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Schattenräuber

Philipp & Tim
von

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Tag 1

Am nächsten Tag weckte uns mein Handywecker um 8 Uhr morgens. Ich gähnte und streckte mich. Gestern hatte bei der Aussicht auf unser Abenteuer und wegen der bedrückenden Hitze, die niemals ganz verflog, nur sehr schlecht einschlafen können. Mein Freund war wie immer gut gelaunt.

„Guten Morgen!“, meinte er fröhlich. Ich nuschelte eine Antwort und zog mich an.
 

Als wir beide gefrühstückt hatten und aufbruchsbereit waren, zog Tim den Plan zu rate, auf dem wir die Schattenzeiten notiert hatten.

„Alsoo ...“, begann er gedehnt. „Wenn die Sonne im Westen aufgeht, müssen wir uns im Osten halten ... In diesem Wäldchen, östlich der Autobahn, müsste jetzt der meiste

Schatten sein. Ich nehme mir die östlichen Stadtviertel vor und kurve ein wenig durch die dunkelsten Stellen. OK?“ Ich nickte. Auf einmal war mein Mund trocken vor Anspannung.

„Also los!“, meinte er. Auch seiner Stimme konnte ich Anspannung entnehmen.

Wir liefen in die Garage, wo wir unsere Skateboards untergestellt hatten, überprüften noch ein letztes Mal die Walki-Talkies und verabschiedeten uns dann voneinander, um kurz darauf in verschiedene Richtungen davon zu schießen. Ich genoß den kühlen Fahrtwind, der mir ins Gesicht und durch meine Klamotten wehte, denn die Luft war schon wieder im Begriff, sich zu erwärmen und es war klar, dass es gegen Mittag schon wieder so heiß sein würde wie gestern. Wenn nicht noch wärmer.

Während ich dem Wald näher kam, wanderte die Sonne immer höher. Nach eine guten halben Stunde hatte ich den schattigen, kühlen Wald erreicht. Ich hob mein Board hoch, da ich damit ja wohl schlecht über die Wiese hätte fahren können, und blieb am Waldrand stehen, um mich für eine Richtung zu entscheiden. Während ich meine Umgebung musterte, fiel mein Blick auf eine Blume in meiner Nähe. Sie war sehr dünn und auch ihre Blätter waren sehr zart und von einer sehr hellen, violetten Farbe. Ich betrachtete sie näher. Um sie herum wuchs keinerlei Gras. Dort war einfach harte, rissige, braune Erde. Es wunderte mich schon, dass diese Blume überhaupt hatte wachsen können. Dann fiel mir etwas auf, das mich mehr als alles andere irritierte: Diese Blume warf keinen Schatten. Er war einfach weg. Zuerst vermutete ich, dass es vielleicht daran lag, dass sie so fein war, aber als ich darüber nachdachte, konnte ich mir dass nicht mehr vorstellen. Ich warf dem Wunder der Natur noch einen letzten Blick zu, dann machte ich mich auf in den Wald.

Eine angenehme Kühle umgab mich, als ich ein wenig ziellos durch die Bäume ging. Ich hörte Vögel, die in den Kronen zwitscherten und Insekten, die die Luft um mich herum unsicher machten. Immer tiefer wagte ich mich vor, ohne auf meinen Weg zu achten. Ich konnte mich ja gar nicht verlaufen. Stets hörte man den Lärm der Autos, die am Waldrand vorbeifuhren. Diesem brauchte man dann nur noch zu folgen und schon war man an der Straße. Ganz einfach.

Als ich eine Zeitlang gegangen war und anfing, mich zu langweilen, sah ich wieder so eine merkwürdige Blume. Sie stand im Zentrum eines ziemlich großen Kreises aus getrockneter nackter Erde. Und wie die andere Blume auch, warf sie keinen Schatten. Und noch etwas machte mich stuzig: Der Baum, vor dem sie stand, warf auch keinen Schatten. Eigentlich hätte sie in seinem stehen müssen. Wie konnte das sein? Unruhe machte sich in mir breit und ich griff zum Walkie-Talkie.

„Tim?“

„Philipp? Hast du ihn?“

„Nein ... aber dafür hab ich was anderes entdeckt.“

Er schwieg gespannt. Als ich nicht weitersprach fragte er ungeduldig: „Und was hast du

entdeckt?“

„Komm und sies dir an! Dieser Baum ... er wirft keinen Schatten! Und so eine Blume steht neben ihm, die wirft auch keinen Schatten!“ Ich beugte mich runter, um an ihr zu riechen. „Und sie riecht völlig neutral!“

Ich konnte sein Stirnrunzeln fast schon spüren. „Hast du vielleicht zu viel Sonne abbekommen?“

„Nein! Komm und sies dir selbst an!“

„Hm ... OK. Ich bin dann gleich da.“

„Bis dann.“

Ich steckte das Walkie-Talkie wieder weg und beschloss, ihm endgegenzugehen. Ich brach Zweige ab und legte sie hinter pfeilförmig auf den Boden, um diese Stelle nachher wiederzufinden.

Als ich gerade die Hälfte des Waldes hinter mir hatte und mich wieder aufrichtete, nachdem ich einen erkennungs-Pfeil gelegt hatte, sah ich aus den Augenwinkeln den Hauch einer Bewegung. Ich fuhr herum und konnte gerade noch einen Blick auf einen schwarzn Mantel erhaschen, der in den Tiefen des Waldes verschwand. Es bestand kein Zweifel, dass es der Mann war, nach dem wir suchten. Ein wenig unschlüssig blieb ich stehen, hin und her gerissen, ob ich „den Mysteriösen“ verfolgen sollte, oder weiter Tim entgegen gehen sollte, um ihn meinen Fund zu zeigen. Mit einem Seufzen entschied ich mich für Tim.

In dem Moment, im dem ich den Schutz der Bäume verließ, schlug mir die Hitze des Vormittags entgegen. Mir war gar nicht bewusst geworden wie lange ich unterwegs gewesen war. Von weiten sah ich meinen Freund auf mich zubrausen und entschloss mich, mich hier hin zu setzen und auf ihn zu warten.

Es dauerte nicht lange, da war er schon da. Er grinste mich an, nahm sein Skateboard hoch und ging die letzten paar Schritte zu mir. Mit einem Grinsen erhob ich mich und nahm meinerseits mein Skateboard.

„Also, dann zeig mir mal diesen Baum, falls du ihn wiederfindest!“, meinte er. Ich konnte ehrliches Interesse und Neugier in seinen Worten hören.

„Na dann komm, wenn du den Mut dazu hast, in den bösen dunklen Wald zu gehen“, foppte ich ihn. Er tat meine Worte mit einem Schulterzucken ab und wies mich an, vorzugehen.

Ich folgte meinen Pfeilen. Er ging hinter mir her. Ich konnte das Laub unter seinen Schritten rascheln hören.

„Ich habe ihn wieder gesehen“, informierte ich Tim.

„Wann? Wo? Warum bist du ihm nicht gefolgt? Warum hast du mir nicht Bescheid gesagt?“

„Als ich dir entgegen gegangen bin. So bei der Hälfte des Weges. Ich wollte erstmal auf dich warten, jetzt können wir ihn ja gemeinsamm nochmal suchen. Er treibt sich bestimmt noch hier rum.“

Er nickte, auch wenn er ein wenig grimmig dabei aussah. Schweigend gingen wir nebeneinander her, bis wir unser Ziel erreichen. Wie angewurzelt blieb er stehen.

„Das ... du hattest recht!“, er fasste sich am Kopf.

„Natürlich hatte ich das!“, sagte ich leise lachend.

„Meinst du ... meinst du das hat was mit ihm zu tun?“

Ich biss mir auf die Unterlippe, während ich nachdachte. „Wie sollte er denn so was machen? Meinst du er hat die Blume gepflanzt? Und selbst wenn, was hat er mit dem Schatten des Baumes gemacht und welchen Sinn hat das Ganze?“

Er schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung.“

Langsam wurde mir das unheimlich. „Komm, wir gehen ihn suchen. Vielleicht kriegen wir ja dann Antworten.“

Er nickte und wir machten uns auf den Weg.

Die Sonne wanderte immer höher. Schließlich – es war weit nach Mittag – beschlossen wir uns, für heute Schluss zu machen und etwas zu essen. Die ganze Zeit über waren wir still. Auch auf dem Heimweg.

Zu hause begrüßte uns meine Mutter. „Wo wart ihr? Ich habe mir Sorgen gemacht! Phillipp, du hast dein Handy hier vergessen! Warum habt ihr mir nicht Bescheid gesagt? Hättet ihr nicht wenigstens einen Zettel schreiben können?“

Meine Mutter. Die hatte ich heute total vergessen. „Sorry“, murmelte ich. „Wir waren skaten.“

Sie zog eine Augenbraue hoch, sagte jedoch nichts. Schade, dass sie am Wochenende nicht arbeiten musste.

„Ich habe schon gegessen. Das Essen müsste aber noch warm sein. Holt euch was. Ich gehe zu meiner Freundin.“

Ohne ein weiteres Wort meinerseits abzuwarten schlüpfte sie aus dem Haus.

Mit einem etwas hilflosen Blick wandte ich mich zu Tim um. Er grinste breit. Typisch.

„Na dann lass uns mal gucken, was deine Alte schönes gekocht hat.“

Dieses „schöne“ stellte sich als Rosenkohl, Kartoffeln und einem exotisch aussehenden Fleisch herraus. Ich verzog das Gesicht. Ausgerechnet Rosenkohl hatte sie heute gemacht. Wenn ich etwas nicht leiden konnte, dann das. Tim wusste das und grinste noch breiter.

„Na dann lass uns mal essen! Dieser Rosenkohl “, er betonte das Wort und kostete jede Silbe aus, „sieht wirklich sehr lecker aus. Findest du nicht?“

Ich antwortete mit einem gespielt wütenden Blick und nahm zwei Teller aus dem Schrank so wie Besteck. Er schaufelte sich von allem etwas drauf, ich begnügte mich mit Kartoffeln und Fleisch. Es war ein wenig zäh und in der Mitte noch zartrosa, doch sonst schmeckte es annehmbar.

„Hmm, Kaugummi“, meinte Tim, als er auf seinem Fleischstück rumkaute. Ich hätte mich vor Lachen fast verschluckt.

Als wir zu ende gegessen hatte, räumten wir unser Geschirr in die Spülmaschine und gingen auf mein Zimmer. Dort riss ich die Fenster auf, um eine kühle Brise hereinzulocken und hockte mich aufs Bett. Er setzte sich wie immer auf den Boden. Oder besser: auf meinen Teppich, genau auf den Wald, in dem wir zuvor noch fruchtlos gesucht hatten.

„Und was machen wir heute noch so? Wollen wirs nochmal versuchen, nur wo anders?“

Ich schüttelte den Kopf. „Es kann gut sein, dass er mich gesehen hat, also wird er heute wohl eher zu Hause bleiben. Morgen auch. Also würde ich eher übermorgen wieder gehen.“

Er dachte kurz über meine Worte nach, dann nickte er. „Wie du meinst.“

Den Rest des Tages verbrachten wir damit, Pläne für übermorgen zu schmieden und Wetterkarten zu studieren. Wenn es zum Beispiel ein Gewitter geben würde, wäre überall Schatten.

„Was ist eigentlich nachts? Da ists doch überall dunkel ... Also ists überall schattig, oder?“, fragte ich unvermittelt.

Nach kurzem Zögern antwortete Tim: „Naja ... Genau genommen ist dann ja gar kein Schatten, denn die Sonne ist ja nicht da ... Und nur da, wo Licht ist, kann Schatten sein, oder? Stimmts oder hab ich recht?“ Wieder grinste er. Ich nickte langsam.

„Du hast wohl recht.“ Zumindest hoffte ich das. Ich hatte keine Lust, abends oder nachts umherzustreifen.

Das nächste mal guckte ich um 21 Uhr auf meine Handyuhr.

„Komm, wir gehen schlafen“, meinte ich. Er nickte und wir legten uns hin.



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