Starting the Letter
Zwanzig Jahre.
Seit zwanzig Jahren verändert sich alles: Mein Umfeld, mein Leben, meine Gesundheit, mein Ich. Alles wandelt sich. Im Wechsel. Wie das Wetter: So unberechenbar und hart, so durchschaubar und so weich.
Zwanzig Jahre sind also vergangen, seit ich auf diesem wandelbaren, immer ändernden Planeten lebe. Fühle mich gefangen, fühle mich frei. Hab schon so viele Dinge ausprobiert, so viele Dinge erlebt.
Alle Szenen durchklappert, die mich interessierten, weil sie einfach da waren, weil sie neu waren, weil sie interessant waren.
Da gab es die Zeit, in der ich jeden Tag Freunde traf.
Da gab es die Zeit, in der ich jeden Nachmittag nur vorm TV saß.
Da gab es die Zeit, in der ich meine Haare in allen Variationen vom Kopf abstehen ließ.
Da gab es die Zeit, in der ich nur einen bestimmten Kleidungsstil trug.
Da gab es die Zeit, in der ich unbedingt neue Menschen kennen lernen wollte.
Da gab es die Zeit, in der ich berühmt werden wollte.
Da gab es die Zeit, in der ich einfach nur schwarze Haare, dunkle Augen und nur die Musik im Kopf hatte.
Und jetzt ist es die Zeit, in der ich in einem sterilen Gebäude liege und im Wechsel zwischen dem Aufgeben und dem Kämpfen hin- und her schwanke.
Warum ich all das schreibe, weiß ich nicht. Vielleicht, weil ich einfach selbst klarer werden will. Vielleicht, weil ich will, dass du alles liest und mich danach besser verstehen kannst.
Vielleicht aber auch bloß, um mit dem abzuschließen, was in der Vergangenheit liegt, und in der Zukunft geschehen wird.
(Dabei ist die Gegenwart viel wichtiger.)
Aber eigentlich schreibe ich das alles nur auf, um einen Grund zu haben, die Augen offen zu halten, während in meinen Ohren das Piepen nie verstummt.
Möglicherweise halte ich mich allein deshalb noch aufrecht im Bett.
Kann aber auch gut möglich sein, dass ich dir hiermit … auf eine merkwürdige Art und Weise danken will.
Ich weiß, dass wir uns nicht lange kannten, dass wir uns nicht auf Anhieb verstanden, dass wir nie hätten lange zusammen sein können. Aber all das ist unwichtig. Denn allein die Gegenwart zählt.
Ich hoffe, dass du etwas lernst, etwas für dich zu Nutzen machen kannst, wenn du dies alles hier gelesen hast. Selbst wenn meine Schrift krakelig und kaum lesbar wird.
Selbst wenn du genau weißt, dass es möglicherweise ein Ende hat. Alles. Für mich.
Das Leben schenkt dir nichts. Das Leben gibt dir den Anfang und schenkt dir zu geraumer Zeit auch ein Ende.
Was in der Vergangenheit liegt, wird beendet. Was in der Zukunft geschieht, ist noch nicht gewiss.
Das Wichtige ist die Gegenwart, die so viele Menschen vergessen, weil sie sorglos sind. Weil sie unwissend sind. Weil sie … es nicht besser wissen (wollen).
Ich erinnere mich.
Weil ich es will. Weil es meine Gegenwart erleichtert.
Nicht, weil ich klammern will. Nicht, weil ich es unbedingt brauche.
Obwohl... nein, ich brauche jetzt genau, zum Zeitpunkt der Gegenwart, meine Vergangenheit, um der Zukunft zu trotzen, die für mich näher liegt, als gedacht. Und ich meine damit nicht die Zukunft des nächsten Morgens. Die, in der ich Frau und Kind habe. Und auch nicht die, in der ich mit meinem besten Freund in den Alpen bin, um Snowboard oder Ski zu fahren.
Meine Zukunft ist das Ende.
Es sei denn, das Schicksal meint es gut mir mit.
Ich will, dass du all meine Gedanken liest. All die Gedanken, zu den verschiedensten Erinnerungen.
Damit du weißt, was ich von dir hielt. Damit du weißt, was ich fühlte. Damit du weißt, wer ich bin.
Vielleicht aber wirst du auch nie diese Zeilen, all das beschriebene Papier, niemals erhalten, weil womöglich doch mein Stolz siegen wird.
Dennoch... weil ein Fünkchen in mir da ist, dass unbedingt möchte, dass du meine Gedanken, Gefühle und Sorgen erfährst, ich hoffe, dass ich dein Leben bereichert habe, wie du das meine, weil es mir jetzt im Moment immer mehr unwichtig wird, ob ich durch diese Worte an Coolness und Gelassenheit verliere, ich eventuell verweichlicht wirke und schwach...
Ich danke dir. Werde dir so oft ich kann, jedes mal, wenn es mir in den Sinn kommt, hier sagen. Mit der verkorksten Schrift. Krakelig und verwischt.
Ich hatte immer gedacht, dass allein die Musik und die Freundschaft zu einem vorwitzigen, trotteligen Drummer das war, was mir half jeden Tag aufzustehen und einen tiefen Atemzug zu nehmen. Aber ich hatte mich geirrt. Da waren noch so viel mehr Menschen.
Menschen, die ich nie an mich heran gelassen hatte. Mag sein, dass es aus purem Egoismus war, oder eben aus einem gewissen Maß an Selbstschutz.
Hiermit sage ich nicht nur Danke. Hiermit lasse ich dich nicht nur an meinen Gedanken und Gefühlen teilhaben, die ich nie auszusprechen vermochte – nein – hiermit zeige ich dir auch all meine Fehler, die ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt einsehe.
Aber Vergangenheit ist Vergangenheit.
Gegenwart ist Gegenwart.
Und von der Zukunft will ich gar nicht erst anfangen.
Ich komme mir etwas dümmlich vor, wenn ich daran denke, dass ich alles hier aufschreiben werde. Ich schon jetzt dabei bin, aber eigentlich immer nur um den heißen Brei herumrede, weil ich eben nicht weiß, wo überhaupt der 'perfekte' Anfang liegt und ob es den überhaupt gibt.
Verzeih die wirren Sätze, verzeih die idiotischen und überflüssigen Gedanken.
Lies und schenke den Worten Beachtung, die nie meine Lippen überquerten.
Dabei bin ich doch Musiker. Und ein Musiker sollte es schaffen, das, was im Kopf ist, mit dem Herzen zu verbinden (und auch umgekehrt), um das alles offen und frei heraus zu sagen.
Hätte ich das gekonnt, so hätte ich auch meinem besten Freund, meiner Stütze, sagen können, was er für mich war und ist. Ohne ihn hätte ich nie geschafft, die ganzen Texte zu schreiben.
Ohne ihn hätte ich nie geschafft, die ganzen Texte zu singen.
Eigentlich war er es, der mich am Leben hielt... solange, bis du plötzlich da standest. Dann war da plötzlich mein bester Freund und eine fremde Person, die einfach mal den Hammer nehmen wollte, um meine Mauer einzureißen.
Ich lache jetzt und fange einfach an.
Mit dem Tag, an dem ich dich traf.