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Schreibübungen

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Stadt

Schreibübung 22 - Tod
 

Dieser Text ist eigentlich nicht im Rahmen der Schreibübung entstanden, aber nachdem ich ihn geschrieben habe, fand ich, er würde doch eigentlich auch ganz gut dazu passen. Falls ihr das anders seht, lasst es mich wissen.
 


 

Für mich ist kein Platz in dieser Stadt.

Die Häuser ragen mir über den Kopf. Der Smog teert mir die Lungen. Die Autos hupen. Die Menschen meckern. Mir ist schlecht.

Ich habe keinen Lieblingsplatz. Es gibt nichts, was mir mehr gefällt als alles andere.

Mir gefällt nichts.

Nicht hier und auch sonst nirgendwo.

Ich habe dieser Stadt alles gegeben und sie hat mir niemals etwas zurückgegeben. Sie ist undankbar und gnadenlos.

Wenn ich die Menschen auf den Straßen sehe, unzufrieden, gestresst, frage ich mich, weshalb sie hier sind. Aber dann sehe ich mich. Und ich weiß, weshalb.

Man kann der Stadt nicht entfliehen. Wenn sie dich erst einmal aufgenommen hat, lässt sie dich nicht mehr los. Nie mehr.

In meiner Jackentasche finde ich eine Münze. Ich nehme sie in die Hand und sie fällt mir in den Rinnstein.

Egal wohin ich gehe, die Stadt sitzt mir im Nacken. Sie gönnt mir kein Glück, keinen Frieden. Sie gönnt mir nichts.

Ich hebe sie auf. Neben der Hot-Dog-Bude im Bahnhof sitzt ein alter Mann an die Wand gelehnt. Seine Augen sind geschlossen, sein Bart ist grau und verfilzt.

Die Stadt hat ihm alle Kraft genommen, ihn bis aufs letzte ausgesaugt. Ich werfe die Münze in seinen Becher. Müde öffnet er ein Auge.

Ich weiß nicht viel und erst recht nicht über mich selbst, doch ich weiß, dass ich niemals werden möchte wie er. So weit wird es nicht kommen.

Ich gehe weiter und höre seine Stimme hinter mir.

„Haben Sie vielen Dank! Einen schönen Tag noch!“

Einen schönen Tag hatte ich nicht mehr, seit die Stadt mich in Ketten gelegt hat.

Doch es gab schon schlimmere als den heutigen.

Der Bahnsteig ist überfüllt. Menschen und Menschen und Menschen. Die Stadt hat mich gelernt, Menschen zu verabscheuen. Sie haben die Stadt geschaffen und wollten sie regieren, doch jetzt regiert die Stadt sie.

Menschen sind machtlos, nutzlos, sinnlos.

Ich halte den Blick gesenkt, weil ich die Gesichter nicht ertragen kann. Die vielen Gesichter machen mich krank. Sie zeigen das verhasste Gesicht der Stadt.

Die Anzeige kündigt die Ankunft der nächsten Bahn an. In zwei Minuten. Zwei Minuten.

Ich widme diese zwei Minuten der Stadt, die mein Leben zerstört hat. Ich habe schon so viel an sie verloren, da sind diese letzten Minuten nur die Spitze des Eisbergs.

Ich schließe die Augen. Konzentriere mich auf den Hass, den ich für die Stadt empfinde. Und es ist eine Menge Hass. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Mensch so viel Hass empfinden kann.

Die Zeit rennt. Ich höre die Zeiger vorrücken.

Ich bin völlig ruhig. Der Hass ist alltäglich, er macht mich nicht mehr wütend.

Meine Gefühle hat die Stadt mir geraubt. Ohne sie lebt es sich hier einfacher. Geholfen hat es mir trotzdem nicht.

Stimmen dringen an mein Ohr. Gepöbel irgendwo. Vielleicht bin ich nicht der Einzige, der heute geht.

Schon höre ich das Rattern, spüre einen Luftzug. Ich öffne die Augen und trete näher und näher und näher.

Viel zu schnell ist die Zeit vergangen, aber ich denke, ich habe mich verabschiedet, wie es sich gehört. Und kann mit gutem Gewissen gehen.

Ich trete so nah, dass ich nicht weitertreten kann und doch noch einen Schritt näher.

Die Schreie hinter mir werden lauter. Aber dann verstummen sie einfach. Alles verstummt. Für immer.

Auf Wiedersehen, Stadt, schade, dass ich nicht länger bleiben konnte.
 

Ich kam her, unschuldig, neugierig, naiv.

Ich gehe fort, befleckt, abgestumpft, zerrissen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Ditsch
2010-05-26T16:38:20+00:00 26.05.2010 18:38
Irgendwie traurig... und bedrückend.
Ich persönlich habe zwar nichts gegen die Stadt (was auch daran liegen könnte, dass ich sie nicht besonders gut kenne ö.ö), aber ich kann mir gut vorstellen, dass man sich dort sehr schnell sehr einsam fühlt. Ganz viele Menschen, die alle aneinander vorbeisehen und sich nicht füreinander interessieren...

Ich fand auch, dass es zum Thema passte. Schließlich ist die Person doch am Ende vor den Zug gesprungen, oder habe ich das falsch verstanden? Und davor lief ja auch alles schon mehr oder weniger darauf hinaus.
Die Länge fand ich auch okay. Es waren alles sehr kurze Sätze, die nicht unbedingt direkt zusammenhingen, aber gerade das fand ich sehr passend, weil es die dargestellten Gefühle sehr gut unterstützt.

Ditsch
Von:  SailorTerra
2010-05-22T18:12:08+00:00 22.05.2010 20:12
Ich frage mich gerade, wie man eine Stadt so verabscheuen kann. Denn eigentlich ist eine Stadt doch nur ein toter Gegenstand, der einem nichts tun kann. Aber ich denke mal, dass dieser Hass, Wut, Verzweiflung... welches Gefühl es auch immer am besten beschreibt... der Stadt mit allem was dazu gehört gilt. Ich bin auch kein Stadtmensch, deswegen kann ich es irgendwie verstehen.

Die Geschichte an sich ist gut. Vielleicht etwas kurz und handelt weniger vom Tod, als von der Verzweiflung... aber man könnte argumentieren, dass es von einem innerlichen toten Menschen handelt. Wäre in dem Fall dann ja auch irgendwie passend ^^
Vielleicht hättest du bei den 2 Minuten die noch etwas mehr veranschaulichen können... denn erst hab ich wirklich nicht begriffen, wieso gerade noch zwei, auch wenn es zum Schluss dann sinn macht.
Was mir etwas gefehlt hat, war der Vergleich. Zwar steht im Schluss so etwas, wie das betreffende Person vorher naiv und unschuldig war, aber ich vermisse es in der Geschichte selbst... vielleicht hätte das die Verzweiflung über das was die Person verloren hat etwas veranschaulicht. So stirbt da einfach nur ein des Lebens müder Mensch... ohne Sinn und Verstand.


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