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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil

Das Tagebuch eines Gesuchten
von

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Der Brief (3)

Werter John Anderson O’Hagan, Beauftragter der heiligen Mutter Kirche und inquisitorischer Gouverneur der Bereiche Esas, St. Katherine und Otori,
 

nun sind wir bereits am Ende des Anfangs, gleichwohl am eigentlichen Beginn angelangt. Ich bin sicher, meine kleine Geschichte geht weit über Eure Fantasie hinaus. Mehr noch:

Ich glaube sogar, Ihr hättet Euch niemals zu träumen gewagt, aus welch erbärmlichen Verhältnissen ich kam, ehe ich Euch Euer kostbares Leben zur Hölle gemacht habe.

Stimmt es Euch zufrieden, zurückzublicken in meine Euch bisher völlig unbekannte Vergangenheit und Euch zu suhlen in meinen Erlebnissen, meinen Qualen, meinem Schmerz? Ich sehe Euch vor mir, in Eurem Morgenmantel, mit dem Manuskript in der Hand und Eurem hämischsten Grinsen. Oh ja, Sullivan O’Neil, der Bastard des Teufels, eingesperrt und gedemütigt an der untersten Stelle! Im Tollzimmer, zwischen Exkrementen und Irren! Oh ja, Sullivan O’Neil, diese erbärmliche, gottlose Kreatur… Endlich dort, wo sie hin gehört!

Aber darf ich Euch daran erinnern, dass ich dort nicht war, als wir auseinander gingen, mein Freund? Oh nein, ich stand oben. Weit oben… Nicht so weit oben wie Ihr vielleicht, aber dennoch auch nicht gerade unten. Man könnte behaupten, ich habe viel erreicht in meinem Leben. Vielleicht sogar mehr als Ihr?

(Ich hoffe, Ihr empfindet diesen Satz nicht als tiefe, persönliche Beleidigung. Es ist eher als unwahrscheinlicher Spott gemeint.)

Ich lache Euch aus, mein Freund. Vor der ganzen Welt, vor Gott, vor dem gesamten Sein. Ich lache voller Hohn über Euch, der denkt, ich sei ein Wesen der Gosse, Abschaum und Dreck. Ist es nicht so, dass ich Euch immer wieder einen Kinnhaken verpasste in unserem unerbittlichen Kampf?

Ist es nicht so, dass ich Euch mehr Streiche spielte, als den Adligen in meinen Kindertagen?

Ist es nicht so, dass Ihr ergraut seid vor Frust und Zorn, weil ich einfach nicht zu fassen war?

Oh ja, ich habe wenigstens etwas für mein Ansehen getan. Und Ihr? Was habt ihr dafür getan? Ich gehe besser nicht näher darauf ein, sonst muss ich so sehr lachen, dass ich noch das Tintenfass umwerfe!

Ich habe Euch gern diesen Teil meines Lebens beschrieben, in allen Einzelteilen. Ganz recht, ich schreibe nunmehr für Euch, als für den ehrwürdigen Richter. Ich möchte, dass Ihr Euch in meinem Leiden aalt. Umso schrecklicher werden jene Tage, an denen ich auf Eurer Nase herum tanzte, ehrenwerter O’Hagan. Ihr seid ein Clown, der lacht, wenn andere hinfallen und sich den Kopf stoßen. Aber Fakt ist doch:

Ihr seid der Clown. Also werdet Ihr viel, viel öfter fallen, damit wir, die Zuschauer Eurer grandiosen Darbietung, lachen können!

Im Übrigen:

Es ehrt mich zutiefst, Gottes schützende Hand über mich zu wissen, mein Freund. Ihr habt Euch nicht verlesen, Gouverneur. Ein Priester war bei mir und nahm mir die Beichte ab und nicht nur das. Wir beteten gemeinsam zum Allmächtigen um meine Seele und mein Seelenheil. Meine Verurteilung wurde ein weiteres Mal hinaus gezogen. Amüsant, nicht wahr?

Ihr hättet den Kuttenträger sehen sollen. Totenbleich war er, als er erfuhr, wer sein kleines Lämmchen war:

Sullivan O’Neil, der größte Verbrecher und Ketzer aller Zeiten.

(Ein sehr außergewöhnlicher Titel, findet Ihr nicht?)

Ich glaube, ich habe noch nie ein Gebet mit so vielen Verwünschungen gebetet. Er merkte davon nichts und wird Euch wohl auch nichts von meiner Beichte sagen, aber seid nicht traurig: Ich dachte bei jedem meiner Flüche nur an Euch, mein Freund.

Erneut musste ich mit tiefer Niedergeschlagenheit feststellen, dass ein Schriftstück Eurerseits ausblieb. Ich bekam keine Antwort auf meine Briefe und auch keinen Kommentar zu meinen bisherigen Schriftstücken. Aus diesem Grund werde ich meine Schreiben etwas länger und ausschweifender verfassen. Ich schreibe für uns beide, sozusagen. Man muss sich immerhin austauschen. Ihr glaubt nicht, wie viel Leben in solch einem Kerker herrscht!

Vielleicht bemerkt Ihr es an meiner Art mich auszudrücken? Ich verfüge heute über außerordentlich gute Laune. Ich bin mir sicher, es ist nicht notwendig zu erwähnen, wieso ich so guter Dinge bin, aber dennoch, um Missverständnissen auszuweichen, werde ich ein wenig näher darauf eingehen. Euch zuliebe:

Mit unwahrscheinlicher Freude musste ich heute Morgen erfahren, dass Geschichten über mich die Runde machen und zwar nicht nur in unserer geliebten Stadt Annonce, oh nein, im ganzen, gesegneten Land St. Katherine! „Der Ketzer, Sullivan“, nennen sie mich „der O’Hagan zur Weißglut trieb.“ Ich habe eine wage Vermutung, fast eine Befürchtung, dass meine Manuskripte, die ich hier mir Herzblut verfasste, irgendwie an die Öffentlichkeit geraten sind. Tatsächlich soll es bereits drei Ausdrucke geben, die im belesenen Volk umher gereicht werden. Ist das nicht wunderbar? Ob es wohl möglich wäre, mir eine solche, gebundene Ausgabe zu besorgen?

Ich denke, während meiner Freizeit werde ich an einem Theaterstück arbeiten. Man soll den Glanz schließlich nutzen – so sagt man – um den Ruhm weiter auszubauen. Ich bin mir sicher, es gibt viele Menschen, die sich über ein Theaterstück von mir freuen würden. Ich dachte an eine Geschichte über zwei Männer – Ihr und Ich – und wie diese zwei sich jagen. Natürlich gewinne in jedem Fall ich – wir wollen schließlich realistisch bleiben.

Des Weiteren verfolge ich mit Freude Euer Vorgehen in der von Euch angestrebten Hauptstadt Chichao in Otori und auch Eure Maßnahmen, die dort lebenden Menschen zur Gottesfürchtigkeit zu ermahnen. Wie ich hörte habt Ihr mit Eurem kleinen Kreuzzug kläglich versagt? Das ist bedauerlich. Ich möchte Euch hiermit meine Überraschung kundtun, dass Ihr nicht bereits vorher wusstet, dass Ihr in einer solchen Stadt keine Chancen habt! Wie wollt Ihr eine Stadt zur Frömmigkeit bewegen, wenn sie die einzige, kleine Kapelle eigenhändig eingerissen haben? Ich bin mir nicht sicher, ob Euch zu vollem Ausmaß bewusst ist, welche verheerende Folgen Euer Verhalten in fremden Städten für Euer Ansehen hat. Ich mache keinen Spaß, wenn ich offenkundig behaupte, dass sogar die hier stationierten Wachen über Euch lachen. Ich weiß, das ist nichts Ungewöhnliches. Aber ist es nicht bedenklich, dass sie es nun sogar schon laut tun? Mein lieber Freund, ich bitte Euch! Ein Dreitagebart bei einer öffentlichen Ermahnung? Ist das Euer Ernst?

Ich musste mich schütteln, als ich das hörte. Schütteln vor Lachen! Und ist es wahr, dass Ihr die ganze Zeit über Taubenscheiße auf Eurem Jackett hattet, sogar bei der Begrüßungszeremonie für den Kaiser? Daran merkt man, was für einen außerordentlich guten Einfluss ich auf Euch hatte, wenn ich das mal so anmerken darf. Zu unserer Zeit habt Ihr Euch wenigstens noch Mühe gegeben mit Eurem Aufzug!

Als weiteres und letztes möchte ich anmerken, dass ich den Kerker als immer angenehmer empfinde. Meine peinliche Befragung ist vorüber und seit geraumer Zeit sind fast alle meine Wunden verheilt. Ich gewöhne mich allmählich an den hier herrschenden Alltag. Essen, Trinken, Besuch… Ich fürchte, der Priester hat Gefallen an mir gefunden. Er will nun jede Woche vorbei kommen, um meiner Seele Unterstützung zu bieten. Liebenswürdig, nicht wahr? Ich freue mich über seine Gesellschaft und seine recht amüsierenden Neuigkeiten über das Weltliche dort draußen. Vielleicht solltet Ihr ihn auch einmal aufsuchen. Ihr habt viel gemeinsam mit ihm. Der Priester ist dick und hasst Tauben. Empfindet Ihr dies nicht auch als ideale Basis für eine weitgehende Freundschaft?
 

Ich verbleibe hiermit,
 

Oliver Sullivan O’Neil.
 

Postscriptum:
 

Ich hatte gestern einen Traum, werter Gouverneur. Und er handelte von Euch. Aus diesem Grund möchte ich ihn Euch an diesem Punkt näher beschreiben. Ich denke, er kam mir in den Sinn, da ich mein komplettes Leben wieder aufrolle und durchgehe. Da beginnt man schon mal vor dem Schlafen gehen über das eine oder das andere nachzudenken. Oft fürchte ich, ich sei ein alter Mann geworden, aber dann kommt mir in Erinnerung, wie alt Ihr teilweise ausgesehen habt und es ging mir stets sofort wieder besser.

Der Traum spielte in einem Wald, Ihr habt mich gejagt – wie so oft. Erinnert Ihr Euch daran?

Diese Szene ist wirklich passiert auch wenn ich mich nur schemenhaft zurückerinnern kann.

Wahrscheinlich war ich zu aufgeregt und alles ging viel zu schnell.

Ich träume also von einem Erlebnis unserer gemeinsamen Vergangenheit… Jedoch anders, passt auf:

Ich stand mit dem Rücken an einen der grün schimmernden Bäume gelehnt, es regnete, alles war nass und es roch nach Moos. Irgendwo wart Ihr, weiß der Teufel, wo genau. Es ging um Leben und Tod. Dann hörte ich ein Geräusch. Ein Knacken, unmittelbar neben mir. Sofort wusste ich, wer gleich aus dem Gebüsch springen sollte, um mich zu packen, also nahm ich Reißaus und rannte um mein Leben.

Als ich mich umdrehte sah ich Euch. Ich drehte mich nicht lange herum, nur gut eine Sekunde, dann rannte ich weiter. Aber innerhalb dieser Sekunde erkannte ich meinen Verfolger.

Ihr ranntet mir nach, hechtetet über die Bäume und durch das Geäst, wir rannten durch Gestrüpp und Laub und das alles in einem rosa Ballkleid.

Werter John Anderson O’Hagan…
 

… Zum Teufel noch mal, habt Ihr mir etwas zu beichten?



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