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Jadeperlen

von

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Entführt

Erst blickte ich weiter wie erstarrt in die leere Schwärze zu meinen Füßen. Als zu der merkwürdigen Kälte, dann auch noch immer lauter werdendes Scheppern von Metall und wieder leises flüstern zu vernehmen waren, drehte ich mich langsam um.

Ein kurzer Schreckensschrei entfuhr mir, dann verstummte ich vor Schreck. Vor mir standen Wesen, die ich vorher noch nie gesehen hatte und die aussahen, als wären sie dem nächstbesten Horrorfilm entsprungen.

Schwere, schwarze Rüstungen, aus einem Material, das so aussah, als könnte noch nicht einmal ein Pistolenschuss sie durchdringen, kamen langsam auf mich zugestapft. Doch nicht die Rüstungen selbst waren das, was mich so ängstigte und verunsicherte. Vielmehr waren es die stechend roten Augen, die wie bedrohlich glänzende Rubine in der Schwärze unter dem Visier leuchteten.

Ich spürte, wie mir jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. Ich sprang auf, und fühlte den Schwindel, der mich zu übermannen schien. Alles wirkte so unreal, ein böser Albtraum, nichts weiter. Doch, fragte ich mich, warum wachte ich dann nicht endlich auf?

Panik ergriff mich. Was war hier nur los?

„Was wollt ihr?“, schrie ich die Schreckenswesen an. Konnten sie überhaupt reden, geschweige denn mich verstehen?

„Akina, Shinju, Paiido ka perlage.“ Eine tiefe, metallische Stimme, hallte über die kleine Ebene.

Das Viech kannte meinen Namen! Oder war das nur Zufall?

Erschrocken stolperte ich zurück und konnte nur mit ansehen wie kleine Steine unter meinen Füßen hinab in die Tiefe rieselten.

Ich war in der Falle.

Was sollte ich nur tun? Was wollten die?

Sollte ich es versuchen über die Steintreppe zu flüchten? Einfach hier schnell zu verschwinden, um dann zu Hause in meinem Bett wieder aufzuwachen, aus diesem endlos langen Albtraum?

Ich hatte nur zwei Möglichkeiten, entweder eine Flucht versuchen und dabei wer weiß was riskieren, oder mich meinem Schicksal ergeben, und sehen was auch immer es für mich vorgesehen hatte.

Augen zu und durch, dachte ich mir, und spurtete los in Richtung Steintreppe. Zu verlieren hatte ich im Moment eh nichts, es war ja auch alles nur ein Traum!

Und plötzlich lag ich auf dem Boden, und spürte die kleinen Steine, die mich unsanft in Bauch, Brust und Gesicht pieksten.

Ich wollte mich umdrehen, um zu sehen, was hier passierte, aber ein stechender Schmerz durchfuhr meine rechte Schulter. Jemand oder vielmehr etwas presste mir mit stählerner Kraft den Arm auf den Rücken. Ich spürte das kalte Metall durch meine Kleidung hindurch und wusste, dass es eine der Rüstungen sein musste. Gänsehaut prickelte mir unangenehm auf der Haut. Für einen Traum fühlte sich alles ungewohnt real an!

Mein linker Arm wurde jetzt ebenfalls nach hinten gerissen. Die Metallhand schloss sich um meine beiden Handgelenk, während eine andere einen harten Strick fest darum band.

Eine andere Hand riss meinen Kopf an den Haaren nach hinten. Ich wollte aufschreien, doch ein muffiger Knebel erstickte meinen Schrei, bevor er begonnen hatte. Ein weiteres Stück Stoff legte sich über meine Augen und nahm mir meine eh schon durch Tränen schleierhafte Sicht.

Mit einem Satz wurde ich auf die Füße gerissen und in irgendeine Richtung weitergeschubst. Ich war völlig orientierungslos, und dann ging es auf einmal bergab. Immer öfter stolperte ich über Steine, oder über meine eigenen Füße. Die Panik und der Schock zerfraßen mich, wie die unerträgliche Kälte eines unerbitterlichen Winters.

Ein Schauer lief mir über den Rücken, ließ meine Gänsehaut noch unangenehmer werden und ich fing an zu zittern.

Ich hatte so eine Angst. Was zum Teufel war hier los? Und warum wachte ich nicht endlich auf?

Weiches Licht durchdrang meine Augenbinde, beruhigte und alarmierte mich zugleich. War das dasselbe Licht, das aus dem Felsspalt gedrungen war?

Ich musste wirklich im Inneren des Berges, oder eines Tunnels sein, denn ich schrammte immer öfter an einer Felswand entlang und schürfte mir die Haut an Armen und Schultern auf.

Ich hörte ein leises Murmeln aus dem Inneren des Felsens. Desto weiter wir vorstießen, desto deutlicher wurde das Geräusch und verwandelte sich in das Rauschen eines leisen Wasserfalls. Wir waren nun in einer weitläufigeren Höhle, nicht mehr in den Tunneln, was ich an dem Klang unserer Schritte erkannte, die jetzt viel ferner wiederklangen als zuvor. Ich wurde weiter vorgeschupst, spürte, dass ich auf einmal im Wasser stand, aber keine nassen Füße bekam. Dann wurde das Licht auf einmal unerträglich weiß und hell, genau in dem Moment, als ich den Wasserfall berührte und hindurchtrat. Die Lichtwelle schien mich zu überrollen, nahm mir jedes Gefühl hinfort und ließ nur eine wohlige Wärme zurück, so als würde mein ganzer Körper nur noch aus dem reinen Licht bestehen.

Genauso plötzlich wie es angefangen hatte, hörte das merkwürdige Gefühl wieder auf und ließ die taube Angst wieder meinen Körper beherrschen. Das Licht verschwand und alles war finster.

Ich stand auf einer Wiese mit kniehohem Gras, das mich sanft an den Stellen kitzelte, an denen meine Kleider zerrissen waren. Ich hörte das leise Rascheln im Wind, spürte die leichte Brise über mein Gesicht streichen.

Ich vernahm eine rasche Bewegung zu meiner rechten Seite, dann traf mich unvermittelt ein harter Schlag im Nacken und die Welt um mich herum wurde schwarz...
 

Als ich wieder aufwachte, war das Erste was ich wahrnahm die plötzliche Angst. Wo war ich? Ich lag auf pieksendem Stroh auf einem kalten Steinfußboden. Jemand hatte mir den Knebel aus dem Mund genommen, und jetzt schmeckte ich auch das Blut, nach Eisen schmeckend und warm.

Ich versuchte mich aufzusetzen, meine Hände waren aber immer noch gefesselt. Irgendwie schaffte ich es dann, dass ich endlich mit dem Rücken an der Steinwand lehnte. Mich gegen die Wand drückend, versuchte ich mich aufzustemmen, meine Beine gaben jedoch zitternd nach. Hilflos sackte ich zurück.

Stumme Tränen stiegen in meine Augen und durchnässten die Binde um meinen Kopf.

Von irgendwoher hörte ich leises Wimmern und stumme Schreie, gedämpft von dicken Steinmauern. Wie lange lag ich hier wohl schon? War das hier so etwas wie ein Verlies? Mich schauderte.

Dann hörte ich plötzlich Stimmen, ein flüsterndes Gespräch zwischen einer hellen Frauenstimme und der rauen eines Mannes. Die beiden klangen nah, ihre Stimmen kaum gedämpft.

Erst verstand ich nur leise Gesprächsfetzen ohne Sinn, dann klang die Frau plötzlich hysterisch und wurde merklich lauter:

„Ihr solltet sie nur aufs Schloss bringen und sie nicht gleich bewusstlos schlagen! Was soll sie denn jetzt von uns denken, von mir der Flammenprinzessin? Kannst du mir das erklären?!“

Reumütiges Murmeln, unverständlich für mich, war die einzige Antwort.

Eine Pause trat ein, dann fing die herrische Frau wieder an zu sprechen.

„Du hast Glück“, lachte sie „, denn mir ist soeben etwas viel besseres eingefallen! Lass sie heute Nacht über im Kerker und bring sie mir morgen in den Kronsaal. Die Angst wird sie schon hörig machen.“

Ich hörte wieder leise Schritte, dann war die Stille wieder einzig und allein von den Leidensrufen der Gepeinigten erfüllt...
 

Es war eine unendliche dunkle Stille. Nichts war zu hören, alles monoton. Ich war verloren in der Dunkelheit, gepeinigt von meinen eigenen Tränen und den quälenden Gedanken an die bedrohliche Stimme der Frau. Die Angst wird sie schon hörig machen. Ich hatte das ungute Gefühle, dass ich damit gemeint war, und das die Frau mit dieser entsetzlichen Stimme, die trotz allem wunderschön und samten war, vorhatte, mich irgendwie unter ihre Kontrolle zu bringen. Nur warum das alles? Und vielmehr, war das hier Traum, oder die groteske und für mich unwirkliche Realität? Was wollte diese Flammenprinzessin, was sie ausgerechnet von mir bekommen konnte?

Es war bestimmt schon spät, vermutete ich jedenfalls. Mein Zeitgefühl spielte hier unten vollkommen verrückt und ich wunderte mich, dass ich überhaupt noch einigermaßen klar denken konnte. Mein reales Leben, all meine Probleme mit der Schule, mit meinen Eltern, Sayuri und mit Kei, all das schien mir so fern. Unreal im Gegensatz zu dieser beängstigenden vollkommenen Schwärze, dem kalten Loch, in das man mich gesperrt hatte und dem Schmerz, der auf jedem Zentimeter meiner Haut zu prickeln schien.

Plötzlich änderte sich etwas. Erst bemerkte ich nicht was, die Ohren taub von der zerreißenden Stille. Doch dann verstärkte sich das Gefühl, meine Umgebung wurde lauter, die ewige Finsternis zerstört durch immer lauter werdende Geräusche, die mich zurück ins hier und jetzt führten. Die laute Unruhe im Gang rollte sich langsam auf mich zu.

Wiederhallendes Türenknallen, tausend hastige Schritte auf dem Stein, dann das leise Klimpern eines Schlüsselbundes. Eiliges Drehen eines Schlüssels im Türschloss, lautes Klicken eines aufgehenden Schlosses, das laute Auffliegen der Tür und Knallen gegen die Steinwand.

„Ich hab sie gefunden!“, drang eine erleichterte junge Männerstimme an mein Ohr, sanft wie die eines rettenden Engels. Hoffnung stieg in mir auf, die Panik und die Angst überwogen jedoch weiterhin, immer noch hilflos in der Dunkelheit.

Das Poltern auf dem Gang wurde lauter, hallte an den kalten Steinmauern wieder und drang in die Zelle, in der ich zerbrochen am Boden saß. Ich hörte schepperndes Metall, Schreie des Kampfes und des Todes.

Ich spürte die Anwesenheit des Jungen, als er sich neben mir niederkniete. Seine Hände berührten sanft meine Schläfe. Ich schreckte zurück.

„Du brauchst keine Angst haben“, wisperte er, als wenn er mit einem erschrockenen Tier reden würde, um es zu beruhigen. „Wir tun dir nichts, bei uns bist du in Sicherheit.“ Er band mir die Augenbinde ab, und mit verheulten Augen blickte ich ihm in sein ernstes Gesicht. Er war wirklich jung, hatte schwarze, etwas längere Haare und azurblaue Augen, dazu ein vorsichtiges Lächeln auf den Lippen. Komischerweise beruhigte mich sein Anblick, die vertraute Ansicht eines Gesichtes, das so viel menschlich war. Kein Monster, nur ein Junge, ein schüchtern lächelnder Junge, der mich aus diesem Loch befreien wollte. Mein Atem ging wieder langsamer, nicht mehr stoßweise, meine Tränen liefen weiter, aber ich entspannte mich ein Stück weit, sah ihn hoffnungsvoll an.

Zufrieden band er mir jetzt auch die Hände los, meine Handgelenke schmerzten furchtbar und waren von den scharfen Seilen aufgeschürft.

„Alles wird gut, du wirst schon sehen“, lächelte er wieder und hob mich ruckartig auf seine Arme. Ich schlang meine Arme ohne zu Überlegen um seinen Hals, als er leichtfüßig mit schnellen Schritten das dunkle Loch verließ, mit dem kleinen Strohlager und den grauenvollen kalten Steinwänden. Ich warf einen Blick zurück, betrachtete die Zelle das erste mal, und wandte den Blick ab, verbarg mein Gesicht an der Schulter des Fremden, die Dunkelheit und das Elend waren zu verletzend.

Ein Traum... Alles war nur ein böser Albtraum mit meinem persönlichen Retter.

Ich hörte die Stimmen der anderen aufgeregten Menschen. Dann die leisen Schritte eines Mannes, der auf uns zutrat. Aus dem Augenwinkel warf ich einen kurzen Blick auf ihn. Er war groß, breitschultrig und muskulös, hatte wellige, bis zum Kinn reichende braune Haare und einen Stoppelbart. Er stellte sich nahe neben meinen Erlöser, ich schloss wieder die Augen, um die Tränen zu unterdrücken.

Ich spürte die neugierigen Blicke auf mir ruhen, die vielen Fragen, die sie sich stellen mussten. Ich hatte nicht mehr die Kraft mir den Kopf zu zerbrechen, wie es hier jetzt weiterging, was die Gruppe meiner Beschützer vorhatte, was sie von mir wollten.

Ich fühlte eine sachte Berührung an meiner Schulter, dann hörte ich eine flüsternde, raue Stimme: „Wie geht es ihr?“ Es war der Mann neben uns.

„Den Umständen entsprechend, denke ich...“, antwortete mein Retter leise und ich spürte, wie er seinen Griff um mich etwas verstärkte. Er zitterte leicht.

„Wir können hier nichts mehr tun, wir haben, was wir wollten“, erhob der Mann mit der rauen Stimme sein Wort und wandte sich ein Stück weit von uns ab. „Lasst uns hier verschwinden.“

Die Truppe machte sich bereit zum Aufbruch. Der Mann nahe bei uns, der Hauptmann wie ich vermutete, trat wieder ein Stück dichter an meinen Erlöser heran. „Lass mich sie tragen, Yori“, sagte er sanft, fast zärtlich. „Deine Wunde am Bein könnte ernst sein...“

Yori schüttelte leicht den Kopf. „Ich schaff das schon Ryota, so schlimm ist es nicht.“ Sein Bein bebte immer noch leicht, als würde es jeden Moment wegknicken.

„Das war keine Bitte“, fügte Ryota jetzt schärfer hinzu „, sondern ein Befehl!“

Ein starker Arm schob sich unter meinem Rücken her, eine andere Hand löste sanft meine Umklammerung um Yoris Hals. Dann hob mich Ryota in seine muskulösen Arme, den zweiten Arm unter meinen Beinen. Ich lehnte mich an seine kalte, harte Brust. Ich fühlte mich immer noch so hilflos, so schwach.

Yori humpelte hinter uns her, als die restlichen Ritter und der Hauptmann durch die Gänge eilten. Ich wunderte mich, wie man sich hier unten in diesem Labyrinth aus himmellosem Stein zurechtfinden konnte. Das Blut tropfte warm aus der Schnittwunde an Yoris Oberschenkel, die ich erst jetzt wahrnahm. Durch das viele Blut wirkte die Wunde wahrscheinlich bedrohlicher, als sie war, der Schnitt schien nicht besonders tief. Trotzdem musste sie höllisch schmerzen.

Nach unbestimmter Zeit stiegen die Männer eine Treppe hoch, durch einen schmalen, beengenden Gang. Der beschränkte Platz machte mir Angst, ich fühlte mich wie ein Vogel in einem winzigen Käfig.

Am Ende der Treppe sah ich die ersten Toten, zwei emotionslose Leichen, blutüberströmt an der Wand hinabgesackt.

Mir wurde übel. So schnell ich konnte wandte ich den Blick ab, starrte die feinen Maschen des Kettenhemdes an.

Durch die hohen Fenster schien das erste Licht, das ich seit langem sah. Schwaches Mondlicht, das über den Stein waberte.

Es war irgendwie tröstlich zu erfahren, dass sich nichts geändert hatte. Der Mond blieb ein Mond, die Nacht blieb die Nacht. Nichts hatte sich geändert, doch für mich war alles umgekehrt. Wo war mein Leben geblieben?

Die riesige Festung schien wie ausgestorben. Von draußen drang noch ein weiteres Leuchten herein, rötlich und heiß.

Durch einen merkwürdigen Gang, der plötzlich abfiel, gelangen wir wieder hinein in die tiefen des Untergrunds. Es war wieder dunkel und es wurde wärmer, je weiter wir vordrangen.

Am Ende des endlosen Tunnels leuchtete die Nacht rot auf. Dann traten wir nach draußen. Die Hitze schlug mir entgegen. Emotionslos starrte ich von einem schmalen Felsdepot hinunter in die beißende Lava. Der Schwefel riss in meiner Lunge und brachte meine Augen weiter zum Tränen.

Das riesige, schwarze Schloss stand auf einer scharfen Felsspitze. Die Schlucht rundherum leuchtete feurigrot, von unten hörte ich das laute Brodeln des glühenden Schmelzgesteins. Die Ritter verweilten nicht lange, orientierten sich nur kurz und wandten sich dann nach links, zu einem schmalen Gesteinspass.

Vorsichtig tasteten sie sich hervor, dann fiel der Weg steil ab und die Männer konnten nur sehr langsam weiter.

Die Hitze unten wurde fast unerträglich, dann endete der Pfad an einem kleinen Podest direkt unter einem anderen, sodass wir von oben nicht sichtbar waren.

Eine kaum zehn Fuß breite Steinbrücke führte jetzt vom Steinpodest hinüber zu einem kleinen Tunneleingang im gegenüber liegenden Fels – direkt über den Lavasee herüber.

Mir stockte der Atem. Die wollten da doch jetzt nicht wirklich drübersteigen?!

Das grenzte ja schon fast an Selbstmord, wenn man auch nur einmal ausrutschte landete man sofort im sicheren Tod!

Und sie taten es doch...

Hauptmann Ryota und der schwarzhaarige Yori waren die letzten die auf die schmale Brücke traten. Ich wagte es nicht hinunter zu schauen und fixierte meinen Blick auf den schmalen Rücken Yoris.

Ich war froh, dass ich nicht selbst über diese Höllenbrücke stolpern musste, bei meiner jetzigen Verfassung wäre laufen wohl allgemein eher nicht zu empfehlen.

Es kam mir vor als stünde die Zeit still, und auf einmal waren wir drüben, in Sicherheit und feste Felsmauern umschlossen unseren Weg.

Wieder war es dunkel, ich konnte noch nicht einmal das Gesicht von Ryota sehen. Mein Zeitgefühl war immer noch nicht wiedergekehrt und so konnte ich nicht schätzen wie lang der Weg wirklich gewesen war. Mir war es auf jeden Fall unendlich lang vorgekommen. Immer wieder ging es steil bergab, tiefer in das Gestein hinein, dann wieder ein Stück nach oben und wieder nach unten.

Ich hatte längst aufgehört die Sekunden und Minuten zu zählen, die mich die Dunkelheit erneut umhüllte.

Und dann sah ich schwach schimmerndes Licht am Ende des Tunnels. Wir traten hinaus. Der Himmel hatte sich hellgrau verfärbt und am Horizont zeichneten sich schon die ersten Sonnenstrahlen ab. Dort war der Himmel tieforange, sanftes rosa und tiefes rot durchmischten sich mit dem tiefen graublau, den letzten Anzeichen der Nacht. Der Mond war nur noch als müde Silhouette zu erkennen, verblasste langsam, vertrieben von den Sonnenstrahlen. Vor uns breitete sich ein schmaler Wüstenstreifen aus, der in eine sanft im Wind wiegende Wiese überging. Hohes Gras raschelte leise und eröffnete mir die weiten Ebenen einer fremden Welt.

Ich war eine Gefangene gewesen, ein Vogel im Käfig, doch jetzt wurde mir klar, dass ich wieder frei war. Die Hand hatte das Vertrauen des Vogels erweckt, und führte ihn in die Freiheit.

Bei dem Gedanken musste ich kaum merklich lächeln. Trotzdem war ich besorgt. Ich war mir inzwischen sicher: das hier war nicht die Erde.

Ich kam mir vor wie in einem mittelalterlichen Albtraum. Ritter, Burgen, ein Kerker...

Doch wie sollte ich hier wieder rauskommen? Warum war ich hier? Fragen, deren Antworten ich wohl sobald nicht kennen lernen würde.

Yori neben uns verfiel jetzt in lautes Wolfsgeheul. Der Ruf hallte millenar über die weite Grasfläche herüber und zerriss die Dämmerungsstille.

Dann war es wieder still. Zumindest für kurze Zeit, denn schwere Hufe wälzten sich durch das Gras, erst unsichtbar und dann wurden die ersten Pferde sichtbar, zwischen ihnen weitere junge Männer. Als sie näher kamen wurde mir klar, dass es die Knechte sein mussten, die auf die Pferde ihrer Ritter aufpassen mussten, während die mich aus dem wirren Schloss retteten, warum auch immer.

Mir wurde erst bewusst, wie müde ich in Wirklichkeit war, als ich auf dem gleichmäßig schaukelnden Pferd vor Ryota im Sattel saß.

Die Schritte des Tieres waren wie ein Metronom, immer gleichmäßig hin und her... auf und ab...

Erst als die Sonne in ihrem Zenit stand, wachte ich wieder auf. Die Landschaft hatte sich nicht viel verändert, vor uns lag immer noch die weite Wiesenebene, doch inzwischen konnte man hinter uns nicht mehr die erschreckenden Silhouetten der Felsspitzen sehen, sondern das beruhigende himmelblau hinter der hügeligen Hochebene.

Ich war erstaunt, als ich bemerkte, dass es nicht die selbe Brust wie gestern Nacht war, an die ich mich jetzt schlaftrunken schmiegte.

Verschlafen legte ich meinen Kopf in den Nacken, um hoch in das Gesicht des Anderen zu gucken. Spöttisch lächelte mich Yori an. „Na? Gut geschlafen, Prinzessin?“

Ich lehnte mich ein Stück von ihm weg und sah ihn jetzt über meine Schulter hin an. „Ich denke doch, warum?“

„Du sahst nur so zufrieden aus, als du an meiner Brust geschlafen hast.“ Er grinste schief.

Ich wurde rot. „Ich war halt erschöpft“, murmelte ich und blickte finster wieder nach vorne.

Ich bereute es inzwischen, dass ich nicht versucht hatte weiter zu schlafen, denn jetzt entstand diese peinliche Stille, in der keiner etwas sagte.

„Warum bin ich überhaupt bei dir auf dem Pferd? Wo ist Ryota?“

„Hauptmänner übernehmen meistens eher andere Aufgaben. Er hatte keine Zeit aufzupassen, dass du beim Schlafen nicht vom Pferd fällst!“ Wieder grinste er spöttisch.

„Also bist du für die unannehmlichen Aufgaben zuständig“, konterte ich. Er blieb still und ich musste anfangen zu lachen.

„Kannst du reiten?“, fragte er grummelnd.

„Nein...“, musste ich bedauernd zugeben. Meine Eltern hatten mir nie erlaubt Reitstunden zu nehmen.

„Na also“, lachte er. „Also bin ich ja doch von Nöten.“

„Was soll das heißen“, fragte ich verwirrt und schaute ihn argwöhnisch über die Schulter hinweg an.

„Das soll heißen, dass ich dir das Reiten bei Gelegenheit beibringe.

Ich erwiderte nichts mehr.

Wir ritten weiter, und nach einer Weile trafen wir auf einen Flusslauf, der sich quer durch das Gras schlängelte. Er floss genau in die entgegengesetzte Richtung in die wir ritten, nach Süden, wie ich vermutete. Wir reisten also nach Norden, dorthin, wo man am Horizont schon die Berge erkennen konnte. Gekommen waren wir aus dem Osten, dort mussten die Lavaseequellen sein.

„Gleich hinter dem Hügel sind wir da, in Kentosai“, klärte mich Yori auf, unter dem Namen konnte ich mir aber beim besten Willen nichts vorstellen.

Vor uns konnte man jetzt eine schräge Hügelwand erkennen, auf der im Gras versteckt eine massive Steinmauer war. Uns gegenüber konnte ich zwischen zwei Wachtürmen ein großes Fallgitter erkennen, das gerade hochgelassen wurde.

Schatten streifte kurze Zeit über uns, als wir unter der Sternbrücke hindurchritten. Der Anblick dessen, was sich in dem Talkessel hinter den Steinmauern verbarg, ließ kurz meinen Atem stocken. Eine Stadt war am tiefsten Punkt des Kessels erbaut worden, die sich bis auf die flach steigenden Hügel in einer Treppenstruktur auftürmten. Doch am meisten beeindruckte mich die riesige Burg, die in der Mitte am tiefsten Punkt des Tales thronte und sich über die gesamte Stadt hinwegstreckte. Das verwinkelte Schloss glich einem Labyrinth aus Türmen und riesigen Fronten aus Glas und trotzdem war es so filigran gebaut, dass es im Gegensatz zu jedem anderen Bauwerk, das ich je gesehen hatte, unglaublich schön wirkte. Trotz alledem ließ mich das Gefühl nicht los im Mittelalter zu sein.

„Sprachlos“, neckte mich Yori, belustigt über meinen fassungslosen Ausdruck.

„Ein wenig“, musste ich wütend zugeben und beschloss seine nächsten Sticheleien zu ignorieren.

Die grasbewachsenen Hänge hinab, gelangen wir in die gepflegten und belebten Gassen des Ortes. Die acht Hauptstraßen zogen sich wie die Strahlen einer Sonne durch die Gebäudekomplexe, das Schloss ihr Mittelpunkt. Die Häuser waren zwar klein, wirkten aber nicht wie gewöhnliche Bauernhäuser. Sie waren aus braunem Sandstein mit flachen, roten Tondächern gebaut und wirkten mediterran. Viele der Häuser waren einstöckig, doch jene, die zwei Stockwerke besaßen, beherbergten häufig noch Läden oder Handwerkshäuser. Das überfüllte Treiben auf den Straßen erinnerte and den geschäftigen Trubel auf einem Marktplatz.

Interessiert schauten die Leute uns nach, ihre Blicke auf dem unbekannten Mädchen liegend, dass die Krieger aus dem Kerker errettet hatten. Ich hörte deutlich heraus, dass sie sich in flüsterndem Ton über mich unterhielten. Dinge wie „Das ist sie“ oder „Ihr geht es gut“ fielen, und ich wunderte mich immer mehr, was hier eigentlich los war. Betreten starrte ich zwischen die Ohren des Fuchses, auf dem wir ritten, die argwöhnischen Blicke waren mir unangenehm.

Schnell gelangten wir auf einen Hof vor dem übermächtigen Schloss. Hinter der riesigen Flügeltür hörte ich das leise Wiehern und Hufeschlagen von Pferden. Draußen liefen schon die ersten Stallburschen herum, um die Ritter willkommen zu heißen und die Pferde zu versorgen.

Yori hinter mir stieg vom Pferd und hielt es weiterhin mit der einen Hand am Zügel fest. Die andere Hand hielt er mir entgegen, ein schiefes Lächeln sein Gesicht erhellend. „Willkommen in Kentosai, Miss.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2009-01-04T15:25:08+00:00 04.01.2009 16:25
Uiiii, Yoriiiiii! Würd ja jetzt hier noch n Herzchen hinmachen, aber ich bin zu faul mir eins aus Word zu kopieren...
-hier bitte imaginäres Herzchen einfügen-
Jup, überarbeitete Version definitiv nooooch besser!


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