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Alexandros Theos

Sommer, Sonne, Mumien
von

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Der fünffache Alexander

So, Ende in Sicht! Vom nächsten (und letzten) Kapitel steht schon einiges, und für den Epilog haben sich immerhin schon Ideen herauskristallisiert - ich glaube, das wird wohl noch was bis Ende des Jahres!
 

Vielen Dank wie immer an Erszebet für das detailgenaue Beta-Lesen! :-)
 

***
 

Der nächste Tag begann für Brónachs Geschmack deutlich zu früh. Er wurde von Prokne geweckt, die vor Elulaios Kammer auf dem Flur herumkeifte. Widerstrebend löste er sich von dem murrenden Elulaios, streifte seinen Chiton über und ging hinaus um nachzusehen, was nun wieder los war.
 

„Brónach, verdammt, vor dem Haus steht dieser alte Knacker mit einem Eselskarren und will hinein! Kannst du dem bitte erklären, dass er abhauen soll? Er glaubt irgendwie nicht, dass wir gar keinen Hintereingang haben, wo sein blöder Karren durchpasst. Weiß der Geier was der eigentlich will.“
 

Brónach verdrehte die Augen. Was war das nun wieder für eine Geschichte? Konnte der Pförtner etwa nicht mal mit einem Hausierer fertig werden? Und wegen so was wurde er aus dem Bett geworfen… Gähnend trabte er hinunter zum Haupteingang. Dort erwartete ihn allerdings kein aufdringlicher Hausierer, sondern Onirenomon, der auf dem Kutschbock eines Eselskarrens hockte, der von einem kleinen Jungen gelenkt wurde. Onirenomon versuchte gerade stammelnd, dem Pförtner zu erklären, dass er und sein Karren von Nikodemos erwartet würden. Natürlich konnte er nicht sagen, dass er gekommen sei, um die Mumie Alexanders des Großen abzuholen und eine vernünftige Ausrede hatte er sich auch nicht einfallen lassen. Glücklicherweise, denn sonst hätte der Alte sich womöglich schlicht mitsamt Alexander verkrümelt – und das konnte Brónach schließlich nicht recht sein... Die Frage, was mit der Mumie nun eigentlich geschehen sollte, hatten sie schließlich noch nicht besprochen. In der Zwischenzeit war es wohl besser, wenn er dafür sorgte, dass Onirenomon nicht noch weiter für Aufsehen sorgte, denn trotz der frühen Stunde hatten sich schon einige Gaffer eingefunden, die die Szene amüsiert beobachteten.
 

„Es hat schon seine Richtigkeit, der Herr wird erwartet!“ wandte er sich daher an den Pförtner. Zu Onirenomon gewandt fuhr er fort: „Herr, es stimmt was unser Pförtner sagt, wir haben weder Ställe noch einen Hintereingang, wo Ihr Euren Karren lassen könntet. Gleich um die Ecke ist ein Mietsstall, wo wir für gewöhnlich unsere Pferde und die unserer Gäste unterbringen. Vielleicht könnten wir Euren Esel dort so lange unterbringen? Herr Nikodemos erwartet Euch bereits…“
 

Onirenomon nickte dankbar und folgte Brónach gehorsam zu dem Mietstall. Kurz darauf saß er mit einer Schale Wein im Andron, während Brónach sich daran machte, Nikodemos und Elulaios aus den Federn zu holen.
 

Es dauerte eine ganz Weile, bis die gähnende Gesellschaft beisammen war. Nur N’Gugi wirkte einigermaßen ausgeschlafen, aber der war auch erst erschienen, als es schon später Vormittag war. Die Verschwörer beäugten sich über den Resten eines üppigen Frühstücks. Schließlich ergriff Onirenomon das Wort. „Also… ich… also, wieso kann ich denn nicht einfach den… Gegenstand mitnehmen? Meine Auftraggeber warten bestimmt schon ungeduldig…“
 

„Ist Euch nie der Gedanke gekommen, dass wir diesen Part vielleicht noch einmal überdenken müssten?“ erwiderte Elulaios.
 

„Überdenken? Was gibt es denn da zu überdenken?“ begehrte Onirenomon auf.
 

Elulaios warf ihm einen scheelen Blick zu. „Nun, vielleicht deshalb, mein Freund, weil nicht jeder die Interessen Eurer Auftraggeber teilt…“
 

Brónach wurde flau im Magen. Jetzt ging es also um’s Ganze. Natürlich hatte er sich schon Gedanken gemacht, wie er sich selbst in den Besitz der Mumie bringen könnte, aber was wollte Elulaios damit? Onirenomon auf’s Kreuz zu legen hatte er sich zugetraut – er hätte ihm ja nur anbieten müssen, beim Transport zu helfen. Der alte Trottel wäre wohl kaum gegen ihn angekommen. Aber wenn Elulaios die Mumie auch wollte? Mit einem Mal sah er seine Felle davonschwimmen. Bevor er auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, fuhr allerdings schon Nikodemos dazwischen.
 

„Es reicht, Onirenomon. Wir haben bewiesen, dass das Grabmal nicht sicher ist. Damit muss es aber gut sein! Ihr wollt doch nicht allen Ernstes die Mumie des vergöttlichten Alexanders an irgendwelche Fremden verschachern?“
 

Onirenomon wurde totenblass: „Aber… aber wozu haben wir das dann überhaupt getan? König Philipp wird mich in den Hades befördern lassen, wenn ich Alexander nicht liefere!“
 

„Ach, Philipp von Makedonien ist also dein Auftraggeber, ja? Na, dem werden wir die Mumie ganz bestimmt nicht überlassen!“ fauchte Elulaios ihn an.
 

„Die Mumie bleibt hier!“ beharrte Nikodemos.
 

„Ich fürchte, dem kann ich nicht zustimmen“, entgegnete Elulaios kühl. Das gefährliche Glitzern in seinen Augen jagte Brónach einen kalten Schauer über den Rücken. Der harmlose Jüngling, der sich von ihm um den kleinen Finger wickeln ließ, war plötzlich verschwunden. Unwillkürlich kamen ihm die kleinen, messerscharfen Dolche in den Sinn, die Elulaios im Gepäck hatte.
 

Brónach stand unglücklich daneben, während Nikodemos und Elulaios sich mit Blicken maßen, Nikodemos zornig und Elulaios kalt und gefährlich. Onirenomon rang die Hände und schaute verzweifelt vom einen zum anderen. Nikodemos und Elulaios im offenen Streit zu sehen, das schmerzte Brónach mehr, als er gedacht hätte. Sich zwischen diesen beiden entscheiden zu müssen, das hatte er doch vermeiden wollen! Dazu kam noch, dass er Markus Severius Gunst verlieren würde, wenn er ihm die Mumie nicht brachte, und damit seine einzige Geldquelle und jede Möglichkeit, seine Schwester zu finden. Wenn er jetzt aber noch versuchte, die Mumie an sich zu bringen, dann verlöre er beide, Nikodemos und Elulaios. Frustriert nagte er auf seinen Fingerknöcheln herum. Ihm wollte keine Lösung einfallen. Nur dass er verhindern musste, dass die beiden aufeinander losgingen, darüber war er sich im Klaren.
 

N’Gugis lautes, rumpelndes Lachen überraschte wohl nicht nur Brónach. Der nubische Goldschmied schlug sich auf die Schenkel und seine Augen blitzten vor Vergnügen. „Da habt ihr das Fell des Löwen wohl etwas voreilig verteilt, was?“ gluckste er.
 

Alle Blicke wandten sich nun N’Gugi zu. Nikodemos blies sich schon auf, um ihm eine entrüstete Antwort zu geben, doch Elulaios kam ihm zuvor. Mit einem leisen Lachen warf er die Arme hoch: „Ach beim Hades, Recht hast du ja. Da rennen wir einfach los und stehlen Alexander den Großen – und haben uns vorher nicht einmal versichert, dass wir das alle im gleichen Auftrag tun. Wir sind schon schöne Verschwörer…“
 

Nikodemos schnappte nach Luft, dann sackten seine Schultern zusammen und er setzte ein verschämtes Grinsen auf. Elulaios griff nach einer Schale Wein und prostete Nikodemos kameradschaftlich zu. „Nun denn, dann müssen wir uns eben etwas einfallen lassen. Ich mag Euch jedenfalls nicht einer alten Mumie wegen umbringen, Nikodemos mein Freund.“
 

Brónach holte tief Luft und merkte erst dabei, wie lange er vor Anspannung nicht geatmet hatte. Erleichterung durchströmte ihn, doch ein gewisses Unbehagen blieb – wie ernst mochte Elulaios wohl seine letzte Bemerkung gemeint haben? Trotzdem lachte er nun auch, schließlich galt es, die friedlichere Stimmung zu bewahren.
 

„Es muss doch eine Möglichkeit geben, unsere Auftraggeber alle wenigstens irgendwie zufriedenzustellen…“, meinte er.
 

Elulaios schaute ihn missmutig an. „Du übersiehst da etwas. Bei dieser Geschichte geht es nicht um Geld, ansonsten könnten wir uns daraus freikaufen. Aber meine Auftraggeber wollen nun einmal Alexander, und ich denke, das wird bei den anderen nicht anders sein. Da geht’s um hohe Politik, Brónos…“
 

„Nu, wenn die ganzen hohen Herren unbedingt Alexander wollen, warum geben wir ihnen dann nicht Alexander?“ N’Gugis Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen.
 

Onirenomon mischte sich mit bibbernder Stimme ein: „Du Narr, da müssten wir ein halbes Dutzend Alexanders haben!“
 

Brónach spürte, wie sich auch auf seinem Gesicht ein Grinsen breit machte, das mit dem N’Gugis durchaus Schritt halten konnte. „Ich glaub, eben das hat N’Gugi gemeint, nicht wahr?“
 

Onirenomon und Nikodemos starrten sprachlos, aber Elulaios begann nun auch zu grinsen. „Ein wunderbarer Vorschlag, N’Gugi. Auf dass der Wolf satt wird und die Ziege ganz bleibt, wie? Ich weiß ja nicht, wie ihr das seht,“ fügte er an die anderen gewandt hinzu „aber meine Auftraggeber wollen Alexander und lassen nicht mit sich spaßen – und bei Euch ist das nicht anders. Und warum auch nicht? Sollen doch alle Erben des göttlichen Alexander ihren Ahnen bei sich haben… und wir wären alle Sorgen los.“
 

„Aber wie sollen wir das bewerkstelligen?“ jammerte Onirenomon. Es gibt doch nur den einen Alexander.“
 

„Ist doch kein Problem… Wir gehen einfach zur Nekropole und holen uns ein paar ordentliche Mumien!“, grinste Brónach. „Da gehen doch jeden Abend irgendwelche Leute auf Beutezug, das merkt doch keiner!“
 

„Wie könnt Ihr nur an so etwas Verruchtes denken?“ ereiferte sich Onirenomon. „Die Mumien ehrbarer Bürger stehlen, sie gar noch als den vergöttlichten Alexander augeben, das kann doch nicht Euer Ernst sein!“
 

„Ach – möchtest du vielleicht lieber selbst demnächst in der Nekropole residieren, Onirenomon?“ gab Elulaios kalt lächelnd zurück.
 

„Aber…“ jammerte Onirenomon weiter.
 

„Nix aber!“ fuhr ihm daraufhin N’Gugi über den Mund. „Oder willst du dich wegen der ollen Mumie kaltmachen lassen?“
 

Onirenomon ließ den Kopf hängen und erwiderte nichts weiter. Nikodemos hatte dem Wortwechsel mit saurer Miene gelauscht.
 

„Und warum sollte jemand diese Mumien für den vergöttlichten Alexander halten?“ warf er ein, nachdem er schon angewidert das Gesicht verzogen hatte, als Brónach die verbreitete Unsitte, Gräber und Mumien auszuplündern, erwähnt hatte.
 

„Wir putzen die Dinger eben ein bisschen auf…“ meinte Elulaios.
 

„Und ich mache diesen Schmuck nach, dann wird jeder glauben, dass es der echte Alexander ist. Wird allerdings teuer…“, ließ sich N’Gugi vernehmen.
 

„Aber ich habe kein Geld! Der Sparverein ist pleite und…“, klagte Onirenomon.
 

N’Gugi grinste noch breiter: „Im Schulden machen bist du doch schon geübt, was? Und schließlich kriegste ja auch was, wenn du deinen Alexander ablieferst!“
 

Nikodemos schaute nachdenklich vom einen zum anderen. „Die Idee ist wirklich nicht ganz verkehrt. Vielleicht würde das sogar die politische Situation ein bisschen entspannen… Hauptsache, der echte Alexander bleibt hier.“
 

„Genau!“ bekräftigte N’Gugi. „Der große König soll schon hier bleiben!“
 

Elulaios zuckte mit den Schultern. „Mir soll’s recht sein, wenn der Falsche nur gut genug aussieht. Aber das wird nicht so ganz einfach, oder? Wir müssten zumindest die obersten Binden erneuern, und wer soll das machen?“
 

„Schlimmer noch, das Mumienporträt… Der Schmuck ist sicher das überzeugendste Merkmal, aber irgendwie müssen wir das Mumienporträt hinbekommen.“
 

„Das wäre das geringste Problem…“, erwiderte Elulaios und senkte den Blick. Flog da wirklich ein Hauch von Röte über sein Gesicht? „Ich verstehe mich ein wenig auf die Kunst der Malerei. Ich glaube, ich könnte das Porträt wohl kopieren.“
 

Brónach fragte sich, ob es um Elulaios Malkunst wohl genauso bestellt war wie um seine Dichtkunst… Na, eine große Wahl gab es ohnehin nicht, also mochte Elulaios doch diesen Part übernehmen. Auch die anderen schauten ein wenig zweifelnd, aber durchaus erleichtert drein.
 

„Nu müssen wir nur noch einen haben, der uns die Mumien wickelt – und natürlich einen, der die Mumien besorgt!“ meinte N’Gugi.
 

„Ich könnte den alten Sebech fragen… der ist ein großartiger Balsamierer, und hat auch sein Geld verloren, als unser Verein pleite ging…“, schlug Onirenomon zögernd vor.
 

„Na, dann haben wir doch alles – ich nehm’ einfach Euren Karren, Herr Onirenomon, und dann fahr ich zur Nekropole und hole uns ein paar Mumien! Ich will die Mumie nur noch mal eben ausmessen gehen, schließlich sollten unsere Alexander alle gleich groß sein…“ Er wandte sich an Nikodemos und fragte „Wäre es recht, wenn N’Gugi mir dabei hilft?“
 

Nikodemos nickte: „Nur zu! Wir sollten keine Zeit verlieren. Elulaios und ich werden in der Zwischenzeit das nötige Gold beschaffen. Euren Anteil setze ich auf Eure Schuldenliste, Onirenomon. Was meinst du, wieviel du brauchst, N’Gugi?“
 

Bei dem Gewicht, das N’Gugi nannte lief Nikodemos dann doch grün an, aber N’Gugi ließ nicht mit sich reden. „So viel wie ich brauche brauch ich eben. Wenn was übrig bleibt, dann bekommt Ihr das ja auch zurück.“ Sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
 

„Dann lass uns doch solange Alexander vermessen…“, ergänzte Brónach. N’Gugi folgte ihm lächelnd in das Innere des Hauses. In Nikodemos Arbeitszimmer angekommen wollte Brónach sich gleich daran machen, die Mumie zu vermessen, doch N’Gugi ließ sich erst mal in aller Seelenruhe auf Nikodemos Sessel nieder und zwinkerte Brónach zu. „Nu spuck schon aus, was du willst. Du kannst mir ja nu nicht erzählen, dass du die Mumie nicht allein ausmessen kannst.“
 

Brónach grinste verlegen. „Ne, das stimmt schon. Ich habe da noch ein kleines Problem.“
 

„Und das wäre?“
 

„Naja… ich bräuchte eben auch noch einen Alexander!“
 

„Was, du auch?“ N’Gugi riss die Augen in offenkundig gespieltem Staunen auf. „Und an wen willst du den verschachern?“
 

„Ich schulde Markus Severius noch nen Gefallen… Du weißt schon, der Typ der meine Beiträge beim Sparverein bezahlt…“
 

„Is ja n’ bisschen mager für so ne kostbare Leiche!“ knurrte N’Gugi missbilligend.
 

„Ne, es geht auch noch um meine Schwester. Ich hab dir ja erzählt, dass ich sie verloren hab als ich… als es mich nach Alexandria verschlagen hat. Severius sucht sie für mich und…“
 

„Familie? Das ist natürlich was anderes.“ N’Gugi lächelte verschmitzt. „Kannst froh sein, dass ich ziemlich großzügig war, als ich Nikodemos gesagt habe, wie viel Gold ich brauche. Dann brauch’ ich eben ein bisschen mehr… Und du schuldest mir was.“
 

„Darauf kannst du dich verlassen!“ versicherte Brónach. Als ob er N’Gugi nicht ohnehin schon was schuldete!
 

„Dafür musste mir aber auch nen kleinen Gefallen tun“ brummte N’Gugi und schaute plötzlich ganz ernst drein. „Du musst für mich auch ne Mumie besorgen!“
 

„Willst du Alexander etwa auch verkaufen? An wen denn?“ fragte Brónach neugierig.
 

„An keinen. Ich will Alexander für mich selber haben!“ erwiderte N’Gugi ernst.
 

„Aber was willst du denn damit?“
 

„So ein großer König, der ist auch noch mächtig, wenn er tot ist! Ein mächtiger Fetisch ist das. Wenn ich den habe, werden meine Geschäfte gedeihen und meine Söhne werden starke Männer.“
 

Einen Augenblick lang wollte Brónach ungläubig den Kopf schütteln, aber N’Gugi blickte finster drein und Brónach kannte ihn gut genug um zu wissen, dass mit ihm in Glaubensfragen nicht zu diskutieren war. Er glaubte fest an die Götter seiner nubischen Heimat und verstand diesbezüglich überhaupt keinen Spaß. Brónach konnte N’Gugi fast verstehen. Hatte er nicht selbst einen Schauder verspürt, als er die Mumie das erste Mal gesehen hatte?
 

„Dann brauche ich also vier Mumien – eine für Elulaios, eine für Nikodemos, eine für Onirenomon und eine für mich“, rechnete er.
 

„Ganz recht. Dann wollen wir den König mal ausmessen, was?“ strahlte N’Gugi und ließ seine derben Finger bereits voll Besitzerstolz über die Mumie gleiten.
 

Wenig später machte sich Brónach auf den Weg zum Mietsstall, um dort Onirenomons Eselskarren abzuholen, in der Hand eine ganze Reihe sorgsam ausgemessener Bänder. N’Gugi hatte sich verabschiedet, um in seiner Werkstatt Vorbereitungen zu treffen, Onirenomon hatte sich zu dem Balsamierer aufgemacht, Nikodemos war ausgegangen, um mit seinem Bankier zu sprechen und Elulaios saß im Innenhof und übte sich darin, das Konterfei Alexanders des .großen Mit kohle auf Leinwandstücke zu zeichnen. Brónach schlüpfte diskret an ihm vorbei, um ihn – und sich – nicht abzulenken.
 

Er pfiff fröhlich vor sich hin, während er den Eselskarren durch die Straßen Alexandrias und durch die Stadttore hinaus zur Nekropole von Shatby lenkte. Er machte allerdings erst noch einen Abstecher zu einem in der Umgebung liegenden Landgut, das Nikodemos gehörte, und ließ sich dort von den verblüfften Sklaven eine ordentliche Ladung Heu mitgeben. Er hatte sich einen schäbigen alten Chiton übergezogen und hoffte, nun wie ein armer Freigelassner zu wirken.
 

Die Nekropole wurde natürlich bewacht; aber die Sonne brannte heiß vom Himmel und die meisten Grabräuber versuchten ihr Glück des Nachts. Brónach hatte sich überleget, dass die Wächter am Tag weniger aufmerksam sein würden. Dennoch hatte er seinen Karren in einiger Entfernung zurückgelassen. Missmutig dachte er daran, dass das vermutlich bedeutete, dass er seine vier Mumien ein ganzes Stück weit schleppen musste. Wenn alles gut ging, würde er sich über ein paar der Sammelgräber hermachen, in denen im alten Teil der Nekropole Mumien gelagert wurden, die aus alten, schon geplünderten Gräbern stammten. Eine fünfzig oder hundert Jahre alte Mumie, um die sich keine Hinterbliebenen mehr kümmerten, galt den Wächtern der Nekropole ohnehin nicht viel – niemand zahlte für die Sicherheit dieser Toten, und Schätze hatten sie auch keine mehr, also war damit wenig Staat zu machen. Entdeckten die Wächter solch ein beraubtes Grab, wurde die Mumie nicht einmal neu gewickelt, sondern einfach in einer der zahlreichen leeren Grabkammern abgeladen, in denen sich meist schon etliche Schicksalsgenossen befanden. Der Teil der Nekropole, in der sich diese Gräber befanden wurde so gut wie gar nicht bewacht, denn wer sollte schon eine Mumie stehlen, in deren Binden sich kein Schmuck mehr befand?
 

Vorsicht war dennoch angebracht, denn einfach so mitnehmen konnte man diese Mumien natürlich trotzdem nicht. Brónach legte sich also im Schatten eines verfallenen Tempels auf die Lauer und beobachtete die Wächter. Eigentlich hätten diese wohl regelmäßige Rundgänge machen sollen, tatsächlich aber sah er nur drei Gestalten, die im Schatten einer Palme saßen und würfelten. Er beobachtete sie eine Weile, aber die Männer blickten nicht auf. Also machte Brónach einen weiten Bogen und kletterte in einem unbeobachteten Winkel über die Einfriedung. Im alten Teil der Nekropole gab es nicht einmal Wächter. Trotzdem huschte er lieber schnell in den Eingang eines offenen Grabes.
 

Im Inneren war es stockdunkel, aber nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, merkte er gleich, dass er es gut getroffen hatte. Überall lehnten oder lagen Mumien. Leicht angeekelt betrachtete er die erbärmlichen Überreste. Aller Orten schauten blanke Knochen oder in fahle Hautfetzen gehüllte Gliedmaßen aus den vergilbten Binden hervor. Brónach verzog das Gesicht. Ob er in diesem Haufen überhaupt vier einigermaßen brauchbare Mumien finden würde? Seufzend begann er, das Grab zu durchsuchen. Am Ende hatte es ihn wohl über eine Stunde gekostet, vier halbwegs geeignete Mumien zusammenzubringen. Den Geruch nach eingetrockneter Balsamierflüssigkeit und dem Staub verdörrten Fleisches würde er jedenfalls bestimmt nicht mehr vergessen – und der alte Balsamierer würde trotz all seiner Mühen seine liebe Not mit den Mumien haben! Er konnte bloß hoffen, dass er sich wenigstens nicht vertan hatte, und alle Toten männlich waren.
 

Er schielte vorsichtig nach draußen und kniff die Augen vor der noch immer gleißenden Sonne zusammen. Draußen regte sich immer noch nichts, wenn man von einem mageren Schakal absah, der bei Brónachs Anblick augenblicklich die Flucht ergriff. Mit einem weiteren Seufzer schulterte er die erste Mumie. Glücklicherweise waren Mumien nicht so schwer wie lebendige – oder frisch verstorbene – Menschen, aber es geriet doch zur Plackerei, die Mumien über die Einfriedung zu hieven und in dem trocken gefallenen Bewässerungsgraben zu verstauen, den er sich für diesen Zweck ausgesucht hatte. Es wurde schon Abend, als er damit fertig war. Müde und schweißbedeckt ließ er sich neben seiner unappetitlichen Beute in den Staub plumpsen. Nicht einmal die Gesellschaft von vier Toten konnte ihn daran hindern, in Ruhe sein mitgebrachtes Abendbrot zu verzehren gemütlich den Weinschlauch zu leeren, den er sich mitgebracht hatte. Er dachte immerhin noch daran, ein wenig von dem Wein für die vier toten Herren zu vergießen, die er geklaut hatte, dann aber verleibte er sich den restlichen Wein ein und verbrachte den Rest des Nachmittages in weinseligem Dusel.
 

Erst als es vollkommen dunkel war, machte er sich an den nächsten Teil seines Planes: er kehrte mit der ersten Mumie zu dem Brunnen zurück, in dessen Nähe er Esel und Karren zurückgelassen hatte. Erleichtert stellte er fest, dass er den Platz gut genug ausgewählt hatte: Esel und Karren waren noch da. Der Mond stand schon hoch am Himmel, als er die letzte Mumie herbeigeschleppt und unter dem Stroh verborgen hatte. Sein Rausch war verflogen und seine gute Laune auch, als er sich endlich neben dem Karren in eine Decke hüllte, um wenigstens den Rest der Nacht zu verschlafen. Allerdings musste er feststellen, dass die Nacht in der Wüste ziemlich kühl und dementsprechend ungemütlich war. Am Ende war er froh, als die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont krochen. Er hatte es regelrecht eilig, zurück in die Stadt zu kommen und ersehnte nichts mehr als ein Bad… Unversehens glitten seine Gedanken zu Elulaios. Elulaios blanker Hintern, das wäre noch besser als ein Bad…
 

Die Stadtwache schenkte ihm keine weitere Beachtung. Ein staubiger, unrasierter Barbar mit einer Ladung Heu – das war nicht eben Aufsehen erregend. Das zumindest hatte Brónach gehofft, und sein Plan ging auf. Es war noch lange vor Mittag, als er wieder bei Nikodemos’ Haus eintraf. Die Mumien hatte er zwecks Restaurierung bereits bei der Werkstatt des Balsamierers Sebech abgegeben. Trotz der frühen Morgenstunde war es im Haus bereits lebendig. Nikodemos war außer Haus, aber Elulaios saß farbbekleckst im Innenhof, um sich herum mindestens ein dutzend Entwürfe für das Mumienporträt. Brónach musste selbst in übler Laune, wie er nun gerade war, zugeben, dass Elulaios wirklich malen konnte: der Entwurf, an dem er gerade arbeitete, sah dem Vorbild zum Verwechseln ähnlich. Im Augenblick war Brónach allerdings nicht danach zu Mute, Elulaios’ künstlerisches Talent zu preisen. Vielmehr ärgerte er sich darüber, dass Elulaios so sehr in seine Arbeit versunken war, dass er Brónach nicht einmal bemerkte. Ohne sich weiter um gute Sitten oder seinen vermutlich entsetzlichen Körpergeruch zu kümmern, ging er zu Elulaios hinüber und nahm ihm den Pinsel aus der Hand und küsste ihn grob. Das Experiment gelang: Elulaios Augen leuchteten auf und er schmolz geradezu unter Brónachs Händen. Brónach musste grinsen, als er Elulaios die Treppe zu dessen Kammer hoch zerrte. Er würde sich an Elulaios für die Unannehmlichkeiten schadlos halten – und das versprach eine Unternehmung zu werden, die ihn mehr als entschädigen würde.
 

Nikodemos kehrte glücklicherweise erst zurück, nachdem Brónach sowohl mit Elulaios als auch mit dem Baden fertig war. Nikodemos war im Palast gewesen und nun war er in offensichtlich rabenschwarzer Stimmung. Allerdings wollte er nicht einmal mit Brónach reden, sondern verzog sofort sich in sein Arbeitszimmer. Aus diesem floh er allerdings sofort wieder, als er der Mumie Alexanders ansichtig wurde, die ziemlich prominent in der Mitte des Raumes lag, von einem bunten kretischen Teppich nur sehr unvollkommen verdeckt. Brónach folgte ihm den Krater mit Wein in der Hand in den Innenhof, der aber, in eine Malerwerkstatt verwandelt, offenbar auch nicht nach Nikodemos Geschmack war. Schließlich ließ er sich im Andron nieder, forderte Wein und wollte nicht mehr gestört werden. Brónach sah ein, dass er hier nicht von Nutzen war und beschloss, sich beim Pförtner zu erkundigen, ob der wusste, warum Nikodemos zum Palast gegangen sei. Dieser wusste zu berichten, dass ein Bote die Nachricht vom Tod des alten Priesters Apollodoros überbracht habe, sowie den Befehl an Nikodemos, zu einer Audienz bei dem Innenminister zu erscheinen. Brónachs eben erst gebesserte Laune verflüchtigte sich gleich wieder. Eine Audienz beim Innenminister, das konnte Schlimmes bedeuten… Allerdings half es wohl auch nicht, wenn er darüber nachgrübelte. Besser, er ruhte sich ein wenig aus und harrte der Dinge, die da kommen mochten. Bevor die Mumien fertig waren, gab es ohnehin nicht viel zu tun.



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