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Deep Six

von

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Worlds apart

Das war es also.

Sein Leben sollte in sieben Kartons passen. Sieben unscheinbar braune Umzugskartons, die gerade so bis zu seinem Knie gingen, verschlossen durch einen ebenfalls braunen Streifen Klebeband oberhalb und unterhalb der Schachtel. Sieben Schachteln, vierzehn Klebestreifen, vollkommen ident. Absolut unpersönlich, bis auf die mit schwarzen Edding geschriebenen Großbuchstaben. Fünfmal stand da das Wort „BÜCHER“. Ganze fünfmal.

„Mein ganzes bisheriges Leben passt also in sieben Kartons.“, murmelte er leise, noch immer mehr oder weniger baff über diese Erkenntnis. Die übrigen zwei waren auch nichts Besonderes. In einem befand sich nur Kleidung, in dem zweiten die Klamotten, die nicht mehr in den eigentlichen Kleidungskarton hatten passen wollen, eine mehr als nur kümmerliche Sammlung an CDs, DVDs und Computerspielen, noch zwei Bücher, welche keinen Platz in einer der Bücherverpackungen gefunden hatten, ein paar wenige Briefe und Kleinkram, der zwar Platz wegnahm aber bei dem er es irgendwie nicht übers Herz gebracht hatte, ihn einfach wegzuschmeißen.

Das alles zusätzlich verpackt mit übrig gebliebener Luft.

Vielleicht hätte er das ganze Zeug doch reduzieren und ausmisten sollen. Vieles würde er sicher nicht mehr brauchen. Aber das hieße dann doch, dass sein Leben sich noch mehr reduzieren würde. Keine sieben Kartons mehr. Sechseinhalb. Wenn es hinkam. Sechseinhalb Kartons für 18 Lebensjahre.

Und wenn man es genau nahm, nur eineinhalb. Bücher zählten nicht zum Leben. Bücher waren Fluchtwelten. Wenn es nur so leicht wäre wirklich zu fliehen und nicht nur für kurze Zeit die Welt abzuschalten. Das Problem war, dass sie irgendwann doch wieder anfing sich zu drehen.

Oder er war einfach viel zu leicht zu verängstigen. Ganz besonders jetzt, wo er in dieser Stadt niemanden hatte, an den er sich wenden konnte. Als wäre das in Osaka wirklich anders gewesen. Natürlich waren dort seine Eltern und auch seine Freunde, aber das würde ihm nun auch nicht helfen. Dort war nun mal dort und nicht hier. Er wüsste sowieso nicht was besser wäre. Was auch daran liegen konnte, dass er von seinen sogenannten „Freunden“ eher akzeptiert als gemocht wurde. Das Verhältnis zu seinen Eltern war ebenfalls unausgereift. Etwas anderes zu sagen, wäre unfair. Die Beziehung war nicht schlecht, jedoch war sie auch nicht gut. Vor allem war sie nicht gut genug, um ihn hierher zu begleiten und bei den ersten alleinigen Gehversuchen zu unterstützen. Stattdessen wurde ein Freund geschickt. Oder vielmehr der Sohn eines Freundes. Eines Freundes seines Vaters. Im Prinzip ein völlig Fremder von dem er nicht wusste, ob er ihm vertrauen könnte.
 

Er war nicht am Bahnhof abgeholt worden. Stattdessen war ein Taxi bereit gestanden, um ihn zu diesem Ort zu fahren. Er hatte sich nicht um Geld bemühen müssen, es war alles geregelt, so wie immer. So hatte also die Gehhilfe für den Anfang ausgesehen. Eine Taxifahrt durch eine ihm fremde Stadt. Im Schweigen.

Und jetzt? Jetzt stand er zusammen mit sieben brauen, unscheinbaren, irgendwie unpersönlichen Kartons, die sein gesamtes Leben beinhalten sollten, inmitten des irgendwie engen und putzmittelverseuchten Ganges eines großen und noch unpersönlicheren Gebäudekomplex inmitten einer riesigen und völlig anonymen Stadt. Bis zur Uni dauerte es zehn Minuten zu Fuß. Das schien ihm auch schon das einzig Positive daran.

Wenn er sich wenigstens dazu durchringen könnte endlich und zum ersten Mal seine neue Wohnung zu betreten. Er wusste dennoch wie sie aussah. Oder vielmehr wie sie aussehen sollte. Extra hatte er sich neue Möbel gekauft. Ganz unpersönlich. Ob jemand sie aufgebaut hatte? Wann waren sie überhaupt hierher verfrachtet worden, wenn sie denn schon da waren? Das wusste er gar nicht. Bei seinem Vater konnte er nie wissen. Aber wäre es ihm überhaupt lieber so?

Spätestens nach dem dritten Mal aber, als ein und dieselbe Tür etwas weiter rechts den Gang hinaus wiederholt aufging und er ein neugieriges Augenpaar auf sich spüren konnte, gab er sich doch einen Ruck und kramte den Schlüssel hervor, dem er sich vor einer halben Stunde – so lange stand er nämlich schon vor dieser Tür und starrte Löcher in die Luft – beim Hausmeister unten abgeholt hatte, um diesen mehr oder minder entschlossen in die dafür vorgesehene Öffnung versenkte. Würde er sich nicht langsam ziemlich unwohl unter dieser Beobachtung fühlen, wäre es das gewesen. So jedoch folgte der nächste Schritt sofort und die Tür schwang viel zu schnell auf. Wie gut, dass es Türstopper gab, sonst hätte er sicher noch ein Loch in der Wand. Was nicht zu dem gehörte, was er als guten Start verstand.

Die Tür ließ er offen, die Schachteln blieben jedoch draußen.

Die hätte er sowieso nicht tragen können. Den Kleidungskarton vielleicht schon, und die Krimskramsschachtel mit der Restkleidung, der kümmerlichen Sammlung und den zwei Büchern, die nicht mehr zu den anderen gepasst hatten, die Luftverpackung, die könnte er tragen. Die fünf Bücherverpackungen jedoch würde er stehen lassen müssen. Er war weder besonders groß noch besonders schwer. Und stark war er schon gar nicht. Abgesehen davon war auch sein Selbstbewusstsein nicht das Gelbe von Ei. Vielleicht hätte er sich sonst doch herangetraut, etwas aufzuheben, was fast die Hälfte von ihm wog. Last der Bildung, oder so.
 

Die Wohnung war etwas größer als er es sich vorgestellt hatte. Davon abgesehen, dass im Schätzen sowieso nicht gut war. Viel zu viele Zimmer. Eigentlich brauchte er nur eines davon. Und Küche und Bad. Vielleicht sollte er seinen Büchern einen extra Raum zur Verfügung stellen. Wenn man ihn denn schon zur Verfügung hatte.

Auch hier standen Unmengen von Verpackungsmaterial. Seine neuen Möbel. In seinem neuen Zuhause, das irgendwie nach Krankenhaus roch. Das könnte jedoch auch der Geruch vom Gang sein, der sich hier breitmachte und mit einem anderen Duft vermischte. Dem nach frischer Farbe, die noch nicht völlig trocken war. Alles unberührt und neu. Völlig unpersönlich.

Nein, unpersönlich fand er sogar ganz gut. Unpersönlich hieß auch, dass er diese neuen leeren Seiten in seinem Leben selbst schreiben konnte. Ganz so wie er wollte.

Bei dem Geruch jedoch wurde ihm schlecht, weswegen er sich durch das Labyrinth am Boden schlängelte, in Richtung des Fensters, dass er sogleich aufriss. Darauf achtend bloß nichts umzuschmeißen. Dabei wäre das fast egal. Es war ja sein Zeug. Und Sorgen um einen Ersatz hatte er sich auch nie machen müssen.

„Ah, du bist schon da?“, war was er hörte, während er sich noch aus dem Fenster lehnte, um die frischere Luft zu inhalieren. Aber diese Frage war es, die ihn dazu brachte sich sofort umzudrehen und zum Eingang zu sehen. Die stark blondierten, langen Haare waren das erste, was ihm auffiel. Gefolgt von den irgendwie unnatürlich hell wirkenden Augen. Für einen kurzen Moment dachte er darüber nach, ob ihm hier wohl ein Nicht-Japaner gegenüberstand. Aber das hielt er für nicht sehr wahrscheinlich. Aus dem einen Grund, weil sein Japanisch absolut perfekt war und aus dem anderen, weil es nur eine Person gab, die ihn erwartete. Und die war nun mal ein Japaner. Wenn auch ein sehr merkwürdiger. Wahrscheinlich waren das auch einfach Kontaktlinsen. Die trugen auch immer mehr Menschen. Und das nicht, weil sie sie brauchten, so wie er selbst.

Auf die Frage, ob er Manabu wäre, nickt er zunächst nur leicht und ging dann wieder ein Stück vom Fenster weg den Weg zurück. Der Blonde kam ihm entgegen und hielt ihm dann auf halben Weg die Hand hin. Eine Geste, die ihn irritierte. Händeschütteln war in diesem Land doch mehr als ungewohnt, doch das schien dieses Exemplar eines merkwürdigen Japaners kein Stück zu interessieren. Und das sollte tatsächlich der Sohn eines Politikers sein? Eines Freundes seines Vaters? Und obwohl es nicht recht in sein kleines Weltbild passen wollte, schlug er zögerlich ein.

„Masahito, kennst du ja, kannst mich Byou nennen.“, stellte der Blonde sich vor und langsam schwirrte ihm wirklich der Kopf. Was man nicht alles tat, um etwas aus seinem Leben zu machen.

„Freut mich.“, nuschelte er leise und zog die Hand zurück nachdem sie wieder frei war. Das war doch mal eine höchst seltsame erste Begegnung. Und es sollte wirklich dieser Mann sein auf den er angewiesen sein würde. Der sich bereit erklärt hatte, ihm beim Einzug und bei der Eingewöhnung zu helfen. Hatte er sich überhaupt breitschlagen lassen oder hatte er nur keine Wahl gehabt? Der Händedruck zumindest war freundlich gewesen. Wenn auch ungewohnt. Aber was wusste er schon.

„Tut mir übrigens leid, dass ich keine Zeit hatte, dich abzuholen. Ging sich nur nicht mit der Schicht aus.“, sagte Byou dann plötzlich und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare.

„Kein Thema.“, piepste er fast zurück. Gerade fühlte er sich unendlich klein. Oder wie ein Reh vor einem Wolf, so wie er den Größeren gerade ansah. Oh ja, das war dann wohl wirklich der Mann, auf den er angewiesen sein würde. Und ja, er trug Kontaktlinsen. Aus der Nähe konnte man das viel besser sehen.

„Wobei…hergefunden hast du ja.“, murmelte der Blonde weiter und sah sich in dem Raum um, wobei er sich nur einmal mehr durch die Haare fuhr. Ja, er fand es wirklich etwas seltsam hier. Aber er war es sich auch nicht unbedingt gewohnt sehr viel mit Menschen zu reden. Zwar sprach er einigermaßen viel mit sich selbst – dachte er zumindest, aber normale Menschen redeten doch nicht mit sich selbst – aber mit anderen Individuen, die er sowieso gar nicht kannte, plötzlich eine Unterhaltung zu führen, war Neuland für ihn. Er hatte schon immer lieber geschwiegen.

Ein wenig hilflos zuckte er mit den Schultern.

Was machte er hier überhaupt? Er stand inmitten einer für seine Bedürfnisse viel zu großen Wohnung, mit einem Kerl, den er gar nicht kannte, auf dem er aber angewiesen war. Hier inmitten der Einzelteile, aus denen er sein neues Leben zusammenbauen musste.

Und vor der Tür stand sein altes Leben. Abgepackt in sieben oder sechseinhalb oder zwei oder eineinhalb Kartons, zusammen mit unnötigen Krimskrams und viel Luft. Und hatte er es vorhin noch gut im Auge gehabt, wusste er nun gar nicht mehr wohin mit seinem Leben. Und ob er das überhaupt schaffte, hier in dieser riesigen, anonymen Stadt. Wie stellte er sich eigentlich vor das zu schaffen?

„Ist eigentlich auch egal, ich schlag dir nur vor, dass wir die Schachteln vor der Tür hier reinverfrachten, ehe es da draußen noch zum Aufstand kommt…“

Aber egal wie unpersönlich das Ganze hier auch war. Jetzt war er irgendwo froh, dass er wenigstens etwas Hilfe bekam und sich diesen leeren Seiten nicht vollkommen alleingelassen stellen musste.

Hang-up

Byou war 23 Jahre alt. Gute fünf Jahre älter als er. Die Frage war, wie viel dieser Unterschied wirklich ausmachte. So wie es gerade doch sehr viel, da er sich ehrlich gesagt nicht wirklich traute auch nur ein Wort an den Älteren zu richten. Obwohl nein, das lag wohl eher nicht an diesen fünf Jahren. Oder zumindest nicht nur. Ein dafür eher bedeutender Punkt war sicherlich auch das optische Erscheinungsbild. Der Ältere war blond. Aber so richtig blond. Wobei er sich zugegebenermaßen eigentlich gar nicht auskannte bei diesen vielen Tönen, die es angeblich gab. Von Strohblond über Weißblond bis Goldblond. Einen wirklichen Unterschied sah er da nicht wirklich.

Wie sollte er diese Farbe einfach beschreiben? Byou war einfach nur verdammt blond. Die hellen Haare waren auch das erste, was einem ins Auge stach, zusammen mit dem leichten Gelbstich. Wortwörtlich ins Auge stechen. Schlimm wurde es sicherlich dann, wenn Licht darauf fiel. Spätestens dann würden sie noch mehr blenden, als sowieso schon. Das Haar allein war jedoch nicht das einzige, was den Älteren irgendwie kühl wirken ließ. Verstärkt wurde diese Ausstrahlung von den hellen Kontaktlinsen. Er war nicht sonderlich gut mit Farben. Dafür schien ihm einfach die Liebe zu fehlen, weshalb es ihm auch schwer fiel, hier wieder etwas einzuordnen. Irgendwie gräulich Blau. Oder bläulich Grau. Da lag doch genauso wenig Differenz wie zwischen Blond und Blond. Vielleicht war er auch einfach zu realistisch, um sich diesen ganzen Träumereien hinzugeben. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass er zu phantasielos wäre. Aber irgendwie klang das alles zusammen nicht besonders schmeichelhaft.

Aber wann war die Wahrheit schon schön?

Er konnte auch gar nicht wirklich sagen, was er sich vorgestellt hatte, als er das erste Mal von seiner Starthilfe gehört hatte. Wohl aber etwas anderes, als das, was er hier serviert bekam. Und das noch auf dem Silbertablett mit Fingernägeln, die aussahen, als hätte er diese nur schnell und notdürftig mit Nagellackentferner bearbeitet. Und so jemand sollte neben seinen Job als Starthilfe, Sohn eines Politikers sein. Eines Politikers, der mit seinem Vater befreundet, sogar gut befreundet war. Und dennoch traute er sich tatsächlich so auf die Straße zu gehen?

Byou war, um es in einem so schmeichelhaften Wort, wie es ihm möglich war, auszudrücken, komisch. Wobei er gar nicht behaupten wollte, dass er seltsam war. Auch wenn diese beiden Ausdrücke irgendwie zuzutreffen schienen, erschien es ihm unhöflich auch nur in die Richtung zu denken. Schließlich war es der Blonde, der inmitten des Chaos saß und sein Bett zusammenschraubte, während er ihm nur stets die Schrauben reichte, die der Ältere gerade brauchte. Das hieß, sie versuchen vielmehr den Kampf gegen das widerspenstige Möbelstück zu gewinnen. Auch wenn Manabu seiner sogenannten Starthilfe versichert hatte, dass es ihm nichts ausmachte auch eine Nacht mit der Matratze auf dem Boden zu schlafen.

Es entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, erschien ihm aber irgendwie trotzdem die bessere Lösung. Aber wahrscheinlich würde er so oder so nicht, um das Fluchen des Blonden herumkommen. Das war so eine Sache, in die der Ältere wirklich gut war. Angefangen hatte es schon, als sie gemeinsam seine sieben Luftverpackungen vom Gang kurzerhand in die kleine Küche, oder vielmehr eine Kochhöhle, geschafft hatten, wo sie noch immer standen. Der Auslöser dürfte einer der fünf Kartons, ein Teil seines Lebens, gewesen sein, auf dem groß mit schwarzen Edding „BÜCHER“ geschrieben stand, der ihm, nachdem er sich geweigert hatte, sich von Manabu dabei helfen zu lassen, auf den Fuß gefallen war. Doch was sollte man machen? Wer nicht hören wollte, musste schließlich fühlen.

Die Folge war nur, dass der Ältere nun mehr oder weniger und sowieso nur irgendwie schmollend auf dem Boden hin und her rutschte und nur noch lauter vor sich hin grummelte, wenn er dann aufstehen musste, um irgendein Teil 35A mit einem Teil 22D zu verschrauben. Und sein Pech war, dass er keine Hilfe zu sein schien. Vielmehr fühlte er sich im Weg. Das war er wahrscheinlich auch. Es war nun mal auch so, dass er nicht in der Lage war einen Plan zu lesen. Nur fliehen konnte er von diesen Geschehen auch nicht, Eigentlich wäre es ja doch seine Aufgabe gewesen, seine eigenen Möbel zusammenzubauen. Doch seine schon erwähnte Unfähigkeit im Lesen von Plänen hinderte ihn dabei recht deutlich. Byou schien damit keine Probleme zu haben. Ehrlich gesagt, sah es bei ihm fast wie Routine aus. Vom den gehäuften Kraftausdrücken mal abgesehen. Wobei die sicherlich zu seiner Routine gehörten, auch wenn das wirklich nicht zu empfehlen war. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Oder vielmehr: Ganz besonders nicht da.

Außer man wollte schief von der Seite angesehen werden. Aber das wurde der Ältere sicherlich auch so schon. Natürlich hatte er Zuhause auch genug Frauen gesehen, die mit aufgehellten Haarprachten herumgelaufen waren. Jedoch niemals so hell.

Das könnte natürlich auch daran liegen, dass die wenigen weiblichen Geschöpfe mit denen er zu tun hatte einfache Schulmädchen gewesen waren. Und Haarefärben war in den meisten Schulen wirklich nicht erwünscht, weshalb man auch immer sehr genau hinsehen musste. Blind, wie er aber war, war das leichter gesagt als getan.
 

„Hey, Kleiner.“ Man wollte gar nicht erst glauben, wie unglaublich lange es doch dauerte, bis Manabu sich rührte. Bis er kapierte, dass er angesprochen wurde. Wenn man berücksichtigte, dass nur sie beide in der kleinen Wohnung standen, waren diese exakt zehn Sekunden, in denen er den Älteren nur ansah, wirklich übertrieben lang. So oder so, waren sie überflüssig, wobei er sie trotzdem nutzen musste, um eine Erwiderung zu suchen. Jedoch war diese Suche nicht vom Erfolg gekrönt. Das schien Byou auch gar nicht zu stören.

„Am Ende der Straße ist ein Konbini.“ Schon dieser Satz reichte vollkommen aus, um ihn verstehen zu lassen, was der Ältere wollte. Ihn loswerden, oder so ähnlich. Nur etwas schöner ausgedrückt.

„Hol mir doch ein Bier.“, bat der Blonde mit einem schiefen Grinsen. Man sollte meinen, das wäre alles überhaupt kein Problem. Eigentlich war es für Manabu auch überhaupt kein Problem. Lieber spielte er Laufbursche, als sich hier Schimpfwörter anzuhören, bis ihm die Ohren schlackerten. Zudem war es vielleicht sogar besser, wenn Byou sein gewünschtes Bier bekam. Vielleicht wurde er dann etwas ruhiger und gnädiger im Umgang mit seinem neuen Bett, dessen Gestalt ganz allein vom dem Blonden abhing. Ja, wo war also das Problem? Ganz einfach.

„Aber ich bin erst 18.“, nuschelte er beinahe unverständlich in seinen nicht vorhandenen Bart. Doch auch das schien Byou herzlich wenig zu begeistern.

„Sag einfach, dass es für mich ist, dann lassen die das schon durchgehen.“ Gut. Das war nicht sonderlich überzeugend. Eigentlich gar nicht. Wieso auch sollten die Angestellten einem Minderjährigen irgendeine Form von Alkohol verkaufen, nur weil er sagte, dass er geschickt worden war. Aber das käme dann wohl wirklich auf einem Versuch. Dabei gehörte er doch gar nicht zu den experimentierfreudigen. Was jedoch sollte ihm auch anderes übrigbleiben, als sich mit einem leisen „Okay…“ Geld in die Hand drücken zu lassen, und sich sofort zu verabschieden und beinahe schon fluchtartig die Wohnung zu verlassen. So wirklich gewohnt war er es nicht so viel Unterhaltung zu führen. Viel war schon ein sehr relatives Wort, wenn man seine drei Sätze bedacht, die er während seiner Anwesenheit gesprochen hatte. Lieber stand er still daneben und hörte zu. Nur ging das schlecht, wenn man nur zu zweit war. Und einfach ignorieren konnte er es auch nicht. Dazu war er dann doch viel zu gut erzogen. Vielleicht hätte ihm das aber auch von Zeit zu Zeit einigen Ärger erspart. Und während er so darüber nachdachte, was er in den letzten 18 Jahren vielleicht hätte besser machen können, lief er die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Dem Aufzug traute er ehrlich gesagt nicht. Das lag nicht daran, dass er nicht stabil genug aussah. Mehr daran, dass er solche engen Orte wirklich nicht mochte. Da wurde er stets sehr angespannt. Konnte natürlich auch sein, dass er sich das nur einbildete.

Dennoch spürte er schon eine gewisse Erleichterung als er aus dem Eingang hinaus in den riesigen Ameisenhaufen namens Tokyo trat. Die Stadt in der er sich wohl seinen Lebtag nicht auskennen würde. Wie gut, dass es Ende der Straße geheißen hatte. Wie dumm jedoch, dass eine solche zwei Enden hatte, mit noch mehr Menschen, die hier liefen, jeder mit seinen ganz eigenen Ziel. Sollte er es als sein Glück ansehen, dass ihm das große 7-Eleven sofort ins Auge sprang. Nein, er hatte nie sonderliches Glück gehabt in seinem Leben. Zwar auch kein sonderliches Pech, aber definitiv kein Glück.

Das mit dem Pech jedoch überlegte er sich lieber nochmal, nachdem er sofort mit dem nächstbesten der vielen Körper, sie hier unterwegs waren, zusammenstieß. Nein, er war nie ein Kind des Glücks gewesen. Jedoch hatte er auch nie gedacht, dass es ihn so schnell verlassen würde, passte er einmal nicht auf.

Selbst fiel er beinahe nach hinten, konnte aber gerade noch so das Gleichgewicht halten. Auch sein Hindernis wankte kurz, blieb aber standhaft. Nur der Kaffeebecher fiel auf dem Boden und beinahe schon geschockt sah er ihm hinterher, wie dieser in Richtung der Straße rollte, ehe er von einem der vielen Füße der Passanten, die sich um sie spalteten und ihnen kurze Blicke zuwarfen, bevor sie sich dem Strom wieder anschlossen, weitergetragen wurde, bis er schließlich aus seinem Sichtfeld verschwand.

„Na, toll, das war das einzige saubere Hemd, das ich noch hatte.“ Aus der Starre befreit schnellte sein Blick von dem Boden nach oben zu seinem Opfer, das sein ehemals weißes Hemd von oben herab betrachtete, die Hände halb erhoben. Beinahe sofort kniete Manabu fast schon vor diesen Fremden und entschuldigte sich gefühlte tausende Male für seine Unachtsamkeit. Er bot sogar an es zu waschen, was eine ziemlich dumme Idee war, da er weder eine Waschmaschine besaß, noch dass es wahrscheinlich wäre, würde er diesen Kerl jemals wieder sehen. Zumindest die Kosten konnte man doch übernehmen. Nicht dass es wirklich am Geld scheitern würde. Davon bekam er doch genug.

Und während seine Nase so wirklich fast den Boden berührte und er neben den vielen Seitenblicken noch einen mehr als verdutzten auf dich spüren konnte, wurde ihm diese ganze Sache immer peinlicher. Sollte er das als schlechtes Omen auffassen. Konnte doch nicht sein, dass seine ersten Schritte, die er in dieser Stadt alleine machte, gleich in die Hose gingen. Oder als Kaffee auf das eigentlich schneeweiße Hemd irgendeines Wildfremden. Ganz wie man es nahm.

„Sch…schon gut.“, waren dann schlussendlich die verdatterten Worte, die ihm einen kleinen Stern vom Herzen fallen ließen. Aber wirklich nur einen sehr kleinen. Auch hielt es ihn nicht davon ab sich munter weiter zu entschuldigen und weiterhin immer wieder tief zu verbeugen, während er sich wie vorhin schon fast fluchtartig weiterbewegte. Erst als ihn der Menschenstrom wieder verschluckte, richtete er sich wieder zu seiner vollen, mageren Größe auf, um schnell vom Ort des Geschehens zu verschwinden. Sein Ziel war nicht der 7-Eleven auf der anderen Straßenseite. Nicht mehr zumindest. Viel lieber verzog er sich in die leere Seitengasse, die sich plötzlich neben ihm auftat.

Der Menge entkommen lehnte er sich mit einem Seufzen gegen die raue Häuserwand.

„Wieso war mir das so klar?“, fragte er sich leise über den Lärm von draußen hinweg. Wieso war es ihm so klar, dass gleich am ersten Tag irgendetwas schief gehen würde. Und sein es nur ein absolut ungewollter Fehltritt, ein völlig unbedeutender Zwischenfall, gegen irgendeinen Fremden. Das hieß doch nicht, dass es so bleiben würde. Kannte er doch schon. Hatte er auch schon alles hinter sich. Man sollte ja meinen, dass man sich in einer neuen Stadt besser einfinden konnte, wenn man von vorne anfangen durfte. Denkste. Sein nicht vorhandenes Glück holte ihn sogar hier noch ein. Vielleicht war er auch einfach ein Schwarzseher.

Jedoch ein Schwarzseher, der schon jetzt eine kurze Verschnaufpause brauchte. Und das am ersten Tag. Am ersten halben Tag. So lange war er schließlich noch gar nicht hier. Das einzig Gute war, dass ihn niemand vermissen würde, wenn er mal eben etwas länger weg war. Auch wenn das sehr einsam klang. Und irgendwie alles andere als gut.
 

Wie lange er dann schlussendlich hier einfach nur gestanden und Löcher in den Boden gestarrt hatte, konnte er gar nicht sagen. Es war kaum merklich etwas dunkler geworden und auch die Menschen hatten sich etwas verteilt, wie ihm ein Blick zur Seite offenbarte. Doch dieser kurze Blick zeigte ihm gleich noch mehr. Allen voran ein blonder Haarschopf, der sich von der anderen Straßenseite aus auf ihn zubewegte, eine Dose, vermutlich Bier, in der Hand. Gerade dieses Bild ließ ihn sich daran erinnern, was er genau nochmal hätte wollen sollen. Und was er nicht gemacht hatte.

Der erwartete Ärger jedoch blieb aus. Der Ältere war ja auch nicht sein Vater.

„Hab schon gedacht, du hast dich verlaufen.“, hörte er Byou schon von Weiten. Aber darauf regierte er erst gar nicht.

„Warst ziemlich lange weg. So lange, dass das Bett schon steht. Hab mir schon fast Sorgen gemacht. Wasn los?“, fragte der Blonde und als Manabu ihm in die Augen sah, bemerkte er, dass sich diese kalten Farben mittlerweile aus ihnen verabschiedet hatten. Und irgendwie erleichterte ihn auch das. Ließ den Älteren menschlicher wirken. Und trotzdem zuckte Manabu nur höchst hilflos mit den Schultern. Was sollte denn schon los sein, wenn er mutterseelenallein in irgendeiner dunklen Seitengasse an der Wand lehnte, statt eine Erfrischung für den Erbauer seines Bettes zu besorgen. Eines Bett, das aufgebaut worden war, in der langen Zeit in der er einfach nur hier gestanden und Löcher in die Luft gestarrt hatte.

Nur, dass das Byou nicht wirklich zu beeindrucken schien.

„Dann eben nicht.“, brummte der Ältere mit einem Kopfschütteln. Als würde er sich fragen worauf er sich da überhaupt eingelassen hatte.

„Alles, was ich mache, ist falsch.“, platze es dann doch aus ihm heraus. Und der Blonde sah ihn einfach nur eine Weile an, ehe er hörbar genervt seufzte und sich mit einer fließenden Bewegung die Haare aus dem Gesicht strich, die ihm bei der vorangegangenen Bewegung ins Gesicht gefallen waren..

„Ich weiß ja nicht, was du bis jetzt großartig gemacht hast, damit du das sagen kannst.“

Wenn er damit sagen sollte, wie ach, nutzlos er doch war, dann dankte er vielmals. Aber das war ihm doch sowieso klar, die extra Betonung hätte es also wirklich nicht gebraucht. Sein Blick schien auch genau das auszusagen, dem Blick, dem Byou ihn zuwarf nach zu urteilen. Ohne die Kontaktlinsen wirkte es gleich viel wärmer.

„Besonders viel Selbstvertrauen scheinst du ja nicht zu haben. Aber egal, das prügeln wir dir schon ein, wirst sehen. Jetzt komm erstmal wieder mit.“, grinste der Ältere schließlich mit einem fast unheilvollen Grinsen, legte einen Arm um seine Schulter und führte ihn dann langsam wieder zurück zu dem Eingang des Treppenhauses.

Unterwegs musste Manabu sich allerdings fragen, ob das denn wirklich so eine gute Idee war. Und noch mehr, was er von diesen ominösen „wir“ bloß halten sollte.

Away

Wie hatte er sich das eigentlich wirklich vorgestellt? Wohl irgendwie einfacher. Und vielleicht weniger seltsamer. Dabei hatte er doch eigentlich immer das Gefühl gehabt, dass er zu den seltsamen Leuten gehörte, die sich lieber hinter den Büchern verkrochen und die die Leute mieden. Aber wahrscheinlich hatte er das auch getan, gerade weil er gemieden worden war. Und noch wahrscheinlicher war das alles ein einziger Teufelskreis. Während er immer weiter in den Seiten verschwand, entfernten sich auch alle anderen immer mehr. Und zwar von ihm. Aber irgendwie war man das doch gewohnt. Und so wirklich störte es ihn auch gar nicht. Vielleicht auch einfach, weil er diese ganze Drumherum nicht kannte. Er war auch gar nicht der Typ dafür. Nicht, dass es ihn nicht interessiert hätte.

Aber es war doch zu spät, wenn man hinterher darüber nachdachte. Auch wenn er nicht glaubte, dass Byou ihn einmal mit in das Nachtleben Tokyos nehmen würde. Als ob er es unter den Leuten überhaupt gut aushielt. Nein, er war wohl wirklich die Art Mensch, die sich gerne in den eigenen vier Wänden verkroch. Rührte von der Strenge seines Vaters. Wobei Vater auch eher so ein Begriff war, den er für diesen Mann nicht allzu gerne verwendete. Auch wenn er seinen Vater schon achtete und irgendwie auch sicher liebte. Nur hatte er nicht viel Väterliches an sich. Einer der Gründe, wieso es ihn nicht in Osaka gehalten hatte.

Dabei müsste man meinen, dass diese Stadt ebenfalls groß genug sei.

Die Universitäten hier waren besser, hatte er gesagt. Und es war auch nicht gelogen. Die Universitäten waren hier tatsächlich besser. Viele leider viel zu gut für ihn. Er war nicht dumm. Nicht übermäßig. Aber es gab doch verschiedene Arten von Intelligenz. In Sachen sozialer Intelligenz durfte er sicherlich von sich behaupten, strohdumm zu sein. Das fiel ihm hier mal wieder mehr auf, während das rebellische blonde Schaf seiner Familie abermals in seiner Wohnung stand und weiter versuchte irgendetwas aufzubauen. Noch war Zeit bis das Semester begann. Wäre auch sehr schön, wenn bis dahin alles stand und er sich nicht alles aus seinen Luftverpackungen und Kleiderkartons suchen musste, um es anschließend wieder dort hinein zu bugsieren. Sicherlich würde die ganze Sache auch viel schneller von Statten gehen, würde nicht nur eine Person arbeiten und die Zweite so tun, als arbeitete sie, obwohl sie es ganz offensichtlich nicht tat.

Das versuchte er ja auch gerade. So tun, als würde er arbeiten. Ehrlich gesagt, hatte er noch immer keinen rechten Schimmer, was hier zu tun war. Die Pläne hatte er sehr wohl gelesen und versucht zu verstehen, als er am Abend noch ewig wach im Bett gelegen hatte. Zu dem musste man auch sagen, dass seine sogenannte Starthilfe das Bett in der Halbzeit in dem Manabu halbherzig versucht hatte, illegal Alkohol zu kaufen, verdammt schnell aufgebaut hatte. Zumindest war er definitiv schneller gewesen als vorhin, als er noch dabei gewesen war.

Nach Byous Version hatte es sich so zugetragen, dass er irgendwann nachdem er gegangen war, auf die glorreiche Idee kam seine farbigen Kontaktlinsen herauszunehmen. Das ließ ihn nicht nur weniger kühl wirken, sondern anscheinend auch viel besser sehen, womit es ihm dann plötzlich ein Leichtes gewesen war, die richtigen Teile nicht nur schnell zu finden, sondern auch sicher zu verschrauben. Womit sein neues Bett nun in einem Zimmer der Wohnung stand. Das machte einen „vollen“ oder wenigstes genutzten Raum in dieser Wohnung. Von insgesamt drei. Plus Küche und Bad. Mehr als er brauchte. Viel mehr. So viele Möbel hatte er auch gar nicht.

Aber das Bett stand und das war wohl die Hauptsache.

Von seiner eigenen Version der Geschichte fing er wohl lieber gar nicht erst an. Das war nicht besonders gut für das Selbstvertrauen. Ein fluchender Byou jedoch auch nicht. Die Linsen hatte er heute natürlich wieder drin. Wieso genau war Manabu eigentlich ein Rätsel. Besonders wenn sie so störten, wie er sagte. Man sollte sicherlich auch meinen, dass es nicht so schwer war ein Bücherregal aufzubauen. Auch wenn es so groß war, wie dieses. Eigentlich waren es sogar zwei. Zwar hatte er gerade nur fünf Kartons auf denen dick und fett „BÜCHER“ stand, aber so wie er sich kannte, würden es viel zu bald wieder viel zu viele werden. Das war so ein Punkt bei dem sein Vater mehr praktisch war. Der Geldhahn floss und floss. Ob er wohl irgendwann zugedreht wurde. Wäre ihm das eigentlich recht, oder nicht? Wirklich etwas selbst geschaffen hatte er bis jetzt noch nicht. Handwerklich schon gar nicht. Da war er einfach nicht begabt. Eigentlich war er ja doch dümmer, als er zuerst angenommen hatte. Seine soziale Kompetenz konnte man völlig vergessen, sein Selbstbewusstsein in die Tonne kicken und noch dazu hatte er keinerlei Phantasie oder handwerkliches Geschick.

Sein Leben passte in sieben Kartons. In sieben Luftverpackungen. Eine Luftverpackung. Ein Kleiderkarton und Unmengen von Büchern.

Er mochte Geschichten. Das war es auch schon. Aber er war ja nicht einmal gut darin zu träumen. Sonst wüsste er doch, was er mit seinen Leben machen wollte. Und ausnahmsweise sprach er dabei nicht von der Luftverpackung. Und auch nicht von allen anderen Schachteln, die noch immer ihr Dasein in seiner Kochhöhle fristeten. Dort würden sie wohl auch noch eine Weile bleiben, wenn das so weiterlief.
 

Ja, er fühlte sich schon noch sehr nichtsnutzig hier. Leider bekam der Blonde die neue Herausforderung auch nicht wirklich auf die Reihe, dazu waren die vielen Bretter zu lang und zu hoch gelegen. Also auch nichts, wobei er helfen könnte. Auch wenn er geholfen hätte.

„Dabei hab ich ihm gesagt, dass ich seine Hilfe brauche.“, grummelte der Ältere leise in sich hinein und stellte im selben Atemzug das lange und viel zu schwere Stück Holz zurück an die Wand, wo noch andere standen. An sich stand das große Regal schon. Jetzt musste man nur noch die Reihen an ihre Stelle bringen. Doch genau daran scheiterte es. Es war nun eben doch zu hoch. Und vor allem auch ziemlich schwer. Das könnte natürlich auch an seinen mehr nicht vorhandenen Muskeln liegen, aber man redete sich ja gerne etwas anderes ein. Vor allem dann, wenn man sowieso kein Selbstbewusstsein hatte. Wie denn auch, wenn das eigene Leben in sieben Kartons passte?

Nachfragen vom wem der Ältere sprach, tat er auch nicht. Byou schien auch schon bemerkt zu haben, dass man mit ihm wohl nicht gut reden konnte, deswegen akzeptierte er es wohl, dass er keine Antwort bekam. Aber es hielt ihm nicht davon ab munter weiter auf ihn einzureden. Hauptsächlich darüber, wie ach, wenig Selbstvertrauen er doch hatte und dass das doch nicht ginge und man definitiv etwas dagegen machen musste. So war alleine das Thema etwas auf das er nicht gerne antwortete. Dann lieber weiter hinter den Büchern verkriechen, deren neues Zuhause hier gerade fertiggestellt werden sollte.

Ein anderes Thema war die letzte Wand, die es erst heute zu weißer Farbe gebracht hatte. Dort hatte er mitgeholfen. Und sich nebenbei erzählen lassen, dass der Ältere einfach nicht vorher dazu gekommen war, die gesamte Wohnung zu streichen. Schließlich musste er noch arbeiten. Manabu hätte sich sicher nicht darüber beschwert. Das, was er hier bekam, war sowieso weit mehr, als er erwarten durfte. Ob Byou wohl von seinem Vater bezahlt wurde? Das wäre doch einleuchtend. Wieso sollte er ihm denn auch sonst so lange helfen?

Eigentlich war es auch geplant gewesen, dass er in eine fix und fertige Wohnung einzog. Solange sein Vater das auch dachte, war auch alles in Ordnung. In solchen Sachen war er auch sehr genau. Einfach ein typischer Perfektionist. Der auch andere mit reinzog. Aber wie sollte ein Mensch alleine in so kurzer Zeit eine ganze Wohnung renovieren? Obwohl…hatte der Ältere denn nicht gerade gesagt, dass er Hilfe hatte? Oder zumindest jemanden, der ihm helfen konnte, während er auch noch seine Arbeit unter den Hut brachte. Was er wohl machte? Interessieren würde es ihn schon, aber er war zu feige, um zu fragen.

Stattdessen war er damit beschäftigt Teile des ausgelegten Papiers, das die vielen Farbtropfen vom Boden fernhalten sollte, zu entfernen. Da wo die Farbe noch nicht trocken war, traute er sich das nicht, deswegen blieb es dran. Der Rest landete im Papierkorb. Der war auch schon voll bis obenhin und weiter.

„Keine Ahnung, ob du irgendwann noch ein wenig Farbe hier reinbringen willst, aber wenns so weit ist, kannst du mich ruhig um Hilfe bitten.“, erklärte der Ältere in aller Seelenruhe dem Farbeimer mit der Weißen Farbe, der nur noch halbvoll war. Zumindest sah er nicht zu ihm hoch, während er dann doch den Deckel schloss, nachdem Manabu es dann doch geschafft hatte das letzte Stück auch noch schön einheitlich Weiß zu streichen. Das Regal musste dann wohl noch warten. Ob sie bei diesem Tempo wirklich fertig wurden?

„Jetzt geh mal den Pinsel auswaschen, bevor die Farbe noch eintrocknet, die Dinger sind teuer.“, sagte Byou und deutete auf den breiten Pinsel in seiner Hand. Diese komische Rolle, von dem er nicht genau wusste, wie es hieß, wenn es denn einen speziellen Namen hatte, hatte Byou ihm nicht in die Hand gedrückt. Nach dem Älteren war es eine Farbwalze. Aber aus Gummi. Deswegen wohl nicht.

Er hatte sich nicht beschwert. Er würde sich hier auch kein einziges Mal beschweren. Meist nickte er einfach nur ergeben und machte die Laufburschenaufträge. Und wenn das hieß, dem Älteren nur ein Glas Wasser zu holen. Das war doch eigentlich auch besser, als zu etwas anderes eingeteilt zu werden. Oder noch schlimmer nur dumm in der Gegend zu stehen und anderen beim Arbeiten zuzusehen.
 

Wie immer nickte er also nur, wenn das bedeutete nicht unbedingt den Mund aufzumachen und trollte sich in Richtung Badezimmer, dass ganz am Ende des L-förmigen Ganges lag, der die Wohnung durchzog. Wobei er gar nicht so weit kam. Seine Probleme schienen ja immer recht früh zu beginnen. Am besten nahm er die Sache von wegen kein Pech schnell wieder zurück. Aber wie hätte er das auch erwarten sollen?

„Na, toll, und das war mein Lieblingsshirt.“ Während also der Pinsel samt der Weißen Farbe nicht nur im schwarzen Lieblingsshirt dieser Person, sondern auch an seiner Wange klebte, überlegte er fieberhaft, wieso ihm diese Stimme so bekannt vorkam. Natürlich war das hier ein absolutes Déjà vu, das er hier erlebte. Wenn auch ohne Kaffeebecher, der auf der Straße landete und von hunderten Füßen weggetreten wurde. Und auch ganz ohne riesigen Kaffeefleck auf einem blütenweißen Hemd. Dafür nun mit einem blütenweißen Akzent auf dem schwarzen Oberteil. Und auf seiner Wange. Die Frage war nun, ob man den Fleck wieder rausbekam. Und daran zweifelte er ehrlich gesagt.

So oder so dauerte es ziemlich lange, bis er irgendwie reagierte. In seinem Fall war das ein verschreckter Satz nach hinten, als er schnallte, dass er es tatsächlich geschafft hatte, die gleiche Person zweimal anzurempeln. Mit nicht einmal 24 Stunden Abstand dazwischen. War doch auch eine Art Leistung.

Eine Leistung, die es ihm einbrachte, dass er von Byou aufgefangen werden musste, damit er nicht über den Farbeimer fiel, und diesen im schlimmsten Fall auch noch umwarf.

„Du wolltest mir gestern schon helfen.“, kam es von dem Blonden, der den Neuankömmling, der wohl auf die gleiche verdutzte Weise wie gestern in die Runde sah, kurz durchmusterte.

„Ey, ich kann nichts dafür, wenn der Kleine da es anscheinend auf mich abgesehen hat.“ Das war unangenehm. Das war sogar viel mehr als nur unangenehm. Es war nun mal doch so, dass alles irgendwie schief zu laufen schien, wenn er mal nicht unter Aufsicht stand. Vielleicht hatte er auch deswegen gedacht, er hatte kein Pech. Früher war er doch genauso die ganze Zeit unter Aufsicht gewesen.

Gerade wollte er sowieso nur am liebsten schreiend weglaufen. Wie dumm, dass das sicher keine Lösung war. Und das Byou noch immer seinen Arm festhielt. Ziemlich fest sogar.

„Dann warst du das mit dem Kaffee?“, fragte der Blonde dann verwirrt, woraufhin Manabu wieder nur nickte. Diesmal noch seichter als sonst. Und spätestens als Byou dann anfing zu lachen, sah nicht nur der Neuankömmling den Blonden mit einem komischen Blick an. Gott sei Dank, schob ihn Byou aber noch während des ganzen mit einem mehr gelachten als gesagten „Pinsel waschen!“ durch die Tür raus. So konnte er mal wieder flüchten.

„Ich finds nicht so lustig, dass mein Lieblingsshirt nun hin is!“, reklamierte der augenscheinlich Größte.

„Mach keinen Aufstand, das sah sowieso scheiße aus.“

„Sah es nicht!“

Weiter hörte Manabu dann auch gar nicht mehr hin, da schloss er schon die Türe des Bades hinter sich und stellte gleich laues Wasser an, als er am Becken ankam. Währenddessen vergrößerte er den Farbfleck auf seinem Gesicht nur noch mehr, als er versuchte ihn wegzuwischen.

Dummer Fehler. Wirklich dummer Fehler. Zu glauben, er könnte hier irgendetwas anders machen. Wer war dieser Kerl denn überhaupt, dass er so leicht in seine Wohnung kommen konnte? Aber hatte Byou denn nicht „wir“ gesagt? Gehörte er denn zu diesem „wir“?

Und war es denn dasselbe „wir“, das ihm Selbstvertrauen sozusagen einprügeln sollte?

Wenn es so war, dann gute Nacht. Damit war er bei seinem Helfern und Starthilfen, die sich gerade verdoppelt hatten, sicherlich völlig untendurch. Mindestens bei einem. Noch mehr Gewicht für seinen armen Rücken. Byou hatte ihm zwar noch gesagt, dass er nicht alles so schwer nehmen sollte, aber das sagte sich so viel leichter, als es dann war. Noch so eine Sache in der er nicht gut war.
 

Erst als endlich alles Weiß aus den Borsten verschwunden war, traute er sich wieder aus dem Badezimmer. Nachdem das Weiß verschwunden war und er eine Weile lang allen Mut zusammengesucht hatte, den er finden konnte. Bei ihm war das sowieso nicht viel.

Als er wieder in das Zimmer trat, stand das Regal. Zwar nahm es eine Wand voll ein, aber vermutlich würde er viel zu bald noch eines brauchen. Dafür war dieses Zimmer gut. Es sollte eine Art kleine Bibliothek werden. Ein Aufbewahrungsort für Bücher. Für seine Bücher. Das hatte doch was. Dann mussten die auch nicht mehr länger neben den Luftverpackungen vor sich hingammeln.

Doch irgendwie kam es doch immer anders, als man es sich vorgestellt hatte. Auch wenn gar nicht wusste, wie man es sich vorgestellt hatte.

Oder wenigstens etwas leichter.

„Ich muss jetzt dringend los. Wenn du noch was brauchst, musst du dich an Kazuki wenden, nur nicht schüchtern sein, der frisst dich schon nicht.“

Wenn er sich da mal nicht täuschte.

Thickhead

A/N: Um es gleich vorneweg zu sagen: Es tut mir wirklich leid. Ich befinde mich gerade in meinem letzten Schuljahr und es ist wirklich Stress pur. Fakt ist, dass wirklich nicht oft zum Schreiben komme. Und wenn, dann sitze ich meistens davor und ich bekomm nicht ein einzelnes Wort auf das virtuelle Papier.

Ich bin zwar schnell, wenn es ums Planen geht, aber beim Schreiben scheint sich das wieder auszugleichen, so langsam wie ich bin...

.________.

Ich kann nicht mehr, als meine Leser zu bitten sich zu gedulden. Wenigstens ein bisschen. Ich versuche wirklich mein bestes und schnellstes, nur so einfach ist das nicht.

Aber zum Wichtigsten: Deep Six ist an sich durchgeplant. Es wird genau 37 Kapitel geben. (Und dann höchstwahrscheinlich eine Fortsetzung aus einer anderen Sicht. Schon allein aus dem Grund, weil man diese ganzen Charaktere mit ihren Geschichten nicht ausreichend genug in einer solchen FF unterbringen kann. Vor allem, da das Hauptaugenmerk auch nur auf zwei Personen insbesondere liegt und alles nur aus Manabus Sicht beschrieben wird.)

Und nochmals: Verzeiht mir die lange Wartezeit. Im Moment kann ich nur versprechen, die FF definitiv zu beenden.
 


 

~~~
 

Kazuki war eindeutig viel größer als er. Ehrlich gesagt, war er auch ein gutes Stück größer als Byou. Auch seine Haare schienen mit irgendeinem Bleichungsmittel in Berührung gekommen zu sein, dabei jedoch weniger gelitten zu haben, als Byous. Statt tot und dafür blond, fielen sie ihm mit einem sanften und warmen Braunton, welchen auch immer, er sagte doch, dass er kein Gespür für Farben hatte, ins Gesicht und ein wenig auch über die Schultern. Sein Gesicht war ebenmäßig, auch wenn es gerade sehr beleidigt und irgendwie auch ein wenig wütend wirkte, während es so die Tür anstarrte, durch die der Blonde sich gerade erst geflüchtet hatte. Gut war, dass er keine Kontaktlinsen trug. Das ließ ihn schon gleich viel weniger erschreckend wirken. Selbst wenn er ihn gerade ansah, wie ein Hase eine Schlange. Und während er den Brünetten noch immer regelrecht anstarrte, als er in musterte, stellte er sich ein Reh vor, auf das ein riesiger Laster zuhielt. Und das Reh lief nicht weg, sondern war wie versteinert. Und das Reh hieß Manabu.

Er würde nicht behaupten, dass er Angst hatte. Gut, ein wenig mulmig war ihm vielleicht schon, aber Angst konnte man dieses komische Gefühl, das sich in seiner Magengegend ausbreitete, dass ihm beinahe schon ein wenig übel wurde nicht nennen. Angst war doch noch ein wenig mehr. Zumindest wäre es doch peinlich und irgendwie schwer nachvollziehbar zu sagen, in seinem Alter hätte er noch Angst. Er hatte einfach ein ungutes Gefühl. Vor allem aber war es ihm äußerst unangenehm jetzt so neben diesen großen Mann zu stehen, besonders aber, weil er es sich doch regelrecht gewünscht hatte, dass diese anfängliche Pechsträhne, die ihn wohl als nettes Willkommensgeschenk in dieser Stadt überfallen hatte und auch erst heute fortgesetzt worden war, endlich aufhörte. Das hieß so früh wie möglich. Am besten noch bevor sie wirklich begann. Aber diesen Gefallen würde man ihm doch sowieso nicht tun. Er hatte doch einen Neustart wollen. Alleine mit seinen Luftverpackungen, die noch in der Kochhöhle vor sich hindümpelten, mitten in der noch nicht einmal fertig gestellten Wohnung in der es so stark nach der frischen Farbe roch, dass sein Magen sich von ganz alleine umdrehte. Konnte man Farbe überhaupt rauswaschen? Und Kaffee? Das wusste er gar nicht, aber es würde ihm schon ziemlich helfen, wenn es denn so wäre. Zumindest müsste er sich dann nicht so große Vorwürfe machen. Er könnte dem Brünetten auch einfach Geld als Entschädigung bieten. Daran mangelte es ihm ja auch alles andere. Aber irgendwie erschien ihm das unhöflich.

Irgendwie wusste er auch einfach gar nicht, was er machen sollte. Das Beste wäre es, das Thema einfach totzuschweigen. Bei seiner sozialen Kompetenz schaffte er es doch sicherlich noch mehr zu zerstören, als zu richten, wenn er auch nur den Mund öffnete. Konnte man es ihm überhaupt verdenken, dass er verschreckt zusammenzuckte, als der Blick des Brünetten, der doch noch gerade an der Tür geklebt hatte, sich plötzlich auf ihn richtete. Nein, er war nicht ängstlich. Mehr darauf geprägt nicht aufzufallen, vor allem aber nicht negativ aufzufallen. Doch selbst auf diesem Gebiet schien er alles falsch zu machen.
 

„Wir sollten wohl einfach auspacken…“, murmelte der Größere überlegend. Seine Haare sagen definitiv sehr viel gesünder aus als die des Blonden. Und dennoch fiel man damit auf. Nein, wahrscheinlich tat man das gar nicht. In der Schule würde man sehr wohl auffallen. Oder vielmehr: Man wäre aufgefallen. Aber hier und jetzt lief doch einiges anders. Nun war man nicht mehr in der Schule mit den vielen leidigen Regeln, die einen doch nur davon abhalten sollten Individualität zu entwickeln. Irgend so etwas dürfte es sein. Aber jetzt so, konnte man doch beinahe alles machen, was man wollte. Und dabei würde man noch nicht einmal auffallen. Zumindest dachte er so.

Ob nun in der Schule oder Zuhause. Vielen wurde stets nur beigebracht auch ja keinen Unsinn zu machen. Und bloß keine Fehler zu begehen. Ansonsten ergab das das pure Drama. Und wenn man nur ein Glas Wasser verschüttet hatte. Aber so war das eben, ganz besonders dann, wenn die Familie einen gewissen Status in der Gesellschaft innehatte. Dann musste jeder an einem Strang ziehen. Ob man zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal richtig hatte lesen können, war völlig egal. Die Verwandtschaft konnte man sich leider nicht aussuchen. Sein Vater war nun mal ein erfolgreicher Geschäftsmann und er musste damit leben.

Byou sollte es ähnlich gehen. Doch ehrlich gesagt, sah der Blonde nicht mal im Ansatz so aus, als würde er sich auch nur einen Funken dafür interessieren, was seine Umgebung vielleicht von ihm hielt. Oder was sie eigentlich von ihm erwartete. Dagegen stand er. Er, der sein ganzes Leben lang nichts anderes als eine Heidenangst vor den kleinsten Fehlern gehabt hatte. Oder vielmehr immer noch hatte. Er fand es beinahe selbst schon lächerlich, doch ändern konnte er es nicht so einfach. Er war auch noch gar nicht so lange aus dieser Umgebung draußen. Er wusste vor allem, dass es gleich so weitergehen würde wie bisher, kehrte er auch nur für kurze Zeit zu seinem Elternhaus zurück.

Er liebte seine Eltern, ja. Welchen Kind konnte ernsthaft von sich behaupten, dass es dies nicht tat. Das große Problem, dass er mit ihnen hatte, war die Atmosphäre, die ihn sich völlig verspannen ließ. Das war unter anderem ein Grund wieso er nach Tokyo hatte gehen wollen, statt einfach in Osaka zu bleiben.

Doch auch hier gab es ein Problem: Seine Unfähigkeit sich an neue Situationen anzupassen. Das hatte schon mit dem Kindergarten angefangen und bei jedem Schulwechsel hatte er es wieder gemerkt. Er brauchte einfach viel zu lange, um sich an neue Dinge gewöhnen zu können. Vor allem dann, wenn er sich doch gerade erst eingewöhnt hatte und doch wieder dort herausgerissen wurde. Gerade jetzt war alles noch ein Stück schlimmer. Er merkte doch, wie unsicher er doch war. Wie leicht man ihn aus dem Konzept bringen konnte. Wenn doch jeder nächste Schritt einer dieser Fehler sein konnte, die er doch vermeiden wollte. Man hatte ja gesehen, wie schnell das eigentlich ging. Seine Tollpatschigkeit, die er immer wieder an den Tag legte, durfte wohl aus dieser Unsicherheit her rühren. Passierten denn nicht mehr Missgeschicke, wenn man sie unbedingt vermeiden wollte? Vielleicht fiel das in diesem Fall auch einfach nur mehr auf. Er wollte sich schon bemühen hier einen Anschluss zu finden. Er wollte es doch auch schaffen und nicht die gleichen Fehler wie früher machen, als es nur darum ging wenigstens einen Freund in der Klasse zu finden. Oder auch nur ein Wort herauszubekommen, ohne zu zittern oder zu stottern, nachdem sich alle Cliquen schon gebildet hatten und er es einfach nie geschafft hatte sich irgendwo anzuschließen. Das hatte ihn wohl einige potentielle Freundschaften gekostet. Und dennoch schaffte er es einfach nicht locker zu lassen und einfach nur zu sehen, was als nächstes kam.

Wahrscheinlich brauchte er einfach wirklich Hilfe dabei. Und genau dafür hatte sein Vater gesorgt, dass Byou und Kazuki hier waren. Um seinen spärlich vorhandenen Ego auf die Sprünge zu helfen. Schließlich schickte es sich auch nicht so ängstlich zu sein wie er. Aber die zwei waren eben auch nur dafür da. Wenn überhaupt.
 

Dennoch oder vielleicht gerade deshalb führte er den Brünetten in die Küche zu seinen sieben Luftverpackungen, als er es endlich nach langen geschafft hatte einen zustimmenden Laut von sich zu geben, da es für ein Wort einfach nicht gereicht hatte, und sich von der Stelle zu bewegen. Schlussendlich stand er da. Zusammen mit Kazuki eingequetscht zwischen sieben mindergroßen Umzugskartons, Luftverpackungen, in der kleinen Kochhöhle, deren Zweck es bis dato eigentlich nur gewesen war eben diese Verpackungen zu beherbergen. Eigentlich war es auf diese Weise schon zu voll, sodass man vielleicht alleine noch gut Platz gefunden hätte, aber eben nicht zu zweit.

Aber auch ohne die Umzugskartons, von denen zwei ja schon geöffnet, wenn auch nicht wirklich ein- und aufgeräumt waren, wäre es sehr eng in diesem Raum geworden. Ohne Tisch wäre definitiv mehr vom Raum vorhanden, aber eigentlich störte Manabu das gar nicht. Er war sowieso kein Mensch, der gerne stundenlang in der Küche herumwerkelte. Zuhause hatte das auch immer eine Haushälterin gemacht. Er nicht, seine Mutter ebenfalls nicht und sein Vater wäre niemals auch nur auf die Idee gekommen. Er hatte es einfach nie gemacht. Nicht einmal Tee kochen, konnte er. Wie hätte er auch jemals auf den Gedanken kommen können?

Aber war es nicht auch seltsam, sich plötzlich so viele Gedanken um alles mögliche, um scheinbare Kleinigkeiten, zu machen, sobald man nicht mehr dort war, was man Zuhause nannte, genannt hatte? Wahrscheinlich nahm man auch alles zu selbstverständlich.

Und während er so zwischen den Luftverpackungen stand und mal wieder ziemlich hilflos wirken musste, was irgendwie auch gar nichts neues zu sein schien, machte sich sein Gast ein Bild über die Lage, indem er in aller Seelenruhe die handgeschriebenen Wörter auf dem braunen Grund inspizierte. Während Manabu wie angewurzelt dastand und wieder nicht wusste, was er machen sollte. Etwas anderes als nur dämlich durch die Gegend zu sehen. Doch anscheinend würde ihm so schnell auch nichts einfallen.

"Wenn wir einfach die Bücher einräumen, haben wir das Wichtigste erledigt, schätz ich. Was meinst du?" Das war insgeheim so ein Moment, den Manabu sehr gerne sehr lange hinausgezögert hätte. Dieser Moment in dem der Brünette das Wort an ihn wandte. Ach, er war doch wirklich ein unnützer Idiot. Vor allem seine soziale Ader ließ zu wünschen übrig. Sehr stark sogar. Aber wo hätte er das auch wirklich lernen sollen?

Er war sein ganzes Leben stehts nur der Seltsame gewesen. Der, dessen Anwesenheit zwar akzeptiert worden war, weil zwar seltsam aber doch auch nett und vor allem verlässlich gewesen war, was Hausaufgaben angegangen war, der Klassenstreber schlechthin, der sich den ganzen Tag zwischen staubigen Seiten verkroch, dem man aber dennoch kein freundschaftliches Vertrauen hatte entgegenbringen können. Selbst hatte er auch kein Vertrauen zu diesen Leuten gehabt. So hatte er sich auch nicht vorstellen können, ein privates Thema zu Rede zu bringen, und sei es auch nur in einem Nebensatz erwähnt. Auch wenn das sicherlich öfter von Nöten gewesen wäre, als er immer wieder völlig vereinsamte. Doch wie hatten sie gesagt? Jungen sprachen nicht mit anderen Jungen über solche Dinge. Ganz egal in welchem Alter. Schwuchteln, hatten sie gesagt. Und er hatte mitgezogen. Ganz egal, ob es mit dem Alter schließlich verschwunden war, die Angst aufgrund dessen nicht mehr akzeptiert zu werden, war immer vorhanden gewesen.
 

Jetzt gab es noch ein Problem. Es bestand aus seinen dünnen, absolut untrainierten Ärmchen, die es nicht schafften die Bücherkiste, die Kazuki ihm zum Tragen geben wollte, zu halten. So viele Bücher waren für einen allein bei weitem zu schwer. Und er war sowieso zu klein und zu dünn. Farbe hatte er auch keine. Weiß war doch keine Farbe. Dem Größeren schien das Gewicht dafür rein gar nichts auszumachen. Und wenn doch, dann zeigte er es nicht.

So durfte er sich ein tiefes langgezogenes Seufzen anhören, als Kazuki weiterhin alleine die Kiste tragend, Manabu aus der Küche schob, zurück in seine kleine, angehende Bibliothek, wo er den ersten Packen absetzte und ihn anwies schon mit dem Auspacken anzufangen, während er den Rest holte. Und Manabu fügte sich. Wenn auch etwas verschämt für seine fehlende Kraft. Was er dafür konnte, war sich ein Messer zu schnappen, eines von denen, die Byou jedes Mal überall herumliegen ließ, und den braunen Klebestreifen, der den ebenfalls braunen Karton verschlossen hielt, glattweg zu teilen, sodass die darin fein säuberlich und äußerst sorgfältig verstauten Bücher zum Vorschein kamen.

„Wieso eigentlich genau Tokyo?“ Natürlich schreckte er zusammen, als er Kazukis Stimme zum wiederholten Male absolut unversehens hörte.

„…musst dich nicht jedes Mal erschrecken, wenn ich mit dir rede, ich fress dich schon nicht.“, sagte der Brünette scheinbar langsam genervt von seinen Reaktionen. Trotz allem brachte Manabu es nicht über sich nicht einfach weiter verschämt auf den Boden zu sehen.

„Ich weiß zwar nicht genau, was dein Problem ist, aber wenns um unsere netten Zusammenstöße ging, dann vergiss es gleich wieder.“, brummte der Größere nahm ihm das Messer aus der Hand und durchtrennte eigenhändig den Klebestreifen des zweiten Kartons. Dann grinste er ihn an.

„Ich hab mir ja schon im Vornherein einige Dinge über dich anhören dürfen, aber ehrlich gesagt, schaffst du es ja schon fast dich selbst zu toppen.“, lachte der Brünette schließlich und ging abermals aus dem Zimmer, wohl um weiterhin Kartons anzuschleppen. Dass er dabei nicht aufhörte zu lachen, musste Manabu nicht einmal hören, um es zu wissen. Aber ehrlich gesagt, kam er sich gerade ziemlich verarscht vor. Wie kam es eigentlich, dass hier jeder mehr zu wissen schien, als er selbst? Es einfach ignorieren und Bücher einräumen, war alles andere als eine ablenkende Alternative. Es musste ja dennoch getan werden.

„Aber weißt du was?“, hörte er Kazukis Stimme schon bevor er wieder in den Raum kam und noch eine Kiste abstellte.

„Wenn ich es schon nicht schaffe, dir mehr Selbstvertrauen beizubringen, Byou schafft es bestimmt.“, meinte der Brünette und schenkte ihm abermals dieses Lächeln, dieses viel zu sympathische Lächeln. Und das war wieder so ein Moment, in dem Manabu sich tatsächlich besser fühlte. Sogar um einiges besser. Auch wenn das wohl nicht sehr lange so bleiben würde. Dennoch konnte er sich nun um einiges unbeschwerter neben Kazuki bewegen und die Bücher weiter einsortieren, während Kazuki auch noch die restlichen Bücherkartons ins Zimmer schleppte und öffnete, ehe er dann ebenfalls begann sie ins Regal zu stellen. Und auch wenn Manabu jetzt schon sah, dass er dann einiges ordnen durfte, sagte er nichts dazu. Wenn man schon Hilfe bekam, hatte man auch nicht das Recht sich zu beschweren.

„Weißt du eigentlich, wo die Uni ist?“, fragte Kazuki schließlich nach einer etwas stilleren Weile.

„War nur einmal dort.“, gestand Manabu zwar immer noch schüchtern aber wenigstens bekam er einen normalen Satz über die Lippen.

„Kann dir ja zeigen, wie du von hier aus hinfindest. Studier ja auch dort.“ Und wieder lachte der Größere leise und funkelte ihn an, als er sich noch einen ganzen Stapel Bücher zum Einräumen aus den Kartons holte, die langsam immer leerer wurden.

„Dann haben wir eine Ausrede, um morgen nicht helfen zu müssen.“

Hätte man ihn gefragt, was er bis zu diesen Zeitpunkt von Kazuki hielt, hätte er ihn definitiv als sympathisch empfunden. Sehr sympathisch sogar. Wenn auch ziemlich hinterhältig.



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Von:  Ruha_Ducky
2012-11-11T16:21:29+00:00 11.11.2012 17:21
ui~ 
es geht weiter ^^
37 Kapitel?
hihi~ 
na das lohnt sich ja ^.^
*freu*
Von:  Ruha_Ducky
2012-09-17T15:35:25+00:00 17.09.2012 17:35
hihi~ 
hab ich doch richtig geahnt das die kaffee-becher-begegnung zu dem 'wir' gehört XD
allerdings mit einer erneuten 'kollision' hab ich dann doch nicht gerechnet XD
hach ja, das leben kann so gemein sein..
aber ich denke die beiden werden ihren spaß miteinander haben XD
jetzt, wo manabu schon zwei von seinen oberteilen versaut hat~
freu mich auf mehr~ ^.^
Von:  LizLizDoll
2012-09-16T11:21:25+00:00 16.09.2012 13:21
armes bubulein xD der soll sich mal nicht so anstellen ^^° bin gespannt wie byou ihm dabei helfen wird ^.^
Von:  Ruha_Ducky
2012-09-11T12:41:15+00:00 11.09.2012 14:41
wieder schön geschrieben
finde das mit den ganzen gedankengängen und allem sehr gut
freue mich auf das nächste kapitel~

Von:  Rizuloid
2012-09-05T20:30:26+00:00 05.09.2012 22:30
I liiiiiike <333
Klang erst wie ein böser Vorwurf, aber jetzt bin ich stolz die Schuld an dieser FF zu tragen 8D
Schreib bald weiter~ 
Ich mag Manabu jetzt schon, du schreibst ihn ziemlich so, wie ich ihn auch sehe/selber so über ihn schreibe :3
Von:  Ruha_Ducky
2012-08-30T22:48:34+00:00 31.08.2012 00:48
schon mal gut geschrieben
schöner schreibstil
bin auf weiteres gespannt ^.^
Von:  LizLizDoll
2012-08-30T15:53:48+00:00 30.08.2012 17:53
Hört sich gut an! ^-^b Ich bin gespannt wie es weiter geht!


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