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Und ich wart` nicht...

von

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Teil 6

UND ICH WART` NICHT…
 

Teil 6
 

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Ich riss die Augen auf und war sofort wach. Mit einem Ruck saß ich aufrecht im Bett. Ich war nassgeschwitzt, meine Haare klebten an der feuchten Haut meines Nackens. Und ich zitterte am ganzen Körper.
 

Nur ein Traum, rief ich mir in Gedanken, als ich versuchte, mich zu beruhigen. Ich zwang mich dazu, gleichmäßig ein- und auszuatmen, aus Angst, zu hyperventilieren. Nichts als ein harmloser Traum.
 

Oder?
 

Die Vergangenheit, vor der ich versucht hatte zu fliehen, hatte mich völlig unerwartet wieder eingeholt. Hier, so weit fort von meiner Heimat. Heraufbeschworen durch die Ereignisse des letzten Abends? Der unerwarteten Begegnung im Badehaus? Oder war die Verbindung schon viel früher dagewesen? Hatte sich langsam in mein Unterbewusstsein geschlichen, ohne dass ich etwas davon mitbekam.
 

Ich hatte nie bemerkt, welch eine Ähnlichkeit Tysha mit Orochimaru besaß. Nicht bewusst. Doch jetzt stand sie mir klar vor Augen.
 

Die Bettseite neben mir war kalt und verlassen, und ein flüchtiger Blick durch das Zimmer zeigte mir, dass Tysha bereits fort war. Ich war froh darüber. Ihre Anwesenheit hätte den Traum nur noch realer erscheinen lassen. Vielleicht konnte ich einfach so tun, als wäre überhaupt nichts geschehen. Vielleicht konnte ich diesen Tag einfach genauso beginnen, wie den letzten. Und den vorletzten. Und all die unbeschwerten Tage, die ich zuvor in dieser Stadt verbracht hatte.
 

Meine Muskeln protestierten beim Aufstehen. Mein ganzer Körper tat weh, und mein Kopf dröhnte, als hätte ich die Nacht alleine mit ein paar Flaschen Sake an der Theke verbracht. Das wäre eine Alternative gewesen, von der ich mir wünschte, ich hätte sie in Betracht gezogen.
 

Ich wusste nicht, woher die Aufregung in meinem Körper kam. Die Verstörtheit. Die Alarmbereitschaft. Das Zimmer wurde mir plötzlich zu eng. Die Wände schienen näher und näher zu kommen, bis sie mich erdrückten. Ich taumelte zum Fenster und riss es auf, wie ein Ertrinkender schnappte ich nach Luft, und sah weder den Himmel noch den Park noch die Straße unter mir.
 

Ein Traum. Nur ein Traum. Nichts als der Schatten einer längst vergangen Zeit. Nur ein…
 

Ich drehte mich um, wie in Trance. Ich richtete das Bett und zog mir frische Kleidung an und packte meine Sachen, und ehe ich mich versah, hatte ich das Zimmer hinter mir gelassen und lief den Gang hinunter, und die Treppe, hinein in den Schankraum auf der Suche nach dem Wirt. Er putzte gerade die Tische, und er schien ehrliches Bedauern zu empfinden, als ich ihm den Zimmerschlüssel in die Hand drückte und verkündete, dass ich die Stadt noch heute verlassen würde. Und er hatte allen Grund dazu- Ich trank oft und viel. Ich gab dem Wirt ein ordentliches Trinkgeld zusammen mit der Miete der letzten Wochen, und bedankte mich für die angenehme Gastfreundschaft. Er versicherte mir, ich könne jederzeit wiederkommen, und ich tat seine Worte mit einem höflichen Kopfnicken ab.
 

Ich wusste insgeheim, dass ich nie wieder zurück kehren würde.
 

Ich trat hinaus auf die sonnenbeflutete Straße, und schloss für einen Moment die Augen. Mein Kopf schmerzte noch immer, doch die frische Luft tat mir gut. Eine leichte Brise kühlte meine Haut. Ich war noch immer geschwitzt, und wünschte mir fast, ich hätte vor meinem eiligen Aufbruch daran gedacht, ein Bad zu nehmen. Doch mein Weg würde mich an vielen Flüssen und Seen vorbei führen, und vielleicht würde es auch das ein oder andere Mal regnen, wenn das Glück mir wohl gesonnen war.
 

Die Straße lockte mich, lud mich ein auf ihren Pfaden zu wandeln, so wie früher. Und ich folgte ihrem Ruf. Ich setzte einen Fuß vor den anderen, machte einen langsamen Schritt nach vorne. Zögerlich. Probeweise. Meine Muskeln schmerzten noch immer, doch der Drang, der Straße zu folgen, war wie ein Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte. Ich ging einen Schritt. Dann noch einen. Dann folgte der eine auf den anderen und ich fiel in meinen altvertrauten Rhythmus ein…
 

„Jiraiya!“ rief eine Stimme, und ich drehte mich um. Dort stand Tysha, in ihrem weißen Kleid mit den gewebten Kirschblüten, ihr langes, schwarzes Haar wehte im Wind. Ich wollte sie jetzt nicht sehen. Ich wollte sie niemals wieder sehen. Nicht jetzt, da die Ähnlichkeit so offensichtlich war. Ihr bloßer Anblick wurde mir zur Qual.
 

„Jiraiya, was machst du?!“ Sie lief auf mich zu, und ich verharrte bewegungslos, bis sie mich erreicht hatte. Ich konnte nichts anderes tun, als sie anzustarren.
 

„Wolltest du einfach so abhauen, ohne dich zu verabschieden?!“ Ihre Stimme klang vorwurfsvoll, und sie stemmte die Hände in ihre zierlichen Hüften. In ihren Augen spiegelten sich die verschiedensten Emotionen. Der Vorwurf überschattete alle anderen.
 

„Ich muss weg.“ sagte ich, und meine Stimme war mir selbst fremd. „Es tut mir leid.“ Ich wandte mich von ihr ab, um meinen Weg fortzusetzen, und ich hoffte insgeheim, dass Tysha meine Abfuhr hinnehmen oder zumindest beleidigt fort gehen würde. Stattdessen folgte sie mir.
 

„Sag mir, wohin du gehst!“ verlangte sie zu wissen, und eine ungewohnte Härte lag in ihrer sonst so weichen Stimme. „Soviel bist du mir schuldig!“
 

Ich schüttelte den Kopf, und beschleunigte meinen Schritt. Sie hielt locker mit. „Das kann ich dir nicht sagen.“ In Wahrheit wusste ich ja selbst nicht, wohin ich mich als Nächstes wenden sollte. Kyoto zu verlassen, war das Einzige, das ich mir im Moment zum Ziel gemacht hatte.
 

„Du gehst zu Orochimaru, habe ich recht?!“ rief Tysha in anklagendem Tonfall. Und ich blieb wie angewurzelt stehen.
 

„Orochimaru?“ brachte ich hervor. Meine Stimme klang rau und brüchig. Tausend Fragen auf einmal schwirrten mir durch den Kopf.
 

„Du gehst zu Orochimaru. Habe ich recht?!!“ Ihre Stimme klang beinahe hysterisch, als sie die Worte wiederholte. Ich blickte ihr ins Gesicht, und die stumme Anklage in ihren Augen ließ mich zurück schrecken.
 

„…Woher weißt du von Orochimaru?“ fragte ich, und fürchtete die Antwort. Hatte sie die ganze Zeit über gewusst, wer ich war? Hatte sie mich benutzt um insgeheim an Informationen zu gelangen? Steckte sie gar mit Orochimaru unter einer Decke? Die Antwort war so simpel wie sie beschämend war.
 

„Du hast diesen Namen gerufen.“ presste Tysha hervor. „Gestern Nacht. Als du gekommen bist.“ Wut trat in ihre Augen, löste die stille Anklage ab. „Ich dachte, es war ein Versehen. Vielleicht. Ich habe das Zimmer verlassen und hier draußen auf dich gewartet. Ein Glück, dass ich es getan habe! Machst du das immer so? Die Frauen verführen und ficken, und danach einfach abhauen als wäre nichts gewesen?! Wer IST Orochimaru?! Irgendeine alte Liebe, bei der du keine Chance mehr hattest?! Versuchst du, deine traurigen Erinnerungen mit Sex zu kompensieren?!“
 

Tysha war die Zornesröte ins Gesicht gestiegen. Sie schien tatsächlich an das zu glauben, was sie da von sich gab. Und das Schlimme war, dass sie recht hatte. Jedes Wort war ein Treffer. Ich hätte sie gerne geschlagen, in diesem Moment. Ihren Kopf mit meiner Handfläche zur Seite gehauen, sodass sie zurück taumelt und zu Boden fällt und für die Wahrheit büßt, mit der sie mich so gnadenlos und unwissend konfrontiert hatte.
 

Dieses Verlangen verflog so schnell wie es gekommen war, doch der kurze Moment war genug gewesen. Ich hätte beinahe die Beherrschung über mich verloren, und das durfte auf keinen Fall erneut geschehen. Ich musste weg. So schnell es ging. Und weit, weit fort.
 

Diesmal lief Tysha mir nicht hinterher. Ich ließ sie hinter mir zurück, entfernte mich Schritt für Schritt für Schritt von ihr, und alles, was ich spürte, war ihr anklagender Blick, der sich in meinen Rücken bohrte. >Du warst es nicht wert, Jiraiya<, hörte ich eine Stimme in meinem Kopf. Es war ihre Stimme, vermischt mit den Stimmen aller anderen Frauen, mit denen ich jemals ein Bett geteilt hatte. >Du bist nichts als ein erbärmlicher Taugenichts, der sein Leben nicht in den Griff bekommt. Jiraiya.<
 

Ich beschleunigte meinen Schritt unwillkürlich. Aus den Augenwinkeln sah ich Menschen und Häuser an mir vorbei ziehen. Ich beachtete sie nicht. Sie hatten ihren Reiz für mich verloren.
 

Plötzlich packte mich starkes Heimweh. Ich war weit entfernt von Daheim. Nichts als ein verlorener Mann ohne Kurs. Aus jeder Richtung schien es mich zu rufen, und doch war mir kein Weg vertraut.
 

>Häuser schau`n mich an, als sollt` ich sie erkennen, doch ich weiß nicht mehr, was war…
 

Blaues Licht an den Fenstern, jemand ruft nach mir… Aber das ist jetzt alles egal…<
 

Das Lied des alten Seemannes hatte ich beinahe vergessen. Der Text passte. Er passte einfach. Und ihn in meinem Kopf zu wiederholen tat gut, auch wenn ich die Melodie nicht mehr kannte. Melancholisch war sie gewesen. Traurig. Daran glaubte ich mich zu erinnern.
 

Noch ein weiterer Störenfried kam mir in die Quere, bevor ich die Stadt endgültig verlassen konnte. Der Redakteur, dem ich mein Buch am vergangenen Mittag zur Verfügung gestellt hatte, hatte sein Wort gehalten. Er war völlig außer Atem, als er mich erreichte. Er war den ganzen Weg von meiner Unterkunft aus gerannt, um mich einzuholen. Wahrscheinlich hatte ein Passant ihm verraten, in welche Richtung ich gelaufen war. Oder der Wirt. Oder Tysha. Was spielte es für eine Rolle…
 

Die Nachricht, die er mir brachte, war verblüffend. Sein Vorgesetzter war von dem Buch schlichtweg begeistert, und bot mir an, es zu veröffentlichen. Die Augen des jungen Mannes strahlten, als er mir von der Neuigkeit berichtete, und wahrscheinlich hätte ich mich gefreut, wäre meine Laune nicht von den jüngsten Ereignissen getrübt gewesen.
 

Doch ich wimmelte ihn ab, sagte ihm, das Buch sei mir nicht länger wichtig, und wenn er es veröffentlichen wolle, könne er es gerne tun. Ich schenkte ihm das Buch. Ich hatte nicht vor, jemals ein neues zu schreiben. Insgeheim nahm ich an, dass das Buch unter dem Namen des Reporters oder seines Vorgesetzten veröffentlicht werden würde. Niemand würde später nachweisen können, dass der Autor ein anderer war. So etwas kam häufig vor, und mir wäre es egal gewesen.
 

Doch der junge Mann hielt sein Wort schon wieder, und ungefähr zwei Jahre später hielt ich erstmals eine Kopie meines eigenen Buches in der Hand. Doch bis dahin war es noch eine lange Zeit.
 

Ich verließ Kyoto, um niemals wieder zu kehren. So wie mich schon viele Städte kommen und gehen sahen. Doch das hier war anders. Ich wusste, dass ich nicht länger fort laufen konnte. Doch auch ein Neuanfang kam nicht infrage. Der gescheiterte Versuch in Kyoto war der Beweis dafür. Es war Zeit, dass ich mich meinen inneren Dämonen stellte…
 

Ich hatte nur keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte.
 

>Und ich wart` nicht bis es Frühling wird, ich will nach Hause, will nach Hause…< murmelte ich vor mich hin, während ich die letzten Häuser hinter mir ließ.
 

>Das nächste Schiff, das vor Anker geht, bringt mich nach Hause, nach Hause…<
 

Zu mir.
 

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Fortsetzung folgt.



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