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Reqium of Darkness & Quiet Symphony

Walker x Kanda
von

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Erholung

„Sie haben keinen Hunger?“ Natürlich war die Oberschwester von dieser Tatsache nicht allzu berauscht. Ihre Mimik verzog sich, klarte jedoch umso schneller wieder auf und sie seufzte. „Nun gut, immerhin haben Sie heute Morgen das gesamte Frühstück gegessen.“ Instruktiv hob sie den Zeigefinger. „Das Mittagessen können wir ausfallen lassen aber das Abendessen nehmen Sie bitte zu sich.“

„Mm.“

Aber bis dahin war noch Zeit und so kratzte ich mich nur im Schopf und setzte mich bequemer. Die Zeit verging hier einfach nicht, der Morgen schien in weiter Ferne zurückzuliegen und nach weiteren Stunden Schlaf, fühlte ich mich abermals gekräftigt und gelangweilt verfolgte ich, wie sie etwas Ordnung in das karge Zimmer brachte. Ich verzog den Mund, rümpfte die Nase und ließ die Hand in den Schoß zurückfallen. Wirklich interessant war es nicht und so entschied ich mich dazu, mir auch den Bauch zu jucken.

„Das Wasser haben Sie ja noch gar nicht angerührt.“ Erschüttert rückte sie an der Flasche und ich unterdrückte ein Gähnen. In meinem Rücken herrschte daraufhin Stille und als sie sich der Tatsache bewusst wurde, dass man mir so etwas nicht sagen musste, ließ sie unter einem leisen Seufzen von dem Nachttisch ab und machte sich an dem Fenster zu schaffen.

„Wenn Sie möchten“, meldete sie sich wieder zu Wort und öffnete das Fenster weit, „können Sie ja etwas aufstehen und sich die Beine vertreten. Das wird Ihnen bestimmt gut tun.“

Und endlich wurde ich aufmerksam. Ich richtete mich auf, hob die Brauen und überdachte ihre Worte. Hieß das etwa…

„Ich gehe duschen“, entschied ich mich kurzum, denn das hatte ich vermutlich nötig. Außerdem stellte eine Dusche eine geringe Gefahr dar und die Oberschwester teilte meine Ansicht.

„Das ist eine gute Idee. Währenddessen habe ich Zeit, Ihr Bett neu zu beziehen. Wir wollen doch, dass Sie es bis morgen bequem haben.“

Ein leises zustimmendes Brummen musste ihr genügen und bevor sie sich versah, war ich vom Bett gerutscht und mit dem Mantel auf dem Weg nach draußen.

„Ah, warten Sie!“ Das Kissen bereits in den Händen, lehnte sie sich hinter dem Sichtschutz hervor und unwillig hielt ich inne. „Wenn Sie die Pflaster und den Verband abmachen, nutzen Sie nicht zuviel Seife.“

„Mm.“

„Und duschen Sie nicht zu lange! Ihre Verletzungen sind noch nicht vollständig verheilt!“

Ich verdrehte die Augen, hob die Hand.

„Und ziehen Sie sich Schuhe a…!“

Schon war die Tür geschlossen und endlich offiziell zurück in der Freiheit, gab ich mich einem leisen Stöhnen hin. Bis morgen, also. Es schien festzustehen. Ab morgen wurde ich also nicht mehr wie ein einfältiges Kind behandelt, das nicht bemerkte, wenn die Seife in den Verletzungen brannte. Ruppig streifte ich mir den Mantel über, während ich die Türen hinter mir ließ, verstohlen einzelnen Ärzten nachspähte und mir den kürzesten Weg suchte, um den Krankenflügel zu verlassen.
 

Bald darauf schob ich mich auch schon durch die hölzerne Tür, die den Badebereich des Hauptquartiers hinter sich versteckte. Kühl erstreckten sich Fliesen unter meinen nackten Füßen, als ich einen großen Umkleideraum durchquerte. Ich traf niemanden an, die hölzernen Bänke waren leer. Auch der Onsen schien derzeit nicht benutzt zu werden aber obwohl das eine Seltenheit war, die ich sonst gerne und oft nutzte. wollte ich dort nicht hin. Auf die Entspannung in den heißen Gewässern würden lediglich weitere Tage im Krankenflügel folgen und so bog ich vor dem Durchgang ab und betrat einen großen, gekachelten Raum.

Ein leises Plätschern verriet, dass vor kurzem noch jemand hier gewesen war. Auch der schwere Wasserdampf hing noch in der Luft, als ich zu der langen hölzernen Bank humpelte. Sie erstreckte sich auf einer gefliesten Anhöhe, gegenüber der Duschen und mein Atem erhob sich geräuschvoll, als ich mich erst einmal setzte. Den Onsen zu teilen, fiel mir bisweilen leichter, als hier nicht alleine zu sein und ich wusste es zu schätzen, dass mich niemand störte. Ich ließ mir auch Zeit, streifte den Mantel von den Schultern und lehnte mich gegen die geflieste Wand, gemächlich nach den Pflastern tastend. Nur leichte Striemen erinnerten noch an die Streifschüsse, eigentlich hatte ich das ganze Geklebe nicht mehr nötig und sobald ich die Pflaster von den Händen geschüttelt hatte, neigte ich mich über mein Bein, streifte die Shorts höher und tastete nach dem Verband. Diese Verletzung hingegen, war trügerisch. Die äußere Wunde heilte vermutlich schneller, als die Innere und bequem begann ich mich auch von dem Verband zu befreien.

Kaum achtete ich auf das entfernte Klicken der Tür, wartete neugierig auf den Anblick, der sich mir gleich bieten würde. Auch die Schritte stufte ich nicht als wichtig ein, als ich den Verband endlich beiseite lehnte, mich zur Seite lehnte und den Oberschenkel betastete. Ein Fleck… mehr war dort nicht zu sehen, doch als ich Druck auf die Wunde ausübte, bewahrheitete sich meine Vermutung. Kurz war ich davor, das Gesicht zu verziehen, hielt jedoch abrupt inne, als sich die Geräusche gefährlich und weiterhin näherten.

„Kuro-chan hat doch wirklich den Tee mit der Soße verwechselt.“ Unverwandt erhob sich da eine nur zu bekannte Stimme und mein Gesicht vereiste. Es waren außerdem mehr als zwei Füße. Schallend erhob sich ein leises Lachen und kaum hatte ich das Gesicht zur Seite gewandt, trafen zwei weitere ein, die es auf die Duschen abgesehen hatten. Die Hände hinter dem Kopf ineinander gefaltet, schob sich Lavi durch den gefliesten Durchgang, wandte sich lachend an seinen Begleiter.

„Hat es erst bemerkt, nachdem er die ganze Schale ausgetrunken hatte!“

„Ah.“ Teilnahmslos kratzte sich Allen an der Wange. „Das ist wirklich tragisch… oh.“ An Lavi starrte er vorbei, spähte zu mir und sofort drehte sich auch der Rothaarige um. Unter einem leisen Knurren hatte ich den Kopf bereits sinken gelassen. Nicht lange, bevor ich mich stöhnend aufrichtete.

„Ohh!“ Lavi schien entzückt. Ich sah es nicht, hörte es jedoch. Sein Glucksen schallte in den Raum und mit verspielten Schritten gesellte er sich geradewegs zur Bank. „Wer hat dich denn rausgelassen, Yu?“

„Kch!“

„Aaallen?“ Heiter ließ er sich in sicherer Entfernung auf die Bank fallen. „Unser Yu ist wieder gesund!“

„Du sollst meinen Vornamen nicht in den Mund nehmen!“ Ich bläute es ihm ein weiteres Mal ein, starrte finster hinüber und hatte trotzdem keine Lust, aufzuspringen und ihm an die Gurgel zu gehen. Ich hatte mich zu schonen und ein weiteres Mal ging mein Protest sang- und klanglos unter. Unter einem beherzten Seufzen streckte Lavi die Beine von sich und machte sich an den Schnallen seiner Uniform zu schaffen. Allen ließ sich mehr Zeit. Kurz und planlos hatte er dort gestanden, sich im Haar gekratzt und die Wangen aufgebläht. Nun saß er auch, zog den Fuß zu sich auf die Bank und begann die Schnallen des Stiefels zu öffnen.

„Brauchst auch eine Erfrischung, was?“

Kurz hatte ich mir die Hoffnung gemacht, mit einer dummen Bemerkung wäre es getan aber schon grinste er wieder rüber.

„Draußen ist es ganz schön warm“, fuhr er fort und streifte sich die Jacke von den Schultern. „Man klebt, wie ein Eis am Stiel.“

„Fiel dir nichts Besseres ein?“ Kritisch legte Allen den Kopf schief und ich versuchte mich herauszuhalten. Mit finsterer Miene kam ich auf die Beine. Vor Lavi hatte ich noch nie die Flucht ergriffen. Auch heute war dieser Tag noch nicht gekommen und so entschloss ich mich dazu, ihn einfach zu ertragen.

„Oh!“, erhob sich ein erschrockenes Ächzen, als ich mich von den Shorts befreite, den Stoff zur Seite trat. „Das tut mir leid, Yu… du lagst ja die ganze Zeit im Krankenflü…“

„Laaavi.“

Allen besaß eine Fertigkeit, die mir unbegreiflich war. Mit nur einem Stöhnen brachte er den Rothaarigen zum Schweigen und ich gab mich meinen stummen Flüchen hin, als ich die Duschplätze erreichte. Ein leises Kichern erhob sich kurz darauf, begleitet von einem permanenten Klirren und Rascheln. Unterdessen griff ich schon nach einem der Hähne, stellte ihn um und schloss die Augen unter dem ersten kalten Strahl, der auf mich herabrauschte.

„Schau mal…“, nur gedämpft hörte ich Lavis Glucksen. Ein Stiefel fiel zu Boden.

„Ieh! Was zur Hölle ist das!“

„Keine Ahnung, wo man eben so rein tritt.“

„Das ist eklig.“

„Zeig mal deine Sohlen.“

„Vergiss es!“

„Zeig doch maaal!“

„Sind wir zum duschen hier oder um… hey!“ Die Stimme des Jungen erschallte impulsiv und ich schöpfte tiefen Atem, fuhr mit beiden Händen über meinen Schopf und hob das Gesicht in den inzwischen warmen Wasserstrahl. „Lavi…?“

„Hah?“

„Fass… meine Stiefel nicht an!“

„Uwoow!“

Es tat so gut und abermals schöpfte ich tiefen Atem, fuhr mit den Händen über mein Gesicht und blickte mich anschließend nach der Seife um. Nur beiläufig registrierte ich die Beiden, die sich in der Nähe einfanden und sich sofort an den Duschhähnen zu schaffen machten. Ebenso schnell wurde ich fündig, griff nach der Flasche und befasste mich nur mit ihr. So blieben sie vielleicht unter sich und sprachen mich nicht an.

„Brr… kalt!“ Unter dem ersten Wasserstrahl fuhr Lavi in die Höhe, schüttelte sich wie ein Hund und tanzte auf der Stelle.

„Ich hab keine Seife“, stellte Allen unterdessen fest und kurz darauf platschte Lavi an mir vorbei, rutschte zu einer anderen Ablage und kehrte mit einer weiteren Flasche zurück. Ein Lied trällernd, fand er sich wieder unter seiner Dusche ein und daraufhin wurden die heiteren Gespräche weitergeführt.

Ich hatte es schon früher bemerkt… sogar eine gemeinsame Dusche wurde bei anderen zu einem lustigen Spektakel und es gelang mir recht gut, die Ohren einfach abzuschalten und mich mit mir zu befassen. So trat ich etwas aus dem Wasserstrahl, blinzelte unter den letzten Rinnsälen, die über mein Gesicht liefen und begann mich zu waschen.

„Ahh… herrlich!“ Lavis Stimme versiegte, als er das Gesicht im Strahl versenkte, das Wasser genießerisch auf seine Haut prasseln ließ. Nur zufällig richteten sich meine Augen auf ihn, schweiften jedoch unweigerlich weiter und das alles andere als unbewusst. Meine Sinne täuschten mich nicht. Es gab schon eine gewisse Aufmerksamkeit und gemächlich streckte ich den Arm, wusch ihn mit der Hand… den intensiven, annähernd provokanten Blick des Jungen annähernd unbeteiligt erwidernd. Nur langsam bewegten sich seine Hände über den Bauch, verstrichen die schäumende Flüssigkeit und dabei blieb ihm alle Zeit der Welt, mich offensichtlich und interessiert von Kopf bis Fuß zu beäugen.

Wir sahen uns nur selten bei Tageslicht… und auch ich betrachtete ihn mir gemächlich und wechselte den Arm. Genüsslich lehnte sich Lavi unterdessen zur einen Seite, zur anderen Seite, hielt die Ohren in den Schauer und kam zum Gesicht zurück. Er war beschäftigt und für wenige Augenblicke nicht mehr anwesend. Ich senkte die Lider, hielt mich mit der Beobachtung nicht weniger zurück, als er und betrachtete mir seine Beine. Seine ganze Gestalt… er wirkte so schmal, so zerbrechlich. Sein Körper hatte eine Kindheit inne, die mir selbst von Zeit zu Zeit weniger anzusehen war. Auch der flache Bauch, die zarten Konturen der Brust… bis sich das pechschwarze Mal von seiner linken Schulter über seine helle Haut zog. Wie offensichtlich konnte Stärke sein und wie sehr versteckte sie sich zu manchen Zeitpunkten?

Alles an diesem Jungen war trügerisch.

Letztendlich drifteten meine Augen seinen Hals hinauf, streiften seine Kehle, sein Kinn und hielten bei seinen Lippen inne. Ein sanftes, unscheinbares und reines Lächeln verlieh ihnen Ausdruck, während sich seine Pupillen noch etwas bei meiner Brust aufhielten. Sie ließen sich mehr Zeit mit der Betrachtung und das Lächeln hielt an, als sie sich hoben und er meinen Blick mit demselben, besinnlichen Schmunzeln erwiderte. Es war eine seltsame Atmosphäre zu einer seltsamen und seltenen Gelegenheit und kaum hatte ich den Kopf schief gelegt, entfaltete sich das sanfte Lächeln zu einem tiefen, anzüglichen Grinsen, unter welchem er den Kopf senkte, mich weiterhin und mit verstohlenen Absichten in Augenschein nahm.

Trügerisch… in jeder Facette seines Charakters und unter einem knappen Grinsen wandte ich mich ab, lieferte mich wieder dem Wasserstrahl aus.

„Puha!“ Schnaufend neigte sich Lavi indessen ins Freie, wild schüttelte er seinen roten Schopf, patschte aus dem Strahl und streckte sich genießerisch. „Allen? Krieg ich die Seife?“

„Ah… Moment!“

„Wie lange brauchst du denn?“

„Hetz mich nicht!“

Gemächlich spülte ich unterdessen jegliche Seifenreste von mir, öffnete den Mund unter dem Strahl und wendete das Gesicht ein letztes Mal in dem angenehmen Rauschen. Und schon fand meine Hand zurück zum Hahn und stellte die Dusche ab. Wenige letzte Tropfen gingen auf mich hinab, bevor ich den Kopf schüttelte, mich zur Seite neigte und das Haar über meine Schulter zog. Ich wrang es aus, blinzelte die letzten Tropfen von meinen Wimpern und hielt inne, als ich erneute Aufmerksamkeit spürte. Gepackt von so einigen Befürchtungen blickte ich auf. Die Seifenflasche in der einen Hand, einen Schwamm in der anderen, starrte mich Lavi an. Den Mund unentschlossen geöffnet, schien er ernsthaft zu grübeln, während Allen hinter ihm auf den Fliesen saß, gemächlich seine Füße wusch.

„Was!“, fauchte ich, als er nach wenigen Sekunden immer noch nicht mehr tat, als zu starren. Sofort erwachte er zum Leben und die ernsthaften Grübeleien entpuppten sich als irgendein Blödsinn, als sich das alte, heitere Grinsen auf seinen Lippen entfaltete und er mit der Flasche zu gestikulieren begann.

„Sag mal“, wisperte er verspielt, wies mit der Seife auf seinen Schopf. „Dauert das nicht furchtbar lange, bis die trocken sind?“

„Ach, halt einfach die Klappe!“ Stöhnend zog ich eine Grimasse. Natürlich! Wie konnte man etwas anderes erwarten und mit mürrischer Miene machte ich mich auf den Weg zurück zur Bank.

„Was denn?“, erkundigte er sich schuldunbewusst, als ich nach einem der Handtücher grabschte und es vom Haken zerrte. „Das frage ich mich wirklich! Sei doch nicht immer so!“

Glücklicherweise kamen die dummen Fragen erst, wo ich ohnehin fertig und auf dem Weg nach draußen war. So enthielt ich mich der Antwort, stieg in die Shorts und zerrte sie hinauf.

„Yu mag nicht über seine Haare reden“, seufzend suchte Lavi Trost bei Allen und ich verschwendete keine weitere Zeit. Nur nachlässig wischte ich mir die Feuchtigkeit vom Leib.

„Er hat bestimmt einen Fön oder so etwas“, drang kurz darauf das Nuscheln des Anderen an meine Ohren und ich presste die Lippen zusammen, zog das Handtuch über meine Beine und machte mich anschließend gemächlich daran zu schaffen. Nebenbei noch schnell den wärmenden Mantel und die Bandage über die Schulter geworfen und mit wenigen Handgriffen war der robuste, nasse Stoff zu einem Knoten festgezurrt.

„Aber schöne Haare hat er.“ Spielerisch wendete Lavi die Seife in die andere Hand. „Das muss ja… au!“ Zielsicher traf ihn das Handtuch am Kopf und nur beiläufig verfolgte ich sein Stolpern und Straucheln, während ich mich auf den Weg nach draußen machte. Ein kurzer Blick, eine kurze Genugtuung und unter einem knappen, lustlosen Winken verließ ich die Dusche. „H… hey! Wieso krieg nur ich etwas ab?!“

Eine Frage, die sich ihm niemals beantworten würde.

Am wichtigsten war doch, dass er bei der Wucht vermutlich unter einem gewissen Kopfschmerz zu leiden hatte und mich eine geringe Genugtuung tröstete, mir ein minimales, gutes Gefühl verschaffte. Und das hatte ich nötig, bei dem Ort, an den ich zurückzukehren hatte. Ein frisches Bett gestaltete diesen Ort auch nicht sonderlich angenehmer aber ich nahm es auf mich. So, wie ich alles auf mich nahm, ohne zu jammern, wie es andere so gerne taten.
 

Und es wurde spät. Es wurde dunkel und meine Stimmung von der lästigen Untätigkeit an einen Punkt getrieben, der keinen Platz für Optimismus zu bieten hatte. Vermutlich blieb ich nicht mehr lange, vermutlich war es die letzte Nacht aber letztendlich hatte diese Nacht noch nicht einmal begonnen. Die Gedanken auf alles und auf nichts gerichtet, streckte ich mich im Bett, rollte mich von einer Seite zur anderen und starrte schlussendlich doch nur aus dem Fenster. Das Verlassen des Zimmers war mir für den Rest des Tages untersagt worden. Nicht unbedingt eine Sache, die mich interessierte… andererseits wüsste ich nicht, wohin ich gehen sollte und lange Zeit verharrte ich einfach still, blinzelte dem Himmel entgegen und verfolgte abwesend, wie er die abendliche Rottönung annahm. Nur selten hatte man die Zeit, diesen Wandel zu verfolgen. Man achtete einfach nicht darauf aber für einen Moment wusste ich diesen Anblick zu schätzen. Vielleicht zwei Minuten, bis ich die Augen verdrehte und dem Fenster den Rücken kehrte.

Es war auch eine traurige Tatsache, dass ich das Klicken der Tür beinahe begrüßte. Auch, wenn es das vermutlich ungenießbare Abendessen ankündigte. Unweigerlich schweiften meine Augen zu dem Trennvorhang.

„Wird er bestimmt mögen.“

Diese Stimme… ich hob die Brauen, regte den Kopf auf dem Kissen und wirklich, die Oberschwester hatte nicht nur ein Tablett dabei, sondern auch einen weiteren Besucher. Bequem schlenderte er neben ihr. Die Augen hin und wieder auf das Tablett gerichtet und kurz darauf auch auf mich. In einem flüchtigen, entspannten Gruß hob er die Hand und ich akzeptierte seine Anwesenheit still, interessierte mich viel eher noch für das Abendessen, das behutsam auf dem Nachttisch abgestellt wurde.

„Sie haben aber nicht vergessen, was ich Ihnen heute Mittag gesagt habe, oder?“ Sofort wurde Misstrauen gegen mich gelenkt. Vermutlich nicht ohne Grund aber ich ertränkte weitere Zurechtweisungen in einem resignierenden Nicken und begann mich aufzurappeln. Ich hatte es also zu essen und während die Schwester das Fenster um ein Stück öffnete, blieb der Junge bequem neben dem Bett stehen. Ich schenkte ihm kaum Beachtung, bekam nur beiläufig mit, wie er die Arme verschränkte und die Lampen bestaunte.

„Jetzt kriegen Sie noch etwas frische Luft. So lässt es sich bestimmt noch mehr genießen.“

„Mm.“ Naserümpfend lugte ich in die Schälchen und nach einem leisen Seufzen näherten sich die Schritte der Oberschwester der Tür.

Anscheinend hatte Jerry es begriffen. Dieses Abendessen entsprach schon etwas mehr meinem Geschmack und als das Klicken der Tür ertönte, langte ich nach dem Tablett.
 

„Heute Morgen sah ich nicht besser aus.“ Unablässig glitten seine Hände durch mein Haar, folgten den langen Strähnen und bändigten sie geduldig. „Morgenstruppel sind eine witzige Sache.“

Dazu konnte ich nichts sagen. Es war nicht ganz mein Thema und so widmete ich mich entspannt meinem Tablett. Ich saß im Schneidersitz, hatte es auf meinen Knien gebettet und bediente mich gemächlich, kaute, löffelte und fand wenig Schlimmes daran. Zugegeben, es schmeckte doch ganz gut.

Kitzelnd streiften seine Finger mein Ohr, als er nach einer verirrten Strähne fischte, sie mit nach hinten nahm und sich gemütlich regte. Die Beine an mir vorbeigestreckt, saß er in meinem Rücken, thronte hoch auf dem Kopfkissen und tat sich keinen Zwang an. Seit Minuten war er an meinen Haaren zugange und mein Ellbogen fand in seinem Knie eine angenehme Stütze. Kauend blickte ich über das Tablett hinweg, tastete nebenbei nach einem Sushi und reichte es ihm über die Schulter nach hinten.

„Weißt du…“, seine Hände ließen die fleißige Arbeit kurz ruhen und schon spürte ich seine Lippen an meinen Fingern, seine Zähne, die sich das Sushi klauten, „… mmm… iff geh nacha nochma inne Stadt, soll waf für Komui beforgn. Mm… brauchst du irgendwas?“

„Wüsste nichtE was“, nachdenklich tastete ich nach dem nächsten Sushi, ließ es im Mund verschwinden und kaute genügsam. „Ich brauche nichts.“

Ein leichtes Ziehen verriet, dass er mit dem Zopf endlich zufrieden zu sein schien.

„Gummi.“ Seine Hand streckte sich an mir vorbei und sofort machte ich mich auf die Suche. Auf dem Tablett lag er nicht und auch, als ich mich leicht zur Seite neigte, tauchte er nicht auf.

„Wo hast du ihn hingelegt?“

„Na, da.“ Blind streckte sich sein Zeigefinger in eine Richtung. „Irgendwo da.“

Annähernd wies er auf das Fenster und so entschloss ich mich dazu, seinen Anweisungen kein Vertrauen mehr zu schenken. Die Hand in meinem Haar, beteiligt er sich kurz an der Suche, lehnte sich hinter meinem Rücken hervor und schloss sich letztendlich doch nur der Stille an, die über uns hineinbrach. Das gesuchte Objekt war verschwunden und er schien diese Tatsache schnell zu akzeptieren. Mit einem Mal löste sich seine Hand aus meinem liebevoll zurechtgemachten Haar, ließ es auf meine Schultern hinabfallen.

„Ach, lassen wir es einfach offen.“ Seufzend warf er sich zurück, lehnte sich gegen die Wand und bewegte die Füße auf der Matratze. „Gefällt mir ohnehin besser.“

Kurz hatte ich innegehalten, die Angelegenheit durchdacht und ebenso schnell abgehakt. Ich musste mir keine Fragen mehr stellen, es war schon in Ordnung und ich machte mich wieder an das Essen, hob das Glas vom Tablett und nippte an der Limonade. Die Sushi ließen stets einen unangenehm trockenen Mund zurück und so reichte ich auch das Glas nach hinten, ließ es mir abnehmen.

„Wie kommt es, dass du nicht unterwegs bist?“ Wieder zog ich die Stäbchen zu mir, wendete sie zwischen den Fingern und versenkte sie im Reis. „Seit zwei Tagen hängst du nur herum.“

„Du auch“, verteidigte er sich aufstöhnend und kaum hatte ich den Reis im Mund versenkt, spürte ich, wie sich seine Knie um mich schlossen. Langsam trafen sie auf meine Rippen, klemmten mich annähernd ermahnend zwischen sich ein. „Ganz reizend, wie du unsere seltene, gemeinsame Zeit zu schätzen weißt.“

Ach Gott… unbeteiligt kaute ich weiter und das leise Knistern der Kohlensäure verriet, dass er einen weiteren Schluck nahm.

„Gesetzt den Fall, deine Worte hätten mich jetzt verletzt…?“ Verstohlen murmelte er mir in den Rücken, begann mich leicht von einer Seite zur anderen zu drängen. „Stell dir vor, ich wäre sensibel.“

Gerne… aber erst brauchte ich noch etwas von dem Reis. Lustlos unterwarf ich mich den verspielten Bewegungen seiner Beine, schwankte leicht von einer Seite zur anderen und fischte währenddessen mit den Stäbchen nach dem Schälchen.

„Was führst du im Schilde?“

Eigentlich war ich mir dessen längst bewusst. Es kam nicht oft vor, dass er freiwillig in die Rolle der gebrechlichen Bohnenstange schlüpfte. Und wenn er es doch tat…

„Och, nichts Bestimmtes.“ Seufzend hielt er endlich die Beine still, ließ mich in Ruhe esse. „Ich will nur mit dir schlafen.“

Die Verblüffung blieb mir fern; es handelte sich nicht um eine unerwartete Antwort und kurz blies ich mir eine Strähne aus dem Gesicht, schnappte nach den Stäbchen.

„Mach dich nicht lächerlich.“ Kauend rückte ich an den Schälchen, löste den Ellbogen von seinem Knie, als er faul die Beine durchstreckte. „Das hier ist wohl kaum eine günstige Gelegenheit.“

„Genauso ungünstig, wie der Wald oder noch ungünstiger?“

Knallhart… und kurz hielt ich inne. Die Stäbchen reglos erhoben, verzog ich das Gesicht, verfolgte, wie seine Füße von einer Seite zur anderen wippten.

Eine bizarre Art des Humors.

Ihm verging nie die Lust daran, mich aufzuziehen und wie deutlich konnte ich mir vorstellen, wie er in meinem Rücken grinste, sich selbst an meinem Schweigen erfreute.

Was sollte ich auch sagen?

Diese Momente hatte es gegeben. Auch viele andere, die er je nach Lust und Laune gegen mich verwendete.

„Ungünstig“, brachte ich letzten Endes nur hervor, tat es nachdrücklich und griff nach dem Tee. Auch dieser schmeckte recht annehmlich und während ich ein zweites und drittes Mal nippte, senkte sich die Matratze unter trägen Bewegungen. Die Beine zogen sich etwas zurück, das Geräusch seines Atems näherte sich meinem Ohr und beiläufig hob ich den Arm, gab seiner Hand den nötigen Platz, um das Glas auf dem Tablett loszuwerden. Blind suchte sie nach einer freien Stelle, traf klirrend auf ein Schälchen und das Ziel erst, nachdem ich sie knapp dirigiert hatte. So hatte sie ihre alte Freiheit wieder und leicht sank ich zurück, als er die Arme um meinen Leib legte und an meinen Rücken heranrutschte. Er schloss jede Lücke, schmiegte sich an mich und die Wange an meine Schulter. Warm drang ein tiefer Atemzug durch den Stoff meines Hemdes und er umschlang mich fester.

„Sei mir nicht böse. Ich bin jung und tölpisch und ich habe dich gern. Kriege ich noch ein Sushi?“

„Nichts mehr da.“ Klirrend landeten die Stäbchen wieder auf dem Tablett und sein Leib regte sich unter einem tiefen Atemzug.

„Du bist so gefräßig.“

„Ja ja.“ Resignierend neigte ich den Kopf zur Seite, verdrehte die Augen… und mit einem Mal schien die gesamte Atmosphäre zu zerbröckeln. Abrupt richteten sich meine Augen auf den Trennvorhang, nicht viel später lockerte sich auch seine Umarmung und ein leises Brummen war das Einzige, was ich noch hörte, bevor er von mir abließ, sich in das Kissen zurückwarf und das Bein an meinem Rücken vorbei schwang. Nur leicht hatte ich mich nach vorn gebeugt und schon klickte die Tür. Es passierte schnell, doch er war nicht langsam und als die Oberschwester bei uns erschien, hatte er es bereits auf dem Stuhl bequem.

„Ich wollte nur das Fenster schließen.“ Lächelnd zog die Frau an dem Bett vorbei und finster folgten ihr zwei Augenpaare. „Wollen ja nicht, dass Sie sich verkühlen.“

Schon schnappte die Fensterscheibe in den Rahmen und während ich lustlos das Glas an mich nahm, fiel ihr Blick schon auf das Tablett.

„Na, das freut mich ja.“ Sie schlug die Hände zusammen und als ich knapp zu dem Jungen lugte, pulte er zwischen seinen Zähnen. „Da hatten Sie aber Ape…“, ihre Stimmte senkte sich, verlor an Lautstärke, bis sie einem plötzlichen Schweigen verfiel. Der Junge war es, den sie skeptisch in Augenschein nahm. „Sie haben doch nicht etwas damit zu tun, oder?“

„Mm?“ Sofort rutschten dem Angesprochenen die Finger aus dem Mund. Ich genoss unbeteiligt die Limonade, hörte ihn kurz darauf brummen. „Nein, nein, der Herr hat alle Sushi ganz alleine gegessen.“

Augenrollend wendete ich das Getränk im Mund, schluckte hinter.

Wie nachtragend konnte man sein?

„Na, dann.“ Sie schien sich damit zufrieden zu geben, wünschte mir noch weiterhin einen guten Appetit und sobald wir wieder unter uns waren, drang ein laues Stöhnen an meine Ohren. Er streckte die Beine von sich, faltete die Hände im Nacken und starrte an die Zimmerdecke.

„Wie ungünstig“, stieß er genervt aus und ich zuckte mit den Schultern, sah mich nur bestätigt. Hatte er es wirklich erst jetzt eingesehen? Ein weiteres Stöhnen folgte und irgendwie hatte ich Lust, mich ihm anzuschließen, denn die Türe klickte erneut, ließ mich die Hand fester um das Glas schließen. Den Krankenflügel würde ich auch nicht vermissen, wenn man mir die letzten Stunden nicht schlimm gestaltete und die Befürchtungen verstärkten sich, als ich den weiteren Besucher erkannte.

„Kanda!“ Mit sonniger Miene schob sich Komui an dem Vorhang vorbei, knitterte ein Blatt Papier in der Hand und hob es zum flüchtigen Gruß. „Pass auf, ich…“

Die Stimme versiegte hinter seinen Lippen, ließ sie sich still bewegen, als er bemerkte, dass er nicht der Erste war. Stirnrunzelnd spähte ich zu dem Grund seiner Erschütterung, schüttelte aber nur den Kopf und trank die Limonade.

„Hah?“ Mit großen Augen starrte er von dem Jungen zu mir, ließ das zerknitterte Papier sinken und rang augenscheinlich um Fassung.

„Tag.“ Der Junge schien das Treffen besser zu verkraften und kurz mischte sich ein Ächzen unter das Rascheln des Papiers.

„Wie.“ Fassungslos wurde die Aufmerksamkeit auf mich zurückgelenkt. „Mich lässt du rausschmeißen aber er darf hier sein…?“

„Ich habe ihn nur gefragt, ob ich ihm etwas mitbringen soll“, übernahm der Junge entspannt die Erklärung und ich legte den Hinterkopf in den Nacken, leerte das Glas. „Aber es fehlt ihm an nichts. Vor allem nicht an Sushi.“

Die Schmerzen hatten mich wieder und kapitulierend schloss ich die Augen, rieb sie mir.

„Ah…“ Noch immer unentschlossen blieb Komui stehen, runzelte die Stirn, kratzte sich an der Wange und kam nach einer kurzen Zeit voll erdrückendem Schweigen wieder zu sich. „Wie auch immer“, manövrierte er sich flink in eine Richtung, die er begriff. „gut, dass ich dich hier treffe, Allen. Bevor du gehst, möchte ich dich noch einmal kurz sprechen. Am besten gleich.“

„Klar.“

Er gestikulierte mit dem Papier, machte sich anschließend aber sofort daran, es zu entknittern und ich riss mich endlich von dem wahllosen Rücken des Geschirrs los, als er an mich herantrat. Weiterhin wurde an dem Blatt gerupft und unter einem tiefen Atemzug blickte ich auf.

„Pass auf, Kanda.“ Er schürzte die Lippen, befeuchtete sie mit der Zunge und beugte sich zu mir hinab, als ginge es um eine Heimlichkeit. Möglicherweise, aber letztendlich bestimmt nur um einen weiteren Blödsinn. „Wir sind fleißig am wetten. Ich brauch die Meinung eines Kenners.“

Jeder Glauben bröckelte aus meinem Gesicht, als er mir den Zettel reichte. In seinem Rücken quietschte der Stuhl, als sich der Junge zur Seite neigte, auch einen Blick darauf zu werfen versuchte.

„Hier.“ Während ich nur starrte, nahm seine Miene einen gewissen Triumph an und scheinbar ging es ihm nicht schnell genug, denn er tippte auf das Papier, hielt es mir unter die Nase und unweigerlich besah ich es mir. „Was ist das für ein Schwert?“

Soweit man es erkennen konnte… automatisch betrachtete ich mir das Bild genauer, versuchte es auch noch zu deuten, als er es unruhig vor meinem Gesicht bewegte. Kurz darauf unterließ er es aber, denn ich zog es ihm aus der Hand, runzelte die Stirn.

Das Beste war wohl, sich einfach zu fügen. Genaueres wollte ich gar nicht wissen und nach einem weiteren Blick fielen mir Details auf, die die Entscheidung leicht gestalteten.

„Ein Badô Ichimonji.“

„Sicher?“

„Mm.“

„Vielen Dank!“ Schon wurde mir das Papier abgenommen und der Junge ließ sich gegen die Lehne zurückfallen. „Kriegst auch was von meinem Gewinn ab.“

„Will ich gar nicht.“

„Auch gut.“ Schwungvoll drehte er sich um, verstaute das Blatt in der Tasche seines Mantels und machte sich auf den Rückweg. Zusammengesunken sah ich mich nach, verfolgte auch, wie der Junge auf einen Wink vom Stuhl rutschte und auf die Beine kam.

Was für eine Wendung…

Um einen von beiden tat es mir leid.
 

~*tbc*~



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