeblieben ist, und dann einen nach dem anderen genauer unter die Lupe nehmen.“

„Ich hab alles nötige dabei, um mich morgen noch mal… auf meine Weise umzusehen, wenn ihr versteht, was ich meine“, verkündete D nicht weniger zuversichtlich als sein Vorgänger.

„Ich… muss immer an diese Kinder denken“, murmelte Aya, um sich wenigstens irgendwie auch an der allgemeinen Schlachtplanerei beteiligen zu können. „Die waren doch noch so jung, ich glaube kaum, dass die hier allein sind. Wir können also davon ausgehen, dass es sich bei mindestens einem der beiden Unbekannten um ein Elternteil unseres reizenden Zwillingspärchens handeln muss. Ich… werde morgen mal bei ihnen vorbeisehen, denke ich. D, du hast die Adresse?“

„Aber natürlich, Mylady“, grinste der Schwarzhaarige, und Ronin fiel sofort in dieses Grinsen ein.

„Gut, dann nehmen mein geliebter Ehemann und ich uns entweder die Frau mit den Tieren oder dieses komische Mädchen oder eben wen-auch-immer vor, wenn du mit deiner Suchaktion Erfolg haben solltest, D, und dann bringen wir ein bisschen Kuchen mit und trinken Kaffee und unterhalten uns, ganz nett und freundlich und ungezwungen eben, und dann sollen die doch mal sehen, das irgendwas vor uns verborgen bleibt, wenn wir doch so ein reizendes Ehepaar sind!“

„Nett, freundlich und ungezwungen?“, wiederholte Aya mit einem kritischen Seitenblick auf Ravin, was von diesem mit einem eisigen Blick und von Ronin mit einem nur noch begeisterteren Funkeln in den Augen quittiert wurde.

„Jaaa“, strahlte er und legte Ravin einen seiner zierlichen Arme um die Schultern, „freundlich und nett. Was glaubt ihr denn, warum ich ihn geheiratet habe? Ah, und wir sind immer noch verliebt wie am ersten Tag!“

Ronin gab ein unbefangen kindliches Lachen von sich, dann folgte auf seinen ersten Arm ein zweiter, und im nächsten Moment hatte er Ravin, diesen großen, kräftigen, wunderschönen Ravin mit den wohl kältesten Augen, die jemals das Licht der Welt erblickt hatten, auch schon an sich gezogen. Er drückte dessen Kopf an seine Brust wie den eines Kindes, was Aya unweigerlich zusammenzucken ließ. Sie konnte sich nicht so recht vorstellen, wie Ravin auf… so etwas reagieren würde, aber aus irgendeinem Grund ahnte sie nichts Gutes.

Umso mehr überraschte sie seine tatsächliche Reaktion… oder vielmehr Nicht-Reaktion, denn genau genommen tat Ravin überhaupt nichts mehr denn genau genommen tat Ravin überhaupt nichts. Er sank ein bisschen in sich zusammen, sodass Ronin im ersten Moment Probleme hatte, ihn festzuhalten, aber dann lag er einfach regungslos in den Ärmchen seines merkwürdigen Kollegen und atmete ganz ruhig. Als Ronin ihm vorsichtig das schneeweiße Haar aus dem makellosen Gesicht strich, da sah Aya, dass er seine Augen geschlossen hatte.

„Ähm… schläft er?“, flüsterte sie. Ronin zuckte ganz leicht mit den Schultern und sah die junge Wissenschaftlerin mit einer solchen Wärme in den tiefroten Augen an, wie sie es noch niemals zuvor bei ihm gesehen hatte.

„Ist das nicht süß?“, antwortete nicht weniger leise und streichelte ihm mit einer Hand über die Wange. „Er ist einfach… eingeschlafen.“

„Hm… ja… davon habe ich gehört“, murmelte Aya, unfähig, ihren Blick von Ravins Gesicht zu nehmen. „Das ist wahrscheinlich eine dieser Fehlprogrammierungen, die manche Cyborgs haben.“

„Fehlprogrammierung?“ D zog langsam eine seiner Augenbrauen hoch. „Aya, wie romantisch du doch bist!“

„Warum romantisch? Es ist nun einmal so. Wahrscheinlich reagiert er auf… Herztöne oder etwas in der Art. Und, ja, es ist eine Fehlprogrammierung. Ich glaube kaum, dass er sonderlich glücklich darüber ist.“

„Ich finde aber nicht, dass er gerade unglücklich aussieht.“

Aya öffnete schon dem Mund, um Ronin irgendeine wissenschaftlich korrekte Antwort zu geben, aber aus irgendeinem Grund blieb sie ihr im Hals stecken. Da war wieder dieses merkwürdige, dieses falsche Gefühl, dass es trotz aller grausamen Morde doch nicht die Welt von Merrywood Ville war, mit der etwas nicht in Ordnung war. Nein, Ravin sah ganz und gar nicht unglücklich aus. Aber wie hätte er auch? Ravin wusste ja gar nicht, was glücklich oder unglücklich sein bedeutete, weil man es ihm nicht gestattet hatte, weil irgendjemand der Meinung gewesen war, dass es wahrscheinlich einfach nützlicher wäre, seine Funktionsfähigkeit nicht durch störende Emotionen beeinträchtigen zu lassen. Und natürlich sah er in diesem Augenblick auch nur deshalb so unendlich friedlich aus, weil sein System planwidrig heruntergefahren wurde.

In diesem Moment fühlte sich Aya plötzlich so unglaublich schuldig, dass sie all die Ängste und die Warnungen der zurückliegenden Stunden einfach vergaß. Sie dachte nicht mehr an Regeln und nicht mehr an die leeren Augenhöhlen der perfekten weißen Häuser. Sie dachte auch nicht mehr daran, zu laufen, schon gar nicht zurück in diese grausame Welt, die vielleicht wirklich nichts anderes war als die Hölle. Es waren irrationale Gedanken, ganz ohne jeden Zweifel, und sie hätte sie gewiss später einmal spöttisch belächeln können, wenn nicht gerade dieser kurze Moment verklärten Weltschmerzes am Ende ihr größter Fehler gewesen wäre.
 

Der nächste Tag war etwas weniger warm, der Himmel aber nach wie vor sonnig blau und der leichte Wind sogar durchaus angenehm. Aya war am Vorabend unendlich müde gewesen, war eingeschlafen, kaum dass sie sich in ihr Doppelbett gelegt hatte, das ihr übrigens ganz allein gehörte, weil D auf das nicht weniger gemütliche Sofa verbannt worden war, und hatte zum ersten Mal seit vielen Jahren nicht einmal mehr geträumt. Umso mehr überraschte es sie, dass sie dann am Morgen früh erwachte und auch nicht mehr einschlafen konnte, obwohl sie diese seltene Gelegenheit zum Ausschlafen nur allzu gerne ergriffen hätte. Weiches Sonnenlicht schlich sich durch die halbtransparenten Vorhänge und tauchte den Raum in ein heimelig warmes Licht, und dahinter zwitscherten die Vögel ein munteres Liedchen.

Aya streckte und räkelte sich wohlig in den Massen duftig frischen Stoffes, dann stand sie auf, ohne sich dazu zwingen zu müssen. Sie war noch ein wenig verschlafen, aber nicht mehr müde, und ihre Schritte gingen so leicht, dass es sie selbst verwunderte. Das latente Schmerzen in ihren Fußsohlen nahm sie diesen nicht übel, dazu war der Boden einfach viel zu blank geputzt und die Teppiche zu weich und zu flauschig und ihr Spiegelbild empfing sie im Bad mit einem leisen Lächeln. Es war ein schmeichelndes Licht, das die in die Decke integrierten Lampen warfen, und ihre pechschwarzen Haare und Augen hatten darin einen ganz besonderen Glanz. Ihre feinen asiatischen Gesichtszüge wirkten fast ein bisschen so, als ob man sie aus Porzellan gefertigt hätte, und alles in allem musste Aya feststellen, dass sie sich lange nicht mehr so schön gefunden hatte.

Gut gelaunt schlich die junge Wissenschaftlerin die Treppe hinunter und durch das Wohnzimmer. Ds ruhige, gleichmäßige Atemzüge begleiteten sie zur Tür, und sie bemühte sich, diese so leise wie möglich hinter sich zu schließen. Draußen empfing sie ihr sonniger Vorgarten und die freundlich weiße Fassade des gegenüberliegenden Hauses, und spontan machte sich ein wohliges Gefühl in ihrer Bauchgegend breit. Die Stunden der vergangenen Nacht schienen unendlich weit entfernt, zu weit, um ihr überhaupt noch real zu erscheinen, und so besann sie sich stattdessen ganz auf die Gegenwart.

D hatte ihr am Abend zuvor die Adresse der Zwillinge herausgesucht, und es fiel ihr überraschend leicht, das dazugehörige Haus zu finden. Wie nicht anders zu erwarten war es weiß und freundlich, mit einem akkurat gepflegten Garten und einem großen silbernen Briefkasten. „We are the Ridgeforts“, verkündete ein weißer Schriftzug auf dem mattierten Metall. Aya stellte noch kurz in Gedanken fest, dass die dezente Mischung aus Familienzusammenhalt und guter Laune, die von den hellen Buchstaben ausging, nicht zu diesen merkwürdigen Kindern passte, dann öffnete sie mit einem Schulterzucken das makellose Gartentor und schlenderte über die unglaublich sauberen Trittsteine auf die große weiße Eingangstüre zu.

Es war Ellen, die ihr öffnete, und zwar noch bevor sie geklingelt hatte. Sie trug ihr schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, außerdem eine dunkle Jeans und ein tannengrünes Poloshirt, das mehr erahnen als erkennen ließ, dass Aya den weiblichen Teil des Zwillingspärchens vor sich stehen hatte. Ellen war etwas außer Atem und ihre Brille leicht verrutscht, aber sie lächelte auf ihre eigentümlich freudlose Art und Weise.

„Ich habe Sie von der Küche aus gesehen“, erklärte sie, als ob sie in Ayas Gedanken gelesen hätte. „Guten Morgen, und… also… wollen Sie nicht hereinkommen?“

Sie vollführte mit ihrem dünnen Arm eine reichlich unsichere Bewegung in Richtung des Hausinneren, und aus irgendeinem Grund war Aya von dieser unbeholfenen Höflichkeit gerührt. Sie ahnte, dass sie es hier mit einem Mädchen zu tun hatte, das nicht sonderlich oft Besuch empfing, gleichzeitig spürte sie, wie sehr sich Ellen über ihr Kommen freute. Auf ihre Weise. Sie lächelte dankbar, nickte und trat ein.

„Ich wollte mich vor allem für den Kuchen von gestern bedanken, aber… ja, gerne“, fügte sie dann erst hinzu und zog ihre hinreißenden neuen Sling Pumps aus, weil diese auf dem gefliesten Flurboden sowieso viel zu laut klapperten, dann folgte sie der zierlichen kleinen Gestalt in das Wohnzimmer. Es war kleiner als das ihre, weil man die Weite des Raumes mit einer Wand durchbrochen hatte, und es wirkte durch den anthrazitfarbenen Teppich und die graue Sitzgarnitur sogar noch ein wenig gedrückter. Sämtliche Accessoires waren modern puristisch und in glänzendem Silber gehalten, von der hohen Stehlampe bis hin zu den Bilderrahmen, die Schwarzweißfotos einer heilen Vorstadtfamilie zeigten. Die Eltern der Zwillinge trugen schlichte, aber stilvolle Businesskleidung und waren hübscher als ihre Kinder, insbesondere die Mutter. Ihre klassischen Gesichtszüge, ihre schwarz gerahmte Brille und die streng zurückgebundenen Haare strahlten eine gewisse Härte aus, aber ihr Lächeln war warm und ihre Haltung stolz. Eine starke Frau, die ihren Platz im Leben gefunden hatte. Vielleicht bestand für Ellen doch noch Hoffnung.

„Sie ist Anwältin“, erklärte das Mädchen prompt, und wieder fühlte sich Aya von ihr ertappt. „Mein Vater arbeitet für ein großes Pharma-Unternehmen. Das finde ich viel besser. Ich möchte auch mal eine Wissenschaftlerin werden und an Medikamenten forschen.“

„Du möchtest Wissenschaftlerin werden?“ Aya blickte über die Schulter zu Ellen zurück, und spontan fiel ihr wieder ein, an wen diese kleine Schwarzhaarige sie so sehr erinnerte, mit ihrer viel zu großen Brille, der unscheinbaren Kleidung und der ganz und gar unkindlichen Kälte auf dem Gesicht. Sie erinnerte sie an ein anderes kleines Mädchen, das sich mit einem sehr, sehr ähnlichen Traum vor dem Rest der Welt zurückgezogen hatte und das sich nur tief in der Nacht auf dem verlassenen Dach eines heruntergekommenen Hochhauses ein kleines bisschen unbeschwerte Lebensfreude erlaubt hatte, und dies war eine Erinnerung, die nicht zu einem perfekten Morgen wie diesem passte.

„Ja“, antwortete Ellen mit einem scheuen Lächeln, und Aya war ihr sehr dankbar dafür. Sie musste sich plötzlich beherrschen, nicht einfach zu dem Mädchen hinzulaufen und sie in ihre Arme zu schließen, und so hielt sie sich stattdessen mit einer Hand am spärlichen Stoff ihres Rockes fest. „Aber ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Meine Noten sind leider nicht so gut.“

„Deine Noten sind nicht gut?“ Aya konnte nicht umhin, zweifelnd eine Augenbraue anzuheben. Sie wusste, dass es unfair war, dass sie vermutlich erstens von sich auf dieses Kind schloss und sich außerdem von der nicht ganz nebensächlichen Tatsache beeinflussen ließ, dass Ellen nun einmal den Archetypus einer Streberin verkörperte. Aber sie war sich einfach sicher, ein intelligentes, ein sogar sehr intelligentes Mädchen vor sich stehen zu haben, dessen beste Freunde ihr Bruder und ihr Bücherregal waren, und ein solches Kind hatte einfach keine schlechten Noten.

„Nein“, antwortete Ellen und senkte den Blick. „Ich trau mich nicht so, mich zu melden. Und in den Arbeiten bin ich immer ganz furchtbar aufgeregt, dass mir dann überhaupt nichts mehr einfällt.“

„Aber… dagegen kann man doch etwas machen!“, erklärte Aya in möglichst überzeugtem Tonfall, doch als sie sah, dass die Schwarzhaarige nur die Schultern hob und noch ein wenig zerknirschter aussah, entschied sie sich lieber für einen Themenwechsel. „Na, jetzt sind eh erst mal Ferien, richtig? Und es ist ja wirklich sehr ruhig hier. Fürchtet ihr beide euch da nicht?“

„Ach, nein, warum denn?“, antwortete Ellen und blickte auch wieder auf, ohne ihren starren Gesichtsausdruck zu verlieren. „Ich mag das nicht so gern, mit meinen Eltern wegzufahren, ich bin lieber mit Len allein hier, dann haben wir nämlich fast die ganze Stadt für uns. Das ist schön.“

„Dann sind deine Eltern beide verreist?“, fragte Aya und bemühte sich, nicht enttäuscht, sondern nur ein wenig überrascht und sehr bewundernd zu klingen. Ellen nickte und sah dabei tatsächlich ein bisschen stolz aus.

„Ja, aber das ist schon in Ordnung. Wir kommen zurecht und wir verdienen halt auch Geld, weil wir ja die Blumen gießen und so was. Außerdem besuchen wir oft Dan vom Supermarkt. Der Markt ist zwar in den Ferien geschlossen, aber er wohnt auch in dem Haus und da kann man trotzdem Sachen kaufen. Man muss klingeln und dann geht er extra mit einem runter in den Laden. Wir brauchen ja auch Essen und was zum Putzen und solche Sachen eben. Zu Dan können alle kommen, die in den Ferien hier bleiben, der fährt nie weg. Er schaut sich lieber den ganzen Tag lang irgendwelche Sachen im IV an.“

„Wie viele sind das überhaupt?“, erkundigte Aya sich scheinheilig. „Wir haben auf jeden Fall neue Nachbarn, eine Ehepaar. Die sind zwar ein wenig merkwürdig, aber nett. Ansonsten habe ich nur zufällig eine… ältere Frau getroffen, aber die war ziemlich unheimlich.“

„Ach, das war wahrscheinlich Minette Mullington. Die mag ich auch nicht so gerne. Sie hat ihr ganzes Haus voll mit Tieren, ganz viele. Sie hat Hunde und Katzen und lauter Käfige mit Hamstern und Ratten und so. Über Menschen sagt sie immer furchtbare Dinge, ich glaube, die will mir auch Angst machen, aber ich habe keine Angst vor ihr. Sie hat mir sogar einmal gesagt, ich hätte den Teufel im Leib. Für die ist jeder Mensch ein Teufel, vor allem Wissenschaftler, darum kann sie mich nicht leiden.“

„Wahrscheinlich eine dieser fanatischen Umweltschützerinnen“, grummelte Aya und fühlte sich ein bisschen ernüchtert. Sie hätte in dem seltsam riechenden Haus der finsteren Alten gerne mehr gesehen als nur eine miefende, weil bis unter das Dach mit Kleinvieh zugestellte Zuflucht einer verbitterten Menschenfeindin und Tierfreundin, die es offensichtlich nötig hatte, jedem, aber auch wirklich jedem Angst einzujagen, sei es nun einem kleinen Mädchen oder einer unliebsamen Großstädterin. „Und wer ist sonst noch hier? Ich würde so gerne einmal ein paar Menschen zum Kaffee einladen, mein Haus ist viel zu groß, um ganz leer zu sein.“

„Das weiß ich, weil ich nämlich bei allen, die da sind, nicht Blumen gießen muss. Also, einmal natürlich Minette Mulligan, dann Shiro Isamiya, Patricia Allison und ihre Tochter Lavinia. Und natürlich Dan Edwardson. Und wir.“

Lavinia, wiederholte Aya in Gedanken, und konnte sich ein kurzes Verziehen der Mundwinkel beim besten Willen nicht verkneifen. Ein seltsamer Name, aber ein passender für diese kaltschnäuzige kleine Lolita. Die Geisterprinzessin. Sie hatte keine große Lust, ihr einen weiteren Besuch abzustatten, aber wofür hatte sie denn auch Mitarbeiter?

„Wow, das sind ja wirklich nicht viele“, sprach sie stattdessen laut aus und wollte gerade noch irgendetwas hinzufügen, als sie plötzlich ein leises Piepsen aus ihrer Handtasche hörte. Ihr Portable Transmitter meldete sich zu Wort, und so schenkte sie der kleinen Ellen ein entschuldigendes Lächeln, zückte das elegante silber-blaue Kommunikationsgerät und eilte durch den Flur in den Garten hinaus.

„Ja, Mitsuyuki Aya, hallo?“, meldete sie sich etwas atemlos. Am anderen Ende der Leitung herrschte einen Moment lang Stille, dann ertönte ein leises, irgendwie nervöses Lachen und schließlich flötete ihr eine Stimme ins Ohr, die irgendwo auf dem schmalen Grat zwischen unverschämt guter Laune und unverschämt tiefem Wahnsinn balancierte.

„O-ha-you!“

„Kagami… sind Sie das?“, fragte sie überflüssigerweise, was von einem neuerlichen Kichern beantwortet wurde. „Was gibt es?“

„Gute Neuigkeiten“, fuhr ihr Gesprächspartner in einem Tonfall fort, der sie aus irgendwelchen Gründen beunruhigte. „Ich habe die Probe vom Tatort identifizieren können, und ich sage ihnen – ich verspreche ihnen, sie werden nicht glauben können, was sie da hören. Ich weiß das, weil ich es selbst kaum glauben konnte, und immerhin sind ja alle Wissenschaftler seelenverwandt, richtig? Vorausgesetzt, wir hätten überhaupt Seelen. Aber wenn wir welche hätten, dann wären wir’s.“

„Ja… wie romantisch“, murmelte Aya und blickte ein wenig nervös über die Schulter zurück. Ellen war ihr nicht gefolgt, trotzdem entfernte sie sich sicherheitshalber noch einige Meter vom Haus, bevor sie weitersprach. Der helle Stein unter ihren nackten Füßen war wunderbar warm, und wieder musste sie an diese längst vergangenen Tage denken, an denen sie häufig barfuß umhergelaufen war. Einen solchen Boden hatte es damals aber nicht gegeben. Es war wunderbar, hier zu gehen, und Aya musste sich zurückhalten, um nicht vom Weg abzukommen und so auch noch die kurzen, perfekt gestutzten Halme des Rasens zwischen ihren nackten Zehen zu fühlen.

„Nein, gar nicht romantisch“, widersprach Kagami, und seine Stimme bebte ganz leise in der freudigen Erwartung seiner ach so schockierenden Enthüllung. „Eher das Gegenteil davon. Habe ich schon gesagt, dass ich nicht damit gerechnet hatte, dass es ausgerechnet… das sein würde? Ich glaube schon. Ach, ich bin wieder ganz zerstreut, aber das bin ich öfters. Sagt man mir. Jetzt… spanne ich Sie auf die Folter, merken Sie das? Kommen Sie, nun fragen Sie schon, was in dieser Tüte war, bitte, fragen Sie!“

„Also schön“, seufzte Aya resignierend. „Was war in dieser Tüte?“

Am anderen Ende der Leitung ertönte zunächst ein halb euphorisches, halb geisteskrankes Lachen, mit dem sie aber irgendwie schon gerechnet hatte. Dann hielt Kagami inne, holte tief Luft und antwortete ihr mit feierlicher Stimme, und was er sagte, ließ Aya tatsächlich einen Moment lang in völliger Ratlosigkeit zurück. Sie fragte auch noch zweimal nach, ob er sich nicht doch irgendwie geirrt haben könnte, doch es folgte lediglich eine immer gleiche Antwort und dann ein erster Schwall vollkommener Hilflosigkeit. Sie wusste sowieso nicht recht, wie sie diesen Fall angehen sollte, und statt einer Antwort schien dieses groß angekündigte Untersuchungsergebnis nur noch mehr unverständliche Fragen aufzuwerfen.

Wie gesagt – dies war im ersten Moment, doch dieser Moment ging vorüber und dann geschah etwas, das bei Aya etwa alle viereinhalb Wochen passierte und stets mehr oder minder bedeutsame Konsequenzen nach sich zog: Ein gleißend heller Geistesblitz schlug mitten in ihren Kopf und sie sah die Essenz aller Dinge ganz klar und deutlich vor sich. Natürlich war auch diese Essenz nur Teil eines Versuches, der scheitern oder einfach völlig unbefriedigende Ergebnisse mit sich bringen konnte, denn ihre Idee war schlicht und ergreifend absurd, so absurd wie kaum eine andere, die sie in den letzten Wochen gehabt hatte. Aya wusste, dass sie vermutlich falsch lag. Sie wusste auch, dass diese geballte Perfektion der Vorstadtidylle langsam aber sicher ihren Geist vernebelte. Aber gleichzeitig war sie sich einfach viel zu sicher, im Recht zu sein, als dass sie diese Gewissheit hätte ignorieren können.

Sie brauchte nur noch Beweise.

Mit einem Lächeln auf den Lippen sagte Aya noch einige siegessichere Dankesworte in den Lautsprecher ihres Portable Transmitters, und nicht einmal Kagamis wahnsinniges Lachen konnte sie jetzt noch stören. Sie wusste, dass sie auf dem richtigen Weg war, sie wusste es einfach und sie wollte auch gar nichts anderes mehr glauben. Sie war sich zugegebenermaßen noch nicht ganz sicher, wie sie weiterhin vorgehen musste oder was sie tun sollte, wenn sie sich einfach nur in eine fixe Idee verrannte, aber darüber konnte sie sich auch noch später den Kopf zerbrechen.

Es war Zeit für eine Konfrontation mit ihrem neuen Tatverdächtigen Nummer eins.
 

Als D an diesem Morgen erwachte, war der Morgen eigentlich schon längst vorübergegangen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es tatsächlich kurz nach eins war, und er streckte sich und gähnte ausgiebig, bevor er dann endlich aufstand und die Fensterläden zum Garten hin öffnete. Einige Minuten lang stand er dann einfach nur da und betrachtete das üppige Grün und die Schaukel und das Blau des Himmels, dann schlenderte er in die Küche und kochte sich eine Tasse Kaffee. Anstelle eines Mittagessens schlang er die Reste des Kuchens vom Vorabend herunter, dann zog er sich in den Teil des Wohnzimmers zurück, in dem er bereits sein geballtes Equipment aufgebaut hatte und der nun wie eine bizarre Mischung aus Einfamilienidylle und einem hochtechnisierten Laboratorium aussah.

Es dauerte nicht lange, bis er ganz in seiner Arbeit versunken war, und es fiel ihm leicht, sich zu konzentrieren. Dieses Haus war so hell und so freundlich und hinter den riesigen Glasscheiben erstreckte sich ein kleines Paradies aus Licht und Pflanzen, und so glitten Ds Finger fast wie von selbst über seine Tastaturen. Die gesuchten Namen der Anwesenden waren schnell gefunden, aber wie so oft verlor er sich dann vollkommen in den Geschichten hinter diesen Namen, und hier, auf diesem makellosen Trabanten, faszinierte ihn das alles nur umso mehr.

Irgendwann kamen Ravin und Ronin vorbei, um sich mit ihm über die neuen Informationen auszutauschen, sie blieben dann auch und leisteten ihm bei seinen Recherchen Gesellschaft, die wenigstens Ronin ganz brennend zu interessieren schienen. Es war ein entspannter, ein amüsanter, ein unerwartet leichter Nachmittag, der sicherlich Einiges ans Licht brachte, aber irgendwann ging selbst dieser Nachmittag vorbei und es wurde dunkel, ohne dass sie einem dieser Menschen, die sie virtuell bereits bis auf die Knochen seziert hatten, tatsächlich einen Besuch abgestattet hätten.

Außerdem kam Aya nicht zurück.

Es wurde neun, es wurde zehn, und irgendwann fing D an, sich zu wundern. Er wusste nicht so recht, was er tun sollte, schlenderte noch ein bisschen durch die nächtlichen Straßen von Merrywood Ville, entdeckte aber absolut gar nichts, das ihm irgendeinen Hinweis auf den Verbleib seiner Vorgesetzten geliefert hätte, und so fügte er sich eben in die Sinnlosigkeit seines Unterfangens und ließ es lieber bleiben. Immer noch beflügelt von den vergnüglichen Stunden des vergangenen Tages gab er sich weiterhin der süßen Gedankenlosigkeit hin und legte sich ganz unverschämt in das doch noch viel gemütlichere Bett, aus dem Aya ihn so selbstsüchtig vertrieben hatte.

Erst am nächsten Morgen, als die junge Wissenschaftlerin immer noch nicht heimgekehrt war, begriff D ganz langsam, dass Aya eben genau das war – eine Wissenschaftlerin, und zwar keine unbekannte. Der Gedanke kam ihm, als er gerade unter der Dusche stand, aber erst als er sich fertig gewaschen und sein kurzes schwarzes Haar notdürftig getrocknet und sich angezogen und es sich mit einer Tasse Kaffee auf dem Sofa bequem gemacht hatte, wurde ihm die wahre Tragweite dieser Erkenntnis bewusst, und er begriff, dass sie ein Problem hatten.
 

Akte 4b/ Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Helmchen
2006-07-13T07:59:36+00:00 13.07.2006 09:59
*freu* Hab's zum Glück am gleichen Tag noch lesen können, trotz ewig langen und schweren Gewitterstürmen.
Du hast mich ganz schön auf die Folter gespannt. Ich saß schon ganz kribbelig vor der Kiste und dachte die ganze Zeit: Jetzt, jetzt kommt er gleich... nein, doch wieder nicht, aber jetzt... Im Haus dachte ich erst, er wäre es – und als Aya in der Nachbarschaft an der Tür klingelte, war ich mir derart sicher, ihn gleich auftreten zu sehen, dass mich die alte Frau wirklich schockiert hat ;-)
Meine Güte, dieser Trabant ist so... psycho. Ich wurde beim Lesen richtig nervös und konnte Aya gut verstehen, dass sie langsam aber sicher das Gefühl hatte, durchzudrehen. Meine Güte, diese Kinder. Wenn ich mir vorstelle, in einem Haus zu wohnen, zu dem solche Kinder einen Generalschlüssel haben... *schauder*
Gut, davor war die Atmosphäre auf diesem... ähm, seltsamen Trabanten ja noch soooo schön idyllisch, aber dieses Gefühl verdrehte sich immer mehr bei jeder neuen Bekanntschaft Ayas mit den Einheimischen.
Aber Shiro ist toll *freuuu* du hast ihn so dargestellt, wie ich ihn mir vorgestellt habe, wenn nicht sogar noch besser ^__^ Er wirkt so... attraktiv, einfach super! Und er ist so ein guter Hacker geworden, sogar eine Legende. Ich bin richtig stolz auf meinen Kleinen.
Aber du hast diese Stimmung wirklich gut rübergebracht. Erst noch so idyllisch und alles schon zu schön, um wahr zu sein. Und dann schlägt die Stimmung derart um, wird so bedrohlich und beängstigend. Diese Szene mit Shiro und dem Mädchen auf der Schaukel hat so etwas eigenartig Beklemmendes an sich, ich muss wirklich sagen, Hut ab! Bei mir stellten sich da regelrecht die Nackenhaare auf.
Eigentlich ist ja alles da so unwirklich und unheimlich, dass man schon bei jeder Zeile Angst hat, dass gleich was noch schlimmeres passiert... es ist dieses kribbelnde Gefühl wie bei einem Horror- oder Psychofilm. Man hat irgendwann vor allem Angst, egal wie harmlos es ist („The Ring“ ahoi! Wasser, Fernseher, Mondsichel...) und will eigentlich nur noch die Flucht ergreifen. Andererseits ist man aber auch begierig darauf, neues zu erfahren und endlich die Hintergründe zu erfahren.
Ich bewundere wirklich Ayas starke Nerven. Ich finde, allein die kurze Zeit dort gibt schon genug Stoff für Alpträume – und es kommt ja noch mehr, waaah!! Ich wäre schon längst auf und davon gewesen ^__^;;
Und nochmals vielen Dank für dieses Ende *heuuul* Warum macht es dir so Spaß, die Nerven deiner Leser auf diese Art und Weise auf die Folter zu spannen? Ich will endlich wissen, wie's weitergeht. Ich werde schon ganz kribbelig, wenn ich an den Schluss denke und was mit Aya wohl passiert sein könnte und was das alles mit den Kindern und dem Mädchen auf sich hat und wer denn jetzt der Mörder ist und… Du merkst, wie sehr ich mich regelrecht nach der Fortsetzung verzehre ^__^;;
„ ...wenn nicht gerade dieser kurze Moment verklärten Weltschmerzes am Ende ihr größter Fehler gewesen wäre.“ Oh Yu-chan, solche Andeutungen sind aber auch sowas von... gemein und hinterhältig. Ich werde mir jetzt bis zur Fortsetzung bestimmt mehrmals den Kopf darüber zerbrechen, warum dem denn so ist.
Hmm… was wollte ich noch schreiben? Ach ja, diese Stelle mit Ravin. Es war mitten in der Nacht, na gut, so spät auch wieder nicht, aber meine Eltern sind schon ins Bett gegangen. Ronin nimmt Ravin in den Arm und dieser schläft ein – Marron gibt ein lautes "Oh Gott, wie waiiii!!" von sich. Ich hab erst so gegrinst, weil ich die Stelle so schön war, aber die Gedanken von Aya haben es mir dann recht schnell wieder aus dem Gesicht gewischt (Aya war übrigens wirklich sehr romantisch mit diesem Kommentar ^^; ). Meine Güte, Yu-chan, das war wieder so ein Moment, wo ich gemerkt habe, wie grausam die ganze Situation eigentlich ist (im allgemeinen Sinne, nicht nur in der Szene). Ravin tat mir in diesem Moment so leid, dass ich nahe daran war, zu weinen. Ich meine, die Vorstellung, dass man jemanden so etwas antun kann, ist wirklich furchtbar. Wenn einer nicht einmal weiß, was Glück überhaupt ist und das schon sein ganzes Leben... Warum bekomme ich jetzt aber so Lust auf ein Ravin-RPG ?? *drooop*

Habe ich jemals erwähnt, wie sehr ich Aya und D liebe? Die beiden sind soooo toll! Wenn sie miteinander reden, grinse ich fast jedes Mal von einem Ohr zum anderen. Wenn ich nur an diese eine Stelle denke:
D: „Du hast eXinfernis getroffen? Also… den… den echten eXinfernis? So richtig lebendig und in Farbe?“
Aya: „Nein, D, tot und in Schwarz-Weiß.“
Hach, das war echt herrlich! Ich habe beinahe Tränen gelacht. Die zwei passen echt sehr gut zusammen und ich freue mich schon sehr darauf, wie es sich weiterentwickelt.
Also Yu-chan, lass deine Leser nicht zu lange am ausgestreckten Arm verhungern. Ich bete, dass du bald wieder Zeit für die Weiterführung findest.

Bis dahin, mata ne, *verbeug* *verbeug* Dono... ähm, Kaaamii-saamaaa!!

=^ x ^= Marron-chan
Von:  killerkuerbis
2006-06-21T21:56:01+00:00 21.06.2006 23:56
Sooo, ich hab heute ne Deutschklausur hinter mir und ein kleines bisschen Luft und da dachte ich mir, ich schreib jetzt diesen Kommi, weil ich wahrscheinlich in den nächsten Tagen nicht dazu komme und ich will ihn unbedingt schreiben, nachdem ich das Kapitel gelesen hab, damit ich nichts vergesse. ^^
Aaaalso, wo fangen wir an?
Zuerst einmal muss ich sagen, dass ich finde, dass das ein richtig richtig gutes Kapitel war (was nicht heißen soll, dass die anderen nicht auch gut sind O_o) aber – jetzt kommt’s ^^;;; - irgendwie auch so ein Hinhalte-Kapitel. O_o Ich weiß nicht, aber ich dachte andauernd, gleich kommt ne riesen Sensation, jetzt erfährt man was ganz wichtiges… gleich, gleich, gleich und dann… war’s aus. O_O Und das auch noch kurz nach dem Kagami-chan Aya offenbar so etwas Wichtiges gesagt hat!!
Argh. Aber fangen wir mal lieber am Anfang an. Den fand ich nämlich total cool. ^^ Dieses Hin und Her zwischen Aya und D und welches Theater D gemacht hat… der hat ja fast so getan, als wär’ Aya mit seinem großartigen eXinfernis ins Bett gestiegen. ^^; Ich konnt mir Ayas entnervte Miene richtig gut vorstellen. Andererseits bin ich auch davon überzeugt, dass ich mich, wäre ich einer der beiden gewesen, eher in Ds Rolle wiedergefunden hätte. ^^;; Irgendwie glaube ich, dass mir diese Art herumzunerven, die er da an den Tag legt, auch so richtig gut liegen würde. ^^;; Gut, ich kann mich trotzdem mehr mit Ronin identifizieren als mit D, aber diese eine Szene… ^-^

Und mir gefällt dieser Trabant nicht. Überhaupt nicht. Dieses Vorstadtgedüns von wegen Nachbarschaftshilfe und jeder kennt jeden und bla… is’ zum einen absolut nichts für mich und zum anderen is’ mir dieser ganze Planet einfach zu schön und zu geordnet und irgendwie von allem einfach zuviel. O_o Außerdem mag ich weiße Haustüren nicht.
Beim Lesen dachte ich auch dauernd, das is’ einfach nicht echt. Irgendwie kam’s mir mehr vor wie in einem wattigen rosaroten Traum, in den einer etwas zu viel Weichspüler rein gegossen hat… weiß nicht, so unwirklich und wie im Film. Ich kann’s nicht richtig beschreiben, als hätte man das Gefühl, einer Verschwörung zu unterliegen.
Ok, ich will eigentlich gar nicht alles schlecht machen. O.o Ich komm’ mir wie’n Miesmacher vor, wo alles so schön beschrieben ist, und so ruhig und idyllisch aber irgendwie is’ es gerade das, was es mir so suspekt macht. Mich erinnert’s ein kleines bisschen an diese eine Akte X Folge, weiß nemme, wie die hieß, wo auch alle Häuser gleich waren usw. Vielleicht liegt’s daran. Vielleicht is’ aber auch die Tatsache der Grund, dass ich irgendwie WEIß, dass da nicht alles mit rechten Dingen zugeht – was heißt hier eigentlich irgendwie? Lebendig ausgehöhlte Köpfe sind kein „irgendwie“. Aber auch ohne das wäre mir das alles zuviel. Nehmen wir doch mal das Äußere. Überall weiß. Weiße Häuser, weiße Türen, weiße Gartenzäune, alles perfekt, nichts tanzt aus der Reihe, dauernd dieses verbohrte weiß überall… wenn ich weit ausholen würde, dann würde ich sagen, dass all dieses Weiß fast schon so wirkt, als solle es irgendwas überdecken und merkwürdig gezwungen.
Und dann diese Dorf-Mentalität. Gut, ich wohn auf’m Dorf, ich hab’s vielleicht einfach über (vielleicht?) aber das hat mir noch nie gepasst, wenn jeder jeden irgendwie kennt, mehr noch, wenn jeder mehr oder weniger über seine Nachbarn weiß.
Allein schon, wie sie Aya anglotzen, weil sie nicht bis zum Hals geschlossen durch die Gegend kriecht.
Ja gut, ich tu’ auch mal nicht so, als hätte mich der freundliche Rat, den Ayas verbliebene Nachbarn ihr gegeben haben, überhaupt nicht beeinflusst. Immerhin soll das einem ja da alles suspekt erscheinen lassen (versteht man den Satz? ö.O). Aber wenn ich mal wild in den Raum hineinspekulieren darf… (ich wird’ mich hüten bereits irgenwelche Verdächtigen zu nennen…ich hab ehrlich gesagt auch nicht viele Indizien aus dem Kapitel holen können. Gut, ich mach mir schon meine Gedanken, so is’ nicht, aber die verrat ich nicht ^^) … diese Ganze Sache von wegen Gehirnwäsche, kann es sein, dass es das ist, warum da absolut alles so übermäßig… schön ist? Ich hatte schon so einen Gedanken, als ich die Beschreibung des Trabanten und des Hauses gelesen hab. Noch ein möglicher Grund für meine Antipathie gegen Merrywood Ville (irgendwie hat selbst der Name was Suspektes).
Waaah, und dann dieser Kuchen. O_o Ich weiß noch, wie ich dasaß und laut „Nicht essen!“ gerufen hab. ^^;;
Aber vielleicht bin ich auch einfach nur zu misstrauisch und wirklich ’n Miesmacher. Ich wette, ich bin die einzige die so dagegen wettert. *drop*
Egal, lassen wir das.

Was ich aber schon lange mal fragen wollte, obwohl es eigentlich total nebensächlich ist und vielleicht hast du dir auch gar keine näheren Gedanken dazu gemacht, aber… mit welchem Popstar teil D seinen Namen? ^^;; Jedes Mal heißt es „so wie der Popstar“ und mich würde interessieren, ob der jemals ne Rolle spielen wird, dieser Popstar. ^^;;
Und dann will ich wissen… WAS hat Kagami Aya denn so Wichtiges und Unglaubliches mitgeteilt? Das kannst du doch nicht einfach so verschweigen. O_o Du kannst es ja nur mir verraten. ^^ Nur mir, ich sag’s auch keinem weiter, ich versprech’s, oh großer und unglaublich genialer Meister! ^^ *dezent die Schleimspur hinter sich aufwisch* *hüstel*

Aber ich bin mir ziemlich sicher, du willst trotzdem meine Meinung zu den potentiellen Killern, bzw. den lieben Nachbarn wissen, ne? Hmmm…Ich werd keine ernst gemeinten Verdächtigungen aussprechen, dafür is’ es einfach noch zu früh, aber ich sag trotzdem was dazu, das is’ dann alles aber reine Spekulation. ^^
Aaaaaalso… der Reihe nach. Diese Zwillinge. Sind mir suspekt. Klar, logo, tauchen da einfach von der „Nachbarschaftshilfe“ auf und wirken dann auch noch so merkwürdig und dann scheint die liebe Ellen (und ja, das is’ tatsächlich ein merkwürdiger Name für die Kleine) auch noch ne Art jüngere Kopie von Aya zu sein (aber wenn sie nach Aya kommt hat sie zumindest das Glück nich’ so unscheinbar zu bleiben *in Ayas Ausschnitt schiel*) und es sind eben Zwillinge und die sind mir immer suspekt. Aber ob ich glaube, dass sie der/die/das Mörder sind? Hm, ehrlich gesagt, nee. Zumindest noch nicht. D hat schon Recht, in einem schlechten Horrorfilm wären’s die Kinder. Nach meinem momentanen Eindruck stimme ich ihm zu, aber wie gesagt, ich geb’ noch keinerlei festes Urteil ab. Wer weiß, vielleicht sind die beiden nach dem nächsten Kapitel meine Hauptverdächtigen? ^^;;;
Dann diese alte Fettel… Jaah gut, das is’ schon höchstgradig merkwürdig, von wegen Verwesungsgestank und dieses misanthropische Weltbild aber… im Ernst, das wär’ etwas sehr offensichtlich, oder? ^^;; Es riecht verwest, ergo schimmeln und gammeln ein paar Hirne im inneren des Hauses vor sich hin, die hinter’m Sofa vergessen, darauf warten, in Formaldehyd eingelegt zu werden? Weiß’ nicht. ^^; Ok, es KANN aber auch sein, dass die alte Frau gar keine alte Frau ist sondern jemand vollkommen anderes, eben keine alte misstrauische Frau… du weißt schon, was ich mein? ^^; Und das es nur eine Finte ist mit diesem Gestank, weil dann ja jeder denkt, dass das zu offensichtlich wäre und keiner draufkommt. Momentan find ich’s persönlich tatsächlich einfach zu einfach. Wenn man sich alle Mörder erschnüffeln könnte, bräuchten wir keine Kripo. Aber das kann sich nach dem nächsten Kapitel sofort ändern. ^^
Jaaah, und dann natürlich der liebe Herr Lehrer Isamiya! …Lehrer. Aha. Was soll ich davon halten? Gut, ich könnte einfach dasselbe davon halten wie Aya und D und davon ausgehen, dass er die Kleine vögelt, aber… weiß nicht. Wäre das nicht auch zu einfach? Oder sollte ich aufhören alles so kompliziert zu sehen? Aber egal, das is’ nicht der Punkt… er ist natürlich eine im höchsten Maße spannende Person und auch äußerst verdächtig. Nicht unbedingt verdächtig, der Mörder zu sein, aber auf jeden Fall einfach mal verdächtig. Sein Wissen, seine ganze Art und natürlich die Tatsache, dass er mir sympathisch ist – wer mir sympathisch ist, ist von vorneherein auf irgendeine Art und Weise verdächtig. ^^;;
Hm, und ist er eXinfernis? Ich könnte es mir gut vorstellen, aber andererseits passt er fast zu gut in dieses Bild. Und hätte er Aya seinen Namen genannt, wenn er eXinfernis wäre? Andererseits hat niemand gesagt, dass das sein wahrer Name sein muss, denn nehmen wir an, er wäre es, hätte er dann Aya seinen richtigen Namen verraten? Man weiß es nicht.
Ich hab übrigens auch zu diesem eXinfernis-Thema meine Vermutungen, aber dazu sag ich nichts. ^^
Und ob der Herr Lehrer der Mörder ist? Ohne irgendwas vor weg zu nehmen, sollte er eXinfernis sein, kann ich es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Warum sollte ein berühmter Hacker plötzlich auf Hirn lebendig stehen? Andererseits habe ich auch noch keinerlei Motiv für irgendwas gefunden und kann’s demnach nicht sagen. Und zu seinem Weib fällt mir nix ein. ^^;;
Als Fazit würde ich sagen, dass ich noch keinen wirklichen Verdächtigen nennen kann bzw. will, weil ich noch nichts Stichhaltiges habe. ^^; Somit hab ich die letzten 46 Zeilen eigentlich nur hin und her spekuliert und dabei nichts wirklich gesagt. ^^;; Andererseits hab ich es ja nicht einfach so gelesen, ohne wenigstens meine unqualifizierte Meinung dazu zu sagen. ^^ Immerhin lese ICH deine Storys gern und weil ich sie gut finde und nicht einfach nur quer und ohne wirklich darauf zu achten oder sie geschweige denn zu würdigen. Ò.ó
Aber lassen wir das. ^^;;
Ich hätte jetzt nämlich fast die wahrscheinlich schönste Szene im gesamten Kapitel unerwähnt gelassen. O_O Aber das schönste soll man sich ja bis zum Schluss aufheben, nicht? ^^
Aaaaah, die Szene mit dem an Ronins Brust schlafenden Ravin! Ich bin ja wirklich wirklich niemand, der einfach nur waii kreischt und sonst nichts aussagt, aber selbst ich komme nicht umhin, dieser Szene einen ganz fetten Stempel mit der Aufschrift „NIEDLICH“ aufzudrücken. ^^ Ach, ich fand ja beim letzten Kapitel den Gedanken einfach nur… einerseits kawaii, andererseits sehr seltsam, mir Ravin und Ronin als verheiratet vorzustellen, aber das jetzt zu erleben ist einfach zu… das ist… ich kann’s nicht beschreiben.^^;; Ronin als liebende und fürsorgliche Ehefrau is’ ja schon ne zu abartig niedliche Vorstellung… als Ravins Frau setzt’s dem ganzen noch mal die Krone auf, aber… Ravin, an Ronins Brust friedlich „schlafend“. ^^;; Wenn der Arme das wüsste. ^^;; Dein Bild dazu war ja schon genial… und jetzt das. Ich bin richtig versessen darauf, mehr von dem Eheleben der beiden zu erfahren. ^^;
Hm, ein bisschen tut mir der arme Ravin auch leid. Wegen dem ganzen mit den Gefühlen usw. Aber er kann ja nichts vermissen, das er nie hatte, nicht wahr? Es ist natürlich trotzdem nicht schön, aber so ist das nun mal. >.> *seufz* Man will sich bei Ravin irgendwie keine Gedanken darüber machen. Vor allem nicht, während er mit Ronin „verheiratet“ ist. So von wegen verliebt wie am ersten Tag usw. nicht? ^^;;

Hm ja, aber ich glaube, ich bin langsam zum Ende meines Kommis gekommen. Ich kann eigentlich nicht mehr viel mehr sagen, als dass das Kapitel wirklich richtig gut war. ^^ Sowohl inhaltlich als auch stilistisch…*drop*… hatte ich gesagt, dass die Deutschklausur ne Gedichtinterpretation war? *überall noch Daktyllen und Ellipsen und Enjambements im Kopf rumschwirren hat* O_o
Yo, somit kann ich nur sagen, ich freu mich auf das nächste Kapitel, hoffe, dass ich daraus jede Menge schöne Indizien fischen kann ^^ und verbleibe natürlich treue Leserin. ^^
Ebenso wie Freundin und Sklave ^^; und…
einen schönen Tag noch.
Yoko

PS: YEAH ^^ Ich bin die erste, die 'nen Kommi schreibt und somit denk ich auch mal die erste, die es gelesen hat. ^^ *freufreu*


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