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Reqium of Darkness & Quiet Symphony

Walker x Kanda
von

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Hellere Zeiten

Es war, als wäre eine Dürreperiode vorbeigegangen. Nach zwielichtigen Tagen und tückischen Nächten begab ich mich völlig entspannt ins Bett und wälzte mich nur kurz in diversen Gedanken, bevor mein Bewusstsein kapitulierte und ich solange schlief, bis die Morgensonne in mein Zimmer fiel. Hinter mir lag eine Nacht, wie ich sie mir vorstellte. Ich bekam sie nicht mit, stahl mich geschickt durch die finsteren Stunden und kam während des Frühstückes in den Genuss der alten, vertrauten Gesellschaft. Dass Jerry an diesem Morgen aus der Küche stürmte, war schon ein Grund zur Freude. Auch sein geschultes Nicken, mit welchem er meine ellenlange Bestellung in seinem Kopf speicherte und nach wenigen herzlichen Worten in die Küche zurückeilte.

Es schien zu funktionieren… dieser kleine Teil meines Lebens. Eine Phase, in der mir morgens endlich eine Stimmung zuteil wurde, auf der man aufbauen konnte.
 

„Mm… fantastisch.“ Berauscht hob Lavi die Brauen, rührte irgendwie ungläubig in seinem Joghurt und bewegte schwelgend den Kopf. „Was tut Jerry da nur immer rein?“

„Ist das Erdbeer-Joghurt?“ Neugierig lehnte sich Linali zu ihm und schloss sich der begeisterten Beobachtung an. Sie war erst vor wenigen Stunden angekommen und trotzdem guter Dinge. Wenn sie müde war, war es ihr auf jeden Fall nicht anzusehen.

„Himbeere“, verbesserte Lavi schmatzend. „Willst du kosten?“

„Gerne.“ Sofort zückte sie ihren Löffel und nur kurz ließ ich von den Croissons ab, um zu meinem Banknachbarn zu spähen. Nebenbei hörte ich Linali entzücktes Seufzen.

„Wirklich lecker.“

„Ja, nicht?“

„Wie habe ich diesen Kaffee vermisst.“ In scheinbar schwermütige Erinnerungen vertieft, starrte Miranda auf die schwarze Oberfläche ihres Gebräus. „Der Kaffee, den ich auf Reisen getrunken habe…“, geknickt seufzte sie, „… es war einfach furchtbar.“

Weiß stieg der Dampf aus einer anderen Tasse. Bookman gab sich wie so oft auch mit einem Tee zufrieden. Schweigend saß er neben Lavi und war seit einiger Zeit nur am Pusten. Auch zu ihm blickte ich kurz, bevor ich das Croisson in meinen Kakao tunkte und nebenbei nach einem Muffin tastete.

So viele waren zurückgekommen. So viele waren wieder hier und sorgten dafür, dass meine Einsamkeit ihr Ende fand. Diese gemeinsamen Mahlzeiten waren mir teuer… unbezahlbar wichtig. Vor allem in den Momenten, in denen ich mich ihnen gewachsen fühlte.

„Ich bin so hungrig.“ Linali hatte sich noch einen zweiten Löffel des Joghurts stibitzt. Jetzt versenkte sie das Messer in ihrem Brötchen. „In Ulan Ude stand kein Laden mehr. Könnt ihr euch das vorstellen?“

„Muss ja echt übel gewesen sein“, nuschelte Lavi neben ihr und ein leises Seufzen zeugte davon, dass sich Miranda wieder dem Kaffee hingab. Was mich anbelangte, ich war aufmerksam geworden.

„Haben die Nachforschungen schon etwas ergeben?“, erkundigte ich mich, mit meinem Löffel in Linalis Richtung gestikulierend. „So ein Großangriff passiert nicht einfach so.“

Kurz war Linali noch an ihrem Brötchen zugange.

„Ich weiß nicht.“ Schulterzuckend griff sie nach der Marmelade. „Marie ist da geblieben, um sich der Sache anzunehmen.“

„Ergibt irgendwie alles keinen Sinn“, bemerkte Lavi in dem Moment nachdenklich. „Irgendwie verstehe ich ziemlich wenig von dem, was in letzter Zeit passiert ist.“

Von ihm blickte ich zu Bookman und sah diesen ebenso gedankenvoll schweigen. Als ginge ihm bereits etwas durch den Kopf, das noch nicht für unsere Ohren bestimmt war.

„Ulan Ude wurde dem Erdboden gleichgemacht.“ Linali begann ihr Brötchen zu schmieren, weitete kurz die Augen. „Das habe ich in all den Jahren nur selten gesehen. Als hätten die Akuma nach etwas gesucht, bei dem die Häuser nur im Weg waren.“

„So oder so“, mischte sich Lavi wieder ein. Kurz juckte er sich im offenen Haar, suchte sich auf der Bank seine Bequemlichkeit. „Man hätte nichts Besseres tun können, als ihnen ein Strich durch die Rechnung zu machen. Um was für eine Rechnung es sich da auch immer gehandelt hat.“

Wieder pustete Bookman über den Tee, setzte die Tasse an die Lippen und nippte vorsichtig.

„Waren die Verluste sehr groß?“, erkundigte sich Miranda plötzlich und noch während Linalis Gesicht von einer leisen Trauer befallen wurde, ging die Kaffeetasse auf den Tisch nieder. „Ich hätte da sein müssen.“ Von sich selbst enttäuscht, sank Miranda in sich zusammen. Ich verfolgte es aus den Augenwinkeln, als ich meinen Muffin zerpflückte.

„Na na na.“ Verhalten lachte Lavi auf. „Mach dich nicht fertig. Wir wären alle gerne da gewesen.“

Was er nicht sagte…

Ich kümmerte mich wieder um mein Frühstück.

„Wenn wir die Gelegenheit dazu gehabt hätten…“, sein nächstes Lachen war alles andere als reserviert. Er warf pfiffige Blicke in die Runde, „… dann wäre unserem Yu nicht so der Hintern versohlt worden.“

„Lavi…!“ Entrüstet schnappte Linali nach Luft. Miranda ächzte auf und auch ich war nicht wirklich seiner Meinung.

Wer hatte wem den Hintern versohlt?

Bookman hatte nur kurz innegehalten und sein Blick, der Lavi traf, zeugte davon, dass er sich auch in solchen Situationen geistreichere Kommentare von seinem Schützling wünschte.

Unterdessen fing sich dieser einen leichten Klaps auf die Schulter ein.

„Als Marie und ich aufgetaucht sind, gab es kaum noch etwas zu tun.“ Kopfschüttelnd hob Linali das Brötchen zum Mund. „Es ist eine Leistung, die man Kanda wirklich hoch anrechnen muss.“

„Vor allem, weil man noch nicht weiß, worauf der Feind wirklich aus war“, meldete sich auch Miranda zu Wort. Ich schwieg dazu lieber. „Vielleicht war die Verteidigung dieser Stadt wichtiger, als wir bisher ahnen.“

„Sehr gut möglich“, pflichtete Linali ihr sofort bei und Lavi begann wieder seinen Joghurt zu löffeln.

„Dieser Kerl…“, murmelte er dabei grinsend, „… das sieht ihm so ähnlich. Muss sich immer hervorheben. Auch noch ohne Rückendeckung. Dieser Idiot. Kann froh sein, dass er in einem Stück zurückgekommen ist.“

„Versuch nicht, ihm dafür Lorbeeren anzudrehen.“ Jetzt meldete ich mich doch wieder zu Wort, tat es beiläufig und noch immer mit meinem Frühstück beschäftigt. „Sonst dreht er dir etwas anderes um.“

In einer argen Vorstellung rieb sich Lavi den Hals, neben ihm lächelte Linali.

„Mein Bruder gibt mir die Mission, zu der Kanda nicht mehr gekommen ist.“

„Was? Wirklich?“ Lavi war sichtlich enttäuscht. „Heißt das, du musst bald wieder los?“

„Heute Abend.“

„Man.“ Schon wurde eine Grimasse gezogen und sofort erwachte Bookman wieder zum Leben.

„Die Arbeit als Exorzist wäre so schön, wenn es die Missionen nicht geben würde“, murmelte er und runzelte die Stirn. „Nicht wahr?“

„Sage ich doch gar nicht“, stänkerte Lavi sofort zurück und sank unter einem Stöhnen in sich zusammen. „In letzter Zeit ist es nur so hektisch. Ich glaube, ich lasse mir die Rippen auch bald prellen.“

Kurz hielt ich inne, bewegte den Windbeutel zwischen den Fingern und sah auf. Lässig wurde in meine Richtung gestikuliert.

„Freizeit ist so schwer zu kriegen.“

„Sag doch so etwas nicht.“ Ein mitfühlender Blick traf mich aus Linalis Richtung und schweigend versenkte ich den Windbeutel im Mund. „Du solltest es zu schätzen wissen, unverletzt zu sein.“

„Ich meine ja nur.“ Lavis Genörgel ging in die nächste Runde. „Ein paar Beispiele. Miranda habe ich drei Wochen lang nicht gesehen, Crowley schon seit fast einem Monat nicht und Yu… fragt erst gar nicht.“

Hatten wir nicht vor.

Tief durchatmend griff ich nach meinem Saft.

„Dauernd bin ich nur mit dem Opa unterwe… au!“ Nach einem abrupten Zusammenzucken verschwand Lavis Hand unter dem Tisch, um sich das Bein zu reiben. Unbeteiligt nippte Bookman wieder an seinem Tee und Linali kam nicht um ein Schmunzeln.

„Er hat schon Recht“, machte Miranda wieder auf sich aufmerksam. „In letzter Zeit passiert soviel. Ulan Ude ist nur ein weiteres Beispiel.“

Ich hörte ihr kaum zu. Noch immer driftete meine Aufmerksamkeit eher zu Lavi. Immer noch war er an seinem schmerzenden Bein zugange, während ich ihn unauffällig musterte.

„Wo finde ich die Urlaubs-Anträge?“ Schluchzend sackte Miranda in sich zusammen und Linali legte den Kopf schief.

„Was für Anträge?“

„Oje… oje…“, in einem plötzlichen Anfall von Panik rieb sich Miranda das Gesicht. „Was wird nur aus mir?!“

„Warum bittest du meinen Bruder nicht einfach darum?“, versuchte Linali auszuhelfen aber wirklich fruchten tat es nicht.

„Was denkst du, wie oft ich das schon getan habe?“, kam die verzweifelte Antwort. „Das einzige, was er mir anbot, war eine Umarmung, durch die ich sofort neue Kraft bekommen würde!“

„Ja…“, verlegen rollte Linali mit den Augen, „… so ist er.“

Woher, fragte ich mich, nahm Lavi diese Fähigkeiten.

Während das Frühstück genauso heiter und gesprächig fortgesetzt wurde, suchte ich nach dieser Antwort und tat es schweigend.

Es war so einfach, gewisse Worte zu überdenken, bevor man sie aussprach. So leicht…

Aber vermutlich hatte ich kein Recht, mich darüber aufzuregen, denn letztlich wäre es genauso leicht, meine Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. Zu sagen, dass ich ihm die Prellung gerne und sofort abgeben würde… zusammen mit all der Freizeit, die ich mir aufgehalst hatte.

Aber ich tat es nicht.

Zeigte weder meinen Verdruss, noch ließ ich mich soweit durchschauen, dass man auch ohne meine Worte darauf schließen könnte. Das einzige, was ich tat, war meine Teller weiterhin von ihrer Last zu befreien und der Runde mehr abwesend als anwesend beizuwohnen.
 

Es stimmte.

Die Gelegenheit, soviel Gesellschaft zu bekommen, war selten und trotzdem etwas, das ich nicht nutzen wollte. Linali hätte ich weiter gerne um mich gehabt, wohl auch Miranda… nur die Gegenwart Bookmans hätte mich vermutlich bald nervös gemacht.

Seine Augen waren zu aufmerksam. Sein Gespür zu sicher und ich tat immer gut daran, mich seinen durchdringenden Augen nie zu lange auszuliefern. Erst recht nicht in Momenten, in denen sich hinter meiner entspannten Fassade wirklich etwas verbarg, für das es sich lohnen würde, genauer hinzuschauen.

Ich musste es nicht darauf ankommen lassen, fand mich auch nicht mehr in der Stimmung, Lavis Stimme zu lauschen. Die Gefahr, weitere unerfreuliche Worte zu hören, war zu groß und so gab ich vor, ein Ziel zu haben, sobald ich mit dem Essen fertig war.

Linali hatte auch eines. Es war ihr Bett, das auf sie wartete, während Miranda nach ihrem Kaffee schon auf dem Sprung zur nächsten Mission war. Auch Lavi und Bookman würden bald gehen, doch nicht schnell genug.

Ich gab dem Rotschopf nicht die Gelegenheit, Fragen zu stellen, kam jedem Wunsch nach gemeinsamen Zeitvertreib zuvor und machte mich am Ende doch nur auf den Weg in die Wissenschaftsabteilung. Dort gab es eigentlich immer etwas zu tun und endlich ließ man mich auch helfen. Die Worte des Arztes verloren allmählich an Nachdruck und so gab ich mich den gesamten Vormittag über gewissen Aufgaben hin. Wirklich Lust hatte ich nicht, wirklich motiviert packte ich auch nicht an und leistete mir hin und wieder eine kleine Pause.

Ich brauchte nur ein Alibi. Etwas, das ich allen Gesprächen und Begegnungen vorziehen konnte.

Und dieses Alibi war groß genug, um sich gut dahinter verstecken zu können.

Den Vormittag verbrachte ich ausschließlich in der Abteilung, sorgte in den Bücherregalen für Ordnung, überprüfte Bestandslisten und nahm es nicht so eng, wenn hier und dort etwas fehlte. Häkchen und Kreuze waren schnell gesetzt und lange Zeit brachte ich nur damit zu, auf die Bücher zu starren und so zu tun, als würde ich mir über sie Gedanken machen.

In der Wissenschaftsabteilung für Ordnung sorgen zu wollen, war eigentlich sinnlos. Es brauchte nur eine Erschütterung, nur einen Knall aus fragwürdigen Laboratorien Komuis und schon würden wieder alle Bücher im wilden Durcheinander auf dem Boden liegen. Bevor man sich dann darüber aufregte, gab man sich doch besser erst gar nicht viel Mühe.

Ich saß im Schutz eines Schreibtisches auf dem Boden, war sicher vor den Augen jedes Besuchers, der die Abteilung betrat, streckte die Beine von mir und kratzte mich ausgiebig mit dem Bleistift im Schopf. Tim hatte es seit einiger Zeit auf einer Sprosse der Regalleiter bequem und mehrfach eilte sogar Komui an dem Schreibtisch vorbei, ohne mich zu bemerken.

Wieder ging eine kleine Pause vorbei, als ich träge auf die Liste zurückblickte.

Das nächste Buch…

Lustlos sah ich zum Regal auf, suchte die richtige Reihe und verzagte schon, als ich den Titel der dort stehenden Bücher nicht lesen konnte.

Ich hatte es versucht.

Immerhin.

Gähnend ließ ich die Papiere sinken, kreuzte die Beine und hörte Komui in einer Ecke der Abteilung schreien. Nach wie vor war stets viel los. Eigentlich war es schon unterhaltsam genug, einfach irgendwo zu sitzen und das Chaos zu verfolgen. Umso faszinierender waren dann auch die Ergebnisse und Fortschritte, die man der Unordnung zum Trotze, doch verzeichnen konnte. Irgendwie ging es doch immer voran.

Es war in den Mittagsstunden, als ich damit beschäftigt war, Fratzen war die weißen Rückseiten meiner Liste zu kritzeln. Den Rücken an den Schreibtisch gelehnt, hatte ich es bequem und Tim als Objekt auserwählt. Er saß recht geduldig auf einem kleinen Hocker vor dem Regal und mit zusammengepressten Lippen versuchte ich mich an einem Kreis.

Mit seinem pummeligen Körper anzufangen, war bestimmt nicht schlecht aber es sah nicht wirklich nach einem Kreis aus. Eher nach einem Ei, das noch komischer aussah, als ich zwei verwackelte Flügel hinzufügte.

So…?

Konzentriert legte ich den Kopf schief, durfte aber nicht zu penibel sein. In gewissen Gebieten blieb man nun einmal völlig talentfrei. Der Schweif gelang mir besser.

Ja, doch…

Ich betrachtete mir das fertige Werk.

Nein.

Naserümpfend wendete ich das Papier, starrte wieder auf die Buchlisten und sah so zumindest danach aus, als würde ich arbeiten, als plötzlich Johnny neben mir stand. Unter seinem Arm klemmten vier Bücher und schon wurden sie mir gereicht.

„Wärst du so nett, die zu unseren Mechanikern zu bringen?“
 

Die Abwechslung tat auch ganz gut. Die frische Luft des Ganges, die ungewohnte Stille, die mich auf meinem schlendernden Weg begleitete, so wie es auch Timcanpy tat. Ich konnte mir nicht helfen aber irgendwie wirkte selbst er gelangweilt. Ihn forderte man genauso wenig wie mich. Nur das konnte erklären, weshalb er mit dem Maul an einem Saum meines Hemdes hing und sich baumeln ließ. Ohne Sinn und Verstand. Hoffentlich begann ich mich nicht auch seltsam zu verhalten.

In bequemen Hausschuhen entfernte ich mich von der Wissenschaftsabteilung, hielt die Hände in den Hosentaschen verstaut und Augen ausschließlich auf den Boden gerichtet.

Wenn es wirklich so kam, wie es meinen Befürchtungen entsprach, würde meine Freizeit weitere zwei Tage andauern. Es war ernüchternd, dass ich meine Rippen immer noch bei besonders tiefen Atemzügen spürte aber morgen würde ich es versuchen, die Zeit bis zur nächsten Mission abzukürzen. Die Chancen standen nicht schlecht, wenn ich nur überzeugend genug wäre.

Ein Gähnen stieg in mir höher, als ich mich dem Treppenhaus näherte.

Sobald ich diese Bücher an den richtigen Mann gebracht hatte, nahm ich mir vor, würde ich Jerry einen Besuch abstatten und mir ein ordentliches Mittagsessen gönnen. Das war ein guter Plan und schon verfielen meine Schritte etwas mehr der Zielstrebigkeit. Es war das erste Mal an diesem Tag, dass ich es eilig hatte, eine Aufgabe zu erfüllen… oder dass ich überhaupt eine erfüllte. Wenn meine Beweggründe auch fragwürdig waren. Gähnend trat ich so in das Treppenhaus, bog nach links und ließ mich von einer entfernten Bewegung locken.

Eine Tür hatte sich geöffnet. Ich wusste sofort, welche es war und augenblicklich hatte ich es doch nicht mehr so eilig.

Kanda war erwacht und sofort unterlag ich der Versuchung, ihn mir genauer zu betrachten. Ich realisierte, dass es ein weiterer, ungewohnter Anblick war, der sich mir hier bot und dem ich gebührend Aufmerksamkeit zu zollen hatte.

Offen schlängelte sich das lange, schwarze Haar über seine Schultern, die sich unter dem Stoff eines simplen Shirts verbargen. Es war so zerknittert, dass er es nicht gerade erst angezogen haben konnte. Genau wie die schwarze, lockere Hose, die er mit einem ungeschickten Griff etwas höher zog. Ihren Bund zu ertasten, war ihm schwergefallen, genauso wie es ihm schwerfiel, die Tür zu schließen. Dem Arm folgte das Gewicht des Körpers, träge drückte er sie einfach zu und die andere Hand nutzte die Gelegenheit, um den Steiß zu jucken.

Langsam ging ich weiter, schien selbst noch nicht bemerkt zu werden, obwohl sich Kanda schlürfend in meine Richtung wandte.

Richtig erholt sah er noch nicht aus. Eigentlich wirkte er fast so müde wie zuvor und der Weg musste ein Überlebenswichtiger sein, damit er sich aus dem Bett quälte.

Trübe richteten sich seine Augen wieder auf den Boden, als er sich in Bewegung setzte, mir barfuss entgegen kam und mir genug Gelegenheit bot, den Zufall zu würdigen.

Man hatte es Kanda noch nie angesehen, wenn er gerade erst aufgestanden war. So lange ich denken konnte, hatte er sich immer ordentlich, wach und zugeknöpft präsentiert und umso außergewöhnlicher war jetzt dieses Auftreten.

Zerzaust, zerknittert, schlürfend…

Es kostete mich einiges an Überwindung, die Freude über diese Begegnung nicht nach außen dringen zu lassen. Nicht zu offenbaren, wie anders ich mich plötzlich fühlte, wenn ich auf ihn traf.

Es hatte nichts mehr mit Spannung zu tun… keine finsteren Erwartungen, die ich an seine schmerzhaft direkte Wortwahl stellte.

Ich war völlig gelöst, unerklärlich gut gelaunt und spätestens, als er mich registrierte, spürte ich das Verlangen in mir, ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Einfach mit ihm zu sprechen. Regungen, die ich mir nicht erklären konnte… es auch nicht wollte, da die Ernsthaftigkeit dieser Tatsache fehlte. Es war, wie es war. Ich lernte ihn anders kennen… andere Seiten, verlockende Seiten und fast hatten wir uns erreicht, da hob ich die Hand zu einem knappen Gruß.

Sechzehn Stunden… und das Schlaf-Pensum schien immer noch nicht erreicht.

„Willkommen unter den Lebenden.“

Ich tarnte die Worte mit Beiläufigkeit. Unter jedem erdenklich anderen Umstand hätte ich wohl etwas Derartiges gesagt. Es widersprach nicht unserer Gewohnheit, genauso wenig wie seine Reaktion. Ein zweites Mal blickte er mich nicht an, schlürfend zogen seine Schritte an mir vorbei und das einzige, was mich erreichte, war ein missgelauntes Murren.

Nicht sehr aufschlussreich… aber mir genügte es allemal. So kehrten wir einander den Rücken und während er fast danach aussah, als glaubte er daran, noch immer im Bett zu liegen, kam ich nicht um ein knappes, verschmitztes Grinsen.

Er sah es nicht… mir blieb jede Freiheit und fast zeitgleich verschwanden wir in unterschiedlichen Gängen.

Wohin er wollte, das wusste ich nicht aber ich erreichte mein Ziel nach einem etwas längeren Marsch. Ich war irgendwo in den unteren Etagen gelandet, als ich eine breite Blechtür mit der Schulter aufschob und in einen riesigen, mit Computern überfüllten Saal trat. Überall blinkten Anzeigen, überall bewegten sich die weißen Mäntel zwischen den Maschinen und ich schaute mich kurz um, während ich die letzten Stufen zu meinem Ziel hinter mir ließ.

In dieser Abteilung schaute ich so gut wie nie vorbei und trotzdem kannte ich den einen oder anderen, der hier arbeitet. Man hatte sich irgendwann mal im Speiseraum getroffen, war irgendwie ins Gespräch gekommen… an Tagen, in denen ich auch nach Gesprächen suchte und so für alles offen war. Schon winkte mir einer von ihnen, schon winkte ich zurück und bald hatte ich den auch denjenigen gefunden, an den die Bücher gingen.

So richtig wusste der aber nicht Bescheid. Wie ich sagte, Chaos. Und das nicht nur in der führenden Abteilung der Wissenschaftler. Die Stirn wurde gerunzelt, eine Weile nachgedacht aber die Bücher am Ende einfach angenommen.

Der Auftrag war erfüllt und irgendwie ließ ich mich wieder in ein Gespräch verwickeln. Genau genommen hatte ich es mit dem Essen doch nicht so eilig. Einer der jungen Männer kannte jeden Tag neue Witze und auch, wenn ich nicht über jeden lachen konnte, ich blieb hängen und verbrachte eine Weile zwischen den Monitoren und Anzeigen. Wieder schob ich mich auf einen Tisch, hielt niemanden von der Arbeit ab und wurde doch beiläufig unterhalten. Jeder hatte Zeit, ein paar Worte zu wechseln und wenn die Jungs kurz zu tun hatten, beschäftigte ich mich etwas mit Tim, bis der nächste kam.

Es musste wohl eine Stunde sein, bis ich mich dann doch verabschiedete und mich von dem Grummeln meines Magens zurück in den Speiseraum führen ließ. Die Gordon Bleus hatten sich in Wohlgefallen aufgelöst, der neue Hunger kam wie immer schnell und diesmal fand ich mich völlig ungestört und entspannt über meinem Essen wieder. Ich musste niemandem zuhören, musste nicht reden… ließ es mir einfach schmecken und nahm mir eine Menge Zeit, bevor ich in die Wissenschaftsabteilung und zu meinem fragwürdigen Fleiß zurückkehrte.

Zu tun gab es dort immer noch viel und kaum waren die Nachmittagsstunden angebrochen, leistete mir Lavi Gesellschaft. Seine Anwesenheit war wirklich angenehm, wenn wir beide unsere Sinne auf etwas anderes zu lenken hatten. Es gab keinen Grund für persönliche Fragen und so blieb es eher bei Floskeln und irgendeinem dummen Gerede, mit dem man sich die Zeit vertrieb. Er half auch etwas, räumte Bücher kreuz und quer durch den Saal und nahm sich irgendwann der Liste an, an der ich durch Faulheit gescheitert war.

Ihm war scheinbar langweilig. Er blieb bis zum nächsten Tag und zugegeben, ich fragte mich, was für einen Sinn seine Freizeit hatte, wenn er sie doch nur damit füllte, stöhnend herumzulaufen und Orte zu suchen, an denen man irgendwie anpacken konnte. Mit der Liste ging er aber ziemlich gut um. So gut, dass ich bald wieder auf dem Schreibtisch saß, Tim zwischen den Händen bewegte und ihm bei der Arbeit zusah.

Mit Dokumenten kannte er sich wirklich aus… auch den Überblick fand er weitaus schneller als ich und man kam kaum hinterher, so schnell wie er die Bücher fand, die Listen abhakte und zum nächsten Regal schlenderte. Dass er Hilfe bräuchte, davon sagte er nichts, also tat ich mir keinen Zwang an und unterhielt mich selbst, indem ich das Treiben um mich herum verfolgte.

River war wieder aufgetaucht, war so wach und enthusiastisch, wie man es nur selten erlebte. Seine Entschlossenheit sorgte für eine gewisse Hektik, unter der Johnny stöhnte und Rokujugo ebenso wenig hinterher kam. Die anderen Wissenschaftler stöhnten in dem Papierkrieg und erst, als Linali Kaffee brachte, wurde stöhnend und ächzend eine erleichterte Pause eingelegt.

Sie trieb sogar Komui aus seinem Büro und wie genoss ich die halbe Stunde, in der man einfach nur herumsaß, zwischen all den Kaffeesüchtigen Wissenschaftlern und dem Abteilungsleiter und dem Gerede zuhörte.

Ich mochte diesen Tag. Obwohl er so finster begonnen hatte, wendete sich das Geschehen in den letzten Stunden zu angenehmen Augenblicken. Das Beisammensein… ich wurde nicht genötigt, etwas zu tun oder etwas zu sagen. Es schien in Ordnung, dass ich einfach nur da war aber am Ende flossen die Worte zwischen Linali, Lavi und mir doch in Strömen.

Wir alle wussten, dass diese Tage selten waren. Dass wir sie zu schätzen hatten und wenn ich es vergessen hatte, dann wurde ich doch schnell wieder daran erinnert. Linali würde schon heute Abend abreisen, Miranda schien sich auszuruhen und auch Lavi blieb nicht mehr lange. Die Gesellschaft würde schneller abnehmen, als ich es mir wünschte und das erste Mal seit langem begegnete ich all den Menschen mit einem ehrlichen Lächeln und einem klaren Lachen.

Vergessen waren die Dinge, die mich sonst frustrierten.

Die Freizeit, die ich hinter sowie vor mir hatte.

Meine Verletzung, vergangene Nächte und Geschehnisse…

All das verblasste, während sich die müde Atmosphäre der Wissenschaftsabteilung in eine Heitere verwandelte und ich wirkliches Interesse an den Gesprächen fand. Von Arbeit war zumindest bei Lavi, Linali und mir bald nichts mehr zu sehen. Das überließen wir den gesamten Nachmittag über den anderen und machten uns in den frühen Abendstunden ebenso gemeinsam auf den Weg zum Essen.

Für mich war es fast zu früh aber Linali blieb nur noch eine Stunde und so schloss ich mich den Beiden einfach an. Wir schlenderten gemütlich, noch immer in unsere Gespräche vertieft und saßen wenig später in dem Saal bei unserem Abendbrot. Allmählich wurde es dann auch schweigsamer zwischen uns. Lavi hatte seinen Mund den ganzen Tag über nicht im Zaum halten können. Wenn es möglich war, sich müde zu reden, dann saß das beste Beispiel mir gegenüber und neben Linali. Er rührte in einem Milchreis, während Linali eine Suppe löffelte und auch ich befasste mich mit meinen Tellern, Schälchen und Gläsern. Ich konnte auch ohne Hunger essen, außerdem spürte ich auch eine gewisse Müdigkeit.

Bei guter Laune zu sein, war anstrengender als man dachte. Der Tag war voll von Erlebnissen gewesen, voll von Anstrengungen und so entschied ich mich dazu, nach dem Abendessen einfach schlafen zu gehen. Keine schlechte Strategie, wie mir auffiel, als ich in einem Steak stocherte. Auf diese Art und Weise käme der nächste Tag umso schnell und brachte mich genauso schnell näher zur nächsten Mission. Meine Krankschreibung würde sich bald im Sand verlaufen und als wäre mein Körper ganz meiner Meinung, brach das eine oder andere Gähnen über mich herein. Lavi schloss sich mir an.

„Warum merke ich immer viel zu spät, dass ich hätte schlafen sollen.“ Er rieb sich die Stirn, rieb sich das ganze Gesicht. „Soviel wie heute habe ich noch nie geholfen.“

„Ich fand es schön“, erwiderte Linali behaglich. „Wir haben so selten Zeit, etwas zusammen zu machen. Und wenn es auch nur heißt, den Wissenschaftlern zu helfen. Ich habe diesen Tag genossen.“

„Bist du nicht zu müde, um jetzt gleich auf Mission zu gehen?“ Lavi machte sich wie immer Sorgen und ich schob mich unauffällig in die Position des schweigsamen Beobachters. Ich hatte meinen Mund voll… andauernd, also könnte ich nicht einmal etwas sagen, hätte ich es gewollt.

Aber hier und jetzt gab es keinen Grund. Die beiden zusammen waren Unterhaltung genug.

Lavis peinliches Gluckenverhalten und Linalis beinahe ewiger Sonnenschein.

Lächelnd erwiderte Linalis den Blick des Rothaarigen.

„Ich habe schon darauf geachtet, dass ich mich nicht übernehme. Außerdem steht mir eine so lange Reise bevor, dass ich auch noch genug Zeit zum schlafen hätte.“

„Na, dann.“ Seufzend begann Lavi wieder in seinem Milchreis zu rühren. „Dann pass auf dich auf und komm heil zurück.“

„Mach dir da mal keine Sorgen.“

„Das sagst du immer so leicht. Yu kriegt mitunter die härtesten Missionen. Eine von ihm zu übernehmen, ist schon keine einfache Sache.“

„Es ist nur ein Erkundungsgang“, bemerkte Linali Stirnrunzelnd und als hätte ich es geahnt, gestikulierte Lavi kritisch mit seinem Löffel.

„Das sind die Schlimmsten von allen“, meinte er dazu und ich kam nur schwer um ein Augenrollen. „Was bei diesen ‚Erkundungsgängen’ manchmal herauskommt, ist auch nicht ohne.“

Welche Mission war das schon…?

Unter einem stillen Kopfschütteln griff ich nach meinem Saft.

Missionen nach Schwierigkeitsgrad einzuordnen, schaffte auch nur er. Als könne man ahnen, was auf einen zukam. Wir allen waren schon mehr als einmal überrascht worden.

In jeder Hinsicht.

„Warum schüttelst du den Kopf?“

„Hm?“ Abrupt blickte ich auf und traf auf Linalis fragenden Blick. Genauso fragend erwiderte ich ihn, während ich mich schon selbst ohrfeigen wollte.

Ich musste mich nicht wundern, wenn mir dauernd unangenehme Fragen gestellt wurden. Dieses Kopfschütteln hätte nicht sein müssen und so kreiste ich mit den Augen und grübelte kurz.

Mir kam etwas in den Sinn und sofort sprach ich es aus.

„Ich frage mich nur, wie lange Kanda noch schlafen will.“

Sofort grinste Lavi. Linali lächelte und auch ich freute mich. Die Aufmerksamkeit wurde umgelenkt und fast könnte ich ungestört weiter essen, während sich die beiden auf diesen Punkt stürzten.

„Es stimmt schon“, meinte Linali und bewegte den Löffel in der klaren Brühe. „Jetzt sind es fast vierundzwanzig Stunden.“

„Wird wohl viel Kraft aufzutanken haben, um liebreizend wie immer zu sein.“ Mit verschmitzt verengten Augen sah Lavi mich an. „Ehrlich, das muss doch anstrengend sein.“

Dazu brauchte ich nur die Schultern zu zucken und sofort wandten sich die anderen beiden aneinander.

„Ich habe gehört, das soll seine vierte Mission hintereinander gewesen sein“, murmelte Lavi und ließ den Brei vom Löffel tropfen. „Komui ist wirklich gnadenlos.“

„Wenn Kanda müde ist, würde er es doch sagen“, erwiderte Linali sofort, stets und sofort dazu bereit, Komui zu verteidigen. „Mein Bruder würde ihn nie losschicken, wenn er erschöpft wäre.“

Genauso wenig wie Kanda diese Erschöpfung zugeben würde oder noch weniger?

Nur kurz blickte ich auf, bevor ich eine Schale mit Apfelmus zu mir zog und mich beschäftigt gab.

„Ach, Allen…“, schon wandte sich Lavi wieder an mich, „… wie war es eigentlich in Japan? Du warst doch auch mit Crowley dort, nicht?“

Ich nickte nur.

Ja, Japan…

Wie war es dort gewesen.

Wenn ich meine Gedanken zu dieser vergangenen Mission in Worte fassen würde, wäre ich wohl dazu imstande, stundenlang zu philosophieren.

Es waren angenehme Erinnerungen…

„Es ging schnell“, sagte ich dann nur. „Es wurde nicht wirklich gefährlich.“

„Ihr sollt das Innocence aus einem Grab geholt haben.“ Dazu schnitt Lavi eine Grimasse und Stirnrunzelnd hielt ich inne.

Woher wusste er das jetzt schon wieder?

„Buäh.“ Der Rotschopf schüttelte sich. „Auf solche Missionen kann ich wirklich verzichten.“

Linali gab ein leises Seufzen dazu.

„Ich hätte dabei kein gutes Gefühl.“

„Ich auch nicht. Ist doch eklig.“

„Ich meinte eher die Totenruhe“, empörte sich Linali aber Lavi zuckte nur mit den Schultern. „Außerdem werden die Toten in Japan eingeäschert.“

„Ich weiß.“ Somit versenkte Lavi den Löffel im Mund. „Trotzdem.“

„Mm.“ Seufzend begann auch Linali wieder zu löffeln. Die darauf folgende Stille war kurz. Lavi schien irgendwie der Appetit vergangen zu sein. Seine Nase rümpfte sich, er grübelte offensichtlich und kurz darauf grinste er schon wieder.

„Yu ist bestimmt der Richtige für diese bösen Grab-aufbrech-Sachen.“ Er nahm mich verschmitzt in Augenschein. „Er ist so herrlich gnadenlos.“

Ich hob die Brauen, ließ die Gabel sinken. Gerade war sie noch auf dem Weg zum Mund gewesen.

„So traurig es auch ist“, fügte Linali hinzu. „Durch so etwas darf man sich nun einmal nicht aufhalten lassen.“

„Als ob Yu so etwas aufhalten würde.“

Oh…

Ein leichtes Schmunzeln umspielte meine Mundwinkel, vertiefte sich… bis meine grinsenden Lippen nach der Gabel schnappten.

Es tat so gut…

„Was grinst du?“, wollte Lavi sofort und leicht beirrt wissen und kurz erwiderte ich den fragenden Blick, tat es so überlegen, ohne, dass er es wusste.

Doch dieses süße Geheimnis gehörte mir… und nur mir.

Unter keinen Umständen würde ich es über die Lippen bringen.

Es war viel zu heilig, um es in Worte zu fassen.

„Okinawa war schön“, erwiderte ich so nur und schmunzelte weiter, während ich an so ganz andere Dinge dachte. „Und japanisches Essen ist auch ziemlich gut.“

„Japanische Frauen sind auch toll.“ Lavis Augen wurden groß und ohne, dass Linali irgendwie darauf reagiert hatte, fuhr er plötzlich zu ihr herum. „Ich meine… ich meine damit nicht, dass andere Frauen nicht… toll… sind!“, verbesserte er sich sofort und während ich die dunkle Wolke dieser Peinlichkeit deutlich roch, legte Linali nur den Kopf schief.

„Was? Ich habe gerade nicht zugehört. Tut mir Leid.“

„Ach.“ Unter einem nervösen Lachen kratzte sich Lavi im Schopf. „Schon gut.“

So wurde dieses Gespräch fleißig weitergeführt, bis der Moment des Abschiedes kam. Seufzend erhob sich Linali, stieg über die Bank und nahm ihre leere Suppenschale an sich. Lächelnd blickte sie in die Runde und ich kauend auf.

„Ich mache mich auf den Weg“, verkündete sie und grinsend winkte Lavi.

„Du schaffst das!“

„Ich tue mein Bestes.“ Sie griff auch nach dem Besteck. „Wir sehen uns in ein paar Tagen.“

„Alles klar!“ Lavis Daumen reckte sich und auch ich schenkte ihr ein Lächeln.

„Viel Glück.“

„Danke. Macht’s gut.“ Somit machte sie sich auf den Weg und während ich weiteraß, blickte Lavi ihr nach.

„Russland“, murrte er, als er sich mir wieder zuwandte. „Dort muss es doch schweinekalt sein.“

„Genauso kalt wie in den meisten Gebieten dieser Erde“, murmelte ich und rührte in einem Pudding. „Die Winteruniform ist langsam dringend nötig.“

„Da sagst du was.“ Der Löffel kratzte erneut über den Boden der Schale. Der Milchreis war alle und seufzend griff Lavi letztendlich nach seinem Glas. „Sag mal, ist meine Uniform immer die einzige, bei der die Schulternähte kratzen?“

„Scheint so.“

„Ach man.“ Kopfschüttelnd leerte er das Glas, atmete tief durch und machte sich ebenfalls daran, auf die Beine zu kommen. „Na dann, Allen. Ich werde mir noch ein paar Stunden Schlaf ergattern. Habe einiges nachzuholen.“

„Tu das.“

„Man sieht sich morgen.“

„Mm.“ In das Essen vertieft, winkte ich ihm mit der Gabel und lange hörte ich noch sein Seufzen, bevor er den Saal verließ und mir und dem Rest meines Essens noch ein paar ruhige Momente zukamen. Es war auch nicht schlecht, alleine hier zu sitzen. Manchmal… gerade wäre mir schon noch nach Gesprächen zu Mute aber da ich das Bett allmählich genauso nötig hatte, war es in Ordnung. Ich leerte die letzten Schüsseln, befreite den letzten Teller von seiner Last und machte mich dann daran, mein Geschirr zurückzubringen.

Konzentriert balancierte ich die leere Vielzahl an Tellern, Tassen und Schüsseln aus, bevor ich die beiden Tabletts auf die Theke schob und mich unter einem leisen Seufzen von ihnen trennte.

Mehr musste ich von diesem Tag eigentlich nicht mehr erwarten und als zwei Hilfsköche die Küche verließen und die Tabletts dorthin zurück entführten, fiel mir auf, wie spät es schon war. Ich starrte auf diese kleine Wanduhr und fragte mich, wo dieser Tag geblieben war. Die Stunden waren inmitten all des zurückhaltenden Fleißes verloren gegangen und so entschied ich mich, hier und jetzt den letzten Weg des Tages zu gehen und ihn wirklich in meinem Bett enden zu lassen. Flink rutschten meine Hände in die Hosentaschen, bequem wandte ich mich ab und kam kaum zum zweiten Schritt, als sich hinter mir eine Stimme erhob.

„Allen… Schätzchen, warte kurz!“ Es war Jerry, der aus der Küche gesprungen kam und sofort drehte ich mich wieder um.

Was immer er auf dem Herzen hatte… es würde diesem Abend nicht schaden. Auch, wenn er nur auf einen kleinen, belanglosen Plausch aus wäre… aber es schien ernster zu sein. Er winkte mich zurück zur Theke und kaum war ich an diese herangetreten, stemmte auch er sich auf sie, musterte mich mit flehenden Augen.

„Allen“, seufzte er wieder. „Du würdest mir doch einen Gefallen tun, oder?“

Diese Worte kamen unerwartet. Anderen Gefallen zu tun, war bisher immer an ihm hängen geblieben. Mir tat er jedenfalls schon mit seinem Essen einen Gefallen nach dem anderen und ich schätzte, es wäre in Ordnung, entgegenkommend zu sein. Also nickte ich einfach nur und mit einem Anflug von Heimlichtuerei winkte er mich noch näher. Das gefiel mir und schon steckten wir die Köpfe zusammen.

„Es ist so“, flüsterte er hinter vorgehaltener Hand, als handle es sich um ein Staatsgeheimnis, „… in den Mittagsstunden war Kanda hier und wollte essen.“

„Mm-mm.“ Langsam nickte ich.

„Aber kaum saß er mit seinen Nudeln am Tisch, wäre er fast wieder eingeschlafen.“

Oh…

Ich hob die Brauen, lugte zu Jerry und sah ihn verschmitzt grinsen.

Wie traurig.

Hätte ich mich nicht bei den Mechanikern verquatscht, hätte ich es vielleicht gesehen. Vermutlich war es ein unbekannter Anblick gewesen, den ich in die fast leere und neue Schublade hätte stecken können. In das Fach, in dem alles landete, was ich seit kurzem mit Kanda erlebte. Mir war nach einem Schmunzeln, ließ es unter Jerrys aufmerksamer Beobachtung aber bleiben. Schon fuhr dieser fort.

„Ich habe ihn schnurstracks zurück ins Bett geschickt und ihm versprochen, ihm im Lauf des Tages eine Kleinigkeit aufs Zimmer zu bringen.“

Das war sehr freundlich und aufmerksam… aber was ich damit zu tun hatte, konnte ich mir nicht vorstellen. Aber es käme noch… sicherlich. Also hörte ich einfach weiter zu und nickte.

„Das Problem ist, dass ich soviel zu tun habe.“ Plötzlich ließ sich Jerry etwas zurückrutschen, begann zu seufzen und zu jammern. „In der Küche ist die Hölle los. Da ist man einmal für wenige Stunden weg und schon geht alles drunter und drüber!“

Das hatte ich mitbekommen.

Und…?

Stirnrunzelnd stemmte ich mich auf die Ellbogen und verfolgte, wie Jerry müde die Hände über dem Kopf zusammenschlug.

„Also habe ich leider keine Zeit, Kanda einen Besuch abzustatten und stell dir vor“, hektisch rückte er an seiner Brille, neigte sich wieder zu mir, „… irgendwie hat auch kein Finder Zeit. Alle, die ich gefragt habe. Was ist nur los mit dieser Welt?“

Tatsache?

Ich begegnete ihm mit einem knappen Grinsen.

Ja, wer sollte das verstehen?

Dass kein Finder Mut… nein… Zeit hatte, Kanda bei seinem Schlaf zu stören.

Jerry wunderte sich doch nicht wirklich darüber, oder?

Nein.

Kurz darauf grinste er mit, atmete tief durch und stemmte die Hände in die Hüften.

„Wie sieht es aus? Traust du dich in die Höhle des Löwen?“

Aber natürlich…

Seit geraumer Zeit musste man mich nicht mehr zu Kontakt mit Kanda zwingen. Es hatte sich zu einem Ding entwickelt, das ich jederzeit freiwillig über mich ergehen ließ. Stets auf der Suche nach Gelegenheiten, den rüden Charakter des Japaners weiterhin zu erforschen.

Aber ich hatte vorsichtig zu sein.

Ich täuschte ein angestrengtes Grübeln vor, bettete den Zeigefinger am Kinn und rollte mit den Augen. Gerade von mir erwartete man wohl nicht, dass ich sofort zustimmte. Ich hatte mir Zeit zu lassen und während ich mir den Moment, in welchem ich vor jener Tür stand, bereits ausmalte, verfolgte Jerry jede Regung meines Gesichtes angespannt.

Und ich grübelte weiter, stieß unterdessen mal ein leises Seufzen aus, um die Sache glaubwürdiger zu gestalten.

Ich hatte noch nie an jener Tür geklopft… noch nie vor ihr gestanden.

Und ich mochte diese Zufälle, die mich immer und immer wieder zu ihm führten.

„Mm.“ Ich verzog die Brauen, rieb mein Kinn und erwiderte Jerrys Blick lauernd. „Wenn ich morgen früh Schoko-Donuts kriege…?“

„Alles, was du willst, Schätzchen!“ Sofort hörte Jerry mein Einverständnis heraus. Würde uns nicht der Tresen trennen, hätte ich wohl sofort in einer Umarmung gesteckt aber so erhielt ich nur einen liebevollen Klaps gegen die Schulter. „So viele du magst!“

„Krieg ich zwanzig?“

„Du kriegst auch dreißig!“

„Wer soll denn soviel essen?“ Kritisch stieß ich mich an dem Tresen ab und rollte mit den Schultern. „Also, was soll ich ihm bringen?“

„Einen Moment!“ Schon stürzte Jerry in die Küche zurück. „Ich werde es sofort fertig machen!“

„Lass dir Zeit.“ Behaglich verschränkte ich die Arme vor dem Bauch und ergab mich einem Gähnen.

Ich konnte warten… die Donuts waren mir sicher. Genau wie die Tatsache, dass ich Kanda heute noch einmal zu Gesicht bekommen würde.

Irgendwie fehlte er schon.

Der Tag war ohne seine Anwesenheit, seine Blicke und seine Worte einfach anders gewesen. Es wurde Zeit, dass er endlich aus den Federn kam.
 

~*tbc*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2010-07-28T13:00:18+00:00 28.07.2010 15:00
Süüüüüüüß! >3
Von: abgemeldet
2010-07-04T11:43:59+00:00 04.07.2010 13:43
Ich freue mich für Allen. Ich hab ihm so gewünscht, dass die Zeiten besser werden. Und das Interesse an Kanda ist wohl auch langsam geweckt. >3
Ich habe mich ohnehin doch sehr gefragt wie du das auf die Beine stellen willst.
Von: abgemeldet
2010-07-03T11:33:12+00:00 03.07.2010 13:33
und ich dachte schon die deprizeit hört gar net mehr auf. Wasn Glück. ôo echt erfrischend.
Von: abgemeldet
2010-07-02T08:41:22+00:00 02.07.2010 10:41
einfach ZU süß wie allen sich nach Kanda sehnt. *3* schnuckischnucki


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