Kapitel 45
Tag 99
T.O.P
“D-du wirst so sauer sein…”
Irritiert bleibe ich im Türrahmen stehen und drehe mich um, um dich ansehen zu können. Was redest du nur für einen Schwachsinn? Warum sollte ich böse auf dich sein? Natürlich finde ich den Zeitpunkt für deine Erkrankung nicht gerade passend aber schließlich ist das nicht deine Schuld, wenn du krank wirst. Du könntest dir sicher auch etwas Besseres vorstellen, als mit Fieber im Bett zu liegen. Also warum sollte ich sauer auf dich sein?
“Ji-Yong, jetzt hör doch auf, so einen Unsinn zu reden… Warum sollte ich sauer sein? Wegen dem dämlichen Termin? Der kann warten! Es ist doch viel wichtiger, dass es dir wieder besser geht.”
Du erwiderst mein aufmunterndes Lächeln nicht, versuchst es nicht einmal. Ob ich etwas Falsches gesagt habe? War ich zu schroff? Hast du dich durch den ersten Satz gekränkt gefühlt? Dabei habe ich ihn doch gar nicht böse gemeint. Du weißt doch, dass ich mich manchmal einfach etwas unbeholfen ausdrücke. Ob ich es noch einmal mit anderen Worten versuchen sollte? Du sollst nicht denken, dass ich deine Ängste für Unsinn halte. Bestimmt hat es dich viel Überwindung gekostet, dich mir zu öffnen und ich habe nichts Besseres zu tun, als deine Befürchtungen als Schwachsinn zu betiteln.
“Ich… also… So war es nicht gemeint. Also das mit dem Unsinn… Ich meinte nur… also eben, dass du dir keine Sorgen machen musst, weil ich nicht sauer auf dich bin. Verstehst du…?”
So ein Schwachsinn.
Wie sollst du mich verstehen, wenn aus meinem Mund nur Gestammel und lose Wörter ohne jeglichen Sinn ertönen? Seit wann schaffe ich es nicht mehr, sinnvolle Sätze zu bilden? Wahrscheinlich wäre es am besten, wenn ich einfach die Klappe halten würde, ehe ich alles noch schlimmer mache. Schon jetzt suchen sich einige der Tränen, die bis eben noch deine Augen benetzt haben, ihren Weg über deine Wangen. Weinst du meinetwegen? Bestimmt haben meine unsensiblen Worte dich verletzt.
“Jetzt wein doch nicht…!”
“T-tut mir leid… Es… es tut mir s-so leid…”
“Oh Gott, nein! So war es nicht gemeint! Du musst dich nicht dafür entschuldigen… Boah, ich bin so ein Idiot! Ich will dir nicht verbieten, zu weinen… Es macht mich nur traurig, dich weinen zu sehen, so war es gemeint…”
Wie ein Häufchen Elend sitzt du im Bett, das Gesicht in deinen Händen begraben und von Schluchzern geschüttelt, während ich noch immer irgendwie hilflos im Türrahmen stehe. Beinahe kommt es mir so vor, als würde jeder meiner Sätze es eher schlimmer als besser machen. Dabei gebe ich mir wirklich Mühe, versuche, dir zu zeigen, dass ich mich wirklich gerne um dich kümmere. Warum also hörst du nicht auf zu weinen?
“Ähm… Hier, bitte…! Oder darf ich…?”
Ich warte einige Sekunden ab, ehe ich das Taschentuch, das ich dir eigentlich reichen wollte, sanft gegen deine Wange drücke und versuche, diese zu trocknen. Ob ich mich zu aufdringlich verhalte? Vielleicht sollte ich dich einfach ein paar Minuten alleine lassen, um dir so Gelegenheit zu geben, dich zu beruhigen. Oder brauchst du meine Nähe jetzt? Du wirkst so verstört und verzweifelt. Ich hab Angst, dass du es falsch verstehen könntest, wenn ich jetzt einfach den Raum verlasse.
“Willst du einen Moment alleine sein?”
“… ich… ich wollte immer nur… immer nur, dass du bleibst.”
“Hm, was meinst du? Bleibe? Bei dir bleibe…?”
“D-du darfst nicht gehen…”
“Ach… wegen damals? Ji-Yong, ich dachte, das wäre geklärt? Es war ein Fehler, ich hätte dich niemals verlassen dürfen. Aber wie kommst du jetzt darauf…?”
“Du… d-du wirst gehen…”
Statt dir erneut zu widersprechen, lege ich meine Arme um dich und ziehe dich ganz eng an mich. Ich verstehe zwar nicht, warum du nach all den Tagen, an denen ich eigentlich das Gefühl hatte, dass sich deine Ängste gelegt haben, scheinbar plötzlich wieder rückfällig geworden bist aber ich weiß, dass ich dich jetzt auf keinen Fall alleine lassen darf. Und als ob du diese Ansicht bestärken wollen würdest, lässt du dich in die Umarmung fallen, versinkst beinahe völlig in meinen Armen und krallst dich geradezu hilfesuchend in den Stoff meines T-Shirts.
Tag 99
G-Dragon
“Willst du einen Moment alleine sein?”
“… ich… ich wollte immer nur… immer nur, dass du bleibst.”
Beantwortet das überhaupt deine Frage? Ich weiß gar nicht, was genau du mich überhaupt gefragt hast. Nur gedämpft sind einige vereinzelte Gesprächsfetzen in mein Gehör vorgedrungen und nur mit Mühe habe ich es überhaupt geschafft, zumindest ein paar Worte zu stammeln. Natürlich möchte ich nicht alleine sein. Nicht jetzt, nicht für einen Moment, nicht später und schon gar nicht für immer.
“Hm, was meinst du? Bleibe? Bei dir bleibe…?”
“D-du darfst nicht gehen…”
Dein Blick, der bereits irritiert gewirkt hat, ehe ich zu einer Antwort angesetzt habe, nimmt nun einen noch verwirrteren Ausdruck an. Verstehst du nicht, was ich versuche, dir zu erklären? Kann man überhaupt verstehen, was ich mit meinem Gestammel ausdrücken möchte? Aber ich weiß einfach nicht, wie ich sonst beginnen soll… Ich kann doch nicht einfach aus dem Bett steigen, dich entschuldigend anlächeln, dir dann erklären, dass ich dich seit mehreren Tagen ausgenutzt und belogen habe und dann von dir verlangen, dass du mir auf der Stelle vergibst. Ob du mir überhaupt verzeihen kannst? Ist das, was ich getan habe, nicht eigentlich unverzeihlich?
“Ach… wegen damals? Ji-Yong, ich dachte, das wäre geklärt? Es war ein Fehler, ich hätte dich niemals verlassen dürfen. Aber wie kommst du jetzt darauf…?”
“Du… d-du wirst gehen…”
Obwohl ich weiß, dass dies deine Frage nicht beantwortet, schaffe ich nicht, etwas anderes als diese Worte auszusprechen. Es ist beinahe so, als wäre mein Kopf bis auf diese wenigen Wörter völlig leergefegt worden, als würde dieser eine Gedanke völlig über mein Gehirn regieren. Und dennoch schaffe ich es nicht, weiterzusprechen, schaffe es nicht, dir endlich die gesamte Wahrheit zu sagen. Es würde alles zerstören. Einfach alles.
Eine plötzliche Wärme reißt mich aus den Gedanken, die mich so sehr quälen. Fest und trotzdem irgendwie behutsam haben sich deine Arme um mich geschlossen und geben mir den Halt, den ich so sehr brauche - für den ich sogar so weit gegangen bin, dass ich mit deinen Gefühlen gespielt und sie für meine Zwecke missbraucht habe. Und obwohl ich diese Umarmung nicht verdient habe, bin ich zu schwach, um sie zu lösen. Im Gegenteil - ich vergrabe meine Hände tief in deinem Shirt und schmiege mich eng an dich. Schließlich ist sie doch genau das, was ich wollte, wofür ich alles aufs Spiel gesetzt habe.
“Ich liebe dich…”
Beinahe tonlos verlassen die Silben meine Kehle. Ich weiß nicht, ob du sie überhaupt wahrgenommen hast. Eigentlich weiß ich nicht einmal, warum ich sie überhaupt ausgesprochen habe. Was will ich damit erreichen? Macht es meine Lügen weniger schlimm, wenn du weißt, dass ich sie dir aus Liebe erzählt habe? Aber ist es nicht sogar eine viel größere Sünde, einen geliebten Menschen zu hintergehen, als eine Person, die einem nichts bedeutet?
“Aber das weiß ich doch… Ich weiß, dass du mich liebst. Und weißt du, warum ich zu Hause geblieben bin, dir eine Suppe gekocht habe und dich jetzt im Arm halte? Nicht, weil ich es muss… Ich kümmere mich um dich, weil ich dich auch liebe. Und jetzt hör doch bitte auf zu weinen, okay?”
Noch während du mich darum bittest, nicht mehr zu weinen, bebt mein Körper erneut unter einer Welle heftiger Schluchzer. Warum sagst du das? Warum sagst du es jetzt? Seit Wochen wünsche ich mir nichts mehr, als diese Worte aus deinem Mund zu hören, doch jetzt trifft mich jedes einzelne von ihnen wie ein Messer ins Herz. Und dennoch möchte ich nicht, dass du verstummst. Ich möchte nicht, dass du dich aus der Umarmung löst, möchte nicht, dass du aufhörst, mir Liebeserklärungen ins Ohr zu flüstern, die ich nicht verdient habe. Ich möchte einfach nur, dass die Zeit stehen bleibt.
“Kannst du… kannst du mir versprechen, dass du mich für immer lieben wirst?”
“Wenn du dann endlich aufhörst, zu weinen…? Ich verspreche es dir. Für immer und ewig, ganz egal, was passiert, okay? Und jetzt beruhig dich doch bitte… Dein Herz rast ja total! Du darfst dich nicht so aufregen, solange du noch geschwächt bist!”
Ich wünschte, ich könnte dir glauben. Ich wünsche es mir wirklich so sehr...
Aber es geht einfach nicht.
“D-du darfst dieses… dieses Versprechen niemals brechen… Auch nicht… auch n-nicht, wenn…”
Ich breche ab. Diese Bitte ist so sinnlos, so naiv. Du wirst dieses Versprechen nicht halten. Du wirst es einfach nicht halten können. Sobald ich den Satz ausspreche, vor dem ich mich so sehr fürchte, wirst du dein Versprechen brechen. Du wirst mich von dir stoßen, wirst mich anschreien, mich beschimpfen. Dabei wollte ich doch nichts weiter, als dich bei mir zu haben. Und genau das habe ich erreicht. Eigentlich müsstest du mir dankbar sein - habe ich nicht lediglich versucht, die Barrieren zwischen uns zu brechen? Aber auf welche Art und Weise habe ich es getan?
“Wenn was…?”
Ob es einen Unterschied macht, ob ich dir heute oder morgen die Wahrheit sage? Kommt es auf eine weitere Lüge überhaupt an? Ist es nicht völlig egal, ob ich jetzt oder in wenigen Stunden die Wahrheit sage? Ist nicht der einzige Unterschied der, dass ich, wenn ich dir erst morgen alles beichte, noch einen letzten Tag an deiner Seite verbringen kann? Dass ich noch ein letztes mal mit dir gemeinsam zu Mittag und zu Abend essen kann? Ein letztes mal mit dir gemeinsam den Abwasch tätigen kann? Ein letztes mal mit dir gemeinsam auf der Couch sitzen und irgendeinen Film ansehen kann? Ein letztes mal an deiner Seite einschlafen kann?
“Ach… vergiss es! Ich… ich bin irgendwie durcheinander, tut mir Leid…”
“Ist doch nicht schlimm… Es fällt dir sicher irgendwann wieder ein!”
“Ja… sicher… … Würdest du… würdest du mir vielleicht doch Badewasser einlaufen lassen?”
Tag 99
T.O.P
Lächelnd verlasse ich das Bad und schließe die Türe hinter mir. Wahrscheinlich hättest du kein Problem damit gehabt, wenn ich im Zimmer geblieben wäre, schließlich haben wir schön öfters zusammen gebadet aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass dir ein paar Minuten ganz für dich alleine gut tun würden. Außerdem muss ich noch etwas erledigen, von dem ich nicht möchte, dass du es erfährst. Nur, weil du krank bist und ich bei dir bleiben möchte, lösen sich meine Probleme schließlich nicht von selbst.
Seufzend ziehe ich mein Handy aus der Tasche. Ob eine SMS zu unpersönlich ist? Ist nicht sogar ein Anruf für eine Entschuldigung nicht persönlich genug? Es gibt sicher viele Dinge, die sich durch einen Anruf klären lassen aber Hochzeitsanträge, Trennungsabsichten und Entschuldigungen sind eine der wenigen Angelegenheiten, die man besser von Angesicht zu Angesicht klärt. Aber ich kann jetzt nicht gehen. Nicht, ehe du dich erholt hast. Andererseits ist es wirklich an der Zeit, den Rest der Band um Verzeihung zu bitten. Abermals seufzend lasse ich meine Finger über die Kontaktdaten gleiten.
“Hallo!”
“… ja, hallo! Ich bin’s… Wegen… ähm, wegen neuli-…”
“Das wird wahrscheinlich ein relativ einseitiges Gespräch - ich bin nämlich leider gerade verhindert. Aber du kannst gerne ein Selbstgespräch führen und mich anschließend um einen Rückruf bitten, dann ruf ich dich zurück, sobald ich Zeit habe. Einfach auf den Piep warten! Danke!”
“Hey, ich bin’s nur… Ich… ich versuch es dann einfach später noch einmal. Oder vielleicht… Vielleicht rufst du mich ja zurück, wenn du das anhörst. Würde mich freuen…”
Mit einem resignierten Stöhnen beende ich das Gespräch. War ja eigentlich klar. Wäre ja auch zu viel verlangt gewesen, wenn einmal etwas so funktioniert, wie ich es mir vorstelle. Bestimmt hat er einfach nur keine Lust, mit mir zu sprechen. Wahrscheinlich würde ich mich auch nicht mit einer Entschuldigung per Anruf zufrieden geben. Bestimmt hält er mich jetzt nicht nur für einen hitzköpfigen Idioten, sondern auch noch für feige und anstandslos.
“Ist bei dir alles okay? Ist das Wasser warm genug?”
“Alles in Ordn-… Ist das dein Handy? Wen hast du angerufen? Doch keinen Arzt oder?”
Ich habe das Zimmer noch nicht einmal wieder vollständig betreten, als du mir einen misstrauischen Blick zuwirfst und anschließend anklagend auf das Handy blickst. Eilig trete ich ein, schließe die Türe hinter mir, lasse mich auf den Rand der Badewanne sinken und schüttle mit dem Kopf, woraufhin du ein erleichtertes Seufzen von dir gibst. Bestimmt wirst du gleich wissen wollen, mit wem ich telefoniert habe. Was soll ich antworten? Wenn ich dir die Wahrheit sage, wirst du wissen wollen, warum ich Taeyang anrufen wollte.
Aber du sollst nicht erfahren, wie schäbig ich mich unseren Freunden gegenüber verhalten habe. Beinahe fieberhaft überlege ich mir eine plausible Ausrede, als mir auffällt, dass du die Augen geschlossen hast, mit dem Kopf beinahe gänzlich in den Schaum eingetaucht bist und scheinbar gar nicht erwartest, dass ich mich rechtfertige. Erst nach einigen Minuten hebst du deinen Kopf wieder an, öffnest die Augen und durchbrichst die Stille.
“Können wir heute gemeinsam das Essen zubereiten?”
“Bist du sicher, dass du dich nicht lieber hinlegen möchtest?”
“Es geht mir schon viel besser… Bitte… … Wir… wir haben so lange nicht mehr zusammen gekocht…”
Ich werfe dir einen besorgten Blick zu. Ob es wirklich eine gute Idee ist, wenn du dich stundenlang in der relativ kühlen Küche aufhältst? Andererseits scheinst du dich total darauf zu freuen und heißt es nicht, dass Lachen und Freude die beste Medizin sei? Außerdem kann ich eine Decke über deine Schultern legen, sobald du auf einem der Stühle Platz genommen hast und dir nur die leichtesten Aufgaben, wie das Zerkleinern des Fleisches oder ähnliches auftragen, sodass du dich auch sicher nicht überanstrengen musst.
“Na gut… aber danach legst du dich noch ein paar Stunden hin, ja?”
“… können wir nicht lieber noch einmal spazieren gehen?”
“Damit du dich noch mehr erkältest…? Bloß nicht!”
“Bitte…! Die frische Luft hat mir gestern so gut getan… Bitte…?”
“Gut getan? Dir geht es noch viel schlechter, als gestern… Nein, Ji-Yong.”
“Aber… aber wir müssen heute spazieren gehen! Bitte!”
Ich seufze auf. Natürlich weiß ich, dass es eigentlich nicht richtig ist, aber wie soll ich dir diese Bitte ausschlagen, wenn du mich dabei so verzweifelt und doch hoffnungsvoll ansiehst? Es scheint dir so wichtig zu sein, dass wir gemeinsam ein wenig draußen herumlaufen, dass ich dich einfach nicht enttäuschen kann. Wir werden einfach nur eine kleine Runde laufen, vielleicht durch den windgeschützten Park. Vielleicht kann ich dich auch dazu überreden, dass wir nur bis zum nächsten Café gehen und uns dort einen heißen Tee oder einen Kakao gönnen, dann könntest du dich dort ein bisschen ausruhen und dich aufwärmen.
“Einverstanden… Aber erst wird gegessen und die Route darf auch ich bestimmen, klar? Und wenn ich der Meinung bin, dass es zu kühl oder zu anstrengend wird, gehen wir sofort wieder nach Hause!”