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Jadeperlen

von

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Elfe

„Ich mache Schluss, Akina“, waren seine letzten Worte. „Es ist vorbei...“
 

Tränen stiegen mir in die Augen – in meine verdammten blauen Augen, die er immer so umschwärmt hatte - bei dem Gedanken an die Erinnerung. Zornestränen aus Schmerz, wie salzige Perlen auf meiner Haut. Niedergeschlagen senkte ich meinen Kopf, musterte gedankenlos den abgenutzten PVC-Boden in der Sporthalle.

Ich spürte die verständnislosen Blicke meiner Freundinnen im Nacken, tausend Fragen in der Luft hängend, die in höhnischem Durcheinander um mich herum schwirrten und mir nur noch mehr glitzernde Tränen in die Augen trieben. Meine Sicht verschwamm zu einem trügerischen Strudel, der all meine schönen Gedanken einzusaugen schien und nur das Gefühl des Verlusts zurückließen.

Empört erhob meine beste Freundin Taya jetzt ihre Stimme, riss mich aus meinen Gedanken und verletzte mich doch nur wieder mit einer dieser Fragen, die ich mir schon die ganze Zeit stellte: „Wie konnte er das nur machen?!“

„Genau“, grummelte Nimoe „wie konnte Kei nur?!“

Ja, wie konnte er nur, dachte ich sarkastisch. Vielmehr, wie konnte er nicht! Je genauer ich darüber nachdachte, desto schmerzlicher wurde mir bewusst, dass ich nichts hatte. Mein Freund hatte mich abserviert, als wir gerade mal zusammengekommen sind, er hat mich verletzt obwohl er schon immer mein bester Freund war. Das ganze ist, als wenn plötzlich eine riesige Mauer zwischen uns aufgestiegen wäre, und je mehr ich versuche wieder zu Kei vorzudringen, desto höher wächst der Stein hinauf und droht auf mich hinab zu stürzen, genauso wie der Himmel, der für mich ohne Kei sternenlos ist.

Ich blickte traurig auf, um etwas zu erwidern, bis mir bitterlich auffallen musste, dass wirklich niemand so war wie ich, und niemand so viel Pech hatte wie ich. Bedrückt wanderte mein Blick wieder gen Boden.

Ich war schon immer anders gewesen als die anderen, kleiner, zierlicher, unauffälliger, eben nichts besonderes. Selbst meine Freundinnen waren allesamt hübscher, intelligenter und selbstbewusster. Nimoe zum Beispiel. Sie hatte wunderschönes schwarzes Haar, ein herzförmiges Gesicht, das von ihnen sanft umspielt wurde und eine Haut, die immer so aussah als würde die Sonne jeden Zentimeter ihres Körpers küssen. Oder auch Nodika, die Jahrgangssprecherin unserer Stufe war. Ihre wunderschönen mandelförmigen Augen hatten die Farbe flüssigen Karamells, ihre Haare trug sie kurz und auch sie hatte einen glänzenden Braunton. Und mit ihren immer leicht rosafarbenen Wangen und dem fröhlichen Lächeln auf ihren Lippen wirkte sie immer so enthusiastisch und strahlte eine Lebensfreude aus mit der Niemand mithalten konnte. Und Taya, die jeder für ein Model halten konnte, mit ihrem glatten Teint, den unglaublich langen Beinen und den perfekten Rundungen. Alles an ihr war vollkommen, ihre goldbraunen Haare, ebenso wie ihre unglaubliche Intelligenz.

Unter ihnen fühlte ich mich wie eine schwache kleine Nachtigall deren Gesang unter den kraftvollen Rufen der Falken unterging.

Neben ihnen musste ich wirken, wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe, klein und zierlich. Sogar meine Hautfarbe passt, ungesund weiß wie sie war, wirkte sie wirklich wie das makellose Porzellan einer Puppe.

„Er findet mich nicht schön“, seufzte ich und fing wieder an zu schluchzen.

Ich wusste, dass die Drei hinter meinem Rücken jetzt bedeutungsvolle Blicke tauschten, so wie jedes Mal wenn ich das Thema von neuem aufrollte, obwohl ich die Diskussion eigentlich hasste.

„Elfe –„ seufzten alle drei. Elfe war der Name, den mir mein Aussehen beschert hatte. Ich besitze die Anmutigkeit einer Elfe, so wie jeder den ich kenne behauptet, dem ich aber nicht wirklich zustimmen konnte.

„Akina“, fing Nodika mit samtener Stimme an „, du bist das mit Abstand hübscheste Mädchen, dem ich je begegnet bin! Sei doch froh besonders zu sein und nicht wie alle anderen zu sein, denn das macht dich eben so einzigartig und unerreichbar schön! Glaub mir doch endlich, dass mit etwas Glück jeder, ich betone, jeder Kerl vor dir auf die Knie fällt, um den Boden zu küssen auf dem schwebst. Du bist wunderschön und das weiß auch Kei!“

„Warum hat er dann Schluss gemacht?“, stöhnte ich. Ich hasste, hasste, hasste solche Diskussionen.

„Das, meine Liebste“, Taya lächelte verschwörerisch „, werde ich heute Abend noch herausfinden, wen auch immer ich dazu bestechen muss!“

Danach war das Gespräch beendet und wir räumten den Mattenhaufen weg, auf dem wir gesessen hatten, fertig geduscht und umgezogen nach dem Cheerleadertraining. Die Drei hatten mich nach der Stunde beiseite genommen, um den Grund für meine traurige Miene zu ergründen. Und das war sie, die Wahrheit: Kei hatte Schluss gemacht und somit meinen kläglichen Rest Selbstbewusstsein zerstört.

Wieder seufzte ich, immer noch deprimiert, inzwischen auch ein bisschen angespannt, als ich schließlich vor unserem Haus stand.

Ich schloss die Haustür auf und von drinnen kam mir die lauten Fernsehgeräusche entgegen. Gutes Zeichen, dachte ich nur, gegessen hatten sie also schon. Ich atmete auf und die Anspannung fiel von mir ab. Glücklicherweise konnte ich so den sorgenvollen Blicken meine Eltern ausweichen, die mir jedes Mal aufs Neue übermittelten, dass etwas Falsch war. Oder würden sie etwa Sorgen haben, wenn alles in Ordnung wäre? Nein, und daraus schloss ich, dass sie genau wussten, dass in meiner Welt nicht alles stimmte. Und genau dem wollte ich ausweichen. Ich würde am Liebsten für immer so tun, als ob alles noch im Reinen war, denn sonst hätte ich mir ein gestehen müssen, dass es aus ist. Das mein Himmel für immer sternenlos bleibt. Und genau das hätte mein Herz dann auf ewig zerrissen.

„Bin wieder da!“, rief ich halbherzig vom Flur ins Wohnzimmer, schon halb auf dem Weg nach oben in mein Zimmer.

„Essen steht in der Küche“, rief Mum nur, abgelenkt von irgendeiner Sitcom, die sie gerade mit Dad schaute.

Ich hatte überhaupt keinen Hunger, das einzige was mich jetzt noch zerfraß war der Hunger nach Liebe.

Ich schlurfte in die Küche, tat mein Essen als Tarnung in die Mikrowelle, machte es warm und schaufelte den Nudelauflauf dann Löffel für Löffel in den Mülleimer. Dann stellte ich das Geschirr in die Spülmaschine und ging nach oben.

Als ich dann endlich die rettende Tür meines Zimmers entdeckte, durchzuckte mich nur der eine Gedanke, endlich unter meine weiche Bettdecke kriechen zu können und leise vor mich hin zu schluchzen. Doch als ich meine Zimmertür aufstieß, traf mich fast der Schlag.

Quer über den gesamten Teppichboden verstreut lagen meine alten Zeitschriften, einige aufgeschlagen, andere auf Stapel verteilt. Dann wanderte mein Blick zu meinem Bett, auf dem meine kleine Schwester Sayuri fröhlich plaudernd telefonierte.

Ihre Augen wanderten langsam in Richtung Türrahmen, in dem ich immer noch sprachlos stand, kurz davor in einen Heulkrampf auszubrechen. Zögernd realisierte ich erst die gesamte Situation. Sayuri hatte die Dreistigkeit mein halbes Zimmer zu verwüsten und sich in meinem Bett breit zu machen! Und genauso gemächlich wie mein Hirn gerade arbeitete, stieg auch die blinde Wut in mir auf. Ich spürte wie meine Stimmung plötzlich umschwang, von Trauer und Schmerz zu Zorn, durchmischt von purer Wut.

Meine kleine Schwester wisperte noch schnell was in den Hörer, legte dann auf und drängte sich blitzschnell an mir vorbei durch die Tür, ein scheues „Entschuldigung“ nuschelnd.

Der plötzlichen Leere und Stille im Raum, folgte eine tiefe Hoffnungslosigkeit in meinem Inneren. Ich schloss leise die Tür setzte mich auf die Bettkante und stierte starr auf irgendeinen Fleck des Fußbodens. Auf einmal überschwemmten mich meine wirren Gefühle wie eine Welle, zogen mich hinfort in den starken Sog der tiefen Leere in meinem Herzen und alles um mich herum wurde schwarz. Dann klarte das Meer aus Dunkelheit auf, mein Verstand fing wieder an zu Arbeiten, als ich wieder in meinem Zimmer saß, die Wut gemächlich abklang.

Ich warf mich in die Kissen, fing unkontrolliert an zu Zittern und Weinen. Liebeskummer zerschnitt mein Herz in tausend Stücke, warf sie achtlos in die Gegend und überschüttete sie mit einer Million verschiedener Gefühlsregungen.

Ich versuchte mich zu konzentrieren, mit meiner neu gewonnen Klarheit meine Gefühle zu Ordnen, doch das Einzige, was gerade durch meine Gedanken schwirren konnte, war die plötzliche Erkenntnis. Niemals wieder würde es sein wie früher, niemals mehr. Ich hatte schon immer ein Leben mir Kei gehabt, er war ein Teil meiner kleinen Welt gewesen. Ich hatte mir immer nur gewünscht, dass seine Gefühle die selben waren wie die meinen, dass er endlich meine Liebe für sich fand, die ich ihm schon seit ich denken kann schenken wollte. Dann kam der Tag an dem wir zusammenkamen, darauf folgten die schönsten Wochen meines Lebens. Und jetzt ist auch dieser Teil meiner Geschichte abgeschlossen, denn Kei hat das Kapitel beendet mit drei einfachen Worten: Es ist vorbei.

Und damit zerstörte er meinen persönlichen kleinen Himmel, schoss mit den einzelnen Silben meine Wolke 7 ab und ich stürzte zurück in die grausame Realität. Eine Welt ohne Kei.

Ich wusste nicht ob er mit seinen Worten auch ein Aus unserer Freundschaft bewirken wollte, doch ich war mir nicht sicher, ob ich es ertragen konnte die Wochen zu vergessen und einfach so weiterzuleben wie bisher, mit unterdrückten Gefühlen für meinen Geliebten. Würde ich es aushalten meinen Empfindungen für ihn weiterhin keine Achtung zu schenken, nicht jeden Tag zu überlegen, was wäre wenn und darauf hoffen, das es doch noch irgendwann passiert? Nein, ich könnte das nicht, meine Gefühle unterdrücken - nicht mehr. Nicht für kurz, nicht für immer.

Aber was würde das dann bedeuten – für uns?

Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, als das Telefon schallend klingelte.

Tief ein- und ausatmend versuchte ich mich zu beruhigen, nach ein paar Sekunden nahm ich dann ab.

„Ja?“ Meine Stimme zitterte immer noch und klang verräterisch rau und brüchig. Ich hoffte nur, dass der Anrufer am anderen Ende nichts von meinem Heulkrampf mitbekam, wer auch immer da war.

„Akina? Heulst du?!“ So viel zum Nichtmitbekommen... Es war Taya.

„Nein, nein, alles in Ordnung“, log ich.

„Spiel mir nichts vor“, zischte sie mich ärgerlich an. „, es ist wegen Kei, hab ich Recht?“

„Ja“, gab ich zögerlich zurück.

Eine kurze Zeit sagten wir beide nichts, dann durchbrach ich die Stille, lustlos und nicht gerade in meiner nettesten Stimmlage. „Warum rufst du an?“

Ich konnte ihrem zögerlichen Unterton anmerken, dass es sie Überwindung kostete überhaupt anzurufen. Dann erzählte sie mit matter Stimme: „Ich weiß warum Kei sich von dir getrennt hat.“

Ich erwiderte nichts, dachte nur fieberhaft nach ob ich schon bereit für die Wahrheit war. Ja oder nein, ja oder nein?

Taya atmete tief ein, begann dann wieder zu reden. „Egal ob du willst oder nicht, irgendwann musst du die Wahrheit erfahren und lieber jetzt als später! Kurz und schmerzlos... Also,“ wieder sog sie beruhigend die Luft in ihre Lungen. „es ist so... Er hatte da diese Wette am Laufen, mit so einem Kerl von der einen Party... du weißt schon, am Wochenende bevor ihr zusammengekommen seid. Der Typ meinte du wärst voll in Kei verknallt, Kei wollte es nicht glauben und ließ sich zu der Wette überreden. Er hätte aber nie gedacht, dass du wirklich in ihn verliebt bist! Der Typ hat ihn eher dazu provoziert mitzumachen. Kei sollte dir sagen, dass er dich liebt, dann seid ihr zusammengekommen. Erst war Kei danach völlig perplex und wollte direkt Schluss machen, aber dieser Schlappschwanz hat sich weiter provozieren lassen und wurde dazu überredet den Rest der Wette auch zu erfüllen. Nun ja... er sollte dich... ins Bett bekommen... Wie du siehst hat er’s aber nicht gemacht, hatte zu viel Schiss dir dein Herz zu brechen oder dich zu etwas zu zwingen was du nicht willst... Aber Liebe? Die war nie im Spiel... Tut mir Leid...“

Ich konnte hören wie meine Traumvorstellungen und Hoffnungen langsam wie ein Kartenhaus zusammenbrachen. Ich hatte viele Möglichkeiten durchdacht, viele Gründe dafür gesucht, warum genau meine Welt hatte zerbrechen müssen. Dabei war alles so simpel gewesen, so klar... Er liebte mich nicht, hatte mich nie geliebt. Nur eine Wette, die mich zu seiner Freundin befördert hatte.

„Ich muss aufhören“, flüsterte ich tonlos in den Hörer. „Ich halt das hier einfach nicht mehr aus!“ Dann drückte ich auf den roten Knopf, ohne auch nur eine Antwort abzuwarten.

Ich konnte nicht wirklich weinen, die Leere zerfraß mich, ließ jegliche Emotion in mir sterben. Meine Augen wurden blind für die Schönheit der Welt, alles wurde einheitlich schwarz.

Ich ließ mich auf das Kissen nieder, zog meine Beine an die Brust und hoffte darauf, dass die Dunkelheit mich verschlingen würde, dass dieser Albtraum endlich endet...
 

Als ich am Freitagmorgen aufwachte starrte ich hinaus in die Morgenröte der Dämmerung.

So wie der Sonnenglanz mit dem eintönigen Blau des Horizonts zu verschwimmen schien, verwischten auch langsam meine Empfindungen und Eindrücke zu einer dumpfen, grauen Welt. Lustlos ließ ich den Tag über mich ergehen, ging aber so gut wie jedem Menschen, den ich kannte, aus dem Weg.

Nach der Schule reizte es mich nicht sonderlich mich wieder in meine vertraute Alltagsumgebung zu Hause sinken zu lassen und schlenderte ziellos durch die Stadt.

Plötzlich fand ich mich in einem Bezirk wieder, den ich überhaupt nicht kannte. Graue Blockhäuser reihten sich aneinander und ließen die Straße wie ein Labyrinth wirken, mit bedrohlich hohen Mauern.

Unbeirrt ging ich weiter geradeaus, was außer dem Weg zurück auch der einzige Weg war. Es dauerte nicht lange, bis der Asphalt leicht abfiel und hinunter durch einen Wald führte. Ein unbefestigter Fußweg führte zwischen den Bäumen her bis zum Straßenrand.

Inzwischen hatte ich meine Orientierung wieder gefunden und wusste genau, dass der Waldweg zu einer Siedlung ganz bei mir zu Hause in der Nähe führte.

Ich war lange ziellos durch die Gegend gelaufen, ohne wirklich mitzubekommen wie schnell die Zeit vergangen war. Die Sonne war schon lange untergegangen und nur noch der letzte dämmerige Schein erhellte das Gehölz spärlich.

Bekümmert musste ich feststellen, dass sich meine Eltern sicher schon Sorgen machten.

Jetzt wo ich endlich wusste wo ich mich befand, war es wohl besser mich auf den Heimweg zu machen.

Kurz zögernd ging ich dann doch in den Wald hinein, auch wenn ich wusste, dass es allgemein unklug war im Dunkeln einen Wald zu betreten.

Der Weg schlängelte sich quer zwischen dem Unterholz durch, dort wo die ganzen Leute die hier lang kamen schon eine tiefe Schneise im Gestrüpp hinterlassen hatten.

Der Wind pfiff wie ein Ächzen des Waldes in meine Ohren und die lauten Jagdschreie der Eulen ließen mich selbst erschrecken, als wäre ich das gejagte Tier statt irgendeiner Maus. Ich bekam Angst vor den vielen beunruhigenden Geräuschen, die auf der weiten Ebene widerhallten und verfiel in einen nur noch schnelleren Laufschritt.

Von weitem konnte ich schon die Geröllwand des nahe liegenden Berges erkennen, der komplett von Bäumen umstellt war. Er war nicht sehr hoch, erstreckte sich aber zwischen den hohen Bäumen, wie ein Riese unter Zwergen.

Unter das fürchterliche Raunen des Waldes mischte sich jetzt noch ein neues Geräusch, ein leises Flüstern. Je näher ich der zackigen Steinwand kam, desto lauter wurde das Flüstern, bis ich die einzelnen Worte verstehen konnte.

Etémay, ai si kotem, si to bari tey e’t to aiko.

Das leise Flüstern brach ab als ich näher kam. Die Worte begannen von neuem, als ein merkwürdiges Licht aufzuflammen schien, dass mir aus einer Felsspalte entgegen schien.

Atem’ai, xawe jaez coueure elmé te,

si zenmè to sera y to aiko se,

so maèwi xe mari dor,

so allère nuinnid so eruta tai eko,

so si jera so taido perlage oki,

so elmè to karade si uijage e’to aiko sa ziro,

Jähe Panik stieg bei dem merkwürdigen Flackern in mir auf. Dann probierte ich mit Vernunft eine Erklärung für das ganze zu finden, und kam zu dem Entschluss, dass es bestimmt nur irgendwelche Kinder waren, die versuchten mir einen Schrecken einzujagen.

et si mika to zeta, so ikari dai eku.

Dann brach der Wisperfluss wieder ab und die plötzliche Stille des Waldes schien meine Panik zu zerreißen und meinen Verstand um einiges klarer werden zu lassen.

Es war spät und dunkel und meine Eltern machten sich bestimmt schon sorgen. Logisch schlussfolgerte ich daraus, dass es wohl am Besten wäre, wenn ich weiterging.

Das Licht hinter der Felsspalte glühte weiter, das Flüstern begann aber nicht mehr.

Ich drehte mich um und rannte so schnell ich konnte weiter.

Atemlos brach ich durch das Gestrüpp und fand mich auf einem Spielplatz in der Nähe meiner Siedlung wieder. So schnell ich konnte eilte ich den bekannten Weg, beleuchtet durch Straßenlaternen, entlang und fand mich nach fünf Minuten vor meiner Haustür wieder.

Ich schloss auf, und hörte sofort das leise Poltern im Wohnzimmer, dann stand meine Mutter im Türrahmen.

„Akina, wo warst du?“, fragte sie mit einem besorgten Unterton in ihrer Stimme.

„Du brauchst dir keine Sorgen machen Mum, ich war nur Spazieren!“, versuchte ich sie zu beruhigen.

„Aber ohne Bescheid zu sagen! Du kannst doch nicht einfach abhauen! Wir dachten du wärst sonst wo, noch nicht einmal Taya konnte uns sagen, wo du hin bist!“, brachte sie gereizt hervor.

„Verstanden, beim nächsten Mal schreib ich dir eine SMS wenn ich später komme, in Ordnung?“ Genervt verschränkte ich die Arme vor meiner Brust.

„Beim nächsten Mal“, wiederholte meine Mum in einem theatralischen Ton. „Wie kommst du überhaupt dazu den ganzen Nachmittag spazieren zu gehen?“

Ich wandte mich schon zur Treppe um. „Ich musste halt nachdenken.“ Dann stapfte ich leise die Stufen nach oben.

„Kei hat angerufen“, rief mir Mum noch hinterher, doch ich probierte es zu ignorieren.

Kei, wenn ich den Namen schon hörte! Ein frostiger Schauer kroch mir über den Nacken und stellte mir die Härchen auf.

Ich drohte aus meiner schönen dumpf grauen Welt heraus zu brechen und zurück in die farbige Welt der schmerzhaften realen Gefühle zu fallen.

Nein, dachte ich. Ich will den Schmerz nicht wieder fühlen.

Ich schüttelte sanft den Kopf, schlurfte dann den Flur herunter in mein Zimmer und schaltete den Fernseher ein. Bei einer dieser neuen Telenovelas blieb ich hängen. Das Programm war so langweilig, dass ich kurz einnickte.

Das ungewöhnlich laute Klappern meiner Balkontür und das leise tröpfeln von Wassertropfen auf Glas weckten mich dann wieder unsanft.

Träge erhob ich mich aus dem Bett und durchsuchte die unergründliche Dunkelheit.

Dann stand er da, die Haare klatschnass zerzaust vom Nieselregen und dem starken Ostwind. Kei.

Ich wollte schon die Vorhänge zuziehen, mich umdrehen und gehen, doch dann fiel mein Blick auf seine Augen. Seine rehbraunen, flehenden Augen, die mich schon immer schwach gemacht hatten.

Sein Anblick versetzte meinem zerrissenen Herzen einen erneuten Stich und brachte den Schmerz nun endgültig zurück.

Ich schloss kurz die Augen und meine Hand wanderte unwillkürlich zu meiner Brust, dort wo das blaue Saphirherz an einer Silberkette meinen Hals schmückte.

Dann öffnete ich die Tür einen Spalt weit, spürte den leichten Luftzug auf meiner Haut. Ich wandte mich ab, dann hörte ich das leise Klicken der schließenden Tür.

Und dann stand Kei vor mir, die braunen Haare nass um sein markantes Gesicht klebend, die nasse Kleidung an ihm herunterhängend wie ein Sack.

Wieder senkte ich meinen Blick um die Tränen zu verbergen.

„Was willst du“, fragte ich wütend, bestimmt, aber mit brüchiger Stimme.

„Mit dir reden“, antwortete er schnell und hielt mich an der Schulter fest, bevor ich mich wieder von ihm wegdrehen konnte.

„Dann mach schnell“, zischte ich ihn an. „Ich kann deinen Blick nicht mehr ertragen!“

Ich konnte sehen, wie er den Kloß in seinem Hals herunterschluckte, er dann genau abzuwägen schien, was er sagen sollte und dann anfing:

„Ich wollte nicht, dass du die ganze Sache so erfährst.“

Erst wusste ich überhaupt nicht, wovon er sprach, dann fiel mir das Gespräch mit Taya am Telefon wieder ein. „Du wolltest, dass ich es gar nicht erfahre!“, fuhr ich ihn mit aufgebrachter Stimme an.

Wieder schluckte er. „Du hast Recht, aber ich hatte Angst dich zu verletzten!“

„Das hast du aber wohl nicht geschafft... und von dieser dummen Wette hat es dich auch nicht abgehalten“, musste ich nüchtern feststellen und konnte meine Gehässigkeit nicht aus meiner Stimme verbannen.

„Ich dachte wir wären Freunde, nicht mehr und nicht weniger. Ich hätte nie gedachte, dass du da... mehr hineininterpretierst und ich dachte auch, dass –„

„Du denkst zu viel, Kei, und wieso zum Teufel bin ich jetzt schon wieder die Schuldige?! Du hast mich verletzt mit deinem ganzen Getue!“

Er senkte bedauernd den Blick und ließ von meiner Schulter ab, sodass ich mich endlich wegdrehen konnte.

„Es tut mir Leid“, stammelte er unbeholfen. „Können wir nicht so tun, als wäre das alles nie passiert? Können wir nicht wieder nur beste Freunde sein?“

„Ich halte das alles nicht mehr aus, Kei“, schrie ich ihn jetzt unbefangen an. „Ich kann nicht einfach so tun, als wenn nichts gewesen wäre. Und ich kann auch nicht wieder anfangen meine Gefühle für dich zu unterdrücken. Ich hab es versucht, aber ich kann einfach nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Geh bitte einfach, Kei, geh und mach es nicht noch schlimmer als es eh schon ist... Bitte... Geh einfach.“ Meine Stimme war immer leiser geworden, bis sie schließlich unter den Wasserfällen aus Tränen erstarben. Ich schlang meine Arme um mich und schluchzte jämmerlich vor mich hin. Ich spürte eine kurze Berührung seiner Fingerspitzen an meiner Schulter. Dann drehte er sich um und ging, ließ mich endlich allein.

Die Tür des Zimmers öffnete sich, doch ich nahm das Geräusch nur am Rande war.

Dann berührte mich wieder eine sanfte Hand an der Schulter, drehte mich um und schon schlangen sich die warmen Arme meiner Mutter um mich.

„Akina-Schatz“, flüsterte sie mir sacht in mein linkes Ohr. „Ist alles in Ordnung?“

„Nichts ist in Ordnung“, stieß ich wimmernd hervor und kämpfte gegen die Umarmung an. „Überhaupt nichts ist gut! Meine ganze Welt zerfällt vor mir in Trümmern und ich kann nichts dagegen tun!“

Ich riss mich los, setzte mich auf den Rand meines Bettes und vergrub das Gesicht in den Handflächen.

Die Balkontür schloss sich, dann wackelte das Bett kurz, als sich meine Mum neben mich setzte und ihren Arm um meine Taille legte.

Fragend blickte sie mich an, mit Sorgenvollem Blick, doch als sie sprach hörte ich heraus, dass sie keine Antwort forderte, mich einfach nur trösten wollte. „Was ist los, Elfe?“

Ich wollte ihr das nicht erzählen, doch trotz alledem blieb mir keine Wahl.

„Wir sind keine Freunde mehr“, wisperte ich leise in meine Hände. „Er hat Schluss gemacht –

er hat mich nie geliebt und dann macht er Schluss...“

„Sag so was nicht“, säuselte Mum und strich sanft über mein Haar.

„Es ist aber so“, schluchzte ich jetzt lauter. „Es ist so. Er hat mich ausgenutzt, mich und meine gutgläubige Verliebtheit. Ich war nur Teil irgendeiner Wette –„

„Das tut mir Leid, Elfe.“

„Er hat alles kaputt gemacht!“

„Kannst du ihm nicht noch einmal verzeihen?“

Auf einmal wurde ich wieder wütend. „Er hat mich schamlos ausgenutzt Mama! Und hätte ich die Wahrheit nicht zufällig erfahren, hätte er mir das auch niemals erzählt. Nichts wird je wieder wie früher. Es geht einfach nicht. Ich kann ihm nicht wieder verzeihen... Ich kann einfach nicht mehr!“

„Ich wünschte ich könnte dir irgendwie helfen, Schatz...“, flüsterte meine Mum mit beruhigender Stimme.

„Lass mir einfach Zeit, Mum... Ich komm schon drüber hinweg.“

„Wenn du das meinst, muss ich dir das wohl glauben.“ Hoffnungsvoll lächelte sie mich an. „Wenn du mich brauchst, ich bin für dich da.“

„Ich weiß...“

Meine Mum drückte mich noch einmal kurz an sich, dann verließ sich mein Zimmer und ließ mich allein.
 

Es war mitten in der Nacht, als ich gepeinigt von Tränen erwachte, und einfach nicht wieder einschlafen konnte.

Mein Zimmer schien unglaublich beengend zu sein, mit jedem Atemzug hatte ich mehr das Gefühl, dass sich die Wände auf mich zu bewegten und mich erdrücken wollten. Es war viel zu warm hier drin und stickig noch dazu.

Wie sollte man da schlafen?

Ich wusste, dass meine Mum mich höchstwahrscheinlich umbringen würde, wenn sie erfuhr, was ich gerade jetzt plante. Deswegen hatte ich auch nicht vor, ihr jemals davon zu erzählen.

Ich kroch aus dem Bett und zog lange Strümpfe, eine Jeans und meinen dicksten Pulli an. Dann schlüpfte ich in meine Weste und meine Stiefel und öffnete leise die Balkontür. Die kühle Nachtluft des Frühlings blies mir sacht entgegen. Es war keine unangenehme Kälte, nach der schwülen Heizungsluft fand ich die reine Frühlingsluft erfrischend und genoss den sanften Wind, der meine Haare leicht tanzen ließ.

Leise stieg ich die Efeu bewachsene Wendeltreppe hinunter und gelang durch die Gartentür auf den Hof und zur Straße.

Um diese Zeit war weit und breit keiner zu entdecken, selbst auf dem kleinen Spielplatz waren nicht wie gewöhnlich die jugendlichen Randalen, die allzu gern die Schaukeln demolierten. Heute Nacht war es fast schon zu still, aber die klare Luft und die Ruhe um mich herum lichteten meinen Gedankenfluss.

Ich war dankbar für die Stille und diesen Moment allein für mich.

Ich war den Weg oft gegangen und fand auch im Dunkeln problemlos zu meinem Ziel. Nach ein paar Minuten die mir vorgekommen waren wie eine kleine Ewigkeit, sah ich ein schwaches Schimmern hinter den Baumstämmen hervorblitzen. Nach einer weiteren endlosen Minute stand ich vor der Gesteinswand, neben mir wieder der Felsspalt mit dem außergewöhnlichen Leuchten aus dem inneren des Berges. Diesmal konnte ich wieder ein leises Säuseln hören, drei Wörter immer und immer wiederholt. Maèwi, Allèri, Shinju.

Immer noch die gleichen dummen Leute, die versuchten Passanten zu erschrecken, dachte ich mir. Trotzdem hatte ich nicht den Mut die Höhle zu betreten und zu gucken, ob ich recht hatte.

Dann ging ich weiter, ein Stück weit an der Felswand entlang und blieb dann stehen. Das musste die Stelle sein.

Ich machte mich an den Aufstieg, Schritt für Schritt kletterte ich hinauf und platzierte meine Hände und Füße an geeigneten Felsvorsprüngen. Der Stein war kalt und rau, fühlte sich nass an unter meinen Fingern.

Es war nicht schwer für mich den Berg hinaufzuklettern, und so war ich nach wenigen Minuten schon auf der ersten Ebene des Berges. Von hier aus konnte man an einem schmalen Sims entlang der Wand auf einen Weg gelangen, der dorthin führte, wo ich hin wollte.

Ich stand auf einer schmalen natürlichen Gesteinstreppe, als ich auf mein Ziel hinunterblickte. Es war eine kleine Schlucht, von wo aus ein schmaler Bach, wie ein Wasserfall aus dem inneren des Berges hinausstürzte. Ein Felsvorsprung von wo aus, man direkt über eine Wiese bis zu der nächsten Gebirgskette sehen konnte. Für mich war hier ein Ort der Magie, ein unberührter Ort, an dem ich sein konnte wie ich wollte, ohne dass mich jemand störte.

Ich stieg vorsichtig hinab in die Schlucht, ging durch das flache Gras entlang des kleinen Baches zum Felsrand.

Ich wollte nicht mehr schwach sein, nie wieder verletzt werden. Nie wieder ausgenutzt werden von jemandem den ich liebte.

Ich nahm die Saphirkette von meinem Hals, betrachtete den glitzernden Edelstein noch einmal kurz im Licht der Sterne und im Glanz des Mondes. Dann warf ich ihn in die schwarze Nacht, hoffte, nie wieder schwach zu sein.

Ich setzte mich an den Felsrand, betrachtete die weite grüne Wiese, die aussah wie ein Meer aus wellender Schwärze. Dann blickte ich zum Horizont, wo die Berge zackig den Himmel bedrohten, und die Sterne in der Nacht, die tröstlich glitzerten.

Plötzlich lag eine Kälte in der Luft, die vorher nicht da gewesen war. Ich schauderte. Ich wusste nicht warum, aber ich hatte das Gefühl, dass ich in Gefahr war...

Entführt

Erst blickte ich weiter wie erstarrt in die leere Schwärze zu meinen Füßen. Als zu der merkwürdigen Kälte, dann auch noch immer lauter werdendes Scheppern von Metall und wieder leises flüstern zu vernehmen waren, drehte ich mich langsam um.

Ein kurzer Schreckensschrei entfuhr mir, dann verstummte ich vor Schreck. Vor mir standen Wesen, die ich vorher noch nie gesehen hatte und die aussahen, als wären sie dem nächstbesten Horrorfilm entsprungen.

Schwere, schwarze Rüstungen, aus einem Material, das so aussah, als könnte noch nicht einmal ein Pistolenschuss sie durchdringen, kamen langsam auf mich zugestapft. Doch nicht die Rüstungen selbst waren das, was mich so ängstigte und verunsicherte. Vielmehr waren es die stechend roten Augen, die wie bedrohlich glänzende Rubine in der Schwärze unter dem Visier leuchteten.

Ich spürte, wie mir jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. Ich sprang auf, und fühlte den Schwindel, der mich zu übermannen schien. Alles wirkte so unreal, ein böser Albtraum, nichts weiter. Doch, fragte ich mich, warum wachte ich dann nicht endlich auf?

Panik ergriff mich. Was war hier nur los?

„Was wollt ihr?“, schrie ich die Schreckenswesen an. Konnten sie überhaupt reden, geschweige denn mich verstehen?

„Akina, Shinju, Paiido ka perlage.“ Eine tiefe, metallische Stimme, hallte über die kleine Ebene.

Das Viech kannte meinen Namen! Oder war das nur Zufall?

Erschrocken stolperte ich zurück und konnte nur mit ansehen wie kleine Steine unter meinen Füßen hinab in die Tiefe rieselten.

Ich war in der Falle.

Was sollte ich nur tun? Was wollten die?

Sollte ich es versuchen über die Steintreppe zu flüchten? Einfach hier schnell zu verschwinden, um dann zu Hause in meinem Bett wieder aufzuwachen, aus diesem endlos langen Albtraum?

Ich hatte nur zwei Möglichkeiten, entweder eine Flucht versuchen und dabei wer weiß was riskieren, oder mich meinem Schicksal ergeben, und sehen was auch immer es für mich vorgesehen hatte.

Augen zu und durch, dachte ich mir, und spurtete los in Richtung Steintreppe. Zu verlieren hatte ich im Moment eh nichts, es war ja auch alles nur ein Traum!

Und plötzlich lag ich auf dem Boden, und spürte die kleinen Steine, die mich unsanft in Bauch, Brust und Gesicht pieksten.

Ich wollte mich umdrehen, um zu sehen, was hier passierte, aber ein stechender Schmerz durchfuhr meine rechte Schulter. Jemand oder vielmehr etwas presste mir mit stählerner Kraft den Arm auf den Rücken. Ich spürte das kalte Metall durch meine Kleidung hindurch und wusste, dass es eine der Rüstungen sein musste. Gänsehaut prickelte mir unangenehm auf der Haut. Für einen Traum fühlte sich alles ungewohnt real an!

Mein linker Arm wurde jetzt ebenfalls nach hinten gerissen. Die Metallhand schloss sich um meine beiden Handgelenk, während eine andere einen harten Strick fest darum band.

Eine andere Hand riss meinen Kopf an den Haaren nach hinten. Ich wollte aufschreien, doch ein muffiger Knebel erstickte meinen Schrei, bevor er begonnen hatte. Ein weiteres Stück Stoff legte sich über meine Augen und nahm mir meine eh schon durch Tränen schleierhafte Sicht.

Mit einem Satz wurde ich auf die Füße gerissen und in irgendeine Richtung weitergeschubst. Ich war völlig orientierungslos, und dann ging es auf einmal bergab. Immer öfter stolperte ich über Steine, oder über meine eigenen Füße. Die Panik und der Schock zerfraßen mich, wie die unerträgliche Kälte eines unerbitterlichen Winters.

Ein Schauer lief mir über den Rücken, ließ meine Gänsehaut noch unangenehmer werden und ich fing an zu zittern.

Ich hatte so eine Angst. Was zum Teufel war hier los? Und warum wachte ich nicht endlich auf?

Weiches Licht durchdrang meine Augenbinde, beruhigte und alarmierte mich zugleich. War das dasselbe Licht, das aus dem Felsspalt gedrungen war?

Ich musste wirklich im Inneren des Berges, oder eines Tunnels sein, denn ich schrammte immer öfter an einer Felswand entlang und schürfte mir die Haut an Armen und Schultern auf.

Ich hörte ein leises Murmeln aus dem Inneren des Felsens. Desto weiter wir vorstießen, desto deutlicher wurde das Geräusch und verwandelte sich in das Rauschen eines leisen Wasserfalls. Wir waren nun in einer weitläufigeren Höhle, nicht mehr in den Tunneln, was ich an dem Klang unserer Schritte erkannte, die jetzt viel ferner wiederklangen als zuvor. Ich wurde weiter vorgeschupst, spürte, dass ich auf einmal im Wasser stand, aber keine nassen Füße bekam. Dann wurde das Licht auf einmal unerträglich weiß und hell, genau in dem Moment, als ich den Wasserfall berührte und hindurchtrat. Die Lichtwelle schien mich zu überrollen, nahm mir jedes Gefühl hinfort und ließ nur eine wohlige Wärme zurück, so als würde mein ganzer Körper nur noch aus dem reinen Licht bestehen.

Genauso plötzlich wie es angefangen hatte, hörte das merkwürdige Gefühl wieder auf und ließ die taube Angst wieder meinen Körper beherrschen. Das Licht verschwand und alles war finster.

Ich stand auf einer Wiese mit kniehohem Gras, das mich sanft an den Stellen kitzelte, an denen meine Kleider zerrissen waren. Ich hörte das leise Rascheln im Wind, spürte die leichte Brise über mein Gesicht streichen.

Ich vernahm eine rasche Bewegung zu meiner rechten Seite, dann traf mich unvermittelt ein harter Schlag im Nacken und die Welt um mich herum wurde schwarz...
 

Als ich wieder aufwachte, war das Erste was ich wahrnahm die plötzliche Angst. Wo war ich? Ich lag auf pieksendem Stroh auf einem kalten Steinfußboden. Jemand hatte mir den Knebel aus dem Mund genommen, und jetzt schmeckte ich auch das Blut, nach Eisen schmeckend und warm.

Ich versuchte mich aufzusetzen, meine Hände waren aber immer noch gefesselt. Irgendwie schaffte ich es dann, dass ich endlich mit dem Rücken an der Steinwand lehnte. Mich gegen die Wand drückend, versuchte ich mich aufzustemmen, meine Beine gaben jedoch zitternd nach. Hilflos sackte ich zurück.

Stumme Tränen stiegen in meine Augen und durchnässten die Binde um meinen Kopf.

Von irgendwoher hörte ich leises Wimmern und stumme Schreie, gedämpft von dicken Steinmauern. Wie lange lag ich hier wohl schon? War das hier so etwas wie ein Verlies? Mich schauderte.

Dann hörte ich plötzlich Stimmen, ein flüsterndes Gespräch zwischen einer hellen Frauenstimme und der rauen eines Mannes. Die beiden klangen nah, ihre Stimmen kaum gedämpft.

Erst verstand ich nur leise Gesprächsfetzen ohne Sinn, dann klang die Frau plötzlich hysterisch und wurde merklich lauter:

„Ihr solltet sie nur aufs Schloss bringen und sie nicht gleich bewusstlos schlagen! Was soll sie denn jetzt von uns denken, von mir der Flammenprinzessin? Kannst du mir das erklären?!“

Reumütiges Murmeln, unverständlich für mich, war die einzige Antwort.

Eine Pause trat ein, dann fing die herrische Frau wieder an zu sprechen.

„Du hast Glück“, lachte sie „, denn mir ist soeben etwas viel besseres eingefallen! Lass sie heute Nacht über im Kerker und bring sie mir morgen in den Kronsaal. Die Angst wird sie schon hörig machen.“

Ich hörte wieder leise Schritte, dann war die Stille wieder einzig und allein von den Leidensrufen der Gepeinigten erfüllt...
 

Es war eine unendliche dunkle Stille. Nichts war zu hören, alles monoton. Ich war verloren in der Dunkelheit, gepeinigt von meinen eigenen Tränen und den quälenden Gedanken an die bedrohliche Stimme der Frau. Die Angst wird sie schon hörig machen. Ich hatte das ungute Gefühle, dass ich damit gemeint war, und das die Frau mit dieser entsetzlichen Stimme, die trotz allem wunderschön und samten war, vorhatte, mich irgendwie unter ihre Kontrolle zu bringen. Nur warum das alles? Und vielmehr, war das hier Traum, oder die groteske und für mich unwirkliche Realität? Was wollte diese Flammenprinzessin, was sie ausgerechnet von mir bekommen konnte?

Es war bestimmt schon spät, vermutete ich jedenfalls. Mein Zeitgefühl spielte hier unten vollkommen verrückt und ich wunderte mich, dass ich überhaupt noch einigermaßen klar denken konnte. Mein reales Leben, all meine Probleme mit der Schule, mit meinen Eltern, Sayuri und mit Kei, all das schien mir so fern. Unreal im Gegensatz zu dieser beängstigenden vollkommenen Schwärze, dem kalten Loch, in das man mich gesperrt hatte und dem Schmerz, der auf jedem Zentimeter meiner Haut zu prickeln schien.

Plötzlich änderte sich etwas. Erst bemerkte ich nicht was, die Ohren taub von der zerreißenden Stille. Doch dann verstärkte sich das Gefühl, meine Umgebung wurde lauter, die ewige Finsternis zerstört durch immer lauter werdende Geräusche, die mich zurück ins hier und jetzt führten. Die laute Unruhe im Gang rollte sich langsam auf mich zu.

Wiederhallendes Türenknallen, tausend hastige Schritte auf dem Stein, dann das leise Klimpern eines Schlüsselbundes. Eiliges Drehen eines Schlüssels im Türschloss, lautes Klicken eines aufgehenden Schlosses, das laute Auffliegen der Tür und Knallen gegen die Steinwand.

„Ich hab sie gefunden!“, drang eine erleichterte junge Männerstimme an mein Ohr, sanft wie die eines rettenden Engels. Hoffnung stieg in mir auf, die Panik und die Angst überwogen jedoch weiterhin, immer noch hilflos in der Dunkelheit.

Das Poltern auf dem Gang wurde lauter, hallte an den kalten Steinmauern wieder und drang in die Zelle, in der ich zerbrochen am Boden saß. Ich hörte schepperndes Metall, Schreie des Kampfes und des Todes.

Ich spürte die Anwesenheit des Jungen, als er sich neben mir niederkniete. Seine Hände berührten sanft meine Schläfe. Ich schreckte zurück.

„Du brauchst keine Angst haben“, wisperte er, als wenn er mit einem erschrockenen Tier reden würde, um es zu beruhigen. „Wir tun dir nichts, bei uns bist du in Sicherheit.“ Er band mir die Augenbinde ab, und mit verheulten Augen blickte ich ihm in sein ernstes Gesicht. Er war wirklich jung, hatte schwarze, etwas längere Haare und azurblaue Augen, dazu ein vorsichtiges Lächeln auf den Lippen. Komischerweise beruhigte mich sein Anblick, die vertraute Ansicht eines Gesichtes, das so viel menschlich war. Kein Monster, nur ein Junge, ein schüchtern lächelnder Junge, der mich aus diesem Loch befreien wollte. Mein Atem ging wieder langsamer, nicht mehr stoßweise, meine Tränen liefen weiter, aber ich entspannte mich ein Stück weit, sah ihn hoffnungsvoll an.

Zufrieden band er mir jetzt auch die Hände los, meine Handgelenke schmerzten furchtbar und waren von den scharfen Seilen aufgeschürft.

„Alles wird gut, du wirst schon sehen“, lächelte er wieder und hob mich ruckartig auf seine Arme. Ich schlang meine Arme ohne zu Überlegen um seinen Hals, als er leichtfüßig mit schnellen Schritten das dunkle Loch verließ, mit dem kleinen Strohlager und den grauenvollen kalten Steinwänden. Ich warf einen Blick zurück, betrachtete die Zelle das erste mal, und wandte den Blick ab, verbarg mein Gesicht an der Schulter des Fremden, die Dunkelheit und das Elend waren zu verletzend.

Ein Traum... Alles war nur ein böser Albtraum mit meinem persönlichen Retter.

Ich hörte die Stimmen der anderen aufgeregten Menschen. Dann die leisen Schritte eines Mannes, der auf uns zutrat. Aus dem Augenwinkel warf ich einen kurzen Blick auf ihn. Er war groß, breitschultrig und muskulös, hatte wellige, bis zum Kinn reichende braune Haare und einen Stoppelbart. Er stellte sich nahe neben meinen Erlöser, ich schloss wieder die Augen, um die Tränen zu unterdrücken.

Ich spürte die neugierigen Blicke auf mir ruhen, die vielen Fragen, die sie sich stellen mussten. Ich hatte nicht mehr die Kraft mir den Kopf zu zerbrechen, wie es hier jetzt weiterging, was die Gruppe meiner Beschützer vorhatte, was sie von mir wollten.

Ich fühlte eine sachte Berührung an meiner Schulter, dann hörte ich eine flüsternde, raue Stimme: „Wie geht es ihr?“ Es war der Mann neben uns.

„Den Umständen entsprechend, denke ich...“, antwortete mein Retter leise und ich spürte, wie er seinen Griff um mich etwas verstärkte. Er zitterte leicht.

„Wir können hier nichts mehr tun, wir haben, was wir wollten“, erhob der Mann mit der rauen Stimme sein Wort und wandte sich ein Stück weit von uns ab. „Lasst uns hier verschwinden.“

Die Truppe machte sich bereit zum Aufbruch. Der Mann nahe bei uns, der Hauptmann wie ich vermutete, trat wieder ein Stück dichter an meinen Erlöser heran. „Lass mich sie tragen, Yori“, sagte er sanft, fast zärtlich. „Deine Wunde am Bein könnte ernst sein...“

Yori schüttelte leicht den Kopf. „Ich schaff das schon Ryota, so schlimm ist es nicht.“ Sein Bein bebte immer noch leicht, als würde es jeden Moment wegknicken.

„Das war keine Bitte“, fügte Ryota jetzt schärfer hinzu „, sondern ein Befehl!“

Ein starker Arm schob sich unter meinem Rücken her, eine andere Hand löste sanft meine Umklammerung um Yoris Hals. Dann hob mich Ryota in seine muskulösen Arme, den zweiten Arm unter meinen Beinen. Ich lehnte mich an seine kalte, harte Brust. Ich fühlte mich immer noch so hilflos, so schwach.

Yori humpelte hinter uns her, als die restlichen Ritter und der Hauptmann durch die Gänge eilten. Ich wunderte mich, wie man sich hier unten in diesem Labyrinth aus himmellosem Stein zurechtfinden konnte. Das Blut tropfte warm aus der Schnittwunde an Yoris Oberschenkel, die ich erst jetzt wahrnahm. Durch das viele Blut wirkte die Wunde wahrscheinlich bedrohlicher, als sie war, der Schnitt schien nicht besonders tief. Trotzdem musste sie höllisch schmerzen.

Nach unbestimmter Zeit stiegen die Männer eine Treppe hoch, durch einen schmalen, beengenden Gang. Der beschränkte Platz machte mir Angst, ich fühlte mich wie ein Vogel in einem winzigen Käfig.

Am Ende der Treppe sah ich die ersten Toten, zwei emotionslose Leichen, blutüberströmt an der Wand hinabgesackt.

Mir wurde übel. So schnell ich konnte wandte ich den Blick ab, starrte die feinen Maschen des Kettenhemdes an.

Durch die hohen Fenster schien das erste Licht, das ich seit langem sah. Schwaches Mondlicht, das über den Stein waberte.

Es war irgendwie tröstlich zu erfahren, dass sich nichts geändert hatte. Der Mond blieb ein Mond, die Nacht blieb die Nacht. Nichts hatte sich geändert, doch für mich war alles umgekehrt. Wo war mein Leben geblieben?

Die riesige Festung schien wie ausgestorben. Von draußen drang noch ein weiteres Leuchten herein, rötlich und heiß.

Durch einen merkwürdigen Gang, der plötzlich abfiel, gelangen wir wieder hinein in die tiefen des Untergrunds. Es war wieder dunkel und es wurde wärmer, je weiter wir vordrangen.

Am Ende des endlosen Tunnels leuchtete die Nacht rot auf. Dann traten wir nach draußen. Die Hitze schlug mir entgegen. Emotionslos starrte ich von einem schmalen Felsdepot hinunter in die beißende Lava. Der Schwefel riss in meiner Lunge und brachte meine Augen weiter zum Tränen.

Das riesige, schwarze Schloss stand auf einer scharfen Felsspitze. Die Schlucht rundherum leuchtete feurigrot, von unten hörte ich das laute Brodeln des glühenden Schmelzgesteins. Die Ritter verweilten nicht lange, orientierten sich nur kurz und wandten sich dann nach links, zu einem schmalen Gesteinspass.

Vorsichtig tasteten sie sich hervor, dann fiel der Weg steil ab und die Männer konnten nur sehr langsam weiter.

Die Hitze unten wurde fast unerträglich, dann endete der Pfad an einem kleinen Podest direkt unter einem anderen, sodass wir von oben nicht sichtbar waren.

Eine kaum zehn Fuß breite Steinbrücke führte jetzt vom Steinpodest hinüber zu einem kleinen Tunneleingang im gegenüber liegenden Fels – direkt über den Lavasee herüber.

Mir stockte der Atem. Die wollten da doch jetzt nicht wirklich drübersteigen?!

Das grenzte ja schon fast an Selbstmord, wenn man auch nur einmal ausrutschte landete man sofort im sicheren Tod!

Und sie taten es doch...

Hauptmann Ryota und der schwarzhaarige Yori waren die letzten die auf die schmale Brücke traten. Ich wagte es nicht hinunter zu schauen und fixierte meinen Blick auf den schmalen Rücken Yoris.

Ich war froh, dass ich nicht selbst über diese Höllenbrücke stolpern musste, bei meiner jetzigen Verfassung wäre laufen wohl allgemein eher nicht zu empfehlen.

Es kam mir vor als stünde die Zeit still, und auf einmal waren wir drüben, in Sicherheit und feste Felsmauern umschlossen unseren Weg.

Wieder war es dunkel, ich konnte noch nicht einmal das Gesicht von Ryota sehen. Mein Zeitgefühl war immer noch nicht wiedergekehrt und so konnte ich nicht schätzen wie lang der Weg wirklich gewesen war. Mir war es auf jeden Fall unendlich lang vorgekommen. Immer wieder ging es steil bergab, tiefer in das Gestein hinein, dann wieder ein Stück nach oben und wieder nach unten.

Ich hatte längst aufgehört die Sekunden und Minuten zu zählen, die mich die Dunkelheit erneut umhüllte.

Und dann sah ich schwach schimmerndes Licht am Ende des Tunnels. Wir traten hinaus. Der Himmel hatte sich hellgrau verfärbt und am Horizont zeichneten sich schon die ersten Sonnenstrahlen ab. Dort war der Himmel tieforange, sanftes rosa und tiefes rot durchmischten sich mit dem tiefen graublau, den letzten Anzeichen der Nacht. Der Mond war nur noch als müde Silhouette zu erkennen, verblasste langsam, vertrieben von den Sonnenstrahlen. Vor uns breitete sich ein schmaler Wüstenstreifen aus, der in eine sanft im Wind wiegende Wiese überging. Hohes Gras raschelte leise und eröffnete mir die weiten Ebenen einer fremden Welt.

Ich war eine Gefangene gewesen, ein Vogel im Käfig, doch jetzt wurde mir klar, dass ich wieder frei war. Die Hand hatte das Vertrauen des Vogels erweckt, und führte ihn in die Freiheit.

Bei dem Gedanken musste ich kaum merklich lächeln. Trotzdem war ich besorgt. Ich war mir inzwischen sicher: das hier war nicht die Erde.

Ich kam mir vor wie in einem mittelalterlichen Albtraum. Ritter, Burgen, ein Kerker...

Doch wie sollte ich hier wieder rauskommen? Warum war ich hier? Fragen, deren Antworten ich wohl sobald nicht kennen lernen würde.

Yori neben uns verfiel jetzt in lautes Wolfsgeheul. Der Ruf hallte millenar über die weite Grasfläche herüber und zerriss die Dämmerungsstille.

Dann war es wieder still. Zumindest für kurze Zeit, denn schwere Hufe wälzten sich durch das Gras, erst unsichtbar und dann wurden die ersten Pferde sichtbar, zwischen ihnen weitere junge Männer. Als sie näher kamen wurde mir klar, dass es die Knechte sein mussten, die auf die Pferde ihrer Ritter aufpassen mussten, während die mich aus dem wirren Schloss retteten, warum auch immer.

Mir wurde erst bewusst, wie müde ich in Wirklichkeit war, als ich auf dem gleichmäßig schaukelnden Pferd vor Ryota im Sattel saß.

Die Schritte des Tieres waren wie ein Metronom, immer gleichmäßig hin und her... auf und ab...

Erst als die Sonne in ihrem Zenit stand, wachte ich wieder auf. Die Landschaft hatte sich nicht viel verändert, vor uns lag immer noch die weite Wiesenebene, doch inzwischen konnte man hinter uns nicht mehr die erschreckenden Silhouetten der Felsspitzen sehen, sondern das beruhigende himmelblau hinter der hügeligen Hochebene.

Ich war erstaunt, als ich bemerkte, dass es nicht die selbe Brust wie gestern Nacht war, an die ich mich jetzt schlaftrunken schmiegte.

Verschlafen legte ich meinen Kopf in den Nacken, um hoch in das Gesicht des Anderen zu gucken. Spöttisch lächelte mich Yori an. „Na? Gut geschlafen, Prinzessin?“

Ich lehnte mich ein Stück von ihm weg und sah ihn jetzt über meine Schulter hin an. „Ich denke doch, warum?“

„Du sahst nur so zufrieden aus, als du an meiner Brust geschlafen hast.“ Er grinste schief.

Ich wurde rot. „Ich war halt erschöpft“, murmelte ich und blickte finster wieder nach vorne.

Ich bereute es inzwischen, dass ich nicht versucht hatte weiter zu schlafen, denn jetzt entstand diese peinliche Stille, in der keiner etwas sagte.

„Warum bin ich überhaupt bei dir auf dem Pferd? Wo ist Ryota?“

„Hauptmänner übernehmen meistens eher andere Aufgaben. Er hatte keine Zeit aufzupassen, dass du beim Schlafen nicht vom Pferd fällst!“ Wieder grinste er spöttisch.

„Also bist du für die unannehmlichen Aufgaben zuständig“, konterte ich. Er blieb still und ich musste anfangen zu lachen.

„Kannst du reiten?“, fragte er grummelnd.

„Nein...“, musste ich bedauernd zugeben. Meine Eltern hatten mir nie erlaubt Reitstunden zu nehmen.

„Na also“, lachte er. „Also bin ich ja doch von Nöten.“

„Was soll das heißen“, fragte ich verwirrt und schaute ihn argwöhnisch über die Schulter hinweg an.

„Das soll heißen, dass ich dir das Reiten bei Gelegenheit beibringe.

Ich erwiderte nichts mehr.

Wir ritten weiter, und nach einer Weile trafen wir auf einen Flusslauf, der sich quer durch das Gras schlängelte. Er floss genau in die entgegengesetzte Richtung in die wir ritten, nach Süden, wie ich vermutete. Wir reisten also nach Norden, dorthin, wo man am Horizont schon die Berge erkennen konnte. Gekommen waren wir aus dem Osten, dort mussten die Lavaseequellen sein.

„Gleich hinter dem Hügel sind wir da, in Kentosai“, klärte mich Yori auf, unter dem Namen konnte ich mir aber beim besten Willen nichts vorstellen.

Vor uns konnte man jetzt eine schräge Hügelwand erkennen, auf der im Gras versteckt eine massive Steinmauer war. Uns gegenüber konnte ich zwischen zwei Wachtürmen ein großes Fallgitter erkennen, das gerade hochgelassen wurde.

Schatten streifte kurze Zeit über uns, als wir unter der Sternbrücke hindurchritten. Der Anblick dessen, was sich in dem Talkessel hinter den Steinmauern verbarg, ließ kurz meinen Atem stocken. Eine Stadt war am tiefsten Punkt des Kessels erbaut worden, die sich bis auf die flach steigenden Hügel in einer Treppenstruktur auftürmten. Doch am meisten beeindruckte mich die riesige Burg, die in der Mitte am tiefsten Punkt des Tales thronte und sich über die gesamte Stadt hinwegstreckte. Das verwinkelte Schloss glich einem Labyrinth aus Türmen und riesigen Fronten aus Glas und trotzdem war es so filigran gebaut, dass es im Gegensatz zu jedem anderen Bauwerk, das ich je gesehen hatte, unglaublich schön wirkte. Trotz alledem ließ mich das Gefühl nicht los im Mittelalter zu sein.

„Sprachlos“, neckte mich Yori, belustigt über meinen fassungslosen Ausdruck.

„Ein wenig“, musste ich wütend zugeben und beschloss seine nächsten Sticheleien zu ignorieren.

Die grasbewachsenen Hänge hinab, gelangen wir in die gepflegten und belebten Gassen des Ortes. Die acht Hauptstraßen zogen sich wie die Strahlen einer Sonne durch die Gebäudekomplexe, das Schloss ihr Mittelpunkt. Die Häuser waren zwar klein, wirkten aber nicht wie gewöhnliche Bauernhäuser. Sie waren aus braunem Sandstein mit flachen, roten Tondächern gebaut und wirkten mediterran. Viele der Häuser waren einstöckig, doch jene, die zwei Stockwerke besaßen, beherbergten häufig noch Läden oder Handwerkshäuser. Das überfüllte Treiben auf den Straßen erinnerte and den geschäftigen Trubel auf einem Marktplatz.

Interessiert schauten die Leute uns nach, ihre Blicke auf dem unbekannten Mädchen liegend, dass die Krieger aus dem Kerker errettet hatten. Ich hörte deutlich heraus, dass sie sich in flüsterndem Ton über mich unterhielten. Dinge wie „Das ist sie“ oder „Ihr geht es gut“ fielen, und ich wunderte mich immer mehr, was hier eigentlich los war. Betreten starrte ich zwischen die Ohren des Fuchses, auf dem wir ritten, die argwöhnischen Blicke waren mir unangenehm.

Schnell gelangten wir auf einen Hof vor dem übermächtigen Schloss. Hinter der riesigen Flügeltür hörte ich das leise Wiehern und Hufeschlagen von Pferden. Draußen liefen schon die ersten Stallburschen herum, um die Ritter willkommen zu heißen und die Pferde zu versorgen.

Yori hinter mir stieg vom Pferd und hielt es weiterhin mit der einen Hand am Zügel fest. Die andere Hand hielt er mir entgegen, ein schiefes Lächeln sein Gesicht erhellend. „Willkommen in Kentosai, Miss.“

Schicksal

Knarrend öffnete sich das gigantische Marmorportal und gemeinsam mit Ryota betrat ich das atemberaubende Schloss. Die Eingangshalle raubte mir mit ihrem blendenden Anblick den Atem. Sie bestand aus zwei Ebenen, beide aus perlmutt schimmerndem Edelstein gefertigt. Erstaunt beobachtete ich, wie sich meine Silhouette schemenhaft im Boden spiegelte. Unten eröffnete uns der Gang durch das Eingangsportal den Blick auf einen weitläufigen Saal. Je drei Türen, eine an jeder Wand, führten weiter ins Schloss hinein. Zwei leicht geschwungene Treppen aus einem Stein mit einem leichten Rosahauch führten hinauf auf die zweite Ebene. Dort erreichte man durch zwei Torbögen die weiteren Flure und Räume. Ein Kronleuchter mit tausenden kristallenen Splittern hing von der Decke, durch die hohen Fenster an der Frontseite fiel weißes Sonnenlicht. Es brach sich in den Scherben und Regenbogenschimmer brachte überall im Raum die Wände zum Glitzern. Doch was meinen Blick fesselte war etwas ganz anderes. Es war ein Wandteppich, der auf der oberen Ebene an der Wand hing. Er zeigte eine Karte von einer mir unbekannten Welt – dieser Welt.

Erschrocken starrte ich die alte Kostbarkeit an. Mit einem Räuspern ließ mich Ryota aus meinen Gedanken hochschrecken. Er wies mich an ihm zu folgen.

Wir gingen über die Treppe hinauf durch den linken Torbogen. Dann bogen wir in einen dunklen Gang mit unendlich vielen geschlossenen Türen, der endloslang schien und nur durch seltenen Kerzenschein für kurze Zeit aufflammte.

Mit der Dunkelheit kam auch wieder die Angst. Abrupt blieb ich stehen. Fragend lag Ryotas Blick auf mir.

„Ryota...?“ Zögernd legte ich mir die Worte zurecht, um all meine Fragen passend zu stellen. So viel schwirrte mir im Kopf herum, soviel Angst etwas Falsches zu machen und nie wieder in mein Leben zurückzukehren. „Wo bin ich?“

„Es ist besser, wenn es jemand anderes ist, der dir das erzählt.“

„Aber warum?“, fragte ich verstört. „Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Ich weiß nicht, wo ich bin, ich weiß nicht, was los ist und ich weiß nicht, was ich hier mache. Ich möchte Antworten...“

„Es ist mir nicht erlaubt dir diese Fragen zu beantworten, Akina.“ Er drehte sich zu mir um und lächelte mich aufmunternd an. „Aber glaub mit, du wirst schon bald Antwort erhalten.“

Damit drehte er sich um, und ich lief ihm wieder hinterher.

Der Gang machte jetzt einen Knick nach rechts und vor uns war nun ein weiterer dunkler Gang und ein Stück weiter vorne zweigte auf der linken Seite noch ein Flur ab. Wir traten in den abgezweigten Gang.

Dieser Teil des Schlosses unterschied sich von dem Restlichen. Auf der linken Seite strömte durch kleine Kristallfenster Tageslicht herein. Auf der rechten Seite waren Türrahmen aus teurem, dunklem Holz an denen geschnitzte Rosen hinaufrankten. Doch noch ein Unterschied zum restlichen Schloss war hier zu erkennen. Nirgendwo war noch viel von der Wand zu erkennen, denn überall hingen Bilder aus der namenlosen Welt, von unbekannten Gesichtern und fremden Landschaften. Die Malereinen wirkten so real, dass ich bei dem Bild einer traurigen Frau das Gefühl hatte, dass eine Träne über ihre Wange lief.

Dann, am Ende des Ganges, erreichten wir einen hellen Raum mit hohen Fenstern. Ich vermutete, dass wir in einem der zahlreichen Türme angekommen waren. Die Decke war kuppelförmig und an der Wand, die gegenüber des Eingangs war, hing das riesige Abbild eines Drachen. Er war einfach nur großartig, anmutig, edel. Er hatte einen schweren, dreieckigen Kopf und ein Maul mit riesigen Fangzähnen. Der schmale Hals ging elegant in den starken Brustkorb über, von dem sich zwei glänzende Flügel in die Luft erstreckten. Ich vermutete, dass er mit seinen krallenbestückten Pranken selbst die fürchterlichen Rüstungen hätte bezwingen können. Der Drache war fast genau so, wie ich sie mir immer vorgestellt hatte, nur die Farbe war nicht tief grün, so wie ich immer gedacht hatte. Er war purpurrot, feuerrot.

Gedankenversunken fand ich immer mehr Einzigartigkeiten in dem wunderschönen Portrait, bis mich Ryotas Stimme aus meinen Gedanken riss.

„Wir sind da“, sagte er und grinste mich aufmunternd an.

„Wir sind da?“ Resignierend hob ich meine Augenbraue.

„Das, liebe Akina, sind die geheimen Bibliotheken Kalderans.“ Und wie zum Beweis betätigte Ryota einen versteckten Schalter am Rahmen des Bildes und öffnete die hinterm Bild verborgene Tür. Dann traten wir in den geheimnisvollen Saal. Gegenüber des Eingangs war eine große Fensterwand. In der linken und rechten Ecke war je eine Treppe. Sie führten hoch auf eine zweite Ebene. Dort, und auch hier unten, waren alle freien Wände mit Bücherregalen zugestellt. Bücher über Bücher, es müssten mehr als 10.000 sein! In der Mitte des riesigen Saals saß eine kleine Gruppe um einen Tisch. Sie wirkten düster und unterhielten sich in gemäßigter Lautstärker. Das Erstaunen wurde hinweggewischt und durch erneutes Unbehagen ersetzt. Als Ryota hinter mir dann auch noch die Tür ins Schloss drückte, und sich alle Blicke auf uns richteten, steigerte das meine Panik nur noch mehr. Ryota ging selbstbewusst voran und ich folgte ihm wie ein Schatten. Mit langsamen, zögernden Schritten tapste ich hinter ihm her und für mich viel zu schnell erreichten wir dann die Menschen der tristen Versammlung. Die Sonne stand jetzt frontal zur Glaswand und erhellte den gesamten Raum mit einem warmen, beruhigenden Orange. Mein Blick ruhte schüchtern auf dem massiven, quadratischen Holztisch, erst durch die blassen Sonnenstrahlen fielen mir die eingekerbten Muster auf.

Ryota erhob jetzt wieder seine Stimme, sie hatte wieder diesen selbstbewussten Autoritätston.

„Hohe Priester, mein König...“ er nickte einem Mann mit Krone zu. „Ich bringe das Mädchen, das ihr Hüterin der Jadeperlen nennt.“

Irritiert schaute ich auf. Hüterin der Jadeperlen?

„Danke, Ryota, mein Freund. Du kannst jetzt gehen.“

„Wenn das euer Wunsch ist, Herr.“ Dann verschwand er hinter der Tür und ließ mich in meiner Hilflosigkeit alleine.

„So, junge Akina, Hüterin der Jadeperlen.“ Der König lächelte sanft. „Du wirst unsere Namen nicht kennen, deswegen werde ich dir helfen. Ich bin Daisuke, der Herrscher dieses Reiches. Zu meiner linken sitzt meine Hohepriesterin Hikari, zu meiner rechten sitzt der Hohepriester Nikko. Dann sind hier noch mein Berater Botan, mein Sohn, Prinz Daiji, und die Priester Chiyo, Naoki, Emi und Niro. Setz dich doch zu uns an den Tisch, ich glaube wir haben dir eine Menge zu erklären. Setz dich hier hin, neben Daiji.“

Sprachlos setzte ich mich auf den leeren Platz neben dem Prinzen, direkt gegenüber der Hohepriester und dem König.

„Darf ich eine Frage stellen?“, sagte ich stockend und wandte mich an den gutmütig aussehenden König. Er nickte mir aufmunternd zu und wieder stellte ich die gleiche Frage, die ich auch schon Ryota gestellt hatte. „Wo bin ich?“

„Ich sehe schon Akina, du bist ein kluges Mädchen. Es stimmt, du bist nicht mehr in der Welt, die ihr Erde nennt. Du wurdest von den Schergen der Flammenprinzessin Mizuki entführt und durch ein sogenanntes Spiegelportal hierher verschleppt, nach Kalderan.“

Mir kam es plötzlich vor, als würde sich alles um mich herum drehen.

„Heißt das“, fragte ich zitternd „dass ich wieder nach Hause kann... so wie ich hierher gekommen bin?“

Alle Blicke der Priester richteten sich schlagartig auf den alten König. Zögernd antwortete er: „Ja, es ist möglich.“

„Aber es gibt einen Haken“, schloss ich enttäuscht und lehnte mich kraftlos zurück gegen die Stuhllehne.

„Das ist es nicht“, erklärte der König. Er rieb sich die Augen, als hätte er seit Tagen nicht richtig geschlafen. „Wir wollen dich nur bitten, dass du uns zuhörst, bevor du deine Entscheidung triffst.“

Ich nickte unbeholfen, was hatte ich für eine andere Wahl.

„Unser Anliegen lässt sich am Besten mit einer alten Legende begründen“, sagte jetzt der Mann neben dem König, der hohe Priester Nikko. „Hikari?“

Sie räusperte sich kurz und fing dann etwas in einer fremden Sprach aufzusagen. Es klang wie ein Lied, als würde Hikari singen:

„Amo berutaè, omo eruta.

Omo jae coueurez, a demo eméo.

Sa amo faait y séo,

sa edo elmè to maèw si eruta.

Sa amo alldaa e’to etudaré se allèra,

sa edo to paii si zenmè y to edurve si jirai su hokadée.

Si eruta akito déo amm xuta, paét oli’t to aiko te.

Etémay, ai si kotem, si to bari tey e’t to aiko.

Atem’ai, xawe jaez coueure elmé te,

si zenmè to sera y to aiko se,

so maèwi xe mari dor,

so allère nuinnid so eruta tai eko,

so si jera so taido perlage oki,

so elmè to karade si uijage e’to aiko sa ziro –“

„- et si mika to zeta, so ikari dai eku.“ Flüsternd beendete ich die alte Legende. Es war das unheimliche Lied, dass ich tief unten aus dem Felsspalt gehört hatte, als ich durch den Wald nach Hause gegangen war.

„Du kennst sie?“, fragte Hikari mit ihrer Seidenstimme.

Ich nickte. „Ich habe es teilweise schon mal gehört, in der Nacht, als ich entführt wurde...“

Ich konnte erkennen, wie Hikari leise etwas flüsterte. Einen lautlosen Namen, Mizuki.

„Weißt du, was sie bedeutete“, fragte Nikko mich freundlich, doch ich musste verneinen.

„Nun ja... sie erzählt im weiten Sinn her von dir, der Hüterin.“

Erschrocken blickte ich ihn an.

„Ich werde sie dir übersetzten:

Eine Legende, zwei Welten.

Zwei junge Herzen, aus verschiedenen Sphären.

Das eine mutig und stark,

das andere auserwählt zu retten die Welten.

Das eine bestimmt um zu Beschützen den Erlöser,

das andere zu behüten die Prophezeiung und zu erwecken die Seele des Kristalls.

Die Welten verbunden durch ein Tor, ungewiss wo es zu finden ist.

Wacht auf die Zeichen, die zu Sehen sind um es zu finden.

Passt auf, welch junges Herz ausgewählt ist,

die Prophezeiung zu erfüllen und zu finden den,

der Retter in letzter Not,

der Erlösender Engel der Welten sein wird, der die Gabe der tausend Jadeperlen besitzt,

der auserwählt zu durchqueren die Reiche um zu finden das Achte,

um die Kräfte zu vereinen, der Drache Heil werd.“

Sprachlos wanderte mein Blick immer wieder zwischen den versammelten Gesichtern umher.

„Ja, das bist du“, bestätigte Hikari. „Die Hüterin der Jadeperlen.“

„Das kann doch gar nicht sein“, flüsterte ich tonlos. „Ich meine wie –“ Ich brach ab.

Der König ergriff wieder das Wort. „Es kann keinen Irrtum geben, Akina, du bist die Auserwählte!“

Es war zum Heulen. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass irgendwer mich in meinen persönlichen Horrorfilm gesperrt hatte. Schaurige Bilder brannten sich in mein Gedächtnis ein, Gedanken, die ich wohl niemals wieder vergessen werden würde. Ich malte mir aus, was wohl passieren würde. Ich, allein, in einer fremden Welt, machte mich auf den Weg, um irgendeiner bösen Magierin den Plan zu durchkreuzen.

Ich konnte nichts dagegen machen. Ich spürte, wie sich plötzlich alles nur noch schneller und schneller drehte, dann zu einem einzigen verwischten Bild aus Farben wurde, ich das Gleichgewicht verlor und plötzlich in die Dunkelheit tauchte.

Als ich wieder aufwachte, lag ich in einem bequemen Bett. Mein Kopf sank in dem Kissenberg ein und Sonne strahlte durch die dünnen Vorhänge des Himmelbetts auf mein Gesicht. Ich richtete mich auf und abrupt zog jemand den rosanen Vorhang zurück. Es war eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren und einem blassen und doch grazilen Gesicht, Hikari.

„Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt!“, lachte sie gespielt vorwurfsvoll. „Fällst einfach so in Ohnmacht, also wirklich!“

„Mein Kopf tut weh“, jammerte ich und ließ mich zurück auf die Kissen fallen.

Plötzlich wurde Hikaris Gesichtsausdruck wieder ernst. „Ich muss dir noch den Rest erklären.“

Ich stöhnte. „Noch mehr ungeahnte Identitäten?“

Sie grinste, doch das Lächeln verschwand schnell wieder. „Nein, nur eine Bitte.“

Aufmerksam ruhte mein Blick auf Hikari. Sie lächelte dankbar und fing an zu erzählen:

„Früher einmal, da war ganz Kalderan noch als eins vereint. Es gab keine Kämpfe und Streitereien und untereinander herrschte Einigkeit. Es gab zwar schon immer unsere sieben Reiche, doch alle unterstützten sich gegenseitig und lebten friedlich beisammen. Vor einigen Jahren jedoch beschloss Mizuki, die Herrscherin des Reiches des Vulkandrachens, dass ihr ein Reich zu regieren nicht genügte. Sie wollte die Herrschaft über die ganze Welt. Mizuki, auch unter dem Namen die Flammenprinzessin bekannt, hatte sich einst mit ihren herausragenden magischen Fähigkeiten den Thron erkämpft und genau diese wollte sie wieder dazu gebrauchen um ihr neues Ziel zu erlangen. Sie brauchte Krieger und sie erschuf sich welche, denen kein anderer lange standhalten konnte, die schwarzen Ritter. Sie war ihrem Ziel schon sehr nah, wären da nicht die Widerstandskämpfer und eben diese anderen Mächte. Sie kannte die Legende ebenso, die wir dir erzählt haben und glaubte daran, dass es noch eine dritte Macht gab, neben ihrer schwarzen Kunst und den Lichtkämpfern. Es würde jemanden geben, der ihren Plan vereiteln konnte und genau das wollte sie verhindern. Deswegen machte sie sich auf die Suche nach dir, um dich und deine Macht auf ihre Seite zu ziehen oder aber zu vernichten, solange sie noch die Gelegenheit dazu hat. Ihren ersten Plan haben wir vereitelt. Du bist in Sicherheit und wirst dich ihr entgegenstellen können. Du wirst die Reise antreten können um am Ende endlich wieder das Licht des Triumphs über Kalderan scheinen zu lassen.“

Hikari klang aufgeregt und zuversichtlich, doch die Erkenntnis dessen, warum ich hier war, hatte meine Panik nur weiter gefestigt und den Drang verstärkt endlich nach Hause zu gehen. Ich hatte erst gar nicht überlegt, der Entschluss hatte schon von Anfang an festgestanden. Ich wollte fort, um zu vergessen.

„Und was ist, wenn ich das alles gar nicht will? Nicht kann?“ Ich flüsterte und hatte meine Beine schützend an den Körper gezogen, um dann mit dem Kinn auf den Knien verweilend matt auf die Bettdecke vor mir zu starren.

„Sicher kannst du! Es ist dein Schicksal! Das alles klingt zwar jetzt noch ziemlich abwegig für dich, aber glaub mir, du schaffst das!“

Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ich will heim.“

Hikari wollte widersprechen, doch Nikko trat in den Raum. Er hatte alles mitgehört.

„Lass sie gehen, wenn sie heim will!“ sagte Nikko.

„Aber..“ fing Hikari an, doch wurde direkt von ihm unterbrochen.

„Wenn sie nicht hier bleiben will, kann sie uns auch nicht helfen und lernen schon gar nicht. Wir können dich nicht zwingen zu bleiben Akina, doch du wirst schon wissen, was du für richtig hältst.“

„Danke“, flüsterte ich tonlos und starrte weiter in die Leere.

„Hikari?“, fragte Hohepriester Nikko in die Stille hinein. „Kannst du bitte Hauptmann Ryota für mich finden?“

Wortlos stand sie auf und verließ den Raum, ihr Gesicht erfüllt von Hoffnungslosigkeit und Trauer.

Nikko trat zu mir ans Bett und setzte sich auf den Stuhl, auf dem Hikari bis eben noch gesessen hatte.

Er seufzte. „Und du bist dir wirklich sicher?“

Ich nickte gedankenverloren. Reflexartig schälte ich mich aus der Decke und stieg umständlich aus dem weichen Bett. Ich komme nach Hause, das war mein einziger Gedanke. Nichts anderes zählte jetzt noch.

In einer Ecke des Raums stand ein Paravent über dem meine Kleider, frisch gewaschen und komischerweise wieder heil, hingen. Ich zog mich schnell um und kam wieder hinter dem Raumteiler hervor.

„Nimm die hier mit“, sagte Hohepriester Nikko mit einem merkwürdigen Unterton. „Als Ausgleich für die vielen Unannehmlichkeiten.“

Er hielt mir eine Kette aus vielen kleinen Perlen bestehend und mit einem Medaillon dran hängend entgegen. Ich dachte mir nichts dabei und steckte sie in meine Hosentasche.

Ich hing meinen Gedanken nach, als es unverhofft an der Tür klopfte und Ryota ins Zimmer trat. Ich hörte gar nicht mehr richtig zu, worüber die beiden Männer genau sprachen. Ich bekam nur mit, dass Ryota mich so schnell wie möglich nach Hause eskortieren sollte.

Und so trat ich voller Erwartungen mit ihm hinaus auf den Hof, bestieg das Pferd und ritt zurück in meine Freiheit...
 

Mit düsteren Blicken saßen Hikari und Yori in dem Raum, in dem Akina eben noch in einem riesigen Himmelbett gelegen hatte. Die Tür öffnete sich und Nikko und Ryota traten hinzu.

„Warum hast du sie gehen lassen?“, fragte Hikari tonlos, starrte dabei weiter auf keinen bestimmten Punkt.

„Hätte ich sie hier festhalten sollen?“, erwiderte Nikko sarkastisch.

Wütend sprang die Hohepriesterin auf. „Wenn es unsere Welt gerettet hätte, ja!“

„Sie wird wiederkommen.“ Nikko hörte sich ruhig und gelassen an.

Hikari hingegen klang trotzig und zweifelnd. „Wie kannst du dir da so sicher sein?“

„Ihr Herz ist rein, sie wird uns alle nicht im Stich lassen. Jeder Mensch muss seine eigenen Erfahrungen machen, und Akina braucht eben erst Zeit um sich selbst mit ihrem Schicksal zu vereinbaren.“

„Das macht Sinn“, sagte Hikari und ließ sich kraftlos wieder auf ihren Stuhl sinken. „Wird sie sich an uns erinnern?“

Nikko schüttelte zögerlich den Kopf. Man konnte deutlich erkennen, dass die Stimmung aller Anwesenden noch ein Stück absank.

„Ich habe ihr einen Hinweis mitgegeben“, fügte der Hohepriester noch hinzu.

„Und was ist mit Mizuki?“ Yoris Stimme klang ernst, klare Furcht darin mitschwingend.

Ryota stellte sich vertraut hinter ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Beide schauten fragend Nikko an.

„Akina ist eine Priesterin, vielleicht sogar die stärkste aller Zeiten. Ihre Kräfte sollten schon so weit entwickelt sein, das Mizuki dumm sein müsste, wenn sie glaubt Akina jetzt noch verschleppen zu können“, erklärte er.

„Ich habe trotzdem ein schlechtes Gefühl bei der Sache“, murmelte Yori und starrte bedrückt auf den Boden.
 

Die feindsseligen Blicke des Ritters, der mich zurück nach Hause begleitete, ließen mir immer wieder aufs Neue eiskalte Schauer über den Rücken jagen.

Er führte meinen Schimmel im Schritt hinter sich her, da ich bei schnellerem Tempo vom Pferd fallen würde. So hatte ich die Gelegenheit Kalderan das erste Mal in allen Einzelheiten zu sehen. Die ganze Zeit über folgten wir einem breiten Fluss, der sich durch die hohe Grasebene schlängelte. Es dauerte etliche Stunden, die wir ritten, um am Ende endlich unser Ziel zu erreichen. Ich war etwas irritiert als wir an den Bergen stoppten, genau dort wo eine kleine Bergquelle entsprang und unter dem Gras versteckt zu genau dem Fluss wurde, dem wir den ganzen Tag gefolgt waren.

Ich stieg vom Pferd und der Ritter deutete auf den Wasserfall. Dann drehte er um und ritt davon.

Ich trat einen vorsichtigen Schritt in den Quell, hatte aber das Gefühl nicht nass zu werden.

Ich sah mich ein letztes Mal um, folgte noch dem einsamen Reiter bis er hinter einem Hügel verschwunden war, verabschiedete mich von dieser fantastischen Welt, die ich niemals kennen lernen würde und trat den letzten Schritt nach vorne. Das Wasser verschlang mich und hüllte mich in unendliches Licht, ließ mich mit ihm verschmelzen, eins werden...
 

Draußen herrschte nur Schwärze, doch am Himmel schienen die abertausend Sterne und der Mond. Sie schienen wie jede Nacht normal zu leuchten, doch nach der Dunkelheit zu urteilen schien es als hätte man das Licht der Sterne geraubt, so dunkel war es im Schloss Saitenko. Mizuki saß im Schatten einer riesigen Drachstatue auf ihrem Thron. Vor ihr schwebte ein großer Lichtball, der einzige Funken Licht den es wohl auf dem Schloss gab. Er war so groß als wäre alle Helligkeit der Welt in ihm vereint. Das Licht gab dem Gesicht der Magierin einen schaurigen Ausdruck. Schein und Schatten flackerten überall im Raum herum. Die Magierin schaute nur stumm in den Lichtball, als könnte sie etwas darin sehen, was kein anderer sehen konnte. In der Kugel flackerten Bilder umher, immer auf der Suche nach dem einen selben Gesicht.

Jäh mischte sich ein schauriges Lächeln auf das dunkle Gesicht der Flammenprinzessin. „Sie wird zurückkehren“, flüsterte sie mit ihrer samtenen und zugleich Furcht einflößenden Stimme, ihre Worte im Dunkel des Raums umherflackernd, wie die Schatten die das Licht jagten.

„Das also ist Akina“, murmelte Mizuki vor sich hin „Akina, mit der Gabe der tausend Jadeperlen. Die Kraft mag zwar noch in ihr schlummern, doch wenn sie ihre Kräfte entdeckt wird sie gefährlich für uns werden.“

Das Bild veränderte sich wieder, wurde düsterer.

„Sie wird jetzt wohl noch keine Gefahr mir gegenüber sein“, überlegte Mizuki vor sich hin. „Ich sollte wohl einfach meine schwarzen Ritter schicken. Das wäre wohl das einfachste...“

Plötzlich sprang Mizuki auf und mit einem einzigen Schlenker ihrer Hand barst die Lichtkugel auseinander und alles Licht, was in ihm versteckt war, verteilte sich im ganzen Schloss. Überall im Saal flackerten nun Kerzen in ihren Haltern an der Wand und auf dem großen Kristallleuchter an der Decke auf. Sogar die Sterne hatten ihr Licht zurück und der Mond tauchte nun die Gegend ums Schloss herum in weißes Licht. Ein schrecklicher Anblick wurde sichtbar, eine Landschaft geprägt von Lavakratern und Felsspitzen, überall bestäubt von Lavaasche. Eine große Brücke führte vom Schlosstor über den größten der Lavaseen.

Mizuki war inzwischen zu einer der jetzt vielen sichtbaren Drachenstatuen gegangen und zog an einem versteckten Hebel. Eine verborgene Tür in der Wand öffnete sich und ein schwarz gekleideter, in einen Mantel gehüllter Mann trat in den großen und jetzt hellen Saal.

„Sie haben gerufen, Mylady? Was verschafft mir die Ehre?“

„Schicken sie die mächtigste Truppe der schwarzen Ritter los. Sie sollen mir die Hüterin der Jadeperlen zurückholen!“

„Aber Mylady, werden die Ritter dies denn schaffen oder unterschätzen Sie nicht die Fähigkeiten des Mädchens?“

„Ich bin doch kein Narr, oder zweifelst du etwa meine Entscheidungen an, Roka? Ich bin die Flammenprinzessin und zukünftige Herrscherin von ganz Kalderan! Was soll so ein kleines Gör schon gegen mich ausrichten können? Bringt mir bloß das Mädchen wieder, aber lebend...“
 

Als ich aufwachte, war die ganze Welt um mich herum noch in ein monotones grau der Dämmerung getaucht. Meine ganze Haut glühte und machte es mir unmöglich noch weiter zu schlafen. Stattdessen starrte ich an die graue Decke, leeren Gedanken hinterher hängend.

Ein Loch war dort, wo eigentlich meine Erinnerungen hätten sein sollen. Mein Gehirn schaltete auf stumm.

Im nächsten Moment war es auf einmal heller im Zimmer. Die Sonne zeigte sich jetzt als glühender Ball hinter den Bäumen im Garten. Meine Zimmertür öffnete sich und

meine Mum kam herein.

„Akina, du musst aufstehen! Die Schule geht in einer halben Stunde los!“

Ich antwortete nicht, war nicht in der Lage auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

Sie kam zu mir und betrachtete argwöhnisch mein Gesicht. „Geht’s dir nicht gut?“

Ich wippte nur einmal meinen Kopf zur linken und dann wieder zur rechten Seite, danach ruhte er wieder bewegungslos auf dem Kissen.

Mum legte ihren Unterarm auf meine Stirn. „Du hast eindeutig Fieber“, schloss sie und zog ihren Arm wieder zurück. „Ich hol dir Medizin!“

Sie verschwand kurz, tauchte dann mit einer kleinen Flasche wieder auf und flößte mir ein abscheulich schmeckendes Getränk ein.

„Heute bleibst du im Bett, ja?“ Ihre Lippen berührten sanft meine Stirn. „Ich muss jetzt zur Arbeit. Wenn du mich brauchst, ruf an!“

Ich merkte gar nicht, dass sie wieder weg war, erst als ich erneut die Augen öffnete. Draußen war es jetzt komplett hell.

Die Medizin hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Ich war immer noch ein bisschen fiebrig, aber mein Verstand war jetzt klarer und ich fühlte mich im Stande meine Glieder wieder normal zu bewegen.

Nach und nach kamen auch meine genauen Erinnerungen wieder, nur über denen des gestrigen Tages schwebte immer noch ein undurchdringbarer weißer Nebel.

Im Laufe des Nachmittags krümelte ich mich mit meiner kleinen Schwester aufs Sofa und guckte Fernsehen.

Ich ging früh ins Bett, lag aber noch lange wach und hatte viel Zeit zum Überlegen.

Wenn ich mit Bedacht an die letzten Geschehnisse dachte, fühlte ich gar nicht mehr dasselbe wie vor zwei Tagen.

Kei hat mir etwas vorgespielt und mich benutzt, trotzdem war ich nicht mehr richtig sauer. Im Nachhinein wurde selbst mir klar, das aus uns nie mehr hätte werden können als gute Freunde, wir kannten uns aber einfach schon zu lange und zu gut, als das hier jetzt das Ende sein konnte.

Ich beschloss mich zu entschuldigen für meine echt peinliche Überreaktion.

Löchrig waren meine Erinnerungen immer noch, doch mein Gewissen war nicht mehr ganz so quälend. Bald schlief ich ein und sank in einen traumlosen Schlaf.
 

Am nächsten Morgen weckte mich meine Mum schon früher als sonst. Mir ging es wieder gut und Mum maß noch Fieber. Meine Temperatur war wieder runter gegangen, also durfte ich wieder in die Schule.

Unter der Dusche ertränkte ich meine letzten Zweifel, was das Thema Kei anging, föhnte dann meine Haare, schminkte mich und zog mir mein Lieblingsshirt und eine dunkle Röhrenjeans an.

Beim Frühstück schien ich schon richtig zu strahlen, denn meine Eltern grinsten mich freundlich an und allgemein wirkte der Tag viel sonniger als die Vorherigen.

Freudestrahlend trat ich nach draußen und sog die erfrischende Frühlingsluft ein. Ein jäher Schmerz zuckte durch meinen gesamten Körper, mir wurde schwindelig und ich sank kurz hinunter auf die schmale Treppenstufe vor unserem Haus.

Der Schmerz ging genauso plötzlich wie er gekommen war, hinterließ jedoch ein leuchtend rotes Bild in meinen Erinnerungen: Der sanfte Nachtwind des Frühlings.

Irritiert stand ich wieder auf und machte mich auf den Weg zur Schule. Als ich von weitem den Spielplatz erkannte, spürte ich ein eigenartiges, undefinierbares Gefühl. Mit vorsichtigen Schritten betrat ich das verlassene Grundstück und starrte hinein in den düsteren Wald.

Meine Sicht verschwamm erneut und Schwindel überkam meinen Körper, eine Welle aus Schmerz meinen Körper überrollend. Unreal bunt flammte jetzt die nächste Erinnerung vor meinem inneren Auge auf: Eine klare, stille Sternennacht auf dem leeren Spielplatz.

Meine Knie fingen an zu zittern und ich klammerte mich Halt suchend an den Stützpfeiler der Schaukel bis meine Kraft und mein Gleichgewichtssinn wieder zurückgekehrt waren.

Mein Blick fiel erneut auf den Wald. Zwischen den dichten Bäumen verlor sich das mäßige Sonnenlicht, doch ich wusste genau, dass dort, inmitten des Waldes ein kleiner Berg den Himmel berührte.

Merkwürdig anziehend wirkte der Wald auf mich. Wie in Trance betrat ich den schmalen Waldpfad und suchte mir den Weg zu den Gesteinswänden des Berges.

Nach kurzer Zeit erblickte ich das graue Geröll. Ich stellte mich nahe an die Wand und blickte hinauf zum Gipfel. Über ihm schwebte der blaue Himmel.

Ich sah mich genauer um und entdeckte einen schmalen Felsspalt.

Ich glitt zu Boden. Feuerrot erhellte sich die Schwärze in meinen Gedanken und zeigte mir dieselbe Felsspalte. Rundherum war es dunkel, nur aus dem schwarzen Nichts hinterm Fels floss ein unerklärliches Licht.

Die Flamme verschwand und ich hockte keuchend am Boden.

Was war nur mit mir los?

Ich verwarf die merkwürdigen Ereignisse angesichts dessen, dass es schon kurz vor acht war und die Schule in wenigen Minuten begann.

Eine Stimme in meinem Innern sagte mir, ich solle mir einen Weg durch die schmale Felsspalte suchen, um die Dinge zu entdecken, die sich dort noch befanden. Doch eine andere Stimme sagte mir, ich solle einfach nur alles vergessen, mich umdrehen und nie wieder darauf horchen, was diese andere, dumme Stimme im Inneren meines Herzens hauchte. Gefahr, rief es in meinem Inneren!

Ich schreckte auf, drehte mich um, und rannte zur Schule.
 

Es tat Kei genauso Leid wie mir. In der Pause hatte ich ihn gesucht, um mich bei ihm zu Entschuldigen.

Beide mit roten Wangen, starrten wir auf den Boden zwischen unseren Füßen und wagten es nicht etwas zu sagen.

Ich fasste all meinen Mut zusammen und brach das Schweigen. „Es tut mir Leid! Ich habe total überreagiert, obwohl es eigentlich kaum Grund dazugab! Ich –“

Er unterbrach mich. „Du entschuldigst dich bei mir? Du hast doch allemal Grund auf mich sauer zu sein! Ich sollte mich entschuldigen! Es tut mir alles so Leid, ich wollte dich niemals verletzten. Das war alles ein riesengroßer Fehler!“

Ich nickte. „Ich weiß, wir passen einfach zu sehr zueinander, da kann ja in einer Beziehung nur alles schief gehen“, lachte ich. „Wie sagt man noch? Gegensätze ziehen sich an! Wir sind zu gleich, das passt nicht!“

„Und Freunde?“, fragte Kei hoffnungsvoll.

„Allerbeste Freunde“, lachte ich und fiel ihm um den Hals.
 

Heute konnte mich so leicht nichts mehr aus der Ruhe bringen. Ich war so glücklich wie lange nicht mehr, zwar wieder Single, dafür aber mit bestem Freund. Und Freundschaften halten ja schließlich ewig, Romanzen nicht.

Bei dem Gedanken musste ich Lächeln.

Nach dem Cheerleadertraining bummelte ich gerade gemütlich nach Hause. Mir kam es so vor, als würde gerade meine persönliche Sonne auf mein Leben scheinen, so glücklich war ich. Alles war wieder, wie es sein sollte.

In meiner Straße angekommen, kramte ich schon mal nach meinem Schlüssel. In meinen Taschen hatte sich allerlei Zeugs angesammelt, da war es schwer den richtigen Gegenstand zu finden. Statt meinem Schlüssel, umfasste ich jedoch einen ovalen, metallischen Gegenstand. Verwunderte zog ich ihn heraus und betrachtete ein kleines silbriges Medaillon mit wunderschönen Verzierungen auf dem Deckel, das an einer Perlenkette hing.

Ich hatte keine Ahnung woher sie kam. Das einzige woran ich mich erinnern konnte war ein verschwommenes Bild.

Ich würde sie später anschauen, beschloss ich und zog im Nachhinein doch noch den richtigen Gegenstand aus meiner Hosentasche.

Zu Hause verkrümelte ich mich mit einer Schüssel Cornflakes in meinem Zimmer.

Ich zog die Kette mit dem Anhänger wieder hervor und betrachtete sie genauer. Die Perlen waren winzig klein, aber schimmerten in einem leuchtenden Perlmuttrot. Das Medaillon war schlicht gearbeitet, war aber eindeutig nicht aus Silber. Blasse Ornamente rankten auf dem Deckel um einen Schriftzug herum, der aussah wie altertümliche Kalligrafie aus einem fremden, weit entfernten Ort.

Mein Herz klopfte unkontrolliert, ohne irgendeinen wirklichen Grund. Das war ein altes Schmuckstück, kein Grund zur Aufregung, warum also klopfte meine Herz so laut?

Ich öffnete das Medaillon mit zittrigen Fingern.

Feuriges rot flammte in meinem Gedächtnis auf. Wie ein Blitz durchzuckten mich die neu gefundenen Erinnerungen. Wie ein blutroter Film spielte sich alles Vergessene noch mal für mich ab.

Mir stockte der Atem. Das war passiert! Ich war entführt worden von den schwarzen Mannen Mizukis, der Flammenprinzessin in der Welt Kalderan! Ungläubig ging ich die Erinnerungen noch einmal durch. Man hatte mich gerettet, ein strahlender Engel aus einer fremden Sphäre. Danach hatte sich mir mein Schicksal gezeigt. Ich sollte zur auserwählten Heldin werden und Kalderan vor einer Herrschaft unter der despotischen Mizuki retten. Ich sollte die Drachen finden in einer fantastischen, unbekannten Welt.

Oder war letztendlich alles nur ein Traum?

Unbeschreibliche Kopfschmerzen zerrissen jeden weiteren Gedanken.

Ich drückte mein Gesicht ins Kissen und versuchte den Schmerz zu vergessen.

Mit der Zeit wurde es tiefe Nacht und mit den Sternen verwandelte sich der Schmerz in quälende Gedanken.

Ich musste es herausfinden! Was war hier los?

Antworten konnte mir keiner bieten, nur ich selbst. Kurzerhand sprang ich aus dem Bett, zog mir wärmere Sachen an und packte mir die wichtigsten Sachen zusammen, darunter auch ein Bild meiner Familie.

Wenn das ganze wirklich wahr war, wollte ich helfen. Ich konnte nicht eine ganze Welt im Stich lassen, wenn ich der vermeintlich einzige Mensch war, der ihnen helfen konnte, egal was es kostet.

Ich schlich über die Wendeltreppe hinaus und schlüpfte durch die quietschende Gartentür.

Von der Neugier getrieben, rannte ich durch die Straßen. Der Wald lag wie ein bedrohlicher, nachtschwarzer Schatten hinter dem Spielplatz. Die Drehscheibe und die Schaukeln knarrten bedrohlich im Wind.

Ich lief so schnell ich konnte weiter, schlüpfte unter niedrigen Ästen her und lief geradewegs auf den Berg zu.

Schon von weitem vernahm ich einen schwachen, schemenhaften Lichtschimmer zwischen den Baumstämmen. Er drang aus der mysteriösen Felsspalte. Ich quetschte mich hindurch, schürfte in meiner Hast mit meiner Haut an den Felswänden entlang und stieß mir einmal fast den Kopf an einem tief hängenden Stalaktit.

Das Leuchten wurde heller, je weiter ich in den Berg vordrang. Ein leises Rauschen hallte leise von den Wänden wider.

Dann eröffnete sich der Tunnel in eine weitreichende Höhle. Der Schimmer war wie nichts, was ich jemals gesehen hatte.

Meine Blicke wurden sogleich von dem strahlenden Wasserfall gefangen. Alles um mich herum glühte in den schönsten Farben, doch nur das glitzernde Wasser der Bergquelle war so unbeschreiblich, dass ich meinen Blick nicht mehr abwenden konnte.

Ich trat heran, setzte meine Füße in das sanft plätschernde Wasser und mich überkam das sanfte Gefühl eines gelösten Geheimnisses. Der Wasserfall war Hinweis genug. Wenn so etwas existieren konnte, musste es auch eine Welt wie Kalderan geben.

Plötzlich stellten sich mir die Nackenhaare auf. Ich fühlte Blicke in meinem Rücken.

„Akina, Shinju, Paiido ka perlage“, flüsterte es hinter mir.

Schwarze Ritter

Kentosai lag friedlich dar, als würde die Hauptstadt des Reiches des Flussdrachens im schwachen Schein des Mondes schlafen. Die Sterne sangen leise ihr Wiegenlied, während das Gras sachte im Wind tanzte.

In dieser einsamen Stille, preschte ein braunes Pferd durch die Nacht, trug seinen mysteriösen Reiter hinaus durchs Stadttor über die weite Steppenwiese des Morgenrottals...
 

Wie eine steife Puppe drehte ich mich langsam um und starrte geradewegs in blutrote Augen. Die schwarzen Ritter standen zu Dutzenden in der Höhle, die Schwerter erhoben in meine Richtung zeigend.

Ich wartete nicht lange, ich musste hier weg! Kurzerhand sprang ich in den Wasserfall. Das plötzliche Licht durchströmte mich. Mir kam es vor, als würde ich in einem Fluss aus reinem Sonnenschein schwimmen, doch es war trotzdem ganz anders. Ich hatte das Gefühl ich war Teil des Lichts, zerfloss mit ihm und wir wurden eins.

Dann hatte ich auf einmal das Gefühl wie ein Stern vom Himmel zu fallen. Immer noch war um mich herum alles hell, bis ich auf einmal in ein sanft plätscherndes Gewässer trat und auf die unglaubliche weite Nacht hinaussah. Kalderan war immer noch so unglaublich schön wie ich es in Erinnerung hatte. Vor mir die weite Wiese, an dessen Ende man ein Tal mit himmelhohen Bäumen sehen konnte und hinter mir die ruhigen Berge aus dessen Quell der kleine, kristallene Wasserfall entsprang, der in den fast stillstehenden Bergsee floss und sich als schmaler Fluss durch das kniehohe Gras schlängelte.

Hier wirkte alles so friedlich, als würde die ganze Welt schlafen, doch ich wusste, dass diese Ruhe nicht lange anhalten würde.

Ich brauchte ein Versteck, oder jemanden der mir half, mich rettete.

Es war Wahnsinn zu glauben ich könnte ihnen entkommen, doch ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich alles doch noch zum Guten wenden konnte.

Ich rannte den Hügel hinunter, in die Richtung in der ich Kentosai vermutete.

Doch die schwarzen Ritter waren schneller. In sekundenschnelle hatten sie mich wie aus dem Nichts eingeholt und kreisten mich weitläufig ein, die Schwerter immer noch drohend erhoben.

„Lasst mich in Ruhe!“, schrie ich die unheimlichen Lakaien Mizukis haltlos an. Ich versuchte mich an ihnen vorbeizudrängen, hoffte, dass sie vielleicht doch nicht so schnell reagieren würden.

Doch ehe ich es mir versah, wurde ich zurück in die Mitte geschubst und knallte mir dem Kopf auf den Boden.

Mühsam stemmte ich mich auf, musste tatenlos mit ansehen, wie sich der Kreis um mich herum immer weiter schloss, während die schwarzen Ritter immer wieder denselben Satz murmelten. „Akina, Shinju, Paiido ka perlage.“

Plötzlich waren sie still, nur noch einer trat ein stück näher an mich heran und erhob düstern seine Stimme, die im Echo seiner selbst widerhallte. „Akina doki mayola Mizuki.“

„Ich verstehe euch nicht!“, jammerte ich mit schriller Stimme und betrachtete verzweifelt die Situation.

Ich stand wieder auf und schrie den Ritter an, der jetzt mit mir im Kreis stand und eine Lücke in den Reihen hinterlassen hatte. „Haut ab! Ich weiß nicht, was ihr von mir wollt, aber jetzt lasst mich verdammt noch mal allein!“

Grob packte der schwarze Ritter meinen Arm und zog mich mit eiserner Kraft mit sich weg.

Ich stemmte mich gegen ihn, doch er stapfte ungehindert weiter. „Ich komme nicht mit, lass mich los!“ Mein Schrei war panisch und erfüllt von dem Schmerz in meinem Arm. Angestrengt schloss ich meine Augen und merkte wie mir die Tränen hochschossen.

Mit ungebremster Kraft zog er mich immer weiter und es fühlte sich fast so an, als würde er meinen Arm abreißen.

Plötzlich wurde ich von einem elektrischen Schlag durchzuckt.

Der Griff der schwarzen Rüstung ließ abrupt nach und ich fiel wieder mit dem ganzen Körper in das weiche Gras zurück.

Sofort war ich wieder auf den Füßen und entfernte mich soweit von den Lakaien Mizukis wie ich konnte. „Haut ab!“ Meine Schreie waren nur noch ein Zittern.

Völlig entkräftet sank ich zurück auf den Boden. Ich legte mein Gesicht in die Handflächen, um die Tränen zu unterdrücken, um nicht sehen zu müssen, und so tun zu können, als gäbe es noch Hoffnung.

Ich rechnete schon jeden Moment damit, dass mich Mizukis Vasallen wieder packen würden und wegschleppen würden, doch was ich hörte, waren nicht die schleppenden Schritte des schwarzmagischen Ritters.

Es waren die weichen Schritte eines galoppierenden Pferdes!

Mein Blick schnellte nach oben.

Da kam irgendwer!

Ich stieß mich aus der Hocke nach oben und stand wieder aufrecht.

Dann schrie ich so laut wie ich konnte immer wieder um Hilfe.

Das Pferdegetrappel kam näher.

Der schwarze Ritter kam wieder mit schwerfälligen Schritten auf mich zugestakst. Ich versuchte erneut mich an ihm vorbei durch die offene Lücke im Kreis zu drängen, doch abermals landete ich im Gras.

Jetzt konnte ich auch endlich den Reiter sehen, nicht mehr nur Einbildung! Er preschte den Hügel hinunter und erkämpfte sich mit seinem Schwert den Weg zwischen den Rittern.

Dann attackierte der Mann im langen Umhang die Rüstung vor mir und parierte den Arm, der mich wieder mit sich mitreißen wollte.

„So behandelt man aber wirklich keine Lady!“, rief er kampflustig und schlug dem schwarzmagischen Wesen den Helm von der Rüstung. Seine Stimme kam mir eigenartig bekannt vor.

Er wandte mir jetzt sein Gesicht zu, ein schiefes Grinsen auf den Lippen „Ich wusste, dass du meine Hilfe brauchst...“
 

Der Hofplatz von Kentosai wurde durch die Lichtsprenkel von fünf kleinen Laternen erhellt. Eine kleine Gruppe bemannter Pferde versammelte sich dort. Der Hauptmann der Garde, Ryota, saß auf seinem Rappen und schaute ungeduldig hinauf zum Schlossportal.

„Glaubt Ihr wirklich, dass er noch kommt, Hauptmann?“, fragte einer der Ritter, der Ryota am Nächsten war.

„Yori hat noch nie eine seiner Nachtwachen ausgelassen!“, antwortete er barsch. Etwas leiser, nur für sich, fügte er noch etwas hinzu. „Er will mir irgendetwas dadurch sagen...“

Ein weiterer Reiter mit einer Laterne in der Hand, näherte sich der Gruppe. Er wirkte wie ein Irrlicht im Dunkeln der Nacht.

„Hauptmann, eine Nachricht für euch!“, rief er schon von weitem.

„Fahr fort“, erwiderte Ryota trocken, als der Bote bei ihm angekommen war.

„Zwei der Nachtwachen haben ihren Kendo gesehen, wie er heraus ritt, aber nicht zurückkam. Sein Pferd ist auch nicht im Stall!“

„Dann muss wirklich etwas passiert sein... Sorge bereitet mir nur, dass wir davon nichts wussten...“

Ryota löste sich von der Truppe und wandte sich ihnen zu. „Ihr fünf kommt mit mir, und der Rest, gebt auf dem Schloss Bescheid und mobilisiert die restlichen Ritter. Wir machen uns schon auf den Weg und suchen nach Yori. Ihr kommt später nach. Wenn ihr was herausgefunden habt, gebt uns mit dem Horn Bescheid. Und du-“, Ryota wandte sich dem Boten zu. „Sag den Nachtwachen Bescheid, dass wir sie ablösen sobald wir können. Zuerst müssen wir aber dem Verdacht nachgehen, dass wir durch irgendetwas bedroht werden...“
 

Voller Verwirrung starrte ich in das mir bekannte Gesicht des Reiters, azurblaue Augen hinter einem Schleier aus schwarzem Haar.

„Yori?“, hauchte ich zweifelnd und suchte Bestätigung in dem festen Blick meines Gegenübers. Er gab mir keine Antwort und schaute sich nur die Situation überblickend um. „Was machst du hier? Woher wusstest du –“ Ich stoppte.

Yori stieg jetzt von seinem Pferd und stellte sich mit gezogenem Schwert neben mich.

„Was –“, fing ich wieder an, wurde jedoch unterbrochen.

„Sie sind in der Überzahl und haben uns umzingelt. Was schlägst du vor, große Hüterin, sollen wir jetzt machen?“ Ein ironisches Lächeln machte die gesamte Dankbarkeit, die ich in diesem Moment für ihn empfunden hatte, wieder zunichte. Wütend starrte ich ihn an.

„Woher soll ich das denn bitte wissen? Wenn ich dich daran erinnern darf, war ich diejenige, die bis grad eben auf die Rettung von dir gehofft hatte!“

„Schon klar“, winkte er ab und fing an die Gegner zu zählen.

„Und?“, fragte ich. „Was schlägst du vor?“, zischte ich und musste dabei zusehen wie der Kreis um uns herum immer enger wurde.

„Kämpfen und wieder warten, bis jemand kommt“, schlug Yori knapp vor und schenkte dann seine Aufmerksamkeit wieder den Gegnern.

Entsetzt stellte ich mich direkt vor ihn und zwang ihn so mich wieder anzusehen. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass irgendwer sich auch nur in diese Einöde verirrt!“ Ich gestikulierte wild herum und hatte einen hysterischen Tonfall. „Du kannst dich doch jetzt nicht wirklich darauf verlassen, das irgendwann irgendwer kommt!“

„Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu warten!“ Genervt schob er mich wieder hinter sich, sodass Yori jetzt vor mir und das Pferd hinter mir stand.

Sprachlos starrte ich ihn an.

„Außerdem wird irgendjemand kommen, ich habe Ryota ein eindeutiges Zeichen gegeben!“ Yori lächelte selbstsicher, auch wenn ich mir immer noch nicht sicher war, was jetzt passieren würde.

„Gut“, erwiderte ich nur knapp.

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um über Yoris Schulter hinwegschauen zu können, macht es mir aber schwer daran, überhaupt erst mal darüber hinweg zu schielen, weil Yori einen knappen Kopf größer war als ich.

Und dann hörte ich es: Das erste Klirren des schweren Metalls, das Schlagen eines Schwertes gegen eine schwarze Rüstung.

Ich zuckte zusammen und hatte Mühe dabei mir nicht die Ohren zuzuhalten, um die Geräusche des Kampfes nicht zu hören.

Ununterbrochen parierte Yori Schläge oder teilte welche aus.

Dann durchbrach der panische Schrei des Pferdes den Donner aus Metall.

Alles ging auf einmal furchtbar schnell.

Ich hielt mir die Ohren zu und schaute panisch umher.

Dann bemerkte ich, wie das Pferd hinter mir weggaloppierte und mein Rücken plötzlich ungeschützt blieb. In Panik hetzte der Fuchs umher, stürzte sich dann quer durch die Reihen des Zirkels, brachte zwei Schwarzritter zum Fall und galoppierte in seiner Hast den Hang hinauf. Yori drehte sich erschrocken um und schrie aufgebracht seinem flüchtenden Pferd hinterher. „Jarik, komm gefälligst sofort zurück!“

Und dann passierte es. Ich hätte es sehen müssen, doch ich war wie gelähmt durch die Aufruhe um mich herum.

Yori hatte seine Verteidigung vernachlässigt. Ungehalten raste ein Schwerthieb auf ihn hinab und schnitt in seine Flanke. Vor Schmerz schrie er auf, drehte sich herum und wich so dem Schlag aus, der drohte sich in seine Brust zu bohren. Schmerzerfüllt parierte er ihn, schlug zurück und wich dann mit mir einen Schritt zurück, doch auch von dort drohten die schwarzen Ritter mit ihren Schwertern.

„Es ist noch nicht vorbei“, flüsterte mir Yori beruhigend zu, als er bemerkte, dass mein Atem anfing unregelmäßiger zu werden.

Ich brachte kein Wort heraus, für mich war der Kampf schon fast verloren.

„Vertrau mir“, zischte er leise, doch ich hörte ihm überhaupt nicht mehr zu. Ich klammerte mich nur an seinen Arm, den er schützend vor mir hielt und schloss die Augen, lauschte auf die stetigen Schritte des Todes.

Ich hörte, wie Metall die Luft zerschnitt, mehrere Schwerter auf uns herunterrasten. Schwindel überkam mich. Vor Schreck riss ich die Augen auf, doch das einzige, was ich sah war weißes Licht, sonst nichts. Dann brach ich zusammen, weggetragen von weißen Wellen eines Meeres aus purem Licht...
 

Ich wachte auf, und dachte ich sei immer noch im Lichtmeer gestrandet. Nach wenigen Augenaufschlägen verwandelte sich das weiße Nichts in reines Sonnenlicht, das durch die sanften Vorhänge meines Bettes drang und meine Nase kitzelte. Ich lag wieder in dem Zimmer, wie beim letzten Mal, als mein Bewusstsein meinen Körper verlassen hatte.

Ich setzte mich auf, doch diesmal war keiner da, der auf mein Erwachen wartete.

Ich schob den seidigen Vorhang beiseite und stieg aus dem Bett. Ich hatte ein weißes Nachthemd an. Auf einem Stuhl neben einer Kommode lag ein schneeweißes Kleid.

Ich hielt es hoch und betrachtete es genau. Dabei fiel ein kleines Stück Pergament auf den Boden. Ich legte das Kleid wieder weg und nahm den Zettel, auf dem in einer geschwungenen Schrift eine kurze Nachricht stand.

„Akina, wenn du aufwachst komm bitte in die geheimen Bibliotheken. Ich denke wir haben uns etwas zu sagen – Hikari“

Den Zettel legte ich auf die Kommode und schaute mir das Kleid noch einmal an. Schneeweißer Stoff wurde am Rücken mit einer roten Korsagenbindung zusammengehalten, die in einer großen Schleife über dem Hintern endete. Unter dem flatterigen Stoff bildeten mehrere Schichten weißen Tills einen breiten Unterrock. Die Ärmel waren kurz und passend zu dem Kleid standen noch einfache schwarze Stiefel neben dem Stuhl.

Hastig zog ich das Kleid an, schlüpfte in die Schuhe und kämmte mir im nebenstehenden Badezimmer die Haare.

Dann schlüpfte ich durch den schmalen Türspalt und ging leise den Flur entlang. Ich wusste noch so ungefähr den Weg von dem mir bekannten Zimmer bis zur Eingangshalle. Von dort aus müsste es eigentlich ziemlich einfach sein die geheime Bibliothek zu finden.

Es gestaltete sich jedoch schon sehr schwierig überhaupt die Halle zu erreichen und so stolperte ich nach einer gefühlten viertel Stunde endlich ins helle Sonnenlicht vor dem riesigen Wandteppich.

Die Eingangshalle kam mir jetzt noch viel größer vor als beim ersten Mal. Alleine stand ich am Ende der Treppe und fühlte mich verloren.

Ich atmete einmal tief durch und ordnete meine Gedanken. In meinem Kopf war immer noch alles wirr und durcheinander.

Von der Eingangshalle war es leicht den Licht durchfluteten Turm zu finden, der Weg dorthin hatte sich wie all die anderen Erinnerungen an Kalderan in mein Gehirn gebrannt.

Das Bild des Drachens war noch genauso atemberaubend, wie in meiner Erinnerung. Vorsichtig tastete ich hinter dem Rahmen nach dem versteckten Schalter. Ein kleiner, runder Knopf erhob sich von der Sandsteinwand. Das Bild löste sich an einer Seite aus der Befestigung, als ich den Schalter betätigte.

Nichts hatte sich verändert. Immer noch stapelten sich die abertausend Bücher bis zur Decke und trotzdem hatte man nicht das Gefühl von ihnen erschlagen zu werden. Die geheime Bibliothek der Priester schien wie ein Ort der Ruhe und unendlicher Weisheit, unberührt und zugleich allmächtig. Noch nie hatte ich eine so dermaßen umfassende Ansammlung von Wissen gesehen!

Die Bücher ruhten wie jeher in ihren Regalen und in der Mitte der riesigen Kathedrale stand die uralte Tafel im Sonnenlicht.

An einem der hinteren Regale stand eine Frau mit langen schwarzen Haaren und suchte anscheinend etwas.

Die Tür hinter mir ging zu und ich ging auf leisen Sohlen zu der Person herüber. Als ich näher kam, erkannte ich Hikari und beschleunigte meinen Schritt.

„Guten Morgen“, rief ich schon zehn Schritte vor ihr. Hikari schreckte hoch, bemerkte mich dann aber und beruhigte sich wieder.

„Eigentlich ist es ja schon Nachmittag“, lachte sie und drehte sich zu mir um.

„Ist es echt schon so spät?“, verwirrt schaute ich nach draußen und sah wie die Sonne schon Richtung Nordwesten wanderte.

Hikari nickte. „Komm, setzen wir uns da rüber.“

Wir gingen zu dem Tisch und setzten uns auf die weichen Polsterstühle. Ich folgte dem Lauf der Schnitzereien auf dem Tisch, bis sich Hikari räusperte und ich ihr meine Aufmerksamkeit schenkte.

„Ich denke wir sollten reden“, sagte sie und ihr besorgter Blick ruhte auf meinen müden Zügen. „Wie geht es dir?“

Verwirrt antwortete ich auf die Frage. „Eigentlich ganz gut, ich hab nur im ganzen Körper so ein komisches Gefühl... Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Wie ein Kribbeln oder Kitzeln, aber doch irgendwie anders. Weniger nervig!“

„Das klingt nach nichts ernstem“, meinte Hikari erleichtert und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.

Resignierend hob ich meine Augenbraue und leichte Panik machte sich in mir breit. „Was ist geschehen, ich kann mich nicht mehr erinnern... Ist etwas Schlimmes passiert?“

„Es hätte etwas geschehen können, aber außer deinem Zusammenbruch und Yoris Verletzung ist nichts passiert.“

„Verletzung? Zusammenbruch? Was bitte ist denn vorgefallen, Hikari?“ Ungeduldig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her.

„Alles kann ich dir nicht sagen, aber was ich weiß ist, dass der Hauptmann und seine Garde dich und Yori gefunden haben und der Kampf zu der Zeit schon vorbei war. Die Angreifer, viele der schwarzen Ritter Mizukis, lagen entzaubert am Boden und hatten ihre Kraft verloren. Yori war noch bei Bewusstsein, war aber ganz schön verwirrt über den Ausgang der Situation und deine plötzliche Ohnmacht. Das was da passiert ist, das war eine Freisetzung deiner kompletten Macht. Deswegen konntest du auch alle schwarzen Ritter auf einmal ihrer Kraft berauben und bist selbst kraftlos zusammengesunken. Seitdem sind zwei Nächte und fast zwei Tage vergangen.“

„Ich ... war das?“, stammelte ich und konnte den ganzen Ablauf der Geschichte nicht verstehen.

„Ja, das warst du!“ Hikari klang nachdenklich, weit weg, in Gedanken versunken.

„Und was passiert jetzt?“, fragte ich leise.

„Das kommt ganz auf deine Entscheidung an...“

„Ich bleibe“, murmelte ich.

„Dann wird dir jemand deine Aufgabe erklären und dir beibringen, was du wissen musst. Man wird dir zeigen, wie du deine Kräfte richtig einsetzt um so etwas wie vor 2 Tagen zu verhindern.“ Sie schwieg kurz und fügte dann doch noch etwas hinzu. „Du bist dem Tod nur knapp entkommen... Es ist gefährlich seine ganze Macht auf einmal freizusetzen und deswegen ist es auch so wichtig, dass du die Kontrolle lernst!“

Ich war sprachlos. Ich hätte tot sein können! „Und was passiert zu Hause? Steht die Zeit still?“

„Die Zeit läuft weiter, aber lass es mich so erklären. Du bist ein Teil deiner Welt und unsere Welt existiert als Spiegel der eurer in einem anderen Universum. Durch so genannte Spiegelportale sind die Sphären verbunden. Du bist also als Teil deiner Welt in unsere gekommen und die Zeit dort läuft noch weiter, obwohl du hier bist. In deiner Welt ist es so, als wärst du immer noch dort, und wenn du zurückkehrst wird es so sein, als wärst du die ganze Zeit über dort gewesen. Am Anfang wird dir das Erinnern an diese Zeit noch schwer fallen, doch nach und nach werden die ausgelöschten Erinnerungen an unsere Welt durch die Trugerinnerungen dessen ersetzt, was hätte sein sollen.“

„Kann ich die Erinnerungen an Kalderan denn nicht behalten? In meiner Welt konnte ich mich auch an euch erinnern, ich wusste noch von all dem hier!“

„Du hast dich erinnert, weil die Erinnerungen nicht sofort ausgelöscht werden. Sie verschwinden irgendwo in deinem Innern, können durch Schlüssel aber wieder gefunden werden. Nikko gab dir den Schlüssel zu deinen Erinnerungen mit.“

„Das Amulett“, flüsterte ich und umschloss es mit meiner Hand.

„Wer das Medaillon öffnet sieht genau das, was er wünscht zu sehen, solange es der Wahrheit entspricht. Was hast du gesehen?“

„Ich habe mir gewünscht, einen Hinweis darauf zu finden, warum ich immer wieder diese Visionen hatte. An Orten, die ich mit jener Nacht verband, sah ich Bilder. Darauf wollte ich Antwort. Das Amulett zeigte mir vieles. Die verschiedensten Orte Kalderans flitterten vor meinem Auge umher und zum Schluss blieben sie bei der weiten Grasebene stehen. Ich hatte das Gefühl wieder zurückgekehrt zu sein. Plötzlich war mir alles ganz klar, ich wusste genau was ich wollte, was ich tun musste. Und jetzt bin ich hier...“

„Du hast im Dunkeln deines Herzens nach Antworten und dem Verlorenen gesucht, und deine Erinnerungen gefunden...“

Nachdenklich starrte Hikari auf den Boden, dann wanderte ihr Blick wieder zu mir, ein sanftes, liebevolles Lächeln auf ihren Lippen. „Es war richtig, wie du dich entschieden hast. Am Anfang, als du dich dafür entschieden hast in deine Welt zurückzukehren, habe ich daran gezweifelt, dass du zurückkehren und uns retten würdest. Wir haben es dir damals nicht gesagt, da wir dir keine Angst machen wollten. Wir wollten dich nicht zwingen irgendetwas zu tun, was du nicht willst. Nicht jeder kann ein Held sein. Wenn Kalderan untergeht, wächst auch die dunkele Macht auf der Erde. Was auch immer Mizuki mir Kalderan anstellt, solange es mit der schwarzen Magie passiert, wird es eurer wie auch unserer Welt geschehen. Ich weiß nicht genau, was passieren würde, aber es würde etwas passieren, da bin ich mir sicher. Ich habe damals wirklich an dir gezweifelt, aber jetzt ist mir klar, dass es Teil deines Weges war dich aus freien Stücken für uns zu entscheiden. Es brauchte Zeit, dass du dich mit deinem Schicksal vereinbarst.“

„Danke“, verlegen lächelte ich.

„Ich muss dir noch etwas sagen, noch eine Entscheidung die du treffen musst.“ Sie machte eine kurze Pause, erwartungsvoll schaute ich sie an, dann redete sie weiter. „Wir wollen dich nicht dazu zwingen für eine der zwei Mächte Partei zu ergreifen. Wir wollen dich weder dazu drängen, dass du dich Mizuki anschließt, noch dass du dich der Macht des Licht unterwirfst. Sag nur, was denkst du von unserem Krieg?“

Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet, genauso wenig, wie ich erwartet hatte, dass man mir die Wahl dazu ließ, wem ich mich anschließen wollte. Ich überlegte ewig lange, wie es mir vorkam. „Ich weiß nicht genau, was ich davon halten soll. Ich weiß nur, dass es hierbei um Macht geht, die Macht darum, wer das Schicksal der Welten in den Händen hält. Ich halte es nicht für richtig, die Macht allein an sich zu reißen, wenn die Welt schon gerecht regiert wird. Dennoch halte ich es auch für falsch vorschnell über Mizuki zu richten, wo ich überhaupt nicht weiß worum es ihr geht. Ich weiß nur, dass ihr Weg falsch ist. Man sollte nicht Zerstören, um etwas zu bewirken oder zu verbessern. Deswegen will ich vorerst unparteiisch bleiben. Ich will hier lernen und euch unterstützen. Solange, bis ich genau weiß, was die Flammenprinzessin vorhat, werde ich an eurer Seite bleiben und gegen die falschen und brutalen Mittel ihrerseits ankämpfen.“

Ich konnte erkennen, das Hikari mein vorerst ja nicht gefiel, aber ich konnte nicht nur vom ersten Eindruck ausgehen. Ich musste wissen, ob hinter Mizukis Weg nur das Ziel der alleinigen Macht oder noch etwas anderes stand, etwas Gutes.

„Wir werden es so akzeptieren müssen, denn auch ich kann dir nicht sagen, was Mizuki genau plant...“ Sie seufzte leise.

„Hikari?“

„Ja?“

„Kannst du mir vielleicht sagen, wie es Yori geht? Du sagtest etwas von Verletzung, ist es schlimm?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nur eine leichte Schnittwunde, nicht besonders tief. Er hatte schon schlimmere Wunden! Aber warum fragst du ihn nicht selbst, ich kann dich zu ihm hinbringen.“
 

Hikari hatte mich nach draußen geführt und zeigte hinüber zum Stall. „So wie ich Yori kenne, müsste er sich dort aufhalten. Er ist nicht lange ans Bett zu fesseln.“ Ein Schmunzeln strich über ihre Lippen bei dem Gedanken. „Ich lass dich dann mal alleine, wenn du mich brauchst, du weißt wo du mich findest.“ Sie zwinkerte mir kurz zu und ging dann wieder durch das riesige Portal ins Schloss.

Wenn Yori schon wieder in den Ställen war, konnte es ihm ja nicht wirklich schlecht gehen. Das beruhigte mich schon mal ein bisschen, schließlich war er nur wegen mir in diese Situation geraten.

Ich ging in den dunklen Stall. Drinnen roch es wunderbar, nach Stroh und dem angenehmen Duft von Pferden. Ich hatte diesen Geruch schon immer geliebt.

Es waren nicht viele Pferde im Stall, Leute noch weniger. Nur wenige Stallburschen liefen umher und misteten die Ställe aus, ich sah hier vorne nur drei Pferde, doch der Gang des Stalls erstreckte sich noch bis weit nach hinten, wo auch noch eine Zweiteilung des Weges war und die Boxen in zwei verschiedene Richtungen weiterliefen. Ich vermutete, dass der Stall eine T-Form hatte, sich die Gänge links und rechts also nicht mehr verzweigten.

Weiter hinten konnte ich ein Pferd erkennen, das mitten in der Gasse stand. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte ich, dass dort auch ein Mensch hinter dem Tier stand und es ausgiebig putzte.

Ich schmunzelte. Konnte das wohl Yori sein, der seinen Fuchs Jarik pflegte?

Ich ging die Gasse hinunter, und tauchte unter dem Pferdehals her, als ich das Pferd eindeutig als Jarik identifiziert hatte.

„Hallo“, ich lächelte Yori an und musterte ihn genau.

Wie vermutet war er dabei sein Pferd zu putzen und striegelte gerade über das Fell. Er schaute kurz auf und ein schiefes Lächeln verzierte jetzt wieder sein Gesicht. „Auch endlich wach?“

Er widmete sich wieder dem braunen Fell seines Pferdes und schaute zwischendurch immer wieder zu mir auf.

„Ja ich wandle wieder unter den Lebenden“, lachte ich und streichelte Jariks Hals. Ich musterte Yori wieder, von außen konnte man aber keinerlei Verletzungen erkennen. „Und wie geht es dir so?“, fragte ich deswegen schüchtern.

„Ganz gut“, murmelte er und kümmerte sich jetzt um die Hufe des Fuchses.

„Und deine Verletzung?“, hakte ich weiter nach.

„Ach das meinst du“, lachte er, setzte den Huf des Tiers wieder ab, den er gerade von unten gesäubert hatte und sah wieder zu mir. „Der geht es eigentlich auch wieder recht gut, ich darf mich bloß noch nicht schnell bewegen oder reiten. Für eine Woche wurde ich noch zu Schlossaufenthalt verdonnert.“

Man merkte, dass es ihm missfiel nicht seinen normalen Pflichten nachgehen zu dürfen. Ich musste mich an Hikaris Worte von vorhin erinnern und schmunzelte leicht.

Er putzte weiter, während ich Jarik die Nüstern kraulte.

„Ich wollte mich noch bei dir bedanken“, sagte ich leise, sah ihn dabei aber nicht an. „Dafür, dass du mich beschützt hast. Du hast mir mein Leben gerettet.“

„Du hättest dich auch selbst verteidigt“, sagte er, und mied ebenfalls meine Blicke. „Wäre ich nicht gekommen, hätte es wahrscheinlich genauso geendet.“

„Das ist nicht wahr“, murmelte ich wieder. „Du hast mir Mut gemacht, nicht aufzugeben.“

Leicht genervt schaute Yori wieder zu mir auf. „Einigen wir uns darauf: Du hast die Situation gerettet...“

Ich hob meine Augenbraue.

„...mit meiner seelischen Unterstützung“, fügte er hinzu und säuberte jetzt den letzten Huf.

Komischerweise brachte Yori mich schon wieder zum Lachen. „Gut, einigen wir uns darauf.“

„Ich nehme an, du bleibst?“, fragte er resignierend und ließ jetzt endlich von dem Pferd ab.

Ich nickte. „Ich stelle mich meinem Schicksal.“

Ich hatte das Gefühl, dass kurze Zeit ein Lächeln über sein Gesicht gehuscht war, doch als ich ihn genauer musterte war sein Gesicht wieder emotionslos.

„Steht dein Angebot noch?“

„Was meinst du?“ Fragend hob er seine Augenbraue. Ich hatte das Gefühl, dass er meine Züge genau musterte.

„Dass du mir das reiten beibringst!“

Jetzt schmunzelte er wirklich. „Werde ich wohl müssen, wenn ich nicht will, dass du die Pferde hier im Stall mit deinen schlechten Reitkünsten misshandelst.“

„Sei nicht immer so fies“, erwiderte ich gekränkt und wandte mich wieder dem Pferd zu.

Er entschuldigte sich nicht.

Ich streichelte Jarik noch einmal über den Hals und tauchte dann wieder unter ihm hinweg.

Ich guckte noch einmal über den Rücken des Tiers und streckte Yori die Zunge raus. „Wenn du dich nicht freust, dass ich hier bleibe und dir deinen Hals rette, dann geh ich eben zu Hikari. Die freut sich garantiert über mich.“

Dann drehte ich mich um und verließ kichernd den Stall, einen verwirrten Yori zurücklassend.

Diskussionen und Entscheidungen

Als das Bild aufschwang flogen mir schon die ersten Wortfetzen einer Diskussion entgegen.

Am Tisch saß eine Person, tief über ein Buch gebeugt, neben ihr eine Zweite, die auf die andere einzureden schien.

Ich wusste nicht, ob ich ungelegen kam, oder ob ich zu den beiden hingehen sollte, schließlich war es unhöflich ein Gespräch zu unterbrechen oder zu belauschen. Die beiden redeten jedoch so laut, dass ich fast jedes Wort bis zum Eingang hören konnte.

Wie angewurzelt blieb ich stehen, als die Tür sich hinter mir schloss, keiner der beiden mir jedoch auch nur ein bisschen Aufmerksamkeit schenkte, bei dem leisen Knall.

Starr blieb ich stehen und lauschte.

„Das ist unfair, Nikko!“, die helle Stimme einer jungen Frau schallte wütend durch den Raum. „Warum darf ich sie nicht ausbilden?“

„Du bist noch zu jung! Du hast noch nie jemanden zum Priester ausgebildet und du solltest gewiss nicht deinen ersten Priester in der Hüterin der Jadeperlen finden!“, der Mann, der am Tisch saß, klang gelangweilt und ruhig, doch trotzdem hörte man deutlich eine Spur von Wut aus der Bassstimme heraus.

„Du hast doch schon Yashar! Dann lass mich doch wenigstens Akina ausbilden! Ich weiß, dass ich das kann. Ich bin eine gute Priesterin, ich könnte das!“

„Ich weiß Hikari, in Sachen Magie bist du ein Naturtalent, und trotzdem –“ Nikko brach kurz ab und schaute jetzt endlich von seinem Buch auf. „Sie braucht einen strengen Lehrer, jemand, der weiß wie man Schüler richtig ausbildet. Du hast keinerlei Erfahrung, wenn es darum geht jemandem zu zeigen, wie er seine Kräfte kontrollieren kann. Akinas Kräfte sind zu stark, um sie als deine erste Schülerin auszuwählen!“

„Darum geht es mir doch. Sie ist... nun ja... sie erinnert mich an mich damals. Ich war genau wie sie. Ich finde so viel in ihr wieder, dass man in mir früher auch gefunden hat. Bei der ganzen Sache geht es doch um viel mehr. Ich habe damals lange gebraucht, bis ich jemanden gefunden habe, der mit meinen Kräften klarkommt. Ich war eine einzigartige Schülerin, wie meine Priesterin damals zu mir gesagt hat. Meine Kräfte waren von Anfang an stärker entwickelt als die der anderen Eleven. Ich war anders, und sie ist es auch. Nikko glaub mir doch bitte, ich würde mit ihren Kräften klarkommen, ich könnte ihr zeigen, wie man sie kontrolliert. Ich bitte dich, gib mir die Chance.“

Es war eine lange Zeit ruhig, dann erwiderte Nikko leise: „Das sollte der Rat entscheiden.“ Mit den Worten stand er auf und schaute mich unvermittelt an und ging an mir vorbei nach draußen. Die Tür fiel klickend hinter ihm ins Schloss.

Hikari stand wie in Trance hinter dem Stuhl, das Buch lag immer noch aufgeschlagen auf dem Tisch.

Ich trat zu ihr und musterte das Buch. Über einem kurzen Text stand die Überschrift ‚Reise der Sieben’.

Ich setzte mich auf den Stuhl und schaute hoch zu Hikari. „Wird Nikko mich jetzt unterrichten?“

Sie zuckte mit den Schultern und setzte sich auf den Stuhl neben mich.

„Es wäre mir lieber, wenn du das tust“, sagte ich kleinlaut. Nicht das ich etwas gegen Nikko hatte, doch trotzdem empfand ich für Hikari und ihre unbeschwerte Art einfach mehr Sympathie. Ich schaute auf den Einband des Buches. ‚Legenden der Zeit’ stand in geschwungenen, goldenen Lettern auf dem meeresblauen Buchdeckel.

Sie lächelte verlegen, wobei sich kleine Grübchen in ihre Wangen bohrten. „Eigentlich wollte ich nicht, dass du das mit anhörst.“

Unschuldig schaute ich sie an. „Ich habe nicht gelauscht“, versuchte ich mich zu verteidigen. „Ihr habt so laut geredet, da konnte man euch gar nicht überhören!“

„Das meinte ich nicht“, sagte sie kurz. „Aber das ist auch egal. Was führt dich zu mir?“

„Im Allgemeinen: Fragen“, lächelte ich.

„Dann nur los“, ermunterte sie mich und blickte mich aufmerksam an.

„Eigentlich ist es eher eine Bitte. Kannst du mir Kalderan zeigen? Ich meine jetzt nicht in real, vielmehr eine Karte oder sonst irgendwas. Ich möchte nur mehr über all das hier erfahren.“ Erwartungsvoll teilte ich ihren aufmerksamen Blick.

„Das ist leicht“, sie zwinkerte mir zu. „Sie nur vor dich. Auf dem ganzen Tisch kannst du Kalderan sehen. Nirgends findest du eine genauere Karte als hier.“

Verwunderte stand ich auf und blickte über den ganzen Tisch hinweg. Und wirklich, aus den blassen Linien, die in den Tisch geritzt wurden, bildeten sich ganze Wälder, Berge und Landschaften. An kleinen Punkten standen einige Städtenamen, und in der Mitte an einem kleinen Stern stand in großen Lettern der Name ‚Kentosai’.

„Kalderan besteht aus vielen Reichen. Die fünf Hauptreiche bilden die Regierung. Kentosai –“, sie zeigte auf den Stern, „ist die Hauptstadt des Reiches des Flussdrachens. Im Norden liegt das Reich des Granitdrachens. Die Königin dort, Fiola, ist auch eine der Hauptregierenden, genauso wie unser König. Ihr Land besteht hauptsächlich aus dem Akai Gebirge und dem riesigen Tal, in dem auch Garlakand, die Hauptstadt, liegt. König Daisukes Reich erstreckt sich von den nördlichen Wäldern kurz vor Fiolas Reich, bis weit in den Süden zur Küste. Im Morgenrottal liegt das uns einzig bekannte Spiegelportal, das, durch das du ebenfalls in unsere Welt gekommen bist. Unser gesamtes Reich ist mit Flüssen durchschlängelt. Der Hauptfluss, der dem Spiegelportal entspringt, heißt Leandra. Aus ihr zweigen sich dann noch die Flüsse Nanami, Maemi, Senna, Nikko, Yuki, Reina und Leona ab. Die Maemi fließt sogar bis ins Reich des Eisdrachens, das im Nordwesten, weit hinter Fiolas Reich liegt. Man weiß heutzutage nur noch wenig über die Bewohner dort, wenn sie überhaupt noch existieren, aber viele Erzählungen berichten davon, dass die Menschen dort irgendwo unter dem Schnee hausen, der dort niemals verschwindet. Ein dauerhafter Winter herrscht dort und es kam noch nie dazu, dass das Eis dort taute. Weit hinaus auf dem ewigen Meer im Süden liegt das Reich des Donnerdrachen. Das Reich liegt mitten im Meer und es heißt, dass die Reise dorthin sehr beschwerlich sein soll. Im Südosten hingegen liegt das Reich der Flammenprinzessin, das Reich des Vulkandrachens. Ihr Reich besteht fast hauptsächlich aus der tristen Landschaft von Lavaseen, dem Feri Denva, Wüste und dem Benoukigebirge, das ihr Reich von den anderen abgrenzt. Dort ist ihr Schloss Saitenko, von dem aus sie ihr böses Machtspiel steuert.“

Gespannt hatte ich die ganze Zeit ihrem Finger gefolgt, der auf die einzelnen Städte, Reiche, Gebirge und Flüsse gezeigt hatte. Jetzt fiel mir auch auf, dass am rechten Rand der Karte, hinter Mizukis Reich, nichts mehr eingezeichnet wurde. „Was ist dort?“, fragte ich und deutete auf den leeren Fleck.

Hikari folgte meinem Finger. „Der Nordosten ist weitestgehend unerforscht. Die Reise über den Pass dort ist noch niemandem gelungen. Grundlos kehrte niemals jemand zurück und blieb verschollen. Bis heute ist es ein Mysterium, was ihnen zugestoßen ist. Der Osten hinter dem Benoukigebirge wird außerdem von schweren Sandstürmen heimgesucht, was die Erforschung der Gebiete dort auch unmöglich gemacht hat.“

Geschockt blickte ich auf den Boden. Damit hatte ich nicht gerechnet.

„Hast du sonst noch irgendwelche Fragen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Den Rest werde ich wohl im Unterricht erfahren.“ Dabei verzog ich mein Gesicht und Hikari fing laut an zu lachen.

„Ich krieg mich schon noch durchgesetzt, keine Bange.“

„Was ist der Rat?“, fragte ich dann und wechselte abrupt das Thema.

„Du hast ja doch noch Fragen!“ Neckisch lächelte sie mich an. Dann setzte sie sich auf den Stuhl und wies mich an, mich ebenfalls wieder zu setzten. Ich tat es. „Der Rat besteht aus den beiden Hohepriestern, also mir und Nikko, dem König, den vier Priestern und den zehn Ältesten unseres Reiches. Sie sind so etwas wie unsere Heiligen“, sie lachte wieder. „Sie leben schon ewig, leisten den Leuten Beistand, indem sie in der Kathedrale Andachten halten und Leute segnen. Außerdem sind sie auch so etwas wie Richter und Schuldsprecher. Die Priester hingegen sind die vier Berater des Königs und haben zudem magische Fähigkeiten. Die Hohepriester haben noch eine lehrende Rolle, wie du dir wahrscheinlich denken kannst, und außerdem haben wir eine repräsentierende Gestalt, wenn wir zum Beispiel als Botschafter in andere Reiche reisen.“

„Warum will Nikko dann nicht, dass du mich unterrichtest? Es ist doch schließlich auch deine Aufgabe!“

„Ich bin erst seit einem halben Jahr Hohepriesterin, deshalb habe ich noch nie jemanden ausgebildet. Nikko meint ich bin sowieso allgemein zu jung, um eine so hohe Position zu vertreten.“

„Trotzdem ist es dein Recht!“

„Ja, ja, ich hab schon verstanden“ Hikari grinste. „Ich werde darum kämpfen, dich unterrichten zu dürfen.“

„Das will ich aber auch hoffen.“ Gespielt empört verschränkte ich die Arme. Ich entspannte mich wieder und fragte dann etwas schüchterner weiter. „Was meintest du eigentlich damit, dass ich dich an dich selbst erinnere?“

Hikari wurde auf einen Schlag wieder ernst. „Das ist schwer zu erklären. Wenn ich dich ansehe, ist es einfach, als würde ich direkt durch einen Spiegel in die Vergangenheit schauen. Du bist ängstlich, grazil, schüchtern, zierlich und doch ist da eine Entschlossenheit in deiner Aura, die mich genau daran erinnert, wie sehr ich dafür gekämpft habe Priesterin zu werden. Doch eines hast du mir von damals voraus: Deinen Mut. Es ist schwer zu verstehen, dass man plötzlich von einer zweiten Welt erfährt und vom Schicksal dazu auserwählt wird, heldenhaft zu sein. Ich bewundere dich für deinen Mut, Heldin.“

„Bis jetzt ist mir noch nichts Heldenhaftes zuzurechnen, dank mir nicht zu früh. Ich könnte immer noch wieder weglaufen und euch alle im Stich lassen, genauso wie meine Welt.“

„Das wirst du nicht.“ Zuversichtlich schenkte sie mir ein Lächeln.

„Warum setzt ihr alle eigentlich soviel Vertrauen in mich? Wie könnt ihr euch so sicher sein, dass ich nicht doch kalte Füße bekomme und wieder abhaue?“

Hikari überlegte kurz. „Ich fühle einfach, dass du uns nicht im Stich lassen wirst. Du bist nun mal unsere letzte Hoffnung.“

„Gerade das macht mir so viel Angst. Ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll, dass so eine große Bürde auf mir lastet.“

Hikari beugte sich vor und nahm zaghaft meine Hand in ihre. Vorsichtig und mit leisen Worten begann sie zu sprechen „Akina, vergiss niemals, dass du nicht alleine bist. Wir stehen alle hinter dir und werden dir so gut wir können helfen.“

„Das würde ich euch ja gerne Glauben, aber wenn ich es vermassle, ist alles vorbei. Was ist, wenn ich das alles nicht schaffe?“

„Das wird nicht der Fall sein, denn ich bin mir sicher, dass du es schaffst. Du bist das begabteste Mädchen, das mir je unter die Augen getreten ist. Auch wenn noch nicht deine vollständigen Kräfte entwickelt sind, konntest du es trotzdem bereits mit mehreren schwarzen Rittern aufnehmen!“

Ein schwaches Lächeln umspielte meine Lippen.

„Glaub mir, du wirst es schaffen. Dein Schicksal hat dich zu einer Legende gemacht, und Legenden überleben immer!“

Ich sah wohl immer noch nicht überzeugter aus. Hikari seufzte. „Wenn du schon jetzt an dir zweifelst, kannst du es ja gar nicht erst Versuchen! Hab Mut!“

Jetzt musste ich wirklich lächeln. Es war so lieb von Hikari, dass sie sich so sehr bemühte mich aufzumuntern.

„Na siehst du, wenn du Lächeln kannst, kannst du auch hoffen!“ Sie lächelte mich warm an.

„Sonst noch Fragen?“

Ich schmunzelte. „Woher zum Teufel wisst ihr eigentlich alle meinen Namen!“ Ich musste laut Lachen.

Hikari fiel in mein Gelächter mit ein und antwortete nur mysteriös. „Das, kleine Akina, bleibt mein Geheimnis!“
 

Der Speisesaal war einfach atemberaubend. Der riesige Saal des Erdgeschosses war Licht durchflutet, denn gegenüber der großen Flügeltür war eine ganze Wand, einzig und allein aus Glas bestehend. An den übrigen Wänden hingen wunderschöne Bilder von adeligen Leuten und dazwischen hingen jede Menge silberne Kerzenhaltern mit schneeweißen Kerzen. Von der Mitte der Decke hing ein riesiger Kronleuchter besetzt mit Rubinen, Saphiren und Smaragden. Das Sonnenlicht brach sich tausendfach in den vielen bunten Steinen und warf funkelndes Regenbogenlicht auf den darunter stehenden Tisch, der quer durch den ganzen Saal reichte. Auf dem Tisch standen so viele verschiedene Speisen, dass man sie gar nicht alle hätte zählen können. An dem Tisch saßen zahlreiche Leute die angeregt plauderten und glücklich das üppige Mahl verspeisten. An der Fensterseite des Saales saßen an der Mitte des Tisches, wie ich erkannte, König und Sohn, die auf etwas prachtvolleren Thronsesseln platz genommen hatten, daneben die Ältesten und andere adelig aussehende Menschen. Außerdem erkannte ich noch die Ratspriester, unter ihnen auch Nikko und daneben Ryota mit seinem Schützling Yori. Erstaunt über diesen prächtigen Saal folgte ich etwas eingeschüchtert Hikari, die sich mit Vorsicht den Weg um den Tisch herum zur Fensterseite bahnte, um gemeinsam mit den vielen anderen Leuten am Tisch ihr Abendessen zu genießen. Sie hielt auf Nikko zu, neben dem noch zwei Plätze frei waren. Flink setzte sich Hikari auf den leeren Stuhl neben ihm, der, wie mir schien, ihr zugewiesener Platz war. Ich setzte mich also auf den unbesetzten Platz zwischen Hikari und Yori, auch wenn mir dabei nicht ganz behaglich war, bei meinem Abgang am Nachmittag.

Yori schien sich jedoch auch nicht um ein Gespräch zu reißen, denn während des gesamten Abendessens herrschte zwischen uns beiden vollkommenes Schweigen.

Nach dem Abendessen, als ich eigentlich den Saal verlassen wollte, wurde ich aber von dem Prinzen aufgehalten und in ein sinnloses Gespräch verwickelt, darüber wie glücklich er doch wäre, eine so reizende junge Dame wie mich wieder zu sehen. Danach redete er davon wie schön doch sein zukünftiges Königreich sei und zum Schluss beteuerte er mir sein volles Vertrauen dafür, dass er glaube, dass ich die Welt retten könnte.

Genervt hatte ich immer nur knapp auf seine zahllosen Fragen geantwortet, und hatte Yori dabei beobachtet, wie er uns immer wieder feindselige Blicke zuwarf. Endlich meinte der Prinz, dessen Name, wenn ich mich recht erinnerte, Daiji war, dass er es sehr bedauert unser Gespräch jetzt beenden zu müssen. Er wünschte mir eine gute Nacht und gab mir einen sanften Kuss auf den Handrücken. Trotz meiner Anwiderung gegenüber dem Prinzen erwiderte ich ein gequältes Lächeln und wünschte ebenfalls eine gute Nacht. Dann verließ ich so schnell es ging den Saal, bevor sich dieser Möchtegerncasanova doch noch dafür entschied unser Gespräch weiterzuführen.

Ich beschloss noch ein wenig die frische Luft draußen zu genießen, bevor ich mich irgendwo vor dem ganzen Trubel verschanzte. Doch ich erreichte die Tür noch nicht einmal rechtzeitig und hörte wie hinter mir jemand meinen Namen rief. Ich war erleichtert, als ich die Stimme nicht als die von Daiji identifizierte, wurde aber wieder angespannt, als ich wusste, wem sie gehörte. Yori kam mit schnellen Schritten auf mich zu

Ehrlich genervt drehte ich mich zu ihm um. Ich hatte wirklich genug Konversationen am heutigen Tag. „Was ist?“, fragte ich deswegen barsch und schüchterte gekonnt den eben noch so selbstsicheren Yori ein.

Er blieb vor mir stehen, sagte jedoch nichts. Ich glaubte eine leichte rote Nuance auf seinen Wangen erkennen zu können.

Ich drehte mich um und ging nach draußen, er ging mir hinterher.

Auf dem Platz drehte ich mich schnell zu ihm um. Um uns herum war alles tief orange, während im Hintergrund der Stadtsilhouette langsam die Sonne am Horizont verschwand.

„Wenn du etwas sagen willst, dann sag es. Ich habe echt genug für heute.“

Unsicher musterte er mich jetzt und ich bekam ein schlechtes Gewissen.

„Tut mir Leid, ich sollte nicht so abwertend mit dir reden. Heute war nur nicht wirklich mein Tag...“ Ich seufzte.

„Schon okay...“, erwiderte er und stellte sich neben mich.

Beide starrten wir auf den Boden vor unseren Füßen.

Ich schwebte in Gedanken. Was war hier eigentlich los? Ich stand neben einem Typen, der mich nicht leiden konnte und wartete darauf, dass er etwas sagte. Merkwürdigerweise machte mich seine stille Anwesenheit nervös.

Yoris unerwartetes Räuspern zog mich wieder an die Oberfläche der Realität.

„Du Akina?“

„Hm?“ Erwartungsvoll hob ich meinen Kopf ein Stück und sah schräg an Yori vorbei, als ich merkte, dass er mich ebenfalls musterte.

„Ich wollte dir noch etwas sagen...“ Meinte er angespannt.

Erwartungsvoll schaute ich beiläufig in seine fesselnden, azurblauen Augen.

„Ich wollte mich entschuldigen für die Sache heut Nachmittag.“ Er wirkte jetzt entspannter. Wahrscheinlich hatte er einen erneuten Wutausbruch erwartet. Ich verkniff mir das Schmunzeln und folgte weiter dessen, was er sagte. „Wenn ich etwas ‚gemeines’“, er betonte das Wort mit einem besonderen Unterton, „sage, dann meine ich es häufig nicht beleidigend. Ich sage einfach immer, was mir gerade so in den Sinn kommt. Das ist so meine Art und keinesfalls beleidigend gemeint.“

„Schon gut“, unterbrach ich seinen Redefluss. „Ich bin dir nicht böse.“

Er schien etwas erleichterte, wirkte aber auch so, als wollte er noch mehr loswerden.

„Wolltest du noch etwas sagen?“, fragte ich gerade heraus und schaute ihn interessiert an.

Er überlegte kurz, wurde dabei erkennbar röter im Gesicht, was aber auch täuschen konnte bei dem blutroten Licht der Sonne, und sagte dann: „Ich wollte dir sagen, dass ich froh bin, dass du wieder da bist.“

„Wirklich?“, fragte ich etwas ungläubig und versuchte ihm in die Augen zu schauen, doch er wich meinen Blicken aus. Ich wurde aus ihm einfach nicht schlau, mal war er total unausstehlich und mal... wie jetzt!

„Ja, ich meine es ernst.“

Sollte ich ihm glauben schenken? Wieso eigentlich nicht, Menschen können sich ändern und das hatte er anscheinend!

Also wandte ich mich zu ihm und sagte: „Yori, ich bin auch froh wieder hier zu sein“

Als die Sonne komplett untergegangen war, wandte ich mich ab. Ich musste an seine eifersüchtigen Blicke denken, als Daiji meine Hand geküsst hatte. Im Gehen drehte ich mich noch mal um und sagte ihm über die Schulter hinweg: „Ach übrigens, ich stehe nicht so auf die Traumprinzen, ich mag lieber den Beschützertyp.“ Dann drehte ich mich wieder nach vorne, tanzte regelrecht die Stufen hinauf und verschwand im Schloss.
 

Ich lag in meinem Zimmer, draußen unzählige Sterne hell leuchtend am Firmament hängend, der Raum beleuchtet durch schwachen Mondglanz und den Schein einer Kerze.

Es klopfte leise an der Tür und Hikari lugte durch den Türspalt, ihr Gesicht von purer Aufregung errötet.

Sie kam herein, schloss die Tür und setzte sich zu mir aufs Bett.

Irritiert über ihre Vorfreude und Spannung musterte ich sie mit einem interessierten Blick. Dann rückte sie endlich mit der Sprache raus. „Morgen werde ich vorm Rat vorsprechen. Mir ist schon ganz mulmig und flau.“ Sie wirkte leicht panisch.

„Es wird schon“, sagte ich aufmunternd und ein bisschen ihrer Panik ging auf mich über. Trotzdem gewann immer noch die Müdigkeit in meinem Körper und zwang mich zu einem Gähnen.

Hikari überging diese Tatsache und führte das Gespräch weiter. „Es würde mir helfen, wenn du dabei bist. Du würdest mich beruhigen“, sagte sie hoffnungsvoll.

„Gerne komme ich mit, schließlich geht es um meine Zukunft...“ Meine Stimme klang nicht ganz so begeistert, wie sie hätte klingen sollen, doch mein Mund war einfach nicht mehr zu besserem fähig.

Liebevoll lächelte mich Hikari an. „Du bist ein tolles Mädchen, Akina. Aus dir wird eine einzigartige Priesterin, egal, wer dein Lehrer wird.“

Ich nickte nur und gähnte kurz.

„Wir sehen uns dann morgen früh... Schlaf schön!“ Hikari stand auf und schenkte mir noch einen zärtlichen Blick.

„Gute Nacht“, lallte ich noch im Halbschlaf. Dann verließ sie den Raum.

Ich ließ noch einmal den ganzen Tag im Kopf Revue passieren. Ich hatte erwartet, dass die Bewohner mir böse sein würden wegen meines kurzen Fehltrittes. Doch niemand behandelte mich herablassend, im Gegenteil: Die Leute verhielten sich allesamt zuvorkommend und waren mir dankbar.

Morgen würde ich endlich über meinen weiteren Schicksalsverlauf Bescheid wissen.

Gerade kam mir alles eher wie Traum als Realität vor. Ich gähnte wieder und wurde dadurch daran erinnert, wie müde ich doch war. Kein Wunder, bei der ganzen Aufregung in den letzten Tagen. Doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich bei den vielen Gedanken, die noch in meinem Kopf rumschwirrten, gar nicht schlafen konnte.

Ich musste immer wieder an meine Eltern denken, ich vermisste sie und irgendwie hatte ich ein bisschen Heimweh.

Aus Langeweile zählte ich die Sterne am Himmel. Immer und immer wieder fielen mir die Augen zu, bis ich dann endlich in einen unruhigen Schlaf fiel.
 

Der Morgen kam viel zu früh, wie ich fand, denn schon vor Sonnenaufgang konnte ich einfach keinen Schlaf mehr finden. Trotzdem lag ich noch lange im Bett, bis ich mich bei der Dämmerung endlich aufraffte, aufstand und mich fertig machte.

Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend bewegte ich mich in Richtung Speisesaal. Nur wenige Leute saßen bereits am Tisch und genossen die Stille der Morgenstunde, die auf mich bedrohlich und verunsichernd wirkte. Ich kannte niemanden hier, nur unbekannte Gesichter.

Ich setzte mich an denselben Platz wie gestern und schmierte mir ein Marmeladenbrot, das ich dann letztendlich aber doch nicht aß und einsam auf meinem Teller liegen ließ. Stattdessen nippte ich nur ein bisschen an meinem Orangensaft und starrte leer vor mich hin.

Eine warme Hand legte sich auf meine Schulter und der Stuhl neben mir schob sich zur Seite.

Hikari setzte sich neben mich und wirkte genauso angespannt wie ich.

„Ich vermute deine Nacht war auch nicht so angenehm?“, fragte sie.

„Erwartest du etwas anderes, wenn du mich bei Sonnenuntergang beim Frühstück vorfindest, obwohl ich keinen Bissen runter bekomme?“

Ich besah mir mein Marmeladenbrot noch mal und musste erkennen, dass Hikari genau wie ich einfach nur am Tisch saß und daran dachte, wie schön es doch gewesen war, wenn einem nicht davon schlecht geworden war Essen anzusehen.

Hikari schloss ihre Augen und atmete noch einmal tief durch. Als sie ihre Augen wieder öffnete, wirkte sie entspannter und voll Energie und Eifer.

„Lassen wir uns nicht einschüchtern! Wenn wir denken, wir schaffen das, dann werden wir es auch schaffen! Also iss dein Brot, trink deinen Saft und gönn dir ein bisschen Ruhe. Danach sieht der Morgen bestimmt schon weniger wolkig aus.“

Ich wusste nicht woher Hikari immer ihren Optimismus nahm, ich wusste nur, dass es half. Ich aß mein Brot und musste feststellen, dass es gar nicht mehr so schwer war zu essen, wie ich dachte. Der Orangensaft schmeckte auf einmal so lecker wie lange nicht mehr und nach dem Frühstück ging es mir wirklich besser.

„Hatte ich Recht?“, lächelte sie und verspeiste jetzt schon ihre zweite Scheibe Brot.

Ich nickte und spürte jetzt auch endlich das morgendliche Magengrummeln. Entspannt schmierte ich mir ein weiteres Brot und genoss den süßensauren Geschmack der frischen Beerenmarmelade.

„Es wird Zeit“, murmelte Hikari nach einer Weile, und nun wirkte sie mindestens wieder genauso angespannt wie vorhin.

Wortlos stand ich auf und folgte ihr zum Ausgang des Speisesaals.

Wir folgten der Treppe nach oben und verloren uns irgendwo im Gebäudeflügel der Priester.

Zuerst folgten wir dem gleichen Weg, der auch zu den Bibliotheken führte, doch an einer Gabelung der Wege folgten wir dem anderen Gang und suchten uns den Weg weiter ins wirre Flurlabyrinth des Schlosses.

Dann gingen wir einen Gang entlang, von dem keine einzige Tür mehr abzweigte und die geradewegs ins dunkle Herz der Burg führte.

Im Dunkeln tauchte eine deckenhohe Tür auf, filigran verziert durch Schnitzereien in Ebenholz.

Hikari führte mich in den durch Kronleuchter und Kerzen hell erleuchteten Raum. Schmale Fenster ließen Streifen von Sonnenlichte hinein, die in mir die Erinnerung an Gefängnis und Gefangenschaft hervorriefen, wie enge Gitter aus Sonnenlicht.

Die Tür fiel zu und ich trat in das Zimmer. In der Mitte stand eine halbkreisförmige Tafel, die leicht erhöht auf einem Podest stand. Dort saß der Rat, der Hikari und mich mit scharfen Adleraugen beobachtete. Am meisten erschreckte mich der emotionslose Blick von Nikko, der mir von allen anderen Blicken am stechendsten vorkam.

Wir setzten uns an einen kleinen Tisch im Zentrum des Bogentisches und musterten aufmerksam die Ratsmitglieder.

In ihren Augen kam ich mir vor, wie ein gejagtes Tier! Eingeschüchtert schlug ich meine Augen nieder.

Man konnte diese Versammlung mit einem Gericht vergleichen. Es gab Geschworene und Ankläger. Angeklagte, in deren Rolle ich mich und Hikari sah und mich regelrecht unwohl fühlte bei diesem Gedanken. Und natürlich einen Richter, dessen Vorsitz vermutlich der König bekleidete, dessen Stimme im Königreich am meisten Gehör geschenkt wurde.

So erhob er sich von seinem Platz im Gremium, um seinerseits die Verhandlungsschrift vorzulesen.

„Wir haben uns zu dieser Stunde hier versammelt, um über die Bitte der Hohepriesterin Hikari zu diskutieren, ihr die Elevin Akina zuzugestehen. Auf Wunsch von Hohepriester Nikko soll nun der Rat über dieses Handeln bestimmen. Hierzu möchte ich zu aller erst Hohepriesterin Hikari selbst zu Worte bitten. Also sprecht!“ Er wandte sich jetzt direkt an Hikari neben mir, nachdem er bei seiner Ansprache einmal quer durch den Raum geschaut hatte, und zum Schluss lange seinen Blick auf mir Ruhen gelassen hatte. „Was bewegt euch dazu, uns über die Ausbildung der jungen Elevin entscheiden zu lassen, statt Nikko diese Rolle zu Teil werden zu lassen, wie es eigentlich hätte sein sollen?“

König Daisukes Blick war bohrend, fast ärgerlich über den Frevel, dass Hikari die Entscheidung überhaupt anzweifelte, dass Nikko mein Lehrer werden sollte.

Die Hohepriesterin wirkte jedoch wie ausgewechselt. Ihre Anspannung war komplett verschwunden, während ich mich immer noch mies fühlte. Sie strahlte Zuversicht aus und Entschlossenheit, nicht so schnell klein bei zu geben.

„Ich will nur mein Recht einfordern“, sagte Hikari gerade heraus. „Ich bin seit einem halben Jahr Hohepriesterin und immer noch wurde es mir nicht vergönnt meinen ersten Eleven auszubilden.“

„Das will euch auch keineswegs jemand verwehren, meine Teuerste“, erwiderte einer der Ältesten kurz.

„Warum wollt ihr mir dann verwehren, dass ich Akina ausbilde?“

Hikari zögerte nicht lang und brachte es direkt auf den Punkt.

„Sie ist die Hüterin“, donnerte Nikko auf einmal und alle Blicke richteten sich auf ihn.

Eine unerträgliche Stille legte sich schwer über alle Beteiligten.

Dann wurde Hikari wütend und ihre Stimme durchschnitt scharf das Schweigen. „Nikko, warst du nicht immer derjenige, der meinte, dass jeder eine gleiche Behandlung verdient? Es wundert mich, dass ausgerechnet du auf eine Sonderbehandlung der Hüterin der Jadeperlen bestehst!“

Nikko stand wutentbrannt von seinem Platz auf und schob seinen Stuhl dabei polternd zurück, sodass ich erschrocken zusammenzuckte. „Sie ist anders! Das kann man nicht vergleichen! Das Schicksal der Welten hängt von ihr ab!“ Seine Stimme kam mir vor wie das laute Grollen eines Gewitters. „Wir dürfen nichts riskieren.“

Sein Nachruf war wie die Stille vor dem Einschlagen des Blitzes, der auch sofort folgte. „Was meinst du denn, würden wir dabei riskieren, wenn ich sie ausbilde?“

„Zeit!“ Seine Antwort schwebte wie ein Mahnwort im Raum. Hikari erwiderte nichts, außer ihrem standhaften Blick, der unverwandt auf Nikko ruhte.

„Wir haben diese Diskussion schon einmal geführt, Hikari. Was meinst du bringt es, wenn wir jetzt noch einmal genau das wiederholen, was wir vor einem Tag diskutiert hatten?“

Hikari beruhigte sich wieder und faltete nun die Hände vor sich auf dem Schoß. „Du bist nicht derjenige, der letztlich entscheiden wird, wer sie nun ausbilden wird oder nicht. Ich will nur eine gerechte Chance erhalten.“

Ich bewunderte Hikaris Mut in diesem Moment. Sie stellte sich gegen den kompletten Rat und der Grund weshalb, war mir immer noch schleierhaft. Aber ich war stolz, Hohepriesterin Hikari vielleicht bald meine Lehrmeisterin zu nennen.

„Hikari, es will dir hier niemand in den Rücken fallen“, fing der Priester an, den ich als Niro in Erinnerung hatte „aber warum genau willst du unbedingt diese Elevin ausbilden?“

„Braucht es dafür einen Grund?“, fragte Hikari geheimnisvoll.

Es wurde nicht auf die Frage eingegangen. Stattdessen bat Priesterin Emi mit einem „Und?“ darum, dass Hikari weiter sprach.

„Gut, im Grunde glaube ich einfach, dass ich eine bessere Lehrerin für sie wäre. Bei einer Ausbildung kommt es nicht nur auf das Geschick des Lehrmeisters an, auch darauf, dass die magischen Kräfte von Eleve und Meister ausgewogen sind. In Akina schlummern starke Kräfte, zu starke Kräfte für Nikko, wie ich vermute. Ich will ihn nicht angreifen oder beleidigen, aber es ist nun mal so, dass ich von uns beiden die höher entwickelten magischen Fähigkeiten besitze und daher eine ebenbürtigere Partnerin für die Hüterin darstellen würde.“

Priesterin Chiyo ergriff nun das Wort. „Woran haltet ihr es fest, dass die Hüterin dem Hohepriester überlegen sein würde?“

„Wenn man es logisch betrachtet, kann man nicht einschätzen, welche Macht Akina einmal besitzen wird. Aber trotzdem vermute ich, dass Akina ihm Längen voraus sein wird, genauso wie sie meine Kräfte irgendwann vermutlich weit übersteigen wird. Wer vor dem Beginn der Lehre schon so viele der stärksten Schwarzritter vernichten kann wie sie und es überlebt seine gesamte Macht auf einmal frei zu setzen, muss Großes verbergen.“

Viele der Ratsmitglieder nickten anerkennend. Doch der König blieb ernst, ließ sich nichts anmerken, und richtete sich an Nikko, der immer noch grimmig drein schaute.

„Ehrenwerter Hohepriester, warum genau glauben sie wäre Hikari eine Fehlbesetzung als Meisterin der Hüterin?“

„Sie hat keinerlei Erfahrung mit solchen Dingen. Die Zeit, die man dadurch verlieren würde, könnte das Schicksal unserer Welt und auch jener anderen besiegeln, die wir nicht kennen.“

„Die Zeit, die du damit vertrödeln würdest, um zu versuchen ihr ihre Kräfte näher zu bringen, wäre doch auch verloren!“, mischte sich Hikari ein.

„Deine Zeit zu sprechen ist vorbei, Hikari!“, grollte einer der Ältesten.

Hikari presste die Lippen aufeinander und folgte weiter der Befragung Nikkos.

Ein anderer der Ältesten stellte die nächste Frage. „Seid ihr euch sicher, dass ihr der Hüterin ebenbürtig sein könntet und ihren Kräften entgegen treten könntet?“

Nikko zögerte kurz. „Sicher kann man sich da nie sein.“

„Warum also, sollte man Hikari nicht die Chance geben, ihr Können zu beweisen? Vielleicht wäre sie wirklich der Hüterin ebenbürtiger“, grübelte der selbe Älteste und wandte sich an seine Mitgeschworenen.

Leises diskutieren zog sich durch ihre Reihe.

Derselbe Älteste stellte erneut eine Frage an Nikko. „Was soll mit eurem jetzigen Eleve passieren? Yashar?“

Nikko räusperte sich. „Die Ausbildung der Hüterin wird bei mir an allererster Stelle stehen, was bedeutet, dass ich die Ausbildung meines Eleven vorzeitig zurücksetzen werde, oder an Hikari weitergeben werde, wenn sie sich immer noch so daran verzehrt jemandem eine Lehrerin zu sein.“

Hikari schnaubte verächtlich.

„Gut“, erwiderter der Älteste nur knapp.

Es war kurz still, niemand stellte mehr fragen.

„Lasst uns abstimmen meine Brüder und Schwestern“, folgerte nun der König und wollte sich schon erheben.

Dann hörte ich eine unbekannte, tiefe Männerstimme. Sie kam von einem der Ältesten, einem ergrauten Mann mit langem, weißen Bart und Halbglatze, dessen Pupillen einem leuchtend grün aufflammenden Feuer glichen.

„Haltet ein“, sagte er ruhig, und doch so laut, dass jeder es hören konnte und sofort verstummte. Seine eindringliche Stimme lag noch Momente danach in meinem Ohr, wie ein stetiges Echo. „Mich interessiert, was die Hüterin selbst zu der Angelegenheit sagt.“

Sein Blick kreuzte den meinen.

Was sollte ich schon dazu sagen? Mir war es unangenehm, wie alle über mich redeten. Für sie war ich nur die Hüterin, nichts weiter. Nur Hikari sah mich als Akina, eben als das, was ich war. Sie hatte keine übermenschlichen Erwartungen an mich, sie wollte mir einfach so gut es geht helfen. Und das war es, was mich zum Schluss davon überzeugt hatte, dass ich es mir wünschte, von ihr zu lernen. Nicht nur wegen ihrer Fähigkeiten als Priesterin, sondern auch wegen eben dieser Menschlichkeit.

„Nun?“ Seine efeufarbenen Augen wirkten freundlich und aufmunternd. Sein Lächeln und sein Tonfall waren nicht drängend oder schneidend, wie die ungeduldigen Fragen der anderen Ratsmitglieder. Aus ihm sprach einzig und allein das Interesse zu erfahren, was ich wollte.

„Mein ergebenster Gefährte, seit wann interessiert es uns, was Kinder denken?“ Es war die Stimme eines Ältesten, der bis jetzt ebenfalls das erste Mal das Wort erhob.

Der Mann mit den Efeuaugen fing laut an zu lachen. „Nun, es sollte euch interessieren, was das Kind sagt, welches uns allen das Leben retten soll.“

Andere fielen in sein Gelächter ein, was mich ein bisschen ermutigte auf seine Frage zu antworten.

„Fahrt ruhig fort“, fügte der Alte immer noch vor Lachen bebend hinzu.

Hikari nickte mir unauffällig zu. Ich erhob mich und begann mit klarer Stimme zu sprechen: „Hikari mag zwar noch die Erfahrung fehlen, doch sie weiß, was wichtig ist, um jemanden auszubilden. Ich glaube ebenfalls, dass sie mir ebenbürtiger sein kann, als jeder andere hier im Raum. Meiner Meinung nach sollte sie die Möglichkeit erhalten, ihr Talent als Lehrmeisterin zu demonstrieren.“

„Gut gesagt“, schmunzelte der Alte jetzt wieder und schenkte mir ein anerkennendes Lächeln. „Wenn jetzt wirklich niemand mehr Fragen haben sollte, könnten wir uns jetzt zur Beratung zurückziehen.“

Der König stand auf und verschwand in einem Hinterzimmer. Die restlichen Geschworenen folgten ihm, manche widerwillig, manche schon überzeugt von ihrer Wahl.

Als man die Tür zum Nebenraum zusperrte, umschloss uns plötzlich eine angespannte Stille, die nur durch das aufgeregte Murmeln von nebenan unterstrichen wurde.

Hikari sagte nichts, wartete nur und so durchbrach ich die Stille ebenfalls nicht.

Beide warteten wir darauf, dass sich die Tür öffnete und man uns die Entscheidung mitteilte.

Wie eine Ewigkeit kam es mir vor, die das Gurgeln drüben nicht aufhörte.

Endlich kam die Erlösung und die Tür schwang auf. Gespannt erhob ich mich in meinem Stuhl und verfolgte gespannt die Ratsmitglieder. In einer geschlossenen Reihe verließen sie den Saal durch den Haupteingang. Nur der Älteste mit den grünen Augen löste sich von ihnen und kam auf Hikari und mich zu.

Verunsichert schaute ich zwischen beiden umher

Hikari erhob sich und kam ihm nun ebenfalls entgegen, wie ein Schatten folgte ich ihr.

Das sanfte Lächeln des Alten beruhigte mich mit einem Schlag und gleich war ich wieder viel zuversichtlicher.

„Die anderen Ratsmitglieder halten Hohepriester Nikko immer noch für geeigneter.“ Es kam mir so vor als würde die Welt heute schon zum tausendsten Mal zerbrechen. Ich wollte schon niedergeschlagen meinen Blick abwenden. Dann fügte der Alte noch etwas hinzu. „Ihr habt eine Woche um das Gegenteil zu beweisen.“

Mit einem Freudenschrei schloss mich Hikari in ihre Arme, während der Älteste leise sein tiefes Lachen brummte.

Konzentration

Es war für mich logisch, dass die nächste Woche die mühevollste in meinem ganzen Leben werden würde und dann kam es doch ganz anders als ich erwartet hatte.

Ich wollte mich anstrengen, um zu beweisen, was ich konnte, und als ich dann am nächsten Tag in die Bibliotheken kam, empfing mich Hikari nicht hyperaktiv und übermotiviert, wie ich erwartet hatte.

Nein, sie war so ruhig wie der tiefste See und völlig entspannt, und begrüßte mich mit einem strahlenden Lächeln. „Guten Morgen, Akina.“

Irritiert beäugte ich sie. „Ist irgendetwas passiert, von dem ich nichts mitbekommen habe?“

Hikari schüttelte den Kopf und schaute mich mit großen Augen an. „Was sollte denn passiert sein?“

„Ist schon gut.“ Mit diesen Worten legte ich das Thema beiseite und wechselte schnell zu einem Neuen. „Was machen wir heute?“ Ich strahlte vor Aufregung.

Hikari setzte sich im Schneidersitz auf eine Matte auf dem Boden. Dann holte sie einmal tief Luft und schaute mich wieder mit ihrem Zuckerlächeln auf den Lippen an, das ihr Wohlgefallen zum Ausdruck brachte und mich irgendwie ein bisschen ängstigte, weil ich nicht wusste, was ihr gerade in diesem Moment zu so einer Hochstimmung verhalf. Dann öffnete sie ihre Lippen und glücklicherweise erinnerte sie mich so viel mehr an die Hikari, die ich kannte, als an dieses Dauergrinsemonster. „Wir meditieren“, sagte sie. Kurz, knapp und erschreckend!

“Wir meditieren?!“ Ich war entsetzt. Ich hasste es regelrecht lange still sitzen bleiben zu müssen. Bewegung war mein Element, nicht das vor mich hinvegetieren, während ich still und heimlich meine Gedanken durchforstete.

Hikari nickte und lächelte wieder. Jetzt wusste ich, warum sie dauernd so lächelte. Sie machte sich über mich lustig! Es war wirklich die Genugtuung zu wissen, dass ich mich darüber aufregen würde, meinen Tag mit Konzentrationsübungen zu verschwenden! Ich war regelrecht empört, versuchte mir meine Stimmung aber nicht anmerken zu lassen.

Ich nahm mir eine Matte und setzte mich vor Hikari, das Gesicht ihr zugewandt.

Ich versuchte meine Beine in einen ihrem ähnlichen Schneidersitz zu zwängen und verzweifelte daran, dass ich nicht beide Füße gleichzeitig auf meine Oberschenkel legen konnte.

Ich kämpfte weiter, während ich sprach. „Was soll mir das dabei helfen, meine Kräfte zu kontrollieren?“

Sie seufzte. „Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, braucht man eine gewisse Selbstbeherrschung und Kontrolle um diese zu verwenden. Und um das fehlende Glied zwischen Kontrolle und Einsatz deiner Kräfte einzufügen, bedarf es dir ein bisschen mehr als deiner übliche Konzentration!“

Ich gab auf und setzte mich in einen normalen Schneidersitz. Ich rollte mit meinen Augen. „Aber warum müssen wir ausgerechnet meditieren? Es gibt doch garantiert auch... weniger ruhige Übungen, um die Konzentration zu steigern!“

Jetzt war sie an der Reihe ihre Augen zu verdrehen. „Akina, wer ist die Lehrerin?“

„Du“, antwortete ich ohne zu überlegen.

„Gut – dann hör gefälligst auch auf das, was ich dir sage!“

Das hatte gesessen. Ich war still und gehorchte.

Erwartungsvoll starrte ich sie an, auch wenn immer noch recht zweifelnd und widerwillig.

Dieses berüchtigte Lächeln stahl sich wieder auf ihre Lippen. „Dann lass uns mal anfangen.“

Sie atmete tief ein und aus, ganz langsam und intensiv. Sie schloss ihre Augen, als ich es ihr gleichtat.

„Atme ganz ruhig“, flüsterte sie. „So langsam wie du nur kannst.“

Ich schloss die Augen und versuchte ihren Anweisungen folge zu leisten, das laute Treiben draußen auf dem Hof lenkte mich aber immer wieder ab.

„Ruhiger“, mahnte sie. Anscheinend lauschte sie meinem Atmen, nicht den anderen Geräuschen.

Ich versuchte mich auf das leise Pochen meines Herzens zu besinnen, gab nach kurzer Zeit wieder auf, als ich bemerkt, dass ich dadurch nur noch schneller atmete.

Ich konzentrierte mich auf die Geräusche um mich herum um die Laute ihrer Atmung herauszuhören. Erst dachte ich, ich würde es einfach nicht hinbekommen, weil sie zu leise war, doch dann nach langer Zeit, hörte ich ihren Atemzug. Sie musste wirklich sehr langsam Atmen!

Ich passte mich ihrem Rhythmus langsam an, und verfiel schnell in den gleich Trott wie sie.

“Gut“, hauchte sie, und ich versuchte nicht aus dem Konzept zu kommen, als ich ihre Stimme hörte.

Ganz langsam, dachte ich, und atmete tief durch.

„Versuch jetzt, alles um dich herum auszublenden. Hör nicht mehr, riech nicht mehr, spür nicht mehr. Du darfst rein gar nichts mehr fühlen. Nur deinen Herzschlag und deine Atmung, sonst nichts.“ Sie sprach ruhig und sehr langsam, stockend, weil sie ihre Atmung nicht vernachlässigte.

Ich antwortete nicht, weil ich dann aus meinem Rhythmus ausbrechen würde.

Also besann ich mich einfach darauf, als erstes das Getöse draußen auszublenden, was gar nicht so einfach war, da ich erst später herausfand (ich wusste nicht wie lange ich hier schon saß, bis ich es endlich wusste), dass es einfacher war die Geräusche auszublenden, wenn ich mich nicht darauf konzentrierte sie auszublenden.

Nach sehr langer Zeit gelang es mir dann endlich und ich hörte nur noch meinen stetigen Herzschlag und meinen Atem.

Dann kam ein neues Gefühl zu der Ungeduld und der Langeweile hinzu. Mein Magen fühlte sich leer an und grummelte unheilvoll – ich vermutete es war inzwischen weit über Mittag.

Ich versuchte auch das auszublenden, doch es wollte mir nicht recht gelingen. Es war viel schwerer Gefühle und Empfindungen zu ignorieren, als nervtötende Geräusche.

Ich hatte so einen Hunger. Mein Magen wollte einfach nicht ruhig sein und bettelte immer weiter um Nahrung. Egal was ich machte, er ließ sich nicht unterdrücken oder beeinflussen.

Mein Magen knurrte munter vor sich hin, wie ein wütender Hund, der sein Herrchen um Nahrung anbettelte.

Das machte mich wütend und unvorsichtig und wie auf Knopfdruck war plötzlich alles wieder da. Hikaris Atmen, ihr leiser Herzschlag, das Wiehern der Pferde, der Wind, die raschelnden Blätter, die lauten Rufe der Ritter und Knechte, das Geschnatter der Mägde...

Ich hätte laut aufschreien können, dafür, wie blöd ich doch war, mich von meinem eigenen Magen in diese Falle locken zu lassen und nun meine ganze Konzentration einfach so dahin war.

Ich saß noch lange mit zusammengekniffenen Augen an genau der gleichen Stelle, ohne mich zu bewegen, bis ich endlich einsah, dass es keinen Sinn mehr hatte.

Ich öffnete vorsichtig meine Augen und schielte zu Hikari herüber. Sie saß immer noch am selben Fleck, stocksteif und bewegungslos.

Widerwillig schloss ich wieder die Augen und versuchte wenigstens so zu tun, als würde ich meditieren.

Bis die Sonne wieder untergegangen war, hatte sich Hikari immer noch kein Stück bewegt. Danach gab ich auf, sie zu beobachten.

Tausendmal hatte ich versucht wieder in diese merkwürdige Trance hineinzufinden, doch letztlich hatte ich doch aufgeben müssen. Ich schaffte es einfach nicht, und genau das war wahrscheinlich das, was ich lernen musste.

Ich zählte die Bücher vor mir im Regal (es waren 576), dann zählte ich alle Blauen, Grünen und die sonstigen, andersfarbigen Bücher. Ich fand heraus, dass die meisten einen roten Umschlag besaßen.

Diese Langeweile war eine regelrechte Tortur! Ich traute nicht, auch nur einen Zentimeter auf meiner Matte herumzurutschen, bevor Hikari mir nicht die Erlaubnis gab, mich wieder frei zu bewegen.

Es war schon sehr spät, als ich einen letzten Versuch unternahm, die Augen schloss, meine gesamte Umgebung und meine menschlichen Bedürfnisse versuchte auszuschalten.

Erst schaffte ich es, doch dann knurrte mein Magen so laut, dass ich schon dachte Hikari würde hochschrecken von dem lauten Geräusch.

Sie saß jedoch weiterhin reglos da, während meine Konzentration erneut abhanden gekommen war. Ich fragte mich wirklich, ob sie überhaupt irgendetwas mitbekam? Würde sie wohl genauso abwesend hier sitzen, wenn im Schloss ein Feuer ausbrach? Ich war mir fast sicher, dass sie mir alles nur vorspielte, so wie ich es bei ihr versuchte.

Die Sonne ging jetzt also unter und ich beobachtete zuerst, wie sich der Sichelmond blass silbern am nachtschwarzen Himmel abzeichnete. Dann tauchte Sternchen für Sternchen in der dunklen Nacht am Himmelsgewölbe auf.

Erst jetzt fielen mir die unbekannten Sternenbilder auf. Die Erde und Kalderan standen nicht unter dem selben Firmament, nur der Nordstern (ich vermutete zumindest, dass er es war) stand einzig dort, wo ich ihn erwartete, hell leuchtend wie ein Hoffnungsschimmer in der Dämmerung.

Ich schreckte leicht zusammen, als ich aus dem Augenwinkel Bewegungen wahrnahm.

Hikari gähnte und streckte sich wie eine junge Löwin.

Erleichtert machte ich es ihr jetzt nach und streckte mich erst einmal ebenfalls ausgiebig. Ich riss alle vier Gliedmaßen in die Luft und spannte alles kurz einmal alles an, um dann meine Muskeln entspannen zu lassen und meine Beine danach wieder auf den Boden fallen zu lassen. Ich gähnte herzhaft.

„Jetzt weißt du, was ich meinte.“ Hikari grinste siegessicher.

Mir klappte der Mund auf.

Ich wollte lautstark protestieren, aber Hikari unterbrach mich.

„Lass uns erst einmal etwas essen, die letzten Reste müssten noch da sein!“
 

Es war kein Test, eher eine sich immer wiederholende Geduldsprobe!

Es war der nächste Tag und wieder verlangte Hikari von mir, die gleichen nervenaufreibenden Meditationsübungen durchzuführen wie gestern, was im Klartext bedeutete den ganzen Tag in ununterbrochener Trance zu verbringen.

Heute war es für mich nur noch schwerer die Konzentration zu halten, da ich immer wieder das Gefühl hatte einzuschlafen, weil ich es einfach nicht gewohnt war so ruhig zu sein.

„Du nimmst das ganze nicht ernst!“, meinte Hikari am dritten Tag etwas genervt, als ich schon gar nicht mehr versuchte die Übungen überhaupt auszuführen, sondern auf die Gespräche der Leute lauschte, die bis hier hinauf drangen.

„Ich kriege es aber einfach nicht hin“, jammerte und zog beleidigt meine Knie vor die Brust. „Wieso merkst du überhaupt, dass ich die Aufgabe nicht mache?!“

„Intuition? Übersinnliche Wahrnehmung? Gedankenlesen?“

Ich fühlte mich veralbert und wandte mich ab.

Hikari entfesselte sich ebenfalls aus ihrem Schneidersitz und stütze sich jetzt nach hinten hin mit ihren Händen ab.

Sie seufzte. „Woran meinst du liegt es denn, dass du es nicht hinbekommst?“

„Inzwischen kriege ich es ja schon hin, dass mein Magen mir nicht dauernd auf die Nerven geht. Den kann ich inzwischen getrost ausblenden, genauso, wie alle anderen Geräusche. Was mein Problem ist, ist, dass ich das Gefühl habe, gleich im Sitzen einzuschlafen! Und das kann ja wohl nicht richtig sein, oder?“

Ich hob meine Augenbraue und funkelte sie selbstsicher an.

Sie lachte. „Doch, das kann richtig sein. Sogar goldrichtig! Du machst nichts falsch, wenn du in die Trance abgleitest, verlierst du sozusagen dein Bewusstsein und tauchst in die tiefen deines Unterbewusstseins ein. Das mag dir am Anfang vorkommen, als würdest du schlafen, doch eigentlich ist es nur die bewusste Reise in dein Unterbewusstsein.“

„Das klingt irgendwie ganz schön verwirrend“, musste ich kleinlaut zu geben und bettete jetzt mein Kinn auf den Knien.

„Versuch es einfach noch einmal“, ermunterte sie mich. „Wenn du einschlafen solltest, wecke ich dich selbstverständlich!“ Fies lächelnd drehte sie ihre Hand und ließ das Gelenk knackend.

„Ja das kann ich mir vorstellen“, lachte ich unbeschwert und setzte mich in den Schneidersitz. Die Zeit mit Hikari zu verbringen war so einfach. Wir waren wie Freundinnen, nicht wie Lehrer und Schüler. Ich war mir sicher, dass es mit Nikko nicht so gewesen wäre.

„Gut... dann probiere ich es noch einmal.“

Ich lehnte mich leicht zurück und streckte meine Arme ein letztes Mal. Dann legte ich die Hände in den Schoß, schloss die Augen und konzentrierte mich sozusagen auf das Nichts.

Und auf einmal war ich im Irgendwo. Man könnte es vielleicht so beschreiben: Ich hatte nicht direkt das Bild vor Augen, dass ich irgendwo stand, dass ich beschreiben könnte, wie es hier aussah. Aber mir kam es so vor, als wäre ich in einem verwinkelten Raum mit Millionen von Treppen und Türen, und für jede hatte ich den passenden Schlüssel. Es war nicht dunkel hier, sondern strahlend hell. Ich konnte das Ende des Raums nicht ausmachen und ich wusste nicht, was sich noch alles hier versteckte.

Ich öffnete die Türen und fand den Schlüssel zu längst vergessenen oder verdrängten Erinnerungen. Es war wie eine Reise in meine Vergangenheit. All meine Wünsche wirkten hier nicht mehr unmöglich, sondern erdenklich. Alt begangene Fehler kamen mir nicht mehr Falsch vor, sondern wie der Teil eines Weges, der zu etwas Größerem, Besseren führte.

Es war zu viel, das ich beschreiben müsste, um mir die unendlichen Weiten dieses ‚Raumes’ auszumalen. Er war für mich ein Rätsel, ein unlösbares Rätsel. Dann begriff ich: Ein Unterbewusstsein konnte man einfach nicht erfassen, zu groß war es. Denn dies war mein Unterbewusstsein, ein verworrener, heller Raum der Erfüllungen, Träume und Erinnerungen.

Es war unglaublich das eigene Unterbewusstsein nicht zu verstehen.

Ich schaute mich um und sah hinter mir einen Torbogen, wie ein Fenster in die Realität. Ich konnte zwar kein klares Bild sehen, doch ich wusste, dass er nur das sein konnte.

Ich trat hindurch und öffnete schlagartig meine Augen.

Hikari starrte mich aufgeregt an.

Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen.

„Ich habe es geschafft“, sagte ich ganz langsam und mein Lächeln wurde breiter.

Sie grinste selbstgefällig. „Gut, dann kann ja jetzt die nächste Stufe der Selbstkontrolle beginnen...“

Etwas eingeschüchtert, aber immer noch das Gefühl des Triumphes in mir flatternd, entspannte ich mich ein Stück weit aus meiner verworrenen Meditierhaltung.

„Der wäre?“, ich hob fragend meine Augenbraue.

Hikari warf einen Blick nach draußen. Die Sonne war noch nicht am Untergehen, deswegen wunderte mich ihr plötzlicher Gefühlsumschwung. Vorhin war ihr Gesicht noch durch das neckische Grinsen erhellt, jetzt wirkte es auf einmal düster. Es war nicht genau zu beschreiben, was es zeigte, dafür kannte ich ihre Gesichtszüge noch nicht lang genug um genau in ihnen lesen zu können, dennoch wusste ich, dass sie irgendetwas beschäftigte.

„Das erfährst du wohl erst morgen.“ Ihr Lächeln jetzt wirkte aufgesetzt und erreichte ihre Augen nicht. Es war nur ein fades Abbild ihres sonstigen Lächelns. „Ist es dir Recht, wenn wir für heute Schluss machen?“

„Nein, kein Problem.“ Verwundert versuchte ich immer noch aus ihrem Gesichtsausdruck schlau zu werden. Vergebens.

„Gut“, sie sprang auf und diesmal war ich Lächeln ehrlich, auch wenn ihr Blick weit weg schien. „Ich hab noch was zu erledigen und komme erst morgen am Nachmittag wieder. Du hast dann also erst frei, bis ich dir sage, dass ich wieder da bin.“

„Wo gehst du denn hin?“ Ich richtete mich mit steifen Gliedern auf und verlor kurz den Gleichgewichtssinn. Ich ließ mir meinen Schwindel nicht anmerken.

„Ich erzähle es dir, falls ich Erfolg habe“, sie zwinkerte kurz und wandte sich dann zur Tür. „Ich muss jetzt los. Bis morgen dann.“

Sie verließ den Raum ohne noch einen Blick zu mir zurück zu werfen.

Ich entschloss mich, mir endlich mal genauer die Bücher der Bibliothek zu betrachten und noch hier zu bleiben, obwohl Hikari gegangen war. Ich sah es nicht ein, dass ich nicht genau so das Recht dazu haben sollte mich im Schloss frei umzuschauen. Wenn ich genauer darüber nachdachte, hatte es mir auch nie jemand verboten. Umso besser, dann konnte ich ja garantiert auch ohne schlechtes Gewissen die Bücher ausleihen!

Ich streifte an den Regalen entlang und suchte nach einem viel versprechenden Buchtitel oder einem auffallenden Buchrücken, der förmlich schrie ‚Nimm mich’.

Doch bei der ersten Regalreihe hatte ich anscheinend weniger Glück. Ich entdeckte einen Torbogen zwischen den Bücherregalen und fand mich in einem weiteren Gang mit nur noch mehr Bücherregalen wieder, der unterhalb der oberen Empore verlief und am Ende einen Knick hatte.

Ich folgte den Reihen und schaute um die Ecke herum. Am Ende stand ein durch Kerzenlicht spärlich erleuchtetes Lesepult umgeben von weiteren Büchern.

Ein aufgeschlagenes Buch lag auf dem Tisch.

Ich trat näher heran, um zu erkennen, um welches es sich handelte.

Das schlichte Buch war in schwarzes Leder gehüllt und war sehr klein, fast wie ein Tagebuch. Die Schrift innen drin war handgeschrieben. Die Seiten wirkten alt und zerfleddert, die ersten Risse kündigten schon den Zerfall der Antiquität an. Auf dem Einband stand rein gar nichts, also widmete ich mich dem, was drin stand.

Das Buch war auf einer Seite aufgeschlagen, die auf der rechten Seite eine Zeichnung eines Waldes abbildete. Der Bildtitel war „der fließende Wald“. Fragend starrte ich das Bild an, und fragte mich, ob es ein Bild der Realität darstellte, oder ob es sich wohlmöglich um ein Märchen handelte. ‚Der fließende Wald’. Für mich klang dieser Name wie ein einzelner wunderbarer Ton des Liedes Kalderan. Eine Note, nur ein Teil vom Ganzen. Meine Augen fingen an zu leuchten.

Ich widmete meine Aufmerksamkeit der leicht verblassenden Handschrift und überflog nur die ersten paar Zeilen flüchtig. Sie erzählten irgendetwas von einer Reise entlang eines Flusses, nichts bedeutendes, wie ich fand.

Jetzt erst fiel mir auf, dass am unteren Ende der linken Seite ein großes Stück fehlte.

Ich las ab dem Absatz, von dem der Rest fehlte.

Nachdem die schwarze Sonne aufgegangen ist, soll am Abend die Zeremonie der Sternschnuppen abgehalten werden. Durch die Zeremonie absorbiert der Auserwä - dann endete die Seite.

Ich stutzte. Was hatte das zu bedeuten?

Ich war ratlos, und es war hoffnungslos hier in der Bibliothek in irgendeinem der Bücher um Rat zu fragen.

Ich entfesselte meinen Blick von dem Buch und legte es zurück. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie Furcht einflößend dieser merkwürdige Gang war. Von allen Seiten von Stein bedrängt, fühlte man sich erdrückt durch die Dunkelheit und die niedrige Decke.

Schnell wandte ich mich ab und suchte erst den Weg hinaus aus dem Büchertunnel, um dann herüber zu den Regalen auf der anderen Raumseite zu schlurfen.

Hier nahm ich schon öfter Bücher aus dem Regal, doch bis jetzt hatte ich noch kein Buch gefunden, welches mein Interesse weckte.

Auf dieser Seite gab es keinen Gang unterhalb der zweiten Empore, also stieg ich die Treppe hoch, um mich endlich mal oben umzuschauen.

Hier oben bildete das Geländer einen Rahmen um den Ausblick nach unten. Mir kam es vor, wie ein Fenster, durch das ich direkt die Geschehnisse in der Hauptbibliothek beobachten konnte.

Die Fensterwand von unten setzte sich hier oben weiter fort, doch hier wirkte die Bergfront mit dem davor blühenden Wald noch viel eindrucksvoller, auch wenn sie durch eine hohe Gesteinsmauer auf einem Hügel von dieser rätselhaften Stadt abgetrennt wurden. Der Himmel war so nah, dass ich dachte ich würde schweben, wären dort nicht die gitterähnlichen Rahmen gewesen, die das Glas an ihrem Platz hielten und mir so die Grenzen meiner Traumwelten aufboten. Die meterhohen Decken machten dieses Gefühl nur noch unglaublicher, genauso wie die Halbglaskuppel, die sich von der Fensterfront erhob und einen Halbbogen bis zur Mitte der Decke machte. Dort ging sie wieder in Gestein über, bis sich die Decke am Ende des Raums mit der Wand verschmolz.

Ich schritt von der gegenüberliegenden Treppe an die Fenster und stellte mich so nah heran, dass keine Gitterstreben meine Sicht behinderten. Ich verlor mich im endlosen blau und suchte verborgene Bilder in den weißen Wolken. Irgendwann wandte ich mich ab und schlenderte an der schmalen Passage entlang, die zwischen Fensterfront und Abgrund durch das Geländer abgetrennt wurde.

Die drei anderen Seiten der zweiten Ebene waren ebenfalls mit Regalen zugestellt, die bis zur Decke gingen, die mindestens zwanzig Meter hoch sein musste.

Hohe Leitern auf Rollen waren an einer Schiene im oberen Ende der Regale befestigt. Mit ihnen konnte man mühelos auch die oben stehenden Bücher erreichen, zumindest sofern man schwindelfrei war.

In diesem Fall musste ich mich leider dazu zählen. Ich hatte zwar kein Problem damit an steilen Bergwänden klettern zu gehen, doch wenn es um klapperige und wackelige Leitern ging, war ich ein richtiger Angsthase. Meist gab ich schon nach wenigen Sprossen auf und stieg wieder herunter. Leitern waren so etwas wie meine Berge für Menschen die richtige Höhenangst hatten. Ich hatte viel mehr eine Leiterangst, so komisch es auch klang.

Ich blieb also bei den unteren Büchern und fand auch nach wenigen Fehlgriffen endlich ein interessant aussehendes Buch.

Der Buchdeckel war wunderschön verziert, mit Goldkanten auf dem roten Leder, einem verworrenen Bild und Schriftzügen, die wie aus flüssigem Gold über das Buch flossen. Das Bild, oder viel mehr die Bilder, wurden von glitzerndem Efeu durchrankt, der die einzelnen Bilder zu einem Gesamtwerk verschmolz, ohne das sie wie einzelne Bilder wirkten. Auf den ersten Blick sah man einfach nur die glänzenden Linien, die sich wie leuchtende Tinte durch das blutrot mischten und wie Wolken verschlungene Dinge bildeten.

In der linken Ecke erkannte ich eine Rose, oben rechts eine Sonne, in der Mitte sah ich ein anmutiges Einhorn. Und dort waren noch so viele einzelne, wilde Bilder, die sich alle in Efeu auflösten und ein mächtiges Gesamtbild erschufen.

Wenn man den Einband genauer betrachtete ergab sich aus den vielen kleinen Bildern doch ein riesiges: Ein Efeu bewachsener Baum in dessen Krone sich der Schriftzug ausweitete. ‚Das Beflügelte Volk’ las ich in den Ranken und sofort loderte mein Interesse, das Buch zu lesen, auf.

Zufrieden hüpfte ich die Treppe wieder herunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Mit blendender Laune verließ ich die Bibliothek, als gerade die Sonne im Westen hinter den Wolken aufblitzte.
 

Die Zeit bis zum Abendbrot verging wie im Flug. Ich war durch die Gänge des uralten Mauerwerks gelaufen und hatte nach Orten gesucht, die nicht unbedingt hinter Türen versteckt waren. Es kam mir falsch vor hinter fremde Türen zu gucken, deshalb beließ ich es dabei, sie nicht zu öffnen.

Dabei hatte ich viel Zeit um nachzudenken.

Das erste, was mich wunderte war, dass ich wohl wusste, warum ich hier war, aber nicht, was ich hier tun sollte! Ich beschloss Hikari diese Frage zu stellen, wenn sie morgen wiederkam.

Eine andere Sache war die: Normalerweise saß Yori im Speisesaal neben mir, doch seit der Szene im Hof hatte ich ihn kein einziges Mal gesehen. Es wäre mir so vorgekommen, dass er mir aus dem Weg gehen würde, wäre da nicht noch die Tatsache, dass Ryota und einige andere der Ritterschaft ebenfalls nie am Tisch saßen, wenn ich die riesige Halle betrat.

Ich wunderte mich, wo sie wohl waren und hoffte auch dies bald heraus zu finden.

Bei dem Gedanken daran, dass nun niemand neben mir sitzen würde, als der obskure Hohepriester Nikko, freute ich mich überhaupt nicht mehr auf das bevorstehende Abendessen.

Trotzdem hatte ich keine andere Wahl, als seufzend im Gang kehrt zu machen, den ich gerade entlang lief und Essen zu gehen, da mein Magen schon seit einer halben Stunde rebellierte und nach Essen bettelte.

Ich versuchte mir einzureden, dass es nicht so schlimm war eine viertel Stunde alleine etwas essen zu müssen, doch dann erinnerte ich mich an die hunderte fremde Gesichter, die mich für gewöhnlich alle gleichzeitig musterten und mich mit ihren Blicken quälten.

Ich war jedes Mal froh, wenn ich diese Tatsache durch ein tiefsinniges Gespräch mit Hikari überspielen konnte.

Was sollte ich bloß tun, wenn ich allein dort saß? Warten bis mein Kopf knallrot war und dann schnell aus dem Raum rennen?

Ich seufzte und blieb vor der Speisesaaltür stehen.

Reingehen, essen, wieder rausgehen. Gar nicht so schlimm, wie ich denke...

Ich holte tief Luft und ging auf leisen Sohlen herein.

Mir fiel fast ein Stein vom Herzen, als ich doch noch vertraute Gesichter sah, die an jeder meiner Bewegungen hingen. Die Ritter waren endlich wieder da! Und Yori saß an seinem Platz, gleich neben meinem, und folgte ebenso mit aufmerksamem Blick meinem Weg um den Tisch herum.

Ich freute mich jetzt schon über die vermeintliche Ablenkung von der aufdringlichen Aufmerksamkeit der Leute im Schloss. Wenn man schon mehrere Tage weg gewesen war, dann hatte man bestimmt auch etwas zu erzählen!

Lächelnd ließ ich mich auf meinen Stuhl sinken.

„Hallo“, begrüßte ich Yori und musterte ihn mit einem interessierten Blick. Er sah so aus, als hätte er mehrere Tage nicht duschen können und hatte die ganze Zeit draußen verbracht. Seine Haare waren leicht verklebt und er war nicht der einzige, der Schnittwunden im Gesicht und an den Händen hatte. Ich wollte mir nicht vorstellen, welche Verletzungen sie noch alle haben konnten. Außerdem hatte er ein dreckverschmiertes Gesicht und seine Kleider waren mit Schlamm und Blut beschmiert.

Sein Anblick war verstörend. Sorgenvoll ruhte mein Blick immer noch auf ihm. Er schaute mich verständnislos an.

„Hallo“, erwiderte er nur kurz und wandte sich dann wieder seinem Essen zu.

Ich tat mir selbst Nudelauflauf und Salat auf den Teller und stocherte darin herum. Ich wusste nicht wie ich das Gespräch anfangen sollte, wo er doch anscheinend kein Interesse daran zeigte mit mir zu reden.

In paar weitere Minuten saß ich einfach nur vor meinem Essen. Dann schreckte ich auf.

„Gleich ist es kalt.“ Yoris Stimme hatte mich aus meinen Gedanken gerissen und erschrocken schaute ich zu ihm auf. Er hatte mich anscheinend die ganze Zeit gemustert.

Sein Blick war jetzt weniger abweisend, eher interessiert und eine Spur von Belustigung schwang garantiert auch in ihm mit.

Ertappt schaute ich schnell weg und piekste die erste Nudel auf.

Ich schob sie in meinem Mund. Inzwischen waren sie nur noch lauwarm.

„Ist noch essbar“, murmelte ich, als ich runtergeschluckt hatte und schaute nervös wieder weg, als ich bemerkte, dass er mich immer noch ansah, obwohl er schon längst fertig war mit Essen.

Ich aß noch zwei weitere Nudeln, bis ich endlich einen Entschluss gefasst hatte. „Erzähl mal“, bat ich. „Wo wart ihr die letzten Tage?“ Interessiert musterte ich ihn, während ich weiter aß.

Ich fand es albern, weiterhin stumm nebeneinander zu sitzen. Was konnte er schon großartig machen? Sagen, dass mich das nichts anging, mehr auch nicht!

Seine Miene veränderte sich ins unergründliche. Noch gespannter musterte ich ihn.

Dann fing er an zu erzählen. „Wir waren im Nordosten, bei Fallaleyï.“

Erstaunt über seine Antwort, schluckte ich schnell herunter, um meine nächste Frage zu stellen. „Warum musstet ihr denn dahin?“

Ohne Umschweife erzählte Yori weiter. „Mizukis Vasallen haben in der Nähe geplündert und einige Dörfer haben beim König um Hilfe gebeten. Deswegen mussten wir hin, um den Dörfern zu helfen.“

„Und nach dem Helfen ist man dann über und über mit Schlamm bedeckt?“ Ich hob irritiert meine Augenbraue und schob etwas vom Salat in meinen Mund.

„Das lag am Regen beim Kampf.“

Ich fing laut an zu husten. Vor entsetzten hatte ich mich an meinem Salat verschluckt und würgte ihn wieder hinauf.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Yoris Miene umschwang. Er wirkte verunsichert und besorgt.

Diese Tatsache war für mich aber gerade erst einmal nebensächlich. Luft. Das war es, was bei mir auf der Prioritätenliste ganz oben stand. Atmen.

Ich trank einen Schluck Wasser und konnte endlich wieder frei durchatmen, wenn mir auch immer noch Tränen in den Augen standen.

„Ist alles in Ordnung?“, ein mir unbekannter Unterton lag in Yoris Stimme. Besorgtheit?

„Alles klar, nichts passiert“, krächzte ich hilflos und trank noch einen Schluck Wasser. Mein Rachen brannte.

Sein Blick lag immer noch auf mir. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie viele andere noch.

Ich beruhigte mich wieder und piekste fleißig Salat auf meine Gabel.

„Wo waren wir noch einmal?“, fragte ich, um das Gespräch wieder aufzunehmen. „Genau... Kampf?“

„Mizuki“, beantwortete er kurz.

„Mizuki...“, wiederholte ich nickend, um meinen Schock zu verbergen. Ich mied seinen Blick und zwang mich dazu nicht aufzuschauen und nur meinen Teller anzusehen. Schnell piekste ich wieder etwas vom Essen auf. „Ist jemand... gestorben?“

„Nein, es sind alle heil wieder hier... wenn man von den kleinen Verletzungen absieht. Einer hat einen gebrochen Arm, aber das ist auch das Schlimmste. Es waren nicht viele schwarze Ritter unterwegs.“

Stumm aß ich weiter und überlegte mir ein neues Thema. Ich hatte immer noch Gänsehaut auf meinen Armen.

„Und Fallaleyï? Wie ist es da so? Wie lange reist man dorthin?“

Ich spürte immer noch seinen Blick auf mir brennen, ich versuchte es jedoch zu ignorieren. Ich konnte mir vorstellen wie er guckte.

„Wie schon gesagt, es liegt im Nordosten, an der Grenze zum Reich des Granitdrachen. Dort ist ein jahrhundertealter Wald direkt vor den Bergen. Die Reise dauert nur einen Tagesritt, ist nicht wirklich weit weg.“

„Und der Ort selbst?“ Ich traute mich wieder hoch zuschauen und blickte direkt in seine glasklaren blauen Augen. Schnell blickte ich wieder runter.

„Fallaleyï ist die bedeutendste Gelehrtenstadt ganz Kalderans. Sie besitzen so ziemlich jedes Buch, das jemals von der Feder eines Schriftstellers geschrieben wurde. Sie haben dort mindestens sieben Gebäude, die ausschließlich mit Büchern gefüllt sind. Die Stadt selbst lässt sich eigentlich kaum beschreiben, man muss sie sehen, und selbst dann kann man noch nicht alles erfassen, was so unbeschreiblich an diesem Ort ist.“

Ich war erstaunt über Yoris plötzlichen Redeschwall. Man sah ihm an, dass er in alte Erinnerungen abtauchte und bekam einen verträumten Blick.

Interessiert hatte ich ihn gemustert, während er gesprochen hatte. Ich wollte mich nicht über ihn lustig machen, dennoch stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen. „Es ist fast so, als würdest du für Fallaleyï schwärmen“, kicherte ich. Schnell fasste ich mir mit der Hand an den Mund, um mein Schmunzeln zu verbergen, als sein kalter Blick meinen scharf schnitt. „Bin schon ruhig“, sagte ich schnell und wandte mein Gesicht gekonnt ab, und lächelte weiter in mich hinein.

Ich hatte Yori bisher noch nie so befreit reden gehört. Es war in gewisser Weise irgendwie... schön? Mir fehlte ein Wort, um es passend zu beschreiben.

Ich fragte erst weiter, als sich seine Miene entspannt hatte und wieder der gleiche, belustige und interessierte Ausdruck auf seinem Gesicht stand, wie zum Anfang unserer Unterhaltung.

„Liest du viel?“ Ich überlegte nicht lange bevor ich diese Frage stellte. Es war einfach eine dieser Fragen, die man ohne Bedenken und Hintergedanken stellte. Deswegen war ich verblüfft über seine Reaktion.

„Wie kommst du darauf?“ Sein Blick war entrüstet.

„Ich habe das bei deiner Begeisterung einfach mal so angenommen“, sagte ich unschuldig und schaute ihn etwas konfus an.

„Dann hast du falsch geraten“, bestritt er und ließ damit das Thema fallen.

Ich grübelte kurz und fand sofort ein neues. „Was gibt es denn an Kentosai sehenswertes? Du scheinst mit so was ja vertraut zu sein.“

Er schien meinen leicht spöttischen Unterton nicht überhört zu haben, bis auf ein schiefes Lächeln reagierte er darauf jedoch völlig ignorant. „Viel gibt es hier nicht zu sehen. Ich denke das Schloss und die Umgebung sind das aufregendste, wenn man auf altes, verwinkeltes Mauerwerk steht, oder gerne über grüne Wiesen wandert.“

„Jetzt mal ehrlich, gibt es hier nichts zu sehen?“

„Es ist nur ein Gerücht“, sagte er und senkte dabei augenblicklich seine Stimme. Automatisch beugte ich mich zu ihm vor. „Aber die Leute flüstern sich zu, dass der fließende Wald hier in der Nähe sein soll.“

Dann stand er auf und schenkte mir ein spöttisches Lächeln. „Viel Glück bei der Suche“, sagte er und verließ den Raum.

Fallaleyï

!!! Vorläufige Non-Beta Version :) Entschuldigt für Rechtschreib und Grammatikfehler (; !!!
 

Ich ging an diesem Abend früh schlafen und wachte erst auf, als die Sonne am Horizont erschien und mich die Sonnenstrahlen sanft wach kitzelten.

Da Hikari erst am Nachmittag wieder kommen würde, hatte ich also den ganzen morgen Freizeit.

Doch was tun, in einer fremden Welt, in der man kaum jemanden kennt?

Ich machte mich erst einmal ganz normal fertig, putzte die Zähne, wusch mich, machte mir die Haare und zog mich an.

Dann ging ich voller Vorfreude zum Frühstück.

Das hatte zweierlei Gründe, die komischerweise beide auf das gleiche zurückzuführen waren. Der erste war, dass Yori endlich wieder da war, ich deswegen nicht allein frühstücken musste, und er, nachdem er ausgeschlafen war, vielleicht nicht mehr ganz so mürrisch war und etwas gesprächsbereiter. Was mich auch schon zu meinem zweiten Grund führte. Wenn er gesprächsbereit war, konnte ich garantiert etwas mehr über den fließenden Wald herausfinden.

Ich hatte gestern Abend noch versucht über ihn etwas in der Bibliothek herauszufinden, aber ich glaube, dass Hikari die einzige ist, die die Chronologie dort versteht.

Deswegen war Yori im Moment meine an erster Stelle stehende Informationsquelle.

Meine Enttäuschung war groß, als keiner der Ritter oder Knechte am Tisch saß. Selbst Nikko war nicht da, dafür saß jedoch ein anderer Junge in der Nähe meines Platzes, der mir vorher noch nie aufgefallen war. Er war vielleicht zwei Jahre jünger als ich, hatte lockiges, aschblondes Haar und hellbraune Augen. Wie ein Ritterlehrling sah er nicht aus, dafür war er zu schlaksig und zu dünn. Er hatte kaum Muskeln und war ziemlich klein, etwa ein paar Zentimeter größer als ich.

Schüchtern lächelte er mich an, als ich mich an meinen Platz setzte, der zwei Stühle von seinem entfernt war.

Seine Distanziertheit machte mich neugierig. Wer war dieser Junge?

Ich rutschte die zwei leeren Stühle entlang und setzte mich neben ihn.

„Guten Morgen“, strahlte ich und schenkte ihm mein schönstes Lächeln, um ihn aus seiner Starre auftauen zu lassen.

„Morgen“, nuschelte er schnell. Seine Stimme war rau und kratzig, wie die Stimme eines Teenagers im Stimmbruch. Sein Adamsapfel hüpfte hysterisch, als seine Stimme abbrach.

„Ich möchte nicht unhöflich klingen, oder so“, fing ich an „, aber müsste ich dich kennen? Ich dachte eigentlich, ich würde jeden kennen, der im Umkreis von 5 Stühlen neben mir sitzt.“ Ich lächelte freundlich.

Der Junge schüttelte den Kopf. Er begann zu reden, doch seine Stimme brach erneut ab. Er räusperte sich und fuhr fort. „Ich bin Yashar“, erklärte er. „Ich bin der Eleve von Meister Nikko. Ich bezweifle stark, dass du mich kennen müsstest. Es kann sein, dass mich Meister Nikko oder Priesterin Hikari in deiner Gegenwart erwähnt hat, aber persönlich wurden wir uns noch nicht vorgestellt.“

„Schön dich kennen zu lernen“, ich lächelte wieder. „Ich bin Akina.“

Er nickte. „Ich weiß, du bist die Hüterin der Jadeperlen.“ Er gab mir die Hand.

Mit großen Augen schaute ich ihn an.

„Nun ja, jeder kennt dich“, sagte er entschuldigend.

„Es sollte mich nicht mehr überraschen, oder?“, fragte ich sarkastisch und wandte mich jetzt dem Frühstück zu.

„Nicht wirklich“, bestätigte er und ich hörte das Schmunzeln aus seiner Stimme heraus, das sie viel weicher wirken ließ. Die Anspannungen waren von ihm abgefallen.

„Wie kommt es, dass ich dich bis heute noch nicht gesehen hab?“

„Ich war krank die letzten Tage.“ Er deutete auf seinen Hals. Darum also die kratzige Stimme. Eine Erkältung!

In der kurzen Gesprächspause belegte ich mir ein Brot und bediente mich mit Saft. Dann wandte ich mich wieder an den blondhaarigen Yashar.

„Du wirst also auch eines Tages ein Priester sein?“

Er nickte.

„Wie lange unterrichtet dich Nikko schon?“

„Priester Nikko.“ Korrigierte er mich pikiert und rümpfte beleidigt die Nase. „Ich bin schon seit fünf Jahren an dieser Burg, seit ich 9 bin.“

Ich war also 3 Jahre älter.

„Wirklich, schon so lang? Da bist du mir bestimmt weit voraus.“ Ich stöhnte. Dann kam mir eine Idee. „Willst du mir nicht mal deine Künste präsentieren? Was lernt man so alles als Priestereleve?“ Begeistert strahlte ich Yashar an.

„Bei Gelegenheit einmal. Aber jetzt muss ich weg, mein Unterricht bei Meister Nikko fängt gleich an.“ Ich verzog das Gesicht, dieses Meister klang für mich doch etwas hochgestochen.

Yashar interpretierte meinen Gesichtsausdruck falsch. „Ich vergess’ es nicht, ich zeig dir wirklich, was ich kann. Und gleich sitzt du hier auch nicht mehr allein. Yori müsste gleich wieder da sein.“

Jetzt verwandelte sich mein Gesichtsausdruck von angewidert zu perplex. „Wie?“

„Das Morgentraining ist gleich vorbei, dann ist er wieder hier.“ Dann ging er.

Ich fragte erst gar nicht, woher er wusste, dass ich auf Yori gehoffte hatte beziehungsweise, dass ich überhaupt etwas mit Yori zu tun hatte.

Vielleicht konnte mir Hikari später etwas dazu sagen, warum selbst diese Tatsache zu meiner Person anscheinend so bekannt war.

Ich wandte mich meinem Frühstück zu und tatsächlich öffnete sich wenige Momente nachdem Yashar den Saal verlassen hatte die Tür erneut und die Ritter und Knappen traten ein.

Nach wenigen Momenten erkannte ich Yori und Ryota in der Menge, da beide sich von den anderen lösten und zum anderen Ende der Halle gingen, die Ritter jedoch direkt an der Wandseite des Tisches ihren Platz hatten.

Nur Ryota und sein Lehrling Yori hatten das besondere Privileg an der Stirnseite des Tisches zu sitzen, dort wo die Priester, der Rat, die Königsfamilie und auch die Ehrengäste ihren Platz fanden.

Als die beiden an ihren vertrauten Plätze ankamen, war ich fast mit dem Frühstück fertig. Um Zeit zu schinden, nahm ich immer nur ganz kleine Bissen und ließ mir nach jedem mehr Zeit als Nötig.

Ohne ein Wort setzte sich Yori neben mich und griff nach Brot und Marmelade.

„Guten Morgen?“, fragte ich giftig ohne ihn anzuschauen und spielte mit dem glänzenden, silbernen Brotmesser. Einen Gruß konnte ich ja wohl noch erwarten, wenn er sich an den Essenstisch setzte!

„Guten Morgen“, antwortete er unbeeindruckt und aß an seinem Brot.

„Irgendwie“ – mein Blick wanderte in seine Richtung –„habe ich das Gefühl, du hast keine Lust mit mir zu reden!“

Mein Blick fiel auf ihn und ich war verwundert, dass er mich interessiert musterte.

„Was?“, fragte ich und nahm an auf irgend eine Weise komisch auszusehen.

Doch seine entwaffnende Antwort war stumpf. „Was soll schon sein?“

Er aß weiter und beobachtete mich wie ein Ausstellungsgegenstand in einem Museum oder einem Tier im Zoo.

Gut, dachte ich, und versuchte krampfhaft meine aufschäumende Wut zu vergessen.

Ich konzentrierte mich auf das Essen auf meinem Teller und massakrierte meine Scheibe Brot beim Butter schmieren.

Ich schaute erst wieder auf, als sich unerwartet die Hallentür öffnete. Einer der Stallburschen huschte flink herein und schlich schnell um den Tisch herum, geradewegs auf den Hauptmann der Garde zu.

Mein Blick, genauso wie Yoris, wanderte in die selbe Richtung.

Der Junge gab Ryota eine schmutzige Papierrolle, die der sogleich aufrollte und mit schnellen Augen überflog.

Ryota tauschte einen schnellen Blick mit Yori, auf den beide Aufstanden und zur Tür gingen.

Ohne darüber nachzudenken stand ich auch auf und folgte ihnen leise.

Draußen drehte sich Ryota zu uns um, betrachtete mich mit einem merkwürdigen Blick und wandte sich dann an seinen Schützling.

„Der Brief kommt aus Fallaleyï, er ist von Hikari“, erklärte er schnell.

Meine Augen wurden groß. War etwas passiert?

„Sie sind in Fallaleyï eingedrungen.“

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Bei ‚sie’ konnte es sich nur um eine Person handeln: Mizuki.

Mit Tränen in den Augen schaute ich von Ryota zu Yori. Beide zeigten keinerlei Emotionen.

„Von dem, was Hikari berichtet, scheint es so als wäre nicht viel passiert. Sie sind in die Stadt eingedrungen, haben die Bibliotheken verwüstet und sind wieder gegangen. Viel Schaden ist nicht entstanden. Es ist anscheinend noch nicht einmal jemand verletzt worden.“

Ich atmete auf.

Ryota wandte sich wiederstrebend in meine Richtung. „Sie lässt dir ausrichten, dass sie euren Unterricht noch etwas verschieben muss“, erklärte er. Dann wandte er sich wieder an Yori. „Und sie bittet um eine Eskorte zurück nach Kentosai.“

Yori nickte schnell und lief zurück in den Speisesaal.

Verwirrt schaute ich ihm hinterher. Als er mit fünf weiteren Rittern, allesamt unter zwanzig Jahren, wieder aus dem Saal heraustrat, winkte Ryota ihn noch einmal zu uns herüber.

„Glaubst du, ihr schafft es auf zwei junge Damen aufzupassen?“, fragte Ryota schmunzelnd. Mit seinem Blick deutete er zu mir herüber.

Meine Augen fingen an zu strahlen. Bittend wanderte mein Blick von Yori zu Ryota.

„Warum nicht“, meinte Yori nur und zuckte mit den Schultern.

„Danke!“, rief ich aufrichtig dankend und fiel erst Yori und dann Ryota um den Hals.

Ryotas Grinsen wurde breiter, ich fragte mich bloß wieso.

Ich versuchte mir keine Gedanken darüber zu machen und blieb auch damit erfolgreich, alsbald Yori sein Wort an mich richtete.

„Pack das nötigste zusammen, und komm dann zu den Stallungen. Keine Bücher, keine weiten Kleider! Kein unnötiger Ballast, hast du verstanden?“

Ich nickte schnell und rannte so schnell ich konnte die Treppe hoch und dann die Gänge entlang.

Endlich würde ich mal wieder etwas anderes sehen als diese endlosen Backsteinmauern voll alter Gemälde.

Und ich würde Fallaleyï mit eigenen Augen sehen. Die unbeschreibliche Stadt der Bücher.

In meinem Zimmer stopfte ich ein paar Klamotten zum Wechseln in meine Tasche und zog mir schnell etwas anderes als das lange Kleid an, das ich gerade trug. Keine weiten Kleider, ich würde mich an die Vorschriften handeln.

Dann ging ich schnell ins Bad und packte die Haarbürste ein. Bei der Zahnbürste stockte ich. Würde ich dazu Gelegenheit haben? Ich packte sie trotzdem ein.

Ein Tagesritt hatte Yori gesagt. Das hieße ich wäre zwei Tage unterwegs. Und wo sollte ich schlafen? Hatte ich irgendwo einen Schlafsack. Ich musste lachen. Natürlich nicht, Ironie des Schicksals.

Ich ging wieder herunter. Draußen vorm Stall standen die Ritter schon mit den Pferden. Wenn ich es Recht überlegte, waren es wahrscheinlich allesamt Knechte, genauso wie Yori.

Ich stellte mich zu ihnen und blickte mich nach dem Braunhaarigen um.

Er kam wenige Minuten nachdem ich mich hier hin gestellt hatte aus dem Stall und führte ein weißes Pferd und ein rotbraunes neben sich her, beide fertig bezäumt.

„Deine Sachen tust du am Besten in die Tasche!“, rief er zu mir herüber.

Ich kam auf ihn zu, unschlüssig welche Tasche er meinte, wo meine Sachen doch schon in einer drin waren.

Dann sah ich die Tasche hinten am Sattel befestigt, die auf der linken Seite des Pferdes herunterhing. Auf der anderen hing ein Päckchen aus weichem Stoff. Ein Schlafsack!

Er reichte mir die Zügel des weißen Pferdes. „Das ist Savann“, stellte er mir die Stute vor.

„Gut, danke“, sagte ich mit einem sanften Lächeln und streichelte dem Pferd über die Nüstern.

Ich packte meine Tasche in die Tasche und stellte mich schüchtern neben das große Tier. Ihr Rücken war nur weniger Zentimeter tiefer, als mein eigener Kopf.

Du bist naiv, schoss es mir durch den Kopf. Wie hattest du auch nicht daran denken können, dass man hier auf einem Pferd reiste!

Mir war mulmig bei dem Gedanken allein auf dem wackeligen Rücken des Tiers zu sitzen. Da musste ich jetzt wohl durch.

Yori, der anscheinend Anführer dieser Gruppe war, gab den Befehl zum Aufsitzen.

Als er mich dabei sah, wie ich verzweifelt versuchte den hohen Rücken zu besteigen, half er mir augenverdrehend hoch.

„Sag doch Bescheid, wenn du Hilfe brauchst!“, verlangte er mit einer für ihn untypisch gefühlvollen, fast lieben Stimme.

Ich nickte nur stumm und merkte wie sich meine Wangen eine Nuance röter färbten. Schnell wandte ich mich ab.

„Brechen wir auf“, forderte Yori seine Kameraden auf. Er gab seinem Pferd die Sporen, welches natürlich sofort loslief: im Gegensatz zu meinem.

Kurzerhand griff Yori in meine Zügel und zog Savann hinter sich her. „Ich bleib wohl besser in deiner Nähe“, lachte Yori.

Ich wollte etwas bissiges erwidern, doch stattdessen färbten sich meine Wangen nur noch röter.

„Ich sehe schon, es wird unabdingbar sein dir das Reiten beizubringen.“ Er lächelte aufmunternd.

Wie zur Antwort, formten meine Lippen stumme Zustimmung als sanftes Lächeln. „Ich nehme dich beim Wort!“
 

Unser stummer Ritt, führte uns einen langen Weg entlang. Auch wenn ich wusste, dass dies nur ein Teil dieser großen, für mich unbekannten Welt war, fühlte sich dieser kleine Teil schon an wie eine Welt für sich.

Unser Weg führte uns aus dem nördlichen Stadttor hinaus und dann immer Richtung Nordosten.

Zuerst ritten wir das hügelige Tal entlang durch das Meer aus kniehohen Grashalmen, immer geradewegs auf die weit entfernten Berge zu.

Als die Sonne schon bedrohlich nah über den Bergen hing, sah ich den Anfang des Waldes. Die Bäume waren noch nicht hoch gewachsen, die meisten maßen nur knapp zwei Meter, die höchsten allenfalls vier. Der schmale Streifen, auf den wir zu ritten, führte in einer Bogenform weit bis in die ferne, wo wohl das eigentliche Waldstück anfing. Dort irgendwo, in östlicher Richtung, lag vermutlich auch Fallaleyï.

Zu dem Zeitpunkt wies uns Yori an, wir sollten wohl bald unser Lager aufschlagen. Wir ritten noch bis zum Anfang des Waldstreifens und stiegen dort von den Pferden. „Wenn es nicht so weit ist, warum reiten wir dann nicht noch bis Fallaleyï?“, fragte ich verwirrt, als ich die Schimmelstute von ihrem Sattel befreite und Yori neben mir auftauchte.

„Im Dunkeln nur am Wald entlang zu reiten, kommt einem Selbstmord gleich“, erklärte er ohne Bedacht. Ich zuckte zusammen. „Wir werden ein Feuer machen, das hält die wilden Tiere von unserem Lager fern“, versuchte er mich zu beruhigen, minder erfolgreich.

„Komm schon, wenn es gefährlich wäre, hätte Ryota dir nicht erlaubt hier zu sein. Also vertrau mir einfach, dir passiert nichts!“ Sein verzweifelter, einen Hauch Wut enthaltender Tonfall bewegte etwas in mir. Es war genau der gleiche, den ich etliche Male bei Kei gehört hatte, immer dann, wenn er wiedereinmal die Geduld mit mir verloren hatte, wenn ich einen meiner Minderwertigkeitskomplexe offen ansprach.

Und er brachte mich dazu ihm so zu glauben, genauso wie ich Kei früher auch immer geglaubt hatte.

Die vier anderen suchten im Wald nach Feuerholz, während Yori und Taro eine Grube für das Feuer aushoben. Taro war ein Junge mit schwarzen, kurzen Locken und einer langen, hageren Statur. Ich schätzte ihn ein Jahr jünger als Yori.

Ich saß währenddessen im Schneidersitz im Gras und versuchte meine Übungen aus der letzten Zaubereistunde zu wiederholen. Ich gab bald auf und beobachtete die beiden Jungen dabei, wie sie bei ihrer Arbeit herumalberten und Taro Yori letztendlich mit der Erde bewarf, die sie aus dem Loch geschaufelt hatten. Beide lachten. Taro ausgelassen, Yori auf irgendeine Weise distanziert.

Ich kannte Yori zwar noch nicht lange, aber ich bemerkte, dass es selten wahre Emotionen waren, die er zeigte. Genau wie jetzt war sein Lachen falsch, der Glanz des Lächelns drang nicht in seine Augen. Ich fragte mich, was für einen Grund es hatte, dass Yori so war.

Die anderen Jungen kamen zurück und machten mit großer Freude ihr Lagerfeuer. Als sie dann auch noch Gemüse in die Glut neben das Feuer legten, konnte ich mir mein Lächeln nicht mehr verkneifen und setzte mich zu ihnen ans Feuer.

Bei ihnen hatte diese Mission den Charme eines Campingausflugs gemischt mit Lagerfeuerromantik. Eine Tatsache die mir ein dauerhaftes Lächeln auf die Lippen zauberte.

Die Jungs waren alle unglaublich freundlich. Taro, Souta, Jess, Zen und Jun, allesamt die vielversprechendsten Knechte der Kentosaier Ritterschaft.

Begeistert hörte ich zu, wie die fünf von ihren bisherigen Abenteuern prahlten.

„Yori passieren immer noch die spannendsten Dinge“, bedauerte Souta, ein Junge im gleichen Alter wie Taro mit glatten, kurzen, braunen Haaren, aber etwas kleiner und muskulöser. „Erzähl doch mal was... für Akina“, fügte er hinzu, und dachte damit einen Trumpf ausgespielt zu haben, denn anscheinend versuchte hier jeder mich zu beeindrucken, wenn ich das richtig verstand.

Nur Yori nicht. „Heute nicht“, erwiderte er nur knapp und fischte die erste Kartoffel aus der Glut.

„Warum nicht?“, fragte Jun empört und hatte kurz danach die heiße Kartoffel auf seinem Schoß liegen. Blitzartig schoss er hoch und die Kartoffel landete auf der Erde

„Deshalb“, sagte Yori und zog sich die nächste aus dem Feuer.

Ich hatte inzwischen auch bemerkt, dass Yori anscheinend nur mir gegenüber diese eine Fassade aufrecht erhielt. Ich war die einzige, der er nichts von sich erzählte.

Gedankenverloren schob ich ebenfalls eine Kartoffel aus den Flammen und ließ sie im Gras ein wenig abkühlen.

Die Stimmung war nach der kurzen Auseinandersetzung nicht verloren gegangen, nur neben Yori blieb ich jetzt ebenfalls mit meinen Gedanken allein.

So viele Fragen türmten sich in meinem Innern auf. Fragen zu Yori, zu dem Vorfall in Fallaleyï, zum Grund, weshalb ich hier war und noch zu so vielem mehr.

Die Gedanken fesselten mich.

Ich hatte nicht bemerkt, dass die fünf Jungs inzwischen aufgestanden waren, weiter herumalberten und die Pferde für die Nacht bereit machten.

Nur noch ich und Yori saßen am Feuer, was ich erst bemerkte, als er mich sanft anstupste.

„Du bist im Moment oft in Gedanken“, stellte er fest. Er deutete auf meine Kartoffel. „Dein Essen wird schon wieder kalt.“ Er lächelte. Sein Lächeln kam mir echt vor.

„Danke“, lachte ich zwanglos und hob die Kartoffel auf.

„Worüber denkst du immer so lange nach?“, fragte er und riss mich erneut aus meinen Gedanken.

Ich versuchte die richtigen Worte zu finden. „Größtenteils... versuche ich immer noch all das hier zu verstehen.“

„Es muss spannend sein, eine neue Welt zu entdecken.“

„Ich glaube aber nicht halb so spannend, wie du es dir vorstellst. Vieles ist gar nicht mal so verschieden. Nur das Magische ist für mich immer noch verwirrend. Obwohl...“

„Ja?“

„Bei uns gäbe es für dich bestimmt auch einiges Unverständliches.“ Ich musste grinsen.

„Vermutlich“, bestätigte er.

Dann starrten wir beide nur noch ins Feuer, schauten der knisternden Glut beim lodern zu.

So gefiel mir Yori viel besser. Seine echte Seite, sein wahres Ich, zumindest glaubte ich das, war fiel unbefangener, offener, freundlicher. Gespräche mit ihm waren zwanglos, wenn er so war. Und man hatte auch nicht direkt das Gefühl etwas sagen zu müssen, wenn er neben mir saß. Ich konnte ihm vertrauen, und wieder erinnerte er mich an Kei. Und obwohl ich so viel an meine Welt dachte, hatte ich keine Angst, kein Heimweh.

Vielleicht lag es auch einfach daran, dass all das Neue und Unverständliche dieses dumpfe Gefühl der Einsamkeit und des Verlorenseins überschattete.

Ich versuchte mir die Gedanken daran zu verbieten, was hier noch alles passieren könnte, was auf mich zu kam, und ob ich jemals die Gelegenheit haben würde zurückzukehren.

Ich wollte nicht dran denken, weil all das den Moment zerstören würde.

Den kleinen Moment in dem ich einfach nur mein vertrautes Gefühl zu Yori spürte und gemeinsam mit ihm dem Tanz der Flammen lauschte.

Irgendwann kam dann einer der Jungs, ich bekam noch nicht einmal mit welcher, zu uns und berichtete Yori, dass das Lager fertig abgesichert war.

„Schlafenszeit“, sagte Yori leise, als der andere schon wieder weg war. Lächelnd hielt er mir die Hand hin und zog mich hoch.

Wir holten die Schlafsäcke und irgendwer legte noch neues Holz in die Flammen. Dann legten wir uns alle so nah ans Feuer wie es ging und kuschelten uns in die Schlafsäcke.

Erst als ich eine weitere Ewigkeit vor mich hin in den merkwürdigsten Gedanken bewegt hatte, sprang mir ein Bild besonders in die Augen. Ich wusste noch, wie wir letzten Winter ein Familienfoto zu Weihnachten gemacht hatten, dass wir allen Verwandten geschickt hatten, die nicht mit uns feiern konnten.

Ich sah das Bild genau vor meinem inneren Augen.

Ich stand zwischen meinen Eltern und hatte meine Arme von hinten um Sayuri geschlungen. Die perfekte Familienidylle.

„Yori?“, fragte ich leise in die Stille herein.

Ich spürte, wie er sich ein Stück weit aufrichtete und drehte sich in meine Richtung. Ich konnte sein Gesicht nur knapp erahnen. „Hm?“

„Wo sind eigentlich deine Eltern?“

„Sie leben woanders“, antwortete er zögerlich. „Warum fragst du?“

„Nur so“, gähnte ich. „Hab ich mich nur gefragt...“

Ich gähnte noch einmal.

„Schlaf jetzt“, flüsterte er sanft.

„Gute Nacht“, wisperte ich genauso leise zurück.

Müde kuschelte ich mich in den Schlafsack. Das Knistern des Feuers trug mich bald darauf ins Traumland.
 

Der nächste Morgen begrüßte mich mit hellen Sonnenstrahlen und dem Duft von Tau und Wald. Es wunderte mich, dass ich nicht in der Nacht gefroren hatte, doch als ich aufschaute bemerkte ich auch den Grund warum: Jemand hatte eine zusätzliche Decke über mich gelegt.

Als ich mich umschaute, war ich die einzige, die noch gemütlich im Schlafsack lag. Der Rest war schon aufgestanden und fing an die Pferde zu Satteln und zu versorgen.

Unbemerkt stand ich auf und schlich zu meiner Satteltasche. Ich kämmte mir schnell die Haare durch, die vermutlich zuvor wirr in alle Himmelsrichtungen abgestanden hatten, und band sie mit einem Band zu einem hohen Pferdeschwanz.

Ich zog mir einen zweiten Pullover über, weil der morgen doch noch etwas frisch war.

Dann rollte ich den Schlafsack zusammen und verstaute ihn an der Haltevorrichtung am Sattel.

Inzwischen versammelten sich die Anderen wieder um das jetzt erloschene Lagerfeuer, um gemeinsam etwas zu frühstücken.

Ich gesellte mich zu ihnen und bekam gleich von fünf verschiedenen paar Händen etwas vom Essen herübergereicht. Ich nahm etwas vom Brot und vom Käse und bedankte mich bei den aufmerksamen Jungs.

Beim Essen versuchte ich unauffällig einen Blick auf Yori zu erhaschen, der neben mir saß. Ich wanderte einfach die Gesichter von links nach rechts einmal entlang und blieb letztendlich bei Yori hängen.

Der alte Gesichtsausdruck war wieder gekehrt, die Maske, die nur unechte Gefühle durchscheinen ließ.

Kurz nach dem Frühstück saßen wir auf und ritten immer entlang des Waldrandes.

Yori führte mich immer noch am Zügel immer direkt neben sich her.

Da fiel mir wieder ein, dass ich ihn ja immer noch etwas fragen wollte.

„Du Yori?“, fing ich an.

Er lächelte unerwartet. „Ja?“

„Ich wollte dich immer noch etwas fragen“, erklärte ich. „Zu Kalderan.“

„Frag ruhig.“

„Der fließende Wald, was ist das?“

Er lachte lautstark los. „Das hast du mir geglaubt? Der Wald ist nur eine Legende, ein Mythos! Keiner hat je bewiesen, dass es ihn wirklich gibt.“ Er lächelte immer noch schadenfroh.

„Dann gibt es ihn gar nicht?“ Ich klang hörbar enttäuscht.

„Alles wissen deine Bücher dann ja wohl doch nicht.“ Er grinste.

„Deswegen wollte ich ja auch dich fragen“, flüsterte ich mehr zu mir selbst als zu ihm. Dann dachte ich an eine Seite in einem alten, namenlosen Buch mit zerrissenen Seiten in der Bibliothek Kentosais. „Ich habe ein Bild in einem Buch gesehen! Der Titel lautete ‚Der fließende Wald’. Wer zeichnet etwas, was es nicht gibt?“

Ich fand meine Frage berechtigt. Er schmunzelte immer noch selbstsicher. „Schon mal daran gedacht, das es sich bei dem Buch auch um Märchen handeln könnte? Aber von mir aus, wenn du an so etwas glauben willst, sei dir frei überlassen.“

Ja, die Maske war wieder da. Er war heute morgen wieder unausstehlich. Ich presste die Lippen zusammen. Nicht aufregen, schoss es mir durch den Kopf.

Ich wusste nicht genau, warum ich mich ermahnte. Vielleicht war es einfach die Hoffnung darauf, dass die Maske unerwartet verschwand. Ich glaubte, dass ich dies durch einen meiner bissigen Kommentare nicht fördern würde. Also blieb ich still.

Die Konversation wollte ich deswegen aber lange noch nicht abbrechen. „Themawechsel“, sagte ich und lächelte zurück. „Erzähl mir etwas von dir!“

Seine Miene verfinsterte sich augenblicklich. „Von mir?“, fragte er ausweichend.

„Ja von dir!“ Ich verdrehte demonstrativ die Augen. „Ich weiß überhaupt nichts von dir!“

Erst zögerte er. Nach einem Seufzer kam dann seine Frage: „Was willst du wissen?“

„Was machst du auf Kentosai, wenn deine Eltern doch woanders leben? Wo leben sie? Hast du Geschwister? Und ist Ryota vielleicht dein Onkel? Ihr kommt mir so vertraut vor. Und –“ Ich unterbrach mich selbst. „Willst du mir vielleicht auch mal antworten? Tut mir Leid, wenn ich einmal drin bin, rede ich an einem Stück durch.“ Ich lächelte entschuldigend.

Er sagte nichts.

„Yori?“

Er seufzte erneut. „Ich bin der Kendo vom Hauptmann, also von Ryota. Meine Eltern“ – es kam mir vor als würde dieses Wort ihn Überwindung kosten –„leben an der Küste im Süden des Reiches. Geschwister habe ich keine und Ryota ist ein Freund der Familie, aber nicht mein Onkel.“

„Also hast du mir doch zugehört!“, lächelte ich. „Und die Fragen alle in der gleichen Reihenfolge belassen, ich bin beeindruckt.“

Er bemerkte meinen Spott. „Noch irgendwelche anderen Fragen zu meiner Person?“

„Ein Kendo, was ist das?“

„Es ist sozusagen eine höhere Form des Knechtseins. Wenn irgendetwas passieren sollte, bin ich der nächste Stellvertreter des Hauptmanns.“

„Und deswegen bist du hier? Ohne deine Familie?“

Er schluckte. „Es ist schwer so weit von ihnen entfernt zu sein.“ Es kam mir vor, als wollte er noch etwas anderes sagen, entschied sich dann jedoch anders.

„Nächste Frage?“

Er nickte und das Lächeln war wieder da.

„Was ist dein Lieblingsbuch?“

Und schon war es wieder weg. „Wie kommst du immer wieder auf den Gedanken, dass ich Lese?“

„Intuition.“ Ich grinste breiter. „Also ist es doch war!“

Er antwortete nicht.

„Sag schon, was ist dein Lieblingsbuch! Du hast dich eh schon verraten. Du hättest mal deinen Blick sehen sollen, als du von Fallaleyï gesprochen hast. Da war schon alles klar. Ich musste dich nur noch... überzeugen, mir dein Geheimnis anzuvertrauen.“

„Du bist ganz schön gerissen, für ein Mädchen.“

„Und du zu schlau für einen gewöhnlichen Knecht.“

„Kendo“, verbesserte er mich.

Auffordernd blickte ich ihn an.

„Ich geb es ja zu! Ich lese Bücher... aber nicht so oft, wie du jetzt wahrscheinlich glaubst.“ Böse funkelte er mich an.

„Warum nicht gleich so“, lachte ich. „Was liest du am Liebsten?“

„Wenn ich Zeit habe“, betonte er zu genau, „lese ich ab und an historische Bücher. Zumeist über solche Legenden, wie den fließenden Wald, oder aber Architektur.“

Ich schmunzelte. „Lesen Ritter nicht?“

Wieder sah er mich böse an. „Wie kommst du denn auf diese merkwürdige Theorie?“

„Ich dachte nur, weil es dir ja anscheinend peinlich ist, wenn man weiß, dass du Bücher liest“, stichelte ich weiter.

Er schaute demonstrativ weg. „Denk doch was du willst.“

„Mach ich sowieso“, neckte ich weiter und piekste ihm von hinten in die Seite.

Er ignorierte die Geste und schaute gebannt nach vorn.

Ich folgte seinem Blick und sah in der Ferne eine Stadt. „Fallaleyï!“, rief ich freudig aus.

Wie zur Bestätigung gab Yori Jarik die Sporen. Savann wurde gleich mit schneller.

„Endspurt Jungs!“, rief er noch nach hinten, bevor wir beide an den anderen vorbeipreschten. Ich klammerte mich an Zügeln und Mähne fest. Alles ruckelte und ich versuchte krampfhaft nicht aus dem Sattel zu rutschen.

Die anderen lagen schon weit zurück.

Mir wurde übel.

Und dann stoppten wir vor den Mauern der Stadt.

Beeindruckt blickte ich den Stein empor. Wir waren da. Fallaleyï, die Stadt der Bücher.

Ersehnen

Die betäubende Müdigkeit hatte letztlich über meinen Verstand und meine Angst gesiegt und hatte mir einen unruhigen Schlaf beschert.

Albtraum um Albtraum hatte mich schweißgebadet hochschrecken lassen, nur um mich kurz danach sofort wieder der Realität zu entreißen.

Erst im Morgengrauen hatte ich die Kraft dagegen an-zukämpfen und mich aus dem Traumland zu befreien.

Müde schaute ich nach draußen, immer noch keine einzige Regung am Horizont erblickend.

Ich raffte mich auf und schritt ziellos durch den für mich leer wirkenden Raum.

Ob ich wohl während der Nacht etwas verpasst hatte? Waren sie inzwischen doch zurückgekehrt?

Schnell ging ich zur Tür, ließ meine Hand vor der Türklinke jedoch wieder sinken.

Nein, sie waren noch nicht wieder da. Irgendwer hätte mir Bescheid gegeben. Sie wussten doch, dass ich mich sorgte!

Ich trat ein paar Schritt zurück und betrachtete gedan-kenlos die Türklinke.

Ich ging langsam zum Bett und setzte mich im Schnei-dersitz vor die Kissen.

Lautlos verharrte ich so und wartete.

Die Sonne ging auf und mit ihr öffnete sich die Tür zu meinem Zimmer das erste Mal.

Eine Zofe trat ein, mit Frühstück auf einem Tablett.

Ich würdigte sie nur eines kurzen Blickes, dann hatte sie das Tablett auf der Matratze abgestellt und verließ schon wieder den Raum.

Ich hatte Recht, sie waren noch nicht wieder da: In ih-ren Augen hatte sich die selbe Angst gespiegelt.

Ich versuchte meinen Körper zur Nahrungsaufnahme zu zwingen, doch schon nach dem ersten Bissen legte ich das Brötchen wieder weg. Mir war speiübel.

Dann verharrte ich einfach weiter in meiner Position und verfolgte vor mir das Rankenmuster auf der Bettde-cke.

Die Zeit verflog.

Das zweite Mal, als sich dir Tür öffnete, trat Souta ein und setzte sich wortlos zu mir aufs Bett.

Das Einzige, was er kurz von sich gab, war ein knap-pes „Ihnen wird schon nichts passieren“. Er klang nicht sehr überzeugt von seinen eigenen Worten.

Es wurde mir erst später bewusst, aber er hatte ver-sucht nicht nur mich davon zu überzeugen. Selbst er war nur zu mir gekommen, um mit seinen Sorgen nicht allein zu sein.

„Ganz ehrlich, Souta“, begann ich und blickte kurz auf. „Du bist nicht gut darin andere Leute aufzumun-tern.“ Bitter starrte ich weiter vor mich hin.

„Wird wohl so sein“, sagte er nur matt. Sein Blick wanderte zum Fenster.

„Das kann doch nicht wahr sein!“, rief er entgeistert und sprang vom Bett. Er eilte zur Tür und riss sie schon im nächsten Schritt auf.

„Was ist los?“, fragte ich allarmiert und schreckte auf. Mein Blick richtete sich jedoch nicht auf den Jungen an der Tür, sondern auf das, was draußen los war.

Auf dem Hof drängten die Ritter ihre Pferde zur Seite um Platz für das zu machen, was angekettet und wild kämpfend den Abhang heruntergezogen wurde: ein Ul-yar!

Ich sprang jetzt ebenfalls vom Bett und eilte dem braunhaarigem Jungen hinterher.

Auf der Treppe der Eingangshalle stießen wir fast mit Jess zusammen, der gerade völlig in Gedanken die Trep-pe hoch rannte.

Jess taumelte eine Stufe tiefer und blieb dann kurz ste-hen. In seiner Hast erinnerte er sich schnell wieder an das, was er gerade vorhatte und machte schon Anstalten an uns vorbei weiter hoch zu rennen.

„Jess? Wo rennst du hin? Die Ritter sind draußen, nicht hier drinnen!“ Souta schaute ihm entgeistert nach.

„Die Anderen – verletzt – Priester“, brachte er nur zer-stückelt hervor, drehte sich dann um und rannte weiter.

Ich wechselte einen Blick mit Souta, dann drehten wir wieder um und rannten ihm hinterher.

Schnell hatten wir ihn in dem Gewirr der Gänge im Priesterflügel eingeholt.

„Wo gehen wir hin?“, fragte ich gepresst. „Was ist passiert?“

„Krankenzimmer“, sagte Souta nur kurz angebunden.

„Was ist passiert?“, fragte ich wieder.

„Es ist keiner gestorben.“ Erklärte Jess, mehr sagte er nicht, aber mehr brauchte er auch nicht sagen. Was konn-te schon tolleres passieren, als das alle wohlbehalten wieder hier waren! Ich kam mir vor wie auf Wolken, alles war auf einmal viel besser, die Sonne erreichte wieder das Leben.

Noch im Rennen öffnete Souta eine Tür, an der ich schon viele Male vorbeigegangen war, die mir aber nie besonders aufgefallen war. Wir stürzten alle drei auf einmal herein und wurden gleich durch ein wütendes ‚Pscht’ zur Ruhe ermahnt.

Nikko drängte uns nach draußen und schloss leise die Tür hinter sich.

„Was fällt euch ein einfach so herein zu platzen?“, zischte er leise und tadelte uns alle mit dem selben stra-fenden Blick.

Er packte die beiden Jungs an den Armen und zerrte sie noch ein Stück weiter weg von der Tür, um lauter sprechen zu können.

Ich folgte lautlos.

„Das ist ein Krankenzimmer, und kein Pferdestall! Platzt gefälligst nicht so herein und weckt die Kranken!“ Nikko wirkte sichtlich erregt, dennoch blieb er gefasst und hielt seine Stimme kontrolliert.

„Die Kranken?“, fragte ich mit vorsichtiger Stimme und betonte dabei die letzte Silbe des Wortes.

„Ja, die Kranken“, erwiderte Nikko ruhig. Er ließ die beiden Jungs wieder los und richtete nun seinen durch-dringenden Blick auf mich. Ich schluckte schwer. „Es sind insgesamt acht“, fügte Nikko knapp hinzu.

„Und... gestorben? Es ist wirklich keiner gestorben, oder?“ Mir fiel es sichtlich schwer diese Frage zu stellen. Ich fühlte, wie mir die aufsteigende Trauer die Luft ab-schnürte und meine Stimme schwer machte.

„Nein.“ Ein kleines Wort löste in mir die Ängste, den-noch blieb noch ein kleiner Schmerz zurück.

„Könnte jemand –“ Meine Stimme brach ab, ich brach-te es nicht über mich den Gedanken auszusprechen.

„Es schwebt keiner mehr in Lebensgefahr.“

„Danke“, flüsterte ich und konnte mir ein schmales Lächeln nicht verkneifen.

„Können wir zu ihnen rein?“, fragte Jess mit sich über-schlagener Stimme und linste immer wieder wie ein ge-hetzter Hund zur geschlossenen Tür.

„Ja, können wir?“ Souta war genauso gespannt.

Dennoch blieb Hohepriester Nikkos Blick hart. Er ver-drehte die Augen. „Geht schon rein.“

Die beiden hetzten los, ich wandte mich ebenfalls zum gehen.

„Aber bleibt leise!“, rief Nikko uns noch hinterher, ehe Jess und Souta erneut durch die Tür stürzten, diesmal jedoch vorsichtiger und um einiges leiser.

„Akina“, hörte ich seine Stimme erneut hinter mir. Sie klang bestimmt, dennoch ruhig. Ich blieb stehen.

„Hohepriester?“, fragte ich leise und drehte mich zu ihm um. Ich überwand die kurze Distanz und blieb eini-ge Schritte vor ihm stehen.

„Hikari wird dich sprechen wollen, wenn sie fertig ist, die Verwundeten zu verarzten. Komm mit.“ Er drehte sich um und erwartete scheinbar keine Antwort mehr. Für ihn war es selbstverständlich, dass ich zu folgen hat-te.

Ich gehorchte, wenn auch widerwillig. „Worüber soll-te sie mit mir sprechen wollen?“, fragte ich misstrauisch nach. Er schien sich in seinem Sprechen zurückzuhalten. Was versuchte er zu verbergen?

„Es ist nicht meine Aufgabe mit dir darüber zu spre-chen. Du wirst dich wohl noch gedulden müssen“, fügte er noch mit betont beherrschter Stimme zu.

Ich antwortete nicht. Sein Verhalten irritierte mich.

„Es hätte alles anders geschehen sollen“, zischte er mich auf einmal mit drohender Stimme an. Seine Stim-mung schlug um wie der Wind beim Aufkommen eines Sturms. „Man sollte dir beibringen wo deine Pflichten sind, Disziplin und Respekt sollte man dich lehren. Glaub mir, wäre ich dein Lehrer hättest du es garantiert nicht gewagt diese Mauern zu verlassen. Du hast doch überhaupt keine Ahnung von dieser Welt. Dir sollte je-mand die Augen öffnen. Hikari sollte dir die Augen öff-nen! Doch stattdessen –“, er drehte sich so schnell zu mir um, dass ich erschrocken einen Schritt zurückzuckte. „Stattdessen verplempert sie ihre Zeit und reist durch die Welt. Lässt ihre Schülerin allein und überlässt sie sich selbst.“

Er musterte mich aufmerksam. „Gewöhn dich gar nicht erst an Hikaris lasche Art zu unterrichten.“ Er kam einen Schritt näher auf mich zu. „Denn sehr bald werde ich der jenige sein, der dich in der Kontrolle deines Geis-tes erziehen wird. Und glaub mir, es wird garantiert nicht so angenehm wie bei Fräulein Ach-So-Wunderbar.“

Er drehte sich wieder von mir weg und ich war froh sein wütendes, verzerrtes Gesicht nicht mehr vor mir sehen zu müssen.

Er öffnete eine Tür und blickte mich auffordernd an. Ich ging hinein und hörte das Schließen der Tür hinter mir.

Ich trat in einen kleinen Raum. Die der Tür gegenüber-liegende Wand wurde durch schwere Vorhänge verhan-gen, die keinen Funken Tageslicht hineinließen. Ein Ka-min war in der Wand rechts neben mir eingelassen. Das Feuer darin ließ die Luft im Raum schwer und heiß wer-den. Man merkte, dass selten jemand den Raum nutzte. Die Luft war abgestanden und in den klobigen Polster-möbeln und Teppichen sammelte sich der Staub. Ich setz-te mich vorsichtig in einen Sessel und wartete. All zu lange konnte es hoffentlich nicht mehr dauern.

Ich sollte mich nicht irren.

„Was hast du dir dabei gedacht?“ Hikari war außer sich, als sie in den Raum stürmte und die Tür mit lautem Knall hinter ihr ins Schloss fiel.

„Nicht du auch noch“, stöhnte ich aufgebracht. Wa-rum schrieen mich heute eigentlich alle Leute an?

„Das war keine Antwort! Was hast du dir dabei ge-dacht? Was?“ Sie schien außer sich zu sein, hektisch ges-tikulierte sie mit ihren Händen und kam dabei weiter auf mich zu.

Behutsam stand ich auf und tat einige vorsichtige Schritte auf Hikari zu. Mit ganz leiser Stimme versuchte ich mein Anliegen in Worte zu fassen. „Ich hab doch nicht gewusst –“

„Du hast nicht gewusst?!“, unterbrach sie mich. „Du hast nicht gewusst, dass es gefährlich werden könnte, oder wie soll ich das bitte verstehen. Denkst du nicht nach? Ist es nicht logisch, dass es in fremden Welten nicht so zugeht wie in deiner? Ist es nicht logisch, dass du in Gefahr bist, wenn du, als Hüterin der Jadeperlen, einer Auserwählten, fröhlich hüpfend durch fremde Wel-ten wandelst?“

„Ich-“

„Was ich? Sag schon! Was hast du dabei gedacht? Nichts? Sag es!“ Hikari verlor die Fassung. Ich hatte das Gefühl, sie hatte sich nicht mehr unter Kontrolle, verlor den Verstand.

„Ryota hielt es für eine gute Idee“, versuchte ich leise zu erklären. Dabei wandte ich meinen Blick ab, schaute auf den Boden. Meine Ausreden würden eh nichts brin-gen, sie hatte Recht, ich hatte es verbockt.

„Ryota!“, zischte sie laut und schaute theatralisch zur Decke, dann drehte sie sich von mir weg. Einen kurzen Moment blieb sie still. Dann tobte sie erneut los. „Es ist nicht Ryota, der dir deine Befehle erteilt! Er hat nicht die Berechtigung dir zu erlauben einfach das Schloss zu ver-lassen! Er hätte wissen müssen was passiert und es nicht zulassen dürfen! Es ist seine Aufgabe solches zu verhin-dern, nicht auszulösen! Ich habe die Verantwortung über das, was du tust! Und ich sagte dir, du sollst hier bleiben und üben! Was tust du? Missachtest mein Wort!“

„Es tut mir Leid!“, warf ich schnell ein.

„Es tut dir Leid?! Beinahe wären acht von Ryotas Männern umgekommen, drei davon fast noch Kinder! Du hast die Schlossbewohner in Gefahr gebracht, weil sie fast schutzlos zurück geblieben sind, während die Trup-pen gegen die Ulyare kämpften. Sie alle hätten sterben können, du hättest sterben können!“

Ich traute es mir nicht zu, etwas zu erwidern.

„Akina...“, fing Hikari jetzt sanft an. Sie war be-herrscht, versuchte nicht erneut auszurasten. „Versteh mich doch bitte. Ich möchte dir nicht vorschreiben, was du zu tun hast, aber ich bin nun mal so etwas wie dein Vormund. Du musst nicht auf mich hören, aber du soll-test es. Diese Welt ist gefährlich und garantiert nichts für kleine, fremde Mädchen ohne jeglichen Schutz. Du bist nun mal unsere letzte Hoffnung auf Frieden, wir machen uns Sorgen darum, sie zu verlieren. Du hast Pflichten!“

„Du hast Recht...“ Ich verstand, was sie meinte, den-noch blieb eines mir immer noch ein Rätsel. „Aber Hika-ri, eines, das musst du mir beantworten. Was mache ich hier?“

„Wie?“ Meine Einsicht brachte sie sichtlich aus dem Konzept.

„Was Hikari? Was mache ich hier? Ich bin zurückge-kommen, um euch zu helfen, schon klar. Aber was ma-che ich hier? Was muss ich tun?“

Schweigend wandte sich Hikari von mir ab. Sie schloss die Augen und massierte sich den Nasenrücken.

„Was, Hikari?“, fragte ich erneut, jetzt leiser.

„Ich wusste, dass diese Frage irgendwann kommen wird“, seufzte sie leise nach einer langen, stummen Pau-se. „Ich habe dir ja schon mal erzählt, dass Mizuki die Herrschaft über Kalderan erstrebt. Wir können ihrem Drängen zwar momentan entgegenhalten, aber auf kurz oder lang, werden unsere Krieger ihre Kraft verlieren und Mizukis Streitmächten unterlegen sein. Sie würde siegen, und unser geliebtes Kalderan in Dunkelheit stür-zen. Uns bleibt nur noch wenig Zeit um entgültig über Mizuki zu siegen, und dazu brauchen wir dich, die aus-erwählte Hüterin. Früher dachten wir alle, die Geschichte über das Retten Kalderans wäre nur das was sie nun mal ist, eine Legende. Doch inzwischen glaube ich daran, dass Legenden wahr werden können, denn wir haben dich gefunden. Beziehungsweise eigentlich war es ja Hi-kari.“ Ein kurzes auflachen unterbrach ihren Redefluss.

„Wie hat sie mich gefunden?“, beeilte ich mich zu fra-gen.

„Mizuki besitzt die außergewöhnliche Kraft Auren er-spüren zu können und so auch mächtige und große An-sammlungen von magischen Strömen. So hat sie das Spiegelportal gefunden. Da das Spiegelportal nur durch eine ebenso starke magische Kraft erweckt werden kann, war ihr klar, dass die gesuchte Hüterin in unmittelbarer Nähe auf der anderen Seite sein musste. Es hieß nur noch warten, und so fand sie dich.“

„Warum war es gerade ich, bei dir sie sich so sicher war?

„Die einzige Magierin unter Menschen ist nicht gerade wie eine Nadel im Heuhaufen“, lächelte sie traurig.

Mein Atem stockte. „Das bedeutet Mizuki kann mich immer und überall finden, egal ob ich es will oder nicht?“

Sie zögerte. „Du hast Recht.“

„Dann wird sie immer und immer wieder versuchen mich zu finden, mich sich zu unterwerfen. Ich werde niemals sicher sein, und irgendwann wird sie mich krie-gen!“

Ich sah mich einem unendlichen Mächtigeren Gegner entgegen, einer Macht, der ich mich nicht entziehen konnte, eine ausweglose Flucht.

„Ich kann versuchen dir zu lehren deine Aura zu ver-bergen, doch im Moment ist das erst mal Zweitrangig. Mizuki wird nicht zweimal den selben Fehler begehen und dich unterschätzen. Und mit so vielen Magiern und Kriegern, wie hier auf Kentosai residieren, wird sie es nicht wagen hier einzufallen. Um zurück zu deiner Frage zu kommen, ich habe dir schon mal erzählt, womit dein Schicksal zusammenhängt, der Legende. Kannst du dich noch an sie erinnern?“

„Nicht an vieles“, gab ich zu.

„Nun, sie besagt, dass die Hüterin der Jadeperlen zu finden ist, um das Leid zu beenden. Wie genau das von-statten gehen soll, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass du das Achte Reich finden musst, ein verschollenes Reich, dass vor Jahren wie vom Erdboden verschwand. Nie-mand kann sich mehr daran erinnern, einzig die Legen-den erzählen davon. Und was auch immer sich dort ver-birgt, das ist Mizukis eigentliches Ziel.“

„Warum kann sie das Achte Reich dann nicht einfach mit ihrer Gabe finden?“

„Das übersteigt selbst ihre Fähigkeiten. Das Achte Reich ist etwas viel Mächtigeres und was auch immer sich dort verbirgt, es hat einen Grund, warum man es nicht so einfach finden kann. Und genau das, was man dort findet, ist es was letztlich über den Ausgang der großen Schlacht Kalderans entscheiden wird. Und diesen Schlüssel kann man einzig und allein durch deine Fähig-keiten erreichen.“

„Also ist es letztlich das, was ihr alle, ihr und Mizuki, von mir wollt?“

„Genau das ist deine Aufgabe“, stimmte Hikari ni-ckend zu.

Ich stutzte. „Und hattest du mir nicht erzählt, das Kal-deran nur aus fünf Reichen besteht, dem achten ausge-schlossen. Welches sind die Reiche sechs und sieben?“

„In dieser Hinsicht haben die Kalderaner wirklich schlampig gearbeitet. Die meisten Bücher über unsere Vergangenheit existieren nicht mehr, niemand weiß mehr, wie lang unsere Geschichte zurückgeht, geschwei-ge denn worum sie handelt. Wir können nur von dem sprechen, was wir kennen, und das sind die Hauptreiche. Kalderan ist eine sterbende Welt. Sie zerbricht. Zum Bei-spiel das Reich des Eisdrachens. Wir wissen zwar, das es bis vor Jahren existierte, doch heute kenne ich nieman-den mehr, der jemals dort war. Wir können nur darauf vertrauen, dass die Prophezeiungen dir den richtigen Weg weisen werden. Und wir können dir nicht mehr auf die Reise mitgeben, als das wenige Wissen, und die Macht deine Kräfte zu beherrschen.“

Auf einmal kam mir dieses ganze Unterfangen sinnlos vor, alles war so vage.

Und dennoch war in mir immer noch der feste Wille, diesen Menschen helfen zu wollen. Denn ich war ihre letzte Hoffnung, ich war diejenige, die diese gebrochene Welt retten und wieder zusammenfügen konnte. Ich wollte die ersehnte Heldin sein, denn nun hatte ich den Mut diese Aufgabe zu tragen.

„Ich hoffe ich werde euch alle nicht enttäuschen“, lä-chelte ich ehrlich.

„Es ist schon lange her, doch meine Ziehmutter hat mir einmal eines gesagt, was mir half, als ich nicht mehr weiter wusste. Es ist etwas, was man einem kleinen Kind erzählen kann, wenn man noch glaubt das man bloß mit einem Wunsch die Sterne vom Himmel pflücken kann. Damals habe ich ihr geglaubt und egal ob du jetzt viel-leicht kein kleines Kind mehr bist, dennoch glaube ich, dass dieser Satz dir helfen wird.“

Gespannt schaute ich sie an und blinzelte eine auf-kommende Träne weg.

„Versprich mir diesen Satz in Ehren zu halten“, sagte sie neckend grinsend.

Ich nickte nur.

„Das Schicksal, Akina, besteht aus Vergangenheit und Zukunft. Lasse deine Vergangenheit hinter dir und öffne dich der Zukunft, denn dein Schicksal ist es die Welt zu retten.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Von:  -Nicky-
2009-01-14T09:28:56+00:00 14.01.2009 10:28
Du beschreibst die Gefühle von Elfe wirklich toll. Das die geschichte gleihc mit so einer tragischen Art anfangen musste, ist schon traurig, aber schön geschrieben. Eigentlich mag ich keine Ich erzählungsgeschichten ^^°
aber ich habe mich durchgebissen, meine kopfschmerzen unterdrückt und auch den rest des kapitels gelesen ^_o_^ (bekomm von ich erzählungen immer kopfschmerzen durch meine frühere schizophrenie)

Jedenfalls was ich sagen wollte *__* du beeschreibst ihre gefühle wirklich toll. ihr spitzname passt gut zu ihr nur kai der schuft, hätte niemals diese verblödete wette eingehen soll. Sie tut mir richtig leid.
was mich aber noch mehr interessiert ist die frage oo was für stimmen hört sie da andauernd, wie ist sie in den anderen stadtteil gelangt? wo kommt die kette genau her ^^
aber ich denk das erfährt man sicherlich alles genauer mit der zeit.
taya ist übrigens meiner ansicht wirklich eine spitzenfreundin ^^ sie kann sich glücklich schätzen so eine gute gefunden zu haben.
Von: abgemeldet
2009-01-04T15:35:41+00:00 04.01.2009 16:35
Juhuuuuuuu, Hikari hat den Job bekommen! Zumindest so halb...
Aber dieses Kappi hat mir Nikko echt mal extrem unsympathisch gemacht... xD Najaaaa, is ja egal! Musst schön weiter schreiben, jetzt, wo ich mit dem Betan nicht mehr so extrem zurück hänge, darfst du das auch ^^
Von: abgemeldet
2009-01-04T15:34:05+00:00 04.01.2009 16:34
Böse schwarze Ritter! Döm döm dööööööööm! (Hör auf damit Ron! ... falscher Film...)
Ich mag das mit der Magieentladung, und das is voll süß, dass Yori gekommen ist um Akina zu beschützen. Awwwwwwww *//*
Von: abgemeldet
2009-01-04T15:27:52+00:00 04.01.2009 16:27
Soooo, hier hab ich sogar aaaaalles noch gaaaaanz klar in Erinnerung, weil ich ja gestern erst brav gebetat hab!
Ich mag die Beschreibungen von den Orten und allem, ich find das kann man sich total toll vorstellen, und weil das ganze jetzt noch detailierter (schreibt man das so? Ich hab Ferien, da is die Rechtschreibung etwas... eingerostet xD) geschrieben ist, kann man auch die Geschichte besser verstehen. Okay... das konnte man vorher auch... egal... ich hoffe du weißt, was ich meine...
Von: abgemeldet
2009-01-04T15:25:08+00:00 04.01.2009 16:25
Uiiii, Yoriiiiii! Würd ja jetzt hier noch n Herzchen hinmachen, aber ich bin zu faul mir eins aus Word zu kopieren...
-hier bitte imaginäres Herzchen einfügen-
Jup, überarbeitete Version definitiv nooooch besser!
Von: abgemeldet
2009-01-04T15:22:25+00:00 04.01.2009 16:22
Dumdidum, die faule Mi schreibt jetzt auch mal endlich Kommis! Aaaalso, den Prolog mag ich, und ich hab das jetzt nochmal brav verglichen und habe herausgefunden, daaaaas *Trommelwirbel*
mir die überarbeitete Version nooooch besser gefällt. Macht Spaß zu lesen!
Von:  Drakana
2008-09-01T16:06:39+00:00 01.09.2008 18:06
Echt geil geschrieben^^
Du kannst saugut mit Stilmitteln und Worten umgehen :)
Macht Spaß das zu lesen, auch wenn´s noch nicht so lang war XD
Werde definitiv weiterlesen ^-^

Bis auf einige Schreibfehler ist mir nichts so aufgefallen x3


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