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Reqium of Darkness & Quiet Symphony

Walker x Kanda
von

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Für das Leben des Freundes

Am nächsten Tag aus dem Bett zu kommen, fiel mir nicht schwer. Frühzeitig schob ich mich von der Matratze. Früh genug, um mich noch einem ausgiebigen Frühstück hinzugeben und die Ruhe im Speiseraum zu nutzen. Morgens um halb fünf war er noch nie gut besucht gewesen und so blieb Jerry die einzigartige Gelegenheit, sich nur um mich kümmern zu müssen. Ganz praktisch, denn mein Frühstück bekam ich so schnell, wie nur selten. Noch leicht zerzaust ließ ich es mir schmecken und so oft ich auch zu jener großen Tür spähte... so sehr ich auf jemanden erwartete, er kam nicht. Ein Fakt, der nicht sehr ernüchternd war. Ich würde ihn früh genug zu Gesicht bekommen und die Zeit mit Fragen zu verschwenden, gefiel mir auch nicht. Vielleicht aß er so früh morgens noch nichts? Vielleicht nutzte er die Zeit lieber für den Schlaf?

Ich wusste nicht, wo er war, doch tat diese Tatsache einfach ab.

In etwas mehr als einer Stunde würden wir denselben Weg beschreiten. Für eine lange Zeit, auf einer vermutlich sehr langen Mission. Recherchen... höchstwahrscheinlich waren es auch Kämpfe, die uns erwarteten und während ich kaute, rührte und Tim von meinem Frühstück fernhielt, spürte ich diese Sicherheit in mir. Mit Kanda zu missionieren hatte sich noch nie als schlecht herausgestellt. Meistens übertraf er die eigene Motivation und Zielstrebigkeit bei weitem und brach damit ungeahnte Rekorde, doch Erfolge waren mit ihm sehr greifbar und in diesen Erwartungen schwelgend, leerte ich meine Teller und Schüsseln und legte bald darauf meine Uniform an. Ich lag gut in der Zeit, konnte bequem die Schnallen schließen und in meine Stiefel steigen. Es war ein guter Beginn, ein Entspannter und als ich hinaus in das Treppenhaus trat, da sah ich ihn schon. Er lehnte an einem Geländer. Nicht sehr weit von meiner Tür entfernt und studierte die Mappe. Mich bemerkte er sofort und es blieb bei einem stummen Blick, bevor er sich einfach abwandte und losging.

So abweisend... so schweigsam.

Ich war doch nicht etwa der Einzige, der in diesen Genuss kam...?

Natürlich nicht.

Weshalb sollte dem auch so sein?

So wünschte ich ihm fast provokant einen guten Morgen und machte mich mit ihm auf den Weg.
 

Es blieb bei diesem angespannten Schweigen... ein durchaus auffälliges Schweigen, das weit über den Bahnhof hinaus anhielt. Stumm studierte er den Fahrplan und kaum hatte auch ich diesen Fleck erreicht, da ließ er mich wieder stehen und ließ sich auf einer nahen Bank nieder.

Nicht sehr ruppig... nicht einmal sein Gesicht zeugte von irgendeiner Wut. Er war einfach auf eine entspannte Art und Weise abweisend und jetzt auch zufällig mir gegenüber.

Irrte ich mich oder hatte er am gestrigen Tag noch Worte mit mir gewechselt?

Ich lugte zu ihm, Stirnrunzelnd und durchaus etwas skeptisch.

Ich befürchtete, ich argwöhnte... und verwarf.

Diese Abweisung hätte jeden Missionspartner getroffen. Ganz sicher.

Er war nicht nachtragend wegen dem Zweikampf. Mein durchaus verändertes Verhalten ihm gegenüber fiel ihm auch nicht auf. Wie könnte es auch?

Ich hatte ihm zu wenig Gelegenheiten geboten, um auf so etwas zu kommen.

Ich schuf mir diese Sicherheit und wiegte mich in ihr.

Und ich befasste mich mit dem Plan.

Der erste Zug würde jeden Augenblick einfahren. Er brachte uns nach Gipúzkoa und ein weiterer Zug in die Nähe von Huesca. Eine Stadt, die nicht direkt zu erreichen war und so konnte man einen gewissen Fußmarsch erwarten.

Die Reise begann wie erwartet.

Mit größter Selbstverständlichkeit ließen wir uns nicht im selben Abteil nieder. Bevor wir in diesen Zug stiegen, hatte ich mir auch eine Frage einfallen lassen. Etwas Belangloses, um Kandas seltsame Verhalten auszubauen, bis es Form für mich annahm.

Ob er schon einmal in Huesca war... ob er sich dort auskannte und wieder blieb es bei einer stillen Erwiderung. Ein Nicken, das man auch nur vermuten konnte, doch diese Geste sorgte dafür, dass ich die ersten Stunden der Fahrt nachdenklich verbrachte. Die Beine auf der Bank lang gemacht, die Finger nahe am Mund auch nicht selten am Knaubeln, während meine Augen über das deprimierende, weiße Nichts hinwegschweiften, das an dem Fenster vorbeizog.

Konnte es sein...?

Nein... nein, keinesfalls.

Es war einfach Missstimmung gepaart mit dem alten Frust.

Nichts, das sich direkt gegen mich lenkte. Es traf nur mich, weil kein anderer da war.

Eine klare Sache und doch hatte ich schwer damit zu tun, mir diese Tatsache zu verdeutlichen und für mich anzunehmen. Ich arbeitete schwer daran, dieses seltsame Ding zu verinnerlichen und als wir am späten Nachmittag des Tages in Gipúzkoa den Zug verließen, war es mir wirklich gelungen. Ich war so schuldunbewusst, so angestrengt naiv, dass ich Kanda tun und unterlassen ließ, wonach ihm eben der Sinn stand. Einfach alles, ohne es von mir abhängig zu machen.

Ich schloss mich seiner Schweigsamkeit nicht direkt an... forderte nur keine Gesprächigkeit und sah mich dadurch völlig entspannt.

Der Bahnhof Gipúzkoas war kaum als ein solcher zu betrachten. Nur drei Gleise, umgeben von einem überdachten Steg und auch tief in den Mantel gehüllt, war es nicht sehr angenehm, die lange Wartezeit auf sich zu nehmen. Der Körper verspannte sich und als sich nach wenigen Minuten der Wind erhob, machte selbst das Atmen keinen Spaß mehr.

Ich verkroch mich in meinem Mantel, wippte auf den Fußballen und blickte von einer Seite zur anderen, während der Wind unter die Kapuze drang und hemmungslos mein Haar zerzauste. Auch Tim steckte seit geraumer Zeit unter dem wärmenden Stoff und es dauerte gar nicht so lange, da ärgerte ich mich, nicht nach Amerika unterwegs zu sein. Dorthin, wo es warm war... irgendwo dorthin einfach.

In meinem Rücken hielt sich Kanda in Bewegung. Er schritt auf und ab, nicht so nervös wie zu dem Zeitpunkt, an welchem die Unterkühlung ihm heimsuchte aber trotzdem schien es eine klügere Entscheidung zu sein, als einfach nur dazustehen. Er schritt den Steig hinab, machte kehrt, kam zurück und es fiel mir nicht erst jetzt auf, was er für eine Uniform trug.

Ich erinnerte mich, wie ihm die eigene Winteruniform abhanden gekommen war und es war wohl unmöglich gewesen, in der kurzen Zeit eine neue und Maßgeschneiderte anzufertigen. Die Uniform, die er trug, könnte von Lavi sein. Sie war nicht so lang, wie die, die er sich stets anfertigen ließ. Vermutlich, um seine Beinarbeit vor den Augen des Feindes zu verbergen. Diese reichte knapp bis zu seinen Oberschenkeln, war eng und tailliert geschnitten und erlaubte die freie Sicht auf seine langen Beine.

Ein verheerender Anblick und auch während dieser Wartezeit hatte ich so mit mir zu ringen. Nicht zur Seite zu spähen, ihm nicht nachzusehen und wie oft versagte ich und verfluchte diesen dicken Mantel, der oft das vor mir verbarg, auf das ich aus war.

Das Eintreffen des Zuges war so mehrfach erleichternd. Das Ende dieser süßen Verlockung sowie das Ende der Kälte und wie eifrig schob ich mich in das warme Abteil und aus dem Sichtfeld Kandas.

Was uns nun bevorstand, war eine weitaus längere Fahrt. Über Navarra führte uns die Strecke bis in die Nähe Huescas. Wir würden nördlich davon aussteigen, nahe der Grenze Spaniens und wieder war es nichts als eine weiße Landschaft, die Stunde um Stunde an meinem Fenster vorbeizog. Keine Gegend, in der man gerne ausstieg. Der Zug fuhr bis in die Nacht hinein... in eine finstere Nacht, in der sich das Weiß des Schnees kaum noch behaupten konnte. Es war ein ebenso endloses Schwarz, das bald an mir vorbeizog und noch immer in Gedanken vertieft, brachte ich diese dunklen Stunden nicht mit Schlaf zu.

Das Besondere an meinem Missionspartner war, dass er wenig darauf achten würde, ob er alleine ausstieg und ob ich es ihm gleichtat, bevor der Zug anfuhr. Ihm sah es ähnlich, mit finsterer Miene auf dem Steig zu warten und gleichgültig loszugehen, wenn er alleine dort blieb. Eine perfekte Gelegenheit, um mir später wieder Vorwürfe zu machen. Ein gefundenes Fressen, das ich ihm nicht gönnte und so verbrachte ich wenige Stunden lieber mit Essen.

Es war bequem, es war behaglich, wenn auch der Wind durch irgendeinen Ritz zu mir in das Abteil drang und mich an die klirrende Kälte erinnerte, die mich erwartete. Den einen oder anderen Blick warf ich auch in die Mappe, merkte mir die Haltstelle, bei der es soweit war und brachte den Rest der Fahrt gut hinter mich.

Es musste in den frühen Morgenstunden sein, als sich die Stimme des Schaffners in der Nähe meines Abteils erhob und mich auf die Beine brachte. Es war soweit, die Wärme verlor mich, die Kälte wartete und kaum stieg ich auf den gefrorenen Boden der kleinen, abgelegenen Haltstelle hinaus, da tat es auch Kanda einen Wagon weiter.

Ein eisiger Wind blies, ohne dass Flocken fielen und sofort mummelte ich mich wieder in meinen Mantel. Stets dabei die Mappe sowie meinen trägen Golem, trat ich zu Kanda und sah ihn kurz die Karte studieren.

Wir waren mitten in der Einöde gelandet. Ich sah keinen Weg, keine Häuser... nur eine unendliche Steppe, die uns umgab. Doch wenn Kanda sich auskannte, standen uns bestimmt mehrere Möglichkeiten zu. Neben ihm blieb ich stehen, verfolgte, wie er aufblickte und um sich sah. Er suchte nach Orientierung und wie angenehm war es... wie erleichternd, als er sich direkt an mich wendete.

„Wir gehen gen Osten!“

Nur undeutlich drang seine Stimme durch das Pfeifen des eisigen Windes. Selbst so nachdrücklich, wie sie war, fiel es ihr schwer, doch ich verstand es und nickte. Seine Hand hob sich, wies in die Richtung und in das pure Nichts.

„Circa sechs Kilometer entfernt, ist ein Dorf!“

Er sprach doch nicht etwa von einer Pause? Es wunderte mich genauso sehr, wie es mich erfreute.

Was waren schon zwei oder drei Stunden?

Huesca rannte uns nicht weg.

Ich nickte, streifte mir die Kapuze über und hielt mich neben Kanda, als er sich in Bewegung setzte. Es war erleichternd, dass er den Überblick hatte.

„Wenn das so weitergeht...!“, erhob sich seine Stimme wieder, „... kriegen wir einen Schneesturm!“

„Einen Schneesturm?!“, rief ich zurück und keuchte unter dem Wind, der sich in meine Lunge presste.

„Wir werden sehen!“ Die Mappe wanderte unter seinen Mantel, auch sein Kopf wurde durch die Kapuze geschützt und gemeinsam begannen wir so durch den Schnee zu stapfen. Er reichte auf der weiten Flur bis knapp zu den Knien und so entpuppte es sich als ein schwerer Marsch. Es war strapaziös, den Fuß auf dem gefrorenen Schnee zu ziehen und oft sanken wir ein und in verborgene Senkungen des Bodens.

Sechs Kilometer... und wir kamen nicht einmal besonders schnell voran.
 

Es wurde schwer... selbst das Atmen.

Kälter und kälter wurde auch der Wind und mit beinahe erstarrten Gliedern sahen wir irgendwann durch das Tosen und Stieben der Schneeflocken die schwarzen Umrisse eines kleinen Dorfes vor uns. Nur wenige Häuser ohne etwaiges Licht und trotzdem waren wir wohl beide erleichtert bei diesem Anblick. Still einigten wir uns wohl auch auf eine Pause und es war ein kleiner Schuppen, zu dem wir gemeinsam traten. Das Dorf schien nicht groß genug, um eine Herberge zu beinhalten. Ebenso wenig schien noch jemand wach zu sein hinter den fest verschlossenen Türen und Fensterläden. Es blieb uns keine andere Möglichkeit, doch dieser Schuppen war besser, als gar nichts. Eilig tastete ich die Tür ab, fand den Knauf und unter einem leisen Knacken ließ sie sich wirklich öffnen. Es hatte kein Schloss gegeben, keinen Riegel und sofort trat ich in das finstere Innere des kleinen, hölzernen Gebäudes. Es war kaum länger als zwanzig Ellen, kaum breiter als fünfzehn, doch uns bot es genug Platz. Dumpf schloss Kanda die Tür hinter sich, zog sie zurück in den Rahmen und in den nächsten Momenten keuchten wir nur in der Finsternis. Es war nicht warm, doch es war windstill. Auch vor dem Schnee waren wir hier sicher und mehr als das brauchten wir letzten Endes nicht. Das Quietschen der Bodendielen zeugte davon, dass Kanda sich bewegte. Er schien mir die Suche nach einem Licht abzunehmen und so lauschte ich kurz dem äußeren Tosen. Bei diesem Wetter weiterzugehen, wäre wirklich unklug gewesen. Selbst aus Kandas Sicht. Er billigte diese Pause und das sollte etwas heißen.

Vorsichtig trat ich einen Schritt zur Seite, tastete neben mich und spürte die Bewegungen Tims. Er stahl sich aus der Sicherheit meines Mantels, flatterte neben mir empor und atemlos ertastete ich die hölzernen Griffe verschiedener Werkzeuge. Es mussten Besen sein... irgendetwas, das sofort umfiel, als ich es weiterhin betastete und kaum nahm ich in dem kurzen Lärm das Quietschen wahr, das sich nicht sehr weit entfernt erhob. Es klang nach Blech und vorsichtig tat ich einen Schritt nach vorn. Unter meinen Füßen erstreckten sich Holzdielen. Sie mussten von Wind und Wetter verzogen und schief sein, denn der Schritt blieb nicht sehr heimlich.

„Kanda?“

Ich sah ihn nicht mehr, hörte nur dieses Quietschen und kurz darauf sein Murren. Er war an etwas zugange und ich verließ mich einfach darauf, dass es sinnvoll war. Was auch immer er tat. Was mich anging, ich blieb lieber stehen, wo ich stand, lauschte Tims Flügelschlägen und versuchte etwas zu erkennen. Dieser Ort brachte weitaus weniger, wenn man nicht einmal die Hand vor Augen sah aber plötzlich zuckte dort neben mir ein kleines Licht auf. Es war ein Streichholz, das entflammte und plötzlich sah ich Kanda dort hocken. Es war eine Öllampe, wie er gefunden hatte. Nicht sehr weit wohl auch die Streichhölzer und wie erleichtert atmete ich durch, als der Ölgetränkte Docht Feuer fing und sich uns die Umgebung endlich preisgab. Es waren wirklich Besen, die da neben mir lagen, doch das, was sich auf der anderen Seite befand, fand ich umso einiges interessanter. Es war Heu, das dort gelagert wurde. Neben mir blieb Kanda das Streichholz aus und kam auf die Beine. Gemeinsam sahen wir uns um und während meine Augen noch an dem Heu hängen blieben, schlug er seinen dicken Mantel zurück und befreite sich von dem Waffengurt. Er band ihn sich von der Hüfte, fasste Mugen und trat an mir vorbei. Es war eng, doch es ließ sich aushalten. Dumpf ging Mugen auf den hölzernen Boden nieder. Kanda lehnte es an eine Wand und ohne mir einen Blick zu schicken, ließ er sich in das Heu sinken.

„Wir warten nur so lange, bis der Schneesturm vorüber ist“, stellte er klar und dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Sehr schnell würde es ohnehin nicht gehen und so begann ich mich von meinen Handschuhen zu befreien.

„Lass mich eine Runde schlafen.“

Jetzt, wo etwas Ruhe einkehrte, bemerkte ich, wie nötig es wohl hatte und als mich sein Blick traf, da stieg schon dieses Gähnen in mir höher. Ich gab mich ihm hin, rieb mir die durchgefrorene Wange.

„Nur kurz“, kam ich seinen nächsten Worten dann zuvor, stieg hinter ihm in den Heuhaufen und setzte mich. „Wir können uns ja abwechseln.“

„Mm.“ Es klang nach einer Zustimmung und irgendwie kam ich auf den Gedanken, dass auch er im Zug zu keinem Schlaf gefunden hatte.

Weil ihn derzeit auch so einiges beschäftigte?

Ich warf die Handschuhe neben mir ins Heu, zog mir den Mantel von den Schultern und rückte mich zurecht. Hier ließ sich bestimmt schlafen. Der Mantel würde genug Wärme bieten und fröstelnd zog ich ihn über mich.

„Willst du zuerst schlafen?“

„Nein.“

„In Ordnung.“

Das war mir recht.

Tim ließ sich auf einem kleinen, hölzernen Regal nieder und ich machte mich lang. Der Heuhaufen war nicht sehr groß und als ich mich nach hinten sinken ließ, lag ich fast neben Kanda. Eher in seinem Rücken. Aber es war bequem. Das war es wirklich und schon gähnte ich erneut. Neben mir atmete Kanda tief durch. Er begann sich ebenso zu entspannen. Das permanente Frösteln fiel von uns beiden und behaglich verschränkte ich die Arme unter dem Kopf und bettete diesen auf den Unterarmen. Eine Stunde... zwei... es würde mir völlig genügen, bis wir in den Ernst der Mission hineinrutschten. Ich blinzelte zum Dach des Schuppens, erkannte dort eine schiefe, defekte Lampe und spähte anschließend auch zu der Öllampe, die tapfer ihren Dienst tat. Das Öl würde reichen.

Für eine ganze Weile und kurz streiften meine Augen auch Kanda, bevor sie sich schlossen. Er hatte zur Tür geblickt, die Ellbogen auf die Knie gestemmt... und dann wurde es schwarz. Meine Lider wurden schwer und bequem lauschte ich dem leisen Knacken des Dochtes. Das Heu unter mir war weich... nur der eine oder andere Halm piekste in meinen Rücken aber daran konnte ich mich nicht mehr stören.

Es dauerte vermutlich gar nicht lange, bevor ich in den Schlaf fiel. Das Knacken des Dochtes drang aus meiner Wahrnehmung, selbst Kandas beruhigende, gleichmäßige Atemzüge... jedes Geräusch entfloh meinen Ohren und binnen weniger Minuten driftete ich aus der Realität und in meine abgeschiedenen, seltsamen Gefilde. Sie hatten mir Glück gebracht in letzter Zeit, hatten nichts bereit gehalten, das mich vor Entsetzen erstarren ließ und gerne war ich diesmal gutgläubig und voller freudiger Erwartung... in nichts. Ein tiefer, dunkler Schlaf, der ereignislos blieb, war alles, was ich mir wünschen konnte und doch bemerkte ich rasch, dass ich Gebieten entgegen trieb, die alles in mir enttäuschten.

Ich fiel... ich sank in dieses schwarze Nichts und ich spürte diese Wärme, die mich begleitete. Ein Trugbild, das ich sofort als ein solches erkannte. Die Realität hielt derzeit keine Wärme für mich bereit... ich erinnerte mich an diesen eisigen Schneesturm, vor welchem wir... Kanda und ich... uns gerade zurückgezogen hatten.

Es war doch noch nicht lange her...?

Diese Wärme war nicht real... es gab sie einfach nicht.

... und augenblicklich verblasste sie.

Ich nahm lieber diese Kälte an... lieber die Realität, als dass ich mich in all diesem Unwirklichen verlor. Und nun war sie es, die mich begleitete. Fröstelnd und erschaudernd sank ich weiter hinab und streckte die Hände von mir. Ich war bereit zu tasten, zu erspüren, worauf ich traf, doch gleichsam wurde mir diese gewisse Tatsache bewusst. Ein Fakt, der in mich drang und meine Grundfesten erschütterte.

Ich träumte... ja, ich tat es wieder.

Und noch nie zuvor hatte diese Traumwelt Angenehmes für mich bereitgehalten. Was für ein Teufel führte nur die Stricke, an denen ich hing?

Der mich, kaum dass ich die Augen schloss, näher in diesen Untergang hineinmanövrierte.

Ich hatte mich zu schützen, auf mich zu achten... komme, was wolle...

Und plötzlich trafen meine Hände auf einen festen Widerstand. Ich wurde geblockt, das Sinken meines Körpers endete und irritiert betastete ich diese ebene Fläche, durch die ich nicht zu dringen vermochte. Eine unsichtbare Barriere im schwarzen Nichts meines Traumes.

Es ging nicht weiter.

Mein Weg endete hier... hier sollte er enden, doch ich akzeptierte es nicht.

Mein Weg endete nie.

Er war endlos, doch so ungemein fest an diesen Nutzen gebunden. Ich blieb nicht stehen, ich gab mich nicht mit Sackgassen zufrieden und hektischer wurden die Bewegungen meiner Hände. Das Tasten, das Fühlen und wie schwer fiel es meinem Körper, meinen Armen zu folgen. Als wäre ich an diesem einzigen Platz gelähmt. Als gebe es keine Möglichkeit für mich, flexibel zu sein und einen Umweg zu nutzen.

Ein Weg, ein Ziel... ein einziges Versagen, ohne etwaige Hoffnung.

Ein Versagen mit dem ich hier konfrontiert wurde und so hart meine Hände auch gegen diese Grenze vorgingen... nichts war ich imstande auszurichten. Nichts bewegte sich und wie erstarrt ertastete ich kurz darauf auch neben mir das Ende des Raumes. Eine Sperre, die vor kurzem noch nicht dort gewesen war. Mein Atem stockte, versiegte in meiner Brust und hektisch tastete ich auch zur anderen Seite.

Kein Vorankommen... etwa auch kein Entkommen?

Ich stemmte mich ab, stemmte mich in die Höhe und mit einem Mal traf auch mein Rücken auf diese Fläche.

Hinter mir...

Ich war gefangen...?

Was war geschehen?!

Ich begann mich zu winden... mich in dieser Enge zu bewegen... es zu versuchen.

Wie heftig pressten sich diese Wände gegen mich. Von allen Seiten schienen sie mich zu bedrängen und mir etwaigen Ausweg zu versperren.

Einen Ausweg...?

Hatte es denn jemals einen gegeben?

War nicht ich es, der sich letzten Endes schreiend von diesen finsteren Fetzen der Angst losriss?

War es nicht die Kraft meiner Verzweiflung, die den letzten Retter darstellte?

Es musste funktionieren... ein weiteres Mal. Das hatte es immer!

All meine Gelenke schienen zu knirschen und zu krachen, als ich mich in den Versuch verstrickte, meine Arme zu bewegen... freizukommen.

Meine Finger...!

Nicht einmal sie konnte ich ausreichend spreizen, um etwas zu ertasten. Ich steckte fest, steckte fest in diesem Wahnsinn und der Schrei, der mir entrann, war kaum mehr als ein stimmloses Keuchen. Zischend ausgestoßen, sowie ich meinen Kopf zur Seite warf, versucht darin, die Augen zu öffnen.

Wenn ich es sah... wenn ich sah, wo ich mich befand... sah ich dann nicht vielleicht auch den rettenden Pass?!

Weshalb wollten sich meine Augen nicht öffnen?!

Als wären sie verklebt... so angsterfüllt im Angesicht der Bilder, die sich ihnen bieten würden?

Waren sie nicht denn so mutig, wie ich es war?!

War nichts von mir auf sie übergegangen?!

Weshalb stellten sie sich nicht den Tatsachen?!

Weil ich selbst die Konfrontation umging?!

War alles derart in Abhängigkeit von mir und meinem Treiben geraten?!

Meine Zähne bissen aufeinander. Schmerzhaft, knirschend... zischend stieß ich einen weiteren Atemzug aus und lautlos rief ich nach der Realität.

Nach der Rettenden... nach der Wahren.

Hörte sie mich nicht?!

Wo war sie...?!

Begleitete sie mich nicht stets?!

Wenn auch entfernt und distanziert... war sie nicht dennoch immer bei mir gewesen?!

Meine Lunge... sie eröffnete sich dem Atmen, als hätte man einen Schalter umgelegt. Mit einem Mal gelang mir dieser tiefe Atemzug, gelang mir ein Schrei.

So gellend, laut genug, um die Realität zu erreichen. Wo auch immer sie war... wie weit sie sich auch immer von mir entfernt hatte. Was erreichte sie, wenn es dieser verzweifelte Ruf nicht tat?!

Wie konnte ich sie zu mir zurückholen, wenn nicht auf diese Art und Weise?

Ich kannte doch keine andere...!

Ich tat es einfach nicht!!

Und ich flehte... bettelte und unterwarf mich ihr. Mit Demut klagte ich, betete sie in ihrer Macht an und mit einem Mal spürte ich ihre Präsenz. Der Schleier schien zu fallen, das finstere Bild der Realität entflammte in wilden Farben und mit einem Mal verfiel mein Körper all der hektischen Bewegung, derer er zuvor nicht fähig gewesen war. Er zuckte, fuhr in die Höhe und mit einem kläglichen Stöhnen starrte ich an diese hölzerne Wand.

Direkt vor mir... sie erhob sich nahe meiner Füße, die auf verblasstem Heu gebettet waren.

Die frische Luft... der Sauerstoff... war dies die Realität?

Die Wirklichkeit, in der ich atmete sowie zu jeder Regung imstande war?

Hatte sie mir all meine Fähigkeiten zurückgegeben?

Mein offener Mund gierte nach dieser Luft, starr tasteten meine Augen diese hölzernen Bretter ab und nicht zuletzt spürte ich diese Kälte auf meinem Gesicht. Die Feuchtigkeit, über die die Luft des rauen Klimas hinweg strich.

War ich zurück...?

Mir gelang kaum ein Blinzeln, kaum eine weitere Regung und wie zuckte ich zusammen, als sich ein Schatten vor mein Gesicht hob. Mit einem Mal... gleich eines schemenhaften Fetzens, der mich streifte. So warm... und sich auf meiner Stirn bettete.

Perplex gelang mir dieses Blinzeln, stockend bewegten sich meine Lippen und wie überrascht spürte ich diese warme Hand auf meiner Stirn. Sie hatte sich auf sie gelegt. So fließend und doch vorsichtig, dass ich es kaum realisieren konnte. Nichts von dem, was um mich herum geschah. Wer berührte mich da?

Wessen Hand wärmte meine Stirn, verbarg einen Teil meiner Augen unter sich?

Ich starrte hinauf, sofort schnellte meine eigene Hand in die Höhe und wie perplex betastete ich diese Haut... diese Wärme und mit einem Schlag kehrte alles zurück. Die Mission, jene Hütte, in der wir uns es uns bequem machten.

Wir...?

„Kan...?“

Meine Stimme versagte.

Mit einem Mal, als die Hand Druck auf meine Stirn ausübte und meinen Leib hinabdrängte. Zurück in das Heu, in welchem ich starr und bestürzt liegen blieb. Es passierte so rasch. Ich konnte kaum folgen und nur langsam spähte ich zur Seite und zu der Gestalt meines Kollegen. Er saß noch immer dort. Dort, wo er sich niedergelassen hatte. Neben mir und längst hatte sich seine Hand zurückgezogen. Sie hinterließ diese Kälte auf meiner mit Schweiß überzogenen Stirn und schweigend blieb Kanda seiner Musterung treu. Er blickte zur Tür, bettete den Arm zurück in den Schoß.

„Du hast noch eine Stunde.“ Seine Stimme erhob sich leise und doch nachdrücklich und stockend wandte ich das Gesicht ab.

Eine Stunde?

So lange war ich der Realität entrückt?

Meine Wahrnehmung stürzte mich in Irritation und ich verschloss mich nicht in mir. Ich verstellte mich nicht, kam nicht einmal auf den Gedanken und rieb mir unter einem leisen Ächzen das Gesicht.

Dieser Kampf in meinem Unterbewusstsein. Er hatte soviel länger gedauert. So lange, dass eine Stunde kaum genügte. Doch länger konnte es nicht zurückliegen. Die alte Stille kehrte ein.

Kanda schwieg, lauschte aufmerksam in die Lautlosigkeit unserer Raststätte und matt verbarg ich die Augen unter dem Arm. Ich bettete ihn auf meinem Gesicht, presste die Lippen aufeinander und machte mich mit der alten Realität vertraut. Zu realisieren, dass die erneute Gefahr vorüber... dass ich in Sicherheit war.

Wie schwer fiel es mir selbst nach dieser Zeit?

Wie misstrauisch war und blieb ich?

Wie vorsichtig?

Hier und jetzt würde ich keinen erneuten Versuch wagen. Hier und jetzt blieb ich wach und beruhigte meinen brennenden, rasenden Atem.

Vorbei... es war vorbei...

Wie ernüchternd.

Wie wenige Nächte waren es, die ich in aller Ruhe zubrachte?

Wie rasch waren diese Bilder zurückgekehrt?

Wann ließ man mir den Frieden, Nacht um Nacht ruhig zu schlafen und ebenso entspannt zu mir zu kommen?

Hatte ich es nicht verdient?

Welche Tat hatte mir dieses Recht entzogen!

Wie musste der Ernst des Lebens über mich lachen!

Ich rang mit mir... noch einige Momente länger und wie gleichgültig war mir Kandas Anwesenheit. Wie gleichgültig, dass er Zeuge meiner verborgensten Tiefen wurde...

Ich hatte es wohl akzeptiert. Dass ich zurückzugeben hatte, was ich an ihm entdeckte. Letztlich war es nur gebührlich. Gleichsam bekam ich zurück, was ich gab und lange blieb ich in diesem Schweigen liegen.

Wie lange lauschte ich dem Pfeifen des Windes, der durch die Ritzen der alten Hütte blies?

Meine Lippen schwiegen, so wie es auch die von Kanda taten.

Was gab es auch zu sagen?

Er musste doch keine Fragen mehr stellen... er wusste es doch längst.

Ich hatte mich vor ihm nicht zu verbergen und hier und jetzt spürte ich diese Ruhe, die dieser Fakt mit sich brachte. Ich konnte mich fallen lassen, konnte mich zeigen wie ich war. Mit all meinem Leiden, mit all meinen Abgründen.

Er sah mich nicht an, er saß still und erst, als ich mich irgendwann erneut aufsetzte, regte auch er sich. Es fiel mir noch etwas schwer, mich hinaufzustemmen, doch ich schaffte es und rieb mir das Gesicht erneut.

War das also meine Ruhepause gewesen?

Meine Möglichkeit, neue Kräfte zu schöpfen?

Wie absurd...

Völlig absurd.

„Ich übernehme.“ Leise flüsterte ich es ihm zu und erkannte doch sofort dieses Nicken. Eine stumme, einvernehmliche Zustimmung, in welcher er sich doch nicht nieder legte. Er blieb sitzen und nur kurz verfolgte ich, wie er den Rücken spannte, sich aufrichtete.

Was tat er?

Brauchte er denn keinen Schlaf?

Nein...

Was er zu tun gedachte, verstand ich rasch.

Seine Hände betteten sich in seinem Schoß, umfassten einander und nur wenige Sekunden später senkte er den Kopf und schloss die Augen.

Er meditierte.

Wie praktisch. Ich machte mir Gedanken über diesen Fakt, während ich im Heu zur Seite rutschte und mich an die hölzerne Wand lehnte. Es war kühl, auch etwas feucht aber als ich meinen Mantel erneut über mich zog, wurde es rasch besser. Es ließ sich aushalten. Ich kroch etwas in mich zusammen, zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie. Und ich beobachtete Kanda weiterhin. Wie reglos er verharrte, wie schnell er in die Meditation zu finden schien...

War er sicher vor etwaigen Schreckensbildern, wenn er nur einen Teil seines Bewusstseins hergab?

Sorgte er für die eigene Sicherheit, indem er sich nur ein wenig abdriften ließ?

Ich atmete tief durch, regte die Schultern und sah Tim, wie er zu mir geflattert kam. Er leistete mir Gesellschaft, ließ sich auf meinem Kopf nieder und sank auf und ab, als ich leise seufzte.

War es nicht viel klüger, in diesem Maß vorzubeugen?

Vielleicht kam ja einmal der Zeitpunkt, an welchem er mir dieses Rätsel erklärte...

Ich kreuzte die Beine, verschränkte die Arme und mit einem Mal wurde ich mir dieser seltenen Möglichkeit bewusst.

Kanda... wann hatte ich die Gelegenheit gehabt, ihn mir zu betrachten, ohne dass er sofort darauf aufmerksam wurde?

Ja, wann?

Ich lehnte mich etwas zur Seite, folgte der Neugierde meiner Augen und die nächsten Momente verbrachte ich wirklich damit, ihn mir einfach anzusehen. Sein völlig entspanntes Gesicht.

Wie ebenmäßig es war... wie anmutig geschnitten.

Es fiel kaum auf, wenn er immer so eine mürrische Mimik zog.

Seine wohlgeformten Augenbrauen, seine schmalen, hellen Lippen... wie vertiefte ich mich in diesen angenehmen Anblick, wie verlor ich mich in ihm und gab mich selbst mit der wenigen freien Haut seines Halses zufrieden. Seine Kehle... sie verharrte so reglos. Kein Schlucken, nichts.

Ich lehnte den Hinterkopf gegen das Holz und blieb meiner Betrachtung mit aller Ruhe treu.

Er war... wunderschön.

Wusste er es?

Käme der Zeitpunkt, an welchem ich es ihm sagen konnte?
 

Es kam der Moment, an welchem unsere Rast endete. Ein Augenblick, in welchem Kanda plötzlich die Augen öffnete, aus der Meditation auftauchte und sich zu regen begann. Wie seltsam war dabei die Tatsache, dass er fast genau eine Stunde damit zugebracht und es nach dieser Zeit beendet hatte.

Ich wäre bald kurz davor gewesen, ihn an der Schulter zu berühren... ihn aufmerksam zu machen. Ein Vorhaben, das mir vermutlich Ärger eingebracht hätte. Aber auch ein Vorhaben, zu dem es nicht kam.

Nur kurz spähte er zu mir, sah mich durchaus aufgeweckt nicken. Ich hatte gegrübelt. Jeden Augenblick genutzt, um mich in meine Gedanken zu stürzen. Sie hatten mich zu keinem Ziel gebracht... mir keine Erklärungen geliefert, mir einfach nicht geholfen, doch zu dem Zeitpunkt, an dem Kanda auf die Beine kam und nach Mugen griff, war es egal. Wir hatten aufzubrechen.

Der Schneesturm schien beendet. Schon seit einigen Momenten vernahm ich nicht mehr sein Pfeifen und Tosen. Es war die richtige Gelegenheit, die wir am Schopfe zu ergreifen hatten.

So traten wir aus diesem Schuppen. Der harte gefrorene Schnee knackte und knirschte unter unseren Sohlen aber das Wetter hatte sich gebessert. Der mehrstündige Marsch, der noch vor uns lag, würde sich vereinfachen. Wir hatten es nicht mehr mit der gnadenlosen Natur aufzunehmen – nur mit gnadenlosen Gegnern.

Während des Weges blieb es größtenteils still zwischen uns. Wir verfolgten unser Ziel Seite an Seite, die Augen nach vorn gerichtet und nur selten auf unsere Umwelt. In dieser Entfernung zu jener Stadt hatten wir noch nichts zu befürchten und so hielt ich mich auch nicht davon ab, nachdenklich zu werden. Ich hatte die Zeit, ich hatte die Gelegenheit und in jene Gedanken vertieft, geschah es öfter, dass ich zu Kanda lugte.

Ob er es bemerkte...?

Er behielt das weiße Nichts um uns eifrig im Auge, schlug auch des Öfteren die Mappe auf, um sich auf der Karte zu orientieren. Und er schwieg und tat damit genau das, was mir nicht gefiel.

Gerade hier und jetzt... wir hatten doch die Möglichkeit, oder nicht?

Zeit, Ruhe...

Ich gelangte an diesen Punkt, an welchem mir nach einem Gespräch zumute war.

Das Thema spielte keine Rolle. Eher legte ich Wert darauf... seine Stimme zu hören... einen Beweis zu erhalten, dass er wirklich bei mir war... ihn intensiver zu spüren, als ihn nur zu sehen.

Die Augen konnten täuschen...

Das, was sie mir zeigten, das genügte meinem anspruchsvollen Wesen einfach nicht.

Wieder drifteten meine Pupillen zu ihm, verfolgten, wie er die Mappe schloss und unter seinem Mantel verstaute. Seine Stirn runzelte sich, kurz blickte er sich um und mit einem Mal wuchs diese Hoffnung in mir.

Sagte er etwas?

Ohne dass ich es beabsichtigte, musterte ich ihn schon längst erwartungsvoll und folgte seinem Blick zur Seite, wo sich ein kleines Dorf befand. Wenige hundert Meter entfernt und nachdenklich rieb er sich die Wange.

„Das Dorf ist nicht in der Karte verzeichnet“, murrte er währenddessen und wie frohlockten meine Ohren unter dem Klang dieser Stimme.

Wenn er auch mürrisch war.

Ich liebte seine Stimme.

Ganz gleich, welchen Ausdruckes sie sich bediente.

Ich hob die Brauen, spähte erneut zu diesem Dorf und hörte Kandas Stöhnen.

„Was hat uns Komui für eine Karte angedreht!“

Er machte sich daran, die Mappe erneut hervorzuholen. Wieder starrte er auf die Karte und auch ich erkannte dort nichts, was einem Dorf ähnelte.

„Möglicherweise ist sie nicht mehr aktuell“, meinte ich in die Musterung vertieft und blickte zu ihm auf.

Wenn ich antwortete, dann lief es auf ein Gespräch hinaus.

So hoffte ich...

„Oder wir sind falsch hier!“

„Wie könnten wir falsch sein?“ Ich betastete meinen Gürtel, zückte den Kompass und gemeinsam betrachteten wir uns die Nadel, die gen Norden pendelte. „Es ist die richtige Richtung.“

„Seit unserer Pause laufen wir jetzt seit zwei ein halb Stunden“, erwiderte er und blätterte in der Mappe, bis er die Koordinaten vor sich hatte. „Huesca dürfte kaum noch einen halbstündigen Marsch entfernt sein aber ich sehe keine Rauchwolken!“ Er wies gen Horizont und selbst meine Augen erspähten dort nichts.

„Das hat doch nichts zu bedeuten. Die Kämpfe könnten zum Erliegen gekommen sein.“ Das sagte ich und kaum starrte Kanda mich an, da begriff ich, was ich da sagte und öffnete stumm den Mund. Wir sahen uns an, der eine bitter, der andere bestürzt. „Das kann nicht sein“, sagte ich kurz darauf und zischend wandte sich er sich ab. „Kanda, wir hätten längst Bescheid bekommen, wenn die Stadt gefallen wäre!“

„Hast du eine bessere Erklärung?“ Ruppig verstaute er die Mappe wieder unter dem Mantel, setzte sich in Bewegung. Um einiges eiliger, als zuvor. „Beeilen wir uns!“

Ich schloss mich seinem Tempo an, problemlos und rasch und nach wenigen Schritten begannen wir zu eilen, zu rennen. Es ließ sich gut laufen in dem harten Schnee, wir kamen rasch voran und spätestens jetzt gab es in meinem Kopf nichts anderes, als diese Mission und das Ziel, das nicht weit entfernt liegen konnte.

Könnte es wirklich so sein?

War der Widerstand der Finder niedergeschlagen worden?

Unmöglich... Komui hätte uns sofort kontaktiert, sobald er den Kontakt zu den Findern verlor!

Und wäre es so gewesen, wäre es uns nie in den Sinn gekommen, uns einer zweistündigen Pause hinzugeben und dem Schneesturm aus dem Weg zu gehen!

Dann wären wir längst am Ziel und hätten Gewissheit!

Ich biss die Zähne zusammen, schlug den Mantel zurück und hielt mich neben Kanda. Aufgeregt folgte uns Tim und nur kurz spähte ich zu ihm.

Komui hätte sich auf jeden Fall gemeldet!

Auf ihn war doch Verlass!

Wir ließen einen kleinen Hügel hinter uns, überquerten eine Ebene mit gefrorenen Feldern und kämpften uns einen weiteren Hügel hinauf. Was uns hinter diesem erwartete, war ein kleiner, kahler Wald und eilig durchquerten wir auch diesen.

Waren die Finder gefallen?

Welcher Gegner erwartete uns in Huesca?

Es waren so einige Gedanken, die in meinem Kopf tobten und als wir keuchend den Wald verließen, war es ein letzter Abhang, der sich zwischen uns und Huesca erstreckte. Wir stiegen ihn empor und erwartungsvoll stand ich dem Anblick gegenüber, der sich uns gleich bieten würde. Dort in der Talsenke, dort erstreckte sich jene Stadt und wie sprinteten wir dieses Gestein hinauf, um endlich Antworten zu bekommen.

Ich sprang über einen Vorsprung, sofort folgte mir Kanda und schlitternd rutschten wir hinab zum Abhang und stoppten, bevor er steil abfiel. Schwer fiel unser Atem, als wir in das Tal hinabstarrten und ich wusste nicht, ob mich der Anblick beruhigen oder aufregen sollte.

Die gesamte Stadt schien in Trümmern zu liegen. Das, was einmal vielen Menschen ein Zuhause geboten hatte, war nicht viel mehr als ein Schlachtfeld, in dem man keine Bewegungen ausmachen konnte. Keinen Akuma... keinen Menschen, doch wir erspähten dort inmitten der Stadt den hellen Schein einer Barriere. Quadratisch umgab sie ein Gebäude, das selbst bereits in Schutt und Asche lag. Unter einem dumpfen Dröhnen fiel ein weiteres, schwer beschädigtes Haus in sich zusammen und kurz spähten wir zu diesem, bevor sich unsere Blicke trafen.

Schützte die Barriere ein Innocence?

Wie lange hielt sie noch?

Ein kurzer Blick, mit dem wir uns verständigten und mit einem Mal sprangen wir über diesen Abhang und stürzten uns in die Tiefe. Donnernd schlug uns der Wind entgegen, wild bäumten sich unsere Mäntel auf und nach Sekunden im freien Fall setzten wir auf einer schrägen Felswand auf und schlitterten hinab. Ich hielt mich auf den Beinen, sprang über eine hohe Kerbe und kaum hatte ich den ebenen Boden erreicht, stieß sich auch Kanda ab und ließ die letzten Meter mit einem großen Satz hinter sich.

„Wie gehen wir vor?!“, rief ich ihm zu, als wir wieder zu rennen begannen, die kleine, unbewachsene Ebene zur Stadt überquerten. „Teilen wir uns auf?!“

„Wir wissen nicht, wie die Lage ist!“, rief er zurück und gemeinsam sprangen wir über einen schmalen, gefrorenen Fluss. „Wir kundschaften aus, bevor wir handeln!“

Diesen Worten zu folgen, verlangte mir nicht viel ab. In diesen Momenten erinnerte mich einfach daran, dass er erfahrener war, als ich. Selbst nach dieser langen Zeit. Es war ohnehin selten, dass er von Auskundschaften sprach, anstatt alles auf sich zukommen zu lassen. So auch Kämpfe.

Er war es doch, der sich blindlings in so einige Gefechte warf und so war es recht bedeutsam, wenn seine Vorgehensweise so vorsichtig war.

Ich kam ihm mit einem Nicken bei und spähte zurück zu jener Stadt.

Hoffentlich waren wir nicht längst gesichtet worden...

Wir bildeten einen so scharfen Kontrast zu dem weißen Schnee, dass es gut möglich wäre. Möglicherweise wiegten wir uns zu sehr in Sicherheit, doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass Kanda etwas anderes dachte. Er wusste es doch auch.

So oder so... wir wurden nicht angegriffen. Keine Schüsse richteten sich von der Stadt aus auf uns und unbeschadet erreichten wir die ersten Ruinen und schoben uns in eine Gasse, die sich zwischen zwei noch stehenden Mauern bildete. Keuchend brachten wir uns so erst einmal in Sicherheit und waren nun doch inmitten der Bedrohung Huescas. Wir spähten auf, spähten nach beiden Seiten, doch es war Totenstille, die uns umgab. Kein Knacken, kein Krachen... nur leise rieselte neben uns der Putz aus der Mauer und wie laut schien währenddessen unser Atem zu fallen... bis wir ihn unterdrückten und in die Hocke gingen.

„Wir haben keine Zeit für langes Planen“, ergriff Kanda sofort das Wort und ich war seiner Meinung. „Wie lange die Barriere noch hält, das wissen wir nicht und die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Innocence birgt, ist so hoch, dass wir sofort eingreifen sollten.“

„Lass mich nach dem Innocence suchen und halt mir den Rücken frei“, meinte ich dazu und wurde kurz und recht seltsam gemustert. Traute er es mir nicht zu...?

Wie erbärmlich wären seine Zweifel!

„Schaffst du es auch, dich nur auf das Innocence zu konzentrieren?“, kündigte er sofort seine Zweifel an und verständnislos verzog ich das Gesicht. „Bohnenstange!“, stieß er aus. „Ich muss wissen, dass du dich nicht für das Leben jedes Finders aufopferst, sondern bei den wichtigen Fakten bleibst!“

„Mach dich nicht lächerlich.“

Zugegeben... ich war wütend und schickte ihm einen ernüchterten Blick.

„Für wen hältst du mich? Außerdem heiße ich Allen!“

„Dann machen wir es so.“ Er verwarf meine letzten Worte wie gewohnt, griff nach Mugen, zog es zischend aus der Scheide und ließ es sinken. „Und wage es nicht, mich zu enttäuschen!“

Dieser Vollidiot!

Auf meine finstere Miene achtete er wenig, als er auf die Beine kam. Verbittert entblößte ich meine linke Hand und tat es ihm gleich.

Wir wussten beide, was geschehen würde, sobald wir den Schutz dieser Mauern aufgaben. Die Akuma konnten weder besiegt noch zurückbeordert worden sein, wenn die Barriere noch stand und ihnen das Vorrücken verbot. Sie lauerten überall und vor allem ich wäre ihr Ziel. Flink klemmte ich den Handschuh unter meinen Gürtel, streifte mir die Kapuze vom Kopf und es war wie ein Reflex, in welchem ich nach Kandas Arm griff, als er sich abwenden wollte. Ich zog ihn zurück, zog ihn zu mir herum und musterte ihn mit aller Ernsthaftigkeit, die ich in diesen Momenten verspürte.

Trug unser gemeinsames Training Schuld an seiner kritischen Einschätzung?

Er hatte doch keine Ahnung!

Im Gegensatz zu diesem Zeitpunkt war ich damals nicht bei Verstand gewesen! Im Gegensatz zu diesem Moment nicht fähig, seine etlichen, wunderbaren Reize unbeachtet zu lassen.

„Du musst mir vertrauen.“ Ich sagte es nachdrücklich und sah ihn die Stirn runzeln. „Ich beschaffe das Innocence!“

„Dann tue es auch.“ Er befreite sich von meiner Hand. Nicht sehr ruppig, für seine Verhältnisse noch sehr ruhig und es war ein gutes Gefühl, diesen Worten eine gewisse Zustimmung zu entlocken. Er wusste es doch... wie wichtig es war, Vertrauen in seine Kameraden zu setzen.

Bisweilen hatte er es getan, doch dieses Mal betraf es mich und so war es mir umso wichtiger.

Gemeinsam traten wir zum Ende der Gasse und spähten auf die Straße hinaus, die zwischen all den Trümmern kaum noch als eine solche zu erkennen war. Der Schutt begrub sie beinahe vollständig unter sich und schweigend spähten wir auch zur anderen Seite, während er sein Innocence aktivierte und sich unter dem gleißenden Licht auch das zweite Schwert in seiner linken Hand manifestierte.

Was mich anging... mir bereitete es keine Schwierigkeit, ihm meine Rückendeckung zu überlassen. Ihn hinter mir zu haben, erlaubte es mir, die Augen vor mich und auf mein Ziel zu richten. Nur wenn es zu viele wurden hatte ich wohl Obacht zu geben. Wir wussten nicht, was uns erwartete. Wen Kanda davon abhalten müsste, sich auf mich zu stürzen. Zuviel konnte ich nicht von ihm verlangen. Ich hatte Respekt vor dem, was uns bevorstand und es blieb bei einem kleinen, flüchtigen Zeichen, bevor ich mich in Bewegung setzte.

Jetzt würden wir es herausfinden.

Ich sprang hinaus auf die Straße sowie Kanda mit einem großen Satz auf die Mauer und kaum drei eilige Schritte hatte ich getan, da zerriss es die Mauer neben mir unter dumpfen Schüssen.

Schon hier lauerten sie?!

Wie früh mussten sie uns erspäht haben... wie durchdacht vorgehen!

‚Kein Level-1!’, schoss es mir durch den Kopf, kurz war ich versucht, mich zu überzeugen, doch der pure Glaube an Kanda ließ mich einfach an dieser Mauer vorbeisprinten und geradewegs hinein in einen schmalen Pfad.

Ich rannte... und ich sah das Bild der Stadt noch immer vor meinem geistigen Auge. Wo sich die Barriere befand... also vermutlich auch noch Finder. Ich sah es alles und schon vernahm ich den tosenden Krach des Kampfes hinter mir.

Ich hatte den Feind nicht gesehen, doch brauchte es auch nicht. Es war nicht mein Gegner.

Ich rannte weiter, ließ den Pfad zwischen den Trümmern hinter mir, sprang auf eine breite Straße hinaus und wechselte sofort die Richtung, als sich mir von dort mehrere Level-1 näherten. Wie aus dem Nichts waren ihre klobigen, runden Körper erschienen und wieder tat ich nichts anderes, als ihnen und ihren Schüssen auszuweichen. Ich bog in einen schmalen Durchgang, blickte nicht zurück, erspähte eher noch den hellen Schein der Barriere nicht weit vor mir. Es gab keine Häuser, die mir den Blick versagten. Beinahe war es eine freie Flur, die sich vor mir auftat und schon vernahm ich weitere Explosionen in meinem Rücken. Die Level 1 waren zerstört... Kanda schien sich nahe bei mir zu halten und eilig sprang ich über steinerne Trümmer, setzte über eine halbwegs zerstörte Mauer hinweg und ließ eine breite Hauptstraße hinter mir. So rasch, wie ich auf den freien Platz hinaus sprang, so rasch verschwand ich auch wieder und es waren nichts als Bewegungen, die ich auf meinem Weg wahrnahm. Kreaturen, die hinter Ecken hervorschnellten und mich doch verfehlten. Die runden Körper der Level 1, die mir schwerfällig folgten und meiner Geschwindigkeit nicht beikamen. Es waren flüchtige Eindrücke von möglichen Gefahren, die ich sofort abtat und mir weiterhin meinen Weg bahnte. Hinter mir tobte der Kampf. Das Kreischen eines Level 2 drang an meine Ohren, als ich in die Höhe sprang und mich über eine weitere Mauer zog.

Er würde es nicht bereuen, mir vertraut zu haben! Dieser Gedanke spornte mich nur weiter an, ließ mich schneller laufen und eilig meinem Ziel entgegen. Die Barriere wurde vor mir größer, der Weg kürzer und endlich sprang ich auf die Fläche hinaus, auf welcher sich die Barriere erhob.

Mir blieben nur wenige Momente, mich umzuschauen, mehr Zeit nahm ich mir auch nicht, doch das einzige, was diese Barriere schützte, war ein Trümmerhaufen.

Hoffentlich war das Innocence nicht beschädigt!

Ich eilte an den Talismanen vorbei, umging die Barriere und nach nur wenigen Augenblicken erspähte ich das Beige eines Findermantels hinter den Ruinen einer halb zerstörten Mauer. Nur kurz tauchte es über dem Gestein auf und umso erschreckender war es für die beiden Finder, als ich mich über die Mauer hinweghechtete und dumpf vor ihnen auf die Beine kam.

Waren es die letzten Überlebenden?!

Zitternd klammerte sich der eine an ein Kommunikationsgerät, während sich der andere auf einen Talisman stemmte. Ihre entsetzten, bleichen Gesichter entspannten sich schnell, als sie mich erkannten.

„Walker!“ Erleichtert fuhr der eine in die Höhe, ließ den Talisman sinken. „Was für ein Glück! Sie sind gekommen!“

Ohrenbetäubend erhob sich eine Explosion in unmittelbarer Nähe und ich wurde mir der Dringlichkeit dieser Sache bewusst. Und blieb keine Zeit, der Krach des Kampfes hatte uns fast erreicht. Es würde nicht mehr lange dauern, bis auch wir in diesen involviert wurden.

„Das Innocence!“, keuchte ich und wies auf die Barriere. „Unter den Trümmern?“

Hastig wurde genickt.

„Wir hatten es gerade gefunden, da jagten die Akuma das Gebäude mit all unseren Kameraden in die Luft!“

„Es ist uns gerade noch gelungen, diese Barriere zu errichten aber wir hätten sie keine Sekunde länger halten können!“, ächzte der andere. „Und plötzlich zogen sich alle Akuma zurück!“

„Wegen uns.“ Ich schob mich zum Ende der Mauer, spähte zurück zu der Barriere. „Das Passwort“, murmelte ich nebenbei.

„Dezember!“, wurde aufgeregt geantwortet und ohne weitere Worte abzuwarten, verließ ich den Schutz der Mauer und sprintete zu den Talismanen.

Kanda schien viel zu tun zu haben. Mehrfach stiegen die schwarzen Rauchwolken brennender Akuma auf und krachend wurde ein Level 2 durch eine Hausfassade und gegen die Barriere geschmettert. Unter einem grellen Aufblitzen schien er annähernd zu schmoren und nur knapp neben mir schlug der leblose Körper auf, als ich die Barriere erreichte und mich vor einem Talisman auf die Knie warf.

Ich schien kaum aufzufallen. Ich bemerkte es an einem weiteren Level 2, der völlig blind über mich hinweg schoss und zielstrebig in die Richtung, aus der der andere geschleudert wurde. Eilig öffnete ich eine kleine Luke des Talismans, hob ein kleines Fach aus der Öffnung und warf es zur Seite. Endlich... das Buchstabenfeld und ohne zu zögern neigte ich mich hinab... und hielt inne.

Es war ein Reflex, der mich dazu trieb, eine plötzliche Befürchtung und kaum wandte ich das Gesicht zur Seite, erfassten meine Augen die schwarze Gestalt eines Level 3, der sich von einem Dachgiebel abstieß und sich direkt auf mich stürzte.

Eine zu kurze Distanz, um das Wort einzutippen und augenblicklich aktivierte ich mein Innocence und trat ihm entgegen. Mit aller Kraft traf er auf mich, mit all seinem Gewicht und schlitternd wurde ich zurückgedrängt, als ich den Schlag seiner Pranken mit der linken Hand blockte.

Es schienen mehr zu sein... viel mehr als erwartet, denn das nahe Krachen und Tosen der Explosionen zeugte davon, dass Kanda in mehrere Gefechte verstrickt zu sein schien. Wir hatten es anders zu lösen. Ich hatte mich wohl um diesen zu kümmern und mit einem Mal schloss ich die Klaue um die schwarze Pranke des Akuma, fuhr herum und schleuderte ihn gegen eine nahe Hausfassade. Krachend brach sie zusammen und unter einem dumpfen Tosen ging der Akuma in all dem Schutt und umherstiebenden Staub unter.

Er war noch nicht besiegt... ich hatte mir nur etwas Zeit verschafft und kaum befreite sich der Akuma von all den Trümmern, die auf ihn eingeschlagen waren, erfasste ich die Gestalt Kandas. Er sprang von einem Dach, setzte sicher auf dem Nächsten auf und schon stürzte er sich auf den Level 3, kaum dass dieser wieder erschienen war. Er nahm ihn mir ab, doch als ich zu dem Talisman herumfuhr, boten sich meine Augen etwa dreißig Level 1. Mit einem Mal stiegen sie aus den Ruinen der Stadt auf, doch der Bannkreis erhob sich zwischen uns und so kniete ich mich erneut hinab und tippte das Wort.

Ich wusste, was mich erwartete, sobald der Bannkreis erlosch. Oder eher wusste ich, was Kanda erwartete. Er würde es nicht leicht haben, diesen Platz zu verteidigen. Nicht, wenn noch mehr auftauchten... doch wieder blieb es bei diesem blinden Vertrauen. Wenn er sich etwas vorgenommen, nein, wenn er mir etwas versichert hatte, dann waren es für mich schlicht und ergreifend Tatsachen, auf die ich bauen konnte.

Unter einem leisen Surren verblasste das Licht des Bannkreises. Er hob sich auf und zurück blieb der Berg aus Trümmern, der sich vor mir erhob.

Ich hatte zu suchen... und begann ohne zu zögern.

Nur wenige Schüsse waren es, denen ich auszuweichen hatte. Nur wenige Angriffe, die mich vor kein Problem stellten und kaum versenkte ich die Klaue im Schutt, da sprang Kanda an mir vorbei und stürzte sich auf das Heer der näher schwebenden Akuma.

Hoffentlich brauchte ich nicht zu lange!

Ich begann zu graben, Gestein zur Seite zu schleudern und trotz allem hatte ich doch die ganze Zeit über vorsichtig zu sein. Innocence war fragil... auch nur eines zu verlieren, war undenkbar und es forderte schon eine gewisse Konzentration, keinen Wert auf den Kampf zu legen, der um mich herum tobte. Oft näherten sich mir Level 1 gefährlich, oft suchte ich dennoch verbissen weiter und stets gingen die monströsen Körper in grelle Explosionen auf, noch bevor ein Schuss auf mich abgegeben werden konnte.

Ein schwerer Stahlträger war es, der mir in Quere kam und problemlos zog ich ihn aus dem Schutt und warf ihn fort. Wenn mich das Pech ein weiteres Mal zu fassen bekam, verbarg sich das Innocence ganz unten. Ich arbeitete mich immer weiter vor, suchte, wühlte und schmiss Gestein zur Seite. Es waren wahre Brocken, die ich zu entfernen hatte, während Tim mich aufgeregt umflatterte. Eine Arbeit, die so schwer wie gefährlich war und mit einem Hieb meiner Klaue wischte ich einen gesamten Schuttberg zur Seite und spähte ihm nach. Kein Leuchten... das Innocence wäre in all diesem Staub aufgefallen und sofort stieg ich weiter durch die Ruine.

Ich suchte die Nadel im Heuhaufen!

„Wo habt ihr es gefunden?!“, schrie ich bald darauf zu jenen Grundmauern, hinter denen sich die Finder verbargen und sofort neigte sich einer von ihnen ins Freie.

„Im Obergeschoss!“, rief er zurück und keuchend blickte ich um mich. „Auf der linken Seite!!“

Im Obergeschoss!

Das hieß, es konnte nicht sehr tief liegen und vorsichtig stieg ich nach links und suchte weiter.

Eine weitere grelle Explosion erhob sich, krachend schlug ein Level 1 neben dem Schuttberg auf und nur beiläufig bemerkte ich das Auftauchen eines weiteren Level 3.

Wenn ich Kanda doch nur helfen könnte!

Hätte ich das Innocence doch schon gefunden!!

Ich biss die Zähne zusammen, ließ mich auf die Knie sinken und wühlte in all dem Gestein. Ich strich es fort, warf es hinter mich und wurde immer unerbittlicher in meiner Suche.

Irgendwo musste es doch sein!!

Permanent erhob sich dieses Krachen um mich herum. Kanda musste gleichzeitig überall sein. Die Gegner näherten sich von jeder Seite und ich spürte, wie sich diese Situation zuspitzte. Weitere Level 1 gingen zu Boden und nur kurz spähte ich auf und verfolgte, wie Kanda sich auf den Level 3 stürzte. Kurz bevor er sich auf den Weg zu mir machen konnte und kaum trafen sie aufeinander, rückten die Level 1 näher. Die Kanonen richteten sich auf mich und nur kurz konnte Kanda von dem Level 3 ablassen, um sich um jeden von ihnen zu kümmern.

Ich durfte nicht hinschauen... ich musste vertrauen!

Hektisch beteiligte sich Tim an der Suche. Er stürzte sich auf einen Stein, biss hinein und versuchte ihn wild flatternd vom Fleck zu bewegen. Wenig nützlich und angespannt suchte ich weiter, schob Stahlträger zur Seite und hustete in all dem Staub, der mir entgegenstiebte.

Es konnte doch nicht so schwer sein!

Meine Hand traf auf einen festen Widerstand. Es war ein weiterer, riesiger Stahlträger, der mir im Weg stand und sofort umfasste ich ihn mit meiner Klaue und sprang auf die Beine. Ich bewegte ihn, zog ihn aus all dem Dreck und mit einer flinken Bewegung schleuderte ich ihn nach drei Level 1, die sich mir bedrohlich genähert hatten. Der Aufprall war heftig, er riss sie mit sich und mir entrann ein lautes Ächzen, als ich dort... tief unten und in einem Schacht der Ruine jenes Leuchten erspähte.

Das Innocence...!!

Es wurde nicht von Gestein belastet, doch lag circa drei Meter tiefer. Ich musste es schnell erreichen und machte mich sofort an die Arbeit.

Ich konnte es schnell schaffen!

Ich wusste es, doch musste gleichsam darauf achten, es nicht zu verschütten. Wie schnell könnte es passieren und so gab ich mir Mühe, das Gestein nichts ins Rollen zu bringen. Stein für Stein warf ich fort, schob mich auf den Knien näher, tastete weiter unten und hielt inne, als ich ein leises Ächzen vernahm.

Kanda...!

Ich fuhr herum, suchte nach ihm und sah ihn stolpern.

Ein Schuss...

Er schien ihn gestreift zu haben... ging es ihm gut?!

Er stolperte erneut, nur kurz tastete seine Hand nach der Verletzung, doch ebenso rasch wandte er sich wieder den Gegnern zu. So wie ich auf ihn vertraute, hatte ich wohl auch auf seine Fähigkeiten zu vertrauen. Dass ein Schuss ihm nichts ausmachte... dass nichts geschah, wenn er von einem von ihnen getroffen wurde, außer dass eine kleine Wunde blieb, die rasch heilte. Ich durfte nicht hinsehen... mich nicht ablenken lassen. Nicht jetzt, wo ich mein Ziel fest vor Augen hatte!

Doch es wurden mehr... und mehr...

Wie kalt kroch diese Gänsehaut über meinen Rücken, als ich weitere Level 3 erspähte. Zwei von ihnen... in Kandas Rücken.

Sah er sie...?

Er musste es!

Verbissen schüttelte ich den Kopf und schob mich etwas tiefer in den Schacht. Er war zu eng, ich kam nicht weit genug hinab! Nicht einmal annähernd, als ich den Arm nach dem Innocence ausstreckte! Fluchend schob ich mich zurück, begann von neuem in dem Schutt zu graben und ihn zur Seite zu räumen.

Und der Kampf ging weiter... nicht minder unerbittlich, wie ich mit diesem Gestein zugange war. Ich war ungeduldig und aufgebracht, schmetterte mehr und mehr zur Seite und konnte kaum noch unbeachtet lassen, was da in meinem Rücken geschah. Kanda ging beinahe unter in diesem Meer aus Level 1. Sie schienen ihn geradewegs zu verschlucken, bis es mehrere durch Explosionen zeriss und er wieder auftauchte. Nervenkitzel und Erleichterung gaben sich die Hand und wie schwer fiel mein Atem nach wenigen weiteren Momenten. Weitere Stahlträger... ich verfluchte diese Zufälle und mit einem Mal blickte ich auf und erspähte über mir zwei Level 1.

Nahe... zu nahe!

Eine Explosion ließ mich vermuten, dass Kanda nicht darauf achten konnte. Er behauptete sich an einer anderen Ecke des Platzes. Nur dieses eine Mal konnte ich nicht auf ihn warten und ohne zu zögern stieß ich mich ab und zeriss die beiden monströsen Körper mit einem Hieb meiner Klaue. Gleichsam schmetterte ich sie zur Seite und fort von jenem Schuttberg, bevor sie dort einschlagen konnten, wo ich zugange gewesen war.

Es war kein Problem gewesen, doch zeugte all das davon, dass Kanda überfordert zu sein schien. Ich warf mich nicht auf die Knie, ich schürfte nicht weiter, fuhr viel eher herum und sah Kanda auf der Kante eines Daches aufsetzen. Von einem weiten Sprung ging er nieder und mit stockendem Atem sah ich ihn dort oben straucheln.

Er schien keinen richtigen Halt zu finden, klirrend brachen die einen oder anderen Dachziegel unter ihm und wie ein Blitz stürzte dieser Level 3 auf ihn zu. Mein Körper zuckte... ein Reflex hatte mir gesagt, sofort zu ihm eilen, doch war die Distanz zu groß und ich durch unsere Abmachung an diesen Ort gebunden.

Doch er blockte ihn... blockte seinen Schlag mit beiden Schwertern, doch während der Akuma zur Seite abglitt, stieß es Kanda zurück und vom Dachgiebel. Ein leichter Sturz. Ein Sturz, der wohl keine Gefahr für ihn darstellte und angespannt schmetterte ich weiteren Schutt zur Seite und arbeitete mich vor. Ein weiteres Ächzen drang an meine Lippen... ein heiserer, abrupter Ton und mit zusammengebissenen Zähnen tauchte ich erneut ein in den Schacht und streckte mich dem Innocence entgegen.

Fast... ich erreichte es fast... doch erreichte mich gleichsam ein weiterer Laut, der von purem Schmerz zeugte. Ein abgehaktes Keuchen, ein wuterfüllter Schrei und sofort stemmte ich mich in die Höhe und hielt nach Kanda Ausschau.

Wo war er?!

Weitere Level 1 zogen mir entgegen, kontrolliert ging der Akuma des 3ten Levels auf einen nahen Dachstuhl nieder und wie still war es plötzlich geworden. Explosionen hatten beinahe jeden Moment unseres Aufenthaltes bestimmt, doch jetzt...

Ich neigte mich zur Seite, meine Augen suchten erbitterter nach ihm und mein Atem stockte, als ich Kanda fand.

Gegen einen Berg aus Schutt war er geschmettert worden... langsam schob sich der massive Körper eines Level 1 aus meiner Sicht und lautlos öffnete ich den Mund.

Stockend regte er sich, bebend tastete seine Hand nach Mugen und erreichte es doch nicht. Er war fixiert... er war aufgespießt und die Waffe ihm entglitten. Ein spitzer stählerner Pfahl ragte aus seinem Bauch und wie zuckte ich zusammen bei diesem Anblick.

Er gelangte nicht an seine Waffe...!

Er war verletzt!

Wie schmerzhaft rasten diese Gedanken in meinem Kopf, als mein Körper von alleine reagierte und ich auf die Beine sprang.

Ich wusste es...

Dass diese Wunde nicht seinen Tod bedeutete... dass sein Leib es mit dieser Wunde aufnehmen konnte, doch die Zahl der Feinde war noch immer so groß und er jedem von ihnen ausgeliefert!

In was für eine Lage rutschte ich hier nur hinein?!

Mein Atem raste, alles an mir zitterte und keuchend blickte ich zurück zu dem Innocence!

Wenn ich es doch schon hätte!

Meine Aufgabe war noch nicht erfüllt!

Es zerriss mich! Hier an diesem Punkt, an welchen ich gehörte und an welchem ich doch nicht sein wollte!

Ich gehörte dort hinüber... zu Kanda!

War es nicht genauso meine Pflicht, mich für meine Kameraden einzusetzen?!

Konnte man mir diese Gedanken vorhalten?!

Das Donnern eines Schusses riss mich aus meinen fieberhaften Gedanken und ein erschrockener Schrei entrann mir, als alles um Kanda herum aufstiebte. Der Schuss eines Level 1 hatte ihn getroffen und wie verbissen rang er mit dem Akuma-Gift! Es befiel ihn binnen weniger Sekunden, deutlich zogen sich diese schwarzen Abzeichen über seine Haut und wie viel Kraft musste es seinen Körper kosten, dieses Gift niederzuringen!

Er würde dort nicht lange aushalten... wie ausgeliefert war er... es war eine Sackgasse und wie schnell sprang ich von diesem Schuttberg, wie rasant setzte ich auf dem Boden auf und wie verbissen riss ich mehrere Level 1 mit einem Schlag auseinander.

Ich hatte beide zu beschützen...

Kanda... das Innocence!

Ich musste dieser Herausforderung würdig sein, musste an sie heranwachsen und etwaige Verantwortung tragen.

Niemand legte Hand an Kanda!!

Verkrampft schloss er beide Hände um diesen Pfahl, versuchte ihn zu bewegen und sackte doch unter dem schieren Schmerz in sich zusammen.

Was musste für eine Qual in ihm rumoren?

Wie musste er sich quälen?!

Und ich rannte weiter... rannte und eilte zu ihm und durch die Mauer der Feinde, die sich um ihn schloss.

Niemand würde ihm etwas tun, solange ich hier war!

Niemand gelangte zu ihm, wenn ich es verhindern konnte!!

Und keuchend kam ich nahe bei ihm zum Stehen. Kanda im Rücken, den Feind vor mir und zu allem bereit. Eine seltsame Regung ging durch das Feindbild. Abrupt hielten die Level 1 in ihren Bewegungen inne, ihre Kanonen gaben keinen weiteren Schuss ab und mit schwerem Atem starrte ich in die Massen, die uns umgaben. Dreißig Level 1... und wie lauernd krochen auch zwei Level 3 über Häuserfassaden näher.

Eine Masse, mit der ich es aufnehmen konnte... doch mit einem Mal stockte mir der Atem. Er setzte sich in meiner Brust fest, während sich meine Augen weiteten und kaum vernahm ich das wuterfüllte Ächzen hinter mir.

„Was... machst du hier, Bohnenstange!!“

So schwer er auch verletzt war... seine Stimme erhob sich mit all der Kraft, die noch in ihm zurückgeblieben war... und ich achtete nicht darauf.

„Kümmere dich um das Innocence... verdammt noch mal!!“

Stockend hob ich den Kopf, nur langsam drifteten meine Pupillen zur Seite und kalt überkam mich ein Schauer, als aus sämtlichen Ruinen, aus sämtlichen Kellern und Fenstern... ein wahres Heer aus Level 2 kroch. Ein buntes Getümmel erhob sich um mich herum und röchelnd verstummte auch Kanda.

So viele...

So viele?!

Sie umgaben mich zu allen Seiten, unzählig... gefährlich.

Weitaus weniger problematisch wäre es gewesen, würde ich sie bekämpfen, ohne jemanden zu schützen. Doch zu schützen hatte ich hier und jetzt zweierlei Dinge, von denen eines einen weitaus geringeren Wert einnahm.

Was war ein Innocence im Vergleich zu Kandas Leben!

Was!

Ich würde es sofort opfern, wenn man mich vor jene Wahl stellte!

Langsam bewegte ich meinen linken Arm, umschloss das Handgelenk mit der Rechten und zog mit einem Mal mein Schwert ins Freie.

Mir blieb keine andere Wahl... keine Möglichkeit, diesem Zustand aus dem Weg zu gehen. Ich hatte zu kämpfen... zu schützen, was mir wichtig war!
 

~*tbc*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2011-03-06T07:41:13+00:00 06.03.2011 08:41
Wah wie süß! *~*
Von: abgemeldet
2010-10-14T18:26:24+00:00 14.10.2010 20:26
das ist ja sowas von Yuulike.
einfach perfekt getroffen!
Von: abgemeldet
2010-10-10T12:03:39+00:00 10.10.2010 14:03
Ich find es auch richtig dass allen ihn beschützt hat. Ein leben ist wichtiger und wertvoller als so eine blöde msision. Hoffentlich kriegt er nicht zuviel Ärger von Kanda dafür.


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