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Reqium of Darkness & Quiet Symphony

Walker x Kanda
von

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Rettende Einsichten

„Wie versprochen!“

Kaum hatte ich den Tresen erreicht, erreichte ihn auch Jerry. Und das mit einem Tablett, das schon länger auf mich gewartet zu haben schien. Von seinem sonnigen Gesicht blickte ich zu den Schoko-Donuts, rieb die Hände an meiner Hose und war in den ersten Momenten unentschlossen, wie ich hier und jetzt zu reagieren hatte.

Jerry hatte jedenfalls daran gedacht… sehr schön, aber als ich tief Luft holte und mich zu einem Lächeln zwang, bemerkte ich, dass mir jeder Appetit fehlte. Schmerzhaft riss das Lächeln dennoch weiterhin an meinen Lippen und ich wollte es mir aus dem Gesicht reißen, als Jerry mit heiterer Stimme fortfuhr. Als hätte er mit keiner Antwort gerechnet. Eigentlich seltsam, da es angebracht wäre, helle Begeisterung von mir zu erwarten.

„Koste diese Donuts…!“, fuhr er schon fort. Völlig berauscht und bestens gelaunt, „… und du wirst nicht nur die Schokolade, sondern auch meine Liebe schmecken!“

„Ah… danke.“

Dieser Situation entkommen…

Mich zurückziehen…

Auf etwas anderes war ich nicht aus und so versuchte ich dieses Treffen abzukürzen, indem ich sofort das Tablett an mich nahm.

Jerrys Euphorie war ich nicht gewachsen.

Seine Welt war soviel heller, als meine.

„Ach, bevor ich es vergesse!“

Sofort hielt ich inne, klemmte mir das Tablett unter den Arm und sah Jerry breit grinsen.

„Ich soll dir etwas von Kanda ausrichten.“

„Hah?“ Stirnrunzelnd trat ich zu ihm. Seit geraumer Zeit machten mich gewisse Schlagworte aufmerksam. So, wie dieses mal… denn es verwirrte mich zutiefst. Liebevoll erwiderte Jerry meinen Blick, sank an der Theke etwas tiefer und stützte sich seufzend ab.

„Er sagte, es hätte vorzüglich geschmeckt und er richtet dir seinen Dank aus.“

War das so, ja?

Meine Miene entspannte sich, meine Schultern sanken tiefer und kurz darauf stand ich dort und starrte den Koch stoisch an.

Das konnte doch nicht wahr sein…

Aber sein Grinsen vertiefte sich und nach wenigen Momenten stieß ich ein laues Seufzen aus.

„Warum meinst du, solche Witze machen zu müssen?“, erkundigte ich mich dann und konnte mich nicht vor diesem gewissen Misstrauen schützen.

Ich befürchtete, wie jemand auszusehen, der Aufheiterung brauchte. Jerrys Aufmerksamkeit hatte ich nur selten so intensiv eingeschätzt aber das leise Lachen, in das der Mann daraufhin ausbrach, verschaffte mir fast schon wieder Beruhigung.

Es war nur ein doofer Witz am Rande gewesen… eine Bemerkung, die man einfach mal so aussprach und sich nicht viel dabei dachte.

„Klingt doch gut, oder?“ Nur schwer schaffte Jerry es, sich unter dem Lachen aufzurichten. Er hielt sich den Bauch, während ich die Brauen verzog und nachdenklich zur Seite spähte. „Wer weiß, vielleicht passiert es ja eines Tages? Wäre nur angebracht.“

Das, was hier geschah, war alles andere als angebracht… eher völlig fehl am Platz aber mir gelang noch ein knappes Grinsen, bevor wir uns voneinander abwandten. Ich war schnell darüber hinweg, kurz darauf nämlich schon viel zu sehr darauf fixiert, mir einen ruhigen, abgelegenen Platz zu suchen. Viele Bänke waren noch frei, viele Tische… es minderte die Gefahr, dass sich jemand direkt neben mich setzte.

So zog ich mich zurück und kehrte der Gesellschaft den Rücken. Nur kurz lugte ich zu den Donuts, als ich bequem saß, schöpfte tiefen Atem… rückte an einem von ihnen und griff dann doch nur nach dem Saft.

Die Donuts waren frisch… deutlich zog mir dieser Duft in die Nase aber nichts an mir war bereit, sich so einfach locken zu lassen. Keine Muse… kein Verlangen und so ließ ich mir Zeit, nippte und trank in so kleinen Schlucken, dass ich eine Weile damit zubringen konnte, ohne Aufsehen zu erregen.

Die Geräuschkulisse nahm nicht ab… permanent umgab mich dieses Lachen, dieses Stimmengewirr. Einflüsse, die mir in jeder nur erdenklichen Sekunde vor Augen führten, wie betrübt ich immer noch war. Nur selten strengte mich all das so an. Nur selten war ich kein Teil dieser heiteren Gesellschaft.

Ich versuchte, all das in meinen Ohren versiegen zu lassen und als ich dann doch nach einem Donut griff, drifteten meine Gedanken haltlos zu den finstersten Stunden dieser Nacht zurück.

Es geschah wieder und wieder.

Ein widerlicher Verlauf, der keinen Wert darauf legte, ob ich ihm gewachsen war. Meinungen und Absichten spielten keine Rolle. Manchmal war man so ausgeliefert, wie man es auf dem Schlachtfeld nicht sein könnte. Überall hielt die Realität kleine Umwege bereit… wenn auch gut versteckt, sie ließen sich finden, wenn ein aufmerksames Auge nach ihnen suchte.

Nicht so, wie in jenen Momenten.

Würde es einen Ausweg geben… einen Umweg… einfach ein Pfad, der mich am größten Leid vorbeiführte… ich hätte ihn längst gefunden. Meine Augen waren nicht nur aufmerksam, sie waren verzweifelt und ebenso ungläubig auf die Tatsache gerichtet, dass ich mich wohl damit abzufinden hatte. Vermutlich gehörte es einfach zu mir.

Ich musste nicht in Licht gehüllt sein, um lange Schatten zu werfen.

Sie waren hinter mir… schon immer gewesen.

Aufgeben, Kapitulieren…

Ich wäre sofort bereit dazu, wenn es nicht so schwer wäre. So schwer, obwohl an dieses Ziel pures Nichtstun führte. Keine Anstrengung, keine Kraft… ich müsste mich nur fallen lassen und mir einbilden, dass es dadurch leichter wurde.

Schmerz ertrug man besser, wenn es keine Aussicht auf Milderung gab. Er war endgültiger, wahrhaftiger… Hoffen brachte Verzweiflung.

Wie viel Stolz konnte ich noch besitzen?

Nach all der Zeit…

„Morgen!“

Eine klare, heitere Stimme riss mich aus meinen tiefschwarzen Gedanken, ließ mich blinzeln und die alte Umwelt erkennen. Der Speiseraum… wie war ich abgedriftet. Ein lockerer Klaps traf meine Schulter und ich spürte den seltsamen Anflug eines gewissen Erschreckens, als ich Lavi erkannte. Grinsend wurde er sein Tablett auf dem Tisch los, schob sich mir gegenüber auf die Bank und stieß ein lautes, behagliches Seufzen aus. Während ich ihn noch anstarrte und nicht so recht wusste, wie verheerend dieser Zufall wirklich war.

„Hast du es schon gesehen?“ Lachend begann er Ordnung auf sein Tablett zu bringen. „Heute Nacht hat es gar nicht geschneit! Es sieht fast so aus, als wäre ne Menge Schnee weggeschmolzen! Und weißt du, was das heißt?“ Mit großen Augen starrte er mich an und ich schüttelte nur den Kopf. Stockend und in ganz andere Gedanken vertieft. „Na, wir kriegen Frühling!“

Fast erwartungsvoll behielt er mich länger in Augenschein, verfolgte, wie ich den Donut zwischen den Fingern bewegte. Auch nach beiden Seiten spähte ich. Kurz und vermutlich auf der Suche nach einer Rettungsleine.

„Mm.“ Letztlich nickte ich nur zu seinen Worten und pflückte den Donut auseinander. „Scheint wohl so.“

Die Aufmerksamkeit zu erwidern, gelang mir nicht. Weiterhin nickend wandte ich mich eher meinem Donut zu und gab mich als jemand aus, der zu hungrig war, um gleichzeitig gesprächig zu sein. Aber wenn ich ehrlich war, befand ich mich hier in einer heiklen Lage. Mit Lavi hätte es mich nicht schlimmer treffen können.

Mir gegenüber herrschte Schweigen.

Er antwortete nicht und still versenkte ich das erste Stückchen im Mund, verkeilte die Füße unter dem Tisch und versuchte meine Frustration auch weiterhin zu verbergen. Auf der anderen Seite des Tisches knackte ein frisches Brötchen. Ein Messer traf auf den Teller und kurz darauf meinte ich, ein tiefes Durchatmen zu hören.

„Allen…“

Diese Stimme…

Dieses eine Wort ließ mich kurz erfrieren und anschließend umso rascher nicken.

„Mm?“

Ich starrte auf mein Tablett, angespannt versenkten sich meine Finger im weichen Gebäck und ein weiteres dumpfes Seufzen mir gegenüber verfestigte nur den ernsten Klang, dem seine Stimme mit einem Mal verfallen war.

„Es hat die ganze Nacht geschneit und wir haben Ende November. Wo soll da der Frühling sein?“

Meine Lippen pressten sich aufeinander, kurz sank mein Gesicht tiefer gen Teller und als ich dann aufblickte, war das grüne Auge mit so einer ernsten Aufmerksamkeit auf mich gerichtet, als wolle er geradewegs durch meine Fassade blicken… geradewegs in mein Innerstes, das in diesen Momenten so aufgewühlt war. Wie eine Beute, die ein Raubtier witterte und keine Höhle fand.

Eine Falle… eine verdammte Falle und ich war nach allen regeln der Kunst hineingetappt.

Abwesend bewegte er das Brötchen in den Händen, drehte und wendete es, ohne das Interesse an mir zu verlieren.

„Ich habe noch nicht aus dem Fenster geschaut“, meinte ich dann nur und achtete strikt darauf, mich nicht zu sehr zu verteidigen. Es sollte nicht den Anschein erwecken, als hätten mich seine Worte getroffen… als fühlte ich mich ertappt. So zuckte ich noch mit den Schultern und befasste mich so entspannt wie möglich mit den Donuts.

Es war nur ein Gespräch am Rande… es hatte nicht viel zu bedeuten.

Nicht, wenn ich nicht so tat.

Doch während ich weiterrupfte und kaute, ließ Lavi nicht von mir ab. Ich spürte seine Musterung, beinahe sogar seine Gedanken und die nächste Stille hielt längst nicht solange an. In einer beunruhigend entschlossenen Bewegung ließ er das Brötchen auf den Teller fallen, stellte die Ellbogen auf den Tisch und das Kinn in die Handfläche. Er verschärfte die Beobachtung und ich war reichlich genervt, als auch ich mich aufrichtete und mich der Konfrontation stellte.

„Glaubst du wirklich, mir fällt das nicht auf?“ Er hob die Brauen, wies mit einem Nicken auf mich. „Du bist seit einiger Zeit nicht mehr wirklich anwesend. Kann das sein?“

„Ich weiß nicht, wovon du redest.“ Irritiert lächelte ich, ließ den Donut sinken.

… und wie verfluchte ich ihn innerlich!

Hier und jetzt befand ich mich in der Situation, die schrecklich genug war, um ebenso gut meinen Alpträumen zu entspringen. Die Aufmerksamkeit eines Bookmans, der stets zuviel sah.

Wie hätte ich vorsichtig genug sein können…!

Wie hätte ich bemerken sollen, dass er, während er lachte und mit Linali sprach, doch permanent über Sinne verfügte, die sich in so ganz andere Richtungen lenkten!

„Mm.“ Stirnrunzelnd regte er das Kinn in der Hand, blickte zum Tisch und wirkte dabei fast verdrossen. „Ehrlich…“, raunte er dann und zuckend versenkten sich meine Finger tiefer im Donut, „… hast du dich schon mal im Spiegel angeschaut? Du bist leichenblass, siehst aus, als hättest du seit Nächten nicht mehr richtig geschlafen. Und völlig neben der Spur.“

Zielstrebig fand die grüne Pupille zu mir zurück und fast spürte ich den Stich des Blickes, der schier in mich drang.

… mich durchdrang.

Als würde er geradewegs auf dem Grund meiner Seele spazieren gehen.

Aber es ging ihn nichts an…

Nicht das Geringste!

Er hatte sich nicht dort zu bewegen… nicht ohne meine Erlaubnis! Es waren mehrere Grenzen, die er mit einem Mal überschritt. Schmerzhaft. Bedrohend.

Ich schätzte es nicht besonders.

Dass er seine Fähigkeiten als Bookman gegen mich verwendete!

Permanent blieben meine Finger an dem Donut zugange… sowie meine Miene entspannt und mein Lächeln unerschütterlich. Und ich seufzte, zuckte mit den Schultern.

„Ich bin ziemlich spät eingeschlafen“, meinte ich dazu dann nur und gestikulierte mit dem Donut. „Irgendwie war Tim aufgeregt und hat mich angesteckt.“

„Und kommt das öfter vor?“ Die nächste Frage folgte so schnell wie gnadenlos und unter einem leisen Seufzen begann ich auf meinem Tablett zu tasten.

„Es ist nur so, dass…“

Meine Stimme versiegte abrupt, als meine blind geführte Hand auf den hölzernen Becher traf und ihn haltlos zur Seite und vom Tisch wischte. Es war nicht wenig Saft in ihm gewesen und bestürzt folgten ihm meine Augen, folgten seinem Sturz gen Boden…

… und blieben an zwei Füßen hängen, die mit einem Mal in all dem Mangosaft badeten.

Jemand war neben mir stehengeblieben und während ich zur Seite gebeugt blieb… die Augen ungläubig nach unten gerichtet, blieb auch Lavi still.

Langsam regten sich die Zehen in der Feuchtigkeit. Die Füße steckten in bequemen Schlappen und nur stockend blickte ich auf, starrte auf eine schwarze Hose, die knapp bis über die Knie des jungen Mannes reichte.

Mein Mund öffnete sich… ohne, dass ich wüsste, was es zu sagen gab.

Ich musste nicht mehr sehen, um zu wissen, wie sehr sich meine ohnehin schon prekäre Lage mit einem Mal weitaus verschlimmert hatte. In ungeahnte Ausmaße…

Ich blinzelte, richtete mich langsam auf und irgendwie war mir nach einem Lachen zumute.

Das… das konnte nicht wahr sein. Solche Zufälle existierten nicht auf dieser Welt… das Schicksal könnte nicht grausam genug sein, um mich all das erleben zu lassen!

Dem, was folgen würde, war ich nicht gewachsen…

Hier traf ich auf alles, was mir gerade noch gefehlt hatte!

Abrupt schloss ich den Mund, richtete mich weiter auf und spähte zögerlich zu dem gesenkten Gesicht.

Schweigend betrachtete sich Kanda das Malheur.

Er sagte nichts… nicht einmal seine Miene verzog sich sonderlich und ein hastiges Schlucken machte mich auf den Druck in meinem Hals aufmerksam.

Eine unangenehme Beengtheit… gefolgt von einem kühlen Schauer.

Ich war ihnen nicht gewachsen…

Seinen vernichtenden Worten.

Den Beleidigungen, die in einem solchen Fall in weitaus ernstere Gefilde drifteten, als die kleinen Sticheleien, die bei uns zu der Tagesordnung gehörten. Ich konnte nur ahnen, nein, befürchten… denn so etwas war mir noch nie passiert.

Immer noch starrte er nach unten, bewegte die Zehen in der klebrigen Feuchtigkeit und kaum legte sich seine Stirn kraus, da verbarg ich die Augen hinter der Hand. Etwas schief blieb ich sitzen, schüttelte den Kopf, stieß ein lautloses Ächzen aus und ließ die Hand auf den Schoß niedergehen. Trübe richteten sich meine Augen auf die verdammten Donuts und es brauchte einen weiteren, tiefen Atemzug, bis ich den Mut fand, erneut zu ihm zu blicken.

Scharf sah auch er mich an. Aus den Augenwinkeln, ohne den Kopf zu heben und umso demütiger senkte ich den Eigenen.

Bitte nicht…

„Es… tut mir leid.“ Ich brachte es einfach über die Lippen… denn so gesehen war es nichts anderes, als die Wahrheit. Wieder schüttelte ich den Kopf, ernüchtert von mir selbst. „Wirklich… es war keine Absicht.“

Fast glaubte ich zu spüren, wie nervös selbst Lavi war.

Dabei hatte er doch nichts mit alledem zu tun. Es ging nur um mich und um die Tatsache, dass ich jede Umsicht verlor.

So etwas hatte nicht zu passieren… vor allem nicht bei Kanda.

Schlimmes kam auf mich zu… und ich war zu erschöpft, um es damit aufzunehmen.

Ein leises Knurren… es läutete den Untergang ein.

„Pass einfach besser auf!“

… und sofort nickte ich, wollte jeder Konfrontation aus dem Weg gehen und wartete nur darauf, dass ihm noch mehr einfiel.

Doch plötzlich erhoben sich Schritte… Kanda setzte sich in Bewegung und nur zögerlich blickte ich auf und an die Stelle, an der er soeben noch gestanden hatte.

Er ging…?

Der Rest der Fassung schien geradewegs aus meinem Gesicht zu bröckeln, als ich es umwandte und Kanda gehen sah. Er hatte sich einfach umgedreht, schlenderte genauso entspannt zur Tür zurück, wie er durch sie gekommen sein musste. Nur kurz schüttelte er einen Fuß, befreite ihn von wenigen Tropfen und ohne sich umzusehen, schob er sich daraufhin durch die Tür und nach draußen.

Und am Tisch herrschte Stille.

Selbst nachdem sich die Tür geschlossen hatte, blieb es schweigsam zwischen Lavi und mir. Der Rothaarige wirkte wie erstarrt und auch ich brauchte einen Augenblick, um wieder zu mir selbst finden… mir der Tatsache bewusst zu werden, wie versessen ich auf jene Tür starrte. Lavi übernahm das für mich. Mit großem Auge und leicht geöffnetem Mund spähte er an mir vorbei, als ich mich wieder dem Tisch zuwandte und nach einem leisen Räuspern nach einem neuen Donut griff.

Was gerade geschehen war… hier, neben dem Tisch…

Leicht verlegen begann ich auch diesen Donut zu zerrupfen… starrte lieber auf den Tisch, als meinem Zeitgenossen Aufmerksamkeit zu schenken. So oder so gab es für uns beide wohl reichlich Gedanken, die es sofort hieß, zu verarbeiten… oder es zumindest zu versuchen.

Konnte es sein…?

Und wenn dem so war… konnte ich es annehmen…?

Durfte ich hier und jetzt zufrieden sein?

War ich es denn in diesen Momenten?

In letzter Zeit…

Langsam versenkte ich ein Stückchen im Mund.

In letzter Zeit passierten so viele neue Dinge. Soviel Ungewohntes, soviel Überraschendes, dass mein Verstand sich beinahe überfordert fühlte. Mit alldem…

„Sag mal…“

Nur leise drang Lavis Stimme zu mir und als ich ihn dann doch ansah, lehnte er sich über den Tisch, lehnte sich zu mir und schirmte den Mund mit der Hand ab, als folge ein waschechtes Staatsgeheimnis. Ich achtete kaum darauf, interessierte mich im Grunde nicht für die kommenden Worte… lediglich darauf, dass jede Ernsthaftigkeit aus seinem Gesicht gewichen war.

„… ihr habt doch nicht etwa irgendeine... Abmachung getroffen… oder?“

„Wie kommst du darauf?“, erwiderte ich beinahe unbeteiligt und wandte mich wieder meinem Essen zu. Ich spielte den Dummen, den Unaufmerksamen… obwohl mir dieses Gerede weitaus lieber war, als sein an Gnadenlosigkeit grenzendes Verhör.

„Wie ich darauf komme?“ Unter einer Grimasse lehnte sich Lavi zurück, betrachtete mich skeptisch, ja, annähernd frustriert. „Weißt du, was los war, als er einmal in ein Stück Kuchen getreten ist, das mir runtergefallen war?“

Natürlich wusste ich das.

Ich war dabei gewesen aber mein Nicken schien gar nicht nötig. Er verfiel der alten Gesprächigkeit.

„So eine Lebensgefahr bestand für mich nur selten!“, murrte er und jeder Appetit schien verloren. Für sein Frühstück hatte er nur noch mürrische Blicke übrig. „Warum geht er mir an die Gurgel und dir einfach aus dem Weg?“

Tja, weshalb…?

Ich aß noch einen Happen, schöpfte tiefen Atem und kurz lugte ich erneut zu dem Becher. Er lag noch immer dort unten und kurz darauf neigte ich mich einfach hinab und hob ihn auf.

Um ehrlich zu sein, ich war nachdenklich… die gesamte Zeit über. So in mich selbst verstrickt, dass Lavi eigentlich Selbstgespräche führte.

„Hast du dich mit ihm angelegt?“, wollte er wissen. „Hast du die Fronten geklärt? Stellung bezogen? Ihm gedroht? Wie hast du das gemacht?“

„Ich hab gar nichts gemacht“, murmelte ich nur und stöhnend sank Lavi in sich zusammen.

„Das glaubt mir Crowley nie…“

Immerfort erhob sich seine Stimme und ebenso rasch verdrängte ich sie aus meiner Wahrnehmung.

Es waren Tatsachen, die sich mir hier boten. Verhaltensweisen, die weitaus weniger undurchschaubar waren, als sie wirkten. Ich verstand… und wusste nicht, wie ich dabei fühlte.

Kanda hatte mich gesehen… mich, und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Keine Maske, keine Schauspielkunst.

Er hatte mich in diesem Türrahmen erspäht, in den ich so gedankenlos gestolpert war.

Noch weitaus bleicher und erschütterter, als ich mich in diesen Momenten noch zeigte.

Er hatte es gesehen… mein Befinden.

Meine Erschöpfung, meine Furcht… den Körper, den ich zu diesem Zeitpunkt nicht unter Kontrolle hatte.

Es ging mir schlecht… das tat es wirklich.

Und er wusste es.

Von diesem Punkt war es ebenso einfach darauf zu schließen, dass ich hier und jetzt noch immer nicht Herr über mich war.

Unruhe, Ungeschicklichkeit… Taten, hinter denen keine Absicht lag.

Ungewollt… ein schieres Versehen, das so tief in ihn zu dringen schien, dass es im Irrgarten seines Charakters auf eine seltene Nachsicht traf.

Verständnis…

Vergebung…

Und gedankenlos verlangsamten sich meine Bewegungen. Stockend pflückte ich den Donut auseinander, bewegte mich so schleppend in meiner Absenz, während Lavis Lippen sich noch immer bewegten. Immerfort, pausenlos…

Und ich…

Ich wurde geschont…

Von Kanda?

Ich wandte das Gesicht… blickte schweigend zu den hohen Fenstern und bewegte die Schokolade im Mund, ohne sie zu schmecken.

Stand es wirklich so schlimm um die Verbindung, die wir zueinander hatten?

Gab es wirklich soviel Antipathie, wie ich bisher vermutete?

Ich hätte nie gewagt, dass er sein Verhalten auch nur im Geringsten von mir abhängig machte. Dass er sich nach mir richtete… und es mir in einem ohnehin schweren Moment einfach nicht noch schwerer machte.

Sinnierend verengte ich die Augen.
 

Irgendwann kam Kanda zurück. Ich bemerkte ihn erst, als er unseren Tisch hinter sich ließ… und wie aus Reflex einen nicht sehr unauffälligen Bogen um uns machte. Als würde er weitere Becher befürchten. Weitere unglückliche Desaster aber das einzige Desaster saß mir gegenüber und konnte seit Minuten den Mund nicht mehr halten. Seine witzig gemeinten Worte und all die Erzählungen von Dingen, die mich nicht interessierten, waren langsam doch fast schlimmer, als die vergangene Befragung. Genauso schwer zu ertragen und so kam mir diese Abwechslung, in welcher ich Kanda nachblickte, sehr gelegen. Den Ellbogen auf den Tisch gestemmt, bewegte ich den nächsten Donut an den Lippen und spähte geradewegs an Lavi vorbei. Schweigend und durchaus schuldbewusst. Er bewegte sich so entspannt, wie zuvor, näherte sich der Theke langsamen Schrittes. Gerade so, als hätte er diesen Saal an diesem Morgen zum ersten Mal betreten. Nun in bequemen Hausschuhen erreichte er sein Ziel und kurz darauf erhob sich schon das berauschte Seufzen Jerrys.

„Da bist du ja wieder!“, hörte ich ihn juchzen und verfolgte all das ganz genau.

Kandas Reaktion ließ nicht auf Wut schließen… nicht einmal die geringste Gereiztheit formte die lässige Bewegung, mit der er die Hand zum Nacken hob und diesen rieb. Ebenso ruhig schien er auch zu antworten und während Jerry wieder dem Seufzen und Lachen verfiel, lugte ich kurz zu Lavi. Stoisch und alles andere als begeistert.

Was mich anging… ich war gereizt. Ohne Saft über die Füße geschüttet bekommen zu haben. Ich war es allmählich wirklich und resigniert schob ich den Donut in den Mund und biss ab.

„Und dann fragte sie mich, woher ich komme!“ Heiter schmierte Lavi das nächste Brötchen, schenkte meiner eingeschlafenen Miene wenig Beachtung. „Das glaube ich zumindest, weil, wie gesagt, sie hatte einen ganz schönen Akzent.“ Er fuchtelte mit der Hand, langte nach der Marmelade. „Zu doof, dass die Mission schon vorbei war, aber ich habe gehofft, Komui lässt mir noch einen Tag Zeit, bevor ich zurück muss. Na ja, da habe ich wohl wie immer viel zu viel erwartet, nicht? Ich sollte mich sofort auf den Weg machen und als ich dann nach ihr geschaut habe, war sie nicht mehr im Laden. Das ist alles zu doof!“

Was er nicht sagte…

Ich war derselben Meinung.

Das, was vorhin geschehen war, hatte ihn scheinbar doch nicht genug mitgenommen, um noch länger darüber zu sprechen. Erschreckend schnell war er in seine eigenen Gebiete abgetaucht.

Meine Schultern hoben und senkten sich. Ich brauchte einen tiefen Atemzug, um die alte Geduld zu zeigen… nein, eigentlich eine Geduld, die ich nicht mehr inne hatte.

Ich könnte aufstehen, fiel mir ein. Einfach gehen und ihn sitzen lassen aber mein Magen fand allmählich Geschmack an den Donuts. Es war ein Appetit, auf den ich nicht gehofft hatte.

Und weshalb weglaufen? Es war nicht meine Art, den Dingen so aus dem Weg zu gehen. Ebenso gut könnte Lavi auch derjenige sein, der verschwand aber da sein Mund vielmehr mit reden, als mit essen beschäftigt war, standen auch dafür die Chancen überaus schlecht.

Genau genommen passierte mir das nicht zum ersten Mal. Die Situation forderte eine Veränderung… möglicherweise auch ein rasches Ende aber ich blieb sitzen, wo ich saß und nebenbei noch völlig stumm. Ich hatte mich nicht aufzuregen, da ich mich permanent selbst in solche Lagen manövrierte.

Wenn ich derjenige gewesen wäre, der den Saal als zweiter betrat… vielleicht hätte ich so tun können, als hätte ich Lavi nicht gesehen. Ich hätte mich woanders hingesetzt und in dem Fall, dass er anschließend doch zu mir stürmte, wäre ich einfach überrascht gewesen und voller Unwissen.

„Und dann gab es auch noch irgendeinen Defekt bei dem Zug!“ Ausgiebig verdrehte Lavi das Auge und aß endlich weiter. Wenn auch nur nebenbei. Es gab Grund, zu hoffen und mit einem knappen Nicken tat ich so, als wäre ich aufmerksam. Es genügte ihm, um sofort weiter zu erzählen und kauend spähte ich erneut an ihm vorbei.

Kanda hatte, was er brauchte. Ein kleines Tablett auf dem Unterarm, schlenderte er geradewegs in unsere Richtung. Die Zahl der Hungrigen hatte zugenommen, ganz im Gegensatz zur Anzahl der freien Plätze und so hatte er es auf den benachbarten Tisch abgesehen. Er erstreckte sich hinter Lavi und während der Rothaarige ausschweifend mit dem Brötchen gestikulierte, hafteten meine Augen noch immer an dem Japaner.

Den Blick abzuwenden, war für mich keine Option… es schien schlichtweg keinen Grund dafür zu geben.

Selbst die Möglichkeit, dass er auf meine Betrachtung aufmerksam werden könnte… sie schreckte mich nicht ab.

Möglicherweise war mein Verhalten in diesem Punkt berechnend. Ich hatte Gewissheit, dass meine Aufmerksamkeit keine Affronts heraufbeschwören würde. Zumindest vor Kanda war ich hier und jetzt sicher und mir durchaus bewusst, wie sehr meine Augen noch immer um Verzeihung baten. Die Reue war so gegenwärtig wie vor einigen Minuten aber die dunklen Augen streiften mich kein einziges Mal, bevor mir Kanda den Rücken kehrte und hinter Lavi über die Bank stieg.

„Verstehst du?“

Ah ja…

Lavi.

Von Kanda lugte ich zu ihm, schnappte erneut nach dem Donut.

Ihn gab es auch noch.

„Es war eigentlich gar nicht so schlimm aber irgendwie sind trotzdem alle ausgerastet. Nur weil der Zug auf einer Brücke stand. Meine Güte, die haben sich benommen, als würde der Zug gleich abstürzen, dabei war nur eine Kurbel kaputt.“

Fast automatisch suchten meine Augen nach dem Brötchen. Hatte er es bald geschafft?

Nein… nicht wirklich. Noch nicht einmal die Hälfte. Es würde wohl noch dauern, bis ich alleine hier sitzen und das Frühstück in aller Ruhe zu mir nehmen konnte. Die Müdigkeit war da… schien sich in jedem Augenblick zu verstärken, wie zuvor die Geduld bis an einen Punkt zu steigen, an welchem ich es nicht mehr aushielt.

Nach einer solchen Nacht…

Mein stummes, langsames Kopfschütteln wurde nicht bemerkt. Auch nicht, dass ich mir flüchtig die Stirn rieb.

„Eigentlich war es ja nicht meine Aufgabe aber ich habe trotzdem versucht, die Leute zu beruhigen. Du glaubst nicht, was da los war. Sowas habe ich noch nie erlebt und ich hab einiges erlebt bis zum heutigen Tag. Man, man, man… das war so schwer. Alle haben geschrieen und ein paar ganz Verrückte wollten sogar aus dem Zug springen. Du weißt, er stand auf einer Brücke. Die wären ziemlich weit gesprungen.“ Kurz verstummte Lavi und als meine Pupillen durch einen Spalt meiner Finger zu ihm fanden, kaute er. Nur kurz, dann zuckte er mit den Schultern und erwiderte meinen nüchternen Blick irritiert. „Was ziehst du immer noch für ein Gesicht? Ich versuche dich aufzuheitern. Bemerkst du das nicht?“

„Sehe ich aus, als müsste ich aufgeheitert werden?“ Unter einem tiefen Atemzug machte ich mich wieder an dem Donut zuschaffen.

„Ich meine ja nur“, murrte er zurück und verhielt sich dabei wie ein trotziges Kleinkind. Im Schutz meiner Hand verdrehte ich die Augen, fand mich so erschöpft vor und an den Grenzen meiner Kräfte. „Wem schadet das? Dir heute ganz bestimmt nicht.“

Ich senkte das Gesicht, so auch die Hand und meine Lippen pressten sich aufeinander, als ich erneut zu dem leeren Becher starrte. Ich tastete nach ihm, nur langsam und um mich um irgendwas klammern zu können. Meine Stimme rumorte in meinem Bauch, als wolle sie in jedem Augenblick laut hervorbrechen und die Worte formen, die ich Lavi in diesem Moment gerne an den Kopf schmeißen wollte.

Dass ich seine Stimme hier und jetzt nicht mehr ertrug…

Dass er leise sein oder mich ungestört ziehen lassen sollte…

Eines von Beidem aber am liebsten wäre mir sein Schweigen. Immerhin hatte ich Hunger.

„Hey, weißt du was?“ Er fuhr fort, als hätte er meine Gedanken gelesen und wolle nun aus purem Trotz ganz in die Richtung des Gegenteiles handeln. „Meine nächste Geschichte wird dir gefallen. Die wollte ich dir schon einmal erzählen aber da hattest du gerade zu tun.“ Er rückte sich eilig zurecht und ich schluckte… würgte die Worte zurück in den Bauch, als sie in mir höher stiegen.

„Vor einer Woche war ich in Portugal und da fand ein Wochenmarkt statt. Da habe ich mich umgeschaut und die eine Verkäuferin, eine ganz junge, die hat mich angeschaut und…“

Ein dumpfes Stöhnen ließ ihn verstummen, so wie mich aufblicken. Geradewegs an ihm vorbei. Kanda war in sich zusammengesunken und irritiert drehte sich Lavi um, hatte ihn bis jetzt noch nicht bemerkt. Ich hob die Augenbrauen und mit einem Mal wandte sich Kanda um. Seine Augen schweiften an mir vorbei, richteten sich geradewegs und durchaus finster auf Lavi.

„Wäre es vielleicht möglich, hier zu frühstücken, ohne dein pausenloses Gefasel ertragen zu müssen?“

Seine Stimme erhob sich so schneidig… eigentlich ganz so, wie man sie von ihm gewohnt war, wenn ihm eine Sache nicht in den Kram passte. Mein Mund öffnete sich… lautlos und nur um ein Stück, während ich vor der finsteren Aufmerksamkeit völlig sicher war. Sie richtete sich nur gegen Lavi und der sank unter einem leisen Seufzen leicht zur Seite.

„Och, Yu…“

„Halt einfach den Rand!“, wurde er da schon unterbrochen und ich wollte nicht glauben, was da gerade vor meinen Augen geschah. Lavi rutschte kapitulierend in sich zusammen und genauso ruppig, wie sich Kanda ihm zugewandt hatte, wandte er sich mit einem Mal wieder ab.

„Das geht mir auf die Nerven!“, hörte man ihn noch fauchen, bevor er die Stäbchen wieder an sich nahm und sich ächzend an seinem Essen zuschaffen machte.

„Dir geht doch alles auf die Nerven.“ Unter einem weiteren Seufzen zerdrückte Lavi das Brötchen in der Hand. Er drückte und quetschte es eine ganze Weile, bevor er sich plötzlich aufrichtete und sich nach der Uhr umschaute. Ich bemerkte es nur am Rande, denn von Kanda hatten meine Augen zu dem Becher zurückgefunden und noch immer starrte ich diesen gedankenverloren an, als Lavi nach Luft schnappte.

„Was? Schon so spät?“ Verwirrt starrte er mich an. „Wo ist die Zeit geblieben? Ich muss doch los!“

Tatsache…?

Jetzt wurde ich aufmerksam und verfolgte beinahe genüsslich, wie er das Brötchen auf den Teller zurückwarf und die Stirn runzelte.

„Man, jetzt bin ich kaum zum essen gekommen!“

Das wäre er… hätte er die Klappe gehalten.

Ich hob die Brauen und eine unglaublich schwere Last fiel von meinen Schultern, als er sich wirklich daran machte, auf die Beine zu kommen. Seufzend rappelte er sich auf, griff nach seinem Tablett und schickte mir ein Grinsen.

„Na, dann… tut mir Leid, ich werde mich dann mal auf die Socken machen, bevor Komui das spitz kriegt.“

Wundervoll… diese Freude trieb mich zu einem ehrlichen Lächeln.

„Pass auf dich auf“, verabschiedete ich mich noch und lachend schob er sich an der Bank entlang, geradewegs zum schmalen Durchgang.

„Klar mache ich das. Mach’s gut.“

Und schon kehrte er mir den Rücken. Ich sah ihm nach, als er zum Tresen eilte und kaum war er außer Hörweite, sank ich unter einem erleichterten Seufzen in mich zusammen.

Gerettet.

Wie genoss ich die zurückgekehrte Stille und das letzte Lächeln, das ich Lavi auf seinem Weg nach draußen schickte, zeugte vielmehr von Entlastung, als von Sympathie. Vermutlich wäre es riskant geworden…

Von nun an hetzte ich mich nicht mehr, zwang mich nicht dazu, rasch zu essen. Mir blieb jede Zeit und viel von ihr verging nicht, bevor ich erneut aufblickte und Kandas Rücken ganz offenkundig studierte. Er aß weiter, blieb in ständiger, entspannter Bewegung.

Es hatte ihn noch nie gestört.

Lavis Gerede.

Im Gegensatz zu mir, beherrschte er die Fähigkeit, es einfach aus seinem Gehör zu verbannen und es so überhaupt nicht wahrzunehmen. Wie still und unbeteiligt hatte er oft in unserer Nähe gesessen. Als wären wir nicht da und nur selten hatte uns ein kritischer Blick getroffen, wenn Lavis Erzählungen zu sehr ins Peinliche abdrifteten.

Doch niemals mit Aggression. Niemals hatte er Lavi den Mund verboten.

Bis heute nicht.

Abwesend erkundeten meine Fingerkuppen die Oberfläche des Tisches. Mit einem Mal fühlte ich mich so entlastet, so frei und jeden Gedanken gewappnet. Man könnte meinen, ich folgte einem neu entdecken Interesse, einer Lieblingsbeschäftigung inmitten dieses freien Tages.

Durfte ich es behaupten… es für mich annehmen… es akzeptieren?

Die Offensichtlichkeit brachte mir die Erlaubnis, die Sicherheit, dass sich meine Wahrnehmung nicht täuschte.

Er verschonte mich, als ich meinen Becher über seinen Füßen verschüttete, nahm Rücksicht.

Ich blinzelte, abrupt hielten meine Finger inne und perplex spürte ich, wie sich ein Großteil der Schwere, die bislang in meiner Brust herrschte, legte…

Mein Atem, der durch die Vorkommnisse der Nacht so gedämpft gefallen war, so angespannt. Nun erhob er sich so leicht, so unbeschwert, wie ich es an diesem Tag nicht mehr erwartet hatte.

Meine Augen lösten sich von Kanda und abermals atmete ich tief ein… tief aus und entspannte meine Schultern.

Was war das für ein seltsames Gefühl…?

Meine Wahrnehmung geriet beinahe in Verwirrung über diesen jähen Wechsel meines Befindens.

Wie könnte ich es nennen…?

Ich fühlte mich gedrängt, all das mit nur einem Wort für mich festzulegen und nach einem weiteren, genüsslichen Durchatmen, zuckten meine Mundwinkel zu einem Lächeln.

So ehrlich, so befreit…

Ein Glücksgefühl…

Sinnierend legte ich den Kopf schief, verzog die Brauen.

War es das…?

Fühlte sich etwas Derartiges so an?

Aber wirklich… meine Lippen trugen diesen milden Ausdruck mit aller Aufrichtigkeit und bald darauf schüttelte ich den Kopf. So überfordert und doch… behaglich.

Konnte ich davon ausgehen, dass Kanda sich heute nur an dem Gerede störte, weil… ich mich daran störte?

Hatte er Lavi ermahnt, still zu sein… weil ich genau diese Stille brauchte…?

Wie weit ging seine Nachsicht… wie weit sein Einsatz für die Bedürfnisse anderer?

Es war so gewesen… wirklich… genauso und nicht anders. Schwer zu realisieren… schwer anzunehmen und mit einem Mal richtete ich mich auf, getrieben von einem plötzlichen Einfall, der all das in ein nur umso logischeres Licht rückte.

Als wir uns begegneten… früh an diesem Morgen und in den Duschen…

Ich blinzelte perplex, mein Mund öffnete sich und irritiert stellte ich mir die Frage, weshalb ich es nicht schon dort begriffen hatte. Kurz bevor ich in den Duschen verschwand, als ich flüchtete und das vielmehr vor der Aufmerksamkeit Johnnys… war es nicht Kanda gewesen, der diesen sofort dazu aufgefordert hatte, sich auf ihn zu konzentrieren?

Hatte er Johnny nicht abgelenkt, bevor er mir gegenüber zu aufmerksam wurde?

Ungläubig vertiefte sich mein Lächeln… wenn auch zittrig…

Ich verstand… und ich akzeptierte.

Wie um alles in der Welt, konnte ich davon ausgehen, dass es um mich und Kanda kompliziert stand? Wie konnte ich ihm zur Last legen, Antipathie mir gegenüber zu empfinden?

Er war soviel wohltätiger, als ich es war, doch scheinbar stets in einem Rahmen, in welchem er all dies jederzeit dementieren könnte. Er war so vorsichtig mit seiner Humanität, hielt sie stets versteckt und wie glaubhaft könnte er kurz darauf alles abstreiten?

Es blieben keine Beweise… nur zweideutige Taten, zu denen er niemals stehen müsste.

Was für eine Vorbeugung…

Auf Dank jeglicher Art würde er so abweisend und verständnislos reagieren, dass man es gar nicht erst versuchen sollte. Keine Anerkennung, keine Gegenleistung. Er erwartete nichts davon und umso ehrlicher und selbstloser wurde dadurch sein Handeln.

Es sah so aus, als wäre von uns beiden… ich der einzige Unmensch. Der, von dem man es am wenigsten erwartete, während er lächelnd und friedlich neben dem finstersten Gesicht aller Zeiten stand. Was für eine Tücke. Nichts war, wie es schien.

Langsam hob ich die Hand, bettete sie flach auf meiner Brust und spürte das ruhige Schlagen meines Herzens.

Es widersprach einfach der Realität… alles.

Meine Unfähigkeit, Schonung und Hilfe anzunehmen… sie bewusst für mich zu akzeptieren, wenn man sie mir offensichtlich und deutlich zukommen ließ. All das war so kompatibel, dass es fast erschreckend war.

Wie genoss ich Kandas Aufmerksamkeit… wie genoss ich die Unterstützung, die er mir versteckt zukommen ließ. So, wie er alles abstritt, könnte auch ich so tun, als nehme ich all das nicht wahr. Sein Beistand war meiner Eigenart so angepasst, dass ich mich hier und jetzt zum ersten Mal an dem Punkt vermutete, diese Geschenke plötzlich annehmen zu können und all das ohne das geringste Problem. Ein neuartiges Gefühl, das mich so leicht und unbeschwert sein ließ, dass dieser Tag sofort um einiges heller wurde und die Erinnerungen an die Nacht, sowie die körperlichen Folgen abschwächten.

Ich fühlte mich so wohl… und das auch… nein, vor allem in seiner Anwesenheit.

In Kandas… Anwesenheit.

Er saß noch dort, keine drei Meter entfernt und während sich meine Augen nicht von ihm lösen konnten, griff er nach seinem Becher und trank ein paar Schlucke.

Was geschah hier nur…

Was passierte?

Ich fühlte mich, als stünde ich mit einem Mal in einem völlig anderen Licht?

Ich bemerkte und akzeptierte, dass man mir half. Sowie ich akzeptierte, dass ich Hilfe benötigte.

Etwas schien sich zu verändern, ohne, dass es nach außen drang.
 

~*tbc*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2010-10-14T13:52:14+00:00 14.10.2010 15:52
„Er sagte, es hätte vorzüglich geschmeckt und er richtet dir seinen Dank aus.“

lol
zu geil XD
Erstauenlich wie nett unser Kanda so sein aknn!
Von: abgemeldet
2010-07-04T13:24:46+00:00 04.07.2010 15:24
Wow einfach nur wow. Da stellt Kanda sofort in ein völlig anderes Licht und macht ihn bloß noch interessanter. Das komische ist ich kann es mir wirklich bildlich vorstellen und finde es total IC obwohl man so etwas niemals von ihm gesehen hat. Du hast es sehr glaubhaft hingestellt und irgendwie passt diese Art der Zuneigung echt zu Kanda. Ich bin sehr gespannt wie es so weitergeht mit den Beiden.
Von: abgemeldet
2010-07-03T12:29:01+00:00 03.07.2010 14:29
Endlich regt sich ma was. du stellst kanda echt menschlich hin, bin ich gar nich gewohnt xD
Von: abgemeldet
2010-07-03T10:28:54+00:00 03.07.2010 12:28
Voll süß <3


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